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Die Zeit Ludwigs XIV.

Gehen wir davon aus, daß man in dem sechzehnten Jahrhundert die Freiheit von Europa in dem Gegensatz und dem Gleichgewichte zwischen Spanien und Frankreich sah. Von dem einen überwältigt, fand man eine Zuflucht bei dem andern. Daß Frankreich eine Zeitlang durch innere Kriege geschwächt und zerrüttet war, erschien als ein allgemeines Unglück; wenn man dann Heinrich IV. so lebhaft begrüßte, so geschah dies nicht allein, weil er der Anarchie in Frankreich ein Ende machte, sondern hauptsächlich weil er eben dadurch der Wiederhersteller einer gesicherten europäischen Ordnung der Dinge wurde.

Es ereignete sich aber, daß Frankreich, indem es dem Nebenbuhler allenthalben, in den Niederlanden, in Italien, auf der Halbinsel, die gefährlichsten Schläge beibrachte und die Verbündeten desselben in Deutschland besiegte, hierdurch selber ein Übergewicht an sich riß, größer als jener es in dem Höhepunkte seiner Macht besessen hatte.

Man vergegenwärtige sich den Zustand von Europa, wie er um das Jahr 1680 war.

Frankreich, so sehr dazu geeignet, so lange schon gewohnt, Europa in Gärung zu erhalten, – unter einem Könige, der es vollkommen verstand, der Fürst dieses Landes zu sein, dem sein Adel, nach langer Widerspenstigkeit endlich unterworfen, mit gleichem Eifer am Hof und in der Armee diente, mit dem sich seine Geistlichkeit wider den Papst verbündet hatte, – einmütiger, mächtiger als jemals vorher.

Um das Machtverhältnis einigermaßen zu überblicken, braucht man sich nur zu erinnern, daß zu der nämlichen Zeit, als der Kaiser seine beiden ersten stehenden Regimenter, Infanterie und Kürassiere, errichtete, Ludwig XIV. im Frieden bereits 100 000 Mann in seinen Garnisonen und 14 000 Mann Garde hielt; daß, während die englische Kriegsmarine in den letzten Jahren Karls II. immer mehr verfiel (sie hatte im Jahre 1678 83 Schiffe gezählt), die französische im Jahre 1681 auf 96 Linienschiffe vom ersten und zweiten Range, 42 Fregatten, 36 Feluken und ebensoviele Brander gebracht ward. Die Truppen Ludwigs XIV. waren die geübtesten, krieggewohntesten, die man kannte, seine Schiffe sehr wohl gebaut, kein anderer Fürst besaß zum Angriff wie zur Verteidigung so wohlbefestigte Grenzen.

Nicht allein aber durch die militärische Macht, sondern noch mehr durch Politik und Bündnisse war es den Franzosen gelungen, die Spanier zu überwältigen. Die Verhältnisse, ln welche sie dadurch gelangt waren, bildeten sie zu einer Art von Oberherrschaft aus.

Betrachten wir zuerst den Norden und Osten. Im Jahre 1674 unternahm Schweden einen gefährlichen Krieg, ohne Vorbereitung, ohne Geld, ohne rechten Anlaß, nur auf das Wort von Frankreich und im Vertrauen auf dessen Subsidien. Die Erhebung Johann Sobieskis zur polnischen Krone ward in einem offiziellen Blatte als ein Triumph Ludwigs XIV. angekündigt; König und Königin waren lange im französischen Interesse. Von Polen aus unterstützte man, wenn es über Wien nicht mehr möglich war, die ungarischen Mißvergnügten; die Franzosen vermittelten die Verbindung derselben mit den Türken; denn auf den Diwan übten sie ihren alten, durch die gewöhnlichen Mittel erhaltenen Einfluß ohne Störung. Es war alles ein System. Eine vorzügliche Rücksicht der französischen Politik bestand darin, den Frieden zwischen Polen und Türken zu erhalten; dazu wurde selbst der Tatarkhan angegangen. Eine andere war, Schweden von den Russen nicht mit Krieg überziehen zu lassen. Kaum machten, sagt Contarini 1681, die Moskowiter Miene, Schweden anzugreifen, das mit Frankreich verbündet ist, so drohten die Türken, mit Heeresmacht in das Land des Zaren einzufallen. Genug, Krieg und Friede dieser entfernten Gegenden hingen von Frankreich ab.

Man weiß, wie unmittelbar, hauptsächlich durch Schweden, das nämliche System Deutschland berührte. Aber auch ohne dies war unser Vaterland entzweit und geschwächt. Bayern und Pfalz waren durch Heiratsverbindungen an den französischen Hof geknüpft, und fast alle übrigen Fürsten nahmen zu einer oder der anderen Zeit Subsidien; der Kurfürst von Köln überlieferte vermöge eines förmlichen Traktates, den er durch verschiedene Scheinverträge verheimlichte, seine Festung Neuß an eine französische Besatzung.

