Ludwig Quidde
Caligula
Ludwig Quidde

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

63 Gajus Cäsar, bekannt unter seinem Beinamen Caligula (d. h. Stiefelchen), war noch sehr jung, noch nicht zum Manne gereift, als er unerwartet zur Herrschaft berufen wurde. Dunkel und unheimlich waren die Vorgänge bei seiner Erhebung, wunderbar die früheren Schicksale seines Hauses. Fern von der Heimat war der Vater noch in der Blüte seiner Jahre einem tückischen Geschick erlegen, und im Volke sprach man viel von geheimnisvollen Umständen dieses Todes; man schreckte vor den schlimmsten Beschuldigungen nicht zurück, und bis in die Nähe des alten Kaisers wagte sich der VerdachtVgl. Dio Cassius 57, 18 (Zonaras XI, 5). Tacitus, Ann. II, 72 und III, 16. Sueton, Caligula 1 und 2. Plinius, Nat. hist. XI, 71.. Dem Volke war sein Liebling mit ihm genommen; einer Popularität wie kein anderes Mitglied des Kaiserhauses hatte er sich erfreutTacitus, Ann. I, 7; 33. II, 13. Sueton, Caligula 3 und 4. Dio Cassius 57, 18.. Dem Soldaten war er vertraut aus vielen Feldzügen, in denen er mit dem gemeinen Mann die Beschwerden des Krieges geteilt hatte, die deutschen Lande – die Gegenden am Rhein waren voll seines Namens. Doch nicht nur als Kriegsheld war er dem Volk erschienen; er war im besten Sinne populär gewesen. Sein Familienleben, die Schar seiner KinderEs waren im ganzen neun Kinder gewesen; zwei starben ganz klein, ein drittes, ein besonders vielversprechender reizender Knabe, wurde auch noch in zartem Alter den Eltern entrissen, sechs Kinder dagegen überlebten den Vater (s. Sueton 7)., die schlichte bürgerliche ArtSueton 3, auch Tacitus a. a. O., der freundliche Gleichmut in allen Lagen, das gewinnende Scherzwort in seinem MundePatientiam, comitatem, per seria per jocos eundem animum. Tacitus, Ann. II, 13. hatten ihm wie die Soldaten auch die Bürger verbunden. Solange der alte Kaiser lebte, war er freilich, so hohe Ämter ihm auch übertragen wurden, für die wichtigsten Fragen der inneren Politik bei aller Schaffenskraft und Schaffenslust zur Untätigkeit verdammt; wäre er aber zur Regierung gekommen, so hätte man freiere, glücklichere Tage von ihm erwarten dürfen, die Beseitigung 64 des dumpfen Druckes, der auf dem ganzen Reiche lastete. So war die Hoffnung einer ganzen Generation mit Germanicus ins Grab gesunken. Von diesem Liebling des Volkes strahlte ein Schimmer von Popularität auch auf den Sohn hinüberSueton, 9, 13. Josephus, Antiquitates XVIII, 6, 8., der freilich sonst ganz unähnlich seinem Vater heranwuchs, vielleicht der stolzen und leidenschaftlichen MutterTacitus, Ann. II, 72. IV, 52; 53. ähnlicher, die die an sich nicht leichte Stellung ihres Gatten gewiß oft noch erschwert hatte, und zugleich bevorzugt von dem alten Kaiser, der des Germanicus Gattin und Kinder mit Haß und Argwohn verfolgte, für Gajus aber eine gewisse Zuneigung gehegt zu haben scheint, vielleicht nur, weil er das gerade Widerspiel des ihm so unsympathischen Vaters in ihm sah. Zur Regierung gelangt, war der junge Kaiser für alle zunächst eine unbekannte noch rätselhafte Erscheinung. Wohl hatte man gewiß in den letzten Jahren allerhand Mutmaßungen über ihn verbreitet, Günstiges und Ungünstiges; man rühmte, so dürfen wir annehmen, aus wie hartem Holze dieser Jüngling geschnitzt sein müsse, der sich unter so schwierigen Verhältnissen zu behaupten gewußt hatte, man fürchtete vielleicht seinen Eigenwillen, die Neigung zum Mißbrauch einer so großen Gewalt, die Einwirkung unreifer persönlicher Ideen, man wußte auch allerhand von einer früh hervorgetretenen Brutalität zu erzählen; vor allem aber überwog gewiß die Auffassung, daß seine jungen Jahre fremden Einflüssen leicht zugänglich sein würden; man durfte darauf rechnen, daß zunächst die Regierungsgewalt des allmächtigen Garde-Präfekten noch gesteigert werden würde; war doch der junge Kaiser, wie alle Welt behauptete, diesem ganz besonders verpflichtet!Philo, Legatio ad Gaium. 6. Sueton 12. Dio Cassius 58, 28; 59, 10. Tacitus, Ann. 6, 56.

Von vielen dieser Dinge, die man erwarten und fürchten mußte, geschah nun so ziemlich das Gegenteil. Der leitende Staatsmann scheint sehr bald in Ungnade gefallen zu sein, sein Einfluß trat ganz zurück, der Kaiser nahm selbst die Zügel der Regierung in die Hand und begann sogleich sein eigenstes Regiment. Das Volk jubelte ihm zuSueton, Tib. 75. Cal. 13. Philo, Legatio ad Gaium 2; 6.; denn wie eine Erlösung ging es bei dem Regierungswechsel durch alle Kreise, eine Ära der Reformen schien zu beginnen und für liberale Gedanken eine freie Bahn sich zu eröffnen.Dio Cassius 59, 3: δημοκρατικώτατός τε γὰρ εἶναι τὰ πρῶτα δόξας.

So vielversprechend waren die Anfänge des Caligula, der als Sohn des zu früh dahingeopferten Germanicus und der Agrippina im Jahre 37 n. Chr. seinem Großoheim, dem Tiberius, nachfolgte und nun durch sein Auftreten die Welt in Erstaunen setzte.

