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An die Geschichte Yatsumas, des phantastischen Narren, dessen oberster Grundsatz lautet: »Lebe ohne Geld!«, habe ich sechs Jahre hingemurkst. Damals war es ja ganz schön, als ich auf dem Bauerndorf wohnte. Aber meine Erlebnisse in diesem Dorfe sind eine Geschichte für sich; vielleicht werde ich sie ein andermal erzählen. Ich stand damals oft sehr früh auf, ging hinaus, sprang kopfüber in den Weiher, die Frösche, die auf dem Ufer sassen, sprangen schon vor mir hinein, lief dann, wenn es kühl war, drei-, viermal um den Teich herum oder legte mich, wenn die Sonne schien, eine halbe Stunde hin und tat etwas, was andere Menschen ganz von selbst tun, während ich es mir immer extra vornehmen muss: ich dachte an gar nichts. Dann schloff ich in die Hosen und ging nach Hause durch den balsamisch duftenden Wald, von dem ich zwar nichts roch, weil ich mit der Inhalation meiner Morgenzigaretten beschäftigt war, aber es genügt ja, dass man es weiss. In meinem ländlich, aber einfach möblierten Zimmer setzte ich mich hin und schrieb. Von meinem Fenster aus hatte ich eine sehr hübsche Aussicht auf einen Blumen- und Gemüsegarten und auf den Weg, auf dem der Geldbriefträger kommen muss. Es waren recht schöne Wochen. Bis meine Frau kam; aber da beginnt die andere Geschichte, die ich jetzt nicht erzählen will.

Im übrigen musste ich aufs Rentamt, weil ich um Stundung meiner Steuer nachsuchte, zum Schuhmacher, weil die Schuhe meiner Frau besohlt werden mussten, zum Installateur, weil der Ausguss verstopft war, immer wieder schütten sie Malzkaffeesatz, Blumenkohl und ausgekämmte Haare hinein, zur städtischen Gasanstalt, die am andern Ende der Welt liegt, weil meine Frau einen Gasofen brauchte, und zum Wohlfahrtsausschuss, bei dem ich ein Gesuch um ein Darlehen von fünf Mark eingereicht habe. Infolge dieser vielen Besorgungen kam ich oft erst spät abends zum Schreiben oder wollte dazu kommen, aber dann war wieder der Tisch nicht frei, weil meine Frau bügelte. Sie warf mir vor, dass ich mich ihr nicht widme und dass die Abendstunden der Familie gehören müssen. Manchmal nahm ich alles, was von meinem sagenhaften Mut noch übriggeblieben ist, zusammen, berief mich auf meine Pflicht als Familienernährer und schrieb trotzdem. Meine Frau hat daraufhin das Gerücht in der Nachbarschaft verbreitet, dass ich ein Tyrann bin. Seitdem grüssen mich die Hausmeisterin und die Aufwartefrau nicht mehr. Beim dritten Kapitel erzählte meine Frau dem Dienstmann an der Ecke, dass ich einen Roman vollendet habe. Seitdem grüsst mich auch der Dienstmann nicht mehr. Ich fühle mich recht vereinsamt. Nur das Dienstmädchen bezeugt noch Sympathien für mich. Meistens, wenn sie mir nicht etwas sehr Wichtiges mitzuteilen hat, schickt mich meine Frau zu Bett, damit ich früh aufstehen kann. Morgen, sagt sie, muss ich endlich den Schirm zum Schirmmacher tragen, den ihr der Wind umgedreht hat, das geht jetzt nicht mehr so weiter. Ich gehe aber sehr ungern zu Bett. Seit drei Jahren kann ich nicht schlafen, weil unser Kleiner an Schreikrämpfen leidet. Er bekommt jeden Tag vier neue Zähne. Manchmal stehle ich mich um zwei, drei Uhr morgens, wenn die ersten Schreikrämpfe vorüber sind, vorsichtig aus dem Bett, dessen Patentfederstahlmatratzen bei der leisesten Regung grässlich ächzen und quieksen, schleiche behutsam ins andere Zimmer, knipse mit äusserster Vorsicht das Licht an, zucke, wenn der Schalter knackst, wie vom Blitz erschlagen zusammen, stehe eine halbe Stunde frierend im Hemd da und horche angestrengt, ob sie nichts gehört hat, umhülle mich endlich mit meinem alten Reiseplaid und schreibe an meinem Roman, bis es langsam hell wird. Dann begebe ich mich ebenso vorsichtig und lautlos wieder ins Bett, als ob nichts geschehen wäre.

