Edgar Allan Poe
Der Mann der aufgerieben worden war
Edgar Allan Poe

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Pleurez, pleurez, mes yeux, et fondez vous en eau!
La moitié de ma vie a mis l'autre au tombeau.

Corneille

Ich weiß nicht mehr, wann oder wo ich mit jenem prächtigen Menschen bekannt wurde, dem Brevet Brigadier-General John A. B. C. Smith. Nur soweit entsinne ich mich, irgend jemand stellte mich dem Herrn bei einer öffentlichen Versammlung vor, die wohl aus einem bedeutsamen Anlaß auf einem Platz abgehalten wurde, dessen Name mir leider entfallen ist. In Wahrheit strebte ich für meinen Teil diese Vorstellung mit einer gewissen nervösen Verlegenheit an, und die erstickte denn auch andre Eindrücke wie die von Zeit und Ort. Ich bin von Veranlagung nervös – dies ist nun einmal ein Familienerbstück, das auf mir lastet, und ich kann weiter nichts dafür. Insonderheit kann mich ein leiser Hauch des Geheimnisvollen schon in einen beklagenswerten Zustand hochgradiger seelischer Erregung versetzen.

Es lag etwas Großzügiges – jawohl etwas Großzügiges, obschon dieser Ausdruck nur allzu schwach wiederzugeben vermag, was ich empfand – in der ganzen Erscheinung der Person, von der hier die Rede ist. Der General war wohl sechs Fuß hoch und von einer geradezu gebietenden Haltung. Ein gewisses air distingué durchströmte den ganzen Menschen und verriet eine ausgezeichnete Erziehung und edle Rasse. Es gewährt mir eine gewisse melancholische Genugtuung, wenn ich mich nun hierüber in aller Breite aussprechen darf. Smiths lockenumwalltes Haupt würde einem Brutus Ehre gemacht haben, nichts konnte üppiger fließen und herrlicher leuchten als dies Haar. Es war schwarz wie Jet, und von gleicher Farbe war sein unvergleichlicher Backenbart. Man verzeihe mir, wenn ich von diesem Backenbart mit den Ausdrücken der höchsten Begeisterung spreche; ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, daß der Backenbart des Generals der stattlichste unter der Sonne war. Und dieser Bart umrahmte und überschattete stellenweise einen prachtvollen Mund, in dem sich das vollkommenste und blendendst weiße Gebiß befand, das man sich vorstellen kann. Aus ihm floß bei jeder passenden Gelegenheit eine Stimme von erstaunlicher Klarheit, Melodik und Kraft. Was die Augen betrifft, so war auch in diesem Punkte mein Bekannter in hervorragender Weise ausgestattet; ein Auge allein von solchem Paar war wohl soviel wert wie ein paar Augen gewöhnlicher Sterblicher. Sie waren von tiefem Nußbraun und überaus groß und glänzend, und immer wieder hatte ich an ihnen jenes gewisse hochinteressante Abschweifen zu bewundern, das den Gesichtsausdruck so tiefgründig macht.

Die Brust des Generals war fraglos die schönste, die mir je begegnete. Um alles in der Welt hätte man nicht den leisesten Fehler an ihrem wunderbaren Ebenmaß finden können. Und diese formvollendete Brust lief nach oben in prächtigem Abschluß in ein paar Schultern aus, die den Marmorgott Apollo zum Erröten gebracht hätten, weil er sich als zweitklassig hätte bekennen müssen. Ich schwärme für schöne Schultern und muß gestehen, daß ich, ehe ich diese sah, nicht wußte, was schöne Schultern sind. Die Arme waren beiderseitig bewunderungswürdig modelliert, und auch die Schenkel waren hervorragend. Hier war ein Nonplusultra von einem Paar Beine; jeder Kenner mußte zugeben, daß dies selten gute Beine waren. Sie hatten weder ein Zuviel noch ein Zuwenig an Fleisch, waren weder klobig noch zerbrechlich. Ich konnte mir keine edler geschweifte Linie denken als die des Os femoris,und da war auch gerade der richtige Grad der Ausbiegung hinter der Fibula, die eine stramm geformte Wade bedingt. Ich wünschte wahrhaftig, mein junger und talentvoller Freund Chiponchipino, der Bildhauer, hätte die Beine des Brevet Brigadier-Generals John A. B. C. Smith gesehen.

