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[1] In der Frühlingsnacht.


(Eingang.)

 

O wonnig warme Frühlingsnacht! –
Auf feierlicher Himmelsflur
In milden Vollmonds Hirtenwacht
Goldwoll'ge Sternenlämmer weiden.
Ihr Vließ durchzittert den Azur.
Als woll' ein Menschenherz verscheiden,
Mit also wehmuthstiefem Klagen
Im Busch die Nachtigallen schlagen;
Und wieder jubeln sie so laut,
Gleich einer liebestrunknen Braut.
Süß duftend athmet der Hollunder,
Und lauscht dem Lied von Leid und Liebe …
O wer in Worten doch beschriebe
Solch einer Lenznacht hehres Wunder!

Hoch über üppigen Gestaden,
Berühmt durch edeln Rebensaft,
Thront die Abtei Mariagnaden –
Ein Steinkoloß, gewaltig breit;
Die Thürme ragen geisterhaft
In's Lichtmeer der Unendlichkeit.
[2] Und wer vom Klosterberge droben
In dieses Stromthals Paradies
Den Blick zum Städtlein schweifen ließ,
Deß Häuserkranz jetzt, duftumwoben,
Inmitten lenzerblühtem Hag
Wie ein versteinert Traumbild lag –
Der hätte wahrlich müssen wähnen:
Hier unten gäb' es weder Thränen,
Noch andern Gram, der friedlos macht –
Im Frühlingszauber solcher Nacht.

Und doch – ganz nah' des Flusses Strand,
Deß Plätschern wie ein Märchen klang,
Mit weinumlaubtem Giebeldach
Ein Erkerhaus im Garten stand.
Was war trotz allem Duft und Sang
Da drinnen jetzt ein Herzleid wach!
Sank doch im stillen Schlafgemach
Von eines Vaters Lebensbaum
Ein Blatt um's andre wie im Traum
Zur Mutter Erde welk und sacht! –
O Spätherbst in der Frühlingsnacht!

Der Kranke schläft. Er regt sich nicht.
Und sieh, welch edles Angesicht,
Von früh ergrautem Bart umsprossen,
Liegt auf dem Kissen hingegossen!
Zur Seit' ihm halten Weib und Sohn
Leis weinend seine Hand umschlossen,
Und lauschen jedem Odemzug. –
Ist das der letzte Schlummer schon,
[3] Drin bald in unvermerktem Flug,
Gleich ausgeklungnem Liebesliede
Die theure Seele stumm verweht?
Wär's möglich, daß so kalt sie schiede,
Dem Wandrer gleich, der kommt und geht?
Kein Grüßen mehr aus Blick und Munde? –
So harren sie schon Stund' um Stunde,
Und wagen kaum den Blick zu tauschen …

Indessen, du verdorrter Schaft,
Fang' an, in der Erinnrung Saft
Von einst'gen Tagen neu zu rauschen!
Breit' uns dein altes Laubwerk aus,
Und laß das Lied von diesem Haus
In deinem Schatten uns belauschen! …

* * *

Heisa, war das vor achtzehn Jahren
Vorm selben Haus, in gleicher Nacht,
Ein lustig Schmettern von Fanfaren!
Wie ward geschäkert und gelacht,
Als nach dem frohen Hochzeitsschmause
Der junge Doctor Justus Ritter
Sein Weibchen aus dem Amtmannshause,
Vom Hochzeitszuge tief gerührt
Begleitet bis an's Gartengitter,
In's neue traute Heim geführt!
Da prophezeiten alle Gäste
Schon um der treuen Liebe willen,
Mit der sie ausgeharrt im Stillen,
Den Beiden nur das Allerbeste.
[4] Und was das treue Liebsten waren! –
Schon in der Kinderträume Jahren,
Beim Fangens- und Versteckensspielen,
Die Nachbarkinder sich gefielen.
Dann sproßte Justus noch kein Flaum,
Und Walburg knospete noch kaum,
Als er ihr schon, noch als Student,
Das Ringlein heimlich angesteckt.
Ach, wie verstohlne Liebe brennt,
Das hatten sie gar oft verspürt,
Wenn Der und Jener sie geneckt;
Denn überstrenges Regiment
Ward in des Amtmanns Haus geführt.
Doch als er mit dem Doctorhut
Dann offen um sein Kind gefreit,
Ward ihm auch gleich der Vater gut
Trotz all der frühern Heimlichkeit.

