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Das Hofer-Käthchen

Erstes Kapitel.
Eine Nacht im Freien

In einer hellen Sommernacht öffnete sich geräuschlos die Türe eines Hauses, und drei männliche Gestalten traten heraus.

Die eine der Gestalten war nur halb in Kleidern, blieb auf der Schwelle der Türe ruhig stehen und reichte den beiden anderen die Hand zum Abschied, sagend:

»Gute Nacht; morgen wird alles ins Gleiche kommen; mein Käthchen ist ein gutes Kind.«

Die angeredeten Burschen von achtzehn und neunzehn Jahren sagten nacheinander »Gute Nacht!« mit ernster Stimme, und der eine fügte noch hinzu:

»Ihr tut ein gutes Werk an uns, uns wär' das Leben eine Last; wenn wir wissen, was wir hoffen dürfen, wird's auch kommen, dass wir wieder Ruhe finden.«

Dann gingen beide, langsam weiter, und Hofer, ihr Begleiter, trat ins Haus zurück.

Er bemerkte nicht, dass nicht weit von ihm in einer Mauertiefe eine weibliche Gestalt sich rege und schluchzend nun die Hausflurstiege hinauf ging; es war Käthchen, seine Tochter.

Sie hatte eine lange und ernste Besprechung ihres Vaters mit den Söhnen Mulderers angehört und suchte, aufgelöst in Weh, ihr Lager.

Sie stellte sich die beiden Brüder vor das erhitzte Auge ihrer Seele, aber wie sie sich auch quälte, sie sah doch immer ein Gesicht nur und konnte doch nicht sagen, welchem der Brüder dieses Antlitz ganz gehöre; jetzt zeigte es zwar das blaue Auge des jüngeren Bruders, doch hatte es ganz den Blick des älteren; jetzt lächelte es wieder ganz wie beide Brüder pflegten.

Als Käthchen bald darauf andere Burschen des Dorfes singen hörte, wünschte sie nur, dass die Söhne des Mulderer auch darunter wären, aus ihrem Gesange würde sie erkennen, welcher ihrem Herzen teurer sei.

Sehr spät erst erlöste sie ein sanfter Schlaf von diesen Qualen, sie hörte nur im Schlummer noch das Lied der Burschen, welches lautete:

Ich und mein Schatz haben
Abschied g'nommen,
Da sind uns die Äuglein voll
Wasser kommen;
Die Äuglein voll Wasser,
Die Lieb' zog es her,
Nun seh' ich mein Schätzlein
Im Leben nicht mehr.

Aber die Brüder Mulderer hatten dieses Lied der Kameraden auch gehört, und jedes Wort gab ihnen einen Stich ins Herz; sie suchten keinen Schlaf und hätten ihn auch nicht finden können.

Fast die ganze Nacht brannte in ihrem Kämmerchen ein mattes Licht, das sie angezündet hatten, um zu ihrem stillen und geheimnisvollen Werk zu sehen; sie packten Kleider ein, jeder die seinen besonders in ein großes Tuch, dann schnürte jeder seinen Bund zusammen, suchte jeder einen Knotenstock hervor, und so gerüstet, trat der Jüngere still zur Türe des Balkons hinaus und stieg geräuschlos über den Holzstoß in den Hof hinab; Georg, der Ältere, löschte nun die Lampe aus und folgte seinem Bruder, dem er die zwei Päcke still von dem Balkon hinunterreichte, hinter denen er dann selbst hinunter stieg.

Schweigsam gingen sie nun fort, durch den Garten auf das freie Feld und über Feld dem sogenannten Tannengrunde zu; geheimnisvoll wie sie bewegten sich auch ihre Schatten nebenher, und nur das Pochen ihrer Schritte unterbrach die Stille dieser wundersamen Nacht.

Endlich sagte Georg zu seinem Bruder mit bewegter Stimme:

»Eines ist noch, Bruder, das müssen wir uns wie auf die geteilte Hostie schwören – schwör' mir, Bruder, dass du achthaben willst auf sie wie auf deine eigene Seligkeit und dass du sie auf den Händen tragen willst, solange du am Leben bist, wenn sie dich vor mir erwählt; schwör mir's unterm freien Himmel vor den Sternen oben, jeder sieht auf uns jetzt wie ein Gottesaug'; schwör mir's, dass du sie nicht roh bestrafen willst, wenn sie einen Fehler begeht, und dass du sie betrachten willst wie mein Seelenheil, das ich dir anvertraut, weil du mein Bruder bist. Was du mir schwörst hier unterm freien Firmament, Bruder, das schwör' ich dir wieder. Stoß' mich nieder wie ein wildes Tier bei Tag oder Nacht, im Schlafen oder Wachen, wo und wann du mich antriffst, wenn ich dir nicht das Nämliche halt'; und, Bruder, das geschieht auch dir, wenn du den Schwur nicht treulich hältst, er gilt uns beiden gleich.

Anton erwiderte:

»Ich schwör' dir, was du mir schwörst hier schneid' ich in meinen Finger und vergieß' mein Blut darauf, dass ich halten will, was ich bei Leben und Seligkeit schwör'; diese Blutstropfen sind ein Zeichen, dass ich Lebensblut vergieß' an dir oder mir, wenn einer von uns sein letztes Wort nicht hält!«

Nach einer Pause fuhr Georg mit sanfterer Stimme fort:

»Bruder, welcher von uns auch zurückbleibt, auf den Vater muss er achten wie auf ein Kleinod, er muss ihn tröten aus aller Kraft und ihm Freude machen Tag für Tag, sonst gibt ihm unser Leid sein Ende!«

»Ja«, erwiderte Anton, »lass uns das auf den nämlichen Schwur nehmen: das Käthchen und der Vater müssen gleiche Lieb' und gleiche Sorg' erfahren!«

Sie kamen in dem Tannengrunde an und legten dort, wo drei Riesentannen wie aus einer Wurzel brüderlich aufsteigen, ihre Bündel und ihre Stöcke in eine Felsenöffnung; dann suchte sich ein jeder eine Stelle, um sich bis zum Tagesanbruch hinzulagern.

Georg sah unverwandten Auges zu den Sternen auf und dachte traurig: »Wo werden die mich seh'n in einem Jahre«, Anton drückte sein Gesicht in ein Schnupftuch, um sein stilles Weinen zu verbergen.

Nicht lange, so fingen die Hähne an zu krähen, die kühle Morgenluft zog leise brausend durch die Tannenbäume und zu dieser feierlichen Orgel der Natur stimmten alsbald liebe Flöten vieler tausend Vögel.

Und wieder nicht lange, so wurde das Geräusch umher noch lauter, wurde der Dämmerstreif im Osten länger, breiter, heller, Mond und Sterne schwanden oder erblassten, und das Morgenrot überglutete das Firmament.

Doch wieder nicht lange, und das Morgenrot erblasste vor dem Königsglanz der Sonne, die nun aufgeschnellt kam, erst in Purpurwogen, dann geläutert mehr und mehr als reine, goldene, große Lampe dieser Welt.

Im Dorfe wunderte man sich, dass Hofers Leute auf den Feldern standen, als man in den andern Häusern erst begann, zu diesem Gange sich zu rüsten.

Aber das hatte so sein eigenes Bewandtnis: Hofer war mit dem ersten Hahnenschrei wach gewesen; was er heute vorhatte, ließ ihn nicht im Bette bleiben; bald trieb er auch die Knecht' und Mägde aus den Federn mit dem Rufe:

»He, auf! Schon steht die Sonne ellenhoch am Himmel!«

Nur Käthchen rief er sanft und sprach:

»Kind, steh' auch bald auf, wir haben eine Litanei zu beten.«

Käthchen hätte den Ruf des Vaters nicht bedurft, sie war schon lange wach; und was die Litanei bedeuten sollte, ach, das war ihr nur zu gut bekannt.

Um 9 Uhr morgens stand Hofer im Feiertagsgewand vor Käthchen und streichelte ihr geheimnisvoll die Wangen:

»Käthchen«, sagte er, »wundere dich nicht, dass ich so gar gut aufgelegt bin, ich hab' meinen Grund dazu, du wirst ihn später hören. Ich geh' jetzt fort, und wenn ich fort bin, gehst du in die Kammer und kommst im Sonntagsrock zurück; ich geh' zum Mulderer hinunter, und du kommst in einer Stunde nach, verstanden? Warum, das wirst du hören. Was? Verweinte Augen? O Himmelmutter, da wirst du schön aussehen, wenn du so daher kommst; es geschieht dir nichts, du sollst mir eben folgen; alles andere will ich auf mich nehmen!«

Er lachte zufrieden, besprengte sich mit Weihwasser und verließ die Stube.

Käthchens ganzer Jammer erwachte, als sie allein war; dann ging sie folgsam nach der Kammer, um des Vaters Willen auszuführen.

Zweites Kapitel.
Das Bekenntnis

Der alte Mulderer saß am großen Ecktisch in der Stube und las in der Bibel.

Aus dem Tannengrunde zurückkehrend, traten jetzt die beiden Söhne still und Hand in Hand herein, und Georg, der Ältere, sagte nach einer Pause:

»Vater ... ich bin's und der Bruder ... Wenn's nicht sein müsst', dass Ihr leset – wir hätten Euch was zu sagen.«

Eine Träne hing in Mulderers Auge, Wehmut beugte ihm das greise Haupt noch eine Weile, dann sah er auf und sagte:

»Ihr seid's? Ihr kommt zu mir? ... Nun ja, ich bin euer Vater, redet.«

So wehvoll diese Worte gesagt wurden, so viel Herbe klang auch durch; und dieses alterkindische Befremden, dass die Söhne zu ihm kamen, mit ihm reden wollten, hatte seinen guten Grund; denn seit Kurzem betrugen sich die Burschen so absonderlich, dass ein stärkeres Herz als Mulderers darüber sich betrüben musste.

Dass beiden ein schweres Leid im Herzen saß, das konnte aufmerksamen Augen nicht entgehen, auch war nicht schwer herauszufinden, dass die Brüder, als das Übel anfing, einander feindlich gegenüberstanden, wenn es auch zu einem offenen Kampfe niemals kam.

Nur einmal wurde Mulderer durch Zufall Zeuge eines wunderbaren Auftrittes zwischen beiden Söhnen.

Er kam eines Nachmittags von einem Gange heim und hörte, in die Stube getreten, ein Stöhnen und ein Keuchen in der Kammer wie von Menschen, welche unter Zuckungen verröcheln. Betroffen trat er an die Türe und sah durchs Schlüsselloch, wie beide Söhne sich an Brust und Hals erfassten und einander stille würgten; wie Kreide waren ihre Wangen, blutunterlaufen warfen ihre starren Augen Feuer, ihr Anblick war entsetzend. Aber kaum vernahmen sie ein Rauschen vor der Kammertüre, so ließen sie vom Kampfe und vertagten ihren Streit. Mulderer, durch das Verschließen ihres Leids schon längst gekränkt, verschwieg auch jetzt, was er gesehen, und ließ der Sache ihren Lauf.

Mit dem Singen, Scherzen, Schlafen der Burschen war's zu Ende, mit dem Beten wahrscheinlich auch.

Denn von wem kann man sagen, er bete, dessen Seele nur zum kleinsten Teile Muße dabei hat, dabei zu sein? Muss nicht beim Gebet das Nachtkleid irdischer Herzenstrübung von der Seele fallen, um sich leicht und rein empor zu schwingen? Versuche zu beten, das ist anzunehmen, machten beide Burschen, denn schweres Leid pflegt fromm zu machen; aber ob es auch Gebet im rechten Sinne war?

Z.B. geschah's in einer Nacht, wo alles schlief, dass Anton, der jüngere der Brüder, allein noch wach im Bette saß, zitternd wie ein Fieberkranker und den Blick emporgerichtet; das Dach zwar schied sein Auge von dem Himmel, aber der stille Mond schien durch die Ritzen, und ein Mondstrahl reicht für eine Seele hin, um dran empor zu klettern.

Da sprach der arme Bursche vor sich hin, während die Stimme fast versagte:

»Vater im Himmel, ich kann es nimmer tragen, komm und hilf mir, komm, erlöse mich! Im Feuer liegen ist besser, lass mich lieber ins Feuer werfen; wenn ich ja schon tue, was recht ist, warum leid' ich doch? Ich lasse meinen Bruder am Leben und tu' dem Käthchen kein Leid, o Vater im Himmel, gib darum auch mir die Ruhe, willst du nicht, dass Feuer oder Wasser oder Strick und Messer mich erlösen!«

Laut weinend warf er sich auf das Kissen nieder und wälzte sich auf seinem Lager und weckte so den Vater in der Kammer.

Der Vater kam, stellte Licht auf die Truhe neben seinen Sohn und sah ihn an, der dalag: sprachlos, regungslos, die Augen weit geöffnet und stier zum Dach emporgerichtet.

Eine Weile blieb der Vater stehen und sah den Sohn mit einer Wehmut an, nicht zu beschreiben; dann griff er nach dem Licht und ging, ohne ein Wort zu sagen, wieder nach der Kammer.

Es war schon die dritte Nacht, dass dieser Vorfall so geschah; das erste Mal fragte, bat, drängte der Vater, dass ihm der Sohn den Grund seines Seelenleids gestehe, jedoch vergebens wie zum zweiten Male, wo er ihn mit heißen Vatertränen beschwor; so kam es, dass heute der Vater weder Bitten noch Tränen mehr verbrauchte, lieber stille war und Gott sein schwellend Herz empfahl.

An solchen Vorfällen war Mulderers Haus seit Kurzem reich, nicht nur am jüngeren Anton erlebte man solche, sondern auch am älteren Georg. Folgte auf solche Nächte der Morgen, dann zeigten gewöhnlich beide Brüder eine wunderbare Sammlung äußerlich, und der Tag verlief in Frieden, Bescheidenheit und Fleiß.

Erst die jüngsten zwei Tage änderten gar vieles.

Die Brüder wurden jetzt kaum anders als beisammen gesehen; ihrem Leide schien der schärfste Stachel ausgezogen, und wenn sie gegen ihren alten Vater auch noch schwiegen, so musste doch ihr freierer Blick ihm etwas Trost gewähren.

Mit rührender Geduld ließ drum der Greis auch alles gehen, wie es ging, ward ruhiger und beschloss, sein Kreuz auf sich zu nehmen wie ihr Leid die beiden Söhne.

Und so kam der Tag heran, wo die Brüder vor den alten Vater traten, ihr Geheimnis endlich auf den Lippen; so kam die feierliche Anrede des älteren Sohnes und die bitter-wehvolle Verwunderung des Vaters, seine Söhne unvermutet so vor sich zu sehen.

Auf Mulderers Worte: »Ich bin euer Vater, redet«, brachte nun Georg zuerst mit Zögern vor, es würden heute Leute kommen, es würde der Hofer darunter sein und Hofers Käthchen; dann fügte er hinzu:

»Vater, heute wird alles ins Gleiche kommen; seid freundlich mit den Leuten, redet gut mit ihnen!«

Mulderer machte die Bibel zu und stand auf:

»Ich will doch lieber fort!« sagte er, »soll ich euch denn stören? Ihr habt da Leute herbestellt, was brauche ich dabei zu sein? Ein Vater muss nicht alles wissen!«

Allein die beiden Söhne hielten ihn zurück und gaben jetzt mit ganzem Freimut die Erklärung ihres wunderlichen Tuns und Treibens.

Beide Brüder liebte das Käthchen, und keiner hatte noch ein Zeichen besonderer Gunst erhalten, obwohl es jedem schien, er sei der Glückliche; Käthchen schien beide zu lieben, beiden erwies sie gleiche Freundlichkeit. Das erweckte aber in den Brüdern Hass und Eifersucht, die auch im gleichen Grade wuchsen, als sie sorgsam in der Brust verschlossen wurden. Jenes Nachmittags nun, als die Brüder sich zu morden suchten, war die Krisis eingetreten, und nur Zufall ließ den Zweikampf nicht mit Totschlag enden; an jenem Tage noch fassten beide den Beschluss, den Hofer ins Geheimnis zu ziehen, dass er seine Tochter zur Entscheidung dränge. Dies geschah, und Hofer, ein wunderlich heiterer Patron, der alles gerne von absonderlicher Seite packte, bestimmte den heutigen Morgen, um in Gegenwart der Brüder, Mulderers und einiger Zeugen die förmliche Wahl der Tochter vornehmen zu lassen; gegen diesen Zwang zwar hatten die Brüder heftig sich verwahrt, aber Hofer hätte nicht um alle Welt den »Hauptspaß« aufgegeben.

Ausführlich und bewegt machten die Söhne diese Mitteilung dem Vater und fügten dann hinzu: möge die Wahl nun ausfallen, wie sie wolle, jeder von ihnen sei entschlossen, sein Glück wie Unglück mit Fassung hinzunehmen.

Bei dieser Mitteilung blickte Mulderer seine Söhne groß und betroffen an, und je ruhiger vor ihm zu stehen sie sich Mühe gaben, desto tiefer ergriff ihn dieser Anblick; es fielen ihm die Szenen ein, die er vor Kurzem noch gesehen, behorcht, erraten hatte, und maß daran ab, was in der Brust der Söhne eben vorgehen musste; der Gedanke einer Wahl, wodurch der eine alles verlieren musste, während der andere alles auf Kosten seines Bruders gewann, brachte dem Vaterherzen schwere Pein; mit einem Blick des tiefsten Schmerzes sah er auf den Jüngeren, der still gefasst vor ihm stand, fiel ihm an den Hals und rief:

»Und wenn sie deinen Bruder wählt?«

Zwei Tränen schossen dem Angeredeten über die Wangen, aber wohl gefasst, sprach er von ruhiger Ergebung seines Herzens und bat, der Vater möge zwischen ihn und seinen Bruder sitzen, da sie, eh' die Gäste kämen, noch gar vieles miteinander abzureden hätten.

Drittes Kapitel.
Wie Käthchen einen Mann erwählt

Von dem, was in Mulderers Seele vorging, wusste die Magd Anne-Marie kein Sterbenswörtlein.

Hätte sie sonst die Flöte ihrer Brust so hell erklingen lassen? Hätte sie sonst zu dieser Frist so lustige Texte zu ihrem Gesang erwählt?

Wie munter leuchtete das Feuer ihrer Augen, wie hitzig griffen ihre runden Arme zu, indem sie vor dem Hause ordnete und fegte.

Der Lobeiner, der vorüber ging, rief schon von Weitem:

»O, du Feuerhex', kehrst und musizierst du wieder für ein Dutzend?«

Aber Anne-Marie ließ sich nicht stören.

Frischweg wurde ein neues Lied geträllert; das war ihre Antwort.

Als sie hierauf mit dem Ordnen vor dem Hause fertig war, schnellte sie den Besen so scharf gegen die Holzschar an der Wand, dass er fast ins Fenster schlug, nahm eine Tracht Scheite auf den Arm, eilte nach der Küche und trällerte hier von Neuem:

Im schönen Österreich, im Steiern,
Im Steiern und schönen Tirol –
Mag laufen mein lustiges Bürschel nur,
He lustig, dort find' ich's wohl!

In schöner Schweiz und in Schwaben,
Im Schwaben und schönen Thüringen drein,
Tut man noch Schätzlein graben,
He lustig, weil dort noch Schätze sein!

Und müsst' ich rennen und rufen bis Straßburg
und schau'n bis in die Türkei hinein –
Ist ein Bürschel für mich auf der Welten,
He, lustig, lauf zu, ich hol' es ein! ...

Beim Schützenbrunnen herüber kam jetzt der Hofer im Sonntagsanzug, heiter nach mancher Seite grüßend und einmal unachtsam in einen Graben tretend.

»Oha«, sagte er vor sich hin und stampfte sich den Stiefel rein, während er keineswegs seine Antwort schuldig blieb, als er aus der Ferne angerufen wurde.

Auf dem Steg des Altbaches begegnete ihm der Müller, und beide blieben eine Weile diskurierend stehen.

An den Gartenzaun der oberen Dorfseite aber rauchten indes der dicke »Tiroler«, der lange Elmer, der Veit und der Meier mit feierlichen Mienen daher; wie gewöhnlich wurde von allem, nur nicht von dem geredet, weshalb man sich zusammenfand; das waren nämlich die Männer, welche Hofer als Zeugen in Mulderers Haus gebeten hatte. Nach kurzer Zeit traten sie auch daselbst ein.

Hofer folgte ihnen auf dem Fuße – und auch Käthchen hatte sich bereits nach Mulderers Hause auf den Weg gemacht.

Schon vor einer Weile war Letztere hinter den Häusern dahergekommen, verwirrt, erhitzt, ein buntes Tüchlein über Mund und Wange haltend, als ob sie heftige Zahnschmerzen habe.

Sie trat zuerst noch geschwinde zum Binder-Lenchen hinein und sagte beim Eintreten halb zwischen der Türe und zu Boden blickend:

»'Grüßt sei Jesus Christus! Ich bin da und bleib ein wenig; wo ist die Leni, ich hab' ihr Notwendiges zu sagen und möcht' es ihr gern gleich sagen, Base.«

Da niemand antwortete, so wurde Käthchen nur verlegener und wagte gar nicht aufzublicken; zum Glücke kam das Lenchen aus der Kammer, war vor Freuden außer sich, die Freundin hier zu sehen – und Käthchen entdeckte jetzt erst, als sie aufsah, dass die Stube leer war und sie also vorhin zu blanken Wänden geredet hatte.

Nun traten beide Mädchen mitsammen in die Kammer und vertrauten sich gar vieles und kamen dann wieder heraus in die Stube und vertrauten sich noch viel mehr, eilten dann auch noch zur Insass-Liese hinüber, wo es zu dreien erst recht anging, das Heimlichtun und Anvertrauen; – als aber Käthchen endlich Abschied nahm von den beiden Freundinnen, um ihrem Vater in Mulderers Haus zu folgen, da fing sie bitterlich zu weinen an, und es war nicht anders als wollt' es ihr das Herz abstoßen.

Mulderer hatte inzwischen in seiner Stube die angekommenen Gäste begrüßt.

Man sprach erst allerlei und Allgemeines hin und wider, von Haus und Hof und Freund und Feind – bis der Hofer, der gar heiter von dem zu jenem übersprang, nun etwas ernster und gemessener die eigentliche Sache, weshalb man den beisammen sei, zur Rede brachte.

Er erzählte, wie er vorige Nacht urplötzlich geweckt und bei Namen gerufen worden sei und wie ihn, als er fragte, was es gebe, zwei Stimmen dumpf und traurig das Haus zu öffnen baten, weil etwas Wichtiges mitzuteilen sei; darauf habe er Licht gemacht und das Haus geöffnet und die Pocher eingelassen. Mulderers zwei Söhne seien es gewesen, die ins Haus getreten, still, betrübt, verlegen.

»Hofer, helft um Gott und Jesu Christi willen!« seien ihre ersten Worte gewesen, darauf hätten sie ihm die Leiden ihrer Herzen mitgeteilt, und er habe – möge ihm Gott vergeben – wie eine Elster herzlich lachen müssen.

Denn dass zwei so prächtige Burschen auf einmal, und noch dazu Brüder, sich in sein Käthchen verplempert hätten, das wäre ja zum Totschießen gespaßig und über eine Komödie äußerst lustig gewesen!

Allein grade im besten Lachen habe er erst entdeckt, dass er im bloßen Hemde dastehe und habe »oha« gerufen; sei aber gleich darauf im Mantel aus der Kammer zurückgekommen und habe nach langem Dischkurs die Burschen mit dem Trost und der Versicherung entlassen, auf gewiss feine Weise seine Tochter in »Corda« zu nehmen; – das geschehe nun heute, eben jetzt: Käthchen müsse vor allen Versammelten offen erklären, ob sie einen von den Burschen zum Manne haben möchte oder ob sie am Ende von den beiden Brüdern keinen wolle, weil sie beide haben möchte.

Das, meinte Hofer, werde einen Generalspaß geben, sonderlich da Käthchen unvorbereitet komme.

Er lachte dabei vor Vergnügen, wie am Hals gekitzelt, ließ seine Faust auf den Tisch fallen und drückte sich in die Ecke, um durch das Fenster sehen zu können; dabei war sein Gesicht vergnüglich gerötet, und eine Million seiner Falten lag um seine lachenden Augen.

Mulderer kannte Hofers Art und Weise und schätzte den sonst ehrenwerten Mann; daher war es auch kein Übelnehmen dieses Betragens, wenn er, dem die Brust vor Wehmut schwoll, jetzt seinen Söhnen winkte und sagte: »Auf ein Wort!« und mit ihnen nach der Kammer ging.

An der Schwelle besprengte er ihr Gesicht mit Weihwasser; hinter sich schloss er die Kammertüre ab.

Da war es nun eigentümlich, in der Stube noch immer den Hofer scherzen und in der Küche die Magd Anne-Marie heiter singen zu hören, während Vater Mulderer in der Kammer bebend mit den Söhnen sprach; es gab hier ja ein schweres Abschiednehmen im Voraus.

Beschlossen war, im Augenblick, wo Käthchen einen seiner Söhne wählt, reist der andere ohne Zögern in die weite Welt.

Deshalb hatten die Burschen auch, bevor sie noch den Vater ins Geheimnis eingeweiht, in letzter Nach die Reisesachen nach dem Tannengrund getragen.

Vater Mulderer fühlte wohl, dass ihm später die Fassung fehlen dürfte, dem Scheidenden noch manches Dringende ans Herz zu legen. Wie viel schmerzlicher und lauter diese Abschiedsszene in der Kammer ausgefallen wäre, hätte die Mutter noch gelebt, ist freilich leicht zu denken; so aber geschah doch alles mit mehr Fassung und Geduld.

Blass und mit rotgeweinten Augen trat Mulderer endlich wieder aus der Kammer, doch kein Wort der Klage trat auf seine Lippen; Georg und Anton folgten still wie früher, aufrecht und Hand in Hand –

Und Käthchen war nun auch schon da!

Sie saß auf der Ofenbank ganz nahe an der Türe und drückte die Schürze in die Augen; es war nicht ein Wort aus der Schwergeängstigten herauszubringen. Wusste sie ja von der letzten Nacht her schon, um was es sich handle; auch hatte es ihr der Vater gleich brühwarm entgegengerufen, als sie hereintrat.

Nun stellte sich der närrische Hofer mit allerlei possenhaften Reden vor Käthchen hin und dachte die Herzenssache nur so im Scherze abzutun. –

»Alloh, potz Donnerwetter, Mädel! Was schämst dich lange? Greif zu«, sagte er, »da kommen jetzt alle zwei aus der Kammer. Denk', es sind zwei Staatsgewinne, und jeder bringt ein Glück, groß wie ein Haus – greif zu, greif zu, sag' ich – oder das Schicksal schleppt dein Glück auf Nimmerwiedersehen weiter!«

Käthchen weinte in die Schürze und schwieg; das war die Antwort.

»So geh' mir einer hinab«, fuhr der Hofer fort, »der Schneider-Jogle solle kommen und aber seine Nadel mitnehmen; der Schatz da, mein Mädel, ist zu heben. Oder spring' einer hinüber zum Stängerle«, fuhr Hofer lachend fort, »er soll seinem Gang eine abfliegen lassen und ihm sagen: meine Käth' ist zu haben, er rühre seine Säbelbeine und komme!«

Dieser Quälgeisterei des Hofer machte jetzt der alte Mulderer ein Ende.

Er trat vor Käthchen hin, ergriff die Hand der Weinenden und sagte mild und bewegt:

»Liebes Käthchen, komm, wir wollen miteinander reden. Sieh, Käthchen, du bist schuld und kannst doch nichts dafür, dass meine beiden Söhne betrübt sind bis in den Tod und untergehen, wenn du nicht bald sagst ja oder nein, ob du einen haben willst zum Manne oder nicht. Gelt, du siehst es ein, es wird sein müssen, dass du dich entscheidest? Aber fürcht' dich nicht, du hast ja deinen freien Willen; nicht dein Vater, nicht ich, nicht von meinen Söhnen einer wird dir je ein schiefes Wörtlein sagen, magst du auch wie immer wählen!«

Nach diesen Worten ließ der Vater Mulderer Käthchens Hand los und trat hinweg.

Blasser als zuvor standen die beiden Brüder jetzt dem Käthchen gegenüber; selbst der ewig spaßende Hofer wurde stille und stand wartend vor der Tochter; zwei von den Zeugen, der Veit und Meier, hatten feuchte Augen und sahen vor sich auf den Tisch.

Da plötzlich – nach einer längeren peinlichen Pause – noch stille schluchzend und die Schürze über den Augen – sprang Käthchen auf, stürzte nach der Stelle hin, wo die beiden Brüder standen und legte dem einen zum Zeichen, »dieser ist's!« die rechte Hand auf die Schulter.

Es war unmöglich, dass sie wissen konnte, welchem der Brüder sie die Hand auf die Schulter gelegt, da sie, seit die Burschen in der Stube waren, die Schürze nicht von den Augen gerückt hatte; sie sah auch jetzt noch nicht auf und nickte nur leise »ja«, als Vater Hofer fragte:

»Käthchen, sag' ist's dieser, den du wählst?«

Dann aber ließ sich das erschütterte Mädchen nicht länger halten, ging zur Türe hinaus und eilte wie gehetzt nach Hause.

Käthchens Wahl, wenn man es so nennen darf, war auf Georg, den älteren Bruder gefallen, deshalb sollte nun Anton, der jüngere, ohne Zögern in die weite Welt.

Anton sah im Geiste das Plätzchen jenseits des Waldes, wo er sich zu Boden werfen und seinem Herzen Luft machen wollte, suchte daher alle Kraft zusammen, um vom Vater gefasst zu scheiden.

Traurig, aber mit fester Stimme sagte er, indem er seinem Vater die Hand hinreichte:

»Gott wird mir helfen, Vater; wenn's besser geht, kehr' ich wieder heim zu euch. Lebt gesund und kümmert nicht zu viel um mich.«

Zu seinem Bruder gewendet, der noch unbeweglich dastand, sein Glück kaum begreifend, sagte er:

»Bruder, gedenk', was wir auf Seel' und Seligkeit geschworen; hab' acht auf das Käthchen und behandle sie, wie wir's beredet, tu' ihr nie mit einem Wörtlein weh!«

Dann zum Hofer gewandt, sagte er:

»Hofer, grüßt mir euer Käthchen, und ich ging nur eine Weile aus dem Wege. Ich lass es bitten, doch auch manches Mal an mich zu denken, sie solle glücklich sein, mein Los will ich schon tragen!«

In der Ecke unter der Wanduhr stand ein Knotenstock, den holte Anton jetzt hervor; in der Kammer hing ein Hut mit einem künstlichen Blumenstrauß, den setzte Anton auf, und als er reisefertig aus der Kammer trat, besprengte ihn der Vater mit Weihwasser, und alle folgten dem Scheidenden zur Stubentüre hinaus und über den Hof weg in den Garten; wo noch jetzt der alte Birnbaum steht, dort stand der alte Mulderer lange, sein Schnupftuch in die Augen drückend; neben Vater Mulderer stand Georg, sein Sohn, nicht minder bewegt als er. Hofer und die anderen Männer sahen still und feuchten Auges drein ...

Viertes Kapitel.
Anne-Marie

Während dieser Vorfälle ernster Art ging Anne-Marie ohne Rast im Stalle und in der Küche ihrer Arbeit nach, erschien auch einmal mit einem Eimer am Mühlbach, und als Anton, Abschied nehmend, seines Vaters Haus verließ, war sie eben mit einem Kruge fort, um Brunnenwasser zu holen.

Sie hatte von all dem Weh in Mulderers Hause keine Ahnung.

Hatte sich doch seit lange auf nichts gemerkt, als dass Anton immer freundlich und teilnehmend gegen sie war; das tat ihr unaussprechlich wohl.

Erst heute Morgen, als er sie herzhaft trällern hörte, hatte er ihr gesagt:

»Marie, du bist noch immer froh; ich wollt', ich hätte eine Schwester ganz wie du.«

Das war genug, Anne-Marie den ganzen Tag glücklich zu machen; deshalb sang sie auch jetzt durchs Dorf herauf, dass es eine Weise hatte:

Und wenn ich ihn erwählt?
Ob ich bettle oder dien',
Schön oder garstig bin,
Und wenn er mir gefällt?

Ich weiß, ein Vöglein singt;
Ich weiß, ein Gott, der lebt;
Der Ruf im Walde klingt,
Die Lieb' das Herze hebt.