Aber wenn schon Männer von solch untadeliger Gestalt keineswegs so häufig sind wie Rosinen und Brombeeren, so konnte ich mich doch nicht dahin überzeugen, daß jenes großzügige Etwas, auf das ich oben anspielte – jenes besonderliche air von je ne sais pas quoi, das meinen neuen Bekannten wie ein Nimbus umgab, einzig und allein auf der hervorragenden Beschaffenheit seiner körperlichen Gaben beruhte. Eher ließ es sich ableiten aus dem Benehmen, aber auch hier war ich meiner Sache nicht sicher. Es lag etwas Abgezirkeltes, um nicht zu sagen Steifes in der Art, wie der General sich trug, eine Art berechneter und – wenn ich mich so ausdrücken darf – rechtwinkliger Präzision in jeder Bewegung, ein Umstand, der, wäre er an einer kleinen Person zutage getreten, ein klein wenig nach Geziertheit, Wichtigtuerei und Erzwungenem geschmeckt hätte, der aber bei einer Persönlichkeit von den auffallenden Größenmaßen des Generals sehr folgerichtig auf Rechnung einer gewissen Zurückhaltung – hauteur – gesetzt werden, das heißt, in vorteilhaftem Sinne, kurz als das zur würdevollen Bewegung solch riesenhafter Körpergröße angemessene Benehmen ausgelegt werden mußte.

Der liebenswürdige Freund, der mich dem General Smith vorstellte, flüsterte mir ein paar aufklärende Worte ins Ohr: »War bemerkenswerter Mann – höchst bemerkenswerter Mann – wirklich einer der bemerkenswertesten Männer der Zeit überhaupt. Er war auch bei den Damen der Hahn im Korbe, vor allem infolge seines Rufes, ein tollkühner Kämpfer zu sein. Darin steht er nämlich unerreicht da: er ist ein wahrer Desperado, ein echter Feuerfresser – wahrhaftig!« So sprach mein Freund, und dann senkte er seine Stimme zu einem kaum hörbaren Flüsterton und brachte mich durch solche Geheimniskrämerei fast zur Verzweiflung:

»Ein echter Feuerfresser, wahrhaftig! Zeigte das – sollte meinen – in dem letzten erbitterten Waldkampf im Süden gegen die Bugaboo- und Kickapooindianer.« (Hier öffnete mein Freund die Augen weit.) »Gott sei mir gnädig! Blut und Donner und so weiter! Wundertaten an Heldenmut! Doch wohl davon gehört? Nun, das ist also der Mann.«

»Mann Gottes, wie geht es Ihnen? Immer wohlauf? Freue mich ungemein, Sie zu treffen«, unterbrach da der General in eigener Person und schüttelte meinem Begleiter die Hand, als dieser auf ihn zutrat. Vor mir verbeugte er sich steif, aber ehrerbietig, als ich ihm vorgestellt wurde. Es kam mir damals so vor (und heute noch bin ich der Ansicht), daß ich niemals eine klarere und gewaltigere Stimme vernahm oder eine schönere Reihe Zähne sah, und doch muß ich gestehen, daß mir die Unterbrechung gerade in diesem Augenblick leid tat, denn durch die geflüsterten Bemerkungen, die ich oben anführte, war mein Interesse in hohem Maße für den Helden der Bugaboo- und Kickapookämpfe geweckt worden.