Daß der unter Tiberius zuletzt allmächtige Minister und Prätorianer-General Macro, an dessen Hand Caligula doch zum Throne emporgestiegen war, anscheinend alsbald beiseite geschoben wurde, ist schon erwähnt. Diese Emanzipierung des jungen Kaisers schien zugleich eine Änderung der Regierungsgrundsätze zu bedeuten.Auch Ranke meint in seiner Weltgeschichte 3, S. 91, daß die Beseitigung des Präfekten Macro, die so gewaltiges Aufsehen in der Welt machte, eine Änderung des Systems zu bedeuten schien. Alte Forderungen der liberalen Elemente wurden erfüllt. Vor allem wurde dem politischen Leben wieder mehr Freiheit gelassen. Caligula schien Ernst machen zu wollen mit Beobachtung gewisser Verfassungsformen, die unter Tiberius in Verfall geraten waren; bei Feststellung des Budgets und des Militäretats schien er der öffentlichen Meinung mehr Einfluß zu gönnenSueton 16. Dio Cassius 59, 9.; das freie Wahlrecht der Volks-Comitien schien wieder aufzulebenSueton 16. Dio Cassius 59, 9.; gegen das Delatorenunwesen, das etwa politischem Lockspitzeltum unserer Tage vergleichbar ist, wurde eingeschrittenSueton 15. und damit das öffentliche wie das private Leben von einem seiner schlimmsten Schäden befreit, die Schriften des Labienus, des Cremutius Cordus und des Cassius Severus, die als staatsgefährlich verboten waren, wurden wieder freigegebenSueton 16., politische Gefangene mit einer Amnestie bedacht, Prozesse wegen Majestätsbeleidigung niedergeschlagen und die Gesetze, die dieses Vergehen mit schweren Strafen bedrohten, außer Anwendung gesetzt.Dio Cassius 59, 6. Sueton 15. Auch drückende Steuern, die gerade den kleinen Verkehr der breiten Massen drückten, wurden erlassen und Erleichterungen zugunsten der ärmsten Klassen bei der Getreideversorgung eingeführt – von den Spielen, die Caligula nach dem alten Rezept »panem et circenses« in Aufschwung brachte, zu schweigen. So schien mit der größeren Freiheit auch eine Ära der sozialen Reformen oder doch einer volkstümlichen Behandlung wirtschaftlicher Fragen heraufzuziehen.

Aber schon in diesen ersten Anfängen des Caligula, während der Jubel eines leicht zum Beifall begeisterten Volkes ihn umgab, werden vorsichtige Beobachter sich sorgende Gedanken gemacht haben. 66 Es war das berauschende Gefühl der Macht, das Bewußtsein, nun plötzlich an erster Stelle zu stehen, der Wunsch, etwas Großes zu wirken, und vor allem der Trieb, in der Weltgeschichte zu glänzen, was den Caligula zeitweilig über sich selbst hinaufhob. Ihn packte in dieser so außerordentlichen Veränderung seines Lebens der Ehrgeiz, sich nun durch etwas hervorzutun, was ihm im Grunde fremd war, durch Freisinn und Pflege des Gemeinwohls. Zugleich aber zeigten sich gar bald bedenkliche Eigenschaften. Es fehlte das feste Fundament einer in inneren Kämpfen gewonnenen ausgeglichenen Lebensanschauung; die Haupttriebfeder seiner Handlungen war nicht der Wunsch, Gutes zu schaffen, sondern der Ehrgeiz, als Förderer populärer Bestrebungen bewundert zu werden und als großer Mann auf die Nachwelt zu kommenVgl. die charakteristische Äußerung bei Sueton 16: quando maxime sua interesset ut facta quaeque posteris tradantur.; der durchgehende Charakterzug seiner Maßregeln war eine nervöse Hast, die unaufhörlich von einer Aufgabe zur andern eilteDio Cassius 59, 4: ὀξύτατά τε πρὸς πράξεις τινὰς ἐφέρετο καὶ νωϑέστατα ἔστιν ἃς αὐτῶν μετεχειρίζετο., sprunghaft und oft widerspruchsvoll, und dazu eine höchst gefährliche Sucht, alles selbst auszuführen.

Die Kaltstellung des Macro, von der wir schon sprachen, ist wesentlich unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen. Zwar scheint es, daß die Beziehungen zwischen den beiden Männern nicht ganz oder doch nicht für immer abgebrochen wurden; denn Macro kam in die Lage, dem jungen Kaiser Rat zu erteilen, ihm Mäßigung und Besonnenheit anzuempfehlen.Philo, Legatio ad Gaium 7. Doch bekam ihm seine Warnerrolle schlecht; er erregte nur den höchsten Zorn des Kaisers, der sich dann in blutigem Wüten gegen ihn und seine Familie wandte.Philo 8. Sueton 26, Dio Cassius 59, 10. Die dankvergessene Behandlung des Macro wird unter den Umständen, die die Popularität des Caligula erschüttert haben, besonders namhaft gemacht.

Die Zurückdrängung des Mannes, der zunächst zur Leitung der Staatsgeschäfte berufen gewesen wäre, erwies sich bald als ein Vorgang, der nicht etwa in einem Gegensatz der beiden Persönlichkeiten, sondern in der ganzen Art Caligulas seinen Grund hatte. Von hochgestellten Männern, die unter ihm wirklich einflußreich gewesen waren, hören wir gar nichts. Der Kaiser konnte keine selbständige Kraft neben sich ertragen – er wollte sein eigener Minister sein, und nicht nur das: auf jedem Gebiete auch selbständig eingreifen. Dazu aber fehlte es seiner im Grunde beschränkten 67 Natur, auch ehe dieselbe zu Schlimmerem ausartete, an Kenntnissen und an Talent, an Ruhe und Selbstzucht. Bald trat sehr viel Ärgeres hervor.

Sein rücksichtsloser EigenwilleDer ἀδιατρεψία rühmte sich Caligula laut Sueton 29., die überraschenden Reformideen, die plötzlichen und grausamen Maßregelungen hochgestiegener Männer mögen als Äußerungen einer kräftigen Herrschernatur noch den Beifall großer Massen entfesselt haben, als Einsichtigere dahinter schon ein schreckliches Gespenst lauern sahen: den Wahnsinn.

 

Man hat sich gewöhnt, von Cäsarenwahnsinn als einer besonderen Form geistiger Erkrankung zu sprechen, und dem Leser wird die packende Szene aus Gustav Freytags Verlorener Handschrift in Erinnerung sein, wo der weltfremde Professor ahnungslos dem geisteskranken Fürsten aus Tacitus das Bild seines Lebens entwickelt. Die Züge der Krankheit: Größenwahn, gesteigert bis zur Selbstvergötterung, Mißachtung jeder gesetzlichen Schranke und aller Rechte fremder Individualitäten, ziel- und sinnlose brutale Grausamkeit, sie finden sich auch bei anderen Geisteskranken; das Unterscheidende liegt nur darin, daß die Herrscherstellung den Keimen solcher Anlagen einen besonders fruchtbaren Boden bereitet und sie zu einer sonst kaum möglichen ungehinderten Entwicklung kommen läßt, die sich zugleich in einem Umfange, der sonst ganz ausgeschlossen ist, in grausige Taten umsetzen kann.