Daß Justus Sonn- und Feiertag
Zu andrer Kirch', als Walburg ging,
Was störte das ihr junges Lieben,
Drauf aller Duft der Dichter lag?
Wann hätt' an ihrer Treue Ring
Der Zwiespalt je das Gold zerrieben? –
Und als das erste Söhnlein kam,
Die Mutter gern es übernahm,
Wie sie getreu lutherisch auch,
Doch nach kathol'scher Kirche Brauch,
Wie Justus das von ihr erbat,
Den Knaben einst ihm aufzuziehn.
Sagt ihr doch ihres Herzens Rath:
Sie thu's aus Liebe nur für ihn,
[5] Und lieg' in des Gebetes Ton
Viel mehr, als in deß Wort die Saat
Wahrhaftiger Religion,
Die einst in ihrem lieben Sohn
Ausreifen soll' als Frucht der That.

So glich des Hauses Glückesbild
Im ersten und im zweiten Jahr
Dem Frühlingsmorgen, sonnig klar,
Wann thaubeperltem Saatgefild
Die Lerche jubelnd sich entschwingt,
Und überall die Knospe springt.
Doch Dornen gleich schoß aus den Aehren
Auch bald viel Herzleid, schwer und bitter,
Und mußten als beherzte Schnitter
Nur allzu oft sie sich bewähren.
Wie's doch nur kam? – Noch dreimal ging
In vierfach flücht'gem Jahreslauf
Der Liebe Segen ihnen auf.
Doch, kaum er an zu blühen fing,
Sank, wie von jähem Frost getroffen,
Stets neu dahin ihr lenzig Hoffen.
Da half kein Beten und kein Pflegen.
Und bald danach, langsam geheim,
Sah räthselhaften Siechthums Keim
Man auch in Justus' Brust sich regen –
Von kaltem Trunk wohl angethan,
Zu jäh geschlürft nach heißen Wegen,
Wie er zum eiteln Trost sich sagte. –
Doch, daß sein mütterlicher Ahn
Dem gleichen Erbfeind einst erlegen,
Daran er kaum zu denken wagte.
[6] Und mit der Heldenmacht der Liebe
Zu seinem Haus und seinen Kranken
Sah er des Sensenmannes Hiebe,
Gleich dem Soldaten, ohne Wanken
Entgegen auf dem Schlachtgefild,
Und hielt des Willens ehrnes Schild
Vor die verzehrenden Gedanken.
Im eigenen wie fremden Haus,
Nie ward ein Wort der Klage laut.
Wenn's irgend ging, nur unbeschaut,
Trank er den Leidensbecher aus;
Doch frohsten Blickes er ihn offen
Vor Weib und Sohn mit Rosen kränzte,
Den ihm voll trügerischem Hoffen
Oft leidlich gute Zeit kredenzte.

Zwiefach aus ihrem stillen Leide
Dann froher Tage Trost gedieh,
Und doppelt dankbar labte sie
Des Erstgebornen Augenweide.
Nur, wann des Vaters Forscherblick
Den Knaben oft geheim beschaute,
Dann stets ihm vor der Sorge graute:
Einst treff auch diesen gleich Geschick.
Blieb doch auch dessen Leib gar zart! –
Und auch, was selten Knabenart,
Welch frühes Insichselbstversenken,
Das prüfend mit dem Worte spart!
Welch einsam gehend, träumend Denken! …