Ich weiß von Bächlein, die stille rinnen;
Ich weiß von goldenen Fischlein drinnen;
Ich weiß, dass es Mondschein und Sterne gibt
Und dass eine Mutter ihr Kindlein liebt.
Ich weiß, ich weiß, was weiß ich noch? ...
Das Best' von allem verschweig' ich doch!

Hier und dort kam eine Kameradin vor das Haus, wischte sich die Hände an der Schürze rein, lächelte und nickte Anne-Marie freundlich zu:

Der kleine Ezzel saß im Schatten vor der Türe, schmunzelte und rührte die Lippen schon im Voraus, als wolle er der Vorübergehenden etwas Erfreuliches sagen, brachte aber als echter Hypochonder nur hervor:

Das kellt und surrt wieder, dass einem der Kopf zerspringen könnte!«

Über die Mühlrinne schreitend und auf dem schmalen Damme weitereilend, sah Anne-Marie den Vater Mulderer, Georg und Hofer und die anderen Männer bewegt im Garten stehen und Anton reisefertig und rasch dem Reiterberge zuschreiten; – sie stellte schnell den Krug auf den Boden, legte die rechte Hand wie einen Schirm über die Augen, und als sie erraten, was sie vor sich sah – stieß sie mit einer Bewegung des Schreckens an den Krug, der, seinen Inhalt von sich gurgelnd, über den Damm hinunter rollte.

Bevor aber der Krug noch unten an einen Stein schlug und mit Lärm zerschellte, war Anne-Marie schon in vollem Angstruf nach dem Garten, um zu hören, was es gebe.

Der Meier kam ihr mit feuchten Augen an der Scheuer entgegen.

»Wohin denn so gehetzt, Anne-Marie?« sagte er.

Sie antwortete:

»Vetter, was gibt's? Was geschieht dort? Weint der Meister? Warum geht der Anton so davon?«

Der Meier gestand ihr, was er wusste, war aber mit seinem Berichte noch nicht ganz zu Ende, als ihn Anne-Marie totenbleich und schnell verließ.

Das war hierauf in Mulderers Hause ein absonderliches Poltern, ein Öffnen und Schließen von Truhen, ein Treppauf- und ein Treppabspringen, dass es schien, ein Dutzend Kobolde seien auf den Beinen; und dennoch machte Anne-Marie ganz allein den Lärm ... Als gegen Abend in der Dämmerung der Binder aus dem Walde heimging, sah er mit Verwunderng eine weibliche Gestalt mit einem Pack auf dem Rücken dem Rehberg zueilen und ihm sorgfältig ausweichen; es war ihm fast, als ähnle sie der Mulderers Anne-Marie.

Und wirklich – Anne-Marie war es auch, die eben auf und davon ging.

Schwerlich erriet im Dorfe jemand, warum und wohin.

Fünftes Kapitel .
Hofer auf der Hochzeit

Nach drei Wochen hatte das Brautpaar Georg und Käthchen die erforderlichen Papiere in Händen, war beichten und kommunizieren gewesen und hatte Gebetprobe gehalten; eine Woche später ward das junge Paar zum letzten Male von der Kanzel aufgeboten, und es stand auf allen Türen der Verwandten der hochzeitliche Einladungsstrauß, mit Kreide gezeichnet.

In der fünften Woche wurde Käthchen mit ihrem Bräutigam an demselben Altare und zu derselben Stunde getraut, als dies mit der Freundin Vronl Hinterbergerin und ihrem Bräutigam Lobeiner der Fall war.

Es gab ein großes Fest an diesem Tage.

Käthchens Vater hatte längst die Rührung wieder vergessen, welche vorhergegangen, bevor seiner Tochter zu ihrem Bräutigam kam. Er genoss schon bei der Gagelhenn (Gemeinschaftliches Frühstück der Hochzeiter vor dem Kirchenzuge) mehr als nötig und wurde lustig wie ein Pudel.

Als es zum väterlichen Segnen seines Kindes kam, ging er wohl auch, wie's gebräuchlich ist, mit ihr allein in die Kammer; aber da war nun kein ernstes Wort aus ihm herauszubringen. Käthchen weinte, als ob es ihr das Herz abstoßen wollte; auch Hofer hatte die Augen voll Wasser, dennoch sagte er, die Wangen Käthchens streicheln:

»Sei froh, närr'sch Kind, jetzt kriegst du einen Mann, und das ist doch das Gewürz auf all euer Dichten und Trachten. Ich selber wollt', ich wär' wie du; weißt, was ich meinem Vater gesagt hab', wie er mich mit Weinen gesegnet hat? Hört auf und tut nicht so, hab' ich gesagt, ich krieg's jetzt besser als bei euch, so wacherlwarm, wie mich mein Weib halten wird, habt ihr mich doch nicht gehalten; ich beklag' schon jeden Tag, wo ich nicht verheiratet bin. Gebt mir euern Segen frischweg, ich geb' euch meinen dafür, wir bleiben allweil gut Freund, Vater. Drum, Käthchen, tu' mir jetzt auch nicht so peinlich, du gehst nicht aus der Welt, und ein Mann ist eine gar verflucht rare Sach', das siehst an mir, ohne mich wärst du gar nicht auf der Welt. Wer weiß, was noch geschieht, wenn ich dich aus dem Hause hab', ich bin auch noch ein Mann in den besten Jahren; ich weiß, was es heißt, wenn man nicht so allein herumstreift auf der Welt. Und gesetzt, ich heirat' auch noch einmal, ich wüsst' nicht, wo mich ein Vater segnen könnt', wenn's nicht der himmlisch' Vater ist, der mich schon mit dir gesegnet hat, Amen. Steh' auf, mehr wüsst' ich meiner Seel' nicht zu sagen!«

Während des Hochzeitszuges nach der Kirche hielt sich Hofer noch ziemlich feierlich, aber als es aus der Kirche wieder heimwärts ging, ließ er sich seine große Pistole geben und schoss derart fürchterlich, dass es den Gästen das Gehör fast verschlug.

Es war selten eine Hochzeit so lustig gefeiert worden; Hofers Jubel und Leben trug nicht wenig dazu bei.

Als er nun gar beim Wettrennen vor dem Mittagessen plötzlich unter den laufenden Burschen stand und eine Weile glücklich mit über die Wiese stürmte, da wurde das Ergötzen allgemein und groß; aber auf halbem Wege verließ ihn doch die Kraft, und er musste den Burschen, die pfeilschnell nach dem Ziele stürzten, im Schritte folgen.

Mit Lachen und Musik zog man ihm eine Strecke entgegen, und viele Stimmen riefen ihm zu:

»Fifat, Hofer, ihr seid der erste Mann rundum!«

In der Wirtsstube zog ihn Käthchen bei Seite und verwies ihn sanft und verlegen sein zu viel Lustigsein.

Hofer hatte gerade ein Glas in der Hand und rief:

»Musikanten, wie der Hirt' zum Dorf naus treibt!«

Die Musik spielte eine Hirtenmelodie und endete, als Hofer zu trinken begann, mit einem Tusch.

Hofer hatte ausgetrunken, ließ den blechernen Deckel klappen, zum Zeichen, dass alle Wasser gesunken und trocken Land da sei, und gab dem Wirte das Glas hin; dann kehrte er sich zu Käthchen und sagte:

»Was? Was? Du hast deine Freud' nicht an deinem Vater? Du willst an mir herumkommandieren, wo ich mich losgesagt hab' von dir?«

Mit einem krähenden Jauchzer umschlag er dann Käthchens Hals und rief:

»Jetzt gleich wirst eins herumfahren mit mir, oder ich verzeih' dir's mein Lebtag nimmer!«

Den Musikanten rief er:

»Macht eins auf, dass es alle Engel untereinander bringt; heut sind wir einmal schon aus der Ordnung; jetzt ist alles eins, jetzt ist halt das gleich der Brauttanz; und nun half Käthchens Erröten und Sträuben nichts, sie musste ein paar Male mit dem lustigen Vater herum, der wie ein Geißbock sprang und Räder schlug, wie's einst der Brauch gewesen war; den verwunderten und lachenden Burschen rief er zu:

»Ihr seid's alle nur Tröpf' gegen uns Alte, wir haben noch andere Kunststücke ausgeführt!«

Dabei pletschte (klopfte) er mit beiden Händen an die Waden, die Schenkel, die Brust und die Stirn im Takt und sprang mit gleichen Füßen durch einen Bogen seiner Arme und stand beim letzten Bogenstrich schnurgerade da.

Alles schrie und lärmte Beifall.

Hofer führte sein Käthchen dem Mulderer zu, den die allgemeine Freude auch heiter gestimmt hatte und sagte:

»Mulderer, da prüft, was ich Euerm Sohn für ein Tausendgewicht zubring', stampft auch einmal herum. Wenn Euer Anton um das Mädel weint, verzeih' mir's Gott, er hat recht, aber grämen soll's uns nicht, er find't in der Welt gewiss auch noch die Seine!«

Bis spät nach Mitternacht dauerte die allgemeine Lustbarkeit; es waren nach und nach auch Burschen und Mädchen zum Tanze gekommen, die keine Gäste waren ...

Als Hofer am folgenden Morgen etwas wüst im Kopfe erwachte, erinnerte er sich an seine tolle Lustigkeit mit Unbehagen und wünschte nur, dem Käthchen nicht gleich vor die Augen kommen zu müssen; aber da die Braut nach der Hochzeit immer noch vierzehn Tage im Elternhause bleibt, so war das Zusammentreffen unvermeidlich; indessen wollte er es doch so lange als möglich in den Tag hinausschieben und sagte dem Knechte, der etwas fragen kam:

»Du, sag' draußen, dass ich noch armdick schlaf' und vielleicht nicht aufsteh' bis gegen Nacht.«

Aber kaum eine Stunde später kam das Käthchen aus Besorgnis, dem Vater möchte etwas fehlen, leise herein, schlich zu seinem Bette, und weil er es nicht rauschen gehört hatte, fand sie ihn mit offenen Augen.

»Teufelsmädel!« rief er, »da hat man's, hätt' ich nur die Augen nicht offen gehabt – was willst? – Gelt, du hast einen rechten Esel zum Vater – ist das ein Betragen gewesen gestern? Verzeih' mir's Käthchen, verzeih'!«

»Lasst Euch's nicht grämen, Vater, es ist schon recht gewesen; Ihr seid's halt ein lustiger Vater!«

Mit Entzücken über diese Nachsicht setzte sich der Hofer im Bette jubelnd auf:

»Ja, ich bin ein lustiger Vater! Geh' nur 'naus jetzt, ich steh' gleich auf.«

Sechstes Kapitel.
Der erste Brief

Von Käthchens Hochzeit wurde noch lange gesprochen. Doch kam, wie gewöhnlich, bald die Zeit, wo man sich an die Ehe junger Leute gewöhnt und zuletzt gar nicht anders meint, als sei das junge Paar von jeher verheiratet gewesen.

Georg und Käthchen entgingen freilich noch lange den mannigfachen Aufpasserinnen nicht, die sich um Krieg und Frieden in jeder neuen Hauswirtschaft kümmern, aber ein ewiger Friede schien unter ein Dach mit unserm Ehepaare eingezogen.

Georg erfüllte seinen brüderlichen Schwur ganz musterhaft; er trug sein Käthchen auf den Händen, er sah ihr alles an den Blicken ab, und wo er sie nur mit etwas freudig überraschen konnte, tat er's auch gewiss.

Anton war nicht selten Gegenstand ihrer Unterredung; dann rief Georg oft mit lebhafter Wärme aus:

»O, wüsst' ich, es gibt noch auf Erden wo ein Käthchen, wie du bist, Käthchen, das müsste hergeholt werden für meinen Bruder, das Leben wär' für uns erst dann recht eine Freude!«

Käthchen hielt bei solcher Gelegenheit ihre Klagen nicht zurück, dass der arme Bursche jetzt wegen ihr von Heimat, Haus und Freunden getrennt, in der Fremde herum zigeunern müsse; sie rief mit Bekümmernis die Worte:

»Vielleicht geht es ihm noch schlimmer als zu Haus', er wird sich hinunter kränken und am Ende seh'n wir ihn nicht mehr, solang wir leben.«

Anstatt dieses Angedenken Käthchens bedenklich zu finden, lobte und förderte es Georg und erneuerte es aus freien Stücken, wenn Käthchen länger als gewöhnlich davon schwieg, denn einen Anspruch auf Käthchen schien ihm sein Bruder so lange zu haben, als nicht in jeder Hinsicht dem unglücklichen Bruder durch freundliches Andenken und jede Teilnahme für sein Opfer genug getan wurde.

Wie ein still schleichendes Gespenst ging hinter jeder Freude Georgs der strenge Schwur einher, den er dem Bruder geschworen hatte; Käthchen war nicht sein, wenn er diesen Schwur nicht ganz erfüllte. Daher das unruhig ängstliche Bestreben Georgs, dem Käthchen immer mehr zu Liebe zu tun, als nötig gewesen wäre. Es lag eine stille Peinlichkeit darin, die Georg recht gut fühlte, aber sich nur nicht gestand.

Von zwei Seiten her drohte ihm die Gefahr des Verlustes, wenn er seinen Schwur nicht hielt: Anton schien ihm seinen Anspruch auf Käthchen zurückfordern zu können; Käthchen konnte, wenn er mit den Beweisen seiner Liebe nachließ, wie leicht in eine stärkere Neigung für seinen Bruder zurückfallen, da er ohnedies der Unglückliche und durch seine Entfernung Verklärte war.

Käthchen bewies indessen durch Tat und Worte täglich mehr, dass ihre Wahl denn doch die rechte gewesen, dass eigentlich Georg der Liebling ihres Herzens sei ...

So ging ein volles Jahr herum; Georg fühlte nur am stillen Fortschritt seiner Empfindlichkeit, wie viel Zeit vorüber war.

Von Anton war noch immer keine Nachricht, weder gute noch schlimme, gekommen, und das vermehrte Georgs Befürchtungen.

»Lebt mein Bruder noch? Wird er nicht urplötzlich kommen und Rechenschaft von mir fordern? Wie wird er kommen?«

Das waren nun böse Fragen, die mit leisen Diebesschritten bei Tag und Nacht durch Georgs verschlossene Herzenskammer schlichen und Stück für Stück von seinem goldenen Frieden stahlen.

Da kam eines Tages ein Brief von Anton.

Mulderer wollte den Inhalt nicht allein voraus genießen und kam mit glänzenden Augen zu Georg und Käthchen herüber, auch Hofer wurde in den Rat berufen, damit alle auf einmal erführen, was es mit dem verlorenen Sohn sei; »denn«, bemerkte Mulderer, »ist es schlimm, was wir hören, so müssen wir uns wenigsten in unserer Trauer aussprechen können; ist es was Gutes, so wollen wir uns gleich alle zusammen freuen; es ist uns Anton ja allen wert.«

Georg stand ruhig da, und Käthchen erblasste, weinte, als Vater Mulderer mit feuchten Augen den Brief erbrach; Hofer schlug auf den Tisch und rückte den Hut gegen das linke Ohr:

»Was gilt's«, rief er, »dem Burschen geht's wie dem Hasen im Kraut? Ich spür's in allen Gliedern.«

Dann rief er zum Fenster hinaus, um noch einige Leute zusammenzubringen; aber niemand hörte ihn.

Mulderer fing nun zu lesen an, und das Papier zitterte heftig in seinen Händen.

Anton war während seiner Abwesenheit aus dem Vaterhause in verschiedenen Provinzen des Reiches gewesen und verbrachte die letzte Zeit als fleißiger Tischlergeselle in Wien, da Mulderer frühzeitig darauf gesehen hatte, dass seine Söhne außer vom Ackerbau für den Notfall auch ein Handwerk lernten.

Aus dem Briefe Antons war eine merkwürdige Veränderung seines Herzens zu ersehen, denn mit einem wohltuenden Anfluge von Humor sprach er sich über Dinge aus, deren Angedenken einst im Stande gewesen, sein Herz gefährlich zu erfassen.

Wie lieb und freundlich war alles, was der über Käthchen sagte; wie herzlich grüßte er die verlorene Geliebte; wie aufrichtig wünschte er dem jungen Ehepaare, seinem Bruder und Käthchen, alles erdenkliche Gute – und was besonders zu bemerken war, wie gutmütig-schelmisch ließ er gegen den Schluss des Briefes ahnen, dass sein Herz wohl gar in neuer Lieb' empfinde!

Zuletzt bat er den Vater, Bruder und Käthchen, ihm zu vergeben, weil er so lange nichts von sich hören lassen und fügte hinzu:

»Lieber Vater und alle zu Haus, wenn uns Gott unser Leben und Gesundheit noch eine Weile schenkt, so bin ich bis über ein Jahr, so Gott will, wieder bei Euch. Ich werde noch einen Kameraden mitbringen, dem müsst ihr alle von Herzen danken, weil ich ihm mein Leben schuldig bin. O lieber Vater! Ich bin damals vor einem Jahr auf den Tod krank geworden, wie ich von Euch geschieden, ich bin vier Wochen auf dem Siechbett gelegen, in einem Dorfe bei Linz bei einer armen Schneiderfamilie, die selbst nichts zu beißen gehabt, und da hab' ich mit meinem Geld die arme Familie und meine Krankheit erhalten müssen, wo bis auf einen Putzen alles rein aufgegangen ist. Oder denkt Euch, da hat sich schon bei Melhut, nicht weit von uns, ein Kamerad zu mir gesellt und wär' nicht von mir zu bringen gewesen, ich glaub', wenn ich ihn totgeschlagen hätt', so ist er an mir gehängt, und ich muss Euch sagen, lieber Vater, die Welt ist groß, das seh' ich jetzt ein, und gute Leut' gibt's auch noch überall. Mein Kamerad, wenn er Burschentracht anhat, ist um einen guten Kopf kleiner als ich, aber das tut gar nichts, er hat doch, wie ich krank bei der armen Familie gelegen bin und wie mein Geld aus und Amen gewesen, dafür sein ganzes Erspartes hervorgetan und für uns ausgegeben – dafür halt' ich aber auch jetzt an ihm, wie als wär' ich mit der türkischen Ketten, die einmal die Donau gesperrt hat, an ihn gebunden. Ich weiß schon, wenn ich Euch den Kameraden bringe, Ihr werdet weiß was für große Augen machen, es wird Euch immer vorkommen, als kennet Ihr den lieben Kerle von früher, und doch wird es Euch wieder vorkommen, als kennt Ihr ihn doch nicht. Das wird ein Erzgaudi setzen, ich freue mich schon darauf, ja wirklich bei Gott! – Vater und Bruder und Käthchen, werd' ich sagen, da seht jetzt, das ist jetzt mein Schatz, und Ihr werdet lachen, was nur heraus kann, aber lacht nur, lacht nur, man kann am Ende doch nicht wissen, wie es im Ernst oder Spaß gemeint ist; grüß Euch Gott derweil und denket oft an mich!«

Dieser Brief brachte die beste Wirkung hervor.

Georg lebte aus seinem halbgedrückten Zustande auf einmal wieder auf, es war ihm, als enthielte dieser Brief die endliche Berechtigung, ganz glücklich zu werden und alle Schwermut abzuwerfen.

Bruder Anton war in der Fremde von seinen Schmerzen heil geworden und hatte allen Anspruch und wohl auch alle Sehnsucht nach Käthchen aufgegeben, folglich war das einzige große Hindernis beseitigt, welches Georg am Vollgenusse seines Glückes hinderte.

Auch auf Käthchen war der Eindruck der glücklichste; jetzt war ihr Georg erst doppelt wert und teuer, weil nun jedes Bedenken aufhören musste, als habe sich ihre Wahl geirrt oder habe einen Menschen auf ewig unglücklich gemacht.

Vater Mulderer blühte von dem Tage an sichtlich wieder auf und wurde jetzt zum Verwundern aller nicht selten bei einem Glase Bier unter den Wirtshausbesuchern gesehen.

Der fröhliche Hofer aber sagte wenigstens tausend Male:

»Ich hab's ja alleweil gesagt, der sucht sich auch noch wo anders die Seine! Ist's nicht auch so eingetroffen! Gebt acht, gebt acht – was euch der für eine Reichsgräfin heimbringen wird!«

Siebentes Kapitel.
Ein Festmorgen, und wie ihn ein Meister beginnt

Es kam das große Kirchenfest zu Sankt-Anna, vor Sonnenaufgang konnte man an diesem Tage im Schneider-Pangerl-Haus einen ganz eigentümlichen Lärm vernehmen; auf dem Futterboden gab es ein Poltern und Hinundherstoßen, ein Kichern, Brüllen, Jagen, Lachen und Weinen, dass man glauben konnte, eine Menagerie sei durcheinander geraten oder ein Dutzend Menschen mache sich einen bestialischen Hauptspaß droben; die menschlichen Stimmen allein ließen auf das Letztere schließen. Es waren jüngere und ältere Knabenstimmen, die so schrien; dazwischen sprach nur wie ein Bass unter Geigengefiedel halb atemlos eine Männerstimme.

Wer horchen wollte, konnte eben aus dem Chaos eine Knabenstimme rufen hören:

»Gregorl, pack' den Vater beim Fuß: Sepperl, juck' ihn am Kragen, ich hab' ihn schon beim Notnagelbug (Ellbogen)!«

Eine derbere Stimme rief:

»O weh, o weh – schlag zu, Peter, reiß' ihn am Ohr! O, er hat mich schon beim Flügel! Kreuzhimmelwetter, Vater, lasst los, ich rat Euch's gutwillig, o weh!«

Ein dritter rief:

»Ui, ui, ui, Veigl, kriech' unter und wirf den Vater um!«

Dann folgte wieder für einen Augenblick ein dumpfes Schnaufen, dann ein schwerer Fall auf das Heu und ein wieherndes Hallen der Knaben, die wahrscheinlich ihren Vater umgeworfen hatten.

»Weg, Buben!« rief dieser jetzt, und ein Rauschen nach allen Seiten ließ erraten, wie er sie nach Kräften von sich schleuderte; dann fuhr er lachend und verschnaufend fort:

»Wart', ich will euch den Vater in die Wadel beißen, ihr vermaledeiten Knacker ihr! Wagt es noch einmal und kommt mir in den Handgriff!«

Aber die Knaben kehrten mit erneuertem Geschrei zurück; nur einer, der Gangerl (Wolfgang), den der Vater zufällig am kräftigsten erwischt und bis in den entferntesten Heuwinkel geschleudert hatte, blieb unmutig liegen und rief hervor:

»Ah, mit Euch ist auch kein Spanferkel essen! O weh, mein Kopf, Vater, Ihr seid's doch kreuzweis dumm!«

Die Knechte des Nachbarhauses waren zum Mühlbach gekommen, um sich zu waschen, und sagten lachend zu einander, als sie dem Lärm eine Weile zugehört:

»Da hat's der alte Esel wieder mit seinen acht Buben, wann wird der einmal seinen Schwabenverstand kriegen?«

Schon seit einer Stunde war die Frau Schneiderin in den Kleidern, kochte die Morgensuppe und putzte das jüngste Kind, ein dreijähriges Mädchen, sonntäglich heraus; sie war schon einige Male in die Kammer getreten und hatte den Lärm abstellen wollen, aber vergebens. Auch die Morgenglocke schlug vergebens ans Ohr der lärmseligen Rangen.

Erst als Frau Pangerl rief:

»Zum Essen, die Morgensuppe steht auf dem Tisch«, war es von Erfolg.

Der Alte schüttelte seine Buben von sich und sprang einige Stufen der Treppe herunter, hinter sich ließ er die Bodentüre zufallen.

»Wer nicht anderswo herunter kann«, rief er, »kriegt nichts zu essen!«

Wie eine Horde Wilder fielen jetzt die Buben über die Türe her und wollten sie gewaltsam aufheben, aber weil sie der Alte abgesperrt hatte, gelang es nicht; sie sprangen nun mit höllischem Geschrei darauf herum, bis Pangerl die Türe ein wenig aufhob und sie alle über'n Haufen warf, dann zog er die Türe geschwinde wieder zu, und nachdem er sie abgesperrt, ging er in die Stube hinab; sein Anzug war auf die wunderlichste Art verschoben und zerknickt und von oben bis unten mit Heu besteckt.

»Aber um Gotteswillen, Mann«, sagte sein Weib, »wann wirst du mit den Buben das Herumtollen lassen? Heut' ein so heiliger Tag, und da geht eure Hetze schon fort bis zu geschlagenem Tag!«

Pangerl horcht während dieses Vorwurfs, was die Buben machten, und als er sie auf der Bodentüre tanzen hörte und dabei singen:

Mein Vater, der Dalk
Ist ein Schneidermeister ...

sprang er mit dem Drohschrei in die Kammer:

»Haltoh, ihr Teufelsbuben; da hab' ich euch wieder; jetzt komm' ich hinauf!«

Die Knaben sprangen von der Türe weg, damit sie nicht wieder umgeworfen würden und schrien nur noch lauter:

Mein Vater, der Dalk,
Ist ein Schneidermeister,
Er hat lange Ohren
Und Pangerl heißt er.

Die Mutter sagte:

»Geh, lass sie herunter, es ist sonst keine Ruh', und ihr alle kommt in die Kirche zu spät. Ich muss den Augenblick fort, ich bin zu der Hammerschmiedin gerufen, es ist heut' ihre Zeit gekommen; vielleicht erwisch' ich schon eine Frühmess', wenn ich über St.-Anna geh'. Hab' mir auf das Haus acht, ich komm' vielleicht erst morgen wieder; unser kleines Annerl da geb' ich derweil zur Nachbarin hinüber, auf dich könnt' ich mich nicht verlassen.«

Jetzt blickte Pangerl erst recht auf und sah an der Sonne und an dem regen Leben im Dorfe, dass es bereits höher am Tage war, als er gemeint hatte.

»Was?« rief er, »sind denn schon Leut' auf dem Weg?«

»Und wie viel!« sagte sein Weib, »ich hab' schon von Kohlheim und Seewiesen her Männer und Weiber vorübergehen sehen; nun behüt' euch Gott! Lass die Buben ordentlich anziehen, wenn du unter die Leut' mit ihnen willst; ich kann nicht mehr länger warten.«

Pangerl war bekannt, dass er bei jedem Fest und Jahrmarkte mit seinen Buben der erste sei, und es hieß nun über Hals und Kopf eilen, diesen Ruhm heute nicht einzubüßen.

Er öffnete jetzt die Bodentüre und rief:

»Kinder, geschwinde herunter; wer nicht, bis ich die Hand umdreh', fertig ist, wird in'n Keller gesperrt und darf nicht mit!«

Aber die Knaben hatten sich bereits leise zerstreut, die einen waren über den hölzernen Balkon und den Holzstoß heruntergestiegen, die andern krochen durch ein Wandloch nach dem Getreideboden und kamen über die zweite Stieg herab.

Lärmend stürzten sie nun in die Stube und wie hungrige Wölfe an den Tisch.

Der Vater ließ sie gewähren und trieb zur Eile an.

Bald fand sich auch Gesellschaft bei ihm ein, lauter junge Burschen, die gern jeden Spaß in der Gegend mitmachen halfen; Pangerl war ihr Abgott bei jeder öffentlichen Gelegenheit.

Schon auf dem Kirchenwege oder auf dem Wege zu einem Jahrmarkt gingen dann die tollsten Späße los; niemand, außer wer zu Pangerls Begleitung gehörte, entging ihrer Geißel, und hatte man erst seinen festen Standpunkt auf einem Marktplatze gewählt, dann war es kaum mehr auszuhalten; wer nur vorüberging, musste seinen »Hieb« hintenauf haben, anders wurde es gar nicht gehalten.

Pangerls acht Buben, obwohl erst zwischen sechs und fünfzehn Jahren, hatten bereits bedeutend von ihrem Vater profitiert und wussten oft die Gesellschaft zu betäubendem Gelächter zu bewegen, besonders der jüngste, die »Maus« genannt, weil er so kleine Blitzaugen und so scharfe schneeweiße Zähne hatte, der passte wie ein Haftelmacher auf seinen Alten und merkte sich dessen Späße, die er später immer auf ergötzliche Weise anbrachte mit dem Zusatze:

»Sagt der Schneider Pangerl!«

Pangerl hatte eigentlich schon achtzehn Kinder gehabt, aber alle bis auf neune waren ihm gestorben.

Schneider hieß er eigentlich nur nach Überlieferungen, denn seit sein Weib als beliebte Wehmutter so viel verdiente, dass die Familie davon leben konnte, rührte er keine Nadel mehr an.

Man konnte ihn nur mehr bestimmte Arbeiten für das Haus verrichten sehen, vorzüglich Wasser holen und Holz führen und spalten, und das tat er nie allein, er hatte immer mehrere von seinen Buben mit, an schulfreien Tagen gewöhnlich alle.

Weil er regelmäßig jedes Jahr von seinem Weibe mit einem Kinde gesegnet wurde, sagte man von ihm: Purzelbaum, und ein Kind ist da!

Genug, Pangerl machte sich nichts daraus, was auch die Leute sagen mochten, er dankte Gott für jedes neue Geschenk der Art, und die Leute nahmen auch seine Späße nicht übel auf, denn sie hatten immer etwas Gutmütiges, das nicht verletzte.

Und so sehen wir unseren Mann an jenem Annatage mit seinen acht Buben und noch einer Schar lustiger Burschen dem Wallfahrtsorte zueilen, mehr Schelmerei als Andacht im Herzen, mehr Kinder um sich als Gulden in der Tasche.

Achtes Kapitel.
Am St. Annen-Fest

Hinter Pangerl und seiner Begleitung war nun auch schon das halbe Dorf auf der Wanderung nach St-Anna.

Darunter machte sich vorzüglich Hofer bemerkbar, der auf dem Kirchenwege immer so laut sprach, dass man hundert Schritte hinter ihm noch jedes seiner Worte verstehen konnte; er ging neben seinem Schwager, dem alten Mulderer, hinter ihnen folgte das Hofer-Käthchen mit ihrem Manne Georg.

Auf einen Ruf: »He, wartet und lasst uns auch mit!« blickte Käthchen um und sah ihre Freundin Vronl mit ihrem Manne Lobeiner eilig nachstreben; man wartete auf beide, dann ging es in lebhaftem Gespräche weiter.

Dort und hier zogen bereits lange Prozessionen mit fliegenden Fahnen und hochschwebenden Kreuzen die Höhe zu St.-Anna hinauf, und von Gebeten und Gesängen summten die Lüfte.

Wenn man so vom frühen Morgen an von allen Seiten die Menschenmenge nach St.-Anna ziehen sieht, so begreift man nicht, wie so viele Gäste auf dem Bergkegel um die Wallfahrtskirche Platz finden können, und doch ist der Raum nie zu klein geworden – vielleicht durch ein gelindes Wunder der heiligen Anna selbst; auch haben noch immer alle Besucher des Festes ihren Trunk haben können, obwohl so mancher Wirt den Röhrbrunnen verstopfte, damit nach seinem Bier mehr Nachfrage sei.

Aber man muss nicht glauben, weil dieses Fest zu St.-Anna ein so großes Fest der Glocken und Predigten, der Beichte und heiligen Messen, der Pauken und Trompeten ist, dass an diesem Tage alle Menschen des Kirchenfestes halber nach St.-Anna gehen; – gerade heraus: in den meisten Herzen steigen dabei mehr irdische als himmlische Gedanken auf.

Denn eh' die erste Messe noch gelesen ist, stehen schon die offenen Kramladen da, man kann zu essen und zu trinken haben, Spielzeug und Kleiderstoffe finden, es gibt einen vollständigen Jahrmarkt, berühmt der vielen Liebesgeschenke wegen, die hier gekauft und heimlich zugesteckt werden; nach Mittag fängt hierauf die Tanzmusik an, das junge »Burschet« bleibt nach den Strapazen der Andacht gleich hier, um Herz an Herz gewiegt, vom Takte heller Ländler froh aufzuleben.

Damals, zur Zeit unserer Geschichte lebte der selige Pater Wenzel noch, der das Vaterunser nicht zu Ende beten konnte und niemals früher Messe las, als bis er durch sein Fernrohr ausgeblickt, ob noch ein Hut oder Kopftuch nach St.-Anna wandle; es war sein letztes Fest, welches hier geschildert wird; einige Monate später traf ihn der Schlag, und er bewirtete nie mehr einen Gast in seinem Hause.