Der spezifische Cäsarenwahnsinn ist das Produkt von Zuständen, die nur gedeihen können bei der moralischen Degeneration monarchisch gesinnter Völker oder doch der höher stehenden Klassen, aus denen sich die nähere Umgebung der Herrscher zusammensetzt. Der Eindruck einer scheinbar unbegrenzten Macht läßt den Monarchen alle Schranken der Rechtsordnung vergessen; die theoretische Begründung dieser Macht als eines göttlichen Rechtes verrückt die Ideen des Armen, der wirklich daran glaubt, in unheilvoller Weise; die Formen der höfischen Etikette – und noch mehr die darüber hinausgehende unterwürfige Verehrung aller derer, die sich an den Herrscher herandrängen – bringen ihm vollends die Vorstellung bei, ein über alle Menschen durch die Natur selbst erhobenes Wesen zu sein; aus Beobachtungen, die er bei seiner Umgebung machen kann, erwächst ihm zugleich die Ansicht, daß es ein verächtlicher, gemeiner Haufen ist, der ihn umgibt. Kommt dann noch hinzu, daß nicht nur die höfische Umgebung, sondern auch die Masse des Volkes korrumpiert ist, 68 daß der Herrscher, er mag beginnen, was er will, keinen mannhaften offenen Widerstand findet, daß die Opposition, wenn sie sich einmal hervorwagt, zum mindesten ängstlich den Schein aufrecht erhält, die Person des Herrschers und dessen Anschauungen nicht bekämpfen zu wollen, ist gar dieser korrumpierte Geist, der das Vergehen der Majestätsbeleidigung erfunden hat und in der Versagung der Ehrfurcht eine strafbare Beleidigung des Herrschers erblickt, in die Gesetzgebung und in die Rechtsprechung eingezogen: so ist es ja wirklich zu verwundern, wenn ein so absoluter Monarch bei gesunden Sinnen bleibt.

So waren in dem schon so verrotteten römischen Staatsleben Vorbedingungen für die Entwicklung des Cäsarenwahnsinns reichlich gegeben. Dabei war Caligula beiderseits erblich belastet (man denke an Julia, deren Sohn Gajus und an seines Großoheims Tiberius' letzte Jahre), und auch der Umstand, daß er so jung zur Herrschaft gelangte, mußte alle vorhandenen Keime üppig emporschießen lassen, da das schroffe Mißverhältnis zwischen äußerer Stellung und innerer Berechtigung auf seinen jugendlichen, von jeher zu Exzessen jeder Art geneigten Geist wie Gift einwirkte.

In wirklichen Wahnsinn ist Caligula trotzdem erst nach einer schweren Krankheit verfallen, von der er zu seinem und des Volkes Unglück genas; aber man wird sagen dürfen, daß diese Krankheit aller Wahrscheinlichkeit nach die Entwicklung nur beschleunigt hat; denn die deutlichen Ansätze dazu waren schon vorher vorhanden, und die ungünstig wirkenden äußeren Faktoren, die dieselben fördern mußten, waren von seiner kaiserlichen Stellung im damaligen Rom nicht zu trennen.

 

Das Bild des Cäsarenwahnsinns, das uns Caligula darbietet, ist geradezu typisch. Fast alle Erscheinungen, die wir sonst bei verschiedenen Herrschern antreffen, sind in ihm vereinigt, und wenn wir die scheinbar gesunden Anfänge mit der schauerlich raschen Steigerung zu den äußersten Exzessen zusammenhalten, so gewinnen wir auch ein Bild von der Entwicklung der Krankheit.

Eine Erscheinung, die an sich noch nicht krankhaft zu sein braucht, in der sich aber, wenn man sie mit den übrigen Symptomen zusammenhält, der Größenwahn schon früh bei Caligula ankündigt, ist die ungemessene Prunk- und Verschwendungssucht, ein Charakterzug fast aller Fürsten, die das gesunde Urteil über die Grenzen ihrer eigenen Stellung verlieren, von orientalischen Despoten bis auf gewisse Träger der Tiara, bis auf die beiden französischen Ludwige und ihre deutschen Nachahmer, eine 69 Reihe, die in dem unglücklichen Bayernkönig vorläufig ihren letzten berühmten Vertreter gefunden hat. Nach kurzer Zeit war nicht nur der sehr bedeutende Schatz, den der sparsame alte Kaiser hinterlassen hatte, verbrauchtSueton 37. Dio Cassius 59, 2., sondern man mußte auch zu sehr bedenklichen Mitteln greifen, um die Einnahmen zu steigern und die Schulden zu decken.Sueton 38. Dio Cassius 59, 15 und 18. Die eben abgeschafften Steuern wurden wieder eingeführt, neue, zum Teil sehr drückenden oder schimpflichen Charakters, kamen hinzu, die Justiz wurde mißbraucht, um dem Schatz Strafen und konfiszierte Vermögen zuzuführen, und schließlich ward der Grundsatz proklamiert, daß das Vermögen der Untertanen zur Verfügung des Fürsten sei.Sueton 47.

Prunk- und Verschwendungssucht haben sich natürlich bei Caligula auf den verschiedensten Gebieten betätigt, bei Festen, MahlzeitenVgl. z. B. Seneca, Ad Helviam de consolatione 10, 4. und Geschenken, in Kleidung und Wohnung und allem, was sonst zum Leben gehört, besonders auch in der Einrichtung seiner Paläste und Villen und der mit unsinnigem Luxus ausgestatteten kaiserlichen JachtenSueton 36., am allerhervorstechendsten aber in riesenhaften Bauten und Bauprojekten.Sueton 21. Auch das ist ein den überspannten Herrscherideen eigentümlicher Zug – man denke nur an die soeben schon berührten Beispiele; man kann ihn sich übrigens leicht genug verständlich machen, wenn man die Ruhmsucht der Cäsaren und ihren Wunsch, vor der Nachwelt zu glänzen, im Auge behält.