So schrieb ich also sechs Jahre lang. Ich schrieb im Kaffeehaus beim Nachmittagskonzert, wo mich alle anschauten, als wäre ich irrsinnig, aussätzig, ein bekannter Gentlemaneinbrecher und steckbrieflich verfolgter Lustmörder. Der Kellner bediente mich mit deutlich spürbarer Verachtung, ein Herr, der an meinem Tisch sass, entfernte sich ohne Gruss. Ich lasse mich von solchen Vorfällen nicht weiter stören, sondern verwebe sie meistens gleich in die betreffenden Kapitel. Ich schrieb in der Trambahn, im Gasthaus, in der Eisenbahn, im Wartesaal, im Münchener Hofbräuhaus, beim Friseur und im Wartezimmer vom Zahnarzt. Ich schrieb in der Wohnung meines Freundes Aschaffenburg, der, nachdem ich ihn angepumpt hatte, mit seiner Familie so lange aufs Land ging, schrieb beim Finanzamt, wo ich vier Stunden warten musste, als ich die Steuererklärung persönlich hintrug, weil ich keine Briefmarke hatte, und schrieb in dem ungeheizten Zimmer eines Freundes, der im Gebirge wohnt, achtzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel, und der mich eingeladen, aber kein Holz hat. Ich schrieb in der Stadt und auf dem Lande, im Sommer und Winter, im Krieg und im Frieden, im Keller und auf dem Dachboden, schrieb manches Kapitel am Postanweisungsschalter, bis der Beamte mein letztes Geld abzählte, das ich einzahlte, und manches in der Telephonkabine, wenn ein persönlicher Feind von mir nach mir telephonieren wollte.

Sechs Jahre lang.

Während dieser Zeit liess sich meine zweite Frau von mir scheiden, und meine dritte, der ich verheimlichte, dass ich an einem Roman arbeite, mit mir verheiraten. Einer meiner besten Freunde starb schon bei den ersten Kapiteln; ich kaufte einen Kranz auf Kredit und ging in einem senfgelben Überzieher zur Beerdigung. Bald darauf hatte meine verheiratete Schwester eine Frühgeburt und kam ins Krankenhaus. Ich besuchte sie, sprach ihr Mut zu und pumpte sie um drei Mark an. Zwischen dem neunundzwanzigsten und dreissigsten Kapitel gebar meine dritte Frau den Knaben mit dem Schreikrampf; beim einunddreissigsten (Kapitel, nicht Knaben), in welchem der Held eine Millionärin heiratet, suchte ich eine Stelle als Ausgeher. Darüber kam der Karneval; ich wollte nichts mehr von ihm wissen, aber der Verein gegen betrügerisches Einschenken bat mich, ein Theaterstück zu verfassen. Ich schrieb nach Geschäftsschluss den »Tod des Ödipus«, übernahm die Bühnendekoration und die Einstudierung von achtundvierzig Schauspielern und spielte die Hauptrolle. Nach der Aufführung wurde ich aus dem Verein ausgeschlossen. Des öftern während dieser Zeit habe ich mich verliebt. Leider ohne Erfolg. Ich bin zum drittenmal verheiratet und habe mir strenge Grundsätze angewöhnt – erst vorgestern hat mich meine erste Frau wieder pfänden lassen. Unter meinen Angebeteten war eine hübsche hessische Pastorswitwe mit drei Kindern. Sie gab mir einen Kuss und die drei Kinder und wanderte nach China aus. Sie lebt jetzt in Siebenbürgen. Nachdem ich die Kinder bei ihren Verwandten verstaut hatte, begab ich mich an das zweiunddreissigste Kapitel, das den Frühling an der Riviera schildert.