Hätte er sein nahes Ende geahnt, er hätte wahrscheinlich jedes Festmahl unterlassen und seinen Gästen Brot und Trauermienen vorgesetzt; allein, welcher Gesunde ahnt so bald, er werde sterben, und wenn er es ahnen würde: Setzt er auf diese Ahnung seinen Glauben?

So spielt nun aber oft das Schicksal: es musste doch um Pater Wenzels Tod schon wissen und führte ihm gerade damals so viele Gäste zu, dass sein Haus sie kaum zu fassen vermochte; auch ließ es ihn gerade diesmal bei der allerbesten Laune sein.

Unter den Gefährten, die langsam durchs Gedränge fuhren, war sogar ein gräfliches; Damenhüte, Fächer, Sonnenschirme, Schals lagen um 11 Uhr morgens reichlich im großen Saal des Pfarrhofs, und hübsche Frauenaugen sahen aus den Fenstern desselben auf das Volksgedränge nieder.

Das Wetter schien bestellt für diesen Tag, ruhige Wolken ließen die Sonne nicht zu heftig wirken, und ein Lüftchen vom Gebirge half die Wanderer erquicken.

Als der reiche Friedlänger aus Küssüben sich St.-Anna näherte, entstand Gedränge unter den Linden gegen die Straße hin; Bekannte beeilten sich, den Allgeliebten freundlich zu begrüßen, und Fremde wollten doch den Mann auch kennen lernen, von dem sie schon so viel Rühmliches vernommen; es wurden sogar Equipagen, die aus der Stadt ankamen, über der Neugier nach dem Friedländer übersehen.

Dieser kam in einem offenen Wägelchen heran, zwei feurige Falben spielten gleichsam nur mit ihrer Last und schienen mit Stolz zu empfinden, welch einen verehrten Mann sie den neugierigen Blicke entgegenführten.

Erst wie immer, aber nichts weniger als stolz, saß der Friedländer eben, hatte sein Bübchen Gucki (Gustav) auf dem Knie und dankte ernstfreundlich jedem Gruße; neben ihm saß sein Weib und hielt das Fränzchen, ein älteres Mädchen, auf dem Schoße; sie war schön, aber nicht überladen in die Volkstracht gekleidet, ein stilles, volles Glück sprach aus ihren Zügen, und sie grüßte immer, wo sie eine Bekannte früher sah, auch freundlich zuerst.

Gucki und Fränzchen blickten selig schweigsam in die Welt hinein, und erst, als die Kramladen allerlei Stoffe und Spielzeuge sehen ließen und Harmonika, Rohrpfeifen, Kindertrompeten um ihr Ohr musizierten, schauten sie mit großer Neugier und Sehnsucht darauf nieder.

Auf dem Vorsitze des Wägelchens prangte (man darf es so bezeichnen) die Friedländer-Lettl, sehr schön gekleidet und in ihren Mienen wie verklärt; sie wagte kaum auf jemand niederzusehen, ihr Lächeln mochte ohnedies jedem sagen, dass sie gewiss freundlich danken würde, wenn sie einen Gruß bemerkte.

Wo das Gedränge dichter zu werden anfing, ließ der Friedländer jetzt halt machen und stieg mit den Seinen aus; sein erster Gang war nach der Kirche, wo gerade der ehrwürdige Pfarrer aus Küssüben an einem Seitenaltare eine stille Messe las; hier kniete der Friedländer nieder und verrichtete eine tiefe Andacht, seine Augen wurden feucht und sichtbar blasser seine Wangen, neben ihm kniete seine Familie hin und die ihn begleitet hatten.

Draußen aber machte sich der Dorfschuster Prumler aus Küssüben wichtig, die Leute von dem reichen Friedländer zu unterhalten.

Es fehlte ihm nicht an Zuhörern, die gerne horchten.

Prumler sagte nun mit behänder Redseligkeit:

»Ja, unser Johannes, unser Friedländer! Wer's so dick beieinander hätt' wie er, es wär' nicht aus der Weise! Wer weiß, ob er weiß, wie viel er hat, hineingesehen hat ihm keiner. Auffara Million hätt' ich's vor ein paar Jahren schon geschätzt, was es weiter geworden ist, kann Unsereiner ja nur schwach vermuten, vom Wissen ist gar keine Red'! Mein Haus steht kaum an die hundert Schritt von seinem, ich kann als a schlafender ja hören, was bei ihm geschieht; aber du Mutter Annerl, die wir heut verehren – was ist mein Häuselwerk gegen seinen Hof, ich fürcht' so immer, er kommt und kauft mir meine Hütten überm Kopfe weg, dass er Platz kriegt nur für seine Butterkübel! In der Näh' von so einem Menschen, na ja, ist ja kein Hausen wie bei euch, Kaltenbrunner, oder bei euch, Maxberger. – Ich häng' mich auf, wenn's nicht auf den Tupf hin wahr ist!«

Dann unterbrach er sich selber, indem er sagte:

»Wer hat denn eine Dosen bei ihm, gebt außer und lasst ein Schnüpferl« – und schnarrend vertilgte er eine Prise und fuhr dann fort:

»Wenn unser Friedländer, so Gott will, so weiter macht, will ich doch mit meinen eigenen Augen seh'n, was aus unserm guten, lieben Küssüben noch wird. (Einer niest.) Helf Gott, dass's wahr ist! Es glaubt man ja jetzt schon, dass ein vollkommener Landesfürst bei uns regier', so viel Gärten, Alleen und Figuren von Stein sind da! Und gibt dem Friedländer sein Haus unsers Grafen seinem einen »Tiness« nur nach, ich frag' gutwillig: Ist's wahr oder nicht? Ich häng' mich auf, wenn's nicht wahr ist – wer hat noch ein Schnüpferl?«

So schloss er und sagte, nachdem er geschnupft hatte:

»Es g'nügt schon!«

So ging es fort, während andere des Friedländers Wagen umstanden und das Gespann desselben musterten; einige klopften den Falben das Kreuz, andere besahen sich das junge Gebiss mit Gehedel (freundlichem Lachen); wieder andere hoben bald einen Vorder- bald einen Hinterfuß der Pferde und prüften den Bau des Hufes.

Die Pfeife ausklopfend oder Feuer schlagend, standen die Übrigen herum und keiner leugnete, so zwei Tiere suchten Ihresgleichen weit und breit.

Des Friedländers Altknecht saß inzwischen auf dem Bocke, den Hut gegen ein Ohr gerückt, und hatte mit dem Stallbuben Andresl seinen Spaß; er hatte diesen auf den Deichselsitz hinab gedrückt und dessen Kopf zwischen seine Knie gezwängt, so hielt er ihn sicher, ohne ihm weh' zu tun, und ließ sich von ihm schlagen, zwicken, reißen, ganz nach Belieben.

Es hatten zwei Menschen selten einander so lieb wie sie, aber ihre Liebe äußerte sich in lauter Neckereien.

Als Andresl beinahe schon weinte, dass er nicht loskam, öffnete Michel endlich den Zwinger und gab dem Erlösten zwei Groschen mit den Worten:

»Da, kleiner Dattä'ö, geh' und kauf dem Krämer dort seinen Laden ab, aber verlauf' dich nicht zu weit; wenn du Durst hast, komm ins Wirtshaus.«

Andresl war mit einem Freudensprunge verschwunden, eh' die Rede des Knechtes noch zu Ende war.

Erst jetzt fiel Michels Aufmerksamkeit auf die Männer und Burschen, die an seinen Pferden herum musterten; er schnalzte mit der Zunge, tat einen Peitschenknall und rief:

»Hi!«

Die Pferde spannten die Nüstern und stampften kräftig; die Männer fuhren erschrocken auseinander.

»Sonst verklext und verschachert ihr mir die Tiere noch vor den Augen«, sagte Michel scherzend.

Die Männer und Burschen lachten und drohten:

»Wart' du Sackerer«, rief ihm eine Stimme lachend nach, als Michel langsam nach dem Wirtshause fuhr, »wart, komm uns einmal auf zwei Sohlen entgegen, dann reden wir auch ein Wort!«

Während diese und andere Dinge zu St.-Anna sich begaben, war das Hofer-Käthchen in der Kirche gewesen, hatte gebeichtet und kommuniziert und kniete in tiefer Andacht vor dem Hauptaltar, bald »Wir werfen uns danieder« zur Orgel singend, bald in eigenes Gebet versunken.

Als Käthchen aus der Kirche trat, sagte ihr die Freundin Vronl, dass sie ins Wirtshaus kommen solle, Georg, ihr Mann, erwarte sie.

»Mein Gott«, sagte Käthchen, »in den Dunst und das Gewirr soll ich hin? Ich geh' nicht gerne. Vronl, was machst denn du?«

Vronl erwiderte:

»Käthchen, ich kann nicht lang mehr warten, ich muss zu meinem Kind nach Haus; meine Andacht ist verricht', was soll ich länger bleiben? Man verpasst nur Zeit, und zu Haus ist immer viel zu schaffen!«

Käthchen bat, dass die Freundin noch ein Weilchen auf sie warten möchte, sie habe ja auch ihr Kind zu Hause und wolle nicht mehr bleiben; sie gehe nur, ihren Mann geschwinde zu sehen.

Käthchen fand ihren Mann am Ecktisch in der Wirtskammer, umgeben von Männern jedes Alters; er hatte erklecklich getrunken und führte eben nach alle Seiten einen lebhaften Diskurs; man erkannte den sonst so stillen Mann kaum mehr.

Käthchen ansichtig, das sich schüchtern näher wagte, rief er aufspringend:

»Jerum, mein Goldweib! Männer, ist noch Platz da? Komm heran zu mir, liebe Alte, wir wollen auch einmal lustig leben!«

Die Männer standen auf, um Platz zu machen, aber Käthchen wehrte sich mit glühenden Wangen dagegen:

»Nein, nein, bleibt mir sitzen, Männer, ich hab' so keine Zeit mehr und muss nach Haus; du, Alter, ich hab' dir nur sagen wollen, komm' bald nach, morgen ist auch ein Tag, wo man dabei sein muss; jetzt geh' ich, behüt' euch Gott derweil!«

Georg war aufgestanden; man sah im wohl an, dass es ihm nicht besonders angenehm sei, jetzt in der besten Freude aufzubrechen, doch wollte er kurz und gut mit seinem Käthchen gehen und klopfte dem Wirt.

»So darf ich dich nicht allein gehen lassen«, sagte er mit umflorter Stimme, »wart', ich zahl' und geh' gleich mit!«

Mehrere Männer sagten:

»Ah, Mulderer, jetzt darfst du noch nicht geh'n, was wär' denn das, im besten Dischkurs zu geh'n; euer Weibchen lassen wir herauf zu euch, euch nicht hinunter zu ihr!«

Der versoffene Schreiner sagte ganz verschnufelt:

»Ihr Weiber fallt einem immer wie die Fliegen ins Glas. Mulderer, das ist nixen, gleich 's Glas wegwerfen, wenn man sein Weib drin find't, erst hersetzen zu uns und sagen, wart' bis ich austrunken hab' und dann im Dischkurs wieder einschenken lassen, das ist die recht' Art – wo kommst du den in drei Jahren hin, wenn du gar keinen Willen mehr hast?«

Georg fühlte, dass diese Rede Käthchen verdrießen müsse, er sagte daher entschieden:

»Das heißt nichts, ich geh', ich muss geh'n, ich kann mein Weib nicht allein geh'n lassen, es geht nicht!«

Er legte das Geld hin und wollte hinunter, aber Käthchen tat jetzt selber sehr lebhaft Einsprache und sagte mit immer höher glühenden Wangen:

»Bleib' nur dorten, Georg, das hab' ich durch mein Herkommen nicht gemeint, du sollst dich in deiner Freude nicht stören lassen; komm nur später nach, ich hab' dir auch nichts weiter zu sagen und aufzutragen, behüt' dich Gott!«

Die Männer riefen:

»Das ist schön, Käthchen, so ein Weible loben wir!«

Der Schreiner kehrte sich schwerfällig um und sah dem Käthchen mit verschwommenen Augen nach:

»Ich hab's ja g'sagt, mein Reden nutzt«, sagte er.

Als Käthchen zu ihrer Freundin zurückkam, fragte diese:

»Nun, Käthchen, wo hat du denn deinen Mann?«

»Er ist noch drüben, er ist gerade im besten Reden, ich will ihn nicht stören, er soll nur noch eine Weile bleiben, bis auf die Nacht ist lange, und zu Haus hätt' er jetzt auch keine Freude.«

Die Freundinnen kauften geschwinde noch einige Geschenke für die Kinder und machten sich dann auf den Heimweg; es schlossen sich ihnen noch einige Weiber an, die zum Kochen nach Hause eilten.

Später trat auch der Hofer ins Wirtshaus.

Unter denen, welche ihm schon in der Stube ihr Glas anboten, war auch der Schwäher Mulderer.

Hofer dankte allen rundum mit den Worten:

»So viel als genossen.«

Nur von seinem Schwager nahm er das Glas an und sagte, indem er es etwas schwang und mit dem Daumen den Blechdeckel aufschnellte:

»Ich bring' dir's, Schwäher!«

»Gesegn' es Gott«, erwiderte Mulderer, und die Männer gaben sich die Hand.

»Mir auch, Dings da«, rief Hofer dem vorübereilenden Wirte zu, »es ist doch schwülig, wenn man sich draußen ein paar Stunden herumstoßt!«

Er zog den Hut und wischte sich die Haare trocken.

»Es ist gerad' noch Platz da«, fuhr er fort: »Schwäher, ich setz' mich gleich neben dich ... Den Friedländer auch gesehen? Ein Mann wahrhaftig, dass einen der Teufel holen könnt', der hat's weit gebracht!«

Es wurde nun ein Langes und ein Breites über beide Männer gesprochen, bis Hofer auf einmal aus der Kammer das Lachen seines Schwiegersohnes hörte und aufstand mit den Worten:

»Was, ist der Georg da?«

Mulderer erwiderte vergnügt:

»Er soll sich nur ausawern (wohl sein lassen) auch einmal.«

»O du Himmeldonnerwetter!« rief Hofer mit übermäßiger Freude, »das ist ja ganz was Nagelneues, da muss ich ja gleich hinein und sehen, wie ihm die Lumperei ansteht!«

Er eilte nach der Kammer und rief von Weitem dem Schwiegersohn entgegen:

»Schlagt doch alle Öfen ein über das Wunder! Welcher Geißbock hat dich ins Wirtshaus gestoßen?«

Die Männer lachten, Georg stand auf und sagte mit leuchtenden Augen und trinkseliger Röte im Gesicht:

»Jerum, Schwäher, grüß Gott, heut bin ich einmal heiter hier! Da trinkt und nehmt mir's nicht übel!«

Hofer dankte lachend und rief dann:

»Übelnehmen? Zech dir nur eine Rechnung 'nauf, dass es kleckt, dein Haus kann schon was vertragen; du hast dir so in deinem Leben keinen Schwindel angetrunken!«

Der Schreiner sagte:

»Den Augenblick haben wir sein Weib von dannen geschnoben, wir leiden kein Weib da, das uns die Gläser zählt!«

Hofer erwiderte:

»Recht so, das hat mein lieb selig Weib auch manchmal so gehalten, dass sie mir nachkommen ist, das Käthchen wird's von ihr erben. Drum Platz da, Männer, ich setz' mich lieber zu euch herein, die draußen sind zu keinem rechten Lärm zu bringen.«

Er eilte um sein Bier hinaus und kam mit Gelächter zurück.

»Jetzt kann ich doch auch einmal ruhig heimgehen«, rief er, »es wird nicht heißen: der Alte lebbert halbe Nächt' herum, und der Junge bleibt säuberlich daheim! Lass uns einmal von Grund aus alert sein heute!«

Hofer trank hochbeglückt sein erstes Glas aus, und es war bald an keinem Tische ein solcher Freudenlärm, als wo jetzt Hofer saß.

Als um 2 Uhr nachmittags das Geigenstimmen in der Tanzstube anfing, schlug er mit Jubel auf den Tisch und sang:

La, la, lei,
Das schert mich nicht, ich bin dabei,
Dann decken wir die Dächer ab
Und steigen in die Keller' nab –
La, la, lei
Das schert mich nicht, ich bin dabei.

Weil noch nicht getanzt wurde, ließ Hofer die Musikanten in die Kammer kommen und sang ihnen vor.

Seine Stimmer war zwar im Singen ziemlich schwächlich, weil er sie gar zu fein durch die Fistel zwingen wollte, aber sein Gesang erlitt keine Niederlage, dass bald viele Herumsitzende einfielen und selbst der betrunkene Schreiner nicht unterließ, durch die Nase, aber sehr falsch, mit zu brummen.

Plötzlich rief Hofer, dessen Liedervorrat ausgegangen war:

»Ah, was soll denn ich immer das Vorderpferd reiten? Georg, stimm du jetzt an!«

Und Georgs helle Orgel klang nun kräftig durch das Haus.

Um diese Zeit erhob sich Georgs Vater, um nach Hause zu gehen.

Er stellt sich eine Weile an die Kammertüre, um die Gesänge zu hören, dann machte er sich auf den Weg, ohne seinem Sohn, wie er anfangs wollte, einen Wink zu geben, dass er bald nachkommen möchte ...

Neuntes Kapitel.
Wo bleibt er?

Gegen Abend sah das Hofer-Käthchen, vor der Haustüre stehend, den Schwiegervater von St.-Anna kommen und wollte gleich hinüber, um zu fragen, wo denn Georg und ihr Vater so lange blieben.

Aber sie besann sich wieder, indem diese Eile gar zu auffallend und ängstlich scheinen musste.

Erst nach einer guten Weile führte Käthchen ihr Vorhaben aus, da der Schwiegervater sich behaglich unter dem alten Wasserbirnbaum niederließ.

»Haz (Wie ist's?)«, hat nicht mein Georg sein Halstuch gestern bei euch vergessen?« fragte sie, um nur vorerst eine Anrede zu haben.

Mulderer klopfte freundlich auf das Gras neben sich und legte Tabakdose und Schnupftuch auf die andere Seite, sagend:

»Schön, Käthchen, dass du ein wenig herüber kommst zu mir; ich bin allein, alles saust und surrt noch auf dem Berg. Setz' dich. Ja, das Halstuch – ich glaub', es liegt ein fremdes drinnen auf der Sigel (Kleiderkiste).«

»Habt ihr meinen Georg und meinen Vater noch geseh'n, wie ihr von Annaberg fortgegangen seid? Kommen sie etwa auch bald nach?« fragte Käthchen jetzt:

»Ja«, erwiderte Mulderer, »ich hab' sie im Wirtshaus verlassen, sie sind beieinander und sind rechtschaffen lustig; wie ich fort bin, haben sie den Musikanten vorgesungen, aber das muss dir nicht übel vorkommen, deinen Vater kennst du, und Georg braucht einmal auch seinen guten Tag. Sonst hätt' ich ihnen freilich gern einen Wink geben mögen, mitzugehen, aber man kann gar nicht hin auf die Nähe, so steht alles um sie herum und hat seine Freuden an ihnen.«

»Mein Vater hat doch immerfort sein' guten Tag; Gott, Gott, der Mann ist noch in seinem ganzen Leben nicht gesetzt gewesen!«

In solchem Gespräche saß Käthchen noch eine Weile bei dem Schwiegervater und ging dann so in Gedanken nach Hause, dass sie an das Halstuch ihres Mannes gar nicht mehr dachte.

Die St.-Anna-gänger kamen nun immer häufiger und endlich in ganzen Zügen nach Hause.

Ein dunkles Gerücht verbreitete sich, es habe im Wirtshaus auf Annaberg ein wütendes Gefecht gegeben, und es seien auch Männer unter den Schlägern gewesen; selbst der junge Mulderer wurde genannt.

Käthchen hörte von diesem Gerüchte erst, als sie in der Dämmerung eine Strecke Weges entgegenging, um zu sehen, ob unter den Heimkehrenden ihr Mann auch komme.

In der ersten Angst entschloss sich Käthchen, wie sie ging und stand, nach St.-Anna zu eilen und ihren Mann und ihren Vater aufzusuchen; als sie aber, diese Absicht auszuführen, kaum einige Schritte gegangen war, fühlte sich Käthchen plötzlich an der Hand gefasst und mit lustigem Gelächter angerufen.

»Wo 'naus, wo 'naus?« rief Hofer, denn er war es. »Gilt das mir oder deinem Mann, wer soll die Schelte kriegen? Halt! Jetzt gleich wirst umkehren und deinen Mann Mann sein lassen! Schau, schau, was das für ein hitziges Regiment wär', anderthalb Jahr verheirat' und schon die erste Freude ihrem Mann verderben. Was es gesetzt hat, geht dich nichts an. Du brauchst ihn nicht länger tanzen zu seh'n; so viel Recht hat er schon noch, auch mit einer andern zu tanzen, wenn du nicht da bist!«

»Tanzt er jetzt?« fragte Käthchen etwas erblassend.

Hofer schnalzte mit den Fingern und sang, dahin stolpernd, folgende Worte:

Ja, ja, ja und jaja,
Rührt sich die Winsel (Geige) holleri, hollera!
Bin ich gleich selber dabei, jaja!
Bin ich gleich selber dabei, jaja!
Bin ich gleich selber dabei, hollera!

Er warf sich den ausgezogenen Rock über die Schulter und nahm Käthchens Arm lustig in den seinen.

»Ja, meine liebe Alte«, sagte er, »ich muss dir's nur sagen, ich bleib' doch nimmer lang ledig, geheirat' muss noch einmal sein, ich kann nicht warten, bis ich achtzig bin, das ist dann keine rechte Zeit mehr!«

»Vater, es wird euch's niemand verwehren«, sagte Käthchen, »ihr könnt machen, was ihr wollt, es liegt euch nichts im Wege, aber seht doch noch ein Jährle zu, Vater, ihr müsst ja doch Zeit haben, dass ihr eine findet, die mir auch eine ernsthafte, freundliche Mutter ist!«

»Wo ich hinschau, gefällt mir jede Junge«, sagte Hofer, »ich wollt', ich könnt' alle auf einmal heiraten, so hätt' doch meine arme Seel' einmal Ruh!«

Zu Hause erst war Hofer dahin zu bringen, das Gefecht zu St.-Anna ausführlich zu erzählen.

Georg war wirklich dabei gewesen, und zwar auf die wunderlichste Art von der Welt; der berüchtigte Schlangerlfranz war der Anstifter, und die ganze Sache hatte folgenden Hergang und Verlauf:

Es war beim Tanze, alles war froh auf, pfiff oder sang, und wer nicht so mithielt, der gab sich heiterem Geplauder hin.

Geht nun der Schlangerlfranz her und will einem Burschen, auf den er eifersüchtig ist, eine Tracht Schläge bereiten. Er nähert sich dem Trinktisch in der Kammer und setzt sich auf einen Randplatz neben Georg und dessen Nebenmann, einen jungen Hofherrn, zurecht und tut sehr zutraulich und spricht eine Weile so hin und her.

Auf einmal kommt er zur Sache, zu verschiedenen kränkenden Reden, welche der erwähnte Bursche über Georg und dessen Nachbar sollte geäußert haben; er findet anfangs Zweifel, erregt dann Argwohn, findet endlich Glauben; wie es einmal so weit war, ging Schlangerlfranz vom Trinktisch wieder fort, wie er gekommen, scheinbar arglos, lustig, jedem gut Freund und Vertrauter.

Da kam nach einer Weile der verleumdetet Bursche an denselben Trinktisch in der Kammer vorüber, es war ihm das Feuer in der Pfeife ausgegangen.

Im Vorübergehen dachte er: die zwei Männer (Georg nämlich und sein Nachbar) red' ich um Feuer in meine Pfeife an, und tat auch, wie er dachte.

»Geht, gebt mir einen Funken«, sagte er, »wer will von euch Männern? Und wie gefällt's euch heute da? Mulderer, du bist ja schon recht lustig gewesen heute?«

Georg erwiderte:

»Lustig ja, aber vor allen Leuten, nicht wie gewisse Ehrabschneider, die hinterm Rücken frech und lustig zugleich tun.«

Georgs Nachbar sagte:

»Lustig, o ja – da ist Feuer – Lumpen und Funken zünden jede Pfeif' an.«

Diese Worte machten den Burschen stutzig, er sagte:

»Was ist das! Wie soll ich das versteh'n?«

Georg erwiderte:

»Gesagt ist's, am rechten Haken wird's schon hangen bleiben!«

Der Bursche hielt eine Weile inne, um doch nachzudenken, wie er die Männer beleidigt haben könne, und sagte dann totenbleich:

»Lumpen und Funken?« ...

Als es so weit war, entwich der Schlangerlfranzl aus dem Wirtshause.

Bald darauf sah man's wanken, unruhig wogen im ganzen Hause, bald trat man hier, bald dort zusammen, wie um einen Sammelpunkt. »Lumpen und Funken«, hörte man oftmal wiederholen, bis es endlich mitten in der Tanzstube zusammenschoss zu einer wütenden Faustschlacht.

Glücklicher Weise war sie nur von kurzer Dauer, man erfuhr den Grund und Anstifter des Streites.

Die Burschen schlossen jetzt mit Georg und seinem Nachbar eine großartige Versöhnung, er musste in allem mit ihnen halten, und bei seiner Aufregung war das leicht getan, wie gesagt.

Georg tanzte mit jedem in die Wette, solange aufgespielt wurde, stellte sich dann mit den Burschen in einen Halbkreis, um die Musikanten, und die Lieder, welche er selbst anstimmte, waren folgende:

Der Bursch hat in Wien studiert
's Mäderl in Linz,
Und weil sie jetzt ausstudiert,
Halten's Priminz.

Nun bin ich verlassen
Nun bin ich allein,
Wie's Hollunderstäudlein
Dort unten am Rain.

Hab' manchen Baum g'schüttelt,
Hab' manchen Baum 'bogen,
Hab' manchem schön Mäderl
Vor'm Fenster vorg'logen.

Sooft ich vor's Fensterl komm',
Immer ist's Riegerl für;
Darf ich denn keine Nacht
Kommen zu dir?

Hinaus geh' ins Schüpferl
Und spalt' mir ein Holz,
Den ganzen Tag plagt mich
Dein Augerl, dein Stolz.

Gelt, hast mich kaum g'heirat'
Schon bin ich dir z'viel,
Du treibst mit der Jäg'rin
Viel lieber dein Spiel.

Die Jäg'rin, die Jäg'rin,
Die hat dich versucht,
Du wärst mit ihr gern auch,
Wenn's sein müsst', verflucht!

»Noch eins«, rief Georg den Burschen zu, »Und dann kramt ihr aus!«

Schau her, meine Schuh sind
Von Fuchsleder g'macht,
Sie schlafen bei Tag und geh'n
Aus bei der Nacht!

Hofer sah sich nun von seinem Schwiegersohne verlassen, denn unter die Burschen konnte er sich doch nicht mischen; er sagte daher zu sich selber:

»Hofer, jetzt hast du Zeit, dass du fortkommst«, und dem Georg sagte er ins Ohr:

»Bleib nur immer eine Weil' noch da, wenn's nicht über die Schnur geht, will ich schon Fürsprach' tun bei deinem Weibe!«

»Ja«, erwiderte Georg bier- und freudewankend, »sagt ihr's nur, ich kann mir nicht helfen, ich hab' mein Weib unmenschlich gern ..., aber heut muss ich mich absolvier'n, es geht drunter und drüber!«

Das alles sagte Hofer seinem Käthchen Wort für Wort wieder und trieb es mit seiner Lustbarkeit und Neckerei so lange, bis er schläfrig wurde und zur Ruhe ging.

»Du hast deinem Manne Leid genug gebracht, bevor er dich bekommen hat«, waren seine letzten Worte, »lass ihn einmal aus der Haut fahren vor Jubel, weil er sich im Sichern hat und sein Bruder ihm nicht mehr im Wege steht.«

Lange blieb Käthchen wach und sah durch das Fenster, ob Georg immer und immer noch nicht komme.

Es war schon Mitternacht herangekommen, und Georg war noch nicht da.

Jetzt ging Käthchen betrübt zu Bett, wachte noch lange vergebens – und schlief endlich ein.

Zehntes Kapitel.
Ein Ruf am Fenster

Gegen 2 Uhr morgens klopfte es leise an das Kammerfenster Käthchens, und Georgs Stimme rief:

»Käthchen, Käthchen! Hörst du mich? Ich bin da. Mach mir die Türe auf, dass mich die Knecht nicht kommen hören.«

Keine Antwort.

Georg drückte sein Ohr an das Fenster, um ja nicht zu überhören, wenn Käthchen etwas sagen würde; er wollte auf alles geschwinde etwas Liebes und Versöhnliches erwidern.

Aber vergebens strengte er sich an, Käthchen reden zu hören, sie regte sich nicht.

Er klopfte daher nach einer Weile wieder und sagte wie früher leise:

»Käthchen, ja du hast recht, ich verdien's nicht, dass du mit mir redest, aber rede doch etwas. Willst du mir aufmachen, Weibchen? Gelt du tust's doch?«

Käthchen regte und bewegte sich nicht.

Vor Verlegenheit und Sorge, Käthchen tief gekränkt zu haben, stand Georg eine Zeit lang schweigend da, biss sich in die Lippen und war grimmig gegen sich selber; doch ließ ihn ein heiteres Räuschchen, das er mitgebracht, nicht lange in dieser trostlosen Stimmung.

Er nahm lächelnd den Hut herunter, legte den Mund beinahe an die Fensterscheibe und sagte:

»Ich bin der Wenzel Godinger, dein Mann ist auf St.-Anna und saust wie ein Wilder herum, komm, lass uns ein Wörtlein vertraulich reden; dein Mann sagt, er brauche das ganze Jahr nicht zu Hause sein, du wärst ihm dennoch treu. Komm her, steh' auf, ich will wissen, ob es wahr ist?«

Er glaubte, jetzt müsse, müsse sie lachen und reden.

Nichts, keines von beidem.

Jetzt verging ihm das Lächeln, er trat vom Fenster weg und stand eine Weile rat- und hilflos da.

»Teufel!« seufzte er, »Teufel, Teufel! Was hilft's auch, wenn ich einen Knecht aufweck' und ins Haus komm', sie ist grundbös auf mich, und ich geh' nur dem Feuer näher, wo ich mich verbrenne. Ja, so ist's, man meint's oft nicht so schlimm, aber ein Esel ist man doch dann und wann. Was hat mir das Saufen und Tanzen auch notgetan, hätt's auch bleiben lassen können. Ach, ich könnt' mir eine Million Ohrfeigen geben!«

Jetzt fiel ihm ein, zum Schwäher hinüber zu gehen und bei ihm zu übernachten; aber das widerriet er sich selbst wieder, indem ja Hofer ganz zuverlässig einen Höllenlärm anfangen würde; erst würde er ihn als Pantoffelhelden stückweise auslachen, und dann würde er, das war am meisten zu fürchten, aufstehen und das Käthchen selbst aus dem Bette treiben.

Dazu durfte es Georg nicht kommen lassen.

Er beschloss also, da die Nacht freundlich war und ohnedies nicht mehr lange dauern konnte, sich auf die Bank vor dem Hause zu setzen und in Gottes Namen ein wenig zu schlummern.

Bald krähten die Dorfhähne auch, und die Leute standen nach und nach auf.

Kaum trat der Oberknecht Georgs aus der Türe, so sagte ihm Georg »bst!« ließ sich eine Axt geben und ging dann, nachdem er sich umgewendet, dem Walde zu, um Holz zu fällen.

Er dachte, wenn Käthchen von seinem frühen Fleiße hören würde, müsste sie notwendig wieder gut werden; auch nahm er sich vor, vor abends nicht nach Hause zu kommen, bis dahin müsste Käthchen ihren Unmut sicherlich besänftigt haben.

Als er ging, hörte er das Kind in der Kammer weinen, es musste eben erwacht sein; er blieb stehen, und es war ihm, als beschwichtige es eben die sanfte Stimme Käthchens.

Es betrübte ihn tief, dass er jetzt fort musste und nicht auch so freundlicher Zurede von Käthchen sich erfreuen konnte.

Aber so kommt es oft, dass folgenreiche Missverständnisse entstehen.

Der einfache Fall, dass Georg so leise und schüchtern geklopft hatte, dass Käthchen nicht davon erwacht war, hatte bald eine Kette von Leiden zur Folge, daran Georg und Käthchen und noch andere Leute lange zu tragen hatten.