Auch in dem mittleren und dem südlichen Europa war es nicht viel anders. Die Schweizer dienten zuweilen, über 20 000 Mann stark, in den französischen Heeren, und von der Unabhängigkeit ihrer Tagsatzungen war bei so starkem öffentlichen, noch stärkerem geheimen Einfluß nicht mehr viel zu rühmen. Um sich Italien offen zu erhalten, hatte Richelieu Pinarolo genommen; noch wichtiger ist Casale, durch welches Mailand und Genua unmittelbar bedroht werden. Jedermann sah, welche Gefahr es wäre, wenn auch dieser Platz in französische Hände komme; jedoch wagte kein Mensch, sich der Unterhandlung, die Ludwig XIV. mit dem Herzoge von Mantua darüber pflog, obwohl sie lange genug dauerte, ernstlich zu widersetzen, und endlich rückte eine französische Besatzung daselbst ein. Wie der Herzog von Mantua waren auch die übrigen italienischen Fürsten großenteils in der Pflicht von Frankreich. Die Herzogin von Savoyen und, jenseit der Pyrenäen, die Königin von Portugal waren Französinnen. Der Kardinal d'Etrées hatte über die eine wie die andere eine so unzweifelhafte Gewalt, daß man gesagt hat, er beherrsche sie despotisch, durch sie die Länder.

Sollte man aber glauben, daß Frankreich indes selbst auf seine Gegner vom Hause Österreich, im Kampf mit denen es eben seine vorherrschende Gewalt erworben hatte, einen entschiedenen Einfluß erwarb? Es verstand, die spanische und die deutsche Linie zu trennen. Der junge König von Spanien vermählte sich mit einer französischen Prinzessin, und gar bald zeigte sich dann die Wirksamkeit des Botschafters von Frankreich auch in den inneren Angelegenheiten von Spanien. Der bedeutendste Mann, den dies Land damals hatte, der zweite Don Juan d'Austria, ward, soviel ich finde, durch die Franzosen in den Mißkredit gebracht, in welchem er starb. Aber auch zu Wien, selbst mitten im Kriege, wußten sie, wiewohl bloß insgeheim, Fuß zu fassen. Nur unter einer solchen Voraussetzung wenigstens glaubte man die Schwankungen des dortigen Kabinetts begreifen zu können. Die Anordnungen des Hofkriegsrates waren, wie Montecuculi klagte, früher zu Versailles bekannt als in dem eigenen Hauptquartier.

Bei diesem Zustande der Dinge hätte wohl vor allen europäischen Staaten England den Beruf gehabt, wie es auch eigentlich allein die Kraft dazu besaß, sich den Franzosen zu widersetzen. Aber man weiß, durch welche sonderbare Vereinigung der mannigfaltigsten Beweggründe der Politik und der Liebe, des Luxus und der Religion, des Interesses und der Intrige Karl II. an Ludwig XIV. gebunden war. Für den König von Frankreich waren diese Bande jedoch noch nicht fest genug. In dem nämlichen Augenblicke ließ er sich angelegen sein, auch die wichtigsten Mitglieder des Parlaments an sich zu ziehen. So independent, so republikanisch gesinnt sie waren, so brauchte er doch nur die nämlichen Mittel anzuwenden. Die Gründe, sagt der französische Gesandte Barrillon von einem derselben, die Gründe, die ich ihm anführte, überzeugten ihn nicht; aber das Geld, das ich ihm gab, das machte ihn sicher. Hierdurch erst bekam Ludwig XIV. England in seine Gewalt. Hätte der König sich von ihm entfernt, so würde derselbe Widerstand im Parlament gefunden haben, sobald das Parlament dem nationalen Widerwillen gegen die Franzosen Raum gab, stellte sich der König entgegen. Ludwigs Politik war, und Barrillon sagt ausdrücklich, es liege demselben am Herzen, eine Vereinigung der Engländer, eine Aussöhnung zwischen König und Parlament zu verhindern. Nur allzuwohl gelang es ihm, die englische Macht ward hierdurch völlig neutralisiert.