Weihnachten, das Fest des Friedens, nahte heran. Ich leistete den Offenbarungseid und erstand für billiges Geld einen Christbaum. Eine Schachtel Christbaumschmuck besitze ich noch aus einer meiner früheren Ehen. Sie war ein Geburtstagsgeschenk meiner Schwiegermutter, ich weiss nicht mehr genau, war es die in Litauen oder die in Rumänien. Kurz und gut, beim vierunddreissigsten Kapitel, das von der Unsterblichkeit handelt, starb meine hochbetagte Grossmutter. Sie hatte sich schon immer auf den Roman gefreut. Ich nahm von einem Kaminkehrer einen Zylinder zu leihen und ging zur Beerdigung. In der Leichenhalle entwarf ich in Gedanken das schwierige neununddreissigste Kapitel. Dumpf polterten die Schollen auf den Sarg. Mir fiel ein, dass ich im zwanzigsten Kapitel etwas vergessen hatte. Eilends strebte ich nach Hause, um den Gedanken zu notieren, aber meine Frau schickte mich gleich wieder fort. Der Kleine hatte den Schnuller verloren, ich musste einen neuen holen.

So schrieb und schrieb ich, sechs Jahre lang. Der Roman machte bemerkenswerte Fortschritte, und alsbald nahte die Zeit heran, wo er seinem Ende zustrebte. Bei fleissiger, ununterbrochener Arbeit konnte ich in vierzehn Tagen spätestens fertig sein. Mein Sohn bekam das Nesselfieber, meine Frau die Kopfgrippe und ich eine Gerichtsvorladung. Mein bester Freund, der mit meiner ersten Frau zusammenlebt, hatte mich wegen Beleidigung verklagt. Ich nahm alles zurück, mit Ausnahme der Frau natürlich, und bezahlte die Kosten, da ich soeben zwanzig Mark Honorar für einen früheren Roman eingenommen hatte. Am Tage darauf wurde bei mir Haussuchung gehalten. Ich vermute, dass mich der Bildhauer Erwin Hakenkreuz, dem ich noch drei Mark schulde, wegen meiner politischen Gesinnung bei der Polizei denunziert hat. Die Beamten beschlagnahmten einige Bände Courths-Maler und andere unsittliche Bücher, die noch von meinen beiden ersten Frauen herrühren. Meine jetzige liest nur Marlitt. Ferner nahmen die Beamten einen Stoss Mahnbriefe und unbezahlte Rechnungen mit und mein unvollendetes Romanmanuskript, weil auf Seite 267 steht, dass das Brot wieder teurer geworden ist. Zuerst wollte ich die bereits geschriebenen fünfundfünfzig Kapitel aus dem Gedächtnis rekonstruieren, dann aber, als ich mir einen leichten Gehirnschlag zugezogen, ging ich zur Polizeidirektion und erklärte, dass ich nicht gewusst habe, dass Lebensmittelteuerungen nur in der Wirklichkeit vorkommen dürfen. Ich verpflichtete mich durch eigenhändige Unterschrift, von nun an stets mit geschlossenen Augen herumzugehen, nur mehr Magazine zu lesen, die Münchener Neuesten auf ein Jahr im voraus zu abonnieren, und wenn ich wieder einen Roman schriebe, mich vorher bei der Polizei zu erkundigen, wie man es machen muss. Nach acht Monaten wurde mir mein Manuskript wieder ausgehändigt und die weitere Benützung desselben auf Widerruf gestattet. Meine Frau sagte, ich solle endlich machen, dass ich fertig werde, wir brauchten notwendig einen dritten Stuhl, ein Kaffeeservice und eine Pelzjacke. Auch meine Unterwäsche ginge vollständig aus dem Leim, aber das sei nicht so eilig. Ich dachte an meine ausgerissenen Hosenträger, an denen mich die Sicherheitsnadeln, wenn sie aufgehen, immer in den Bauch stechen, und versprach, mein möglichstes zu tun.

