Paula von Preradović
Die Versuchung des Columba
Paula von Preradović

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Als das sechste Saeculum seit der Geburt unseres Herrn Christus gut über die Hälfte vergangen war, und Columba noch nicht viele Jahre mit seinen Mönchen auf der kleinen Insel Iona nahe der schottischen Nordwestküste gewohnt hatte, ließ sich eines Morgens im Herbst zwischen den Pilgern, Büßern und Mönchen eine Jungfrau mit dem Fährschiff übersetzen, das von der düstergebirgigen Insel Mull nach der Klosterinsel überführte. Da sie hoch und schmal gewachsen war und einen Pilgermantel trug, konnte man sie wohl für einen Jüngling halten.

Es war dies eben die Zeit, da Gott in Columbas Herzen den Gedanken erweckt hatte, noch weiter von Erin fortzuziehen und im Piktenlande den Stämmen, die dort heidnisch wohnten, die Botschaft vom Kreuz des Gottessohnes zu bringen. Es liebte aber 6 Columba seine Heimat sehr, und sich von ihr in noch entlegenere Fremde, als schon Iona es war, zu entfernen, ängstigte sein Herz bitterlich, so daß der heilige Entschluß zu der Bekehrungsfahrt in das wilde Land, das er nur an seinen wüsten Rändern kannte, und den er wohl als Aufgabe und Stachel empfand, aber noch nicht eigentlich zu fassen vermochte, in jenen Tagen einer Wolke gleich auf seiner Stirn zu lagern pflegte. Noch strenger, als er es sich sonst zur Regel gesetzt hatte, erfüllte er jegliche Pflicht und kasteite sich mit Fasten und härtestem Lager, mit Kälte und Mühsal.

Die Jungfrau, die mit dem Fährschiff gekommen war, ging gesenkten Blickes bis zur Zelle des Abtes Columba, die wie die der Brüder aus Binsen geflochten und mit ganz jungem Efeu überwachsen war; doch lag sie auf einer kleinen Anhöhe und war etwas geräumiger als die übrigen Zellen. Da die Jungfrau züchtig war, betrat sie die Hütte nicht, sondern sie setzte sich auf einen großen Stein, 7 der neben der Tür lag, und wartete. Viele Brüder in weißwollenen Kutten betraten und verließen die Zelle, Pilger und Büßer wurden herbei- und wieder fortgeleitet. Die Jungfrau hörte, wie sie in der Zelle mit dem Abt sprachen, sie hörte ihre bittenden Reden und ihr bekennendes Weinen und dazwischen vernahm sie Columbas Stimme, die wie eine Glocke klang. Auch eine vornehme Gesandtschaft gewaffneter Herren, die im Gästehaus wohnten, sah die Jungfrau sich unter die niedere Tür bücken und sie hörte, wie die Hochfahrenden dem Abt mit demütiger Stimme anlagen.

Endlich sah sie den Abt aus der Zelle treten. Er war groß und sehnig, und die weiße Kutte stand um ihn wie ein königliches Gewand. Mit schnellen Bewegungen entließ er die letzten Besucher, sein Gesicht war mager und fröhlich, in den Winkeln um Augen und Mund saß Lachen, so wie es einem echten Sohn Irlands ebenso ziemt wie einem Heiligen, der sich in Gottes Hand geborgen weiß. Nur in der Tür 8 der Tiefe seiner meerblauen Augen lag die abgründige Trauer derer verborgen, die das bittere Brot der Verbannung essen müssen. Wie alle Mönche trug er das Haar bis über den Scheitel geschoren, in den Nacken aber wallte es ihm schwarz, lang und dicht hinab.

Columba, dessen Blick alle Verkleidungen zu durchdringen vermochte, sah allsogleich, daß die verhüllte Gestalt einer Jungfrau zugehörte, doch da er vermeinte, sie sei mit einem schweren Anliegen gekommen und habe noch nicht den Mut gefunden, es auszusprechen, richtete er nicht das Wort an sie, sondern er ließ sie ruhig auf ihrem Stein sitzen. Dort verweilte sie fast regungslos, den Mantel über die Schulter und die Kapuze in die Stirn gezogen. Kam und ging der Abt, so richtete sie einen dunkel brennenden Blick auf ihn, ohne jedoch ein Wort zu reden.

Am Abend stieg Columba zum Meer hinab, um die Bußpsalmen zu singen. Da erhob sich die Jungfrau und folgte ihm. Als sie aber sah, daß er die Kutte hochschürzte, um ins 9 Meer hinauszuwaten, errötete sie, wandte sich ab und ging ins Innere der Insel zurück.

Vom Abtshügel aus sah sie, wie die Mönche, die vom Abendgesang aus der hölzernen Kirche kamen, zur Nachtruhe ihre von einem Erdwall umgebenen Zellen aufsuchten. Eine Zelle aber lag außerhalb des Walles und blieb leer.

In diese Hütte schlich sich die Jungfrau und ohne Mantel und Kapuze abzulegen, verbrachte sie dort die Nacht auf der bloßen Erde liegend, so wie die Mönche tun. In einem Bündel hatte sie Brot und getrockneten Fisch bei sich, davon zehrte sie. Am Morgen ging sie, um eine Quelle zu suchen, und traf dort einen alten Mönch, der in zwei Krügen Wasser schöpfte. Da tat sie den Mund auf und bat den Alten, ihr den einen seiner Krüge zu leihen, damit sie nicht um jeden Trunk zur Quelle gehen müsse. Der Bruder erkannte an der Stimme ihr Geschlecht, er schaute sie groß an und sagte: »Was tust du hier? Siehst du denn nicht, daß dies eine Mönchsinsel ist?« 10 Sie erwiderte, sie habe ein Anliegen an den Abt und dieser habe ihr das Verweilen auf der Insel nicht verwehrt. Da gab der Mönch ihr den einen der Krüge und ließ sie in Frieden.


Drei Tage sah Columba das Mädchen vor seiner Tür sitzen und ihm stumm und brennend nachblicken, wenn er ab und zu ging. Drei Tage lang redete er es nicht an und stellte ihm keine Frage. Gott hatte ihm große Hellsichtigkeit verliehen, so daß ihm viele verborgene Dinge der Gegenwart und der Zukunft, der Nähe und der Ferne, wie auch die verschwiegenen Absichten, Gedanken und Sünden der Menschen kund zu sein pflegten, warum jedoch diese Jungfrau gekommen war; wer sie war und was sie von ihm wollte, vermochte er nicht zu erkennen.

Also redete er sie am Morgen des vierten Tages an und sprach zu ihr: »Mit dir sei Christus, Jungfrau! Willst du mir nicht sagen, wer du bist und warum du nun schon drei 11 Tage lang in eines Pilgers Gewand an meiner Schwelle sitzest?«

Als die Jungfrau inne geworden war, daß Columba mit ihr reden wollte, hatte sie sich von ihrem Sitz erhoben. Sie kniete aber nicht vor dem Heiligen nieder, wie die meisten taten, weil seine Hoheit sie wider Willen in die Knie zwang, sondern sie blieb aufrecht stehen, sah dem Abt ins Gesicht und sagte: »Aus Gartan in Donegal komme ich, ich bin Maurinn, deine Bruderstochter. Kennst du mich nicht mehr, Crimthan?«

»Crimthan sollst du mich nicht nennen«, sagte der Heilige, »denn diesen Namen habe ich abgetan. Ich kenne dich nicht, du warst wohl ein kleines Kind, als ich Gartan verließ. Aber wenn du meine Verwandte bist und aus meiner lieben Heimat kommst, so sei mir sehr willkommen. Was aber vermochte dich, ohne Schutz über das Meer hierherzuschiffen? Oder hast du Knechte und Krieger aus Mull zurückgelassen?« Columba forschte im Antlitz des Mädchens, er fand sich tatsächlich an die Züge 12 seiner Sippe gemahnt, und das Heimweh, das in seinem Herzen immer darauf wartete, geweckt zu werden, begann sich zu regen.

»Ich habe mich fremden Pilgern angeschlossen und keine Begleitung auf Mull zurückgelassen«, sagte die Jungfrau. »Und was mich zu dieser Fahrt vermocht hat, sollst du wissen, Crimthan. Ich bin gekommen, um dich zu fragen, wann du endlich nach Gartan wiederkehren wirst?«

Die Jungfrau tat so, als habe sie nicht gehört, daß der Abt nicht mit seinem alten Namen genannt zu werden wünschte. Es war aber an dem, daß sie ihn nicht Columba nennen wollte.