Wär' alte Ammensage wahr,
Daß Kinder oft nach ihren Pathen
[7] In Färbung des Gemüths gerathen,
Hier ward sie seltsam offenbar.
Denn Odilo, des Knaben Ohm,
Der einst bei ihm Gevatter stand,
Ein Philolog, gleich hochgelehrt
Im alten Hellas wie in Rom,
War schon im weltlichen Gewand
Beschaulich stets in sich gekehrt.
Nur noch der dumpfe Büchersaal
Barg ihm des Glückes heil'gen Gral.
Und mehr und immer mehr verzehrte
Nach klösterlicher Einsamkeit
Ihn solcher Sehnsucht Uebermaaß,
Daß er, der längst schon Andre lehrte,
Nun nochmal im Novizenkleid
Auf niedrer Schulbank niedersaß.

Nun war er längst im ganzen Orden
Mariagnadens Stolz geworden.
Doch auch noch in der Klosterklause
Hing stets sein Herz am Bruderhause.
Und wie sein kleiner Pathe dann
Latein und Griechisch sollt' erlernen,
Der aufgeklärte Ordensmann
Zu dessen Lehrer sich erbot.
Und so, statt weit ihn zu entfernen –
O welch ein Trost in all der Noth! –
Zog Odilo vom Elternhaus
An jedem Morgen, Jahr um Jahr,
Mit seinem Ränzlein fröhlich aus,
Wie draußen auch das Wetter war;
[8] Und pünktlich zog die Klosterschelle
Und trat in seines Pathen Zelle
Der wißbegierige Scholar.

O war das eine goldne Zeit,
Drin so aus Zelleneinsamkeit
Auf Jahr um Jahr stets weitrer Bahn
Die zwei sympathischen Naturen –
Ein Telemach in Mentors Kahn –
Des Wissens sonnig Meer befuhren!
Wie dieser Mönch vor allen Dingen
Die weise Lehrerkunst verstand,
Die Form ihm spielend beizubringen,
Und nicht den Geist ihm zu verleiden!
Drum führt' er ihn mit kluger Hand
Auf wechselreichem Inselland
Auch stets nach ernsten Bergeshaiden
Hinab zu blumenheitern Weiden,
Der Lernlust Frische zu erhalten.
Blieb er doch selber trotz Clausur
Ein treuer Schüler noch der Alten,
Der Lehrer froher Geistnatur!
Wie fromm er auch vorm Kreuzesbild
Im Reich der Gnade niedersank –
In ew'ger Schönheit Lenzgefild
Er zu olymp'schem Göttertrank
Aus feinster Schalen edelm Maaß
Gleich schwärmend gern doch niedersaß.
Und so sein geistig Doppelwesen
Hellen'schem Tempel ähnlich war,
Drin auf gestürztem Weihaltar
Nun Christenpriester Messe lesen.
[9] Was Wunder, daß in solcher Luft
Im Geiste seines Schülers auch
Hellenisch heitrer Geisteshauch
Und klösterlicher Mystik Duft
In ein Gebild zerronnen war!
Und wie auch täglich Jahr um Jahr
Zum Klosterberg die Morgenfahrt
Bei Sonnenbrand und Schlittenbahn
Dem jungen Leibe wohlgethan! –
Das junge Reis, sonst allzuzart,
War nun zum schlanken Stamm entsprossen.
Nie sah man frischern Lenzgenossen,
Drin Kraft und Anmuth hold gepaart.
Und dessen geistigklarer Blick! –
Wie wär' ihm jetzt noch gleich Geschick,
Als wie dem Vater aufgespart?
Doch auch bei diesem – wunderbar! –
War's doch, als ob schon manch ein Jahr
Das Siechthum mälig stille hielte!
Fast war's im Haus vergessen schon. –
Ob wohl das Glück ob solchem Sohn
An ihm die Wunderkur erzielte?