Das letzte Kapitel, das schwierigste von allen, rückte näher und näher. Da an meiner Schreibmaschine zwei Typenhebel fehlen, bei den grossen Anfangsbuchstaben immer die Ziffern anschlagen und beim Punkt das Paragraphzeichen, musste ich beizeiten daran denken, eine leserliche Reinschrift anfertigen zu lassen. Ein Kollege verriet mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit die Adresse einer Dame, deren Mann im Felde so gefallen ist, dass sie sich mit Schreibmaschinenarbeiten kümmerlich fortbringen muss. Ich erkundigte mich bei ihr und erfuhr, dass die Abschrift nur dreihundert Mark koste. Jetzt galt es also nur noch das letzte Kapitel, mit dessen Inhalt ich vier Jahre lang schwanger ging, ohne Unfall zu entbinden. Ich verdoppelte meine Energie und halbierte das Abendessen, lebte keusch und nüchtern, ging früh zu Bett und stand spät auf und wurde nur selten unterbrochen. Schon hatte ich das Kapitel zur Hälfte niedergeschrieben, bis dahin, wo die Komtesse auf das gräfliche Schloss zurückkehrt, da brachte der Briefträger eine amtliche Vorladung aufs Mieteinigungsamt, weil ich zwei Jahre mit der Miete im Rückstand bin. Meine Angaben vor Gericht waren etwas verworren, weil ich immer an mein letztes Kapitel dachte, aber ich wäre, wenn ich auch an gar nichts gedacht hätte, ebenso zur Zwangsräumung und Kostentragung verurteilt worden. Das Urteil beirrte mich nicht im mindesten; von dem zu erwartenden Honorar konnte ich die rückständige Miete mit Leichtigkeit bereinigen, und ausserdem waren mir während des fünfstündigen Wartens vor dem Sitzungssaal und beim Anblick des Amtsrichters die besten Gedanken gekommen. Als ich nach Hause kam, war unter den Hausbewohnern ein Streit ausgebrochen darüber, ob unsere Zentralheizungskörper sechzehn Rippen haben oder siebzehn, bei welchem mehrere Frauen des Hauses verwundet wurden, darunter auch meine. Ich übernahm die Vermittlerrolle, bekam eine sieben Zentimeter lange Wunde am Hinterkopf und eine Anzahl anonymer Briefe und musste lange Zeit das Bett hüten. Nach meiner Genesung begab ich mich zum Hausbesitzer und verpflichtete mich, die Kosten für die Behandlung der Verwundeten und für die Wiederherstellung des zerstörten Treppengeländers zu übernehmen.

Mit frischer Kraft machte ich mich sodann an die Beendigung des letzten Kapitels, welche mir nunmehr in kurzer Zeit gelang. Eines schönen Tages, man möchte es nicht für möglich halten, war ich fertig! Es war unglaublich. Unsagbare Befriedigung erfüllte mich. Und was das allerschönste ist: kurz vor dem Fertigwerden war mir zu allem Überfluss bereits eine prächtige Idee zu einem neuen Roman eingefallen. Von der Fieberglut meines Glücksgefühls erhitzt, merkte ich gar nicht, dass die Zentralheizung nicht in Betrieb war, weil ich noch nicht bezahlt hatte. Es war Winter geworden, sofort zog ich meinen Sommerüberzieher an, lieh mir zwanzig Pfennige von meinem Freund, dem Schriftsteller Isidor Katharina Scharf, und fuhr zu der Dame, welche Schreibmaschinenarbeiten anfertigt. Wohlgefällig und glücklich blätterte ich während der Trambahnfahrt in meinem Manuskript, nur von den Billetkontrolleuren von Zeit zu Zeit unterbrochen, als ich zu meinem Schrecken entdeckte, dass ich das wichtige dreiundvierzigste Kapitel, eine erhabene Szene, in der die beiden Liebenden sich endlich vereinigen, überhaupt nicht geschrieben hatte. Ich erinnerte mich allerdings, dass meine dritte Frau zwischen dem zweiundvierzigsten und dreiundvierzigsten Kapitel die Scheidungsklage eingereicht hatte, weil sie die Meinung vertrat, dass schon ein geschriebener Roman ein Scheidungsgrund sei. In der freudigen Erregung über diese Aussicht – denn ein Schriftsteller sollte überhaupt nur eine solche Frau haben, die seine Romane selbst schreibt – frohlockend also über die Möglichkeit, eine solche Frau gegen meine jetzige einzutauschen, hatte ich vollständig vergessen, das Liebeskapitel zu schreiben. Kurz entschlossen liess ich es einfach fallen, die Leser merken ja doch nichts, und numerierte die folgenden um. Ich bat die Dame, die Abschrift so rasch als möglich anzufertigen, und machte es sehr eilig. Hing doch meine ganze Existenz und die Zukunft meiner Dichterlaufbahn davon ab, dass ich den Roman möglichst bald zur Ablieferung brachte.

