Wilhelm Raabe
Der Marsch nach Hause1
Wilhelm Raabe

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Wilhelm Raabe

Der Marsch nach Hause


1.

Am siebenten August des Jahres sechzehnhundertvierundsiebenzig als am Geburtstagsfeste des Schutzheiligen des Ortes und der Gegend, des heiligen Gebhard, herrschte ein reges Leben in der alten Stadt Bregenz am Bodensee und rings um dieselbe. Seit langen Jahren hatte das Volk diesen Tag nicht mit solchem Eifer und so fröhlichen Herzens gefeiert wie heute.

Schon am frühen Morgen hatte kaiserliches Geschütz von der Klause über der Unnoth und bürgerliches Böllergeknall von den Mauern der Stadt und den umliegenden Höhen dem Heiligen die gebührende Ehre gegeben, und Glocken und Glöcklein aus Kirchen und Klöstern waren schier den ganzen Tag über nicht still geworden. Und es war ein schöner, ein heiterer Tag, der ebenfalls dem Heiligen alle Ehre gab. Leise spielten die Wellen des großen Sees an die Ufer, und die fernsten Berggiebel und Hörner des Graubündner Landes südlich über dem Rheintal, die Roja, die Schwestern von Frastanz, die Scesa plana, der Calanda und die Grauhörner blitzten mit ihren Schneefeldern im heitern Licht herüber, während die näherzu aufgetürmten Riesen von St. Gallen und Appenzell, der Gonzen, der Alwier, der Kamor, der Hohenkasten und der alte Säntis mit allen Zacken und Rissen, ein mächtiger Bergkamm, in wundervoller Klarheit sich vom blauen Himmel abhoben. Wer die Hand über die Augen hielt, um dieselben gegen das Glänzen und Leuchten des Wassers zu schirmen, der mochte selbst im fernen Hegäu die dunkeln Kegel des Hohentwiel und Hohenkrähen deutlich erkennen.

An der Kapelle am See, wo die Gebeine der im Jahre 1407 gegen die Appenzeller Hirten Gefallenen ruhen und wo der Graf Wilhelm von Montfort mit allen Rittern des St. Jürgenschildes nach dem gewonnenen Siege kniete und der Ruf »Ehrguta! Ehrguta!« zum erstenmal hell hinausgerufen wurde, um durch Jahrhunderte in den Gassen der alten Römerstadt Bregenz nicht zu verhallen, waren die Schiffe und Kähne der Gäste aus dem Allgäu und dem Thurgäu mit Seilen und Ketten angelegt. Viel Volk war aus dem Walde gekommen, und die Benediktiner von Mehrerau und die Pfaffheit in der Stadt mochten den Tag wohl loben; denn wie bei allen solchen, vom Wetter und dem Lebensmut der Menschen begünstigten feierlichen Gelegenheiten fiel mancherlei für sie ab, was sie gar wohl gebrauchen konnten und mit Dank und gutem Gegenwillen gern hinnahmen.

Wenn nun schon am Seeufer, wie gesagt, ein munteres Leben herrschte, so nahm dieses mehr und mehr zu auf allen Wegen, die zu dem grauen Mauerviereck der Römerstadt emporführten, wurde aber am buntesten auf den waldigen Pfaden, auf welchen man rechts von der Stadt die Höhe des Pfannenberges erreicht; denn dorthinauf oder -hinab mußte ja alles Volk, welches den heiligen Gebhard zu seinem Geburtstag grüßen wollte oder ihn bereits gegrüßt hatte. Wir gehen mit den Emporsteigenden, um nachher mit einem einzelnen Gaste des guten Bischofs wieder herabsteigen zu können.