Columba duldete es und erwiderte ihr: »Ich habe nicht im Sinn, nach Erin wiederzukehren. Meine Brüder und ich haben hier Zellen erbaut, und hier ist unsere Arbeit und unseres Bleibens, es sei denn, Gott beabsichtige, uns in ein Land zu senden, das von Erin noch entfernter ist als diese Insel.«

Die Jungfrau schien mit der Antwort des 13 Abtes nicht zufrieden zu sein. Sie schwieg einen Augenblick und senkte den Kopf, dann hob sie ihn wieder, faßte das Gesicht Columbas fest ins Auge und sagte entschlossen, obgleich man wohl merken konnte, daß es ihr schwer fiel:

»Es ist aber hohe Zeit, Crimthan, daß du heimkommst, um bei meinem Bruder um mich zu werben, denn ich zähle schon fünf Jahre über zwanzig Jahre und mein Bruder nennt es eine Schande, daß ich noch nicht vermählt bin.«

Columba wunderte sich sehr, als er diese Worte hörte. »Meine Tochter«, sagte er, »wenn du wirklich meine Verwandte bist, mußtest du doch wissen, daß ich ein Mönch und Priester bin und um keine Frau werben kann noch will. Wer hat dir einen so unsinnigen Gedanken eingegeben?«

Die Jungfrau errötete und Tränen stiegen ihr in die Augen. Aber sie antwortete mit Festigkeit: »Als ich geboren wurde, warst du fünfzehn Jahre alt, Crimthan. Damals, gleich 14 nach meiner Geburt, haben deine und meine Eltern uns einander zugelobt.«

»Das mag immerhin so gewesen sein, obgleich ich nie davon gehört habe«, antwortete der Abt. »Aber da es sich zeigte, daß Gott mich zum Priestertum berufen hat, war ein solcher Verspruch hinfällig. Wer konnte den Aberwitz begehen und dir davon sprechen?«

»Seit meiner frühesten Kindheit hat meine Amme mir davon gesprochen. Hunderte von Malen hat sie mir eingeschärft, daß ein solches Verlöbnis fester binde als alle Weihen und Eide der christlichen Priester. Und dann, Crimthan, mußt du dieses wissen: ich habe dich sehr lieb.«

Columba staunte, daß eine Jungfrau so reden mochte, doch antwortete er ihr sanftmütig: »Alle Christen lieben einander als die Söhne und Töchter des himmlischen Vaters.«

Die Jungfrau aber antwortete ihm mit großer Kühnheit: »Nicht wie eine Christin einen Christen lieben soll um des Kreuzes und der Erlösung willen, liebe ich dich, sondern 15 wie ein Weib einen Mann liebt, dessen Gattin zu sein es sich sehnt.«

Da verwunderte sich Columba noch mehr, doch bezwang er seinen aufsteigenden Zorn. »Wie vermagst du, eine Jungfrau königlichen Blutes, so zuchtlos zu einem Manne zu reden?« verwies er sie. »Bist du etwa eine Hexe, und hat Gott dich mir zu meiner Prüfung und Heimsuchung gesandt?«

Bei diesen Worten des Abtes warf das Mädchen die Kapuze zurück, so daß sein schönes, kühnes und reines Gesicht sich frei ins Licht hob und der Meerwind durch seine schweren, schwarzen Haare fuhr.

»Ich bin keine Hexe, Crimthan«, sagte sie, »ich bin aus deinem fürstlichen Geschlecht. Als du ein Jüngling warst, ein Barde und Königssohn, kannte ich dich, obgleich ich noch ein Kind war. Aber mein Herz war schon das Herz eines Weibes, und ich gelobte mir, daß ich mich keinem anderen Manne würde vermählen lassen als dir. Auch als du ein Mönch wurdest, hielt ich an meinem Schwur 16 fest. Ich vertraute darauf, Gott werde dich zur rechten Zeit zu mir zurückführen.«

»Du Törin!« rief Columba zornig, »hast du gedacht, Gott würde um deines eigensüchtigen Gelübdes willen meine heilige Sendung zerstören? Siehst du denn nicht die Zellen der Mönche, deren Vater ich bin? Hörtest du nicht zu allen Tageszeiten ihren heiligen Chorgesang? Und hast du die Scharen der Pilger und Büßer nicht gesehen, die übers Meer zu mir gefahren kommen, und denen beizustehen Gott mich begnadet hat?«

»Alles das habe ich gehört und gesehen, aber was kümmert es mich? Bin nicht auch ich ein Geschöpf Gottes? Vergangenen Monat hat mein Bruder beschlossen, mich an Dungal zu verheiraten, der der Schwestersohn des Großkönigs von Tara ist. Da wußte ich, daß die Zeit des geduldigen Wartens vorbei war. Da du nicht zu mir kamst, mußte ich zu dir kommen. Denn würde ich Leib und Seele einem Manne schenken, den ich verabscheue, so müßte ich in Schmach und Unzucht leben, und 17 größere Sünde entstünde, als wenn du deine Mönche verließest, die auch unter einem anderen Abt ein frommes Leben führen können.«

In großem Unmut biß sich Columba die Lippe. Er hatte seit Jahren als ein Mann unter Männern gelebt, und die heillose Torheit der Frauen war ihm fremd.

»Maurinn«, sagte er ernsthaft, »werden denn nicht alle Jungfrauen von ihren Vätern oder Brüdern an einen fremden Mann gegeben? Leben sie deshalb in Unzucht? Und seit wann ist es Sitte geworden in Erin, daß die unwissenden Töchter sich ihre Gatten selbst wählen, ja, daß sie einem erträumten Bräutigam über das Meer nachfahren?«

»Was Sitte ist in Erin, kümmert mich wenig«, sagte das Mädchen trotzig, »auch bin ich keinem erträumten Bräutigam nachgefahren, sondern dem mir seit je bestimmten. Mich kümmert einzig, daß ich mich nicht einem Fremden und Verhaßten preisgeben will. Du sagst, es sei deine Sendung, der Vater deiner Mönche zu sein. Meine Sendung ist es, die 18 Mutter der Kinder zu sein, die ich von dir empfangen werde.«

Abermals verwunderte sich Columba darüber, daß eine fürstliche Jungfrau so geringe Scham vor einem Manne empfinden könne, und er ahnte, daß eine finstere heidnische Kraft hier im Spiele sein müsse. In Geduld richtete er wieder das Wort an Maurinn.

»Obgleich du meine Verwandte zu sein vorgibst und den Namen der gebenedeiten Mutter Christi trägst, meine Tochter, bin ich doch genötigt dich zu fragen, ob du getauft bist. Bist du nicht etwa noch eine Heidin, und haben die Druiden dir den Geist mit Krankheit verdunkelt und dir das Herz verzaubert?«

»Sicherlich bin ich getauft«, sagte Maurinn. »Der heilige Bischof Finnian selbst hat das Wasser über mich ausgegossen, als ich ein neugeborenes Kind war. Ich bin gesund, und was ich rede, ist die Wahrheit.«

»Dann ist es der Teufel, der dich und mich versuchen will«, sagte der Abt. »Ich werde ein großes Gebet für dich beginnen, geh fort von 19 hier, Maurinn, und komme mir nicht unter die Augen, bevor ich nach dir sende.«

»Worum willst du beten, Crimthan?« sagte Maurinn bestürzt und traurig. »Dafür, daß ich ablassen soll, dich zu lieben?« Und obgleich sie bisher aufrecht vor dem Heiligen gestanden hatte, warf sie sich jetzt in die Knie, hob die gefalteten Hände zu ihm auf und bat in herzzerreißender Angst: »Bete nicht um dieses, denn sonst ist mein Leben zu Ende!«

Columba jedoch rief mit strenger und starker Stimme: »Begreifst du denn nicht, daß es mir gesetzt ist, als ein Fremdling und Pilger Gottes zu leben? Geh jetzt fort von meinem Hügel und laß mich allein!« Er wandte sich seiner Zelle zu und warf keinen Blick auf das Mädchen, bis es den Abtshügel verlassen hatte.