Die dreihundert Mark besass ich zwar nicht, aber meine Freunde, so hoffte ich zuversichtlich, würden mir das Geld bei dem zu erwartenden Honorar ohne Zweifel gerne vorstrecken. Ausserdem hatte ich meine Novelle: »Das Trampeltier im Bubikleid« an die ersten literarischen Tageszeitungen Deutschlands versandt. Die Honorare mussten jeden Tag von allen Seiten hereinregnen. Vorerst jedoch wandte ich mich, um meine Freunde zu schonen, an den Verein zur Unterstützung notleidender Schriftsteller mit dem Ersuchen um ein Darlehen, welches abgewiesen wurde. Der Verein besass selbst keine Mittel, doch bot er mir Brennholz und getragene Schuhe an. Leider konnte ich von diesem Angebot keinen Gebrauch machen. Das Brennholz kann ich nicht verwenden, wegen der Zentralheizung, und getragene Schuhe habe ich schon. Dagegen lieh mir der Schreinermeister Stuhlbein, dem ich sowieso das Bücherregal noch schuldig bin, die dreihundert Mark ohne weiteres, als ich ihm sagte, dass ich eine feste Anstellung als Hausdichter bei einer Fabrik für Plattfusseinlagen in Aussicht habe. Dieser Betrag war jedoch schnell verbraucht für Schuhsohlen, Schirmreparaturen, elektrisches Licht, Zentralheizung, Milchrechnung, Krankenkasse und den Jahresbeitrag zum Verbrennungsverein »Phönix«. Mein Sohn brauchte eine wollene Mütze, und das Dienstmädchen bekam einen Vorschuss auf den rückständigen Lohn vom vorigen Jahr. Der Rechtsanwalt und der Zahnarzt schickten zum zwanzigstenmal die Rechnung mit drohenden Mahnungen. Die Plomben waren schon längst ausgefallen und immer noch nicht bezahlt. Das beim Wohlfahrtsamt eingereichte Darlehensgesuch war noch nicht genehmigt, also mussten andere Hilfsquellen erschlossen werden. Obwohl der oberste Grundsatz Yatsumas lautet: »Lebe ohne Geld!« ging ich also zu meinem Freund, dem Schriftsteller Dr. Blau, und schilderte ihm, nachdem wir uns mehrere Stunden lang über die zeitgenössische Literatur angeregt unterhalten hatten, mit bewegten Worten meine glänzende Zukunft, welche einzig davon abhing, dass ich die Schreibmaschinendame bezahlte. Nachdem ich dem Dr. Blau das Versprechen gegeben hatte, ihn mit der Dame bekanntzumachen, lieh er mir zweihundert Mark. Die Summe reichte zwar nicht ganz für die Abschriftkosten, das war aber belanglos, denn das Geld kam wie gerufen und genügte fast vollkommen, die allerdringlichsten Schulden zu bereinigen. Das Gas war abgesperrt, der gemietete Gasofen entfernt worden, der Ausguss verstopft; mein Freund, der Schriftsteller Aschaffenburg, schrieb mir: das Geld verdirbt die Freundschaft, und wenn ich ihm die fünf Mark, die er mir vor zehn Jahren geliehen hat, nicht zurückgebe, dann könne er nicht mehr länger warten. Meine Novelle kam von allen Seiten zurück, und die Nähmaschine, die ich meiner Frau auf Abzahlung gekauft habe, wurde wieder abgeholt.