Wäre Käthchen bei dem Rufen und Klopfen ihres Mannes erwacht, wie erfreut hätte sie gerufen:

»O, kommst endlich? Bist du wieder da?«

Aber da geschieht's gerade einem so bescheidenen Manne wie Georg, dass er bei seiner nächtlichen Heimkehr sich zu bedachtsam benimmt; ein Bär von Ehemann hätte eher das Fenster eingeschlagen, eh' er einen Zoll vom Hause gewichen; er hätte eher gesagt:

»Platz machen, Weib, oder ich setz' dich selber an die Luft!«

Wenigstens die Folgen, die Georg auf sich und sein Weib lud, wären auf diese Weise vermieden worden; aber da hatte Georg gleich weit aussehende Pläne von Sühnung seines Fehlers und lieferte sich nur neuen und größeren Fehlern in die Hände.

Es soll damit gemeineren Naturen nicht das Wort geredet werden, aber ein Wink mag es sein, wie übertriebene Zartheit und Güte im Leben oft ein Übel herbeiziehen, das sie vermeiden wollen.

Georg kam den ganzen Tag nicht nach Hause; auch am folgenden Tage und auch am dritten Tage nicht.

Wo war er hingeraten?

Hoffentlich erfahren wir das Nähere alsbald ....

Elftes Kapitel.
Stilles Leid. Gestörter Friede

Die Sonne neigte sich, die Schatten wurden länger, es wollte Abend werden – zum dritten Male seit dem Feste zu St.-Anna.

Und Georg war immer noch nicht nach Hause gekommen!

Im Laube der vier Linden vor Hofers Hause lärmte ein Heer toller Sperlinge, und sooft sie von einem Zweig auf den andern hüpften, fiel ein Gestöber von Lindenblüten nieder; so schüttelten auch die Reden der Freundin Vronl im Herzen Käthchens Blüh' und Blüte ab.

Beide saßen nicht weit von den Linden und wetteiferten in Geschäftigkeit: Käthchen »zwirnte«, und Vronl war mit einem Schaff Kartoffeln zu ihr herübergekommen, um sie in Gesellschaft zu schälen.

Vronl hatte schon lange das Wort allein geführt und fuhr jetzt fort, nachdem sie einer Kartoffel den »Putzen« ausgestochen:

»Ja, Käthchen, darfst mir's glauben, wie ich die Sachen hör', ist schier kein Herrgott mehr im Himmel und keine Ordnung mehr auf Erden. Hätten wir nicht selber Ordnung zu Haus' und wär' uns der Friede nicht so lieb, glauben tät' ich von heut an, alles Glück ist fort und alle Treu aus dieser Welt! Ich hätte meine Aussteuer zum Pfand gesetzt: so gut und lieb ist keiner mehr wie der junge Heiger, und jetzt schau' ein glückseliger Mensch den Duckmäuser an: er ist nicht vierzehn Tage vom Altar weg und hat sein Weib schon zweimal so geschlagen, dass sie weinend heimgelaufen ist; er betrinkt sich alle Augenblicke und karrabatscht unter Knechten und Mägden herum, dass es eine Art hat. Die Leute auf dem Kirchenweg spucken aus und reden laut über ihn! Denk jetzt, Käthchen, wenn das ein paar Wochen nach der Hochzeit geschieht, wie wird das wachsen, wenn ein Jahr um ist und erst Kinder kommen! Da muss es schief geh'n bis ins Welsche und nimmt in der Türkei noch kein End'!«

Sie warf eine geschälte Kartoffel in die Schüssel, dass das Wasser aufspritzte und griff nach einer anderen.

»Ach, Käthchen«, fuhr sie fort, »die Leute wissen nicht, wie gut sie's haben könnten. Da ist wieder die Trenzer-Lore, die trinkt heimlich Kaffee, und ihr Mann ist dahinter kommen. Das Feuer ist im Dach, und wer löscht es wieder? Gar keine Rede, dass die Lore vom Kaffee lässt, aber ihr Mann wird keinen Kreuzer Geld 'für geben, der Unfrieden ist fertig und gibt allerlei Mänklerei hinterm Rücken des Ehemannes. Getreid' wird verschwinden und Flachs und Obst und Leinwand, und niemand wird wissen, wohin. Ach, ich sag' dir, Käthchen, hätt' ich nicht schon geheiratet und wüsst', wie gut der Meine ist, ich tät's vielleicht nicht mehr aus Angst, ich oder mein Mann könnten doch später ausarten wie andere, man weiß ja selbst nicht, wie sündig wir werden. So aber dank' ich Gott, dass es geschehen ist, es ist doch das Allerbest', seinen Mann zu haben und sein sicheres Haus und im Haus wieder seinen Frieden, es geht nichts darüber. Und das sagst du auch, nicht wahr, Käthchen? Dich müsste es gar besonders kränken, wär's mit deinem Manne fehl gegangen, du hast von den zwei Brüdern die Wahl gehabt und hättest du den Rechten verfehlt, es wär' zum Totweinen traurig. Weißt noch das Lied?

Sie kommen zwei, drei, vier,
Ein jeder will mich haben,
Da wink' ich ein'n herfür,
Die andern lass ich traben!

Plutz, flog wieder eine geschälte Kartoffel ins Wasser, dann fuhr sie fort:

»Ja, sag' doch, Käthchen, hörst du denn vom Bruder deines Mannes, vom lieben Anton, gar nichts mehr? Das kannst mir glauben, Käthchen, das vergess' ich auch nicht, und wenn ich hunderttausend Jahr' alt werde, wie du ihn, den älteren Bruder, vorgezogen und er sich auf und davon gemacht hat; so viel wie er, übersteh'n auch wenige Menschen. Jetzt darf ich's ja sagen, Käthchen, weil du glücklich bist – ich hätt' mir den Jüngeren gewählt an deiner Stelle, und ich beschwör's bei meiner armen Seele, eine Heirat mit ihm wär' glücklich ausgegangen!«

Käthchen saß schweigsam da.

Wie schwer auch ihr Herz war, sie ließ den Kopf nicht sinken; wie lähmend auch Vronl's Plaudereien auf ihre Stimmung drückten, sie strengte sich nur umso mehr an, durch Geschäftigkeit ihre Fassung zu behaupten.

Das Rädchen flog, und die Hast der Anstrengung hatte zur Folge, dass Käthchens Wangen wie in Freude glühten.

Es war nur ein Glück, dass Vronl so viel mit sich selber zu tun hatte und weder auf Käthchens Miene achtete noch auf ihre Antworten wartete; denn jetzt besonders, als von Käthchens Manne und dessen Bruder die Rede war, hätten in ihrem Gesicht auffallende Entdeckungen gemacht werden können; aber Vronl fiel ein Lied ein, und das musste auch gleich gesungen werden:

Die Stern' am himmlischen Firmament
Die schimmern alle Nächte,
Bald sind sie hell und bald versteckt,
Grad' wenn man sie sehen möchte.

So brennt's im eigenen Herz mir fort
Durch Tag' und alle Nächte,
Ach bald so warm, ach bald so kalt,
Grad wenn ich mich wärmen möchte.

Ihr Stern' am himmlischen Firmament,
O Herz mit deiner Flammen,
Wann ist euer Frost und Nebel zu End',
Wann seid ihr nur lichtwarme Flammen?

Aus diesem ernsten Tone schnell in einen lustigen übergehend sang sie drauf:

Nur lustig »alert«,
Über Feld, über Berg,
Durch Wald, über Bach',
Meinem Herzelein nach.

So komm ich gradeaus
Zu mein' Liebsten sei'm Haus,
In mein' Liebsten sein Arm,
An sein Herzlein so warm.

Ich klag' ihm und sag',
Was ich sein'twegen trag,
Und freu' mich und sag',
Dass ich alles gern trag'.

Willkommen ist süß
Und das Scheiden tut weh,
Wie fühle ich dies,
Wenn ich wiederum geh'!

»Das ist wahr, eine Lerch' hab' ich geheirat', die ist um eine Million nicht zu teuer«, sagte jetzt eine Stimme hinter Vronl; es war die ihres Mannes, der eben vorüberkam.

»Grüß' dich Gott, Alterl, schon zurück?« sagte Vronl etwas verlegen, setzte aber gleich gefasst hinzu:

»Jesu, Gott! Du kommst mir wie gerufen! Just bin ich fertig; geh', heb' da den Schaff und die Schüssel auf und trag' sie mir nach, ich will vorausgehn. Zeit wird's, dass ich Feuer zur Nachtsuppe mache; allwärts qualmen die Rauchfäng' schon, nur die unsern nicht. Behüt' dich Gott, Käthchen, ich geh'!«

»Ja, aber liebes Weib«, bemerkte ihr Mann, »ich habe ja alle Hände voll Werkzeug, es ist keine christliche Möglichkeit, dass ich Schaff und Schüssel nachtrage; nimm mir wenigstens die Säg' aus der Hand!«

»Ist's dir wieder zu viel, was ich sag'?« erwiderte Vronl empfindlich: »Na, behalt nur deine Säg', ich will schon selber weiterkommen!«

Zu Käthchen gewendet fügte sie hocherrötend hinzu:

»Da siehst du, Käthchen, wie auch der gleich ausarten möchte, wenn man ihm Lung (Luft) lassen wollte; aber ich seh', Gott verzeih' mir's, zu viel nach und bin gestraft genug!«

»Du rotgoldig Weib!« sagte Lobeiner und legte die Werkzeuge auf einmal nieder: »So muss ich's halt so machen; gib her deine fünf Zwetschgen da, die werden wohl noch vom Platz zu schaffen sein, ich hol' mein Werkzeug später!«

Er nahm Schaff und Schüssel und trug sie hinüber in sein Haus.

Kaum aber war er einige Schritte gegangen, so fiel Vronl über die schweren Werkzeuge her und belud sich über und über damit; es war auch ein eiserner »Stößel« darunter, mit dem man Vertiefungen in die Erde stößt, um große Zaunpflöcke einzupfählen.

Aber das war dem eigensinnigen Weibchen nicht zu viel.

Hätte der Mann gleich folgsam gesagt: »Recht, so leg' ich meine Sachen hier nieder, gib her, was ich dir tragen soll«, so hätte Vronl wahrscheinlich erwidert:

»Ach, lass doch lieber, lass, du hast so alle Hände voll; ich will's gleich selber tragen.«

So aber war es ihr lieber, die schwerste Last zu schleppen, als ihren Mann über einen kleinen Liebesdienst einen Augenblick unschlüssig zu sehen.

»Gelt, du wirst Hunger haben, Gottlieb«, sagte sie mit verlegener Miene, als sie neben ihrem Manne zu gehen kam, »wart' aber, da will ich, vor die Nachtsuppe fertig ist, ein paar Eier einschlagen, so hast du gleich ein kleines Voressen.«

Gottlieb hörte mit Vergnügenden Geist der Reue aus seinem Weibchen reden und lächelte über die Last, welche sie sich auferlegt hatte, um ihren Fehler gut zu machen. Er war aber vorsichtig genug, an sich zu halten, und so setzte er Schaff und Schüssel nieder und sagte:

»Bravo, Vronl, dass du mir ein Voressen kochen willst; lass aber das Werkzeug da liegen und lauf voraus, mich hungert sehr!«

Vronl war froh, zum Niederlegen der schweren Werkzeuge aufgefordert zu sein, denn schon konnte sie nicht mehr recht von der Stelle, alle Glieder schienen ihr zu krachen.

»Aber das Schaff musst du mir wenigstens geben«, sagte sie, als sie mit einem Seufzer der Erleichterung die Werkzeuge fallen ließ.

»Nein, geh' du nur leer voraus«, erwiderte Gottlieb, »wirst müde genug sein für heute – geh' nur, geh'!«

Vronl sprang jetzt voraus, und bald rauchte der Schlot.

Als Vronl ihrem Manne die Eier vorsetzte, sagte sie:

»Gelt, wir sind wieder gut Bruder und Schwester miteinander? Sie (und sie strich ihm die Haare aus der Stirne), die Freundin Käthe drüben könnt' glauben, wer weiß, wie hoch es mit unserem Unfrieden wär', wenn ich dich um etwas bitt' und du magst es nicht zu Liebe tun. Es ist so gar zu viel Unfried' herum, was sollen wir auch noch den Leuten zu reden geben? Da wär' ja am Ende niemand mehr gut mit ihrem Mann als das Käthchen drüben!«

Bei diesen Worten sah Gottlieb sehr betrübt drein, dann sagte er:

»Weißt du denn nichts?«

»Was soll ich wissen?« fragte Vronl neugierig.

»Ja so, wenn du's nicht schon weißt, so will ich dir's lieber doch nicht sagen.«

»Nun, Arm und Bein wird's nicht kosten, wenn ich das Staatsgeheimnis auch erfahr'? Dass du immer gleich niederduckst, als müsst' alles gleich unterm Wasser gehalten werden!«

»Schau, lass mich's doch verschweigen. Du hast keinen Gewinn davon, wenn ich's sag'; ich bin auch nur so herausgeplatzt, und mich reut's schon wieder. Vielleicht ist's auch nicht wahr, was ich weiß – und glaub' mir, ich weiß auch eigentlich nichts!«

Vronl lachte empfindlich und sagte:

»Ich hätt' dir's heiß abgesotten, aber du willst's lieber roher behalten!«

Dann ging sie in die Küche.

Gottlieb aß die Eier, bevor sie kalt wurden, und ging dann bis an die Küchentüre, rufend:

»Alte, bring mir eine Kohle auf die Pfeif', ich hab' kein Feuerzeugs da!«

Vronl brachte die Kohle; Gottlieb hielt sie fest und sagte:

»Weil du dir gar so viel draus machst, will ich dir doch sagen, was ich vom Käthchen drüben und ihrem Manne weiß.«

Vronl tat, als ob sie sich losmachen wollte und erwiderte:

»Ich muss auch nicht alles wissen; behalt's nur, ein ander Mal weiß ich, was ich zu tun hab'.«

Gottlieb lachte, als wollte er sagen, deine Geheimnisse gehen ohnedies durch die Ohren hinein und zum Munde wieder heraus; dann zog er sie neben sich auf die Ofenbank nieder.

»Sieh', begann er, »du hast vorhin vom Heidenglück des Käthchens drüben gesagt und weißt nicht, wie es auch bei ihr aus allen Fenstern brennt. Freilich wissen noch wenige davon, aber so ein Unfriede kann nicht lange verborgen bleiben. Du glaubst zum Beispiel, Käthchens Mann ist drei Tag' her, wo er nicht gesehen wird, in der Stadt und will ein Pferd und anderes kaufen; ei, vexier' dich nicht, das pfeift aus einem andern Ton. Der Mulderer sitzt die drei Tag' in Nadenstein und trinkt und spielt, und wenn er einen Rausch ausgeschlafen hat, fängt er einen frischen an!«

Vronl wurde totenbleich und sagte sehr erschrocken:

»Das ist das erst' Mal, dass ich merk', dass du auch ein loses Maul hast. Es ist nicht wahr, und da setz' ich meinen Kopf zum Pfand, dass es nicht wahr sein kann! Kehr' deine Red' um, Gottlieb, du bist sein bester Freund gewesen, sag' nicht gleich nach, was andere böse Leut' erzählen. Sieh; wenn es wahr wär', da hätte man gewiss nicht versäumt und hätte mir auch davon gesagt, aber man hat gewusst, dass ich's abgewiesen, dass ich kein Wort davon geglaubt hätte! Schau, sag' mir auch, dass du die ganze Wüstheit nicht glauben kannst; es ist auch ganz sicher nicht ein Stümpfchen wahr daran, dafür verwerk' ich mich und unser Haus dazu! Und kodeka, es wär' so: wie hätt' mir das Käthchen alles, alles so verschweigen können?«

»Ja, das verdient, dass ich dir's erklär'«, erwiderte Gottlieb: »Sieh, das Käthchen ist ein liebes Weib und hat nicht Ihresgleichen. Die lauft nicht wegen jedem Wort oder wegen einem Unglück, das niemand angeht, auf die Straß und schreit ihren Unfrieden aus, damit die Leut' was zu reden und zu spotten haben; nein, das Käthchen weint höchstens in ihrer Kammer und kommt wieder mit einem Gesicht hervor, dem nicht gleich jede Neugier was abguckt, und das ist recht und schön von ihr und macht ihr Ehre. Denn es kann sein, ihr Mann kommt von seinem Abweg zurück, wie wird er seinem Weibe danken, dass es seine Schande unterdrückt hat, und er wird ihr einen solchen Liebesdienst sein Leben lang nicht vergessen. Es ist auch ganz recht, dass das Käthchen nicht einmal dir was gesagt hat; es gehört sich nicht, dass man das Üble gleich weitersagt. Das Gute hat dir Käthchen gewiss immer gleich gesagt; nun sieh, so musst du ihr auch keinen Vorwurf machen. Merk' aber, dass ich dir's auch nur im Geheimen sag', weil ich meinem Weib nicht gern was verschweig'. Tu' vor dem Käthchen, als ob du gar nichts wissest, und den Leuten wirst du ohnedies die Sache nicht weiter sagen. Es wissen's nur wenige Männer im Dorf, kein einziges Weib, drum ist noch alles still davon.«

»O, du heilige Mutter Gottes, mir schwindelt der Kopf, ich mein', ich muss zusammenbrechen!« rief Vronl.

»Wär' gar kein Wunder«, fuhr der Lobeiner fort, »ich hätt' auch alles andere eher geglaubt, aber es ist so und leidet keinen Zweifel. Ich muss selbst sagen, ich bin betrübt darüber. Du kannst es glauben, Vronl, wird's mit dem Mulderer nicht besser, so geht Käthchens Hausglück unter mit Mann und Maus!«

»Heiland!« rief Vronl, »was hab' ich vorhin alles durcheinander gered't und unglücklicherweise gerade immer vom Unfrieden in der Eh', und sie hat dabei so viel Unglück in ihren Herzen gehabt! Ich mein', es hätte ihr springen müssen! Heilige Maria! Wenn sie aber geglaubt hat, ich hab' so geredet und gesungen, weil ich von ihrem Unfrieden gewusst? ... Ach, da muss ich gleich hinüber ...«

»Huiii!« sagte Lobeiner und hielt sie zurück: »Und willst dein Geheimnis brühwarm zutragen! Was du gleich für Hitze hast, wenn man deiner Zunge einmal Zaum und Zügel anlegen will! Glaub' was anders, als dass dir das Käthchen solche Böswilligkeit zutraut, sei lieber ruhig und wart' ab, ob es nicht besser wird, und bet' ein Vaterunser im Stillen für deine Freundin!«

»Das steckt mir wie ein Messer in der Brust«, sagte Vronl, »ich wein' mich halb zu Tod!«

»Sei ruhig«, erwiderte Lobeiner, »dass dich niemand hört.«

»Denk', wenn es uns auch so erging'.« –

»Nun, es kommt auf dich an, dass es uns nicht so ergehe.«

»Verzeih, lieber Mann, ich hab' heut' schon ein paar Mal unrecht aufbegehrt.«

»Ich hab' dich dafür sanft behandelt, das macht ja immer alles gut.«

»Jetzt müsst' ja das Käthchen zuletzt unser Glück beneiden!«

»Drum müssen wir über ihr Unglück trauern.«

Gottlieb verstand sein Weib auf die beste Weise zu behandeln, und nur dadurch war auf dauerhaften Frieden zu bauen; die kleinen Zänkereien waren nur fruchtbare Frühlingsregen, auf welche lieblicher Sonnenschein der Versöhnung folgte.

Anders stand es jetzt in Käthchens Hause, wie wir gesehen haben, und wir müssen bemüht sein, das Nähere zu hören ...

Zwölftes Kapitel .
Die verhängnisvolle Heimkehr

Wir erinnern uns, wie Georg Mulderer in jener Nacht vom St.-Annafeste nach Hause gekommen ist, wie er zufällig durch zu leises Klopfen am Kammerfenster sein Weib nicht aufgeweckt und auf diese Art den folgenreichen Argwohn geschöpft hat, Käthchen sei grundmäßig und unversöhnlich böse auf ihn und wolle sich nicht melden; wie er dann gewartet hat vor dem Hause, bis der Morgen graute, und wie ihm der erste Knecht, der sich zeigte, eine Hacke geben musste, mit welcher er dem Walde zuging.

Hier haben wir ihn verlassen, um ihn nach drei Tagen – im Radensteiner Wirtshause unter Spielern und Trinkern zu finden, selber spielend und dem Glase zusprechend wie ein Alter.

Wie das alles kommen konnte, das ist wohl die nächste aller Fragen, und die Antwort soll nicht auf sich warten lassen ...

Georg hatte am ersten Morgen im Walde sein Bestes getan, zwei Knechte hätten nicht mehr in gleicher Zeit vollbringen mögen, und zu Mittag war er, da er seinem Käthchen nicht im vollen Tageslicht vor Augen kommen wollte, nach dem nahen Radenstein gegangen, um sich da zu stärken.

Das war auch bald getan, und so wollte er für den Nachmittag in den Wald zurückkehren, unter fleißiger Arbeit den Abend herankommen lassen und dann während der Dämmerung nach Hause wandern, um sich mit Käthchen zu versöhnen.

Georg überlegte während der Arbeit allerlei Reden, die er bei seiner Heimkunft wirksam anbringen wollte, und besonders eine schien ihm überaus gelungen, die wiederholte er sich halb laut, sooft er bei der Arbeit inne hielt oder sich rastend auf das Gras hinstreckte.

Der Abend kam; die letzten kräftigen Hiebe spalteten noch einen Block, dann legte sich Georg die Axt über die Schulter und gedachte heimzukehren.

Er war auch schon eine Weile so dahin gegangen, als er plötzlich stille hielt und zweierlei Dingen Gehör gab, seinem Durste, der sich wirklich in diesem Augenblicke dringend meldete, und dem Gedanken, dass es gar nicht schaden könnte, vor der Heimkehr sich noch ein wenig Mut zu trinken.

Rasch lenkte er noch einmal um und sprach im Radensteiner Wirtshause ein.

Und wen traf er da?

Gute Gesellschaft, fast dieselbe, die am Tag zuvor zu St.-Anna mit Georg um einen Tisch gesessen hatte, den stets betakelten Wagner-Wichel nicht ausgenommen.

Da war nun Georg eine willkommene Erscheinung.

Gleich wurde Platz gemacht, und da eben von der gestrigen Streitgeschichte lebhaft die Rede ging, führte das augenblickliche Interesse ihn auch gleich mitten in die Unterhaltung.

Das war nun alles recht schön und gut, aber unter dem lebhaften Reden und Trinken verging die Zeit, und eh' man sich's versah, war die Mitternacht auf den Zehen da. Jetzt besann sich zwar Georg und wollte unwiderruflich fort, aber wie er vor die Haustüre hinaustrat, goss ein so heftiger Gewitternachtregen herunter, dass es nicht möglich war, fünf Schritte zu gehen, ohne durch und durch nass zu werden.

Die Gesellschaft empfing den Zurückkehrenden mit Jubel, man begehrte Karten, um den Heidenregen besser abzuwarten, und einer sagte; indem er Georg neben sich niederzog:

»Lass einschenken, Görg, heute zahl' einmal ich!«

Aber aller Überredung und Verführung zum Trotze stand Georg nach einer Stunde wieder auf, um nach Hause zu gehen.

Der Regen hatte aufgehört, und es trat sogar der Mond aus den Wolken, der dem Wanderer die Heimkehr erleichterte.

Georg fand sich auch ganz sicher auf dem Waldwege zurecht, bald erreichte er den Waldessaum, und im Mondenschein lag das Dorf vor seinen Blicken.

Jetzt verdoppelte er seine Schritte, voll Sehnsucht heimzukommen, stutzte aber auf einmal, blieb stehen und horchte sehr befremdet nach dem Dorfe, um die Art des Lärmes zu erraten, der sich dort vernehmen ließ.

Es war ein Schreien, Pochen, Lachen und wütendes Rufen durcheinander, dass der Grund dieses Treibens nur sehr schwer zu erraten war; im Dorfe selbst musste jeder, der schlaftrunken aufsaß, bald ebenso am Glauben an Feuergefahr irre werden wie am Gedanken an ein lustiges Ereignis; denn zu einer ernsten Geschichte konnte unmöglich so viel gelacht, zu einer lustigen unmöglich so sehr gewütet werden.

Während eine Schar von Menschen heftig lachte, schrie namentlich eine Mannesstimme wilde Worte dazwischen.

»Reg' dich nicht! Wehr' dich nicht! Kreuzhimmeldonnerwetter, es ist dein letztes End'!«

Es war Hofers Stimme, welche also rief.

Aber auf diese Zornausbrüche folgte wieder das laute, anhaltende Gelächter einer versammelten Menge vor Hofers Hause.

Der Mond schien eben sehr hell und ließ jede Gestalt der lärmenden Versammlung und die Häuser und Gegenstände herum ganz deutlich sehen.

Aus einer runden, fast unterm Dache befindlichen Wandöffnung des Hofer'schen Hauses reckten sich zwei lange, behoste Beine, die sich wie zwei Windmühlenflügel immer hoben und senkten. Hofer, der die heftigen Worte rief: »Reg' dich nicht! Es ist dein letztes End'!« schlug jetzt eine riesige Hausflinte gegen die zwei Beine an, während einige Burschen eben eine Leiter an die Hauswand lehnten, um die Beine mit allem, was als Oberkörper daran hing, herabzuholen.

Der Oberkörper des im Wandloch steckenden Menschen aber spielte indes auch seine Rolle, und zwar im Raume des Dachbodens; er rief soeben mit großer Angst und Hast:

»Käthchen, o Käthchen! Hilf, ich sterbe, rette mich! Deinetwegen bin ich da, o hilf!«

Gegenüber der Wand, getrennt durch den ganzen Raum des Bodens, stand das Bett der Hausmagd. Das Mädchen, kurz zuvor durch den Tumult vor dem Hause aus dem Schlaf geschreckt, entsetzte sich im ersten Augenblick vor dem schwebenden Körperteile eines Menschen, der dem Vorderteile eines schwimmenden Frosches glich, denn nur sachte bewegten sich die in der Luft fechtenden Hände. Des Mädchens erste Angst, einen Dieb durch das Wandloch sich mühen zu sehen, schwand, als sie die gepressten Worte hörte: »Hilf, ich sterbe, Käthchen!« Denn er erriet nun gleich, ein Bursche sei in der Absicht, auf den Boden zu gelangen, im Wandloch stecken geblieben.

Bald darauf traten die Knechte Hofers in den Bodenraum, packten die verdächtige Windmühle im Wandloch, und indem sie selbe von innen nach außen schoben, half draußen ein Bursche auf der Leiter nach.

Bald war denn auch der Eingeklemmte – niemand anders als der Schlangerlfranz – aus einer Klemme auf den sichern Erdboden herabbefördert.

»Was hast du in meinem Haus gewollt? Warum steht die Leiter da, und warum bist du da hinaufgestiegen? Wer bist du, und wie heißt du? Rühr' dich nicht, und wehr' dich nicht ... Warum steht die fremde Leiter da?«

Mit diesen heftigen Worten empfing der Hofer den jammervoll Gerüttelten und folgende Rede, Fragen und Antworten wechselten jetzt zwischen beiden:

»Vetter«, flehte Franz, »ihr seid ein guter Mann, ich bitt' euch, lasst mich fort, ich hab' in euerm Hause nichts gewollt, kein Hälmel Stroh und keine Schindel vom Dach – o lasst mich los und fort!«

»Heiß' mich nicht Vetter; reg' dich nicht! Du hast was gewollt in meinem Haus!«

»Um Gotteswillen, Vetter, wenn ihr mich fortlasst, so red' ich, Vetter!«

»Ich lass dich los, wenn du redest. Red' oder ich drück' die Flinte ab. Was hast du in dem Haus gewollt?«

»Vetter ... Vetter ... nichts ... Um Gotteswillen ...«

Plötzlich riss Franz seinen Arm so heftig aus Hofers Händen, dass er ihn frei bekam, und im nächsten Augenblicke hatte er auch die Reihe Burschen, die wachehaltend um den Schauplatz standen, durchbrochen und die Lücke zur Flucht benutzt.

Mit einem Freudensprunge und einem Jauchzer sprang er davon und rief, als er sich sicher wusste, zurück:

»Hofer, ho, ho! Zu euerm Käthchen wär' ich eingestiegen!«

Ein betäubendes Gelächter folgte; einige Burschen wollten ihm nachsetzen, aber man hielt sie zurück und sagte:

»Lasst ihn laufen!«

Hofer rief ihm zwar noch einige Worte im Tone des Zorns nach, stimmte aber dann selbst in das Gelächter ein.

Man besprach nun scherzend die Sache weiter, und es ergab sich, dass die Burschen die ganze Geschichte angezettelt hatte, um ein kleines Strafgericht über den Schelm ergehen zu lassen. Der eine von den Burschen hatte sich nämlich in Franzens Vertrauen geschlichen und ihm weisgemacht, das Hofer-Käthchen sei zum Sterben in ihn verliebt und habe sich deshalb seit Kurzem ihr Bett auf dem Boden aufschlagen lassen, um ihn dort erwarten zu können. Nun glaubte der Schelm dem Schelme, und diese Nacht wollte der Schlangerlfranz einen Versuch zu seinem Glücke machen; aber kaum sahen ihn die Burschen, die ihm gefolgt waren, auf der Leiter, als sie den Hofer weckten; Franz wollte noch vor der Entdeckung geschwind in Sicherheit kommen, drückte sich durch Bodenloch, soweit es ging, und blieb zu seinem Unglücke und zum Ergötzen der Versammelten in demselben stecken ...

Georg war nicht nahe genug gekommen, um die einzelnen Worte zu verstehen, allein er konnte recht gut erkennen, dass die Szene eben vor seinem Hause vorfiel; Hofers durchdringende Stimme hätte ihn schon davon überzeugen müssen. Wie nun ein schuldiges Gewissen leicht mit Befürchtungen sich erfüllt und bei jedem Geräusche sich gefährdet wähnt, so besorgte auch Georg, es möchte dieser Lärm ihn selbst in irgendeiner Weise betreffen. Ungeachtet aller Neugierde wollte er daher abwarten, bis sich die Leute verlaufen hätten, um dann stille in das Haus zu schleichen und unter vier Augen mit Käthchen die nötige Versöhnung abzumachen. Allein der Lärm wollte noch lange nicht nachlassen, und als sich die Meisten der Versammlung schon entfernt hatten, blieben doch einzelne Männer und Burschen zurück, die sich noch in allerlei Nachtrag und Ergänzungen ergingen. Georg setzte sich auf einen Baumstamm nieder, um auszuruhen und geduldig abzuwarten; endlich sagten sich die letzten Männer auch »Gute Nacht«, und die Burschen sangen vom Hoferhause weg durch das Dorf; aber da waren Georg unmerklich leise die Augen zugefallen, und er schlief einen ruhigen, tiefen Schlaf – bis zur Morgensonne.

Als er erwachte, riss er die Augen höchst verwundert auf und blickte schlaftrunken und mit Staunen um sich her.

Erst nach einer Weile besann er sich, wie er hierhergekommen und mitten in seinen Gedanken und Erwartungen müsse eingeschlafen sein.

Was war nun jetzt zu tun? Nach Hause gehen – jetzt, wo abermals die Sonne hell auf ihn und seine Schuld herabschien? Jetzt in sein Haus treten, wo ihn alles wie ein Gespenst am hellen Tage anschauen und belächeln würde? Sollte er das Gesinde ein Schauspiel sehen lassen, wie ihn Käthchen, das gekränkte und betrübte Weib zürnend und vorwurfsvoll empfange?

Nein; lieber wollte er noch einen Tag im Wald verleben, um sich mindestens bei Nacht die unerlässliche Buße der Heimkehr aufzuerlegen.

Er stand daher auf und ging dem Walde wieder zu, den Hut tief in die Augen herabgedrückt.

Am Waldessaume schloss er sich an den Meier an, der eben auch denselben Weg ging, und verlor sich mit diesem in dem Waldesdunkel.