Während Columba mit Maurinn gesprochen hatte, waren zu wiederholten Malen Mönche in ihren weißen Kutten zur Tür ihres 20 Abtes gekommen, sei es, um sich von ihm segnen zu lassen, sei es, um in dieser oder jener Frage seinen Rat oder seine Weisung zu erbitten. Da sie ihn mit der fremden Jungfrau reden sahen, zogen sie sich leise zurück, aber es sagte mehr als einer der Brüder zu seinen Gefährten: »Er redet mit einer Frau! Was will er von ihr?« so wie die Jünger miteinander geraunt hatten, als sie Jesus mit der Samariterin am Jakobsbrunnen gewahrten. Wenn die Brüder in diesen Tagen der Jungfrau, einsam und bleich vor Herzensangst und Betrübnis, begegneten, sei es am Felsenstrand, wo sie in die grauen Wellen starrte oder dem täppischen Spiel der Seehunde zusah, sei es unter den windzerzausten Fichten und Föhren oder an der Kirchentür, so blickten sie als von einer Eindringlin und Versucherin mißtrauisch von ihr fort. Und als Columba befahl, ihr eine abseits gelegene Kammer des Gästehauses anzuweisen und dort einigen Mundvorrat bereitzustellen, wurde dem Geheiß widerwillig und ohne jene Freudigkeit nachgekommen, die die 21 Brüder sonst allen Anweisungen des Abtes entgegenbrachten.

Indessen rüstete sich Columba, um das große Gebet zu beginnen. Er fastete einen Tag lang und verbrachte zur Vorbereitung eine Nacht knieend in der Kirche, die er selbst mit den Brüdern erbaut hatte. Am nächsten Morgen dann, dem fünften nach Maurinns Ankunft auf Iona, begab er sich auf einen kahlen Küstenhügel an der Westseite der Insel, von dem aus man nichts erblickte als einen schmalen Felsenstreifen vor der Unendlichkeit des düster wogenden Meeres, und von dieser fast verschlungen, ein dem Strand von Iona vorgelagertes kleines Inselchen, auf dem um eine hölzerne Zelle herum, die dort einsam errichtet worden war, viele weiße und graue Möwen, dunkle Sturmvögel und mitunter auch Seehunde zu rasten pflegten. Aus dieser allem Menschlichen abgewandten Höhe begann er stehend sein Gebet, indem er die Arme ausgebreitet hielt und den Kopf zurücklegte. 22

Gott hatte seinen Diener Columba mit so vielen und großen Gaben begnadet, daß es beinahe unfaßbar scheinen wollte, wie ein einzelner Mensch eine so reiche Bürde tragen konnte. Nicht nur war er einem von Erins uralten Königsgeschlechtern entsprossen und hatte die natürlichen Gaben der Könige, Hoheit, Tapferkeit, Klugheit und Gerechtigkeit, in die Wiege gelegt bekommen. Er war zudem ein liedergewaltiger Barde, wie nur je einer in Erin, dem Lande der Dichter, gewaltet hatte, der in groß dahinrollenden Gesängen die Schönheit seiner Heimat pries. Das Herrlichste der Geschenke aber, das Gott Columba verliehen hatte, war die Gnade seines christlichen Priestertums, die ihn fähig gemacht hatte, schon als Jüngling in Erin und später auf den nördlichen Inseln Kloster um Kloster zu gründen, die Herzen der Menschen zu kennen und zu lenken, Ungläubige und Sünder zu bekehren. Und damit nichts ihm mangle und kein Heide sich rühmen könne, mehr zu vermögen als Columba, hatte Gott ihm außer der 23 Gewalt über die Seelen auch die Gewalt über die Natur gegeben, wie sie den heidnischen Druiden zu eigen war. Durch die Kraft seines Gebetes war er mächtig, Stürme zu bannen, das Meer zu besänftigen und wilde Tiere zu bändigen, ja er hatte dereinst in Erin durch sein Beten und Fasten den Ausgang einer Schlacht entschieden. Während er betete aber, geschah es zuweilen, daß er auf Bäumen und Hügeln Gottes weiße Engel rasten sah.

An diesem Tage sah er keinen Engel. Obgleich er alle Kraft seiner Seele in sein Gebet zu legen strebte, blieb es schwächlich und zerstreut. So weise und erleuchtet Columba auch war, wußte er doch nicht, daß das Wollen und Wünschen einer von Liebe ergriffenen Frau aus so unergründlichen, uralten Erdentiefen aufsteigt, daß es stärker zu sein vermag als die Stürme des Meeres und die Wucht der Wellen und schwerer als diese vom Gebet gelenkt und besiegt werden kann.

Der Gedanke, daß die Jungfrau Maurinn unglücklich und in ihre unseligen Wünsche 24 verstrickt auf der Insel umherirrte oder geängstigt in ihrer Kammer saß, schwächte und zerstreute seine Kraft, und noch schwerer wurde sie geschädigt durch das Heimweh, das beim Anblick seiner Verwandten neu in ihm geweckt worden war. Kein Mensch, der in Erin geboren ist, kann je die Sehnsucht nach der grünen, meerumrauschten Insel ganz überwinden. Sein Herz wird versehrt bleiben von dem Verlangen nach ihren Möwen, Störchen und wilden Schwänen, nach dem glitzernden Wasser der Flüsse und Seen mit ihren unzähligen Inseln, nach den Eiben und Eichen ihrer Wälder, dem Ginster ihrer Hügel und den strengen Felsen ihrer Küsten.

Als Jüngling hatte Columba Blutschuld auf sich geladen, indem er sich in die Händel der Könige verstrickt hatte und mitschuldig geworden war an einem blutigen Krieg zwischen den nördlichen und südlichen Stämmen. Zur Sühne war ihm von einem heiligen Eremiten die Trennung von der Heimat auferlegt worden, und damals war es gewesen, daß er nach 25 Iona geschifft und das Kloster gegründet hatte. Die Insel war weit genug von Erin entfernt, um der Buße zu genügen; stieg man selbst auf ihren höchsten Hügel, so sah man wohl an dreißig Inseln, man sah die Berge des Piktenlandes, aber Erin sah man nicht. Nur der Westwind kam ebenso warm und feucht daher, wie in Columbas Jünglingstagen im Klostergarten von Clonmacnois, wo er als ein erlauchter Schüler den heiligen Wissenschaften obgelegen hatte.

Als der Abt bis zum Abend gebetet hatte, hoffte er durch sein Gebet, so unzulänglich es gewesen sein mochte, das Herz seiner Verwandten von Verstrickung und Verwirrung erlöst zu haben. Am nächsten Morgen befahl er einem der Brüder, die Jungfrau nach seiner Zelle zu holen. Maurinn erschien bleich und traurig und setzte sich auf den Stein neben der Tür, wie es ihr schon zur Gewohnheit geworden war. Columba hatte sich vorgenommen, sie mit großer Milde zu behandeln, weil er wußte, daß bei den Frauen oftmals die Leidenschaft 26 noch heftiger hervorbricht, wenn man ihnen hart und streng begegnet. Auch rührte ihn der Schmerz in Maurinns edlem und kühnem Gesicht.

So fragte er sie sanft nach dem Ergehen ihrer Sippe, die auch die seine war, und ließ sich vielerlei aus Erin berichten. »Kannst du mir sagen, meine Tochter«, fragte er sie, »ob zu Tirconnel die Mönche noch immer so schön singen, daß man meinen könnte, es seien Amseln und Nachtigallen?« Während sie antwortete, röteten sich die Wangen der Jungfrau, sie gab freudig Auskunft und sagte, die Mönche sängen noch allzeit so schön, daß es sich weit drinnen im Eichwald anhöre wie der Gesang von tausend Vögeln. Sie war froh, denn sie glaubte, daß Columba seinen Sinn geändert und Liebe zu ihr gefaßt habe. Er aber, nachdem er noch eine Weile friedlich mit ihr geredet hatte, sagte ihr endlich, daß Maurinn, da sie nun schon eine Reihe von Tagen auf der Insel weile, wohl erkannt haben werde, daß hier als auf einer Mönchsinsel ihres 27 Bleibens nicht sei und daß er sie unter dem sicheren und treuen Geleit einiger Brüder nach Erin heimsenden werde.

Da wurde aber Maurinns zartes und schönes Gesicht hart von Leidenschaft und Zorn, und sie entgegnete: »Niemals werde ich heimfahren, es sei denn, du, Crimthan, fährst mit mir, um mich zur Ehe zu nehmen. Denn mit Gewalt, wie es unter Frauenräubern und wilden Übeltätern Brauch ist, wirst du mich wohl nicht auf das Schiff schleppen lassen!«


Columba ging schweigend, und ohne Maurinn noch einen Blick zu schenken, in seine Zelle; dabei dachte er bei sich, daß es leichter sei, zehntausend Männer zu lenken und zu bekehren, als eine Frau von dem abzubringen, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Maurinn wartete lange auf ihrem Stein, weil sie dachte, Columba würde wieder zu ihr heraustreten, und als er nicht kam, machte sie sich müden und zagen Schrittes davon. Erst als der Abt 28 sie hatte fortgehen hören, verließ er die Zelle und begab sich abermals auf den Küstenhügel, um das Gebet für seine Bruderstochter aufs neue zu beginnen.