Da, eines Morgens – welch ein Leid!
Als Odilo mit müdem Fuß –
Der Klosterberg war tief verschneit –
Beim Kreuzgang auf den Einlaß harrte,
Da sagt ihm schon des Pförtners Gruß,
Daß tiefe Trauer ihn erwarte.
Und welche ganz unsel'ge Kunde
Vernahm er aus des Mönches Munde,
Daß, wie von jähem Schwertesstreiche,
[10] Ihm das Bewußtsein fast entfloh! –
»Ach, ach, der Pater Odilo
Ward plötzlich in der Nacht zur Leiche!«

Und auf des Kreuzgangs Marmorbank
Sein Schüler schluchzend niedersank.
Doch erst dann in der Sterbezelle,
Wie er zum allerletzten Dank
Des Todten Hand mit Küssen netzte;
Und Tags drauf in der Gruftkapelle,
Drin man, von Fackellicht umstrahlt,
Den Sarg für immer niedersetzte;
Wie er dort jammernd hingekniet –
Wer wollt' es völlig ausgemalt?
Schlag' einen Schleier drum, mein Lied!

Doch ach, mit diesem edeln Herzen
War nicht nur seines wie gebrochen,
Nein, auch durch lange, düstre Wochen
Durchqualmten nur noch Trauerkerzen
Auch seines Hauses Winterluft.
Kaum wankte, schwer von Leid beladen,
Der Vater aus Mariagnaden
Nach Hause von des Bruders Gruft –
Da sank er auch auf's Krankenbett,
Und machte wie mit Riesenschritten
Sein Siechthum jed Versäumniß wett. –
Wie Weib und Sohn um ihn gelitten,
Und ihm, wie reinstes Gold bewährt,
In täglich neuer Liebesfeier
Mit nie erloschnem Opferlicht
[11] Des Leidens lange Nacht verklärt –
Bedarf dieß Lied der Sängerleier?
Erklingt sein Preis von selber nicht? …

* * *

Und immer noch in bangster Qual
Die Zwei am Sterbebette harren.
Doch sieh, wie jetzt mit einem Mal
Aus todtenähnlichem Erstarren
Des Kranken Züge sich belebten!
Die halbgeschlossnen Lippen bebten.
Wohl sah man, wie er schmerzlich litt,
Doch jetzt ein Lächeln, friedlich lieb,
Versöhnend mit dem Schmerze stritt,
Und deß verklärter Sieger blieb.
Und auch das Aug' erschließt er jetzt.
Sie lassen seine Hände los.
Dann, mühsam höher aufgesetzt,
Schaut er mit Augen, seltsam groß,
Auf Weib und Sohn und flüstert dann:
»O ihr seid's, ihr? – So leb' ich noch?« –
Was sollten sie ihm sagen doch?
Nur herber noch ihr Weinen rann.
In diesem Blick, gleich sprödem Glas,
Ja schon der Tod leibhaftig saß.
Er selbst deß eis'gen Hauch empfand.
Aufathmend er nach Stärke rang,
Legt' auf der Beiden Haupt die Hand;
Ins Knie der Schmerz sie niederzwang.
Und odemlos zu seinem Munde
Sahn sie voll heil'ger Scheu empor,
Als tauchte jetzt vom Meeresgrunde
[12] Geheimnißvoll ein Schatz hervor.
Ist denn solch letztes Vaterwort
Nicht wirklich auch ein goldner Hort?

Und horch, wie milder Schwanensang,
Sein Sterbegruß die Luft durchklang:
»Mein Gott! Wie wird es um mich Nacht! …
Das ist der Tod – bald ist's vollbracht.
Ach Dank dir, Dank, du treustes Weib,
Für Alles, was an Seel' und Leib
Mir Liebes je dein Herz erwies! –
Viel Leid kam über dich und mich,
Doch stärker noch, als alles dieß,
War deiner Liebe fromme Macht.
Wie wunderbar erfüllte sich,
Was einstens wir uns ausgedacht!
O Gottes Segen über dich!
Gut' Nacht – auf ewig gute Nacht!«