Der Meier wusste von Georgs Schicksalen seit dem St.-Annafeste nichts und sagte daher ganz arglos:

»Ah, Mulderer, guten Morgen, auch waldeinwärts wie ich? Gut, gut, geh'n wir miteinander ... Jesu Christ, ihr habt ja einen gotteslästerlichen Spaß verwichene Nacht vor euerm Haus erlebt! Was sagt ihr denn dazu? Mich wundert's, dass ihr dem Schelm, dem Schlangerlfranz, nicht ausgiebiger auf das Leder gekommen seid – nun freilich ist's der ganze Mensch auch nicht recht wert!«

Georgs Wangen wurden dunkelrot, er blickte weg und tat, als wisse er die ganze Sache nur zu gut.

»Dem Schlingel«, sagte er, »will ich doch noch einmal beikommen, dass er an mich denkt mein Lebtag!«

»Ah«, erwiderte der Meier, »diesmal müsst ihr ihm's nicht zu hoch aufnehmen, diesmal ist der Esel an ihm zu stattlich zum Vorschein kommen!«

Er lachte herzlich; Georg schwieg und trennte sich dann mit einem: »Behüt' Euch Gott!«

Etwa eine Stunde mochte Georg grimmig gegen sich selbst, sich ins Gras geworfen haben, als er wieder aufsprang und dem Orte zuging, wo er den Meier Holz hacken hörte.

Er nahm sich nun fest vor, dem Meier alles zu gestehen, was er seit dem St.-Annafeste erlebt und was ihm jetzt am Herzen lag, der Meier sollte ihm als Friedensbote dienen, und wenn er mittags nach Hause ginge, bei Käthchen einsprechen und ihr von Georg einen schönen Gruß und Versöhnungsantrag überbringen.

Gern übernahm der Meier das Versöhnungswerk, und mittags trennten sie sich; Georg wollte den Meier mit einer Antwort am Waldessaume erwarten.

Aber der Nachmittag verging, und der Meier kam nicht; es wollte Abend werden, und der Meier kam immer noch nicht.

Da fing Georg an, sich in eine unnatürliche Wut hinein zu hetzen, die erst gegen sich, dann gegen den Nachbar Meier und zuletzt gegen das Käthchen selbst sich wendete.

»Alles ist schlecht und unversöhnlich«, rief er aus, »es ist recht und billig, dass ich alles hasse, was mir vorkommt, Mensch oder Tier und das erste, was ich tun will, ist, dass ich mir – einen Rausch antrinke – einen Rausch ... an dem wir was erleben sollen – bei Gott, bei Gott!«

Er ging auch gleich, die Rachedrohung zu erfüllen.

Der Unglückssohn; während er Käthchen unversöhnlich glaubte und sich in Hass gegen alles aufstachelte, weinte Käthchen über sein langes Ausbleiben, suchte der alte Hofer ihn allenthalben vergebens, war nur der Meier durch einen Zufall gehindert worden, seinen Auftrag bei Käthchen zu erfüllen, denn ein Bote war ihm schon auf dem Heimwege entgegen geeilt und hatte ihn benachrichtigt, dass sein Weib auf einmal todkrank geworden sei und den Arzt und Priester verlange!

Darüber hatte der Meier natürlich seinen ganzen Auftrag vergessen.

Erst abends kam ein Bekannter vorüber, der etwas unvorsichtig meldete, wie er den Georg zu Radenstein im Wirtshaus trinken und spielen gesehen. Der alte Hofer machte sich sogleich auf, den Schwiegersohn um jeden Preis heimzubringen. Der Alte fühlte wohl auch einigen Vorwurf, dass er dem Georg bei dem St.-Annafeste kein besseres Beispiel gegeben, aber seine glückliche Natur überwand bald diese herbere Philosophie des Lebens.

So war die Dämmerung gekommen, und in den Häusern wurde die Nachtsuppe aufgetragen; vor den Häusern sah man hier und dort eine verspätete Ente oder Gans heimtreiben und des Heinzelbauern Bub' musste noch in aller Eil' mit der Dose zur Semmel-Leni springen, um noch eine Prise zu holen, eh' gesperrt wurde; denn die Semmel-Leni steht, wenn sie einmal liegt, nicht mehr auf, und wenn man ihr das Haus über den Ohren anzündet.

»Ist unser Herrgott draußen«, sagte sie, »der kann überall herein, und ein anderer Türk soll beim Tageslicht kommen!«

Da schlug plötzlich die Abendglocke an, des Heinzelbauern Bub' sagte zu sich selber: »Halt, Bräunl«, und tat, als hielt er die Zügel eines Reitpferdes an: »Langsam, Mäusel, hörst nicht läuten?« fuhr er fort, zog die Mütze, legte sie auf die Brust und kreuzte die Hände darüber; langsam weiter gehend, betete er seinen englischen Gruß ...

Drüben beim Tannenwäldchen zog in diesem Augenblicke auch jemand seinen Hut, als im Dorfe die Abendglocke anschlug, es schien ein Fremder zu sein, er blieb stille stehen und verrichtete sein Gebet mit Andacht.

Als dies vorüber war, setzte er seinen Hut wieder auf, blickte eine Weile vor sich hin, und dann sagte er mit bewegter Stimme:

»Es freut mich, dass ich dich wieder seh', o Heimat! Ich glaube, jetzt verlass ich dich nimmermehr!« ...

Er ging eine Weile gegen das Dorf hin, aber bei der »Häng« hielt er wieder an.

»In allen Häusern«, sagte er, »ist Licht, auch in der Gesindestube bei meinem Bruder. Sie werden jetzt alle beim Essen sein.«

Still betrachtend ließ er sein Auge auf den beleuchteten Fenstern ruhen; plötzlich schritt er schneller weiter, als könne er seiner Sehnsucht nicht mehr Einhalt tun.

Nachdem er die Anhöhe, auf der das Jägerhaus steht, oben war, lächelte er wehmütig und blickte um.

Er erinnerte sich, wie oft er einst fuhrwerkend diese Höhe herauf gehastet; heute hatten ihn zwei wandermüde Beine heraufgeführt. Freilich, wenn er einst hier neben Pferden oder Stieren herschritt, dachte er oft: »Eine größere Last als ihr hab' ich zu tragen; kommt ihr nach Haus, so werdet ihr losgespannt, und eure Müh' wird verschnauft und an der Krippe vergessen, mir aber wird zu Haus erst die größte Last zuteil, ich bleibe im Joch bei Tisch wie im Feld – und wenn ich schlafe, dann ist's erst recht, als keuch' ich über die höchsten Berge hinaus.«

Heute war sein Herz doch leichter.

Am Häuschen der Semmel-Leni vorüberschreitend, sah er den Buben des Heinzelbauern mit der Dose herausspringen, einen Hopser machen und fast auf die Nase fallen; er fasste, um sich vor dem Sturze zu sichern, eine Ecke der Holzschar und riss eine ganze Front des zierlich geschichteten Kleinholzes ein.

Lachend sprang er auf den Anger, klopfte auf die Dose und sang:

Auf die Dosen klopfen,
Eine Pfeife stopfen
Und ein' Sechser suchen
Auf ein' Schnaps!

Dabei nahm er mit unsäglichem Behagen eine Pris' und sagte; indem er wie besessen schreiend die Flucht ergriff:

»So macht's mein Vater, der Heinzelbauer!«

Die Semmel-Leni schoss zornig heraus und rief:

»Wart' du Rab', komm mir noch einmal ins Geheg! Wirft einem der Racker das ganze Gehölz da über'n Haufen!«

Der Fremde ging mit einem: »Gelobt sei Jesus Christus« an ihr vorüber, sie dankte, »In Ewigkeit, Amen«, und blickte ihm befremdet nach, denn sie glaubte eine bekannte Stimme zu hören.

Im Hintergebäude des Hofer'schen Hauses legte der Fremde seinen Pack ab und warf den zusammengerollten Mantel darüber; mit dem Stocke allein ging er nach dem vorderen Wohngebäude.

Die zwei Stalltüren waren angelweit offen; aber er blickte nicht hinein, denn ihn beschäftigte sein Herz zu lebhaft mit den Menschen im Hause. Noch saß hier alles bei Tische; Löffelgeklirr und Stimmen konnte er aus dem nahen Fenster hören. Es war beinahe finster geworden.

»Ich will warten, bis sie abgegessen haben, es sollen mich nicht alle auf einmal sehen«, sagte der Fremde vor sich hin; seine Stimme zitterte, seine Pulse flogen.

Er setzte sich unweit der Türe auf die Wandbank und lehnte seine Stirn auf die über den Knotenstock gekreuzten Hände; eine Träne fiel aus seinem Auge und fing sich an dem Stocke, langsam hinunter rinnend. Nach einer Weile entstand im Hause Geräusch, die Leute standen auf und verrichteten ihr Tischgebet. Da sprang der Fremde, wie von heftiger Sorge getrieben, empor und wollte fliehen.

»O Gott, o Gott«, rief er, »was hab' ich da getan und bin heimgegangen! Eine Stimme aus der Hölle hat mir weisgemacht, ich könne getrost wieder heim und alles tragen. – Nichts kann ich tragen, da steh' ich vor der Türe, und wenn ich rauschen höre, mein' ich, sie ist's, und die Knie brechen mir. Wär' ich wieder über Berg und Tal hinaus!«

Das Gesinde hatte sich von der Hausflur aus durch eine Nebentüre nach der Stallung begeben, es ließ sich also niemand vor dem Hause sehen.

Indessen fasste sich auch der Fremde wieder und fuhr fort:

»Wenn ich wüsst', wie's drinnen steht, glücklich oder unglücklich, dann wär' mir leichter. Ist Käthchen mit meinem Bruder glücklich, so behüt' sie Gott im Himmel!«

In diesem Augenblicke hörte man Männerstimmen von der Halbstraße her; die eine der Stimmen schien die eines Betrunkenen und übertönte alle anderen, die beschwichtigten und um ein stilles Betragen baten.

Man kam langsam näher, und es war bald zweifellos, dass die Schar Männer, darunter Hofer, den betrunkenen Georg aus dem Wirtshause brachten.

Georg wütete und tobte gegen die friedlichen Männer, welche ihn führten, und hatte wahrscheinlich, wie Trunkene gewöhnlich pflegen, Beleidigungen vor Augen, die ihm zugefügt sein sollten. Deshalb schrie er ganz unsinnig:

»Halt, halt, halt! Den – sagt ihm's nur, den – Tod und Teufel! Glaubt ihr, ich bin betrunken? In kleine Stücke zerreiß' ich ihn – den – so oder so – nur lasst mich los! Ich bin ein Mann und hab' Respekt vor mir selber, ich bin ein ehrlicher Mann und tu' keinem Lamm ein Leides; aber einen solchen Hund, einen Kerl, der mir so begegnet – den erwürg' ich da auf der Stelle. Ich betrunken! Ihr seid keine Freunde, ihr lasst mir alle entwischen, meine ärgsten Feinde! Los, sag' ich – ich bin nicht betrunken! Dort ist mein Haus, es ist Licht bei meinem Weib in der Stube; wer mir nachkommt, dem zerbrech' ich alle Knochen ... Ich muss mit meinem Weib alleine reden!«

Unter solchen Wutausbrüchen war man vor Hofers Hause angekommen; – plötzlich stemmte sich der Trunkene mit aller Gewalt und wollte nicht weiter.

»Sei gescheit«, sagte Hofers Stimme, »folg' uns still hinein, wir ziehen dich aus und legen ich in deine Kammer, bedenk', es sieht und hört dich sonst dein eigen Gesind' – und kränk' dein Weib nicht so!«

Georg schwieg eine Weile, wie von einem lichtern Augenblicke heimgesucht, dann sagte er:

»Ja, halt und wartet ... Vor meinem Gesind' muss ich's sagen ... Ruft mir alle her, alle solle sie kommen!«

Der Lärm hatte die Hausbewohne ohnehin herbeigelockt, nur Käthchen fehlte.

»Ihr Schelme«, rief ihnen Georg entgegen, »was ist das für eine Wirtschaft? Sind das auch Gesichter? Seid ihr alle betrunken?«

Der Oberknecht trat näher und sagte ernsthaft:

»Meister, geht hinein und macht euch vor den Leuten keine Schande. Hört, wie euer Weib drinnen weint; könnt ihr so was tragen?«

Georg wollte auf ihn los:

»Was du«, rief er, »kommst du von der Kanzel, dass du mir so ins Gewissen reden willst? ... Wart', lass' mich nachdenken, wie ich dich heißen soll, du – du betrunkener ... du ... Wo ist mein Weib? Heraus mit ihr! Sogleich soll sie kommen, oder ich will an die Türe trommeln, wie das Jüngste Gericht!«

Käthchen hatte ein Fenster geöffnet und sagte bebend heraus:

»Georg, bist du's und fragst nach mir? Komm doch herein, was sollen wir draußen? ... Endlich bist du da, wie bin ich in Sorgen gewesen!«

»Was«, erwiderte Georg, »ich komme so weit her und du fürchtest die Müh' bis vor die Türe? Eine so gnädige Frau ist mein Weib? Ei du – ei du ...«

»Halt! Halt! Ein Wort! Da ist noch wer, der mit dir reden will; – reg' dich, so stech' ich dich nieder wie ein unvernünftig Tier!« rief eine fremde und doch bekannte Stimme; der Kreis der Männer war von zwei wütenden Armen durchbrochen, und Georg fühlte sich am Halse gepackt, dass er kaum atmen konnte.

»Dich hat Gott lieb, dass du mein Bruder bist«, fuhr die Stimme fort, »es wär' dein letzter Rausch und dein letztes Wort schon gewesen ... Beicht', ich will dir so viel Luft lassen; – wo 'naus ist's mit dir? Vieh, Teufel aus der untersten Hölle oder was ist aus dir geworden? Schimpfst du dein Weib, weil es über dich weint, und greifst an ihre Ehre, weil du betrunken bist? ... Red' oder ich frage nicht mehr, ob du mein Bruder bist; Leben um Leben: hast mir dies Weib geraubt und machst es jetzt zu deinem und der Leute Schimpf? Süfling, Teufel, rede; erstes Mal hab' ich das Kreuz auf mich genommen, jetzt bleibt einer auf dem Platz, du oder ich, einer geht nimmer lebendig von dannen!«

Georg stieß anfangs einzelne dumpfe Töne aus, dann wurde er ganz still, wankte – und es trieb ihm die Augen weit heraus.

Die Männer suchten die Brüder zu trennen.

»Um Jesu Christi willen!« schrie jetzt Käthchen, die während der ersten Erstarrung die Sprache verloren hatte – »helft, rettet, helft, haltet sie auseinander!«

Dann stürzte sie aus dem Haus:

»Anton, Anton, vergreif dich an deinem eigenen Bruder nicht – ach Gott und Maria, kommst du zurück und gerad' in dieser Unglücksstunde? Du tust Unrecht, willst du deinem Bruder ans Leben; er weiß nicht, was er tut; glaub' mir, es ist das erste Mal so; wenn er bei Sinnen ist, achtet und liebt er mich – es ist ein großes Unglück, dass du gerad jetzt dazugekommen – lass los – Männer, haltet sie auseinander!«

»Käthchen, versündig' deine Seel' nicht wegen ihm«, sagte Anton, und alle Gewalt der Männer war nicht imstande, seine Fäuste von Georgs Halse abzulösen: »Was ich jetzt gesehen hab', verlöscht mir kein Schwur und keine Ewigkeit mehr; mit einem von uns geht's zu Ende, und wenn ich ihn auch los lass, so muss ich ihn morgen erwürgen. Begeh' keine Sünde, Käthchen – Sag' mir das Wahre: Beschimpft er dich heute das erste Mal so? Verwahr' dich vor einer Todsünd' und sage, was wahr ist!«

Käthchen fing an zu weinen und sagte:

»Anton, soll ich alles aussagen hier vor dem Haus und vor den Leuten? Ich schwöre, Anton, es ist noch kein Mal wie heute gewesen! Lass ihn los, um Gott und Christi willen und mach' Friede und komm herein, dein Bruder weiß morgen nichts mehr von seinem Verbrechen!«

Käthchen hatte während dieser Worte versucht, sich zwischen die Brüder zu drängen; Anton ließ los.

»Käthchen«, sagte er, »er ist frei; morgen seh' ich dich wieder. Das Weitere machen wir dann erst aus. Leb' wohl und gute Nacht!«

Eine tiefe Erschütterung lag im Ton der letzten Worte, und kaum hatte Anton sie gesprochen, so war er auch verschwunden.

Dreizehntes Kapitel .
Bekenntnisse

Man brachte Georg in das Haus, Käthchen selbst half ihn im Arme führen; in der Kammer ließ er sich entkleiden und zu Bette legen ohne Zeichen der Weigerung, ohne einen Laut der Widerrede.

Im Bette gab er weder zu verstehen, dass man gehen noch dass man bleiben solle; er hielt die Augen weit offen und sah starr in die Luft, sein Gesicht war gerötet und aufgetrieben; von Zeit zu Zeit drängte sich eine Träne aus den Augen.

Georg schien ganz zum Bewusstsein gekommen, nur die schwere körperliche Betäubung schien noch auf allen Gliedern zu lasten.

Vronl und ihr Mann Lobeiner waren auch herüber geeilt und blieben mit einigen Nachbarn in der Stube, um zu wachen, wenn etwa im Berauschten die gefährliche Aufregung sich erneuern sollte; aber Käthchen, im Vertrauen auf die gute Natur ihres Mannes und wohl erratend, was im Herzen desselben vorgehen möge, bat die Versammelten endlich, auch ihren und Georgs Vater, nur fortzugehen; denn es wäre ja gewiss das Schlimmste schon vorüber.

Man ließ sich bewegen fortzugehen, brauchte aber die Vorsicht, einen Knecht zu bestimmen, der wach blieb, um, wenn es nötig sein sollte, zu Hilfe zu rufen.

Gern ließ sich der älteste Knecht den Auftrag gefallen, und der jüngere blieb aus freien Stücken mit ihm wach.

Beide setzten sich, als die Leute fort waren, auf die Wandbank vor dem Hause und rauchten, um leichter munter zu bleiben, fleißig aus ihren Pfeifen.

Nach einer längeren Pause sagte Friedel, der Oberknecht:

»Drei Tage lass' ich ihm Zeit; sind die drei Tage vorüber, dann red' ich auch ein Wort mit drein; so bleib' ich nicht im Haus ... Wenn die Leute von Alters wissen, einer komm' jede Nacht betrunken heim, so ist das nichts, es schert sich keine Maus darum; betrinkt sich aber ein braver Mann einmal, so sticht das Wunder jedem gleich in die Augen, es ist weit und breit die Rede davon, und die Schande setzt sich für lange oder immer fest. Gib nur acht, ob's auszuhalten sein wird, wenn wir übermorgen in die Kirche gehen, was da alles wird geschehen sein und was wir werden hören müssen. Einmal hat der Bruder den Bruder wie ein Stück Vieh behandelt, wird's heißen, er hat ihm auch Wunden beigebracht mit dem Seitenmesser, und so wird's weitergeh'n. Da hätt' ich nichts zu tun als mit gleichen Füßen dreinzuspringen, sooft mir das zu Ohren käm' ... In drei Tagen nehm' ich mein bisslein Hab und Gut zusammen, sag', was mich im Herzen drückt und geh'!«

»Sein Weib, die gute Käthe, so zu behandeln!« sagte der jüngere Knecht: »Ich muss sagen, so weh hat mir lange nichts getan. Verzeih' ihm Gott, ich kann's nicht so leicht. Ist ein Weib wie das Käthchen brav, wirtschaftlich, fleißig, sparsam, nachgiebig, für jeden Armen gleich bedacht? Ich kenn' keine. Aber sieh, was du willst, das gefällt mir nicht; zu was denn fortgeh'n? Die Leute müssen seh'n, dass es in diesem Haus noch nicht so schlimm ist, als man's machen will. Gehen die Dienstboten, dann ist der böse Leumund erst im Flor. Lieber bleib' da, bis alles wieder gut ist und geh', wenn du dem Haus keine Unehr' weiter machst. Ich will grad' morgen und auf dem Kirchenweg ein Gesicht machen, als hätte Mulderer nur Spaß gemacht, um zu sehen, welchen Galgenstrick die guten Leute gleich aus einem machen!«

Einige Burschen, die singend durch das Dorf zogen, näherten sich jetzt dem Hause Hofers, um die beiden Knechte zu ihrer nächtlichen Wanderung abzuholen, aber der ältere ging ihnen entgegen und sagte:

»Freunde, heut' ist's nichts; geht nur allein für diesmal. Gute Nacht!«

Die Burschen drangen nicht weiter in sie, machten rechtsum und sangen durch das Dorf hinab.

Später hörte man hier und da nur einen und den andern aus weiter Entfernung jauchzen. Endlich ward es wieder ganz stille.

Es ging bereits gegen Mitternacht. In Hofers Hause war es ruhig geblieben, die Knechte saßen jetzt schweigend nebeneinander, nur die frisch gestopften Pfeifen dampften fleißig.

Endlich nahm der ältere der Knechte, Friedel, wieder das Wort und kam auf das frühere Gespräch zurück.

»Du hat doch recht«, sagte er, »ich darf nicht fort; ich überleg's mit mir selber, ich muss bleiben. Es kommt mir hart genug. Leg' mir's auch nicht übel aus und glaub' etwa, wo ich einmal Gutes genossen, könne ich fort wie einer, der nur so hergelaufen. Freund, es geh'n in diesem Hause Sachen vor, die quälen mich Tag und Nacht; ich leid' nicht bloß wie du oder ein anderer, mir geht hier alles, was geschieht, wie ein glühend Messer durch die Seele!«

»Hast du keinen Schwur getan, so lass mich wissen, was du meinst«, erwiderte der jüngere Knecht; und jener fuhr fort, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte:

»Ich weiß, du kannst bei dir halten, was du hörst; ich will dir vertrauen, was du noch nicht weißt ... Sieh', wenn ich jetzt aufständ' und meine sieben Sachen auf den Rücken nähm' und fortging von hier, so führte mich mein Weg hinüber über den Stotzenwald, und ich käm' nach einer heißen Wanderung in die Salzacher Gegend – das ist meine Heimat.

Denk' dir jetzt ein Haus, das nicht viel anders gelegen ist als des Hofers da, statt vier großen Linden steht nur ein großer Nussbaum davor. In dem Haus lebt meine alte Mutter noch, die immer trauert, dass ich sie verlassen kann und ein ganzes Jahr nicht einmal auf Besuch erscheinen; alles Geldschicken schlagt nicht an bei ihr, sie kriegt jährlich die Hälft' von meinem Lohn, es hilft nicht, sie will nur mich zu Hause sehen.

Aber sieh' – urteile selbst, ob ich anders kann, und betrachte recht, was ich dir sage ...

In dem Haus, wo meine Mutter ein Stübchen bewohnt, lebt jetzt eine junge Hausfrau, die erst vor einem Jahr geheiratet hat, die ich gekannt hab' wie mich selbst, mit der ich aufgewachsen bin, der ich mein Seelenheil verschrieben hätte, kurz, o Freund, für die ich ein Herz gefasst von früher Kinderzeit wie sonst für keine! Wie mir Margreth' die liebste gewesen ist unter den Mädchen, so hab' ich auch einen Freund unter den Buben gehabt, mit dem ich immer ein Herz und eine Seel' war. Meine Liebe hier und dort ist von andern nicht beachtet worden, solang ich jung gewesen; aber als wir größer und älter geworden, haben nicht nur die Leute entdeckt, wie sehr ich um die Margreth' werbe, ich selber habe entdeckt, dass mein Freund sich um denselben Schatz bewerbe.

Jetzt hab' ich von den Eltern der Margreth' verweisliche Worte erhalten, dass ich klug sein möchte, von einer Heirat könne keine Rede sein und dies und das; auch der Freund hat sich herausgelassen, dass er mir nicht wehren wolle, um die Margreth' mich zu mühen, dass er aber auch nichts sparen wolle, um sie heimzuführen.

Das wär' noch alles gut gewesen, die Margreth' wär' für mich zu erreichen gewesen, weil ihr Vater, ein schwacher Mann, zuletzt in allem doch nachgibt; aber Margreth', die mich lieb gehabt, ist dem Freunde noch anhänglicher gewesen, und eines Tages, wie ich vom Feld nach Hause komme, hör' ich, dass alles richtig sei – Margreth' habe meinen Freund gewählt, in Kurzem sei die Hochzeit!

Ich hab' vor Entsetzen fallen lassen, was ich in der Hand gehabt, bin dagestanden wie von Stein, bin dann zu meiner Mutter in die Stube, ihr um den Hals gefallen, ihr gesagt: Mutter, o Mutter, behüt' Euch, ich muss euch ja verlassen – und bin zur selben Stunde fort von Haus' und ließ nichts von mir hören.

Acht Tage hab' ich kaum gewusst, wer ich bin und wo ich bin; wie mir das Blut wieder kälter geworden, bin ich endlich hier in Hofers Haus gekommen, um nach einem Dienst zu fragen. Georg hatte gerade das Käthchen geheiratet gehabt, und alles ist noch in Freud' und Jubel hier gewesen; ich hab' ihm gefallen und bin sein Oberknecht geworden. Arbeit, neue Leute, ich glaube auch die andere Luft hier, haben mir wieder zur Vernunft verholfen, und so bin ich nach und nach erklecklich zufrieden worden – bis mir zu Ohren kommt, dass der Mulderer gerade so zu seiner Käthe gekommen wie mein Freund zu seiner Margreth', von den zwei Brüdern hat ein jeder das Käthchen haben wollen, und sie hat den älteren gewählt, den jüngeren hat wie mich sein Herz davon getrieben.

»Denk' dir, Kamerad, wie mir geworden ist! Auf Lange ist mein Schlaf, mein Appetit, mein Frieden wieder hin gewesen, und ich hab' nur Gott gebeten, dass er mir die Last erleichtern helfe!

Aber lange umsonst; sooft ich Georg und Käthchen erblickt, hat's mir einen Stich um den andern gegeben, es ist mir gewesen, als hab' ich immer und immer Margreth' und den Freund vor Augen.

Aber sieh', ich sage doch, der liebe Gott hat gewusst, was er tut, als er unser Herz geschaffen – keine Seelenwunde ist so breit und tief, dass die Zeit nicht eine Narbe drüber fertig brächte ... und so hab' auch ich mich endlich an den Gedanken und den Anblick gewöhnt, und mein Herz hat seine Wunde geschlossen – bis heute der arme Anton wiederkommt und sein Leid auch meine Seelenschramme wieder aufreißt, so breit und tief sie jemals offen war ... O, ich kann dir nicht sagen, wie mir ist, was mir alles ist, ich könnte hier auf dieser Stelle ... Ja, Freund, sterben, und von allem nichts mehr wissen, wär' das Beste! ... Soll ich meinem Heimweh folgen und seh'n, wie's meiner Margreth' und der Mutter geht? Soll ich von hier fliehen und in der Fremde eine neue Heimat suchen? Ich weiß nicht, was ich soll, ich weiß nur, dass ich leide, was ich kaum ertrage!« ...

Er schwieg. Es trat eine Pause betrübten Nachsinnens ein. Denn das Eigene hat eine unglückliche Liebesgeschichte immer, dass sie im Zuhörer die Erinnerung erweckt an ähnliche mehr oder minder schlimme Erfahrungen des Herzens. Darum schwieg auch der jüngere Knecht jetzt und verlor sich in ernste Gedanken.

Drinnen in der Stube brannte eine dicke Wachskerze, wie man sie in den Wallfahrtskirchen verehrt, sie war für die von St.-Anna bestimmt gewesen, aber die ganze Nacht Späne zu brennen, war nicht rätlich, und so musste die heilige Kerze her.

Sie war bereits tief herab gebrannt.

Käthchen saß an der offenen Kammertüre, die Leiden des Abends hatten sie so erschöpft, dass sie jetzt einschlief; es musste ein schwerer Schlaf sein, der sie befallen hatte, sonst hätte sie das seit einer Weile begonnene Geräusch in der Kammer hören müssen.

Jetzt trat eine Gestalt aus der Kammer, etwas schwankend, aber doch ziemlich sicher; es war Georg, totenbleich im Gesicht, nur halb in Kleidern.

War es ein Schwindel, der ihn jetzt befiel? Er musste sich an der Türpfoste halten, bis ihm wieder leichter wurde.

Der Anblick seines Weibes erschütterte ihn sehr; nur langsam erholte er sich so weit, dass er schwer auftretend sich entfernen konnte.

Wie er zum Hause hinaustrat, fiel er gleich den zwei wachhaltenden Knechten in die Hände; sie standen schnell auf und riefen:

»Halt, wer da?«

Es erfolgte nicht gleich eine Antwort, aber dann sagte eine klanglose Stimme:

»Ich bin's, wer ist denn noch da?«

»Eure Knechte, Mulderer«, sagte Friedel, seinen Hausherrn erkennend, »aber Jesus Christus, wie kommt ihr daher? Wie seid ihr an euerm Weib vorüberkommen, sie sitzt und wacht ja an der Kammertür?«

»Sie schläft jetzt«, sagte Georg.

»Mulderer«, sagte der jüngere Knecht, »ihr dürft nicht aus dem Hause, wir bitten, bleibet da. Euer Weib kommt von Sinnen, wenn sie wach wird und euch in der Kammer nicht findet. Geht wieder 'nein. Schlaft aus, so ist morgen alles wieder gut. Wir haben unsere Ehr' verpfändet, dass wir euch nicht aus dem Hause lassen!«

»Ihr wisst nicht, was ihr tut, wenn ihr mich haltet«, erwiderte Georg – »Ist mein Bruder da gewesen? Habt ihr ihn gehört oder geseh'n? ... Ich muss mit ihm reden ...«

Die Knechte verneinten, den Bruder gehört oder gesehen zu haben.

»So muss ich ihn selber suchen«, erwiderte Georg mit tiefer, schwermütiger Stimme und ging in der Finsternis weiter.

Friedel zog den jüngeren Knecht an seinen Mund und sagte ihm leise ins Ohr:

»Es hilft nichts, dass wir ihm wehren; bleib' du hier und guck' fleißig durchs Fenster, ob das Käthchen wacht; geschieht das, so geh' hinein und sag' ihr, sie solle ruhig sein, ich sei dem Georg nach und verliere ihn nicht aus den Augen.«

Nach diesen Worten folgte er seinem Meister nach, der dem freien Felde zuging.

Georgs Gemütsbewegung musste eine furchtbare sein.

Der Knecht hörte ihn nur dann und wann einen Seufzer ausstoßen, während er langsam weiter ging. Plötzlich teilten sich die Wolken über dem Dorfe, und eine Schar Sterne flimmerte herunter.

Georg blieb stehen und schaute nach der entschleierten Stelle des Nachthimmels; dann sah er um sich und erblickte eine männliche Gestalt hinter sich.

Was in seiner Brust sich dumpf zusammengedrängt hatte, das schien jetzt in einem Sturm von Worten losbrechen zu wollen, denn er meinte seinen Bruder zu erblicken. Im Augenblick aber, als er diesem entgegeneilen wollte, schoben sich die Wolken wieder zusammen, und es wurde finsterer als zuvor.

»Bruder, du bist hier«, sagte Georg nach einer Pause, »ich suche dich, ich muss mit dir reden. Geh' meiner Stimme nach und gib mir deine Hand her, Bruder, wenn ich deine Hand hab', will ich dir sagen, was mir ist ...«

Wirklich legte sich eine Hand in die Georgs; Georg drückte sie krampfhaft, ohne sprechen zu können, tastete dann am fremden Arme hinauf, bis er die Schultern fand und stürzte an den Hals.

Lange dauerte es, bis sich Georg wieder erhob und sagte:

»Bruder, Bruder, wo soll ich anfangen, was soll ich zuerst sagen?«

Es versagte ihm die Stimme, er fuhr erst nach einer Weile fort:

»Bruder, wenn du über mich denkst wie vor ein paar Stunden, wo ich unvernünftig wie ein Tier gewesen, so denkst du nicht recht über mich, ich will dir sagen, was es ist ... Dürfte man sich niederstoßen, wenn es einem danach ist, ich hätt' es heute getan und ließ die Welt denken und reden; aber kein Messer ist geschliffen für ein Vergreifen an sich selbst und dir, Bruder, möchte ich die Augen öffnen, dass du nicht schlimmer von mir denkst, als recht ist.«

Er ließ die Männerhand wieder los und erzählte aufrichtig und mit großer Genauigkeit seine Erlebnisse seit dem St.-Annafeste. Er fügte mit wunderbarer Nüchternheit hinzu, dass ihn Käthchen gewiss nicht klopfen gehört habe, weil sie ihm trotz seiner späten Heimkehr das Haus geöffnet haben würde.