Und so war allerdings Europa den Franzosen gegenüber entzweit und kraftlos, ohne Herz, wie ein Venezianer sagt, und ohne Galle. Welch ein Zustand der allgemeinen Politik, daß man es duldete, als Ludwig auf den Antrag eines seiner Parlamentsräte zu Metz jene Reunionskammern einrichtete, vor die er mächtige Fürsten zitierte, um über ihre Rechte an Land und Leute, durch Staatsverträge gewährleistet, wie über Privatrechte von seinen Gerichten entscheiden zu lassen! Welch ein Zustand des Deutschen Reiches, daß es sich Straßburg so gewaltsam, so wider die Natur der Dinge entreißen ließ! Man erlaube mir, anzuführen, wie ein Fremder lange nachher die Eroberung des Elsaß bezeichnet. »Wenn man die Geschichte davon liest,« sagt Young in einer Reisebeschreibung, »so macht sie einen so tiefen Eindruck nicht daß ich aber, aus Frankreich kommend, über hohe Gebirge mußte und dann in eine Ebene hinabstieg, in der ein von den Franzosen in Sitte, Sprache und Abstammung ganz unterschiedenes Volk wohnt (die Ebene, welche damals erobert wurde), das machte mir Eindruck.« Und eine solche Beleidigung nahm Deutschland hin und schloß darüber einen Stillstand.

Was gab es da noch, das sich Ludwig XIV. nicht hätte erlauben sollen? Ich will nicht dabei verweilen, wie er Genua mißhandelte, wie er seinen Ambassadeur dem Papst zum Trotz mit einer bewaffneten Macht in Rom einrücken ließ, erinnern wir uns nur, wie er selbst seiner Freunde nicht schonte. Er nahm Zweibrücken in Besitz, obwohl es seinem alten Bundesgenossen, dem Könige von Schweden, gehörte; sein Admiral beschoß Chios, weil sich tripolitanische Seeräuber dahin geflüchtet, obgleich die Türken seine Verbündeten waren; einiger Forts, die der englischen Gesellschaft der Hudsonbai gehörten, bemächtigte er sich mitten im Frieden, während des besten Einverständnisses. Jener Königin von Polen versagte Ludwig XIV. eine geringfügige Genugtuung ihres Ehrgeizes. Nachdem er sich Freunde gemacht, durch Geld oder Unterstützung, liebt er es, sie zu vernachlässigen, sei es, um ihnen zu beweisen, daß er sie im Grunde doch nicht brauche, oder in der Überzeugung, die Furcht vor seinem Unwillen allein werde sie in Pflicht halten. In jeder Unterhandlung will er dies sein Übergewicht fühlen lassen. Von einem seiner auswärtigen Minister sagt er selbst: »Ich habe ihn entfernen müssen; denn allem, was durch seine Hand ging, gebrach es an der Großartigkeit und Kraft, welche man zeigen muß, wenn man die Befehle eines Königs von Frankreich ausführt, der nicht unglücklich ist.«

Man darf annehmen, daß diese Gesinnung der vornehmste Antrieb selbst seiner Kriegslust war. Schwerlich war gerade eine ausschweifende Ländergier in ihm; von einer weit um sich greifenden Eroberung war eigentlich nicht die Rede. Wie die Feldzüge selbst nur eben mit zu den Beschäftigungen des Hofes gehören, – man versammelt ein Heer, man läßt es vor den Damen paradieren; alles ist vorbereitet; der Schlag gelingt; der König rückt in die eroberte Stadt ein, dann eilt er zum Hofe zurück, – so ist es hauptsächlich diese triumphierende Pracht der Rückkehr, diese Bewunderung des Hofes, worin er sich gefällt; es liegt ihm nicht soviel an der Eroberung, an dem Kriege, als an dem Glanze, den sie um ihn verbreiten. Nein! einen freien, großen, unvergänglichen Ruhm sucht er nicht; es liegt ihm nur an den Huldigungen seiner Umgebung, diese ist ihm Welt und Nachwelt.

Aber darum war der Zustand von Europa nicht weniger gefährdet. Sollte es einen Supremat geben, so müßte es wenigstens ein rechtlich bestimmter sein. Dies faktisch Unrechtmäßige, das den ruhigen Zustand jeden Augenblick durch Willkür stört, würde die Grundlage der europäischen Ordnung der Dinge und ihrer Entwickelung auflösen. Man bemerkt nicht immer, daß diese Ordnung sich von anderen, die in der Weltgeschichte erschienen sind, durch ihre rechtliche, ja juridische Natur unterscheidet. Es ist wahr, die Weltbewegungen zerstören wieder das System des Rechtes, aber nachdem sie vorübergegangen, setzt sich dies von neuem zusammen, und alle Bemühungen zielen nur dahin, es wieder zu vollenden.