Die Maßlosigkeit der Projekte des Caligula und die kurze Zeit seiner Regierung haben bewirkt, daß eine Reihe seiner Bauten unvollendet liegengeblieben ist. Auf dem Palatin in Rom zeigt man noch die Anfänge zu der »Brücke des Caligula«, durch die er über das Forum hinüber den Kaiserpalast mit dem Capitol, dem Heiligtum der Stadt, verbinden wollte.Vgl. Sueton 22. Große Wasserleitungen und Zirkusbauten nahm er gleichzeitig in Angriff, auch das schon öfter erörterte Projekt eines Kanals durch die Landenge von Korinth sollte schleunigst zur Ausführung gebracht werden.Sueton 21. Mit dieser Baulust war eine auffallende Zerstörungssucht verbunden. Erhaltenswerte Bauten wurden aus nichtigen Gründen zerstört oder umgestaltet.Vgl. z. B. Seneca, De ira III, 21, 5. Dio Cassius 59, 28. Was aber neu entstand, trug zum großen Teil den Stempel von ganz 70 bizarren Einfällen. Je unmöglicher und unsinniger eine Aufgabe schien, um so mehr lockte sie ihn.Sueton 37. Am Golfe von Neapel nennt man Überreste eines römischen Hafendammes Ponte di Caligula in Erinnerung an den phantastischen Brückenbau, den er dort zur Ausführung eines wahnwitzigen Gedankens hatte herstellen lassen.

Caligula ließ nämlich über die Bucht von Bajae eine riesenlange Schiffsbrücke schlagen, auf derselben eine förmliche Landstraße mit Schenken und Süßwasserleitungen anlegen und führte, angetan mit dem angeblichen Panzer Alexander des Großen, seine Truppen über die Brücke nach Bajae, fiel mit seinen Soldaten in die friedliche Stadt ein, wie um sie zu erobern, veranstaltete am nachfolgenden Tage auf der Brücke einen großen Triumphzug mit gewaltigem Aufputz, fingierter Beute und fingierten Gefangenen und feierte schließlich selbst das glorreiche Unternehmen, die Überwindung so vieler Strapazen, wie er sagte, und die Fesselung des Ozeans in pomphafter Rede und rauschenden Festen.Dio Cassius 59,17. Vgl. Sueton 19, 32. Josephus, Antiqu. XIX, 1, 1. Seneca, De brevitate vitae 18, 5.

 

Wahnwitzige Prunk- und Verschwendungssucht tritt in diesem berühmt gewordenen Unternehmen recht kraß hervor, zugleich aber noch eine andere ganz eigentümliche Richtung, die der krankhafte Größenwahn und das Prunkbedürfnis der Fürsten zu nehmen pflegt: der Heißhunger nach militärischen Triumphen.

Das Grausige und das Lächerliche grenzen gerade hier hart aneinander. Wenn einerseits die Vorliebe für prunk- und ruhmsüchtige Aktionen und für kriegerisches Schaugepränge zu den schauerlichsten Folgen, zu wahren Völkermetzeleien führt, so schlägt sie andererseits, wenn der Schein an Stelle schrecklicher Wirklichkeit tritt, gar leicht ins Komisch-Kindische um.

Bei Caligula tritt diese letztere Seite der Sache besonders scharf hervor. Die Zeitverhältnisse waren nicht danach angetan, Kriege zu führen und kriegerische Triumphe zu gewinnen. Die Grenzen waren beruhigt, auf weitere Ausdehnung des Reiches hatte man verzichtet. Caligulas echt-cäsarisch-krankhafte Sucht, auch auf militärischem Gebiete zu glänzen, warf sich deshalb auf spielerische Manöver und auf einen theatralischen Schein. Im Stile jenes Triumphzuges über den Golf von Bajae hat er noch mancherlei vollführt. Wir heben nur zwei besonders sprechende Beispiele hervor.

71 Ganz plötzlich faßte er den Entschluß, sich zum Heere an den Rhein zu begeben. Hals über Kopf mußte alles in Bewegung gesetzt werden.Sueton 43. Bei der Armee angekommen, zeichnete er sich zunächst durch eine ganz ungewöhnliche disziplinarische Strenge auch gegen Offiziere ausSueton 44.: besonders die unglücklichen Führer, die bei dieser plötzlichen Mobilmachung nicht schnell genug auf dem Sammelplatz eintrafen, hatten seinen Zorn zu fühlen. Zugleich schien er, so wenig er auch selbst an seine eigene Jugend erinnert werden wollteDioCassius 59, 13., auf Verjüngung der Armee bedacht zu sein; er verfügte die Verabschiedung vieler älterer Centurionen mit der Begründung, daß sie zu alt oder zu hinfällig seien. Gegen andere schritt er wegen finanzieller Mißbräuche in der Verwaltung ein. Wenn das scharfe Anziehen der Disziplin auch diesem oder jenem als besondere Schneidigkeit imponiert haben mag, so hat es zugleich doch auch, wie wir aus den Berichten des Sueton ersehen, viel Unzufriedenheit hervorgerufen, und manche Maßregeln müssen unbefangenen Beurteilern geradezu als eine lächerliche Renommisterei erschienen sein, besonders wenn sie sahen, was sich nun weiter anschloß.

Der Kaiser ließ ein Manöver über den Rhein hinüber ausführen. Germanische Soldaten seiner Leibwache und als Geiseln anwesende Fürstensöhne mußten sich als Germanenkrieger verkleiden und unweit des Rheines Stellung nehmen; davon wurde, während der Kaiser bei Tafel saß, militärische Meldung durch die Vorposten erstattet, und über diesen »markierten« Feind, der sich gefangen nehmen ließ, wurde dann ein glorreicher Sieg erfochten; die dressierten Leibsoldaten und die armen Germanenjünglinge paradierten als Gefangene.Sueton 45. – Vgl. dann über den Triumph in Rom Sueton 47.

Das Soldaten- und Manöverspiel artete hier schon zu einer von aller Welt belachten Farce aus.

Fast noch grotesker wirkte die Unternehmung gegen Britannien, bei der Caligula schließlich seine Soldaten am Strande Muscheln sammeln ließ. Diese Beute des Meeres sollte wie eine Kriegstrophäe gelten.Sueton 47. Dio Cassius 59, 25.

 

Zum zweiten Male kehrt hier der phantastische Gedanke einer Bezwingung des Weltmeeres wieder. Der junge Kaiser scheint eine ganz besondere, an sich sympathische, nur auch wieder ins Krankhafte verzerrte 72 Vorliebe für die See gehabt zu haben. Wir erwähnten schon die besonders prunkhafte Ausstattung seiner Jachten. Wiederholt hören wir, daß er kleine und große Seereisen unternahm, und auch in der Schönheit des Sturmes scheint er das Meer aufgesucht zu haben. Für seine Umgebung muß diese Passion recht unbequem gewesen sein; denn er scheint rücksichtslos verlangt zu haben, daß alle seine Vorliebe teilten, und dem armen Silanus, der einmal bei stürmischem Wetter zurückgeblieben war, ist seine Furcht vor Seekrankheit zum Verderben geworden, da Caligula, damals schon ganz in blindem Mißtrauen blutig wütend, andere Motive dahinter vermutete.Sueton 23.