Wie dem auch sei; die anregende und geistsprühende Unterhaltung, in die mich Brevet Brigadier-General John A. B. C. Smith verwickelte, zerstreute gar bald und vollständig meinen Kummer. Mein Freund ließ uns nach kurzer Zeit allein, und so hatten wir ein ausgedehntes tête-à-tête, aus dem ich nicht nur Vergnügen, sondern auch reiche Belehrung schöpfte. Niemals hörte ich einen Mann fließender reden oder über ein ausgedehnteres Maß von allgemeiner Bildung verfügen. Mit wohl anstehender Bescheidenheit vermied der General indessen, jenes Thema zu berühren, das mir gerade am meisten auf dem Herzen lag – ich meine jene geheimnisvollen Erlebnisse aus dem Bugabookriege –, und was mich betrifft, so verbot mir ein gewisser innerer Takt, diesen Stoff anzuschneiden, obwohl ich in Wahrheit vor Begierde brannte, dies zu tun. Ich sah, daß der weltgewandte Kriegsmann Gespräche philosophischen Inhalts bevorzugte und daß er sich mit besonderer Vorliebe über die Fortschritte der technischen Erfindungen erging. In der Tat, worauf ich das Gespräch auch lenken mochte – er kam unweigerlich auf diesen Punkt zurück.

»Es gibt nichts, was damit zu vergleichen wäre«, konnte er sagen; »wir sind ein herrliches Volk und leben in einem herrlichen Zeitalter. Fallschirme und Eisenbahnen! Diebesfallen und Selbstschüsse! Unsre Dampfer überqueren alle Meere, und die Nassau-Ballonpost verkehrt nun regelmäßig (einfache Fahrt nur zwanzig Pfund Sterling) zwischen London und Timbuktu. Und wer will die ungeheuerliche Bedeutung der großen Ideen des Elektromagnetismus für das soziale Leben, die Künste, den Handel, die Literatur abschätzen? Aber dies ist nicht alles, sage ich Ihnen. Der Vormarsch der Erfindungen ist nicht abzusehen. Die wunderbarsten, genialsten und – wenn ich mich so ausdrücken darf, Mr. Mr. – Thompson ist, glaube ich, Ihr Name –, wenn ich so sagen darf, die nutzbringendsten, die im wahren Sinne des Wortes nutzbringenden technischen Erfindungen schießen täglich aus dem Boden wie Pilze, wenn ich den Vergleich heranziehen darf, oder bildlicher gesprochen – wie – äh – Grashüpfer – ja, wie Grashüpfer, Mr. Thompson – dicht neben uns und – äh – äh – nur so um uns herum!«

Thompson – um dies festzustellen – ist nicht mein Name, aber ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß ich den General Smith in höchster Neugierde und voll Bewunderung seiner Unterhaltungsgabe verließ, voll Ergriffenheit über die Werte, die wir dadurch genießen, daß wir in diesem Zeitalter der technischen Erfindungen leben. Doch die Neugierde war noch immer nicht befriedigt, und ich beschloß, Umfrage bei meinen Bekannten zu halten – einmal über die Person des Brevet Brigadier-Generals selbst und dann besonders über die furchtbaren Begebenheiten während des Bugaboo- und Kickapookrieges, quorum pars magna fuit.

Die erste Gelegenheit hierzu, die zu ergreifen ich mich nicht im mindesten scheute (horresco referens), bot sich mir in der Kirche des Reverend Doktor Drummummupp, wo ich mich eines Sonntags zur Zeit der Predigt in einem Kirchenstuhl neben meiner wertgeschätzten und redseligen kleinen Freundin Miß Tabitha Z. niedergelassen hatte. Ich wünschte mir Glück, daß ich es so getroffen hatte, und nicht ohne Grund, denn hier schien Aussicht vorhanden, das Ziel meiner Wünsche zu erreichen. Wenn irgend jemand etwas von dem Brevet Brigadier-General John A. B. C. Smith wußte, so war es – darüber war ich mir klar – Miß Tabitha Z. Wir telegraphierten uns einige Zeichen, und dann begann – sotto voce – ein lebhaftes tête-à-tête.