Erzitternd drückt er ihre Hand,
Und von den Knie'n erhob sie sich,
Und küßt' ihn noch herzinniglich
Zum Abschied in des Todes Land.
Auch seinem Sohne reicht' er jetzt
Die Hand zum letzten Lebewohl.
Von bittrer Thräne Salz benetzt
Drückt' Odilo sie fromm zum Mund.
Und, schon mit Augen, geisterhohl,
That er auch ihm den Segen kund:

»O du mein einzig lieber Sohn,
Du stets mein Trost und meine Zier,
[13] Werd' auch nun deiner Mutter Lohn!
Dann sterb' ich leicht. Versprich es mir! –
Nicht viel des Guts vererb' ich dir,
Doch nimm mein Herz deß zum Ersatz
Als deines Erbtheils reichsten Schatz!
O daß er stets dein Eigen bleibe,
Bewahrt vor Mottenfraß und Diebe!« –
Zum Sterben er in's Kissen brach,
Und leise stammelnd noch er sprach:
» Der Menschheit Höchstes ist – die Liebe!« …

* * *

Das Herz verstummt im tiefsten Leiden.
So halten nun auch diese Beiden
Beim Sterbebett um Mitternacht
Grabstumme, düstre Todtenwacht.
Er aber liegt, als wie im Traum,
Nachdem sein Auge sie geschlossen.
Daß er gestorben, merkt man kaum.
So hält ihm Fried' und Vollmondglanz
Das edelschöne Haupt umflossen.
Die Locken schmückt ein Lorbeerkranz.
Denn nicht nur schlachtenkühne Helden,
Von denen Siegesruhm zu melden,
Verdienen ihn durch stürm'schen Muth –
Auch stillen Streitern läßt er gut.

Da – horch, vom Rebenhügelhang
Schlägt jetzt der Mönche nächt'ger Chor
Durchs offne Fenster an ihr Ohr;
[14] Und aus dem schaurigen Gesang,
Bußpsalmen gleich aus Davids Mund,
Wird Odilo die Predigt kund:
»'s ist alles Fleisch nur gleich dem Gras,
Das hinmäht jäher Sensenhieb,
Und alle Freude hat ihr Maaß.
Denn unversehens, wie der Dieb,
Schleicht nächtens dir der Tod in's Haus.
Er stiehlt den liebsten Schatz dir draus,
Und löscht mit unbarmherz'gem Hauch
Der Freude hellste Kerzen aus.
So ist's und bleibt's allew'ger Brauch.« …

Und Odilo das Haupt erhob,
Da düstrer Glanz sein Aug' umwob:
»O Mutter, wie mir jetzt dieß Singen
Als Mahnruf an die Seele schlägt,
Und wie's mein Herz auf Adlerschwingen
Sammt allem Schmerz gen Himmel trägt! –
O ganz armselig Menschenloos!
Wie dünkt mir klein, was einst so groß,
In Schutt die ganze Welt zerfallen! –
O hörst du's Mutter, hörest du's?
Hinauf zu diesen Klosterhallen
Lädt mich des Himmels Willkommgruß
Als höchster Liebe Jünger ein!
Ach, nur in ihrem Dienst allein
Verlohnt sich's noch ein Mensch zu sein!«

Wie flammte da so schwärmerisch
In seinem Aug' ein hehr Gemisch
Von tiefstem Schmerz und höchsten Wonnen,
[15] Indeß aufs Neue, wundenfrisch,
Die Thränen ihm herabgeronnen!
Und dann mit stürmischer Begier
Fragt er: »Mutter, rathe mir:
Gefiele mein Entschluß auch dir?«

»Was sagst du, Sohn?« Frau Walburg rief
Und jäher Schreck sie überlief.
»War das des Sterbesegens Sinn?
Und meint' es wohl der Vater so,
Als er dir von der Liebe sprach?«

