Georg Queri
Der bayrische Watschenbaum
Georg Queri

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der feldgraue Traum vom Grey

Die Achten Bayern – ah, Respekt.

Da siehst du große und bärenbreite Fürchtenichtse. Sie nehmen's dem lieben Gott durchaus nicht krumm, wenn er Senegalneger in den nächsten Schützengraben legt oder andere feste und wilde Mannsbilder, mit denen sich ein vernünftiger Hieb reden läßt. Aber die weißen Französerl – ujeh. Mit dieser wehleidigen Gesellschaft ist nicht viel anzufangen. Die fürchten die neuen eschenen Gewehrkolben geradso wie die alten nußbaumenen.

Und wenn man das Bajonett ein bissl laut aufpflanzt, fangen sie an zu zittern, daß die ganze Combreshöhe wackelt – geht's mir weg mit den weißen Französerln!

Aber wie die Achter von Combres nach dem Sélousewald zogen – ja, da standen ihnen ganz artige Kerle gegenüber. Von der Sonne vielleicht ein bissl zu schwarz gebraten, aber sonst haushohe Mannsbilder, und frech und standhaft.

Es war ein ganz anderes Arbeiten.

Der Niederwieser aber schimpfte: »Es is a Schkandal, wann ma mit solchene Gloiffi raffa muaß. A Schkandal. Schicken's setzt lauter Schwarze daher! Die soll'n s' dahoam lass'n, bei die andern Aff'n.«

Der Salzbichler: »Laß die Kerl nur schwarz sei! Es farbt koaner ab.« Er betrachtete seine Hände genau – es war keine Spur von dem zähen schwarzen Negerhals zu sehen, um den er sie gelegt hatte. »Sie farb'n net ab, sag ih dir. Ih hab 'n leicht zwoa Vaterunser lang bei der Gurg'l g'habt, den Kerl – net hat er abg'farbt.«

Aber der Niederwieser schimpft weiter: »Was du allaweil mit dein' Abfarb'n hast! Der meinige hat aa net abg'farbt – aber mei Tasch'n hat er mir rausgeriss'n aus meiner Jopp'n, des muaßt dir merk'n.« Und er zeigt seinen verwitterten Feldrock, an dem ein Mordsfleck fehlte, rechterseits, und die Rocktasche war mit dem Fleck verschwunden. »Der elendig Bazi, der elendig'! Laßt net aus! schrei' ih, oder ih stür' dir oane, du Baumaff, du schialicher! Und rauf mit eahm und rauf, und der Kerl ziahgt und reißt, und auf oamal gibt der Rock nach, und der schwarze Höllteufi liegt der Läng' nach am Bod'n. Und wia ih 'n wieder pack'n will, is er scho auf und davon, und es kimmt mir an anderer vor'n Kolb'n. Du, der hat aber g'schaugt . . .«

Er sah mit verlorenen Augen nach dem Wald hinüber, und ein vergnügtes Erinnern glitt über seine Mienen. Dann tastete er wieder nach dem Schaden am Rock und war wieder bissig und schrie: »Woher woaß denn der Bazi, daß ih mei Geld drin hab?! An die fuchzehn Markl san 's g'wes'n! Der Malafizbandit, der windige. Und hab' d' Postanweisung schon g'schrieb'n g'habt, und dahoam wart' mei Alte mit die Kinderlen aufs Geld und wart' und wart' – moanst, die mög'n sih 's Maul ans Tischeck hinschlag'n, wann's Mittag läut'n tuat? Siehgst, denselln schwarz'n Teuf'l wann ih wieder find' – mei liaber . . .«

Er legte sich in den Unterstand aufs Stroh, und während der Feind auf den Graben funkte, schlief er ein.

Und schnarchte, stöhnte und schrie im Schlaf und schlug in einem schweren Traum um sich – paßt auf: den wollen wir uns ein bissl anschauen, den schweren Traum.