Es schmerzte ihn sehr, daß er seiner jungen Blutsverwandten so bittere Kränkung zufügen mußte, und so umsichtig und weise er sonst in allen Dingen war, wußte er nicht, wie er sich gegen sie verhalten sollte. Rohe Gewalt gegen sie anzuwenden, wollte er nicht in Betracht ziehen, er konnte sie aber auch nicht mehr viele Tage auf der Insel behalten, denn er sah wohl, daß die Brüder wegen der Anwesenheit einer Frau in Unruhe und Unzufriedenheit geraten waren.

So stand er wieder ausgebreiteten Armes und meerzugewandten Gesichts und bat Gott durch viele Stunden, daß er ihm selbst und der Jungfrau Maurinn das Herz erleuchten möge, damit diese Sache ohne Verletzung von Recht und Sitte und ohne Kränkung der Nächstenliebe zu einem Ende gebracht werde. Während er aber betete, gingen seine Gedanken 29 wieder und wieder nach Erin, das ihm durch die Erzählung der Bruderstochter in aller sehnsuchtweckenden Deutlichkeit vor Augen stand, er sah sich als Knaben durch seine grünen Fluren reiten, er sah Scharen von Möwen mit hohem Geschrei seine Flußläufe entlang streichen und eine Sonne, die weit heller und goldener leuchtete als in anderen Ländern, auf seinen saftig grünen Bäumen und Wiesen liegen. Das Heimweh, das er in Jahren zu bändigen gelernt hatte, war wieder wach geworden, und Columba wurde mit Schrecken gewahr, daß es sein Gebet noch stärker verwirrte und schwächte als am Tag zuvor. Dennoch schickte er am nächsten Morgen in der zaghaften Hoffnung, daß sie zur Vernunft gekommen sein könnte, abermals nach der Jungfrau Maurinn. Als sie vor seiner Zelle ankam, war ihr Gesicht bleich und verzweifelt, fast haßerfüllt blickte sie Columba an, sie wartete weder Gruß noch Frage und Anrede ab, sondern sagte so höhnischen Tones, wie er wohl selten an das Ohr des 30 hochgerühmten Abtes zu dringen pflegte:

»Rufst du mich, um mir abermals anzukündigen, du würdest mich von ein paar Mönchen nach Hause bringen lassen? Dann hättest du es dir sparen können. Ich werde hier bleiben, bis du erkannt hast, wie unedel du handelst, indem du den Verspruch, den unsere Eltern für uns eingegangen haben, nicht einlösen willst. Dieser Verspruch ist älter als deine Weihe und daher von höherer Gültigkeit. Und wer ein Weib um sein Glück bringt und Kinder um das Lebenslicht, das ihnen durch das Verlöbnis schon zugesichert war, der handelt als ein Sünder, und wäre er auch weit und breit als ein Heiliger verschrien.« Der Hohn in Maurinns Stimme war nach und nach in leidenschaftlichen Schmerz übergegangen, und als sie geendigt hatte, sah sie Columba in tiefer Klage vorwurfsvoll und traurig an.

»Ach, meine Tochter«, sagte Columba mit Langmut, »setze dich wieder auf deinen Stein und ich will mich hierher setzen.« Und er ließ 31 sich einige Schritte von ihr auf einer Erdbank nieder. »Du nennst mich einen Sünder und tust es mit Recht, denn ein großer Sünder bin ich vor Gott. Zur Buße für einen schweren Fehler wohne ich hier in der Fremde und darf meine liebe Heimat nicht mehr sehen. Die mich einen Heiligen nennen, sind Toren, denn sie wissen nichts von der Nacht und Armut meines Herzens. Die Sünde aber, deren du mich zeihst, ist keine Sünde, denn ich habe der irdischen Liebe abgesagt um einer höheren Liebe willen, ich habe geistliche Söhne ohne Zahl, so kann ich ohne Schuld der leiblichen entraten. Und jenes Verlöbnis, mit dem man dir den Kopf verwirrte, hat nie zu Recht bestanden.«

»Immer sprichst du nur von dir«, fiel die Jungfrau Columba in die Rede. »An mich und meinen Jammer denkst du nicht!« Und mit einem wehevollen Seufzer streckte sie die Hände nach dem Abt aus.

»Maurinn, meine Tochter«, sagte Columba geduldig, »habe ich nicht schon zwei volle 32 Tage im Gebet verbracht und Gott angelegen, dir aus deinem Irrtum zu helfen?«

»Bete nicht für mich, wozu soll das frommen? Sage lieber, daß du tun willst, worum ich dich bitte, dann werden wir in großer Seligkeit leben und keine Gebete nötig haben.«

Als Columba Maurinn diese Worte aussprechen hörte, begriff er, daß alle seine Bemühung umsonst gewesen war, und er wurde sehr betrübt.

»Du redest wie ein unglückliches Wesen, das weder getauft noch im Glauben unterrichtet ist«, begann er aufs neue, ihr zuzusprechen. »Bist du nicht offenen Auges in Erin herangewachsen? Hast nicht auch du gefühlt, mit welcher inbrünstigen Glückseligkeit unsere Heimat die Botschaft von der Erlösung durch unseren Herrn Christus entgegengenommen hat? Als unsere Urgroßeltern jung waren, wußte man in Erin noch nichts von Ihm, der unser Heiland ist, nichts von diesem unserem Morgenstern, von unserer 33 herrlichen Mittagssonne. Und nichts wußte man von dem heiligen Kreuzesbaum, nichts von dem wahrhaftigen Blut, das von diesem Baum ist vergossen worden. Nichts wußte man von der wunderbaren Menschwerdung des Gottessohnes, nichts von seinem Opfertod und von seiner Auferstehung.

Nur dies eine versuche dir vor Augen zu halten, Maurinn, meine liebe Tochter: alles Volk auf unserer Heimatinsel, die Könige und Barden, die Krieger, die Händler und Bauern, die Frauen und die Kinder haben gelebt, gegessen und getrunken, Lieder gesungen, gekämpft und geackert; sie haben Kinder gezeugt, geboren und aufgezogen und sind endlich gestorben und das alles durch unendliche Jahre, seit unsere Urvorderen das Volk aus ungeheurer Meeresferne an unseren Strand geführt und dort seßhaft gemacht hatten. Erwäge bei dir, Maurinn, daß all dies geschehen ist, all dies Leben unseres Volkes sich begeben hat, ohne daß dieses Volk von seiner Erlösung durch Christi Opfertod gewußt hat. Ist es da 34 ein Wunder, daß das Land aufgejauchzt hat wie eine Braut, als unser heiliger Vater Patrick mit seinen Helfern unseren Strand betrat und die unfaßbare Freudenbotschaft zu verkünden begann? Ist es ein Wunder, daß allenthalben ein Singen angehoben hat zu Ehren des lebendigen Gottes, daß die Getauften in einem Jubel ohnegleichen nichts anderes mehr wollen konnten, als ihr Leben mit der Verherrlichung Gottes und der Reinigung ihrer Herzen von der alten heidnischen Sünde hinzubringen? Und willst du allein dein Herz dieser Seligkeit verschließen? Willst du allein vergessen, daß Christus, der Sohn Gottes, für die Söhne und Töchter Erins gestorben ist? Willst du allein sagen, du habest die Erfüllung deiner törichten Wünsche nötiger als fürbittendes Gebet?«

Columba war in jenes Feuer geraten, das ihn jedesmal ergriff, wenn er einen Ungläubigen oder Verstockten an dem Gottesjubel teilnehmen lassen wollte, der ihn selbst immerwährend erfüllte. Er hatte sich von seinem 35 erdenen Sitz erhoben und stand mit liebelohendem Angesicht vor Maurinn, glühend in dem Wunsch, auch sie in seine lodernde Glaubensflamme hineinzureißen, so wie es ihm schon oftmals mit dem kindlich geöffneten wilden Sinn von Scharen von Heiden geglückt war.