Dann streckte er seine Hand wieder aus, um die des Bruders schmerzlich zu drücken, er fand sie aber nicht mehr.

»Ja, du hast recht«, fuhr Georg fort, »was ich jetzt erzählt habe, muss dich schwer verdrießen; zieh' aber deine Hand nicht zurück, Bruder, ich bin wieder zu mir gekommen, seit du hier bist, geh'n mir die Augen wieder auf, welchen Wert und Zauber Käthchen gehabt hat und noch hat, und ich verzweifle darüber, wie gut, wie rein du ihr scheinen musst, wie sie nun wünschen muss, dich gewählt zu haben!«

Jetzt zerrissen die Wolken wieder, und die Sterne leuchteten heller als zuvor auf die Szene.

Statt einer, standen nun zwei männliche Gestalten vor Georg – der Oberknecht Friedel und Anton.

Mit tiefer Wehmut stand der Letztere seinem Bruder gegenüber und sagte nach einer Weile:

»Bruder, ich habe deine Rede gehört, ich glaube ihr; ich vergebe dir, denn du wirst anders werden ... Komm' her, auf dass ich dir meine Liebe auch beweise.«

Lange und schweigend hielten sich die Brüder in den Armen, dann fuhr Anton fort:

»Nehm' mich einige Tage in dein Haus auf, dass ich mich erhole von der Reis' und dass ich sehe, wie du dein Weib jetzt haltest, dann geh' ich in Gottes Namen, wer weiß, wohin und wie weit; fort aber muss ich!«

Georg erwiderte:

»Bleib' bei mir, geh' nicht mehr fort: seh' mein Haus für deines an, ermahn' mich, wenn ich fehle, rat' mir, wenn ich was verfehle; sei ein Schutzengel mir und meinem Weib', ich will dir's ewig danken!«

So gingen beide in das Haus zurück, Hand in Hand, versöhnlich im Gespräche. Der Riss in den Wolken wurde jetzt größer, es schauten mehr und mehr flimmernde Sterne herunter.

Friedel blieb hinter den Brüdern zurück und fragte sich selber:

»Ging' ich wohl so mit dem Manne meiner Margreth' ins Haus, wenn alle Umständ' wären wie hier?«

Nach einer Weile sagte er: »Ich nicht. Wollt' ihm Margreth' vergeben oder nicht vergeben, ich könnt' es nicht ertragen. Mein Bündel wär' geschnürt, ich ginge wieder, wie ich gekommen ... Nein, nein, ich gehe niemals heim ... Magst du trauern, Mutter, ich kann dir nicht helfen, aber schreiben will ich dir, dass du selber zu mir kommen sollst!«

Indessen war Käthchen an der Kammertüre erwacht, sprang auf und wollte nachsehen, wie's um ihren Mann stehe; aber der jüngere Knecht, der wohl aufgepasst hatte, eilte schnell hinein und sagte:

»Meisterin, Meisterin, haltet! Euer Mann ist fort, kommt aber gleich wieder, es geht ihm wohl, und der Friedel ist bei ihm; erschreckt nicht, das soll ich euch sagen!«

Aber Käthchen ließ sich nicht beruhigen und eilte hinaus; draußen sah sie beide Brüder daherkommen und eilte ihnen entgegen; – beide beruhigten sie mit milden Worten und erzählten ihr, was vorgefallen war; – sie weinte vor Weh und Freude.

Zwischen beiden Brüdern gehend, kehrte sie in das Haus zurück ...

Vierzehntes Kapitel .
Es begeben sich Zeichen und Wunder

Der Oberknecht hatte ein bedeutungsvolles Wort geredet, indem er sagte, dass er weder einer Versöhnung noch einem Zerwürfnisse seiner Margareth' mit ihrem Manne beiwohnen möchte.

Der Bursche fühlte richtig genug, um zu erkennen, wie ihn das eine leicht zur unzähmbaren Rache antreiben, das andere in seinem alten Schmerz zurückwerfen könnte.

Wenn Anton durch seine Versöhnung mit dem Bruder glauben machte, er sei ein größerer Meister über sein Herz, so war wenigstens abzuwarten, wie lange er dieser Meisterschaft gewachsen sei und ob die Gefahr, die er offen, Stirn gegen Stirn bekämpfte, ihn nicht meuchlings umgehen und entwaffnen werde. Mit aller Besorgnis durfte man auf diese Versöhnung und deren Folgen hinsehen, es war Grund genug, nicht allzuviel Vertrauen zu hegen.

Indessen geschieht's nicht selten, dass wir unsere Befürchtungen nicht so bald in Erfüllung gehen sehen, und wir fangen an, unsere Prophezeiungen einzustellen und das Schicksal walten zu lassen, wie es eben mag.

So erging es auch unserem Oberknecht Friedel und allen, besonders der Vronl und ihrem Manne, welche mit besorgten Augen jedem neuen Tag entgegensahen.

Allein ein ewiger Friede schien Hofers Haus nun bezogen zu haben.

Georg war nun wieder ganz Liebe und Aufmerksamkeit für Käthchen; was er ihr an den Blicken absehen konnte, tat er mit liebevoller Eile. Käthchen schien dagegen nicht undankbar und zeigte eine tiefe Glückseligkeit in Wort und Miene.

Wie dem schweigsamen Anton dabei zumute war, das wusste nur der innerste Winkel seines Herzens, über seine Lippen verirrte sich keine Silbe; er war sanft gegen alle, nahm teil an den schwersten Geschäften des Hauses und saß des Abends mit seinem Bruder und Käthchen am Tisch in trautem Gespräche.

Wochen und Monate waren endlich vorüber.

Der Sommer gab zu schaffen genug, man fand nur wenig Muße, sich über sein Herz zu fragen, und doch unterließ es Anton nicht, allabendlich, wenn im Hause alles schlief, mit seinem Herzen abzurechnen; er fand – es war ihm selbst wunderlich genug – dass sich nach und nach ein leises Genesen und das Bedürfnis einstellte, friedlich unter einem Dache mit dem Bruder und einer Schwester, wie er das Käthchen jetzt nannte, auch ferner zu leben.

So fing er denn an, auch im Betragen ungezwungen, ja manchmal selbst zu einem Scherze aufgelegt zu werden.

Einmal sagte er mit Lächeln zu Käthchen (Georg war auch zugegen):

»Wenn du mein wärst, Käthchen, so würde ich dich bitten, immer so wie heute zu bleiben; so hast du mir noch nie gefallen.«

Derlei Äußerungen kamen öfter vor, und die harmlose Art und die vertrauliche Stunde machten, dass sie ungefährlich gesagt und gehört werden konnten.

Ein anderes Mal, da man ein Fuder Korn über die Anhöhe herauffuhr, die Pferde sich vor Anstrengung fast zerrissen und Georg und Anton an den Rädern mit aller Gewalt nachschieben halfen, sagte Letzterer zu Käthchen, die nebenher ging:

»Sieh, Käthchen, so hat sich auch meine Seele geplagt, ihr schweres Unglück mit fortzubringen. Wärst du nicht gar so brav, ich könnt' dir nicht vergeben, was ich um dich gelitten habe!«

Oft standen Anton und Käthchen, wenn auf dem Felde die Arbeit ruhte, nebeneinander; er hatte ihr frisches Wasser in einem Kruge gebracht oder wetzte ihr die Sichel, und ein Gespräch mit leisem Anflug von Wehmut wurde dann geführt.

»Käthchen«, schloss dann Anton gewöhnlich, »du darfst mir's glauben, eine Arznei ist es mir, die mich nach und nach gesund machen muss, dass ich dir alles jetzt erzählen kann.«

Wenn Anton noch so beschäftigt war, und er sah das Käthchen etwas Schweres tragen oder sonst Gefährliches schaffen, so sprang er hin und trug's oder schaffte es für sie.

So verging kein Tag ohne kleine Gefälligkeiten, und nie blieb ein freundliches, »Vergelt' dir's Gott, Anton«, zum Lohne aus.

Georg behauptete eine männliche Fassung, obwohl er nicht selten aus der Entfernung zusah und berechnete, wie lange das vertraute Reden noch dauern werde. Wenn für Georgs Ruhe etwas gefährlich war, so konnte es höchstens der Gedanke sein, dass Anton bisher ohne Makel und mit dem Zauberscheine des Märtyrertums umgeben war, während er selbst, wenn auch längst wieder gebessert, doch mit dem Male einer vorübergehenden Schuld behaftet war; indessen merkten weder Anton noch Käthchen eine Veränderung in seinem Betragen, er war gegen beide freundlich wie zuvor, und wenn er einmal auffallend verstimmt war, so traf sich's stets, dass sonst ein vermeintlicher Grund in die Augen fiel.

Es kam der Herbst mit seinen Nebeln, der die Stimmungen in mancher Weise zu verdüstern geeignet ist.

Eines Tages wälzte sich ein schwerer Nebel bis spät nachmittags von den Bergen in die Täler, und die melancholische Feuchtigkeit legte sich schwer auf die Brust.

Sei es nun, dass dieser äußere Druck des Oberknechtes Herz so schwer heimsuchte, oder machte es der Gedanke so traurig – kurz, Friedel kündigte plötzlich dem Käthchen und ihrem Manne den Dienst unter Vorwänden, die man ihrer Dunkelheit wegen nicht verstand. Vergebens bemühte man sich, deutlichere Aufschlüsse zu erhalten, er deutete nur an, dass, wenn geschehen sein würde, was er fürchte, man ihm verzeihen und alles in Ordnung finden würde.

Käthchen und Anton sahen höchst verwundert drein, und Georg wurde nachdenkend und sagte endlich:

»Wenn du meinst, du werdest dir's verbessern, so will ich dir nichts in den Weg legen; du brauchst die vierzehn Tage nicht einzuhalten, wenn du gern eher fort willst.«

Erst am Tage des Abschieds ließ Friedel deutlichere Worte fallen und sagte, er gehe, bevor das alte Unglück in dieses Haus einkehre, denn er habe sichere Wahrzeichen, dass es mit dem schönen Wetter des Friedens nicht lange mehr halten werde.

Als er ging, bemerkte er nur noch:

»Ich wünsche, dass ich ein falscher Prophet bin!«

Die Verwunderung Käthchens und Antons stieg aufs Höchste, und sie konnten sich eines ungläubigen Lächelns nicht enthalten.

Georg aber war erzürnt über den unberufenen Propheten und sagte ihm deshalb gar kein Lebewohl. Doch war er einige Tage stiller als gewöhnlich und oft wie in Gedanken versunken.

Fünfzehntes Kapitel .
Etwas für alle und etwas nur für einen

In diese Tage fiel die Hochzeit des bejahrten Irrker aus Angern mit der jungen Cilly Amhof.

Es war eine Festlichkeit, wie sie seit Menschengedenken in der Gegend nicht gesehen worden.

Das erste Mal entfaltete der bescheidene Irrker die Mittel seines Reichtums vor den Augen der Neugierigen, die von allen Seiten zusammen kamen, und es schien beinahe, als verbreite der Bräutigam so vielen Glanz nur deshalb, um die Aufmerksamkeit von der Vergleichung seines Alters mit der Jugend seiner Braut abzulenken.

Auch von den Höhen um Eferdingen konnte man den entfernten Hochzeitszug vorbeiziehen sehen. Es hatte sich dort, was nur Platz finden konnte, gesammelt, um den Zug wenigstens aus der Ferne zu sehen.

Gegen 10 Uhr morgens hörte man endlich aus der Ferne den ersten Pistolenschuss fallen, und von jetzt an erbebte die Luft ununterbrochen von den dumpfen Schlägen der Geschoße.

Käthchen stand auf einer der Höhen, die dem Dorfe am nächsten liegen, neben ihr standen ihr Mann und dessen Bruder.

Große Feierlichkeiten haben das Eigene, dass sie das menschliche Herz ebenso rühren als erheben; und das gilt von den Feierlichkeiten einer Hochzeit ganz besonders. So viel auch dabei geschossen, gejubelt und musiziert wird, die rechte Lust ist doch bei Hochzeiten selten; der Bund, der zwischen zwei Wesen am Altare geschlossen wird, ist ein ernster Bund, und manche Prüfungen sind ihm vorherzusagen.

Käthchen mochte allerlei wehmütigen Gedanken nachhängen, denn sie blickte mit feuchten Augen in die Ferne und hielt sich die Schürze um das Kinn; als nach einer Weile zwischen den Schlägen der Gewehre auch Töne der Musik hörbar wurden, da fuhr sich Käthchen öfter über die Augen, ihre Gedanken waren bei ihrer eigenen Hochzeit, die so fröhlich gefeiert worden war und doch so schlimme Tage im Gefolge haben sollte.

War der heutige Hochzeitszug eine Begebenheit, die für die ganze Gegend beachtenswert war, so erlebte am nächsten Tage Anton Mulderer auch etwas für sich allein, das für ihn noch viel wichtiger war.

Er erhielt nämlich einen Brief von wohlbekannter Hand, und darin stand unter anderem Folgendes:

»Jetzt ist es bald ein halbes Jahr, und du bist fort, und ich höre nichts von dir, und du lässest mich in der Fremde sitzen, ich meine bald, du hast mich gar vergessen. O, es wird schon auch so sein; du hast mich vergessen, aus den Augen, aus dem Sinn, du bist wieder daheim, und ich kann mir's denken, was geschieht. O, was hab' ich getan und bin dir nachgegangen und hab' dir gesagt und eingestanden, was es mit meinem Herzen ist, ich hätte auch still sein können, unser Herrgott hätt' es gewusst, und das wär' am Ende auch genug gewesen. Sind das vier Wochen, ungetreuer Anton? In längstens vier Wochen hast du mir schreiben wollen, was dein Vater zu unserem Bunde sagt, und jetzt ist es ein halbes Jahr! O, Anton, deine vier, fünf Wochen sind lang, ich kummere mich ganz hier ab und werde darüber noch vor Kummer in die Grube fahren. Aber ich hab' dir nichts einzureden, ich sag' auch nichts, ich gib mich in Gottes Willen, tu, was du willst; um mein Kummern brauchst du dich nicht zu kümmern, ich geh' dir auch nimmer nach, und heim geh' ich nimmer, ich müsste dich wieder seh'n, und du hast mich vergessen! Mach' dir nichts aus meinem Trübsalblasen, ich will schon für dich beten, und Übles nachreden werde ich dir auch nicht. Jetzt behüt' dich Gott, ich werde ja, so Gott will, einmal hören, wie es ist und was es werden wird; ich zech' dir in nichts ein, rate dir auch nichts, nur könntest du mir schreiben, ob du lebst, was du tust und ob es dir lieb ist, dass ich so viel um dich leide!«

Unterschrieben war – Anne-Marie.

Nach einigen Tagen sah man Anton sehr eifrig einen langen Brief schreiben und selbst auf die Post tragen.

Sechzehntes Kapitel .
Ein verirrtes Kind. Ein erschlagener Mann

Eines Sommernachmittags spielte der kleine Loisl, ein blonder Knabe der Pahlsin, im elterlichen Garten und trieb da allerlei, was eben ein Kind, das erst drei Jahre läuft, zu treiben pflegt.

Fand er eine Flaumfeder, die zu fliegen imstande war, so blies er sie in die Luft, um sie dann verfolgen zu können; hierauf ackerte er mit einem Stock im Sande des Fahrweges, hieb mit einer Peitsche ein und schrie dabei wie besessen; dann warf er Stock und Peitsche weg und lief zum Mühlbach, darin er eine Weile gegen Wasser ging, bis ihn ein leichter Schwindel fasste, dass er meinte, er fliege vorwärts und das Ufer eile hinter ihn zurück; besorgt, im Wasser fallen zu könne, stieg er wieder ans Ufer, brach sich eine Weidengerte ab und verfolgte Schmetterlinge und Libellen.

Unter solchen Spielen kam der Knabe an den Zaun der östlichen Gartenseite, und da ihn niemand beachtete, drückte er sich durch eine Lücke und stand auf dem Fahrwege, der nach dem Buchenwalde führt. Hier fing er wieder zu ackern und zu fuhrwerken an und ging so spielend weiter fort und weiter.

Bei der Grannerwiese wurde er von Heugern angerufen, er möge zu ihnen kommen, er kriege Milch und Brot; Loisl aber tat, als habe er nicht Zeit, und rief, wie er von seinem Vater oft hörte:

»Nur schmecken lassen, ich krieg' mein Teil schon noch!«

Die Heuger lachten, und die Richtermagd lief hin und gab dem Buben einen Schmatz; dann nötigte sie ihm ein Stückchen Brot auf, zeigte warnend nach dem Dorfe und sagte:

»Tausendsasa, wenn dich deine Mutter sieht, dass du so weit vom Hause gehst, gleich kehrst um, sonst blühn dir Schläge nach Noten!«

Loisl blieb eine Weile mit weinerlichem Gesichte stehen und war unentschlossen, was er tun solle; hätte sich die fortgehende Magd noch einmal umgesehen und ihm zugerufen:

»Bist noch da, Loisl?« – so wäre alles gut geworden, Loisl wäre wieder nach Hause gegangen, wie er gekommen war.

Nun aber merkte er, dass niemand weiter auf ihn achte, machte plötzlich rechtsum und lief geduckt nach dem Hohlweg näher gegen den Wald hin und wurde nicht weiter gesehen ...

Vor Hofers Hause standen zur Stunde einige Mädchen mit Rechen über den Schultern und sangen, dass es hellauf in die Lüfte klang.

Die Mädchen warteten auf das Hofer-Käthchen, es sollte mit ihnen auf die Wiese, um das frisch gemähte Gras im Sonnenschein zu wenden.

Während die Lieder vor dem Hause klangen, stand in der Stube Georg nicht weit vom Fenster horchend, lächelnd und nickte dann und wann freundlich seinen Beifall; endlich rief er seinem Käthchen sanft ermahnend:

»Mach' doch, mach', die Mädel versingen ihren Vorrat und werden ungeduldig; komm, was hast du noch so in der Kammer zu schaffen?«

Seinem Weibe war heute sonderbar zumute.

Die Wände des Hauses schienen sich zu verengen, schwül und drückend drückte sie die Luft; indem sie treppauf und treppab ging, Dinge ganz alltäglicher Art zu tun, schien es doch, als gelte es ein Hauptwerk ihres Lebens zu vollbringen.

Und warum dies alles?

Sie meinte eben, solches Treiben stelle das gestörte Gleichgewicht im Herzen wieder her.

Umsonst.

Käthchens Empfindung wurde banger; was in Eile noch alles geschehen müsse, schien ihr mehr und mehr zu werden; zum Unglück streifte sie jetzt, da sie den Rechen holte, an ein Wespennest am Dache, musste die Falltüre hinter sich sinken lassen und sah sich mit aller Unruhe des Herzens auf den engen Raum der Kammer beschränkt.

Hätte Käthchen getan, was ein dunkler Drang sie lange hieß, es wäre ihr wahrscheinlich besser geworden; sie hätte rufen sollen:

»Mann, komm doch her, damit ich dir was sage« – und wenn der freundliche Mann hereingetreten, fragend: »Sag', was gibt's?« hätte Käthchen den Rechen selber fallen lassen und sagen müssen: »Lieber Mann, was stehst du draußen und lugest lächelnd durchs Fenster? ... Sieh ... guck jetzt dorthin« – und wenn er auf ihr Zeichen, neugierig vorgebückt, ins Unbestimmte sah, hätte Kächchen von der Seite anfallen, halsen, herzen und rufen sollen: »Sieh, ich kann nicht anders; vergib mir meine Sünden; du wärst nicht mehr mein, hätt' ich dich jetzt nicht am Hals und am Herzen!«

Aber Käthchen tat nicht so. Warum?

Im Volke findet jede ungewohnte Äußerung des Gemütes Bedenken, die man selten nur besiegt.

Käthchen – hättest du doch getan, wozu dein Herz dich trieb, ohne dich um Freund und Feind zu kümmern; deinem Manne hätte sich vielleicht dein Bangen mitgeteilt, er wäre vielleicht nicht nach dem Walde gegangen – und – Käthchen! – welch ein Weh wäre deinem Herzen erspart geblieben!

Indessen gingen die Lieder der Mädchen draußen zu Ende. Wir haben Not, der letzten eines zu hören; es lautete:

Du baumstarkes Mädel
Wie fangst du es an,
Viel Last musst du tragen,
Und suchst noch ein' Mann?

Ihr hochweisen Mädel,
Wie fang' ich das an?
Wen zweie lasttragen
Trägt halbpart der Mann.

O seid nicht gar so dumm,
O seid nicht gar so schwach,
Denn sind die Jahre um
So greift ihr auch danach!

Käthchen merkte wohl, dass der Gesang dem Schlusse zueilte, denn nun bekamen die Lieder immer entschiedener eine Färbung, welche den jungen Ehestandsleuten galt; diese Lieder waren Überreste einer verfallenen Sitte, welche verlangte, dass man oft während des ersten halben Ehejahres vor dem Hause der Eheleute sang und in allerlei Weisen schalkhafte Anspielungen auf Treue und Liebe vortrug.

Käthchens sonderbare Unruhe erreichte den höchsten Punkt, und sie dachte den Mann nach der Kammer zu rufen; – aber da war's bereits zu spät ...

Draußen klopfte eben der Wagner an das Fenster, eine Axt über der Schulter; Georg lud sich nun auch eine Axt auf, indem beide im Walde ihre Bäume fällen wollten.

Auf die Kammertürschwelle tretend, sagte Georg:

»Käthchen, mach' doch, mach'; sieh', ich hab' die Axt über, der Wagner klopft, ich will nun mit ihm gehen; behüt' dich Gott und sperr' das Haus gut zu!«

Käthchen ließ die Arme sinken, stand einen Augenblick wie versteinert da und trat dann in die Stube.

Hier hatte ihr Mann inzwischen in das Weihbrunnkesselchen am Türpfosten gegriffen, sich die Stirn mit Weihwasser benetzt und auch einige Tropfen nach der Richtung der Kammer gesprengt, worauf er ging.

Georg war ungewöhnlich stille und sanft.

Der Wagner begrüßte ihn draußen und ließ, wie er immer tat, dem Gruße ein längeres Gehedel, d. i. Gelächter, folgen.

Beide gingen neben dem Hause abwärts, überschritten den Altbach, der fast ganz ausgetrocknet war und gingen dann zwischen den neuen Feldanlagen aufwärts nach dem östlich gelegenen Walde.

Während Georg immer schweigsamer vorwärts ging, sprach der kleine, untersetzte Wagner, seinen alten, lehmfarbigen Hut überm linken Ohre, sehr viel und sehr laut, indem er nach jedem Satze ein Stakkatogelächter folgen ließ, was sich aus der Entfernung seltsam genug ausnahm.

Käthchen trat inzwischen auch zu den Mädchen heraus, wurde mit allerlei Schelmerei empfangen und dann mit folgendem Liedchen in die Mitte genommen:

Wenn ich 'mal heiern tu',
Druck' ich mein' Augerl zu –
Augerl zu –
Seh' von der Welt nichts mehr,
Nichts ist und er.

Die Mädchen gingen über die Brücke des Mühlbaches, kamen so zwischen den Höfen durch nach dem Garten, von hier auf den freien Feldweg hinaus und so weiter an dem kleinen Teich vorüber auf die Wiese.

Die Arbeit auf der Wiese war bald getan, die Lustigkeit der Mädchen erhielt auch den Fleiß lebendig, und so konnte man bald die Rechen wieder über die Schulter legen und nach Hause gehen.

Käthchen hatte manchen Blick nach dem Walde gesendet, bei jedem Axtschlage glaubte sie, die Krone einer Buche schwanken zu sehen und den Wald geheimnisvoll rauschen zu hören; wenn Käthchens Blick dann besorgt vom Walde zur Arbeit zurück wollte, überlief sie ein Schauer eigener Art, es war ihr, als stürzten und kollerten krüppelhafte Waldgeister aus der Waldesnacht und erstarrten am Saume des Waldes zu krüppelhaften Wacholder- oder Erlenstauden.

Auf dem Heimwege erblasste Käthchen, als das lustige Binder-Lenchen plötzlich sagte:

»Jetzt muss auf der Brückelhöh' die Buche gestürzt sein, die dein Mann zu fällen hat. Was backst du ihm heute? Busseln mit Semmelbröseln?«

Käthchen schwamm es vor den Augen, und es begegnete ihr, dass sie, wohin sie auch blicken mochte, den Wald vor sich sah wie einer das Bild der Sonne, der sie fest angeblickt hat.

Es wurde Abend; Käthchen hatte drei Male auf dem Herd Feuer gemacht, es war immer ausgegangen, sooft sie von dem Birnbaume zurückkam, wo sie nach dem heimkehrenden Manne aufgeblickt; als Käthchen zum vierten Male daran war, Feuer zu schlagen, sagte eine Stimme:

»Was? Brauchst Feuer, Käthchen?«

Mit einem Freudenlaut kehrte sich Käthchen um und sagte:

»Bist du zurück, Lieber? Ach Gott, ach Gott«, – und wollte ihrem Manne entgegen.

Aber lächelnd stand Anton vor ihr da und sagte:

»Du hast gewiss wegen meiner Stimme wieder geglaubt, ich bin dein Mann; nun, nun, so was kann ich mir gefallen lassen ... Was bist du aber so gehetzt? ... Gib her, ich will dir Feuer machen, du weißt ja, ich tu' es gern.

Käthchen ließ schweigend das Feuerzeug in die Hände Antons gleiten.

Während er nun Feuer machte, fing die Abendglocke zu läuten an, und Käthchen ging unter den Baum hinaus, um ihr Gebet zu verrichten, mit dem Gesichte dem Walde zugekehrt.

Sie betete auch ein Vaterunser für alle armen Seelen im Fegefeuer und dann ein Gebet, in welches alle verwandten und bekannten Verstorbenen eingeschlossen wurden.

Zum Schlusse sagte Käthchen, voll Gottvertrauen den Blick zum Himmel gerichtet:

»Gelt, das ist nicht dein Wille, dass ich so unruhig bin, du wirst sorgen, dass meinem Manne nichts geschieht; wär's aber ein Zeichen, dass ich sterben müsste, so gib meinem Manne Kraft, sich in deinen barmherzigen Willen ...«

Sie konnte den Schluss ihrer Bitte nicht vollenden.

Aus dem Walde kam jetzt vollen Laufes ein Mann und schien es sehr zu vermeiden, dem Hause Hofers nahe zu kommen; dieser Mann, der so brennend daherkam, war der Wagner, der mit Georg in den Wald gegangen war.

Wenn ein Hut auf dem rechten oder linken Ohre sitzt, bedeutet es sonst gewöhnlich kecke Lustigkeit oder einen Ansatz Hochmuts im Charakter, auch legt die Eitelkeit auf solch' ein Zeichen wert – kurz, auf einen kleinen, meist unschädlichen Sporn des Augenblickes deutet' immer, wenn der Hut rechts oder links am Ohre sitzt.

Der Wagner, als er mit Georg nach dem Walde ging, hatte auch den Hut gegen das linke Ohr gerückt, weil er, sooft er lachte, mit den Fingern hinterm rechten Ohre rieb und so den Hut auf dieser Seite in die Höhe schob. Jetzt aber saß ihm der Hut tief am rechten Ohre. Der Mann war, Entsetzen ganz, aus dem Walde gerannt, und das Gesträuch hatte ihm den Hut schief gestoßen und so fest geklopft.

Atemlos setzte er seinen Eilmarsch fort und sagte nur dann und wann einmal:

»O Heiland und Erlöser! ... Das ist zu viel, zu viel – Ihr Engel und Engelscharen, was wird das Käthchen dazu sagen?«

An einem der ersten Häuser hielt er inne, trat hinein und warf sich wie ein gehetztes Wild, das verendet, auf die Wandbank hin.

Er fand längere Zeit die Sprache nicht, um zu erzählen, was er wusste, was er gesehen hatte.

Die Leute im Hause waren bereits um ihn versammelt, ja aus den Nachbarhäusern waren Neugierige und Erschrockene herbeigekommen, als der erschöpfte Wagner erst zu sich selber kam und reden konnte.

»Kinder, Nachbarn«, sagte er, oft unterbrochen, »verwundert euch nicht, dass ich hier sitz' und kaum reden kann ... mich verwundert's, dass ich leb'! – Heiliger Gott, denkt euch, nach Mittag geh' ich – ihr habt uns ja gesehen – mit dem Georg, Käthchens Mann, in den Wald, und wir wollen Bäume fällen, und wir kommen auf den bestimmten Platz auf der Brückelhöh'. Mulderer, grüß' dich Gott, sag' ich, hehe ... hau' du hier deinen Baum ab, meiner steht weiter drüben, hehe; gib acht, sagt ich noch, die Bäume fallen nicht immer, wohin man meint, und fangen wir mit Gebet die Arbeit an, he ... Und drauf geh' ich hinweg auf meinen Platz und denke nicht weiter an den Georg. Da bin ich endlich fertig, als es Abend wird, nehm' meine Axt wieder auf und will nun den Georg wieder aufsuchen, dass er mit mir gehe ... Heiliger Gott! ... Seine Bäume liegen einer hierhin, einer dorthin, Georg aber ist nicht zu sehen, stille ist's im Wald, sodass ich denk', der Mulderer habe mich im Stich gelassen, er ist voraus ... Engel und Engelscharen! ... Da stoß' ich, dass ich stolpere an einen Menschen, der unter einem Ast liegt – der Georg Mulderer ist's – erschlagen, tot, ohne Hilf' und Rettung erschlagen; sein Gesicht ist gar nicht zu erkennen, so ist's zerfetzt ... O, ich kann nicht mehr reden, macht euch auf und holt den Unglücklichen aus dem Walde, ich kann nicht mit, Arm und Bein sind mir zerschlagen ... Aber macht dem Käthchen das Unglück nicht sogleich bekannt, die Leiche kann in ein anderes Haus gebracht werden ... o geht!«

Mit Entsetzen hatte man diese Schreckensnachricht kaum gehört, als man sich aufmachte, um die Leiche ohne Aufsehen aus dem Walde ins Dorf zu bringen ...

Käthchen war inzwischen in die Küche zurückgekehrt, das Gebet hatte ihr Herz gestärkt, in der Küche schnalzte das Abendfeuer und warf gar hellen Schein durch die Haustüre auf den Anger.

»Gelt«, sagte Käthchen zu Anton, der das Feuer lustig angeschürt hatte – »gelt, wenn ich dich geheiratet hätte, mein Mann wär' auch gekommen und hätt' ein solches Feuer für deine Heimkehr angeschürt?«

Anton lächelte und sah ins Feuer, welches seine Wangen rot zu färben schien.

Käthchen hatte um und über das Feuer gestellt, was eben nötig war, und setzte sich jetzt neben den Herd, indem sie leise eine Melodie summte; die Worte waren zum Teil verständlich:

Das Mädel mit dem rechten Sinn,
Das wählt und wählt nur einen,
Ein Mädel nur mit losem Sinn
Nimmt ... und ... am Ende keinen.

Dann sagte sie:

»Anton ... ich bin so müd ... darf ich mein Aug' ein wenig zu machen? Gelt, ich schlaf' nicht ein?«

Aber nach diesen Worten schlief Käthchen schon ...

Sollen wir sie wecken?

Nein, nein! ... Hätte sie doch die folgende Nacht und den folgenden Tag und die nächsten Tage und Wochen auch so ruhig verschlafen können, wie sie jetzt dasaß, erschöpft von den wunderbaren Erschütterungen des Tages! ...

Anton stand wachend neben dem Herde und hatte auf das Feuer acht, nur dann und wann ließ er sein sanftes Auge wehmütig auf Käthchens blasser, ruhiger Leidensmiene ruhen.

Aber nicht lange, so weckte ein trauriger Lärm die Schlummernde wieder.

Die Pahlsin vermisste nämlich seit einer Stunde ihren kleinen Loisl und hatte bereits im ganzen Dorf nach dem Kinde fragen lassen, bis man ihr vom Richter heruntersagte, der Kleine sei nach Mittag bei der Grannerwiese gesehen worden, die Richtermagd setzte hinzu, sie habe ihn heimgehen heißen, aber dann nicht mehr Zeit gehabt, auf ihn acht zu haben; jetzt könne es wohl sein, meinte sie, dass der Kleine dem Walde zugegangen sei und sich verloren habe.