Zufällig begegnete ich in diesen aufreibenden Tagen meinem Freund Rabengeier, mit dem man vernünftig reden kann und der, ungeachtet seines abschreckenden Namens, ein ganz gutes Einkommen hat. In der furchtbaren Hast und Aufregung dieser Wochen hatte ich an ihn, den stets Hilfsbereiten, ganz zuletzt gedacht. Er wunderte sich über meine Melancholie wegen einer solchen Kleinigkeit und beruhigte mich: er werde mir die Kosten für die Abschrift selbstverständlich mit Vergnügen vorstrecken. Wenn ich wieder einmal in einer momentanen Verlegenheit sei, dann sollte ich mir doch den unnötigen Kummer sparen und gleich zu ihm kommen; wenn ich wollte, könnte ich das Geld auch sofort haben. Ich war jedoch vorsichtig geworden, dankte ihm ergriffen und sagte, dass ich es erst dann annehmen werde, wenn ich es brauche.

Nun war ich entspannt und beruhigt. Als die Mitteilung eintraf, dass das Manuskript fertig sei, begab ich mich schon am frühen Morgen zu Rabengeier. Zu seiner grössten Bestürzung aber hatte Rabengeier in den letzten Tagen für seine Geliebte so unmässige, unvorhergesehene und dringende Ausgaben gehabt, dass er augenblicklich auch nicht einen Pfennig mehr besass. Es war ihm furchtbar peinlich, fast noch peinlicher als wie mir. Er versprach mir, dass er mir in allernächster Zeit ganz bestimmt helfen werde, und dass ich mich, wie immer, auf ihn verlassen könne. Ich schrieb nun alle meine Freunde aus dem Adressbuch und suchte sie auf.

»Mensch,« sagte ich zu jedem, »du musst mir helfen! Der Yatsuma geht zu Ende!«

»Bist du schon fertig?« fragten sie.

»Ich schon – ich bin sogar vollständig fertig – aber die Abschrift muss noch bezahlt werden!«

»Ja, was kann man da machen?« meinten sie.

Meine Freunde sind lauter Maler, Bildhauer, Musiker und Schriftsteller. Die Künstler sind zwar die einzigen Mäzene, die es noch gibt; sie leihen einem wenigstens fünf Mark, ohne einen deswegen mit tödlicher Verachtung zu strafen, aber leider haben sie die fünf Mark nie. Die meisten meiner Freunde waren gerade unterwegs, um mich anzupumpen. Es war ein Betrieb wie in einem Ameisenhaufen. Manche pumpten mich an, bevor ich noch ein Wort sagen konnte. Ich verschwieg dann den Grund meines Besuches, bedauerte, dass es mir momentan leider nicht möglich wäre, ihnen zu helfen, und versicherte, dass ich in Erwartung meines grossen Honorars in kurzer Zeit dazu in der Lage sein werde. Dann unterhielten wir uns über literarische Neuerscheinungen, oder es las mir einer seine unveröffentlichten Gedichte vor, oder ich betrachtete mit brennendem Interesse das neueste unverkäufliche Bild des Freundes und seine letzte Plastik, die nicht bezahlt worden ist, weil der Auftraggeber wegen Hochstapelei verhaftet wurde.