 

Die Niederwieserin sah den Xaverl, die Anni und den Pepperl der Reih nach an und zürnte: »Der Vater hat fei koa Geld net g'schickt. Werd er's wohl net im Schütz'ngrab'n versuff'n ham! Da werd's die Woch'n was ham mit 'n Essen!«

Der Xaverl weinte gleich hochauf, und die Geschwister hatten Arbeit, ihn zu trösten.

Aber die Mutter kramte in der alten Kommode und ging dann mit dem Ehering und den beiden schönen Ohrringen nach dem Pfandhaus.

Der grantige alte Schätzer gab ihr sieben Markl. Dann füllte er langweilig den Pfandschein aus, griff zur Streusandbüchse – – nein, den Leimtopf erwischte er und schüttete die ganze Flut über den Zettel.

»Macht nixn,« tröstete er die Niederwieserin, »ih kriag scho wieder an andern Leim.«

Die Niederwieserin ging und ärgerte sich über den Leim, der ihre Finger klebrig machte und das Papiergeld nicht vom Pfandschein loslassen wollte. Sie versuchte vergeblich die Finger an der Schürze abzuwischen und begann auf den Schätzer zu schimpfen und schließlich auf den Krieg.

Und auf einmal fiel's ihr ein: »Wann nur der Bazi, der mistige, der wo an dem Kriag schuld is, an dem Pfandschein pappn tat!«

Wupps – da kam Sir Edward Grey in einem rasenden Tempo durch die Luft geflogen, verlor in der Eile den Zylinder und einen Lackschuh und klebte plötzlich an dem Pfandschein fest.

»Ja, was woll'n denn Sie da . . .«

Die Niederwieserin ließ den schwer gewordenen Pfandschein fallen.

»Was waar denn net dees . . . Was woll'n denn Sie?«

»Ih bin da Eduard Grey . . .«

»Da Grey?«

Es pfiffen dem Pfandschein ein paar Watschen um die Ohren, daß er ganz verknüllt wurde.

»Der Grey bist – wart, Bürscherl!!«

Sie prügelte weiter, und zwei verwundete Soldaten, die des Wegs kamen, schrien:

»Hau' nur grad zua, hau' nur grad zua! Den Lumpen kenna ma!«

 

Die »Münchner Neuesten Nachrichten« vermeldeten das Wunder im Vorabendblatt und stellten den Pfandschein plus Grey in ihrem Schaufenster aus.

Gegen elf Uhr abends war die Sendlingerstraße vom Sendlingertor bis zum Ruffinihaus übersät von Menschen, die das Wunder sehen wollten. Siebzehn Frauen klebten an verschiedenen Wänden; ein Trambahnwagen war in der Menge so verkeilt, daß der Anhängewagen sich in den Vorderwagen geschoben hatte. (Und späterhin wurde in der Anatomie die Leiche eines Taschendiebes seziert; der Wärter fuhr in drei Schubkarrenladungen die Uhren weg, die sich in den Leib des Unglücklichen gepreßt hatten.)

Die Schutzmannschaft konnte nur dadurch einschreiten. daß sie über die Köpfe der Leute hinwegeilte.

Aber gegen Morgen sieben Uhr war der Platz gesäubert, und der Pfandschein plus Grey wurde auf die Wache gebracht, desgleichen ein Herr, der von dem Wunder nicht zu trennen war: Herr Gabriel, der Impresario.

Als er aber die Adresse der Niederwieserin in der Tasche hatte, lief er und lief und lief . . .

Zuerst legte er ihr einen Tausendmarkschein hin und gelobte weiterhin zehn Tausender, dann zwanzig. dann hundert.

Dann zweihunderttausend Mark.

Endlich eine halbe Million.

Der Xaverl weinte hochauf: »Nimm's, Muatter. nimm's – ih mag ess'n!«

Die Niederwieserin nahm das Geld, und der Impresario ging. Sie kaufte beim Bogenmetzger vier Pfund Nierenbraten; der Xaverl trug den Andivisalat, die Anni das Brot und der kleine Pepperl eine Maß Bier.