Der Angstruf der Pahlsin brachte das ganze Dorf auf die Beine, und sehr viele erboten sich, der jammernden Mutter suchen zu helfen.

Käthchen war kaum erwacht und hatte erfahren, was es gebe, als sie eilig das Haus verließ, um die Pahlsin aufzusuchen, ihr tröstlich zuzureden und an ihrer Seite das verlorene Kind zu suchen. Man ging in Gruppen dem Walde zu, einige nahmen Laternen mit, um nötigenfalls auch in der Nacht noch suchen zu können.

In der Nähe des Waldes, wo man über den Forellenbach muss, sah man die Weidengerte des Knaben liegen, und man schloss daraus, dort habe der Kleine, was er eben in Händen gehabt, von sich geworfen, habe das Hemdchen aufgehoben und sei so durch das seichte Wasser gestiegen; jetzt schien kein Zweifel mehr, dass der Kleine wirklich in den Wald geraten sei.

Viele waren der Pahlsin vorausgeeilt und hatten den Saum des Waldes jetzt erreicht; bald sah man dort einen Menschenschwarm zusammendrängen, das laute Rufen hörte auf, nur dann und wann kehrte im Gedränge jemand um und rief:

»Die Pahlsin her; wo ist die Pahlsin?«

Diese hatte aber, vor Angst erschöpft, auf einem Feldrain niedersitzen müssen.

Loisl war gefunden.

Man kehrte mit dem Kleinen zur Mutter zurück, aber es geschah viel stiller, ernster, freudeloser, als man nach so einem glücklichen Funde hätte denken sollen.

Man hatte inzwischen von dem großen Unglück gehört, das Georg Mulderer getroffen, und dies war wohl geeignet, die Freude der Leute über das Wiederfinden des Kindes herab zu stimmen.

Nur Käthchen und die Pahlsin waren von der Unglücksbotschaft noch nicht erreicht; erstere konnte sich also ihrer Freude ganz hingeben. So sehr sie auch zuvor ermüdet gewesen, das Glück machte sie jetzt wie mit einem Zauberschlage wieder stark, und niemand durfte die Last des Kindes ihr von den Armen nehmen; und während die glückliche Mutter den Kleinen nicht von sich ließ, herzte und küsste und dazwischen recht ernstliche Verweise gab, brachte Käthchen vor Eifer den Mund nicht zu und wendete sich bald zur Pahlsin und bald zum kleinen Loisl, dem sie die Wangen klopfte, indem sie sagte:

»Was, du Schnepfle, so weit vom Haus verlaufen? Wirst du das noch einmal tun, im Wald verlaufen, wo die Bären sind und der Wauwau?«

Loisl sah furchtsam drein über die Menge Menschen und den Lärm, den er verursacht hatte.

Käthchen wendete sich auch an die Leute, welche neben ihr gingen und sprach mit freudiger Hast gar allerlei, als wäre das ganze Glück der Pahlsin ihr widerfahren. Einige sagten ernsthaft und zerstreut, »Ja, ja«, dazu; andere hielten es nicht länger mehr in Käthchens Nähe aus, sie gingen still und betrübt davon.

Einer von den Männern konnte wenigstens gegen die Pahlsin nicht länger reinen Mund halten und zog sie, während Käthchen nach einer anderen Richtung sprach, leise zur Seite und sagte:

»Pahlsin, Pahlsin, o, Ihr wisst das Allerschlimmste nicht, was heut' geschehen ist: jetzt tragen sie da oben Käthchens Mann aus dem Walde, es hat ihn ein Baum erschlagen!«

Die Pahlsin überlief es, und sie blieb wie von Stein schnurgerade stehen, der kleine Bub' fiel ihr fast von den Armen, dann schrie sie laut auf:

»Jesus, Maria, Joseph! Jesus, Maria, Josef!«

Käthchen kehrte sich schnell um:

»Pahlsin, was ist Euch?« sagte sie.

Der Mann bemerkte der Pahlsin geschwinde ins Ohr:

»Um Gottes willen, sagt Ihr noch nichts, verratet's nicht!«

Dann zu Käthchen gewendet, sagte er:

»Ach, nichts, Käthchen; ich hab' der Pahlsin nur vertraut, dass der Loisl schnurgrad' auf einem Fels gelegen ist und geschlafen hat, wo es jählings in einen Abgrund geht – da hätte Loisl hinunterfallen können!«

Käthchen gab ihm über diese »Unvorsicht« einen Verweis, indem sie sagte:

»Aber, aber, Hartinger, wer wird das jetzt einer Mutter gleich sagen?«

Sie kehrte sich zur Pahlsin und beruhigte sie:

»Jetzt ist's gesagt und gesagt ist gesagt, sagt man, liebe Pahlsin, denkt ihm nicht zu viel nach. O, ihr Männer, ihr wisst auch gar nicht, was sich schickt, ihr fasst alles gleich mit Ofengabeln an!«

Der Pahlsin aber war die Ablenkung des Mannes willkommen, sie konnte ihrem schweren Weh wenigstens unter einem Vorwande Luft machen; schmerzlich sagte sie:

»Da hab' ich gemeint, wer weiß, was mir geschehen ist, aber da seh' ich jetzt, was einem geschehen könnte; o Gott, barmherziger Vater, verzeih' uns unsere Sünden, das ist doch zu viel!«

Beklemmt, dass sie nicht weiter reden konnte, ging sie neben Käthchen her, während diese fortfuhr, Trost und Ruhe zuzusprechen.

In solcher Stimmung und unter solchen Reden hatte man das Dorf endlich erreicht, und voll Wehmut hatte sich bis auf die Pahlsin alles nach und nach aus Käthchens Nähe verloren, ohne dass sie es bemerkte.

Vor ihrem Hause blieb die Pahlsin stehen und konnte nicht gleich sprechen, dann rief sie:

»O, Käthchen, Käthchen, gute Nacht, Käthchen ...«

Mehr brachte sie nicht hervor.

Jetzt fühlte sich auch Käthchen bedrückt, ohne zu wissen, warum; mit klangloser Stimme sagte sie:

»Gute Nacht, Pahlsin – ja, ja ... so hat man immer, wenn man verheiratet ist, seinen Kummer, seine Not ...«

Zu Hause war inzwischen das Feuer auf dem Herde ausgegangen, und was darüber gestanden, war verbrannt oder ausgelaufen; Anton war fort, keine Magd und kein Knecht waren zu sehen, das Haus war leer, wie ausgestorben, da es doch um diese Zeit sonst immer alle versammelt sah; auch Georg war noch nicht da.

Käthchen schob das alles auf den Tumult, welcher um das verlorene Kind im Dorfe entstanden und glaubte den Mann und das Gesinde noch unter den hier und da versammelten Leuten.

Geschwinde verbesserte und erneuerte sie auf dem Herde alles und wischte sich dann die Hände an der Schürze, um nun ihren Mann und die anderen aufzusuchen.

Aus dem Häuschen ihres Vaters hörte sie ein dumpfes Durcheinanderreden, und dann und wann gingen still weinende Leute aus und ein.

Käthchen erstaunte und wollte schnell hinüber; jetzt hörte sie ihres Vaters Stimme ganz fremdartig tönen, einmal wie laut weinend, einmal wie laut lachend.

Käthchen eilte bestürzt gegen das Häuschen und sah ihren Vater wirklich heftig weinend im Fenster lehnen; das war eine Erscheinung, die Käthchen an ihrem Vater noch nie gesehen hatte; es ging ihm aber sonderbar genug dabei, denn das hatte er nun von seinem ewigen Lustigsein, dass er das Weinen vergessen hatte und jetzt, wo es ihm das Herz abstoßen wollte, statt zu weinen wie ein anderer Mensch, nur allerlei heldenmütige Töne hervorstieß und dazwischen blökte wie ein Schaf.

Als er sein Käthchen erblickte, fuhr er in die Stube zurück, schreiend, dass die Wände widerhallen:

»Da kommt sie, da kommt sie! Lasst sie nicht herein!«

Käthchen hörte diesen Ruf, und eine böse Ahnung durchschoss ihr Herz; man wollte sie an der Türe zurückhalten, aber sie war schon den Leuten zwischen den Armen durch in die Stube gedrungen, ihr Haar flog wie in Verzweiflung auseinander, da man ihr das Kopftuch abgestreift hatte – und eine Weile in der Stube wehrufend und taumelnd, erblickte sie eine Leiche auf der Wandbank, das Gesicht mit Leinwand überdeckt, zu Häupten derselben ein brennendes Lämpchen ...

Siebzehntes Kapitel .
Wer war der Tote?

Wir wollen Käthchens Jammer nicht schildern. Was könnte das auch helfen? Genug, dass wir erwähnen, Käthchen habe sich am folgenden Tage kaum mehr ähnlich gesehen.

Die Leiche war in Käthchens Haus aufbewahrt worden; das entstellte Angesicht derselben wurde dicht verhüllt, und niemand durfte es besehen.

Es kamen nun die Leute nacheinander, um vor der Leiche hinzuknien und ihr Gebet für die abgeschiedene Seele zu verrichten; sie besprengte die Leiche mit Weihwasser, aber das Antlitz derselben enthüllen durften sie nicht.

Das war es, was Käthchen mit am schmerzlichsten berührte, dass ihr und andern nicht einmal das teure Angesicht des Toten zu schauen gestattet war; denn es ist immer noch ein Trost, dem lieben Verstorbenen das Haupt und die Brust mit Blumen zu schmücken und mit Bildern zu verzieren; dass Käthchen über die Totenleinwand Blumen, Kränze und Bilder als freundliche Verzierung legte, das war doch nur ein schwacher Ersatz für eine versagte Sitte, die sonst so tröstlich wirkt.

Die Nachtwachen bei Georgs Leiche waren so zahlreich bestellt, dass die große Stube oft kaum genug darbot, die Leute alle zu fassen.

Wie gewöhnlich wechselten da mit ernsten Gesprächen auch heitere, und es war höchst wundersam, den Hofer dabei zu sehen, wie ihn jeder Scherz, der vorkam, augenblicklich aus der ernsten Stimmung warf und ihn selbst ermunterte, auch ein lustig Wörtlein mitzureden; aber ein Blick auf die Leiche oder auf sein Käthchen war genug, seine Lippen wieder stumm und seine Augen feucht zu machen.

In stiller Trauer saßen Vater Mulderer und Anton da, kein ernstes Wort vermochte sie tiefer zu erschüttern, als sie es waren, kein lustiges Wort erheiterte sie merklich; doch ist das eine gute Sitte, durch heitere Gespräche auf die Trauernden zu wirken und für Augenblicke ihre Herzen zu erquicken.

In der zweiten Nacht kam unvermutet auch der frühere Oberknecht Georgs von Angern herüber, um bei der Leiche seines früheren Herrn zu wachen.

Käthchen stieß einen leisen Schrei aus, als sie ihn hereintreten sah, auch den andern war sein Anblick sichtbarlich ergreifend.

Friedel selbst wollte »Gelobt sei Jesus Christus!« sagen und hinzufügen: »Käthchen, was muss ich hören?« Aber gleich das erste Wort verschlug es ihm, er blieb an der Türe lehnen und wischte sich den Schweiß von der Stirne und fuhr mit der Hand langsam über die Augen den Tropfen nach, die sich über seine Wangen stürzten.

Eine Zeitlang redete kein Mensch in der Stube ein Wort.

Mulderer, der bei aller Weichheit seines Charakters doch in schweren Augenblicken eine wunderbare Stärke beweisen konnte, war der erste, welcher aufstand und, dem Knecht entgegengehend, sagte:

»Ja, du kommst in einer traurigen Zeit zu uns; komm aber und ruh' aus bei uns; es ist weit von Angern herüber.«

Der Knecht wollte auf die Leiche zu, um ihr Angesicht zu sehen, Mulderer hielt ihn aber gleich zurück mit den Worten:

»Nicht, nicht, bet' im Stillen für ihn, das andere darf nicht sein.«

»So ist's wahr, was ich gehört hab'?« sagte der Knecht mit lebhafter Rührung.

Mulderer führte ihn ohne Antwort zu einem Stuhle hin, dass er sich vor allem niedersetze. Eine Weile dauerte nun ein tiefes, lautloses Schweigen in der Stube, dann erneuerte sich Käthchens Jammer mit solcher Gewalt, dass man lange zu tun hatte, sie nur einigermaßen zu beruhigen.

Mit unbeschreiblicher Wehmut sagte sie dann zu Friedel:

»Gelt, von uns bist du fort, weil du gemeint hat, es komme keine ruhige Stunde mehr, du hast gemeint, nur Unfriede und sonst kein Unglück werde unser Haus heimsuchen, jetzt siehst du ihn aus unserm Glück hinaus gestorben, nicht das ist eingetroffen, was du gemeint!«

Der Knecht schwieg eine Weile, dann sagte er mit Fassung:

»Besser so, Käthchen, als es wär' gekommen, wie ich gefürchtet habe. Jetzt bist du und ist jeder ohne Schuld, es ist ein Unglück, für das kein Mensch kann. Wer dich ansieht, muss Lieb' und Ehrfurcht für dich haben; o Käthchen, nicht alle Weiber sind schuldlos an dem Unglück ihrer Männer, wenn sie auch Käthchen heißen wie du; o Käthchen, ich könnte andere Dinge erzählen, von Weibern, die ihre Männer selbst in die Grube bringen, aber ich will schweigen.«

Diese Worte Friedels erregten Neugierde, selbst Käthchen erhob den Kopf befremdet.

Die Neugierigsten fragten:

»Wie, hat's der Irrker mit der Rösel-Katharine nicht getroffen, wie er gemeint hat? Ist schon Unfrieden vorgekommen zwischen ihnen? Du meinst doch die junge Irrkerin? Vertragt sie sich nicht mit ihrem Mann? Das wär' doch viel Undank von dem Weibe!«

Man sah es dem Knechte an, dass er mit sich kämpfte, ob er sagen solle, was er wusste, oder ob er doch lieber schweigen solle.

Endlich sagte er mit Bewegung:

»Nein, es ist keine Sünde, wenn ich kein Geheimnis daraus mache; wenn's die junge Irrkerin forttreibt, wie ich weiß, so ist's ja bald bekannt, wie die Sonne am Himmel, so was kann nicht lange verborgen bleiben; auch darf man für das Boshafte kein Herzerbarmen haben!«

Man rückte näher zusammen, und Hofer fragte:

»Nun, was ist's denn? Was verbricht denn die Irrkerin? Ist sie durch ihr Glück übermütig worden? Verachtet sie andere Leute, die noch arm sind, wie sie kürzlich auch gewesen?«

»O, wenn' nur das wär'«, erwiderte Friedel, »da wär' am Ende noch alles gut zu machen und kommt auch sonst noch alle Tage vor!«

»So wird sie doch ihrem Mann treu sein, was? Sie wird doch einen Mann nicht betrügen wie den braven Irrker, einen Mann, den alles schätzt und ehrt? Das wär' doch höllisch, gering gesagt – ah, das kann nicht sein! Er ist nicht nur wie ein Mann zu ihr, er ist wie ein guter, wohltätiger Vater, da müsste sie ja alle Scham und Dankbarkeit in tiefsten Abgrund vergessen!«

Diese Worte hatte der Schädelbauer lebhaft gesprochen, und Friedel erwiderte nach einer Weile:

»Glauben sollte man freilich nicht, dass so etwas möglich wär', aber es ist doch so; ich hab' meine Augen und Ohren und kann mich darauf verlassen. Untreu' ist's aber auch wieder nicht allein, es kommt da alles zusammen, was man nur verlangen kann. Doch will ich von Anfang hersagen, wie ich dort alles gefunden hab'.«

Er setzte sich zurecht und fuhr dann fort:

»Ich hab' in meinem Leben kein junges Weib gesehen, was gleich nach der Hochzeit wie die jung' Irrkerin, schön und lieb und brav und freundlich gewesen; man hätte glauben sollen, es geh' bei dem Irrker recht nach dem Sprichwort: Wo eine Taube ist, kommen Tauben hin, wo Glück ist, kommt Glück hin; weil der Mann viel Geld hat, muss er auch ein gutes Weib bekommen. Es gibt keinen Armen im Dorf, der nicht von der Irrkerin nach der Hochzeit beschenkt worden wäre; die Angerer, wie sie das gesehen haben, haben ihren Groll beiseite geworfen, dass ihren Töchtern eine Fremde den reichsten Mann weggefischt; jetzt sind sie auch so zufrieden gewesen, weil die Irrkerin keinen Stolz und Übermut gezeigt hat; wer weiß, hat sich jedermann gedacht, wär' nicht jede von unsern Töchtern zehnmal stolzer gewesen, es muss schon gut sein, wie es der Himmel gewollt hat. Und wie der Irrker habe ich dabei auch in meinem Leben keinen Mann glücklich gesehen, es ist schier rührend gewesen, wie er sich gezeigt hat, nicht ausgewechselt und lustig, nein, er hat das alles mit stiller Freude angesehen und gehört, man hat wohl merken können, sein Herz sei übervoll von Glück. Ein freundliches: gut, gut – wenn ihm jemand ein schönes Werk von seinem Weib erzählt hat, ist alles gewesen, oder es sind ihm vor Freude die Augen hell geworden.

»Denkt euch nur, in dieses Haus bin ich gekommen, wie das Glück gerad' im besten Stand gewesen ist, ihr werdet mir's verzeihen, dass ich in meiner ersten Freude keinen Sinn und keinen Wunsch zu euch zurück empfunden habe.

Da ist die Zeit gekommen, und der Irrker hat auf die Reise müssen in Geschäften; an einem Sonntag nach dem Essen ist er aufgebrochen und hat einen herzlichen Abschied von seinem Weib genommen und hat mit nassen Augen ihr und uns das Haus ans Herz gelegt, wir sollen es hüten und nichts versäumen. Die Irrkerin hat laut geklagt und mit Seufzen ausgerufen: ‚O, Jesu, jetzt gehst du fort, und ich soll allein da bleiben, wie werde ich mich gewöhnen ohne dich, o hätt doch das ofte Reisen ein Ende, so wird es jahraus, jahrein gehen, ich werde einen Mann haben und werde ihn doch nur alle heilige Zeiten sehen!' Dem Irrker hat das Jammern ins Herz geschnitten, und er hat nach und nach beruhigt. Aber noch lange ist die Irrkerin dagesessen mit rotgeweinten Augen und hat sich trösten lassen von Nachbarinnen, und wer nur etwas gebeten hat, der hat es erhalten; ja sogar junge Burschen, wenn sie gekommen sind: Darf ich euern Schecken oder euern Fuchs ausreiten? – haben ihren Willen erhalten.

Aber da hatte es auch ein Ende mit dem Guten, und das Schlimme kommt. Die Irrkerin hat eine Base, die Brander-Elis', das ist ein Weib, vor der ich meinen Abscheu gefühlt hab', wie ich sie das erste Mal gesehen, ich hätt' das Weib, sooft sie gekommen ist, immer beim Flügel nehmen und wieder fortweisen mögen; wenn die keine Mondhex' ist, so bin ich ein Totschläger und Mordbrenner, was man will – ich lass mir auch nicht nehmen, die Irrkerin ist nur so höllisch worden, weil diese Branderin ihre Base ist und weil sie einmal bei ihr gelebt hat.

Denkt euch nun, wie mir gewesen ist, wie an jenem Sonntag nach Mittag der Irrker kaum einige Stunden fort ist und die Branderin kommt, und alles im Haus ist wie verzaubert! Die Irrkerin sagt gleich zu den Nachbarinnen: Ach, mir wird so schwind'lig, ich bitt' euch, helft mir, ich will mich niederlegen. Recht von Herzen bekümmert, helfen sie aus dem Gewande bringen und glauben schon, die Irrkerin werde recht elend werden und gehen fort, damit sie Ruh' genieße.

Aber kaum ist alles fort, so werden alle Türen abgesperrt, die Irrkerin steht geschwind wieder auf, frisch und gesund, es wird Feuer gemacht und gekocht und gebraten, was gut und teuer ist, der verreiste Mann ist vergessen, und auf einen andern wird gewartet.

Meinem Unterknecht hat schon lang von einer Liebschaft was geschwant, aber er hat das Herz nicht gehabt, davon zu reden. Der hat mich aufmerksam gemacht, und wir haben vom Boden durch das Loch überm Ofen, wo die Wärme fortgelassen wird, in die Stube hinabgesehen und alles hören können.

Mir ist Hören und Sehen vergangen, ich hab's nicht länger tragen können, ich bin auf und davon – meine Freude ist aus und Amen gewesen, ich habe geglaubt, ich müsse mich zu Tode grämen – so ein Mann wie der Irrker und in seiner Ehe so sehr betrogen!

Es ist schon Abend gewesen, wie ich nach Hause bin, und da hab' ich jemand sagen hören: Gott, wenn nur der armen Irrkerin nicht schlechter wird, aus dem Rauchfang raucht es immerfort, sie wird Umschläg' über Unschläg' brauchen – Da hab' ich mir gedacht und geschworen: Von jetzt an mag es rauchen oder nicht aus einem Haus, mag ein Haus Wände von Gold haben oder von elendem Stein, mögen die Leute, die aus- und eingehen, lächeln oder singen, ich vertrau' auf gar kein Glück mehr in meinem Leben, es gibt doch kein Dach, darunter es zu finden wäre!

So bin ich wieder nach Haus und hab' im Vorübergehen am Kammerfenster wispern und lachen gehört; eine Männerstimme ist auch darunter gewesen. Anfangs bin ich aufgefahren und hab' schon Tür' und Fenster zerscheitern wollen, der höllische Liebhaber drinnen wär' nicht lebendig aus meinen Händen kommen; aber ich hab' mich gleich wieder gefasst und zu mir selber gesagt: Lass, Friedel, lass, wenn es in der ganzen Welt so zugeht, warum willst du dich allein erzürnen und wehren? Mag jeder tun, was er will, auch geht es mich nichts an! Ich bin ruhig hinaufgestiegen und habe mich schlafen gelegt, habe aber nicht schlafen können. Mein Unterknecht hat schon auf mich gewartet und mich um Rat gefragt; ich habe mich umgedreht und ihm zur Antwort geben: Lass mich, ich will von der ganzen Sippe und von der Welt nichts mehr wissen! Der Unterknecht aber hat gesagt: Ah, wenn du nichts mehr wissen willst, so will ich doch auf meinen Namen für der Welt Ehr' eine kleine Saat ausstreuen; darauf ist er hinunter in den Garten, hat dem Oberjäger Finke so lange aufgepasst, bis er aus dem Haus gekommen, und hat ihn gottsmörderisch auf gut handwerksmäßig durchwalkt und dann mit verstellter Stimm' gesagt: So, die hast du derweil umsonst, verlier' am Heimweg keinen – die andern, wenn du wiederkommst! Weil die Sünd' nur still daher gehen muss, so hat der Oberjäger sich das Maul gewischt und ist säuberlich mit seiner Tracht davon. Aber andern Tags oder in der andern Nacht hat er sich ein paar Leute von seinen Untergebenen mitgenommen und hat sie auf den Anstand in den Garten gestellt, wenn ihm etwa wieder was zustoßen würde; aber die Schläg' sind weiter ausgeblieben. So ist er jetzt die Woch' dreimal in der Nacht gekommen und hat gleich der Irrkerin auch die Schläg' eingestanden. Die hat gleich Verdacht gefasst auf ihre Knecht', und weil sie nichts hat beweisen können, hat sie ihre Freundlichkeit von dem Tag' eingestellt und hat uns immer scharf ins Aug' genommen.

Endlich ist die Zeit um gewesen, und der Irrker ist von seiner Reise wiederkommen. Die Irrkerin hat wieder gezappelt und geweint vor Freude, dass ihr einziges Glück und Gut wieder da sei, und der unglückliche Mann hat alles für gut und wahr genommen und hat seiner Freude kein Maß gewusst. Zwei Tag' und zwei Nächte habe ich fort und fort überlegt, was ich tun soll, sag' ich's dem Irrker, wie er daran ist oder lass ich der Höllensünde ihr Vorrecht und grab' ich ihr keine Grube? Aber zuletzt hab' ich ein Herz gefasst und hab' mir vorgenommen, der Irrker soll alles erfahren!

Ich hab' im Voraus gleich meine sieben Sachen geschnürt, das hab' ich wohl gewusst, den Dienst wird's kosten und bin mit Herzklopfen zum Irrker hinab; aber mein Unterknecht ist mir schon bleich und halb lachend entgegengekommen und hat mir eingestanden, dass er gerade beim Irrker gewesen und die Sach' ausgeredet habe. Der Irrker habe ihn angehört und ausreden lassen und dann zum Bescheid gegeben: Geh' und schnür' dein Bündel, du zählst in meinem Dienst nicht mehr! Wer von meinem Weibe so was sagt, verdient, dass man ihn mit Hunden hinaus hetzt!

Die Antwort hab' ich auch für mich gleich gelten lassen und hab' mir nur vorgenommen, ich will bleiben, solang' der Irrker zu Hause ist, wenn er aber das nächste Mal wieder auf Reisen ging', wollt' ich auch abreisen.

Aber wie er fort ist, bin ich doch wieder geblieben und hab' doch sehen wollen, wie weit es lästerliche Menschen treiben. Jetzt ist die Sach' von Tag zu Tag schlimmer worden: der Oberjäger ist alle Nacht kommen und erst früh morgens wieder fort, die Irrkerin hat immer mehr die Scheu von ihr geworfen, sie hat nichts mehr danach gefragt, was Knecht und Leute munkeln, und auch in der Wirtschaft hat sie mit ihrer Höllenbas' die rechte Untreu angefangen. Da sind Sachen und Geld verschleppt worden, da ist den Leuten am Lohn abgerissen worden, die Kost in diesem reichen Haus ist für die Dienstleut' kaum mehr zu essen gewesen, und ich hab' mich deswegen einmal scharf ins Mittel legen müssen. Jetzt hab' ich nur noch abwarten wollen, bis der Irrker zurückkäm', und das ist gestern geschehen – da hab' ich meinen Abschied genommen!

Der Irrker ist grad bei seinem Weib am Tisch gesessen und hat in seinem Glück den Arm um ihren Hals geschlungen. Was willst du, Friedel? – hat er mich zuerst mit Freundlichkeit angeredet, du siehst ja aus, wie man auf Kindstauf' geht! Hast du was zu sagen?

Die Irrkerin ist brennrot worden und hat geschwind gesagt: Ach, Jesu, lieber Mann, ich hab' wie auf den Tod vergessen, der Friedel hat zur rechten Zeit gekündigt, ihm ist' in unserm Haus nicht mehr anständig oder was genug; er will fort.

Der Irrker ist eine Weil' dagesessen, hat den Arm von ihrem Hals heruntergenommen, hat kein Wort gesagt und ist dann aufgestanden.

Wie ist das möglich? – hat er endlich gesagt, Friedel, was treibt dich aus meinem Haus? Ist dir was geschehen, so sag's; vielleicht können wir doch beieinander bleiben.

Ich hab' nur mit den Achseln gezuckt und hab' ein Aug' auf sein Weib geworfen, die jetzt dastand, käseweiß und mit giftigen Blicken; wahrscheinlich wär' sie scheltend über mich hergefallen, wenn ich mit einer Klag' gekommen wäre. Aber ich hab' nichts geklagt und dem Irrker nur die Hand gegeben und gesagt: Irrker, ich bin nicht aus der Welt, wenn wir später einmal reden wollen.

Das hat ihm fast die Rede verschlagen, so ist kein Mensch aus seinem Haus noch fort; er ist mit mir bis vor die Haustür' gegangen: Du bist mir immer lieb und wert gewesen, hat er draußen mit ernster Stimme gesagt; ich hab' ihm nur zur Antwort geben: Irrker, wenn ich einen Mann verehr' auf dieser Welt, so seid ihr es, aber ich kann nicht länger bleiben.«

So bin ich fort, und der Irrker hat mir lange nachgesehen, wie ich aber später von einer Anhöh' nach Angern zurücksah, ist der Irrker mit seinem Weib zwischen den Feldern langsam und, wie ich gemeint hat', in Glück und Frieden dahin geschritten ...«

Die Erzählung des Knechts machte ihre Wirkung.

Lange drehte sich das Gespräch der Versammelten um diesen Gegenstand, bis der Morgen kam, und die Leute auseinander gingen.

Anton Mulderer zog den Friedel später bei Seite und bat ihn, künftig wieder in Hofers Hause zu dienen und zu vergessen, was er früher hier zu seinem Leid erfahren habe.

»Ich kann dir's sagen«, fuhr er fort, »dass ich jetzt für Käthchens Ehre sorgen muss, alle Leute wissen, wie es zwischen mir und Käthchen früher gewesen ist; wenn mein Bruder von heut an begraben ist, darf ich nicht mehr unter einem Dach mit Käthchen leben. Du weißt, heiraten dürfen wir in Ewigkeit einander nicht, aber die Leute hätten doch zu reden, lieber geh' ich zu meinem Vater zurück, er wird alt, und es wird ihm recht sein, wenn ich selbst die Wirtschaf übernehme.«

Friedel dacht eine Weile nach und sah nicht heiter drein.

»Eigentlich«, sagte er, »ist mein Bleiben nicht bei euch, mein Weg führt mich nur vorüber. Ich hab' meine Vakanz benutzen wollen und doch einmal zu meiner Mutter geh'n; ich fürcht', die Mutter tut mir's einmal urweilen und stirbt, und ich hab' das Nachseh'n! Aber wenn ich die Sachen anders anseh', ... Anton – ich will heut' bei dem Begräbnis dableiben, und morgen reden wir wieder davon. Aber das sag' ich dir, ich fürcht', wenn die schlimmste Trauer um deinen Bruder vorüber ist und viel von allem Unglück vergessen, ich fürcht', du bleibst nicht so, wie du bist gegen das Käthchen, und weil ihr euch niemals heiraten dürft, seh' ich dein rechtes Herzübel erst kommen.«

Anton stand in Gedanken da und gab ihm dann die Hand mit den Worten:

»Befürchte das nicht, da weiß ich mich sicher!«

Es war am Morgen des Begräbnisses, das Wetter war mild und heiter; von allen Enden kamen Leute, sich dem Kirchenzuge anzuschließen.

Als der Priester kam, in Begleitung der Ministranten und Sänger, glaubte man, Käthchen sei rasend geworden; sie wollte niemand zum Sarge hinlassen. Mit Gewalt musste sie ihr Vater und Anton in die Kammer führen und da zurückhalten, bis der Zug im Gange war, dann erst folgte man mit ihr von Ferne dem Zuge; Käthchens Wehklagen machte noch manches Auge von Tränen fließen, das sonst trocken geblieben wäre.

Hell ertönte der wehmutsvolle Grabgesng:

So muss ich von euch scheiden, ihr meine Lieben all',
In meiner Jugend Prangen aus diesem Jammertal!
Der Herr hat es befohlen, ich darf nicht widersteh'n,
Ihr Lieben alle, hoffet, dass wir uns wiedeseh'n.
Wie gern möchte' ich noch einmal erheben meinen Blick,
Dass er euch tröste über mein trauriges Geschick.
Erstarrt sind meine Hände, ich heb' sie nimmer auf,
Zu trocknen euch, ihr Lieben, die Trän' in ihrem Lauf.
O, dass ich euch erreichen mit meinen Lippen könnt'
Und Stirn und Aug' euch küssen bis aller Tage End'!

Das ist ein traurig Schicksal, ist man bereit ins Grab,
Dass jedes Liebeszeichen so ganz ein Ende hab',
Dass kaum des Leides Blume vom Tode ist gepflückt,
Man ohne Hilf' und Rettung gleich gar so stille liegt.
Doch ist es nur die Hülle, die von der Seele fällt,
Die Seele doch mit Sehnen am Himmelreiche hält;
So lass uns nicht zu traurig bei unserm Scheiden sein,
Mein' arme Seel' zieht freudig im Himmelreiche ein.

Nur Käthchens schmerzhaftes Schluchzen durchbrach den Gesang der Knaben-, Mädchen- und Männerstimmen. Weit hinter dem Sarge sprach ein Vorbeter die üblichen Gebete, und die Menge sagte sie leise summend nach.

Der Johann Meier kam eben von einem Gange über Feld zurück, und weil er aus der Ferne den Gesang des Leichenbegängnisses hörte, beeilte er sich, den Fußweg am Waldessaum hinauf.