»Smith?« sagte sie auf meine dringliche Frage; »Smith? Wie, nicht General John A. B. C.? Bei Gott, ich dachte, Sie wüßten alles über ihn. Es ist doch ein wunderbares Zeitalter der Erfindung! Aber furchtbare Sache! Eine blutgierige Räuberbande, diese Kickapoos! Wehrte sich wie ein Held – Wundertaten an Heldenmut – unsterblicher Ruhm! Smith! Brevet Brigadier-General John A. B. C.! Nun, das ist also der Mann . . .«

»Mann«, fiel hier Doktor Drummummupp mit Stentorstimme ein und schlug mit der Faust auf die Kanzel, daß wir glaubten, sie müßte zusammenbrechen; »Mann, der vom Weibe geboren ist, hat nur eine kurze Spanne zu leben; er sprosset empor und wird abgeschnitten wie die Blume.« Ich zog mich auf das äußerste Ende des Kirchenstuhles zurück und erkannte an den erregten Blicken des Geistlichen, daß der Wutausbruch, der beinahe zum Verhängnis für die Kanzel geworden wäre, durch das Geflüster zwischen der Dame und mir hervorgerufen worden war. Da war nichts zu machen; ich unterwarf mich nolens volens und lauschte unter dem Martyrium eines andächtigen Schweigens den Wendungen jener hervorragenden Predigt.

Am nächsten Abend besuchte ich etwas spät das Rantipole-Theater, denn ich fühlte mit Sicherheit, daß ich da meine Neugier würde befriedigen können, wenn ich mich nur in die Loge jener beiden leuchtenden Beispiele an Redseligkeit und Alleswissen, der Misses Arabella und Miranda Cognoscendi begab. Der große Tragöde Climax spielte gerade den Jago vor einem gesteckt vollen Haus, und so hatte ich einige Not, meine Wünsche anzubringen, zumal da unsre Loge dicht vor dem Proszenium lag und die ganze Bühne überschaute.

»Smith?« sagte Miß Arabella, die schließlich den Sinn meiner Frage verstand; »Smith? Wie, nicht General John A. B. C.?«

»Smith?« frug Miranda lächelnd. »Bei Gott, haben Sie jemals eine so schöne Figur gesehen?«

»Niemals, Madame. Aber sagen Sie mir doch . . .«

»Oder eine so unnachahmliche Grandezza?«

»Niemals, auf Ehre! Aber bitte, unterrichten Sie mich doch . . .«

»Oder solche Fertigkeit, die Bühne richtig auszunutzen?«

»Madame!«

»Oder ein feineres Verständnis für die wahren Schönheitswerte eines Shakespeare? Und bitte, betrachten Sie doch einmal gefälligst dieses Bein!«

»Zum Teufel auch!« Und ich wandte mich wieder an ihre Schwester.

»Smith?« sagte die; »wie, nicht General John A. B. C.? Furchtbare Sache das, nicht wahr? Eine Räuberbande, diese Bugaboos – wild und . . . aber wir leben doch in einem wunderbaren Zeitalter der Erfindung! – Smith! O ja! Ein großer Mann – wahrer Desperado – unsterblicher Ruhm – Wundertaten an Heldenmut! Nichts davon gehört?« (Und diese Worte begleitete sie mit einem Seufzer.) »Bei Gott! Nun, das ist also der Mann . . .«

                    »– Nicht Hexenkraut
Noch alle Schlummerkräfte der Natur
Verhelfen je dir zu dem süßen Schlaf,
Den du noch gestern hattest!«

brüllte mir hier Climax in die Ohren und schüttelte dabei die Faust vor meinem Gesicht in einer Weise, wie ich es mir weder bieten lassen konnte noch wollte. Sogleich verließ ich die Misses Cognoscenti, begab mich spornstreichs hinter die Kulissen und verprügelte den armseligen Burschen derart, daß er bis an sein Lebensende noch daran denken wird.

Bei der Soiree der liebenswürdigen Witwe Mrs. Kathleen O'Trump war ich voll Vertrauen, daß ich diesmal keine Enttäuschung erleben würde. Kaum saß ich an der Gasttafel der schönen Dame des Hauses gegenüber, da entrangen sich mir schon jene Fragen, deren Beantwortung so wichtig für meinen Seelenfrieden geworden war.