Maurinn aber vermochte nicht, sich mit heiliger Freude zu freuen, sie blieb verhängt von unheiligem Schmerz. Wohl hatten ihre leidvoll gespannten Züge sich gelöst und gerötet, als Columba sie einmal im Laufe seiner Rede als seine liebe Tochter angeredet hatte, und als er Erin eine Braut genannt hatte, die ob der Erlösungsbotschaft aufgejauchzt habe, hatte sie die Lippen bitter geschürzt. Doch wagte sie kein trotziges oder höhnisches Wort zur Erwiderung, als Columba geendigt hatte, sie saß in bleicher Trauer auf ihrem Stein, die Kapuze in die Stirn gezogen, und die Augen heischend und sengend auf das von der strengen Zucht, von den Fasten und mühseligen Reisen ebenso wie von der inneren Glut abgemagerte Gesicht 36 des Abtes gerichtet, das aber dennoch das Gesicht eines jugendlichen Mannes war.


An jenem Morgen war das Wetter rauh und windig. Die Äquinoktie war nicht mehr fern, das Meer war stürmisch aufgewühlt und lockere graue Wolken zogen niedrig und schnell über die Insel hin. Maurinn glaubte, noch nie an einem traurigeren Ort gewesen zu sein, und sie sehnte sich qualvoll nach den freundlichen und wohlvertrauten Gegenden, in denen sie aufgewachsen war. Da aber fiel ihr der verhaßte Gatte aufs neue ein, mit dem man sie vermählen wollte, ebenso wie der von Tag zu Tag gründlicher zerstörte Traum von einem Leben mit Columba; Trostlosigkeit im Blick und mit einem jammernden Aufschluchzen erhob sie sich und war im Begriff, abermals enttäuscht und geschlagen den Abthügel hinabzuschleichen, als plötzlich ein neues Licht in ihre Augen kam und sie sich zögernd zu Columba zurückwandte, der noch unschlüssig 37 vor seiner Zelle stand. Denn es peinigte ihn, daß seine Worte nichts vermocht hatten und er nicht imstande war, seiner Bruderstochter zu helfen; gern hätte er ihr einen brauchbaren Rat gegeben und ihren verzweifelten Kummer zerstreut. Als er sie umkehren sah, blieb er mit gütiger Miene stehen und wartete darauf, was sie etwa noch vorbringen würde.

»Crimthan«, sagte Maurinn mit veränderter, sanfter und schüchterner Stimme. »Deine Kehle ist rauh und wund vom Predigen und Singen im scharfen Wind. Man sieht, daß keine Frau sich um dich sorgt. Diese Kräuter hier sind in Erin gepflückt. Sie bringen Gesundheit. Nimm sie und lege sie zur Nacht unter dein Kissen.«

Sie warf die Kapuze zurück und förderte ein Büschel stark riechender Kräuter zu Tage, das sie unter dem Gewand verborgen an einer Schnur um den Hals getragen hatte. Um sie nicht noch mehr zu kränken, dankte ihr Columba und versprach, mit den Kräutern nach ihrem Rat zu verfahren, und er legte sich 38 wirklich die Schnur um den Hals, noch solange sie dastand und es sehen konnte.

Maurinn hatte dagestanden und war Zeugin gewesen, wie der Abt das Kräuterbündel verwahrte, dann floh sie ohne ein Wort den Weg hinunter, doch lag nun in ihrer Haltung etwas Hoffnungsfreudiges, wie es in den letzten Tagen nicht an ihr zu bemerken gewesen war.


Columba hatte beschlossen, an diesem Morgen einen dritten und letzten Gebetssturm für seine Bruderstochter zu wagen. Wäre seine Zuversicht in Gottes Weisheit und Barmherzigkeit nicht so unerschütterlich fest gewesen, so hätte er wohl von Zagen und Bangnis ergriffen werden können, da all sein Beten und Schreien zu Gott bisher nichts gefruchtet hatte und Maurinns Sinn sich nicht wandeln wollte.

Hatte Gott ihm nicht wieder und wieder Erhörung gewährt, wenn er in schwerer Seenot um Ablenkung des Sturmes und Stillung der Brandung gefleht hatte; und hatte der 39 Allmächtige nicht auf seine Bitte Unwetter gesandt, um böse und übermächtige Feinde zu verderben? Ja, waren nicht auf seine Fürbitte sogar die schon ausgesandten Todesengel wieder zurückgerufen worden? Würde Gott ihn denn heute und hier nicht erhören, da es um nichts anderes ging als um die verstockte Torheit eines Mädchens?

Wehenden Haares, denn der Wind blies immer heftiger, stand Columba auf dem Strandfelsen, und indes er die Arme zum Gebet ausbreitete, sah er auf das stürmische Meer hinaus. Eine graue Woge um die andere rollte heran, Möwen und Sturmvögel ließen sich mit gellenden Schreien von der großen Windesschwinge tragen; mitunter glitten sie aufs Wasser nieder oder sie setzten sich auf die Klippen der kleinen Insel, die ihr bevorzugter Rastort war. All diese vielfache Bewegung, das Heranwogen des Wassers, der eilignahe Wolkenzug und das Fliegen der Vögel, sah Columba wohl mit seinem äußeren Auge, doch trachtete er danach, mit dem Auge seiner Seele 40 nach innen zu schauen, wo ihm sonst und auch noch an den beiden verflossenen Gebetstagen alsbald Gottes schwer erahnbares Angesicht heranzudämmern pflegte. Heute aber lösten sich seine Gedanken noch stärker als am Tag zuvor in sehnsüchtige Bilder auf; er war nicht imstande, sein inneres Gesicht mit Festigkeit auf Gott zu richten. Der Duft der Kräuter stieg aus der Kutte auf und umnebelte seine Sinne so stark, daß er auch Meer, Möwen und Wolken nicht mehr sah, sondern die Halle der väterlichen Burg in Donegal mit aller sinnlichen Deutlichkeit vor ihm aufstand. Er sah sich jung, stark und froh als ein königlicher Barde bei den Festen seine begnadete Stimme erheben, er sah, wie die Männer ihm winkten und die Frauen ihm lächelten, er sah sich bei den Wettspielen den Preis gewinnen und als ein Sieger aus der Schlacht heimkehren. Aller Glanz seiner Jugend stand um ihn auf, als hätte er ihn nicht dahingegeben, um Gott zur Ehre in die Fremde zu ziehen und als ein armer Mönch und Pilger zu leben. 41

O Heimat! Liebe Heimat! schrie sein Herz auf, warum habe ich dich verlassen? Warum bin ich nicht in deinem Schoß verblieben und habe die süße Milch deiner Brüste verkostet? Und als hätte er nicht am Tag vorher seiner Bruderstochter erklärt, daß, wer vielen geistlichen Söhnen ein Vater ist, der leiblichen nicht bedarf, begann er nun in seinem Herzen zu trauern, weil er darauf verzichtet hatte, seiner lieben Heimat Erin starke Söhne und schöne Töchter zu erwecken. Plötzlich sah er Maurinns Gestalt vor sich, die edlen Linien ihres zarten Gesichtes, ihre demütige und doch stolze Haltung, er hörte den warmen, liebevollen Klang ihrer Stimme und es wollte ihm scheinen, daß sie wohl die beste Mutter für seine Söhne und Töchter hätte werden können. Da aber kam eine große Möwe nahe vorbeigeschossen und stieß einen schrillen Ruf aus; Columba erschrak, raffte sich zusammen und, voll Scham über die Abwege, die seine Gedanken gegangen waren, verließ er seinen Gebetsplatz, um Gott in der Kirche kniend um Verzeihung zu bitten. 42

Später ging er in seine Zelle und ließ sich nieder, um mit der Abschrift der Psalmen, die er begonnen hatte, fortzufahren. Die Zelle war fensterlos und dunkel, doch hatte Gott ihn so hoch begnadet, daß aus seiner linken Hand Licht zu brechen pflegte, wenn die Rechte dem heiligen Werk des Abschreibens oblag. Heute aber blieb die Zelle dunkel. Columbas Linke war grober, dichter, schwerer Stoff wie aller Menschen Hände, und in sein Herz zog tiefe Trauer ein. Hatte die Sünde ihn schon so fest ergriffen, daß Gottes Licht ihm nicht mehr leuchtete? War dies etwa ein Zeichen, daß er ferner nicht würdig war, seinem Kloster als Abt vorzustehen? Wollte Gott ihn auf diese Weise wissen lassen, daß es ihm besser zieme, ein Weib zu ehelichen und als ein Kämpe und Barde in seiner Heimat zu leben, statt sich Tugend und Würde eines Abtes anzumaßen, denen er nicht gewachsen war? Zwiefach ist die schlimmste Versuchung des Bösen: die Versuchung des Hochmuts und die Versuchung des Kleinmuts. Die schmeichlerisch 43 aufstachelnde Stimme, die da sagt: »Du bist wie Gott, warum willst du demütig sein?«, sie wird immer noch leichter als Stimme des Bösen erkannt werden als das lispelnde Raunen der Entmutigung und Verzweiflung: »Warum strebst du noch? Laß alles fahren, denn Gott genügst du nie.«