Die Dame mahnte zum drittenmal, warum ich die fertige Abschrift nicht abhole. In der höchsten Not fiel mir der Verleger Meierhahn ein, der vor zehn Jahren sechs Bücher von mir verlegt hat und seitdem nichts mehr von sich hören lässt. Ich telephonierte ihn an und erfuhr, dass bereits erfolgreiche Bemühungen im Gange seien, um die Firma vor dem drohenden Zusammenbruch zu retten, und ich möchte doch zum Abendbrot kommen. Nur widerstrebend nahm ich an. Ausserdem riet er mir, seinen Freund, den Doktor Hadubrand, aufzusuchen, der ein grosser Philanthrop und schon so oft hereingefallen sei, dass es auf das eine Mal auch nicht mehr ankomme. Sofort begab ich mich zu Dr. Hadubrand. Es war schon spät, ich sprang zu früh von der Trambahn ab und zog mir eine Kniescheibenzersplitterung, ein Loch im Überzieher und einen Strafbefehl über sechs Mark zu. Ich schleppte mich die drei Treppen hinauf und hielt vor der Tür einen Augenblick inne, um Atem zu holen. Als ich klingelte, rumpelten drei Kohlenmänner in schweren, schneebeschmutzten Stiefeln dröhnend vom vierten Stock herunter. Das Treppenhaus zitterte, wankte und schwankte – oder schien es mir nur so? Die Tür öffnete sich und eine ältere Dame empfing mich mit vorwurfsvollen Blicken. In ziemlich aufrechter Haltung betrat ich das Wartezimmer und überlegte rasch die überzeugenden Worte, mit welchen ich dem Doktor meinen im Aufsteigen begriffenen Stern schildern wollte. Da ich der einzige Patient war, empfing mich der Doktor sehr freundlich und fragte mich, was mir fehle. Den Dialog, der sich hierauf entwickelte, werde ich demnächst in der Zeitschrift für pathologische Grenzfälle veröffentlichen. Endlich gelang es mir, den Doktor wieder zu Bewusstsein zu bringen. Als ich ihm meinen Lebenslauf erzählen wollte, überreichte er mir rasch einen Scheck über dreissig Mark und erbat sich ausreichende Sicherheiten. Ich gab ihm sofort meine versilberte Kravattennadel und einen falschen Brillantring, den ich auf Reisen, bei Anknüpfung neuer Damenbekanntschaften anzustecken pflege. Eine Sekunde vor Bankschluss löste ich den Scheck ein und begab mich herzklopfend zur Schreibmaschinendame. Es war zwar eingeheizt, doch strömte mir von ihrer Persönlichkeit eisige Kälte entgegen. Ich schilderte meine finanziellen Schwierigkeiten und schloss damit, dass es mir am Ende doch gelungen sei, wenn auch nicht das ganze, so doch einen Teil des Geldes aufzutreiben.

Die Dame forderte mich auf, abzulegen.

»Es fehlt nicht viel« – sagte ich.

»Bitte nehmen Sie Platz!« sagte sie liebenswürdig.

»Nur eine Null!« setzte ich tonlos hinzu. »Statt dreihundert sind es nur dreissig Mark, oder, wenn man pedantisch sein will, 29 Mark 85, weil ich fünfzehn Pfennige für die Trambahn ausgelegt habe –«

Die Dame wollte etwas sagen, aber ich liess mich nicht unterbrechen. Ich bat sie, meine Weltanschauung nicht mit der meines Romanhelden verwechseln zu wollen, der vom Geld nichts wissen will; weiss ich doch aus Erfahrung, dass Frauen diesen Unterschied niemals gelten lassen, während ich doch Geld erwartete und den Roman, der davon handelt, dass man kein Geld braucht, nur geschrieben habe, weil ich Geld brauche, um meine Schulden so bald als möglich zu bezahlen. Nach dieser Erklärung lud sie mich sichtlich erleichtert so lange zum Tee ein, bis ich mich endlich überreden liess.