 

In dem Manöver und Soldatenspiel Caligulas, das wir kennengelernt haben, in seinen Disziplinmarotten und in den Triumphzügen liegt offenbar ein komödiantischer Zug, der für das pathologische Bild des Cäsarenwahnsinns charakteristisch ist. Er beschränkt sich bei Caligula nicht auf militärische Komödien. Wir hören von seiner ungemessenen Passion für Theater und Zirkus – und mehr als das: wir hören, wie er selbst gelegentlich mitzuagieren begann, wie ihn eine absonderliche Vorliebe für auffallende Kleidung und deren fortwährenden Wechsel beherrschteSueton 52. Dio Cassius 59, 26., wie diese Vermummungsspielerei dahin ausartete, daß er sich in den Masken der verschiedenen Gottheiten (Götter und auch Göttinnen!) gefielSueton 22. – ein Zug, auf den wir in anderem Zusammenhange noch zurückkommen –, wie er ferner seine eigenen mimischen Künste bewundern ließ, z. B. nachts Senatoren aus ihren Betten aufschreckte, nur um ihnen vorzutanzenSueton 54.; es wird uns berichtet, daß er öffentlich als Zirkuskämpfer, wie später Nero, auftratSueton 54. und sogar, wie später Commodus, als GladiatorDio Cassius 59, 5. – Vgl. Sueton 32., also in einer Rolle, die damals den Fluch sozialer Ächtung auf den unglücklichen Träger herabzuziehen pflegte.

Es kommt bei diesem komödiantischen Zuge des Cäsarenwahnsinns wohl zweierlei zusammen, erstens eine krankhaft-phantastische Anlage, gleichsam die stehengebliebene Neigung des Kindes, seine Phantasiegebilde mit der realen Welt zu verschmelzen, eine Neigung, die sich unter Verhältnissen am besten halten kann, wo an Stelle einfacher Natürlichkeit schon so viel verschrobenes Komödienspiel, so viel Fiktionen herrschend 73 sind wie an einem Kaiserhofe, und dann zweitens das Bedürfnis, überall und auf jedem Gebiete zu glänzen, ein Bedürfnis, das ebenfalls durch die eigenartige Stellung des absoluten Herrschers krankhaft genährt wird.

In der Reihe von Herrschertypen, bei denen von eigentlicher Geisteskrankheit nicht die Rede ist, begegnen wir deshalb ja so oft Persönlichkeiten, die sich andauernd auf gewissen Gebieten jämmerlich bloßstellen, zum Teil weil in ihrer Stellung der Zwang und der Trieb liegt, überall hervorzutreten, zum Teil weil die Umgebung sie in dem Glauben erhält, daß sie etwas Geniales und gewaltig Imponierendes leisten, auch wo die mildesten aufrichtigen Beurteiler bedenklich den Kopf schütteln.

Ein Gebiet, auf dem Caligula mit Vorliebe zu glänzen suchte, war die Beredsamkeit; er sprach gern und viel öffentlich, und es wird uns berichtet, daß er auch ein gewisses Talent dafür besaßSueton 53. Dio Cassius 59, 28., daß insbesondere ihm die Kunst, zu verletzen und zu schmähen, eigen war. Mit Vorliebe wandte er sich gegen die Koryphäen der Literatur. Manches beißende Wort gegen sie soll ihm nicht schlecht gelungen sein. Doch ging sein unverständiger Fanatismus so weit, daß er klassische Autoren, wie Homer, Virgil und Livius, am liebsten aus allen Bibliotheken verbannt hätte.Sueton 34.

Dabei scheint er doch Zitate aus den verhaßten Autoren manchmal gern in epigrammatisch zugespitzten Worten benutzt zu haben, um seine eigene Stellung zu bezeichnen. So herrschte er seine Gäste einstmals mit dem berühmten Verse des Homer an: εἷς κοίρανος ἔστω, εἷς βασιλεύς: Einer sei Herrscher, einer nur König!Sueton 22. – Vgl. auch das Zitat aus Virgil, Sueton 45. Am berühmtesten geworden ist sein LieblingszitatSueton 30. aus einem Tragiker; »Oderint, dum metuant«, d. h. mögen sie hassen, wenn sie nur fürchten, wohl die zugespitzteste Äußerung seiner cäsaristischen Auffassung der Beziehungen zwischen Regenten und Volk.

 

Die Freude an rücksichtsloser Gewalttätigkeit, die sich in dem häufigen Gebrauch dieses Wortes gleichsam als obersten Leitmotives seiner Regierungspraxis ausspricht, beherrschte seine Stellung zu allen Verhältnissen des öffentlichen Lebens.

Sehen wir zunächst selbst von positiver Grausamkeit noch ab, so ist es ja typisch für diese Art von Cäsaren, daß fast ihr vornehmstes Interesse, wie bei Caligula, darin besteht, jedermann ihre Macht fühlen zu lassen, daß sie nichts mehr aufbringt als die Empfindung, Grenzen dieser Macht 74 anzutreffen, und daß sie als wirksamstes Mittel, um jeden Widerstand ihrer Untertanen im Keime zu ersticken, die Verbreitung von Furcht und Schrecken betrachten. Bramarbasierend pflegen sie, gleich Caligula, die Drohung, daß jedermann ihre Macht fühlen solle, in unzähligen Varianten im Munde zu führen. Das wiederholt sich öfter in der römischen Kaisergeschichte, und auch sonst gibt es Beispiele genug. Selbst so geniale Cäsarennaturen wie Napoleon sind davon nicht frei. Glücklich das Volk, wenn solche Herrscher durch die Macht der äußeren Verhältnisse genötigt sind, sich mit bloßen Drohungen zu begnügen, und nicht wie Caligula zu Taten übergehen können.