Traurig trat Columba über die Schwelle, er blickte von der Höhe seines Hügels über die Insel hin und sah allenthalben die Brüder bei emsiger und getreuer Arbeit. Er sah sie ackern und pflügen, das Vieh weiden und melken, Milchkübel tragen und Karren schieben, und von einer schmalen Sandbucht aus fuhren trotz des heftig wehenden Windes im lederüberzogenen Boot einige zum Fischfang aus; in mancher Zellentür aber sah er Tiefgebückte an Pulten malen und schreiben. »Was sind mir doch für gute Brüder unterstellt gewesen«, dachte er schmerzlich. »Ahnten sie, wie unwürdig ihr geistlicher Vater ist, weiß 44 Gott, sie ließen Arbeit und Werkzeug und liefen auseinander. Ich will mir nichts merken lassen, bis Gott mir einen Ausweg aus dieser Not gezeigt hat.«

Da trat Fursa, ein junger Bruder, der eilig den Hügel heraufgekommen war, zu ihm, fiel ehrfurchtsvoll nieder und wies ihm seinen blutenden linken Arm. »Mein Vater!« bat er atemlos, »ich bitte dich, stille mir das Blut und betrachte meine Wunde! Beim Mähen ist mir die Sichel tief in den Arm gefahren, ich fürchte, es könnte mir von dieser Wunde Gift ins Blut kommen.«

Columba betrachtete die Wunde und sah, daß sie tief und voll Erde war. Er reinigte sie, denn die Kunst eines Arztes war ihm geläufig, betete über dem rinnenden Blut, und legte heilende Kräuter und weißes Linnen auf. Dann entließ er den Bruder und ging wieder an seine Arbeit. Er rückte sein Schreibpult nahe zur Tür, so daß das Tageslicht ihm leuchtete. Der Vers aber, den er eben dabei war, zu malen und zu schreiben, lautete: 45

»Sie sind alle abgewichen und allesamt untüchtig;
Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer.«

Als er dieses schrieb, nahm er es wiederum als ein Zeichen und wurde noch trauriger, er untermalte die Buchstaben mit düsteren Farben, wie es der Betrübnis seiner Seele zukam, und schloß abermals das Buch. Hätte er weiter geschrieben, so wäre er alsbald zu der Stelle gekommen:

»Ihr schändet des Armen Rat; doch Gott ist seine Zuversicht.« Es war aber Columba an diesem Tage kein Trost zugedacht.

Er ging zur Kirche, als es zur Vesper läutete, und stehend im hölzernen Gestühl betete und sang er mit den Brüdern. Dabei dachte er: »Was bete und was singe ich? Hat Gott mir noch nicht deutlich genug gezeigt, daß eines Abtes Amt mir nicht taugt? Wäre es Ihm nicht ein leichtes gewesen, die Jungfrau Maurinn von Iona fernzuhalten? Da er sie die gefährliche Reise bestehen und den Mut finden 46 ließ, zu mir zu reden, so ist, was sie wünscht, wohl das Gute. Wer gab mir die Vollmacht, verächtlich und wie ein Lehrer und Meister zu ihr zu sprechen? Aus Maurinns Mund spricht Erins Stimme, das mich wieder zu sich ruft als seinen lieben Sohn, und der ich ohne alle Hoffart folgen muß.« Als der Choral zu Ende war, ging Columba vor den Brüdern her aus der Kirche und dachte bei sich, daß es vielleicht das letzte Mal war.

Vor der Tür wartete ein alter Mönch, dem die Pflege der Erkrankten oblag. Er sank vor Columba auf das Knie und berichtete trauervoll, daß der junge Bruder Fursa soeben an seiner Wunde gestorben sei, nachdem er von seltsamer Starrheit war überfallen worden. Da seufzte Columba schwer auf und es entfuhr ihm: »Gott, mein Gott, wie deutlich willst du noch zu mir reden?«, so daß der alte Mönch ihn verwundert ansah. Während er zur Zelle des Verstorbenen eilte, glaubte er mit voller Deutlichkeit zu erkennen, daß alle geistliche Kraft von ihm genommen war. Er schämte 47 sich, daß er, der sonst den nahen Tod eines Menschen zu fühlen imstande war, beim Anblick des jungen Bruders und seiner Wunde nichts empfunden und vorausgesehen hatte und daß seine sonst von Erfolg gesegnete ärztliche Kunst unwirksam geblieben war. Dabei würgte es ihn im Hals und beinahe hätte er bitter aufgelacht bei dem Gedanken, daß ein Unwürdiger wie er noch vor kurzem vermessentlich geplant hatte, in ein fremdes Land zu ziehen und dort ein wildes und kühnes Volk zu Christum zu bekehren.

Trauernd und in innerer Mutlosigkeit stand Columba zu Häupten des toten jungen Bruders, der ihm durch seine Güte und Treuherzigkeit besonders lieb gewesen war, und sprach die ersten Gebete über ihn; sodann mußte er in dem an die Kirche angebauten Refektorium dem Spätmahl der Brüder vorsitzen und er segnete das von ihm selbst erlassene Gebot, das jegliches Gespräch bei Tische untersagte. Die Fische und die Gerstenbrote wurden schweigend verzehrt, während 48 ein alter Mönch aus einem kostbar bemalten Buche vom Leben Sankt Patricks vorlas. Columba dachte bei sich: »Fortan werde ich zu Gartan mit meinem Weibe und meinen wenigen Gefolgsmännern zu Tische sitzen und werde es nicht mehr nötig haben, anderen eine Tugend vorzuspielen, die ich nicht besitze.«


Nach den Nachtgebeten verließ er die Brüder und ging nach seiner Zelle. Traurig schlug er den begonnenen Psalter zu und dachte, daß sein Nachfolger wohl mit dem Abschreiben fortfahren würde; dabei las er nochmals den letzten Vers, den er geschrieben hatte.

»Sie sind alle abgewichen und allesamt untüchtig;
Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer.«

Da er sich in der Zelle ausstreckte und das Haupt auf den flachen, kalten Stein legte, der ihm als Kissen diente, zog er das Kräuterbündel unter der Kutte hervor und sein 49 Geruch umfing ihn mit verdoppelter Herbigkeit und Süße. Da stieg abermals Erin vor ihm auf, die grüne Insel, gegürtet vom Kranz ihrer kahlen Randgebirge, und mit den feuchtstrotzenden fruchtbaren Tälern in ihrem Inneren. Er sah den blitzenden, unendlichen Reigen ihrer Seen, und in den Seen die Inseln, und alles schien ihm so lieblich und begehrenswert, daß sein Herz zu klopfen begann und seine Augen sich mit Tränen füllten. »Ich will zurück zu dir, mein Erin«, sprach er im Geiste, »in einem deiner Täler will ich als dein liebender Sohn wohnen, ich will das Weib ehelichen, das so lange auf mich gewartet hat, und meinem Clan als ein mutiger Häuptling dienen. Ich hätte dich niemals verlassen sollen, denn nur in dir wurzelt meine Kraft und meine ganze Liebe, und die hoffärtigen Pläne von der Bekehrung der Piktenstämme will ich als das erkennen, was sie sind: ein Gaukelspiel meiner eigenen Eitelkeit. Wer bin ich, daß ich mich vermessen dürfte, zu glauben, Gott hätte so Großes mit mir vor? 50 Ich gehöre zu jenen, von denen es im Psalm heißt, daß sie untüchtig sind und nichts Gutes tun können. Ich bin Gottes letzter und erbärmlichster Knecht, keine Ämter und Würden ziemen mir und es ist Zeit, daß mit all diesem ein Ende gemacht werde.«

