Franziska Gräfin zu Reventlow
Der Geldkomplex
Franziska Gräfin zu Reventlow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16

Ihr müßt nicht so neugierig sein und nicht so ungeduldig, Maria. Nehmt Euch doch endlich ein Beispiel an der christlichen Ergebung, mit der ich selbst die Entwicklung der Dinge abwarte. Versteht man es nicht, mit Ausdauer und Beharrlichkeit gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so wird man nervös. Diese schwere Kunst habe ich nun allmählich mit vieler Mühe üben gelernt, und Ihr dürft mich nicht immer darin stören.

Die Feste feiern, wie sie fallen... das Petroleumfest, das zu so schönen Erwartungen berechtigte, ist gründlich ins Wasser gefallen, und zwar gerade in dem Moment, wo man dachte, es nun ungestört feiern zu können. Der schwarze Idiot soll so ungeheuerliche Summen defraudiert haben, daß Balailoff rundweg erklärte, er müsse sein Kapital zurückziehen und seine Ländereien verkaufen. Vergebens suchte Henry ihn zu überzeugen, er könne sich durch dieses Unternehmen am besten wieder rangieren, und die Sache sei schon so weit gediehen, daß er auch im Interesse der übrigen Beteiligten nicht mehr zurücktreten dürfe. Vergebens suchten wir ihn aufzuheitern, indem wir allabendlich unsere Freunde aus der Stadt versammelten – manchmal hatten wir fast die ganze Truppe da und saßen auf Kohlen, daß der Spektakel sämtliche Patienten aufwecken möchte. Balailoff betrank sich nur, und war er wieder nüchtern, so beteuerte er immer wieder, durch die Geschichte mit seinem Sekretär habe er den Glauben an die Menschheit verloren und wolle von nichts mehr wissen, weder von Braut noch von Petroleum.

Es war nichts dabei zu machen, Henry und er haben sich schließlich endgültig überworfen. Dann beschwerte er sich bei dem Professor, daß er es nicht fertiggebracht habe, ihm das Trinken abzugewöhnen – an all seinem Unglück sei nur der Alkohol schuld. Daraufhin kamen sich die beiden auch noch in die Haare, und Balailoff hat unter Protest das Sanatorium verlassen.

Lukas meint, wir hätten es von Anfang an falsch gemacht, indem wir seiner Neigung zum Trunk Vorschub leisteten. Man hätte ihn ruhig dem Professor überlassen und nur in nüchternem Zustande mit ihm verhandeln sollen. Vielleicht wäre dann so etwas wie ein Kontrakt zustande gekommen, auf dem man jetzt fußen könnte. Baumann dagegen hält es für ein schweres Versäumnis, daß er ihn nicht analysiert hat. Auf diesem Wege wäre es sicher möglich gewesen, ihn von seinem Heiratskomplex zu heilen und die ganze Geschichte mit dem schwarzen Idioten zu vermeiden.

Henry beteiligte sich nur wenig an diesen nützlichen und erbaulichen Diskussionen. Er ist nachdenklich, aber durchaus nicht niedergebeugt durch den neuen Fehlschlag. «Vielleicht ist es besser so», sagte er mit voller Überzeugung, «man zersplittert sich so leicht, wenn man zuviel um die Ohren hat. Ich müßte jetzt abwechselnd nach Südafrika, Rußland und Norwegen fahren, wo wir demnächst...»

«Schon wieder ein neues Projekt?» fragte Lukas entsetzt.

«Bei dem sich in wenigen Jahren ein Bombengeld verdienen läßt, aber darüber reden wir ein anderes Mal...»

«Ja, bitte», murmelte Lukas mit schwacher Stimme.

Nach all diesen Aufregungen sind wir etwas marode, und es hat eine Art Sinn bekommen, daß wir in einer Nervenanstalt sind.

Darüber wird es nun allmählich Herbst, die Schauspieler sind fort... es war halt nur ein Sommertheater. So sind auch die Feste im Separatflügel eingeschlafen und wir stille Patienten geworden, ein wenig abgespannt, ein wenig reizbar, also gerade, wie es sich gehört. Der Professor behandelt uns wieder auf unsere Nerven hin, Baumann behandelt unsere Komplexe. Henry und ich sind uns längst klar darüber, daß es völlig zwecklos ist, denn der beiderseitige Geldkomplex steigert sich seit Balailoffs Verschwinden bedenklich. Wird mir hier oben die Welt zu eng, so flüchte ich zu ihm ins Bureau. Er sitzt am Schreibtisch, rechnet, rechnet, macht Überschläge und murmelt Zahlen, ich sehe die Sanatoriumsrechnungen durch, die immer mehr anwachsen, und Lukas sitzt resigniert dabei.