Von dem Streben des Herrschers, die eigene Macht fühlbar zu machen, pflegen zunächst nicht so sehr die breiten Massen des Volkes wie die höher gestellten Gesellschaftsklassen, vornehme Familien und hohe Beamte, getroffen zu werden. Die ersten schwachen Anfänge sind allerhand RücksichtslosigkeitenVon Caligula erzählt man u. a. auch, daß er die bekannte »Höflichkeit der Könige« aufs äußerste vernachlässigte und große Volksmassen rücksichtslos auf sich warten ließ. Dio Cassius 59, 13. – doch eben nur schwache Anfänge; denn mit zynischem Behagen suchen solche Herrscher bald alles herabzudrücken, was neben ihnen selbständige Geltung beanspruchen kann. Auch bei Caligula ist zu beobachten, wie er jeden Vorzug und besonders jedes Verdienst mit seinem Haß verfolgteDio Cassius 59, 27: τῷ τε γάρ κρείττονι ἑαυτοῦ ὁ Γάιος ᾔχϑετο. - Vgl. Sueton 35., wie er systematisch alles Ansehen durch Mißachtung und Hohn zu untergraben suchte, wie er darauf ausging, hochgestellte Männer zu erniedrigen, sie zwang, als Gladiatoren aufzutretenDio Cassius 59, 10. (wobei freilich auch sein Gefallen am Blutvergießen ins Spiel kam), sie hinter seinem Wagen herlaufen, bei Tische aufwarten ließSueton 26. oder ihnen den Fuß zum Kusse reichteDio Cassius 59, 27. Seneca, De beneficiis II, 12. – der Handkuß galt wohl kaum mehr als eine Erniedrigung, sondern eher als eine Ehre! Geflissentlich verhöhnte er die uralten Traditionen vornehmer FamilienSueton 35. und setzte seine eigene Umgebung aus Personen des niedrigsten Standes zusammen. Kutscher, Gladiatoren, Schauspieler und allerhand fahrendes Volk seien, so sagte man, sein täglicher UmgangDio Cassius 59, 5., während die berufenen Männer beiseite geschoben wurden (auch wieder ein Zug, dem man in der Geschichte kranker Herrschergestalten oft genug begegnet).

Sicherlich hat Caligula auf ähnliche Weise auch im eigentlichen 75 Staatsleben mit den Stellen der Zivilverwaltung und des Heeres gewirtschaftet.

Gerade an diesem Punkte empfindet man es besonders schmerzlich, daß die uns erhaltene Darstellung des Tacitus beim Regierungsantritt des Caligula abbricht. Er würde gewiß mit unnachahmlicher Kunst geschildert haben, wie dieser Charakterzug zersetzend auf die ganze Staatsverwaltung eingewirkt hat. Von geringeren Autoren ist uns jetzt fast nur der äußerste Zug von Wahnsinn überliefert, wie Caligula schließlich einem Pferde die Konsulwürde zu verleihen beabsichtigt haben soll.Dio Cassius 59, 14. Sueton 55. Die Stufen, die zu diesem Gipfel bubenhafter Verhöhnung führten, müssen wir uns kombinierend ergänzen. Es fällt aber nicht schwer, sich vorzustellen, wie die Mißachtung jeder Sachkenntnis und jeder auf Fachbildung beruhenden Autorität, von kaum bemerkbaren Anfängen an, sich dazu fortentwickelt hat.

Nur zwei Einzelerscheinungen, die hierher gehören, sind uns zufällig bekannt. Die Wissenschaft der Jurisprudenz hat Caligula in der Praxis völlig beseitigen, den Stand der Juristen völlig ausrotten wollen.Sueton 34. Mag in dieser Juristenfeindschaft auch der gesunde Kern stecken, daß die Existenz einer Fachjurisprudenz dem Wesen des lebendigen Rechtes widerstreitet, so ist der Gedanke selbst doch unter den gegebenen Verhältnissen des damaligen römischen Lebens wieder echt cäsarisch. Der andere Vorgang betrifft das Heerwesen. Eine Anzahl von Zirkusfechtern wurde anscheinend unvermittelt aus bloßer Laune zu Offizieren seiner Leibwache ernannt.Sueton 55. Wir dürfen das Bild uns wohl weiter ausmalen, wie der Kaiser Verwaltungsbeamten, Quästoren oder großen Steuerpächtern militärischen Rang erteilte, alte Soldaten auf wichtige Zivilverwaltungsposten stellte, eingefleischte Juristen, die auf dem Forum groß geworden waren, auf schwierige Stellungen an der Grenze für den Verkehr mit fremden Völkerschaften schickte oder gichtbrüchige Geheimräte an die Spitze seiner Tänzerschar beförderte. Nicht toll genug werden wir uns den Wirrwarr, den Widerstreit von Befähigung und Aufträgen, den Hohn auf die gesunde Vernunft, der von dem konsularischen Roß schließlich gekrönt wurde, vorstellen können.

 

Über der wild durcheinandergeworfenen, verhöhnten und mit Füßen getretenen servilen Masse des Volkes und aller Stände glaubte der Kaiser 76 selbst zu thronen, in unnahbarer göttlicher Majestät, die für ihn selbst ungeschmälert aufrecht stehen blieb, wenn er auch gelegentlich den Purzelbaum zum Zirkus hinunterschlug. Denn das ist wesentlich für diese Gattung von Cäsaren, sie glauben an ihr eigenes Recht, sie meinen eine Mission zu haben, fühlen sich in einem besonderen Verhältnis zur Gottheit stehend, halten sich für die Auserwählten derselben und beanspruchen schließlich für sich selbst göttliche Verehrung.

Das scheint der äußerste Gipfel des Cäsarenwahns zu sein, und doch nähern sich ihm die Vorstellungen mancher Herrscher, die noch nicht geradezu für krank gelten können, auf bedenkliche Weise – Friedrich Wilhelm IV. z. B. bewegte sich, auch als er noch nicht völlig erkrankt war, in einem solchen mystischen Ideenkreise. Freilich – das ist ja das schmach- und jammervolle Fundament der ganzen Cäsarenexistenz – kommt solchen Vorstellungen die Anschauungsweise der Massen und besonders der herrschenden Klassen in den von eigentlich monarchischer Gesinnung durchtränkten Völkern oft auf die gefährlichste Weise entgegen. Wie hätte sonst für Alexander, wie hätte für Cäsar Vergötterung beansprucht werden können?

Bei Caligula ist es ganz offenbar nicht nur kecke Ausnützung der Volksauffassung oder politische Berechnung, wenn er göttliche Verehrung beansprucht, sondern es ist der helle, nackte Wahnsinn, der an die eigene Göttlichkeit glaubt oder doch sich vorübergehend in die Vorstellung derselben versenkt.