Wie in einem gesammelten und wilden Ansturm brach ärger als je zuvor das Heimweh, diese Krankheit, an der er nie aufgehört hatte zu leiden, über ihn herein. Sein Herz verzehrte sich danach, wieder als ein Kind in behüteter Wärme bei seiner Mutter Eithne sitzen und den Kopf an ihre Schulter lehnen, im väterlichen Garten spielen, als ein junger Schüler in der Geborgenheit des Klosters Clonmacnois Tag um Tag ungestört der seligen Lust des Lernens nachgehen zu dürfen. Wonach er mit aller Inbrunst lechzte, das war nicht nur das langentbehrte Land, es war das menschlich-warme Leben derer, die ohne Sendung sind. Es ergriff ihn eine grauenhafte Angst vor der kalten und feindlichen Fremde der Länder, in die als ein Bekehrer zu ziehen er sich vorgesetzt hatte; er 51 glaubte den Haß in den Augen der heidnischen Priester dicht vor sich blitzen zu sehen und zu fühlen, wie die Einwirkungen ihrer zauberischen Künste sich vernichtend in seinen Körper einbohrten. Eine Furcht, wie er sie nie in seinem Leben empfunden hatte, lähmte seinen Geist und seine Seele, Schweiß brach ihm allenthalben aus der Haut und er begann zu zittern. In Bildern des Grauens sah er sich selbst und seine Gefährten hingeschlachtet, noch als Leichen mißhandelt und ohne Gebet und christliches Begräbnis den wilden Vögeln zum Fraß überlassen. Nichts schien ihm fürchterlicher, als den Vorsatz auszuführen, den er nun schon Monde lang gehegt und wenn auch mit Zagen, so doch ohne zu zweifeln als Anruf Gottes erkannt hatte. Ganz laut vor sich hinsprechend, wiederholte er seinen letzten Gedanken: »Es ist Zeit, daß mit all diesem ein Ende gemacht werde.«

Indem er dies dachte und vor sich hinredete, drückte er das Kräuterbündel ohne seinen Willen heftig mit der Hand zusammen, so daß 52 die trockenen Pflanzen zerbröckelten, der Knoten sich löste und Salbei, Muskat, Thymian und wilde Hyazinthe auf den Boden verstreut wurden. Draußen aber wehte der Wind sehr heftig, er fuhr durch die Fugen der dünnen Weidenwand, ergriff die zerstreuten Reste der Kräuter und fegte sie auseinander. Columba, den seine Gedanken viele Stunden wach gehalten hatten, fiel in einen kurzen und tiefen Schlaf, der aber bald durch einen neuerlichen Windstoß, der dem Abt kalt übers Gesicht fuhr, abgebrochen wurde. Er sah, daß schon Morgenlicht durch die Ritzen der Zelle sickerte, und erhob sich, um Gott den ersten Lobgesang darzubringen.

Es schien ihm, als liege eine böse Krankheit, etwas Schweres, Trübes und Schwüles hinter ihm, doch wußte er sich nicht recht zu besinnen, was es gewesen war; nur an den Tod des jungen Bruders Fursa erinnerte er sich sogleich und war bitter betrübt. Nach und nach entsann er sich aller übrigen Wirrsale vom vergangenen Tag, des heiligen Lichtes, 53 das ihm nicht mehr hatte leuchten wollen, des Psalms, der ihn verurteilt, und der kleinmütigen und verräterischen Gedanken, die ihn belagert hatten. Noch schien ihm all dieses, bis auf den Tod des Bruders, so vergangen zu sein, wie etwa eine fremde Insel, an der ein Schiff vorbeigefahren ist, ohne an ihr anzulegen, und die nun allmählich hinter dem Horizont zu verschwinden beginnt.


Indes er in der Hütte kniend betete, schritt die Jungfrau Maurinn sehr eilig durch das wilddurchbrauste Morgengrauen den Abtshügel hinan. Während sie mit fliegendem Atem vorwärtshastete, blickten ihre Augen ernst und ängstlich, aber voll eines edlen Eifers, der in den letzten Tagen nicht darin zu lesen gewesen war. Es war aber dieser Morgen der achte, seit Maurinn mit dem Fährboot herübergesegelt war und sich zum ersten Mal auf den Stein vor Columbas Hütte gesetzt hatte. An diesem Morgen wartete 54 sie jedoch nicht unschlüssig gesenkten Hauptes, ob Columba herauskommen und das Wort an sie richten würde, sondern sie eilte über die Schwelle, die sie noch nie betreten hatte, und kniete im Morgenzwielicht der kahlen Zelle sogleich vor dem Abt nieder. Sie redete ihn nicht wie bisher mit seinem alten Namen Crimthan, sondern mit seinem heiligen Mönchsnamen an und fragte, atemlos und stockend vom raschen Berganlaufen, ob er die Kräuter noch unter seiner Kutte habe. Um Gottes willen möge er sie sogleich fortwerfen. Es seien böse Zauberkräuter, und sie, Maurinn, habe sich einer schweren Sünde anzuklagen.

Columba suchte unter seiner Kutte nach dem Kräuterbüschel, er fand aber nur die Schnur, die rund und leer um seinen Hals hing.

Er habe es nicht nötig, die Kräuter fortzuwerfen, denn sie seien nicht mehr da, sagte er; was es denn damit auf sich gehabt und welcher Sünde sie sich anzuklagen habe?

Maurinn begann nun in großer Qual und 55 Zerknirschung zu berichten, daß ihre Amme, die noch eine Heidin sei, die Kräuter durch einen sehr kundigen Druiden habe verzaubern lassen; sie habe ihr versprochen, daß der Zauber mächtig genug sein würde, um Columba von seinem Priesteramt abwendig zu machen und Liebe zu Maurinn in ihm zu wecken. Maurinn habe es zuerst nicht gewagt, Columba die Kräuter zu geben; sie habe gehofft, er würde ihr auch ohne sie willfahren, und sie habe die ganzen Tage die verzauberten Pflanzen selbst um den Hals getragen. Dadurch sei sie verhindert worden, Columbas Heiligkeit zu begreifen und seine hohen Worte zu verstehen, und sie habe in ihm nichts anderes gesehen als den Mann, den sie von früh geliebt hatte. Seit sie ihm aber gestern die Kräuter gegeben habe, sei sie selbst von dem Zauber frei geworden, erst jetzt habe sie begriffen, daß Columba ein heiliger Mann sei, in dessen Weg sie sich nicht stellen dürfe. Tränen begannen ihr über die Wangen herabzulaufen und sie bat den Abt mit aufgehobenen 56 Händen, ihr zu verzeihen und eine geziemende Buße über sie zu verhängen, damit sie ihrer schweren Sünde ledig werde.

Als Columba alles dieses hörte, wurden ihm die Erlebnisse des letzten Tages mit einem Male klar und er erzitterte bei dem Gedanken, wie nahe er daran gewesen war, dem Bösen zu erliegen und sich von seinem heiligen Vorsatz abbringen zu lassen. Ein mächtiger Unwille gegen seine Anverwandte wollte ihn ergreifen, doch bezwang er sich und erwog, daß sie nichts gewesen war als ein Werkzeug, um ihn zum Bösen und zum Guten zu führen, und daß sie selbst dabei bitter gelitten und dasjenige eingebüßt hatte, was ihr als Sendung und Ziel ihres Lebens erschienen war.

Also entschloß er sich zur Milde und fragte sie liebreich, wie sie nunmehr ihr Leben einzurichten gedenke und ob sie der Heirat mit Dungal noch immer abgeneigt sei.

Sie entgegnete, sie habe beschlossen, sich nicht zu vermählen, sondern in Sankt 57 Brigadas Kloster zu Kildare einzutreten. Doch wolle sie zuerst ihre Buße ableisten. Sie bitte Columba, ob er sie einige Tage in der Eremitenzelle auf der kleinen runden Insel, darauf die Möwen und Seevögel zu rasten pflegten, belassen wolle, damit sie dort in voller Einsamkeit ihre Sünde bereuen und im Gebet tilgen könne.

Columba schwieg eine lange Weile, dann sprach er zu seiner Bruderstochter:

»Maurinn, Gott allein weiß, wieviel Teil an deiner Sünde dein armes, unberatenes Herz gehabt hat. Ich will dich nicht richten, um so weniger, da du um meinetwillen vieles gelitten hast. Zu Beginn des neuen Mondes gedenke ich einige Brüder mit Briefen und Botschaften nach Erin zu senden. Mit diesen sollst du nach Kildare reisen. Die Tage bis dahin magst du zur Buße dafür, daß du dich heidnischer Zauberei hast bedienen wollen, um einen Priester von seiner Pflicht abzubringen, auf der kleinen Insel an der Westküste zubringen, wie du selbst es 58 vorgeschlagen hast. Die Zelle auf der Insel ist bewohnbar und windfest, Nahrung und Wasser werden dir die Brüder bringen. Und nun verlasse mich! Ehe du nach Erin reisest, magst du zum Lebewohl noch einmal in meine Zelle kommen.«

Maurinn hatte mit gesenktem Haupt die Worte des Abtes angehört; als er ihr gebot, sich zu entfernen, hob sie das Angesicht und sah ihn nochmals frei an, wie sie es so oft getan hatte.