Ernst fragend sah sie auf ihn hin,
Betroffen auch war Odilo.
Doch schnell gefaßt rief er danach:
»O liebste Mutter, was ist Liebe,
Die sich nicht wollt' in Gott versenken?
Und doch, wie wäre sie zu denken,
Wenn drinnen ausgeschlossen bliebe
Der Kindesliebe Dankeszoll,
Den ich dir niemals ganz und voll,
Wie du's verdienst, bezahlen kann?«
Und inniger noch sprach er dann:
»Sag': hing der Ohm als Ordensmann
Nicht zärtlich stets an unserm Haus?
Losch je der Liebe Licht ihm aus? –
Und mir auch in dem Mönchsgewand
Bleibst ewig meine Mutter du!
Ja, eher dorre mir die Hand,
Und meines Glückes Baum dazu,
Eh' daß ihm einst der Klosterwind
Ein Blatt nur meiner Liebe raube! –
[16] Die Lieb' ist nur des Glaubens Kind;
Der Menschheit höchstes Angebind
Bleibt aber ewig nur der Glaube!«

Mit großem Blick sie an ihm hing,
Und ach, zum allerersten Mal
Empfand sie's wie geheime Qual,
Daß sie zu andrer Kirche ging,
Und anders ihre Glaubenswelt.
Wie hätt' ihr Wort, gleich hellen Flammen,
Ihm sonst das Dunkel aufgehellt,
Das seines Lebens Weg bedroht!
Jetzt krampft' es ihr das Herz zusammen,
Und sprach sie nur mit Müh' und Noth:
»So geh', mein Sohn! – Ich darf's nicht wehren.
Den bittern Kelch – ich muß ihn leeren.«

Wie blickte sie nun heldenstark,
Und dennoch zwiefach leideskrank!
Ihm aber ging's durchs tiefste Mark,
Doch wehmuthvoll er weiterfuhr:
»So bitter nennst du diesen Trank?
O Mutter sag': warum doch nur?«
Dann deutet' er zur Nacht hinaus,
Drin mondenhell, als ob es tagte,
Der Klosterhügel niederragte:
»Sieh doch, wie unserm alten Haus,
Viel näher, als es sonst gewesen,
Hätt' ich mir andern Stand erlesen,
Mein neues einstens nah' wird liegen!
Von meinem Zellenfenster dann
Brauch' ich mich nur hervorzubiegen,
[17] Daß meine Hand dir winken kann.
Selbst in der Nacht begrüß' ich dich,
Mitsingend in dem Psalmenchor.
Und o, wie schnell erreichst du mich,
Treibt Heimweh dich zu mir empor!
Doch spürst du dann mein ganzes Glück,
Wie führt dich meiner Seele Friede
Dann stets gleich heil'gem Liebesliede
Getröstet in dein Haus zurück!«

Doch immer noch sie mit sich rang,
Daß er ihr nicht das Herz erweiche.
Und mächt'ger noch er in sie drang:
»Was mir aus höchster Liebe Reiche
So plötzlich vor des Vaters Leiche
Als Mahnruf in die Seele klang,
Das könnte jetzt im Paradies
Sein sel'ger Geist ein Unrecht heißen,
Und unwerth sich der Lieb' erweisen,
Die mir sein Herz erst hinterließ? –
Nein, Mutter, nein! Im Geist verspür' ich's:
Des Vaters wie des Pathen Hände,
Sie ruh'n auf mir zur Segensspende.
Und doch, o Mutter, wie vollführ' ich's
Trotz ihrem Segen ohne dich?
O du auch, segne – segne mich!«

Und ihren Händen neigt' er sich,
Da sprach auch sie mit dumpfem Ton:
»Nun wohl! So gehe hin, mein Sohn!
Auch deine Mutter segnet dich.«
Dann sank sie müd' in seinen Arm,
[18] Und weint' und küßt' ihn lang und warm,
Wie auch ihr Herz noch mit sich stritt. –
Ein Lächeln, wie verklärter Harm,
Des todten Vaters Mund umglitt.

Der Mönche Chor war im Verhallen.
Durch's mondbeglänzte Thal entlang
Das Brautlied nur der Nachtigallen
Frohlockend klagend noch erklang.


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