Und das wäre noch nicht einmal die einzige Gefahr gewesen. Eine andere nicht minder bedeutende lag darin, daß ein so entschieden vorherrschender Einfluß einer Nation es schwerlich zu einer selbständigen Entwickelung der übrigen hätte kommen lassen, um so weniger, da er durch das Übergewicht der Literatur unterstützt wurde. Die italienische Literatur hatte den Kreis ihrer originalen Laufbahn bereits vollendet; die englische hatte sich noch nicht zu allgemeiner Bedeutung erhoben; eine deutsche gab es damals nicht. Die französische Literatur, leicht, glänzend und lebendig, in streng geregelter und doch anmutender Form, faßlich für alle Welt und doch von nationaler Eigentümlichkeit, fing an, Europa zu beherrschen. Es sieht beinahe wie ein Scherz aus, wenn man bemerkt hat, daß z.B. das Diktionär der Akademie, in welchem sich die Sprache fixierte, besonders an Ausdrücken der Jagd und des Krieges reich ist, wie sie am Hofe gang und gäbe waren; aber leugnen läßt sich nicht, daß diese Literatur dem Staate völlig entsprach und ein Teil den anderen in der Erwerbung seines Supremats unterstützte. Paris ward die Kapitale von Europa. Es übte eine Herrschaft wie nie eine andere Stadt, der Sprache, der Sitte, gerade über die vornehme Welt und die wirksamen Klassen, die Gemeinschaftlichkeit von Europa fand hier ihren Mittelpunkt. Sehr besonders ist es doch, daß die Franzosen schon damals ihre Verfassung aller Welt angepriesen haben, »den glücklichen Zustand der schutzreichen Untertänigkeit, in dem sich Frankreich unter seinem Könige befinde, einem Fürsten, welcher vor allen verdiene, daß die Welt von seiner Tapferkeit und seinem Verstande regiert und in rechte Einigkeit gebracht werde.«

Versetzt man sich in jene Zeit, in den Sinn eines Mitlebenden zurück, welch eine trübe, beengende, schmerzliche Aussicht! Es konnte doch geschehen, daß die falsche Richtung der Stuarts in England die Oberhand behielt und die englische Politik sich auf ganze Zeiträume hinaus an die französische fesselte. Nach dem Frieden von Nimwegen wurden die lebhaftesten Unterhandlungen gepflogen, um die Wahl eines römischen Königs auf Ludwig XIV. selbst oder doch den Dauphin fallen zu lassen, bedeutende Stimmen waren dafür gewonnen, »denn allein der allerchristlichste König sei fähig, dem Reiche seinen alten Glanz wiederzugeben«; und so unmöglich war es nicht, daß unter begünstigenden Umständen eine solche Wahl wirklich getroffen wurde; wie dann, wenn hernach auch die spanische Monarchie an einen Prinzen dieses Hauses fiel? Hätte zugleich die französische Literatur beide Richtungen, deren sie fähig war, die protestantische so gut wie die katholische, ausgebildet, so würde Staat und Geist der Franzosen sich mit unwiderstehlicher Gewalt Europa unterworfen haben. Versetzt man sich, wie gesagt, in jene Zeit zurück, wodurch würde man glauben, daß einer so unglücklichen Wendung der Dinge Einhalt geschehen könnte?

Gegen den Anwachs der Macht und des politischen Übergewichtes konnten die minder Mächtigen sich vereinigen. Sie schlossen Bündnisse, Assoziationen. Dahin bildete sich der Begriff des europäischen Gleichgewichtes aus, daß die Vereinigung vieler anderen dienen müsse, die Anmaßungen des exorbitanten Hofes, wie man sich ausdrückte, zurückzudrängen. Um Holland und Wilhelm III. sammelten sich die Kräfte des Widerstandes. Mit gemeinschaftlicher Anstrengung wehrte man die Angriffe ab, führte man die Kriege. Allein man würde geirrt haben, wenn man sich hätte überreden wollen, es liege darin eine Abhilfe auf immer. Einem europäischen Bündnisse und einem glücklichen Kriege zum Trotz wurde ein Bourbon König von Spanien und Indien; über einen Teil von Italien sogar breitete sich in dem allmählichen Fortgang der Dinge die Herrschaft dieses Geschlechtes aus.

In großen Gefahren kann man wohl getrost dem Genius vertrauen, der Europa noch immer vor der Herrschaft jeder einseitigen und gewaltsamen Richtung beschützt, jedem Druck von der einen Seite noch immer Widerstand von der andern entgegengesetzt und bei einer Verbindung der Gesamtheit, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt enger und enger geworden, die allgemeine Freiheit und Sonderung glücklich gerettet hat. Da das Übergewicht Frankreichs auf der Überlegenheit seiner Streitkräfte, auf innerer Stärke beruhte, so war ihm nur dadurch wahrhaft zu begegnen, daß ihm gegenüber auch andere Mächte zu innerer Einheit, selbständiger Kraft und allgemeiner Bedeutung entweder zurückkehrten oder aufs neue emporkämen. Überblicken wir in wenigen flüchtigen Zügen, wie dies geschah.


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