»Ich danke dir, mein heiliger Oheim, daß du mich nach dem Bußorte sendest, den ich mir wünschte. Wenn du des Abends ins Meer steigst, um die Psalmen zu singen, werde ich dich aus der Ferne sehen und dies wird mein Abschied von dir sein. Ich werde dich nie vergessen, Crimthan!« setzte sie schnell hinzu und lief eiligst aus der Hütte.

Während Columba ihre Schritte sich entfernen hörte, trat er zu seinem Pult und schlug das Psalterbuch auf, das abzuschreiben er im Begriffe gewesen war, und suchte die Stelle, 59 wo er gestern seine Arbeit unterbrochen hatte; da sah er den Vers, den er in seiner Verzweiflung nicht mehr geschrieben hatte:

»Ihr schändet des Armen Rat; doch Gott ist seine Zuversicht.«

Da atmete er auf und sah aufs neue, daß er nicht verworfen war. Und während er sich daranmachen wollte, weiterzuschreiben, sah er mit Jubel das milde Licht seiner linken Hand entströmen. Zu schreiben aber wurde er gehindert, denn der alte Mönch, der Pfleger der Kranken, kam vor Eile keuchend in die Zelle gestürzt, warf sich vor seinem Abt ins Knie und rief:

»Bruder Fursa ist nicht tot. Seine Starrheit ist von ihm gewichen. Komm eilends zu ihm, mein Vater.«

»Wir wollen Gott danken, guter Bruder«, sagte Columba in einer tiefen Glückseligkeit. »Da mein Sohn Fursa mir wiedergegeben ist, sehe ich, daß mir vieles vergeben wurde.«

Wie gestern sah der alte Mönch den Abt verwundert an, er hatte aber keine Zeit, über 60 seine Worte nachzudenken, denn Columba beauftragte ihn, einige jüngere Brüder anzuweisen, daß die Jungfrau Maurinn mit Mundvorrat und Wasser nach der kleinen Möweninsel zu verschiffen sei. Dann erst richtete Columba seine Schritte nach Fursas Zelle.

Es war aber die Zeit der Tag und Nachtgleiche nun herangekommen und der Sturm nahm stetig zu. Drei Tage, nachdem Maurinn nach der kleinen Insel verbracht worden war, hatten zwei beherzte Mönche es zuwege gebracht, hinüberzurudern, um ihr frisches Wasser, Brot und getrockneten Fisch zu bringen. Sie hatten sie ein wenig verängstigt durch die große Einsamkeit, aber gefaßt und freundlich in ihrer winddurchbrausten Zelle angetroffen. Sie dankte den Brüdern freundlich und bat sie, dem Abt ihren christlichen Gruß zu bestellen. Sodann hatten die Brüder sie wieder verlassen. 61


Von diesem Tage an aber nahm der Sturm so sehr zu, daß es sich als unmöglich erwies, auf Iona ein Boot zu bemannen und durch das wilde Meer nach der kleinen Insel zu schiffen. Als drei Tage vergangen waren, seit Maurinn Nahrung und Wasser erhalten hatte, wurde Columba sehr besorgt um seine Bruderstochter, und er befahl den besten Seefahrern unter den Brüdern, die kurze Überfahrt unter Anspannung aller Kräfte dennoch zu wagen. Die Brüder versuchten, was in ihren Kräften stand, sie warfen sich mit aller Gewalt in die Ruder, aber der Sturm kam ihnen so rasend entgegen, daß sie nicht weiterkommen konnten und beschämt und traurig, aber dankbar dafür, daß sie selbst nicht schiffbrüchig geworden waren, wieder ans Land stiegen und das Boot weit herein ans Ufer zogen. Columba wollte nun selbst die Überfahrt versuchen, er nahm sich die tüchtigsten Seefahrer unter den Brüdern mit, aber obwohl er Wind und Wellen durch sein mächtiges Gebet zu bannen trachtete, wurden 62 Sturm und Brandung nur immer heftiger und Columba mußte von seinem Vorhaben ablassen. Er bat Gott in vielen Gebeten, die arme Jungfrau zu schonen und sie diese Sturmtage heil überstehen zu lassen. Oftmals ging er an den Strand und sah nach der kleinen Insel hinüber, ob Maurinn etwa dort zu sehen sei. Viele Möwen rasteten dort in diesen Unwettertagen, Sturmschwalben liefen durch die Wellentäler, die Brandung brach sich an der kleinen Insel, daß sie wie in einem Kranz von Schaum gehüllt schien, aber von Maurinn war nichts zu sehen. Nach abermals drei Tagen ließ der Sturm etwas nach, die schweren, grauen Wolken, die tief und eilig über Meer und Insel gezogen waren, lockerten sich und ließen mitunter einen Sonnenstrahl durchfallen, und die Brandung ermattete. Nun ließ Columba rasch das Boot klar machen und fuhr selbst mit zwei Gefährten nach dem kleinen Eiland hinüber. Als sie die Zelle betraten, fanden sie Maurinn, in ihren dunklen Pilgermantel gehüllt, die Kapuze in die Stirn gezogen auf 63 ihrem Lager liegen. Sie lebte nicht mehr. Columba und die Mönche, die sie trauernd umstanden, wußten nicht, ob die Jungfrau verdurstet war oder ob ihr Herz nicht stark genug gewesen war, um in Einsamkeit den schweren Sturm zu bestehen. Der Abt ließ sie nach Iona bringen, in aller Frömmigkeit bestatten und ein Kreuz auf ihrem Grab errichten, so daß sie inmitten des emsigen und strengen Tagwerkes der Mönche ruhen durfte. Auch sang Columba für das Seelenheil seiner Bruderstochter drei Totenämter mit so großer Inbrunst, wie er nur hätte wünschen können, daß sein bester Freund sie dereinst für seine eigene Seele darbringen möge.

Indes er an den drei aufeinanderfolgenden Tagen, wie die heilige Vorschrift es befiehlt, die Seelenmessen feierte, waren seine Gedanken in Wehmut auf die liebende Jungfrau gerichtet, die in der brennenden Sehnsucht nach der Erfüllung ihres Weiberschicksals nach Iona gekommen war und hier anstatt seiner den Tod geerntet hatte. Zugleich aber war sein 64 Herz nach vorwärts gewandt; denn seit jener Nacht des furchtbaren Zweifels, da der Psalm ihn verdammt und das Heimwehkraut ihn verzaubert hatte, da Fursa scheintot gelegen und das zerdrückte Kräuterbündel vom Wind zerstreut worden war, hatte alles Heimweh ihn verlassen. Um den Preis der bitteren Sehnsucht, die er noch einmal, durch Maurinns Anblick entfacht, nach seinem Vaterlande und dem hellen und warmen Leben heiterer Menschenkinder, nach Kindheit, Heim, Vaterschaft und dem Ruhen im Wesen einer liebenden und demütigen Frau gelitten hatte, war nun alles Heimweh von ihm genommen. Mit freudiger Begierde sah er dem Zuge nach Dalriada und dem Lande der Pikten entgegen, den er als ein Pilger Christi baldigst zu rüsten gedachte und da er im Laufe der heiligen Opferhandlungen Gott immer wieder bat, die Reinigungsleiden für Maurinns Seele abzukürzen und sie in Gnaden Seinem Lichtkreis zuzulassen, konnte er es nicht hindern, daß ihm auch stürmische Gebete um das Gelingen seines eigenen 65 Vorhabens durch die Seele gingen. Während er aber der überstandenen Schwäche gedachte, die in weiter Ferne hinter ihm zu liegen schien, und des einsamen Todes, den seine Bruderstochter auf dem Möweneiland hatte erleiden müssen, wurde sein Herz von Schaudern des Schreckens und demütiger Dankbarkeit erfüllt. Er erwog mit zitternder Seele, daß längs des Weges der zu weittragender Sendung Berufenen die Herzen schlicht und warm liebender Menschen mitunter ebenso eingesät werden wie in wilder Heidenzeit beim Bau neuer Burgen und Häuser lebende Menschen in die Grundfesten waren eingemauert worden, auf daß der Bau um so beständiger den Läuften gewachsen sei.

Als der Winter vorbei war, trat er die Fahrt ins Piktenland an. Er nahm eine kleine Schar von Brüdern mit; auch Fursa, der Auferstandene, war unter ihnen.

 


 


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