Das sehen wir am besten daran, wie er mit dem Gedanken gleichsam spielt. Bei der Dürftigkeit unserer Nachrichten können wir auch hier die Entwicklung nicht ganz verfolgen – die unscheinbaren Anfänge sind uns nicht deutlich überliefert. Daß er schon als Jüngling zum Augurn und Oberpriester ernannt wurde, hat möglicherweise auf seine Ideenwelt einen gewissen Einfluß geübt. Wir dürfen wohl annehmen, daß er beim Gottesdienst selbst wirklich fungiert haben wird, und daß es ihm nahelag, phantastische Vorstellungen mit der Ausübung solcher Funktionen zu verbinden. Weit wichtiger und bezeichnender aber ist es, daß er es liebte, in der Verkleidung von Göttern und Göttinnen aufzutreten.

Wie sich ein schauspielerischer Zug darin äußert, wurde schon berührt: wir müssen uns vorstellen, wie der kaiserliche Akteur sich gleichsam selbst in die Stellung der dargestellten Gottheit hineinschauspielerte. Es ist ja sehr merkwürdig, wie bei etwas krankhaft-phantastisch angelegten Menschen die Grenzen zwischen der Wirklichkeit und dem dargestellten Schein sich verwischen; zunächst spielen sie mit dem Gedanken, etwas mit 77 der dargestellten Figur gemein zu haben, in Augenblicken besonderer Ekstase fühlen sie sich mit ihr eins, und bei ausgesprochener geistiger Erkrankung glauben sie schließlich dauernd mit ihr identisch zu sein. König Ludwig von Bayern hat gewiß, wenn er als Lohengrin auf seinem künstlichen See im Schwanennachen fuhr, auch Momente gehabt, in denen die Scheidung zwischen Darstellung und Wirklichkeit sich für ihn verwischte. Vielleicht darf man sagen: es ist die infolge von Überreizung auf das eigene Subjekt ausgedehnte Illusion, die wir alle dem Objekt gegenüber ja bei künstlerischen Reizen auf unsere Phantasie kennenlernen. – Und wenn nun noch das Auftreten von dritten Personen und großen Volksmassen, der Wunsch, auf dieselben Eindruck zu machen, und das Bedürfnis, eine ganz unnatürliche Fiktion mit immer verstärkten äußeren Mitteln aufrecht zu erhalten, hinzukommen! Wer hat nicht schon Menschen gekannt, die schließlich selbst glaubten, das zu sein und das geleistet zu haben, was sie lange anderen und dann sich selbst vorgeschwindelt hatten?

Bei Caligula schlugen gelegentlich seine Vergötterungsansprüche in eine tolle Farce um – ohne daß wir deshalb glauben dürften, er habe den Kultus, den er seinen Untertanen aufgezwungen hatte, selbst verhöhnen wollen, um so die Schmach noch zu verschärfen. Er machte sich selbst zum Oberpriester seiner eigenen Gottheit! Und sein Pferd – auch sonst tritt seine Vorliebe für Pferde in ganz unsinnigen Handlungen hervor – gesellte er sich als Kollegen in dieser Stellung zu!Dio Cassius 59, 28.

Schon die Zeitgenossen haben Caligula für richtig geisteskrank gehaltenTacitus, Ann. 6, 45. Sueton 50 und 51. Seneca, De constantia sapientis 18, 1., und es ist nicht recht verständlich, wie ein neuerer Historiker noch daran zweifeln kann. Der Entwicklung zu geistiger Störung entspricht bei ihm ja auch offenbar eine ursprüngliche krankhafte Anlage.

Von seiner körperlichen Disposition wissen wir nicht viel, aber doch einiges. Als er mit zwanzig Jahren zu Tiberius kam, war er lang aufgeschossen; dünne Beine, stark entwickelter BauchSueton 50. Seneca, De const. sap. 18, 1. und unheimlich berührende Gesichtszüge mit eingefallenen Schläfen und Augen, breiter und finsterer Stirn waren körperlich die hervorstechendsten Merkmale.Sueton 50. Dabei litt er an Epilepsie und schrecklicher Schlaflosigkeit.Sueton 50.

Von seiner damit zusammenhängenden Rast- und Ruhelosigkeit, von dem 78 Widerspruchsvollen und der Unberechenbarkeit seiner Einfälle und Eindrücke hat uns Dio Cassius eine lebendige Schilderung gegeben59,4.; es sind Züge der Nervosität, die an sich noch nicht krankhaft zu sein brauchen, die erst im Zusammenhang mit dem, was wir sonst wissen, erhöhte Bedeutung erlangen. Bald suchte er das Gewühl der Menschen, bald wieder die Einsamkeit; er unternahm dann wohl eine Reise, und einmal, als er zurückkehrte, war er kaum wiederzuerkennen, er hatte sich (ganz gegen die Sitte der Zeit) einen Bart und langes Haupthaar wachsen lassen.Sueton 24. Über Schmeichler und Freimütige ärgerte und freute er sich zugleich. Bald ließ er sich, besonders von Leuten niederen Standes, die schlimmsten Dinge sagen, bald strafte er Nichtigkeiten mit dem Tode. Niemand wußte, was er tun oder sagen sollte, und machte es ihm einer recht, so hatte er es seinem guten Glück, nicht seiner Klugheit zu danken.Dio Cassius 54, 4. Er kam auf die unsinnigsten Einfälle, und auch wenn sie verhältnismäßig harmlos waren, steckte ein Zug von Bosheit in ihnen, so z. B. wenn er einen Offizier, der seine Unzufriedenheit erregt hatte, mit einem ganz inhaltslosen Briefe an König Ptolemäus nach Mauretanien schickte.Sueton 55.

Meist aber nahm seine Bosheit, das Vergnügen am Quälen, sehr viel schlimmere Formen an. Auch dieser Zug ist schon aus seiner Jugend überliefert. Er versäumte es nicht, bei Folterungen und Hinrichtungen zugegen zu sein.Sueton 11.

Damit verband sich der Hang zu Ausschweifungen.Sueton 36. Dio Cassius 59, 3. Schon aus seinen Knabenjahren erzählte man sich scheußliche Dinge.Sueton 24, 24. – Vgl. Dio Cassius 59, 10. Später, als er bei Tiberius war, besuchte er vermummt die Höhlen des Lasters, zugleich geschlechtlichen Ausschweifungen und dem Trunke ergeben.Sueton 11. – Vgl. Philo, Legatio ad Gaium.