Er nippte beim Gehen manchmal an dem Krug; erst am Haustor ließ er ihn fallen.

 

Der Magistrat der Stadt München hatte sich doch dazu entschließen müssen, im Jahre 1915 das Oktoberfest wieder aufs Programm zu setzen. Der Pfandschein nämlich und der Grey . . .

Herr Gabriel baute eine Schaubude für zehntausend Menschen und verhandelte mit dem Hoftheater wegen der zahlreichen Ausrufer, die er brauchte. Vom Gefangenenlager Schleißheim wurden ihm zehnmal zehn Zuaven gestellt, die an den zehn Eingängen der Bude zu trommeln hatten.

Und das Oktoberfest begann.

»Hier ist zu sehen der Anstifter des Weltkriegs, Herr Eduard Grey aus London im Königreich England, wo auf einen Pfandschein hinaufgezaubert is. Heute große Ehren- und Galavorstellung, indem daß sich die wohlgeborne Frau Niederwieser selbst vor einem hohen Adel und einem geehrten Publikum produzieren wird, wie daß sie den Pfandschein . . .« und so weiter.

Das Volk erschien in strömenden Mengen.

Von Weilheim, von Plattling, von Cham, von Traunstein, von Viechtach, von Wassertrudering, von Burghausen, von Rosenheim, von Gotteszell, von Altomünster, von Schwabach, von Lenggries, von Donauwörth. Und von Zusmarshausen. Die Eisenbahn machte glänzende Geschäfte.

Und die Riederwieserin schickte am ersten Wiesenmontag ihrem Mann nach Combres zweimalhunderttausend Mark; in dem Begleitbrief stand:

»Kein Durst darfst Du Dein Lebtag nicht mehr leiden, wo Dir immer so arg gewesen is, und alle Tag Leberknödl, so oft als Du magst und einen schönen Nierenbraten und brauchst Du nicht mehr alle Tag auf den Bau gehen und kann Dich der Herr Palier nicht mehr ärgeren und zerreißt dann auch bei der Arbeit nicht mehr das viele G'wand, wo jetzt doch alles so teuer is . . .«

Der Niederwieser schrieb zurück: »Das Geld hab ich erhalten und hab mir gleich eine neue Rocktasche annähen lassen, weil die andere beim Teufel is und indem daß heut im Regimentsbefehl stellt, daß der Herr Niederwieser zum Major ernannt worden is und afanziert und reitet auf einem hohen Pferd . . .«

 

Von Niederzeismaring aber war der Landmann Sylvester Hahnawachl gekommen, den man in seiner Heimat gemeinhin den wilden Vöstl nennt. Er stritt mit der Dame an der Kasse und behauptete, drei Buben in Rußland beim Hindenburg und vier in Belgien beim Rupprecht zu haben. Niemals zahle er den geforderten Eintrittspreis von einer Mark – niemals. Ein Fuchzgerl, vielleicht; und wenn man ihn nicht um ein Fuchzgerl hineinlasse, dann werde man den wilden Vöstl von Niederzeismaring kennen lernen. Obwohl es ihm auf ein Markl nicht ankomme – – wenn er dem Grey eine rechts und eine links geben dürfe, wolle er sogar einen Taler zahlen, jawohl!

Herr Gabriel, der Impresario, hörte von ferne aufmerksam zu, trat plötzlich an den Mann heran und gab ihm eine Freikarte. »Nein, keinen Dank,« wehrte er ab, »Sie haben mich auf eine gute Idee gebracht. Ich danke Ihnen, Herr – – wie war Ihr Name?«

»Ih bin der wilde Vöstl von Niederzeismaring!« sagte der Landmann mit Stolz. – –

Die Münchner Presse unterhielt sich eben eifrig über die Frage: Ob ein überlebensgroßer Hindenburg zu nageln sei oder der bayrische Löwe? Oder vielleicht die Kolossalstatue eines bayrischen Infanteristen? Der eiserne Nagel zu einer, der silberne zu zehn, der goldene Nagel für die Bierbrauer zu hundert Mark. Es würde jedenfalls viel Geld für den patriotischen Zweck eingehen.