Erst als er oben anlangte, bemerkte er, dass noch jemand dem Leichenzuge von hier aus nachblickte; Meier wollte sich zu ihm gesellen und trat dem Fremden näher, warf aber im nämlichen Augenblicke, das Gesicht des Fremden sehend, Stock, und was er in den Händen trug, hinweg und glaubte vor Entsetzten den Geist aufgeben zu müssen.

Der Georg Mulderer stand vor ihm. ... Er war verwildert in seinem Äußeren, aber doch – er war es – Georg war es leibhaftig, der da vor ihm stand.

»Jesus Christus, Jesus, Maria, Joseph und alle Heiligen!« schrie Meier, als er seine Sprache wiederfand – »Mulderer, du bist da, und dort begräbt man deine Leich' gerade?«

Georg erblickte den Johann Meier jetzt erst und fuhr zusammen.

»Still, still – oder ich müsst' Euch selbst zur Leiche machen«, sagte er, »ich erwürg' Euch bei Tag oder Nacht, wenn ihr nur ein Sterbenswörtlein meinem Weib oder meinem Bruder oder meinem Vater oder wem sonst sagt, dass ihr mich gesehen habt. Geht fort, seht euch nicht um, kümmert euch nicht mehr, was ich bin oder tu', es kostet euch das Leben!«

Nach diesen Worten verschwand er schnell im nahen Walde.

Siebzehntes Kapitel .
Ein Liebeszeichen nach dem Tode

Es wäre eine holde Pflicht, die wir nicht versäumen sollten uns im Leben aufzuerlegen, in Stunden der Einsamkeit die lange Reihe bekannter Menschen an unserem Andenken vorübergehen zu lassen, vor jedem, der uns mehr oder weniger nahe gestanden, mit prüfendem Freundesauge anzuhalten und in stillem Genügen uns seines Wesens und Verhältnisses zu uns zu erinnern.

Wir können oft gar nicht genug durchschauen, wie wichtig der oder jener für uns gewesen und wie viel Kostbares unsere Seele aus den Beziehungen zu demselben gewonnen.

Kein Zweifel waltet, was irgend an uns Reifes ist, kam durch Erfahrung, fremde oder eigene, durch Lehre und Umgang zur Reife.

Aber etwas übersehen wir oft, und das ist nicht gut: uns entgeht das Sinnige und Tiefe eines Wesens oft nur, weil wir unser Auge im großen Tumult der Welt so häufig nur nach dem Überraschenden und Glänzenden unverwandt richten; geblendet eilen wir an Herzen vorüber, welche noch das Herz nicht haben, sich uns anzuvertrauen, und so geht manche verschwiegene Freundschaft vorüber, richtet manche verborgene Liebe ein schweigsames Herz zu Grunde.

Das Volk, welches selten viele Worte ins Blaue verliert, erfindet sich für seine Freuden und Schmerzen tröstliche, wunderliebe Sagen, darin es den Trost neben den Schmerz stellt, Balsam neben die Wunde.

Auch im Falle des Liebesangedenkens vom Jenseits herüber weiß es erbaulichen Rat.

Hier eine solche Sage.

Sie nimmt sich jener Verstorbenen an, welche mit der Pein der Liebessehnsucht aus dem Leben müssen und auch jenseits keine Ruhe finden können. Den Lebenden ist es leicht, wenn es ihr Herz einmal fordert, sich denen bemerkbar zu machen, welchen sie nahe stehen möchten; aber was bleibt den armen Toten, die hier nicht sprechen und von dort herüber kein Zeichen mehr geben können?

Wir wollen sehen, was die Sage meint.

Es starb, erzählt man sich, eines Sommerabends ein liebes Töchterlein ihrer Mutter; starb, wie man nie zuvor ein ähnliches Hinscheiden sah, mit süßem, heitern Lächeln, drückte der schluchzenden Mutter tröstend die Hand, indem sie sanft verklärt gestand, ein Traum habe ihr in letzter Nacht allen Gram und alle Klage aus dem Herzen genommen, sie werde nicht auf Lange scheiden.

Eben ging nach einem lauen Frühlingsregen die Sonne groß und herrlich nieder, man hatte die Sterbende unter eine Linde hinaustragen müssen, und hier sagte sie, bis der Abendstern käme, würden die Lüfte leise klingen, in den Zweigen über ihrem Haupte würde es rauschen wie vom Ansturm einer flüchtigen Vogelschar, zugleich würde ein leises Flattern und Laufen hörbar werden wie von seligen Kindern, die im Abendscheine spielen; jenes leise Klingen aber wäre ihr eigener Freudensang, weil sie noch bleiben dürfe eine Weile, wenn auch unsichtbar, in der Nähe der Lieben; das Rauschen in den Lindenzweigen wäre ein Zeichen der Flucht jener Erdenleiden, welche ihrem jungen Herzen noch bevorgestanden, nun aber im Tode von ihrer Beute sich trennen müssten; und jenes leise Flattern käme vom Himmelskleidchen ihrer eigenen Seele, die in verklärter für Erdenaugen unsichtbarer Gestalt gleich spielen und schäkern würde mit seligen Kindern, die sie nahen höre.

Die letzten Sonnenstrahlen glühten noch auf den hohen Bergwäldern, und im fernen Osten begann der Abendstern zu leuchten – da verschied das Töchterlein in den Armen der weinenden Mutter.

Wie ward ihr nun, als es wirklich leise zu klingen und zu singen begann über ihrem Haupte, als wirklich wie eine flüchtige Vogelschar ein Rauschen durch die Blätter fuhr und auch das leise, geschäftige Flattern eines duftigen Kleidchens deutlich hörbar wurde!

Ein Lächeln des Friedens blieb zurück auf den Lippen der Verstorbenen und verlor sich auch nicht, als sie zu Grabe getragen wurde.

Nun war kurz vor diesem Absterben eine wilde Zankgeschichte im nahen Jägerhause vorgefallen; die heftige, keifende junge Försterin hatte wieder einmal, was nicht selten geschah, ihren sonst so geduldigen Mann in Harnisch gebracht, so dass er um sein Recht als Oberherr des Hauses zu behaupten, leidenschaftlich und tatkräftig auftreten musste.

Als er das mit gehörigem Nachdruck getan, machte er sich fertig, nahm sein Gewehr und ging.

Im Walde schoss er großes und kleines Wild, sah Blut, war durch langen Jagdlauf endlich müde geworden und gedachte wieder heimzukehren.

Vieles hatte seit seiner Ehe beigetragen, ihm sein Weib, sein Gewerbe und sein Haus von Grund aus zu verleiden. Er war einst Bauernbursche gewesen, schön von Gestalt und freundlich in seinem Wesen, deshalb sah ihn die feine Jägerstochter mit verliebten Augen an und brachte ihren Vater dahin, dass er ihn ins Haus aufnehme, unterrichte und ihm einst die Försterstelle schaffe.

Es war natürlich, aus beiden wurde dann ein Paar. Aber da zeigte es sich bald, wie traurig sich die Dinge ändern, wenn die Neuvermählten nicht zusammen passen.

Über sein Schicksal dachte der junge Förster heute ganz besonders nach und ließ sich so in trüben Gedanken am Saume des Waldes nieder. Als er sich den Schweiß von der Stirne wischen wollte – siehe da fehlte ihm sein Schnupftuch; er wusste ganz gewiss, dass er's zu sich gesteckt, doch suchte er's vergebens.

Als er eine Weile in Gedanken dagesessen, hörte er über sich auf einem Baume eine Krähe schreien; er griff nach dem Gewehre, um das Tier zu schießen – doch siehe, es fehlte ihm sein Gewehr, an dessen Stelle lag sein Schnupftuch da.

Noch voll dieser Wunder, blickte er jetzt auf seine rechte Hand – und siehe wieder, seine beiden Ringe, die er noch eben gehabt, waren herunter und fort.

Erschrocken sprang er auf – und stieß dabei an sein Gewehr, welches auf demselben Platze lag, wo er es eben nicht gefunden hatte; als er aber danach langte, sah er auch seine Ringe wieder am Finger.

Jetzt warf er sein Gewehr in Eile über und wollte den Ort verlassen – als das Wunderbarste erst erfolgte.

Plötzlich war's, als umkreise ihn eine einsame Biene, die ihren Heimweg nicht findet und sich in rastlosem Kreisen ermüdet; es klang erst wie leises Weinen, dann wie das zitternde Klingen einer Saite, das sich verstärkt und schwächt, bald mengte sich ein fremdartiges Rauschen darunter, ein leises Flattern und Flüstern verklärter Stimmen; zu vollen herzerschütternden Akkorden schwoll, und in jenes leise Weinen und Klagen verlor sich die süße, wundervolle Luftmusik endlich wieder, und das ging so fort, von Sekunde zu Sekunde mannigfacher, seltsamer, bezaubernder; kein Zweifel schien bald mehr, auch Menschenstimmen klangen dazwischen, und Trauerworte verschlang ein vernehmliches Schluchzen.

Der Förster lehnte an einem Baume, und weil sein irdisches Auge von den unsichtbaren Dingen der Luft nichts sehen konnte, so schloss er seine Augen und ließ die Seele gestalten, wozu das Klingen in den Lüften anregen mochte.

Und nun schien es ihm, ein Knäblein, das sich im Walde verirrt, rufe, weine und laufe an ihm vorüber, und je weiter es sich entferne, desto mehr verklärte sich sein Ruf, bis er zuletzt zum lieblichen Gesange verschmolz.

Dann schien es ihm, eine besorgt Mutter führe eine Schar schäkernder Kinder vorüber und mahne sich mit wehmütigen Worten, ihre Herzen künftig ja in acht zu nehmen, und wie sie also sprach, schien ein tobender Reiter zwischen Mutter und Kinder zu sprengen und Tod und Jammer anzurichten; ein Leichenzug folgte, übertönte das Weinen der Mutter und Kinder, dann schien's, als senkten sich Verklärte hernieder und mengten Freudensang unter die irdischen Trauertöne.

Aber das Herz zerriss es dem Jägersmanne, als plötzlich in schneidenden Jammertönen ein Mädchen vorüberzustürzen schien, die Arme schmerzvoll gegen Himmel geworfen, die Haare offen und fliegend im Nacken; es klang wie der Schmerzruf einer wohl bekannten Stimme und dennoch wieder so fremd, so überirdisch wunderbar. Dazwischen blieb der Gesang der Verklärten noch hörbar, der sich tiefer und tiefer senkte, bis der Jammerruf des Mädchens mit dem Friedensgesange verschmolz und nur leise noch erkennbar blieb.

Nach ziemlicher Dauer verlor sich dieses schreckliche und liebliche Spiel der Lüfte wieder, und wie ein feiner, weithin flatternder Schleier zerriss es jetzt vor den Ohren des erschütterten Försters, und wie der Flug einer einsamen Biene zog es schließlich verklingende Kreise, leise weinend, flüsternd, klagend.

Dies geschah einige Augenblicke nach dem Absterben jenes Töchterleins, dessen wir erwähnt.

Beide, der Jäger und der Verstorbene, waren einst Nachbarkinder, sie spielten ihre Kinderjahre miteinander und besuchten zu gleicher Zeit dieselbe Schule. Nach den Schuljahren wurde jedes ernsthafter; der Bursche ging ehrgeizigen Dingen nach und kam endlich in die Fesseln des Jägerhauses; die Jugendgespielin hing mit träumerischem Sinn der Erinnerung aus früheren Tagen und – was zum Übel für sie werden sollte – dem herrlich aufblühenden Burschen nach, solange ihr Herz noch schlagen konnte. Und so kam es, dass sie am gebrochenen Herzen starb, als sein häusliches Unglück gerade in voller Blüte stand.

Ohne von diesem Leid und von dem Tode der Jugendgespielin noch zu wissen, kehrte der Förster an jenem Abend heim, erwartend, dass ihm wie sonst sein wütendes Weib entgegenkommen und ihm die Szene des Streites erneuern werde.

Als er von Weitem sein Haus erblickte, sah er zugleich sein Weib vor der Haustürschwelle hin- und hereilen und hörte ihr Gekeif mit Knecht und Mägden. Heftiger als sonst wollte dem Jäger die Galle steigen; er beschloss – es ende, wie es wolle – sich abermals wie der Herr und Meister im Hause zu zeigen und das Feld zu behaupten. Aber welch ein Staunen erfasste ihn, als er sein Weib, welches sich wütend eben gegen ihn gekehrt, auf einmal mit zärtlicher Freundlichkeit entgegenkommen sah, um ihn unter Tränen zu küssen und ihn um Vergebung zu bitten.

Von solchem Wunder vergingen ihm fast die Sinne, umso mehr, als es ihm vorkam, dass es über seinem Haupte wieder zu singen und klingen anfange wie kurz zuvor.

Schweigend ließ er sich die Liebkosungen seiner Frau gefallen, wurde nachdenklich, aber erkannte auch bald, dass es auf natürliche Weise so nicht zugehen könne.

Solche Szenen wiederholten sich nun öfters, und auch andere Wunder blieben dabei nicht aus. Sooft die Jägerin in Zorn geriet, hörte ihr Mann das Klingen in den Lüften, und bald darauf schien eine unsichtbare Macht das heftige Weib zu besänftigen und aufzuheitern.

Nur einmal fragte der Jäger sein Weib:

»Aber sag' mir, meine Liebe, hörst du nichts, gar nichts über uns in den Lüften?«

»Ich höre nichts«, erwiderte sie, »es wird auch dir das Ohr nur klingen, wie es oft geschieht.«

Er ließ es bewenden.

Von nun an verging kein Tag, ohne dass der Jäger, wo er stand oder saß, zu Hause oder im Walde, bald dieses und bald jenes vermisste, bald die schöne Feder auf dem Hut, bald den Ring am Finger, bald Pulver und Blei, bald das seidene Tuch, welches er um den Hals trug – und wenn er sich dann lange abgemüht, es zu finden, so lag es plötzlich gerade dort, wo er am eifrigsten gesucht und es nicht gefunden hatte.

Über all' das wollte er Aufschluss haben; deshalb machte er sich zu einem wunderlichen Manne auf, der ihm Rat erteilen sollte.

Dieser ließ sich alles genau erzählen und dachte drei Tage darüber nach, dann sagte er dem Jäger:

»Nun, ich glaub', ich hab's ... Sagt, habt Ihr in Eurem Leben von Jugend auf Umgang mit Mädchen gehabt? Habt Ihr wohl achtgegeben, welche Euch verehrt und doch geschwiegen habe?«

Der Jäger erwiderte:

»Ich habe freilich Umgang mit einem Mädchen gehabt, das mit mir aufgewachsen ist, aber ich hab' auf seine spätere Neigung nicht wohl achtgegeben.«

»Nun so geht jetzt nach Haus, es wird Abend«, sagte der Greis, »denkt nach über diese Jugendgespielin, und habt Ihr Euer Angedenken durchgemustert, so seht nach, was Euch von Euern Habseligkeiten fehlt; könnt Ihr etwas nicht gleich finden, so denkt mit einem Seufzer an jenes Kind, von dem Ihr glaubt, dass es Euch im Stillen verehrt habe; stellt sich in diesem Augenblicke die Sache zurück, so kniet und weiht ihm eine Träne, denn Ihr seid schuld, dass ein Herz wegen Euch gebrochen starb.«

Der junge Förstersmann erschrak und ging bewegt nach Hause.

Zu Bette ging er die Reihe der Mädchen durch, welchen er von Kindheit nahegestanden; beim Angedenken an die verstorbene Jugendgespielin verweilte er am längsten. Er empfand ein süßes Schauern dabei, und jenes leise Klingen schien sich wieder hören zu lassen.

Da sprang er auf und sah unter seinen Habseligkeiten nach, was ihm fehle. Sein Brautring war's, den er vermisste. Kaum aber rief er aus:

»Anne, Anne! Bist du es, die um mich gestorben ist, ist dies dein Zeichen?« so erklang es wieder in vollen, aber heiteren Tönen über seinem Haupte, und ein sanftes Schluchzen wurde vernehmbar, der Brautring aber lag jetzt auf derselben Stelle, wo er ihn vorhin gesucht.

Von dieser Stunde an beschloss er, sein wärmstes Angedenken der Verstorbenen zu widmen und sie anzurufen, sooft er was vermisste – stets blieb auch der Zauber dieses Namens wirksam. Fehlte ihm Ring, Kette, Hut oder Gewehr, so rief er nur: »Anne, Anne, bist du es?« und es lag da ...

Wer also je so glücklich oder unglücklich war, ein verschlossenes Herz unbewusst gebrochen zu haben, der nehme sich diese Zeilen zu Gemüte; es sollte wenigstens keine festliche Jahreszeit vergehen, ohne dass wir allen denjenigen ein freundliches Angedenken widmen, die uns je im Leben nahe gestanden. Und wenn es geschieht, dass jemand diese oder jene Kleinigkeit nicht finden kann, von der er doch bestimmt weiß, wohin er sie gelegt, der erinnere sich an jenes Herz, welches im Verdachte heimlicher Liebesqual gestanden.

Im Volke heißt es, dass immer, wenn wir etwas Liebes an seinem Platz nicht finden können, die Geisterhand der Geschiedenen darauf ruhe und sich erst wieder wegrücke, sobald wir den Namen erraten und mit Wehmut nennen.

Nun heißt es aber ferner, es sei allerdings nicht allen Liebenden, die in ihrer Leidenschaft starben, erlaubt, von dort herüber sich bemerkbar zu machen, weil sich viele mit der Paradiesesentschädigung jenseits zufrieden finden, andere mit dem himmlischen Versprechen sich getrösten, dass ihr Liebling auch bald folgen werde; manche Verstorbene aber haben ihr Herz so unverwandt nach dieser Erde gerichtet, dass sie weder Paradies noch ein himmlisches Versprechen trösten kann; und für diese weiß der Glaube von einer besonderen Gnade des Himmels, dass sie nämlich leise und unvermerkt wieder kommen dürfen und auf zarte Geisterweise ihre Lieblinge so lange mahnen, bis sie endlich ein Erinnern auferweckt ...

Diese Sage war es, welche auch unserm Hofer-Käthchen nach dem Begräbnisse ihres Mannes tiefes Weh bereitete.

Es verging kein Tag, ohne dass Käthchen dieses oder jenes, was sie zur Hand zu haben meinte, zu ihrem Jammer und Schrecken vermisste.

Mochte auch manches Mal die Ängstlichkeit und Hast daran schuld sein, warum sie oft Dinge, welche wirklich vor ihr lagen, nicht sehen konnte; so ist doch nicht zu leugnen, dass ungewöhnlich oft dieses oder jenes vermisst wurde, was eben noch von ihr oder jemand im Hause gesehen worden war.

Käthchen erbebte immer, wenn so was geschah; denn sie meinte, Georgs unsichtbare Hand ruhe darauf und wolle ein Zeichen des Angedenkens geben.

Eines Mittags während der Ernte hatte Käthchen so viele Leute zur Arbeit nötig, dass bei Tische ein Löffel zu wenig war und Käthchen sich genötigt sah, den ihres seligen Mannes aus der Kammer zu holen; aber welch ein schmerzlicher Schreck erneuerte sich in ihrem Herzen, als der Löffel nicht zu sehen war; Nachmittag aber fand ihn Käthchen auf derselben Stelle, wo sie vorhin vergebens gesucht.

Ein ander Mal geschah es, dass Käthchen ihren Brautring als Muster herzeigen sollte; Käthchen hatte ihn noch zwei Stunden zuvor in dem schönen, rotledernen Schächtelchen, in Wolle eingewickelt, gesehen, aber als man jetzt den Ring zu besichtigen kam, war er verschwunden, und erst des folgenden Tages fand ihn Käthchen wieder an Ort und Stelle.

So ging das einige Wochen fort, und Käthchen brachte nicht selten halbe Nächte in Gedanken und Gebet dahin.

Sonst geschah in Käthchens Hause freilich nichts Bedeutendes, denn die ländlichen Geschäfte gehen ihren regelmäßigen, vorausbestimmten Gang, und wenn schon in einem Hause Veränderungen vorfallen, so betreffen sie höchstens den Wechsel der Personen.

Nun, dieser Wechsel bestand jetzt darin, dass der alte Hofer seit Georgs Tode wieder lebhaft an der Wirtschaft sich beteiligte, dass Friedel wieder die Stelle eines Oberknechtes mit Fleiß und Treue versah und dass Anton Mulderer sich ganz aus Käthchens Nähe zurückgezogen hatte.

Friedel war jetzt wieder heiterer und lebensmutiger geworden, besonders da er nun keine Liebesszenen mehr in Hofers Hause zu befürchten hatte.

Einst saß er mit Anton während der Abenddämmerung vor dem Hause, und es war von Käthchen die Rede, da sagte er:

»Freund, das mit der Geschichte von dem Handdrauflegen, wenn einer gestorben ist, das wär' auch so ein guter Einfall, z.B. wenn einer verreisen tät' und er ließ hinterher sagen, er sei gestorben; nun hätt' er aber jemand, und der nähme seinem Weib alle Tag was anders, aber legte es nachher wieder an Ort und Stelle – sag, Lieber, wär' das nicht ein hübscher Scherz? Die vermeinte Wittib hätte, weil ihr Mann ihr immer Zeichen von dort herüber gibt, gar nicht Zeit, sich umzusehen, wo sie jetzt einen andern Mann hernehme; – als wie z.B. gesetzt, wenn dein Bruder nicht tot wäre und wollte nur das Käthchen auf solche Weise prüfen, ob sie ihm nach dem Tode auch treu bleiben würde – sag', Freund, wär' das nicht ein rechtes Mittel, dass du und Käthchen nicht eine heimliche Liebschaft anfangen könntet?«

Anton schwieg eine Weile, und es war gut, dass es bereits dämmerte, denn ein helles Rot übergoss sein Gesicht.

Nach einer Weile sagte er mit umflorter Stimme:

»Das ist nur ein angenommener Fall, mein Bruder lebt nicht mehr; aber wie kommt dir die Sache vor, wenn ich z.B. all die Sachen dem Käthchen deshalb versteckte, damit sie ja nicht an mich denke, denn ich fühl', dass ich rückfällig werden würde, wenn sie über den Tod des Bruders getröstet wäre.«

Friedel machte große Augen, um durch die Dämmerung Antons Gesicht zu prüfen, dann sagte er:

»Das wäre schön und brav von dir ... Und bei meiner armen Seel', ich glaub' auch wirklich, du versteckst dem Käthchen die Sachen – das glaub' ich tausend Mal eher als so ein Märlein von einer Totenhand – Sag', sag', ist es so?«

Anton stand schnell auf, sagte »Gute Nacht!« und ging davon ...

In der Nähe seines väterlichen Hauses hörte er von heller weiblicher Stimme eben singen:

Im schönen Österreich, im Steiern,
Im Steiern und schönen Tirol –
Mag laufen mein lustiges Bürschel nur,
He lustig, dort find' ich's wohl!

Und müsst' ich rennen und rufen bis Straßburg
Und schau'n bis in die Türkei hinein –
Ist ein Bürschel für mich auf der Welten,
He, lustig, lauf zu, ich hol' dich ein!

Anton erkannte augenblicklich die Stimme und eilte, die Sängerin zu begrüßen.

Er traf sie in Burschenkleidern, und Holz auf die Arme ladend, vor dem Hause seines Bruders; in demselben Augenblicke, als sich Anton näherte, trat Vater Mulderer mit einem Licht aus dem Hause, denn es war ihm gewesen, als habe er die Magd Anne-Marie singen gehört.

Wie erstaunte er, einen hübschen Burschen mit schwarzen Augen dastehen und Holz auf die Arme laden zu sehen!

Der fremde Bursche sagte:

»Bei dieser Arbeit bin ich vor Zeiten eines Tages davon, ich muss es einbringen und heut' wieder mit dieser Arbeit anfangen!«

»Vater, das ist mein Reisekamerad gewesen, kennt Ihr ihn?«

Nach diesen Worten Antons warf Anne-Marie das Holz von den Armen und flog demselben ans Herz.

»Ich hätt' beinahe gemeint, es sei die Anne-Marie«, sagte Mulderer noch immer ungewiss.

»Sie ist's auch, ich bin's, Vater Mulderer«, erwiderte Anne-Marie und drückte ihm die Hand.

Alle gingen erfreut in die Stube, und Anton eröffnete ohne Umstände, dass er keine als die Anne-Marie zum Weibe haben wolle; er drängte dabei zur möglichsten Eile mit der Hochzeit, denn, fügte er hinzu, meine liebe Marie da hat lange genug gewartet, bis ich sie heimgerufen; jetzt soll sie nicht mehr vertröstet werden!«

Mulderer sagte nach einer Weile:

»Ich bin alt, übernehmt das Haus, und Gott segne euch, ich habe nichts dawider ...«

Vierzehn Tage waren nach diesem Vorfalle verflossen, und die Heiratsangelegenheiten Antons und Anne-Marie waren im besten Gang, als eines Nachmittags zu dem Pfarrer eines benachbarten Dorfes ein wildfremder, wüst aussehender, junger Mann in die Stube trat und zu beichten begehrte.

Der Pfarrer, ein freundlicher Greis, verschloss sogleich die Türe, damit kein unberufenes Ohr der Beiche lauschen könne, und sagte zu dem Fremden:

»Recht, mein Sohn, ich will zwischen dir und dem Himmel nach meinen Kräften vermitteln; sieh, wir sind allein, komm und sage mir, was liegt dir beschwerend auf dem Herzen?«

Nach diesen Worten legte der Priester die Stola um und setzte sich auf einen Stuhl; er erwartete von dem verwilderten jungen Manne ein schweres Verbrechen zu hören.

Dieser kniete neben den Priester und sagte:

»Ihr kenn mich nicht mehr, Herr Pfarrer, ach Gott! Ich glaub' es wohl ... Ich bin der Georg Mulderer; alle glauben, ich sei gestorben und begraben, aber ich leb' und muss Euch beichten, warum ich leb', und muss Euern Rat hören, wie groß meine Sünde ist und welche Buße ich tun soll für mein Verbrechen. Ich komm' zu Euch, weil ich nur zu Euch Vertrauen habe.«

Der Priester konnte sich eines Schauers nicht erwehren, einen Totgeglaubten plötzlich vor sich zu sehen; indessen fasste er sich und sagte:

»Ich hab' von deinem Tode und von deinem Begräbnisse gehört, mein Sohn; sag' nun, was für ein Verbrechen hast du begangen und wer ist der Mann gewesen, den man an deiner Statt begraben hat?«

Georg fing an seine Liebesgeschichte zu erzählen, wie wir sie kennen, und fügte hinzu:

»An einem Nachmittag bin ich hierauf in den Wald gegangen mit dem Wagner aus dem Ort und hab' ein paar Bäume gefällt, die mir bezeichnet gewesen. Wie ich damit fertig bin und mich eine Weile hinstreck' in das Moos, um auszuruhen, hör' ich zwei Männer furchtsam daherkommen und still miteinander reden. Dort liegt er, hat der eine im Jägerkleid gesagt, jetzt ist niemand da, ladet ihn auf und vergrabt ihn im Dickicht, dass kein Mensch davon erfährt. Geht nur fort, hat der andere gesagt, ich will's schon machen. In dem Augenblick ist mich ein Husten angekommen, und die zwei Männer sind entflohen. Darauf hab' ich nachgesehen, wer da liegen soll – und ich hab' entdeckt, dass da ein erschossener Raubschütz liege; ein Baum, den ich umgehauen, ist gerade so gefallen, dass er dem Toten das Gesicht zerrissen hat. Da versucht mich auf einmal der böse Geist mit einer solchen Gewalt, dass ich nicht widerstehen kann; ich werf' dem Wildschütz sein Gewehr und Hut und Joppe in einen Abgrund und leg' dafür meine Hacke und mein Gewand hin und denk', jetzt müssen sie mich für tot halten, und wenn sie mich begraben haben, will ich prüfen, ob mir mein Weib auch treu gewesen. Gleich bin ich auf und davon, bin drei Tage herumgelaufen in Wäldern und Dörfern und hab' gemeint, dass ich so mein Herz beruhig; aber da ist mir bald ein großer Jammer gekommen, wie ich mein Weib, meinen Vater und alle anderen auf so grausame Weis' betrüben kann, und ich hab' Tag und Nacht nicht geschlafen und hab' wie ein wildes Tier herum gelebt, jede Nacht hab' ich geglaubt, ich erleb' den Tag nicht mehr. Ich bin ganz verwirrt worden, die Leut' sind mir aus dem Weg gegangen, wie man einem Tollen aus dem Wege geht. Ich hab' nachspioniert auf allerlei Art, ich hab' meine Leute gehalten, Bettler und andere, die haben mir Nachricht bringen müssen, wie das Hofer-Käthchen als Wittiberin lebt und ob sie an ihren seligen Mann denkt und ob denn der Bruder des verstorbenen Georg sich recht geschäftig mache um das Käthchen und so weiter; aber da hab' ich nur immer und von allen das Allerbest' gehört, und ich hab' nicht anders gedacht, als ich müsse ins Wasser springen oder mir den Hals abschneiden ... Heut' endlich hab' ich's nicht länger ausgehalten, ich bin zu Euch gekommen und bitt' Euch, sprecht für mich vor Gott und gebt mir Rat für meine arme Seele und legt mir Buße auf für meine argen Sünden ... Soll ich hin? Können mir mein Weib, mein Vater, mein Bruder vergeben, dass ich so teuflisch mich benommen, dass ich ihnen so viel Kummer verursacht habe? ... Soll ich mich in eine Wildnis verlaufen und nimmermehr heimkommen? ... Sagt mir das, und ich tu' und leide alles; Gott sei meiner armen Seele gnädig!«

Der Priester machte das Kreuz über ihn, sprach die Absolution und sagte dann mit freundlichem Gesichte:

»Mein Sohn, das erste ist, dass du bessere Kleider nimmst, mein Knecht wird dir solche leihen; dass du dich freundlicher zusammenrichtest und dann geraden Weges nach Hause gehst und alle um Verzeihung bittest; deine Sünden sind dir vergeben, wenn du in Zukunft dein liebes Weib mehr achtest, ihr mehr vertraust und auf alle Weise gutmachst, was du arg verdorben. Geh', und Gott sei künftig mit dir, mein Sohn – Morgen kannst du die Hostie nehmen ...«

Georg kam nach Hause, als es eben gegen Mitternacht ging. Er wollte vor dem Hause sitzen bleiben, bis es Morgen würde; da öffnete sich leise ein Fenster seiner Stube und eine Gestalt stieg heraus – er erkannte seinen Bruder Anton.

In diesem Augenblicke verwirrte die Leidenschaft wieder alle seine Sinne, und er sprang hin und packte den Bruder am Halse und rief:

»Schurk' du, steigst du also aus und ein bei meinem Weibe? Nun, so hat dich jetzt der Teufel erreicht – stirb von meiner Hand!«

Er wollte ein Messer ziehen und den Bruder niederstechen, aber dieser entwand ihm das Messer noch zu rechter Zeit und warf es weit hinweg.

»Wer bist du?« rief Anton, »du weiß nicht, warum ich hier aus und ein steig'!«

»Ich bin Georg, dein Bruder, ich leb', ihr habt einen andern für mich begraben – was hast du in dem Hause gewollt, von wem kommst du, wenn nicht von meinem Weib?«

Anton konnte lange vor Entsetzen nicht reden und erzählte dann, wie er eben wieder ein seidenes Tüchlein forttragen wollte – um Käthchen an den verstorbenen Georg zu erinnern ...

Der Lärm weckte alles im Haus; Käthchen, Hofer und Knechte und Mägde kamen und entsetzten sich zuerst über Georg, den sie für einen Geist hielten; dann aber erfolgten die erschütternden Szenen des Wiedersehens und der Versöhnung, man weckte auch den Vater Mulderer und noch einige Nachbarn, um ihnen das Wunder mitzuteilen; endlich kamen, durch den Lärm geweckt, immer mehr und mehr Menschen herbei, und am Morgen stand das ganze Dorf vor Hofers Fenstern, um das neue Glück zu sehen, welches in Hofers Haus eingezogen war; – dieses Glück verließ es auch von nun an niemals wieder.

Bald darauf heiratete Anton die Anne-Marie, und beide waren sehr wohl zufrieden miteinander.

Selbst der Knecht Friedel erlebte es nach einem Jahre, dass seine Geliebte Witwe wurde; er heiratete sie nach einem Jahre der Witwenschaft, und so war auch er einer, der nach langem Leide ein dauernd freudiges Leben führen konnte.


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