»Smith!« sagte meine Nachbarin; »wie, nicht General A. B. C.? Furchtbare Sache das, nicht wahr? – Diamanten, sagten Sie? – Grausame Räuber, diese Kickapoos! – Bitte, wir spielen Whist, Mr. Tattle. – Immerhin, es ist doch ein wunderbares Zeitalter der Erfindung, sicherlich ein Zeitalter, man kann ruhig sagen: das Zeitalter par excellence. – Sprechen Sie französisch? – Oh, ein echter Held – wahrer Desperado! – Keine Herzen, Mr. Tattle? Ich glaube doch nicht. – Unsterblicher Ruhm und alles mögliche – Wundertaten an Heldenmut! Nichts gehört davon? – Bei Gott! Nun, das ist also der Mann . . .«

»Mann –? Kapitän Mann?« flötete hier ein kleiner Backfisch aus der entfernten Ecke des Zimmers. »Sprechen Sie von Kapitän Mann und seinem Duell? O, das muß ich hören! Erzählen Sie doch bitte, Mrs. O'Trump! Schießen Sie los!« Und Mrs. Trump schoß los mit allem, was sie über den gewissen Kapitän Mann auf Lager hatte, der entweder erschossen oder aufgeknüpft worden war oder zugleich erschossen und erhängt werden sollte. Ja, Mrs. Trump schoß los, und ich, ich schoß zur Tür hinaus. Da war keine Hoffnung, an diesem Abend noch etwas zu erfahren über den Brevet Brigadier-General John A. B. C. Smith.

Aber ich tröstete mich in der Erwägung, daß das böse Geschick mich nicht andauernd verfolgen könnte, und beschloß, einen energischen Erkundungsvorstoß bei dem Tanzabend jenes bezaubernden kleinen Engels, der reizenden Mrs. Pirouette zu machen.

»Smith!« sagte Mrs. Pirouette, als wir zusammen in einem pas de zéphyr durch den Saal quirlten; »wie, nicht General A. B. C.? Furchtbare Sache das mit den Bugaboos, nicht wahr? Entsetzliche Räuberbande, diese Indianer! – Drehen Sie doch Ihre Zehen mehr nach außen! Ich muß mich wirklich für Sie schämen. – Tollkühner Mann! Armer Mensch! Aber es ist doch ein wunderbares Zeitalter der Erfindungen! – Du lieber Gott, ich kriege ja keine Luft mehr! – Ein wahrer Desperado – Wundertaten an Heldenmut! Nichts davon gehört? – Das kann ich doch nicht glauben. Ich muß mich hinsetzen und Ihnen das erzählen. Smith! Nun, das ist also der Mann . . .«

»Manfred, sage ich Ihnen!« platzte hier Miß Bas-Bleu dazwischen, als ich eben Mrs. Pirouette zu einer Sitzgelegenheit führte. »Hat man je so etwas gehört! ›Manfred‹ heißt es und nicht ›Mann Freitag‹.« Hier winkte mir Miß Bas-Bleu gebieterisch, und so blieb mir nichts andres übrig, als Mrs. Pirouette zu verlassen, um einen Streit zu schlichten, der sich auf ein gewisses Drama von Lord Byron bezog. Ich versicherte, daß der Titel ganz richtig »Mann Freitag«, nicht »Manfred« laute, und wandte mich ab, Mrs. Pirouette wieder aufzusuchen. Sie war jedoch nicht zu finden, und so ging ich aus dem Hause mit einem Herzen voll Groll wider die ganze Sippe der Bas-Bleus.

Die Sache sah nun beinahe hoffnungslos aus, da beschloß ich, kurzerhand meinen besonderen Freund, Mr. Theodore Sinivate, aufzusuchen; denn ich wußte, daß ich bei ihm wenigstens einen einigermaßen greifbaren Bescheid erhalten würde.