Da trat der Impresario in den Spalten des »Wöchentlichen Anzeigers für München-Südvorstadt« auf und erzählte von den Wünschen des biederen Landmannes aus Niederzeismaring. Hier spreche die Volksseele, hier sei der Weg gewiesen. Eine links, eine rechts – er stelle seinen Herrn Grey gerne zur Verfügung – zwanzig Mark. Für ärmere Bevölkerungsschichten könne man vielleicht zwei billige Tage einlegen.

Ein Beifallssturm brauste durch das Land.

Feierlich schlug den ersten Nagel (aber ich drücke mich hier wohl nicht ganz richtig aus) die nunmehrige Frau Major Niederwieser ein.

Den zweiten der Metzgermeister Herr Michael Pentenrieder aus Plattling. (Er zahlte fünftausend Mark.)

Den dritten Herr Hans Steyrer, Gastwirt »zum bayrischen Löwen« in München, der berühmte Athlet Steyrer Hans.

»Bravo, bravo!« schrie der Herr Major Niederwieser begeistert, als er im Sélousewald die Sache in der Zeitung las. »Der Steyrer Hans, Herrgottsaxn, der Steyrer Hans, der kann ja ganz alloa a ganz's Batalljon gefechtsunfähig haun.« Dann setzte er sich hin und schrieb ein Urlaubsgesuch – er sehne sich nach München zu Frau und Kindern und zu Herrn Grey aus London. Er wolle sich für einen guten Zweck nicht lumpen lassen und noch in München eintreffen, bevor die sämtlichen Plattlinger Metzger ihren Patriotismus bewiesen hätten.

(In München aber schrieb der Rentamtmann an Herrn Gabriel einen Brief betreffend die Besteuerung von übermäßigen Kriegsgewinnen.)

 

Ganz München war in Aufregung, als der Herr Major Niederwieser auf seinem Pferde aus dem Sélousewald angeritten kam. Es gab wieder Verkehrsstörungen, verklemmte Straßenbahnwagen, an den Wänden klebende Frauen, im Beruf verunglückte Taschendiebe, Schubkarren voll blutbefleckter Uhren.

Beim »Mathäserbräu« stieg der Herr Major vom Pferde und begab sich zu Frau und Kindern und zum Nierenbraten in den Festsaal. Der Xaverl weinte hochauf. Der Pepperl stieß seinen Maßkrug um.

Der Mathäser hatte drei Tage lang geschlossen gehabt, um das rare Bier in größeren Mengen anzusammeln: einhundertunddreiundachtzig Hektoliter. (Die übrigens nicht allein von dem Herrn Major Niederwieser und den Seinen getrunken wurden.)

Nach dem Mahl begab sich der Herr Major aufgeräumt auf die Festwiese.

Die zehnmal zehn Zuaven trommelten.

Der Herr Major trat in die große Schaubude und ging auf Herrn Grey los.

Und schlug – – – – – –

 

Aber jetzt riß ihn der Salzbichler aus dem Schlaf, rieb sich die schmerzende Wange und brüllte: »Du damischer Kerl, du damischer, was brauchst denn du mir oane runterhaun!?« – –

Ach, so ist das Leben: der Niederwieser guckte sich vergeblich nach seinem hohen Pferde und seinen Majorsachselstücken um. Und rechterseits an seinem Waffenrock sah er mit Schrecken den Riß und das Loch – es fehlten ihm zweimalhunderttausend, allermindestens aber fuchzehn Markl.

»Ih wann den schwarzen Bazi wieder find'!« brummte er. »Mei lieber . . .«


 << zurück weiter >>