Der Heilige würde sich sicherlich nicht wenig gewundert haben, wenn er heute die Stätte gesehen hätte, wo einstmals seine Wiege stand. Die Natur hatte wohl Zeit gehabt, ihre verschönernde Hand an das schlimme Denkmal der schwedischen Furie vom Jahre sechzehnhundertsechsundvierzig zu legen; allein alles hatte sie doch längst nicht auszugleichen vermocht. Da blickten die gewaltigen, zerrissenen, von der Flamme geschwärzten Mauern und Türme von Hohen-Bregenz immer noch grimmig auf den jungen, freudigen Waldwuchs, der sich zwischen und an sie gedrängt hatte, herab. Und wie manches gefiederte Samenkörnlein Wurzeln geschlagen haben mochte in den Schießscharten und leeren Fensteröffnungen, die grause Göttin Bellona lachte doch nur höhnischer durch die schwankenden Kräuter und den kletternden Efeu. Das Gras und die Herbstastern, die Königskerzen und die Sternblumen hatten noch nicht den Sieg gewonnen über den Brandschutt des wilden Feldmarschalls Karl Gustav Wrangel. Hätte das Volk eine ebensolche Miene gemacht wie die Geburtsstätte seines Heiligen auf der schönen, vorspringenden Kuppe des Pfannenberges, so wäre das Fest gewißlich nicht so heiter anzuschauen gewesen.

Aber die arme, gequälte Menschheit vergißt gottlob leicht und schnell. Die frohe Menge, die innerhalb der niedergeworfenen Burgmauern lagerte, den Wald ringsum füllte und auf allen Pfaden zog, ärgerte sich heute gar wenig an dem, was vor mehr als siebenundzwanzig Jahren geschehen war, und das historische Faktum diente höchstens noch einigen älteren Leuten zu einer nicht unannehmlichen Unterhaltung.

Freilich war die schwedische Hand auf den armen Mann und kleinen Bürger am Schluß des Jahres sechsundvierzig verhältnismäßig ziemlich leicht gefallen, denn der General Wrangel hatte an dem Adel und der Geistlichkeit so gute Beute gemacht, daß er das Geringere gern und willig an Ort und Stelle beließ. Die Geistlichkeit und der Adel hatten nämlich alle ihre Schätze und besten Habseligkeiten weit aus dem Lande umher in die feste Römerstadt geflüchtet, und als der falsche Kommandant der Klause am See seine Tore verräterischerweise öffnete, da fand der Schwede alles recht ordentlich, hübsch und lieblich beieinander und mochte sich wohl die Hände reiben. Wer heute Schweden bereist und nach Skogkloster kommt, der wird daselbst wohl noch allerlei gute Dinge finden, welche der Wrangel damals aus Brigantium mit sich nahm und welche die Erben aus dem Allgäu und dem Vorarlberg nun doch wohl vergeblich zurückfordern möchten.

In der Mitte der Ruinen, auf der Stelle, wo seit dem Jahre 1723 die Kirche des einstigen Burgherrn von Hohen-Bregenz und spätern Heiligen steht, war heute am 7. August 1674 der Boden von Schutt und Trümmern gereinigt und für den festlichen Tag ein mit Blumen geschmückter, mit Lichtern besteckter Altar errichtet, an welchem die Benediktiner von Mehrerau der Feierlichkeit vorstanden. Hier befand sich der Mittelpunkt des Gewimmels, doch im weitern Umkreise war dasselbe auch nicht viel geringer. Da waren in den verwüsteten Räumen der Burg, im grünen Grase, unter den Bäumen Tische und Bänke aufgestellt und Fässer zusammengerollt und aufgelegt, da gab es mancherlei gute Sachen für den Mund und die Augen, und die Geburtstagsgäste saßen an den Tischen und lagerten im Grase und drängten sich um die Fässer und feilschten an den Tischen der Verkäufer von Rosenkränzen und Kreuzen und Heiligenbildern, und an einem der Tische saß einer der Helden dieser Historia einsam und allein vor der Flasche und dem Glase und nickte mit dem Kopfe und blinzelte in das Gewühl seliglich, im Rücken gedeckt von einem rauchgeschwärzten Mauerwinkel, überschattet von einem Ahornstrauch, unbekümmert um das Glöckleinklingeln der Geistlichen, die Töne der Musik im Walde, das Jauchzen und helle Lachen der Buben und Mädeln, – einer der beiden Helden dieser Historia, der brave Korporal Sven Knudson Knäckabröd aus Jönköping am Wetternsee, welcher zuerst mit dem großen Feldmarschall Karl Gustav Wrangel hierher gekommen war.


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