Während ich mit meinem glücklich errungenen Manuskript zum Abendessen zu Meierhahn eilte, fiel mir zu meinem Schrecken ein, dass ich kein Geld hatte, um es absenden zu können. Hier musste der Verleger helfen! Es gab Matjeshering mit Yoghurt und echtes Weissbrot. Nach der Tafel zog mich Meierhahn in sein Privatbüro, wo ich ihm meine Not offenbarte. Leider befand er sich selbst in einer unwahrscheinlich ähnlichen Situation, da er tags zuvor fünfzigtausend Mark Honorar an einen Lyriker ausbezahlt hatte. Sein Vermögen bestand noch aus vierzig Pfennigen. Wir gingen nun in fieberhafter Hast die alphabetisch geordnete Verlagskartothek durch, fanden aber niemand, der Geld hat. Da kam mir eine göttliche Erleuchtung: mein Freund Dr. Kalesche, praktischer Arzt, Geburtshelfer und Dichter, hatte heute einen Vortragsabend! Was verschlug es da, wenn sich das Defizit um zehn Mark erhöhte! Augenblicklich verabschiedete ich mich und eilte in die Stadt. Die Anstrengungen der letzten Tage mussten aber meinen Nerven bereits stark zugesetzt haben – kaum war ich in die Hotelhalle eingetreten, als ich auch schon ohnmächtig zu Boden stürzte. Einer meiner Freunde nahm sich hilfreich meiner an, bezahlte die Garderobegebühr und die Eintrittskarte, so dass ich mich rasch erholte, und führte mich in den Saal. Die Vorlesung hatte bereits begonnen.

Ich war sehr ergriffen.

»Wundervoll!« sagte eine Dame in der Pause zu mir.

»Sehr schön!« sagte ich. »Dreihundert Mark!«

»Wie?«

»Nein, nein –« ich wollte mich rasch verbessern, aber die Dame hatte sich schon entfernt.

Nach der Vorlesung mischte ich mich unter die begeisterte Schar der Verehrer des grossen Dichters. Freunde hielten seine Hand fest, liebreizende Frauen, mit Blumensträussen bewaffnet, umschmeichelten ihn, leuchtende, zum Teil noch feuchte Augen hingen an seinem edlen Antlitz. Auch sein Blick weilte in ekstatischer Verzückung in ausserweltlichen Höhen. Endlich gelang es auch mir, ihm innig die Hand zu drücken.

»Verehrter Freund,« sagte ich, »es war wunderbar! Also prachtvoll! Gewaltig! Können Sie mir zehn Mark leihen?«

Leider überhörte er meine Frage, doch gelang es mir später, sie mit besserm Erfolge zu wiederholen. – – –

Nun ist alles vorüber, alles überstanden. Schlimme Jahre, schwere Wochen, furchtbare Tage, grausame Stunden liegen hinter mir. Ein Mensch ohne Geld hat keine Achtung vor sich selbst, er ist der gedemütigte Hund aller, das niedrigste Geschöpf auf Gottes Erdboden. Ich erhielt ein fürstliches Honorar, meine Menschenwürde ist wiedergewonnen, alle meine Schulden sind bezahlt, die Hausmeisterin grüsst mich wieder, die Scheidungsklage wurde zurückgewiesen, und mein Feind, der Bildhauer Hakenkreuz, dem ich noch drei Mark schulde, ist inzwischen Gott sei Dank an einer Zeitungsvergiftung gestorben. Somit wäre alles (bis auf die Scheidung) in schönster Ordnung. Aufrecht, stolz und glücklich gehe ich wieder unter den Menschen einher. Ich weiss nur noch nicht genau, wovon ich in der nächsten Zeit leben soll. Ich muss mich sofort an die Niederschrift meines neuen Romans machen. Das erste Kapitel habe ich schon flüchtig skizziert. Ich musste mich nur ein wenig unterbrechen, weil ich zur Gasanstalt gehen muss, einen neuen Gasofen mieten. Ich hoffe, dass ich die Nähmaschine wieder herausbekomme, wenn ich angebe, dass ich einen neuen Roman begonnen habe. Auch zum Wohlfahrtsamt muss ich; vielleicht hat mein Gesuch den Instanzenweg schon durchlaufen. Installateur, Schuhmacher, Zahnarzt, nur ganz wenig ist noch zu erledigen; sowie das geschehen ist, werde ich sofort mit eisernem Fleiss an die Arbeit gehen!


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