Der Hang zu Ausschweifungen, das Schwelgen im Blutvergießen und die Freude an grausamen Martern machen das Bild des cäsaristischen Wütens erst recht vollständig. Daß krankhafte geschlechtliche Neigungen oft mit krankhafter Freude am Grausigen, an Blutopfern und grausamen Qualen Hand in Hand gehen, ist ja eine aus psychiatrischen Beobachtungen überall bekannte Tatsache. Wie nun diese kombinierte Erscheinung wieder mit dem Cäsarenwahnsinn zusammenhängt, ist im groben auch für den 79 Laien leicht einzusehen, mag auch die genaue Auseinanderlegung der Erscheinung dem Fachmann noch manche Probleme bieten. Schon die äußeren Vorteile der ganzen Stellung verlocken zu früher Zügellosigkeit, wofür die Lebensgeschichte unzähliger Fürstensöhne wohl aus allen Dynastien Beispiele liefert. Wenn dann noch die cäsaristische Anschauung von der Unbegrenztheit der eigenen Ansprüche und von der Nichtigkeit aller anderen Rechte hinzukommtEin Wort des Caligula lautete: »Memento omnia mihi et in omnes licere«: Bedenke, daß mir alles und gegen alle zu tun erlaubt ist., und wenn dazu sich eine Vererbung dieser Faktoren durch einige Generationen gesellt – dann ist natürlich kein Halten mehr.

In seiner vollendetsten Gestalt gleichsam zeigt sich der Cäsarenwahnsinn, wenn Blutdurst, Grausamkeit und Zuchtlosigkeit in den Dienst des Vergötterungsgedankens treten. Auch von dieser Steigerung seiner Wahnsinnsausgeburten schien Caligula der Welt ein Beispiel in großem Maßstabe hinterlassen zu wollen, als die Juden – und zwar, wie es scheint, sie allein – sich weigerten, seine Statue in ihrem Tempel aufzustellen und ihr Anbetung zu erweisen. Mit Feuer und Schwert war er im Begriff, das ganze Volk zu seinem Dienste zwingen zu wollen, als der Tod ihn ereilte.Josephus, Antiq. 8, 2–8. Vgl. Philo, Legatio ad Gaium.

Doch auch von einer solchen Häufung aller cäsaristisch-wahnsinnigen Züge abgesehen, wirkten des Caligula Hang zu Ausschweifungen und sein Blutdurst für sich allein schon grausig genug. In der ersten Zeit nach seinem Regierungsantritt scheint er sich einige Mäßigung auferlegt zu haben; aber bald traten die Neigungen seiner Jugend, von denen wir schon sprachen, wieder hervor, und da er jetzt unumschränkter Selbstherrscher war, so ergab er sich um so ungezügelter seinen Begierden, denen Frauen und Mädchen ohne Zahl zum Opfer fielen.Sueton 36. Dio Cassius 59, 3 und 10.

Zugleich begann er in wahrhaft entsetzlicher Weise, oft noch durch finanzielle Motive angestachelt, seiner Mordgier und der Freude an Martern freien Lauf zu lassen.Sueton 26 ff. Dio Cassius 59, 10. Jos. Flav. XIX, 1, 1. Nicht nur spätere Berichterstatter haben uns davon berichtet, sondern auch der Zeitgenosse Seneca schildert die tierische Freude, die der Kaiser beim Anblick von Hinrichtungen empfand, und die Grausamkeit, mit der er die Überlebenden quälte.Seneca, De ira II, 33, 3; III, 18, 3 ff.; 19. De benef. II, 21, 5. Quaest. nat. IV, praef. 17.

Daß seine Mordlust als Geistesstörung aufzufassen ist, zeigen einige Geschichten, die uns überliefert sind, wie er seiner Gattin oder seiner Geliebten nicht den Hals küßte, ohne davon zu sprechen, daß dieser schöne 80 Nacken, sobald er es befehle, durchschnitten werdeSueton 33., oder wie er beim fröhlichen Mahle in unbändiges Gelächter ausbrach bei dem Gedanken, daß es nur eines Winkes bedürfe, um den beiden Konsuln, die neben ihm lagen, die Kehlen abzuschneiden.Sueton 32. Dem römischen Volke wünschte er (der Ausspruch ist ja berühmt geworden) einen einzigen Hals, um es mit einem Streiche köpfen zu können.Sueton 30. Dio Cassius 59, 13; 30. Solche Gedanken und noch viel schlimmere, nicht nur einfach blutdürstige Neigungen, sondern auch die ausgesuchtesten Marterideen setzten sich in eine Unzahl grausiger Taten um, die er vielfach mit zynischen Witzen begleitete.Sueton 29; 30. Die Einzelheiten sind zu scheußlich, um darauf einzugehen.

Genug, ganz Rom setzte er damit in Schrecken, und doch ermannte sich dieses Rom nicht, das Joch des Kranken, der wie ein Bluthund wütete, von sich abzuschütteln. Der Senat wagte nicht, ihn abzusetzen oder eine Regentschaft zu beschließen. Nicht durch einen Akt der politischen Körperschaften wurde er beseitigt, sondern es bedurfte einer Verschwörung, die in dem persönlichen Rachebedürfnis eines schwer beleidigten Obersten seiner Leibwache, des Cassius Chärea, ein williges Werkzeug fand.Sueton 58. Dio Cassius 59, 29. – Am ausführlichsten: Josephus, Antiq. XIX, 1, 3.

So tief gesunken war der Staat, an dessen Pforten damals so drohend das Barbarentum eines noch jugendkräftigen Volkes pochte. Wenn wir darauf jetzt vom sichern Port zurückblicken, dann dürfen wir trotz allem wohl sagen, daß wir doch heute, wo die materielle Kultur und der Luxus der oberen Klassen sich wieder mit den Zuständen der römischen Kaiserzeit vergleichen lassen, politisch ein schönes Stück weitergekommen sind – freilich liegen auch mehr als 1800 Jahre dazwischen –; denn etwas, was diesem Cäsarentum und dieser Herrschaft des Cäsarenwahnsinns ähnlich wäre, ist unter den heutigen Verhältnissen so völlig unmöglich, daß uns die ganze Schilderung wie ein kaum glaubliches Phantasiegemälde oder wie eine übertriebene Satire römischer Schriftsteller auf das zeitgenössische Cäsarentum anmuten wird, während sie nach dem heutigen Stande unserer Quellenforschung in allen wesentlichen Zügen trockene historische Wahrheit ist.


 << zurück