«Keine Nachricht von Ihrem Herrn Gemahl?»

«Gemahl?... nein... ja doch, er wird nächstens hier eintreffen.» Ich bin zu sehr in die Rechnungen vertieft und kann mich nicht gleich besinnen.

«Sie sollten sich aber doch daran gewöhnen, den betreffenden Herrn mit seinem rechtmäßigen Titel zu bezeichnen. Oder gedenken Sie ihn hier schlechthin als ‹Miterben› einzuführen?»

«Keine Ahnung, wie ich das machen soll. Wir nennen uns Sie, und ich weiß von seinem Leben so wenig wie er von meinem. Es möchte sich doch sonderbar ausnehmen, wenn wir uns bei jeder Gelegenheit erst gegenseitig darüber aufklären müssen.»

«Führen Sie ihn als Ihren Vetter ein.»

Ich fand den Vorschlag ganz gut, aber Henry war übler Laune und warf mir vor, ich wollte immer nur Filme veranstalten, und diese ganze Heirat sei schon Film genug. Sehr mit Unrecht, denn was kann ich dafür? Du weißt ja ungefähr, wie die Sache war... Er wollte heiraten, weil er fürchtete, sonst enterbt zu werden, und setzte die Hälfte seines Erbes als Preis dafür aus. Ich saß gerade in Paris und wußte nicht recht. was ich tun sollte, als gemeinsame Bekannte mir den Fall unterbreiteten und ziemlich hohe Ziffern dabei spielen ließen. Lebhaft erinnere ich mich, wie man in einem kleinen Montmartre-Café saß und beriet: Soll sie es tun?... soll sie es nicht tun?... Ich selbst wurde eigentlich kaum um meine Ansicht gefragt. Aber ich gab dann schriftlich mein Jawort und fuhr dorthin, wo mein zukünftiger Eheherr sich aufhielt. Man hatte ihn mir als degenerierten Baron geschildert, und auch das lockte mich. Aber er sah aus wie ein Seeräuber in Zivil, und seine Degeneriertheit bestand nur darin, daß er trank. Die Familie verhielt sich etwas skeptisch und wollte vor allem wissen, ob ich Vermögen hätte. Nein, aber später eines zu erwarten, was ja im Falle unserer Heirat auch der Wahrheit entsprach... Alles Weitere entwickelte sich dann merkwürdig günstig, die unwahrscheinlichsten Umstände kamen mir zu Hilfe, so daß ich kurze Zeit hindurch selbst in den Augen seines Vaters – eben des alten Herrn, der jetzt das Zeitliche gesegnet hat – mit Glück die Rolle des guten Engels spielte. An diesen Glanzpunkt meiner Laufbahn denke ich immer noch mit Wehmut zurück und muß mir selbst alle Anerkennung zubilligen, denn weder andere noch ich hätten das jemals für möglich gehalten. Es dauerte denn auch nicht lange – eben, bis es gar zu auffallend wurde, daß wir keinen gemeinsamen Haushalt gründeten, daß unsere beiderseitigen Niederlassungen sich vielmehr an entgegengesetzten Endpunkten des In- oder Auslandes befanden und, falls es gelegentlich in Frage kam, keiner über den Aufenthalt oder die Schicksale des anderen auf dem laufenden war. Schließlich kam dann auch noch die Geschichte mit dem Kontrakt auf...

Da alles mußte ich Lukas noch einmal eingehend schildern, wie auch die Persönlichkeit meines Gatten und Miterben. Wir einigten uns dahin, ihn doch lieber in der Stadt wohnen zu lassen. Der Professor hat sicher vorläufig genug von Alkoholikern, und soweit ich diesen kenne, ist er von ungemein aufrichtigem Charakter und wäre nicht imstande, den Wunsch nach einer Entziehungs- oder anderen Kur auch nur vorzutäuschen.


 << zurück weiter >>