»Smith!« sagte er, indem er in seiner bekannten absonderlichen Weise die Silben dehnte; »Smith! Wie, nicht General John A. B. C.? Haarsträubende Sache das mit den Kickapo–o–o–os, nicht wahr? Wie? Wahrer Despera–a–ado! Wirklich ein Jammer – auf Ehre! Doch ein wunderbares Zeitalter der Erfindung! Wu–u–undertaten an Heldenmut! Übrigens hast du schon von Kapitän Ma–a–a–ann gehört?«

»Zum Teufel mit dem Kapitän Mann!« rief ich. »Bitte, fahre in deiner Erzählung fort.«

»Hem – schön! Ganz – la même chose, wie der Franzose sagt. Smith, eh? Brigadier-General John A. B. C.? Ich denke –« (hier hielt es Mr. Sinivate für passend, den Finger an den Nasenflügel zu legen) – »ich denke, du willst doch nicht bei klaren Sinnen und im Ernst behaupten, daß du nicht so gut wie ich über den Fall Smith unterrichtet bist, wie? Smith? John A. B. C.? Ja, bei Gott, das ist also der Ma–a–a–ann . . .«

»Sinivate,« rief ich flehentlich, »ist er der Mann mit der Maske?«

»Ne–e–ein«, sprach Mr. Sinivate und tat sehr weise; »und auch nicht der Mann im Mo–o–ond.«

Diese Antwort betrachtete ich als eine beabsichtigte und vollendete Beleidigung, und so verließ ich das Haus in Erbitterung und mit dem festen Vorsatz, meinen Freund, Mr. Sinivate, für sein nicht gentlemanlikes Betragen und seine Boshaftigkeit sofort zur Rechenschaft zu ziehen.

Indessen trotz allem bekannte ich mich, was die Erlangung der gewünschten Auskunft betrifft, noch immer nicht geschlagen. Noch stand mir ja ein Weg offen. Ich wollte mich an die Quelle selbst begeben, das heißt, den General in eigener Person aufsuchen und ihn mit einigen aufklärenden Worten bitten, mich von dem Druck des gräßlichen Geheimnisses zu erlösen. Diesmal sollte man mir aber nicht wieder mit Ausflüchten kommen können. Ich wollte klar, gründlich, entschieden, knapp wie ein Kuchenrand und bündig wie Tacitus oder Montesquieu sein.

Es war noch früh am Tage, als ich meinen Besuch machte, und der General war eben beim Ankleiden; aber ich schützte eine dringende geschäftliche Angelegenheit vor und ward sogleich von einem alten Negerkammerdiener in das Schlafzimmer geleitet. Der Neger blieb im Zimmer, solange mein Besuch dauerte. Als ich eintrat, blickte ich mich naturgemäß nach dem Bewohner des Zimmers um, konnte ihn indes nicht sofort bemerken. Da lag ein großes und überaus seltsam geformtes Bündel dicht vor meinen Füßen am Boden, und da ich gerade nicht die beste Laune von der Welt hatte, beförderte ich es mit einem Fußtritt aus dem Weg.

»Hem! Ahem! Sehr höflich, muß ich schon bemerken«, sagte das Bündel mit dem leisesten und komischsten Stimmchen – einem Mittelding zwischen Quieksen und Pfeifen –, das ich je in meinem Leben vernahm. »Ahem! Sehr höflich das – muß schon feststellen.«

Ich schrie laut auf vor Entsetzen und flüchtete mich schleunigst in die entfernteste Ecke des Zimmers.

»Bei Gott! Mein lieber Junge,« pfiff das Bündel wieder, »wa–wa–was ist denn los? Ich glaube beinahe, Sie kennen mich gar nicht?«

Was sollte ich nur sagen dazu – was sollte ich? Ich ließ mich in einen Lehnsessel fallen und erwartete mit starrem Blick und offenem Mund die Lösung des Rätsels.

»Wirklich, Sie sollten mich noch nicht kennen, wie?« begann das Unbeschreibliche von neuem zu pfeifen, und ich bemerkte, wie es am Boden eine unerklärbare Bewegung ausführte, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Anziehen eines Strumpfes hatte. Zu sehen war nur ein einzelnes Bein.

»Wirklich, Sie sollten mich also nicht kennen, wie? Pompey, das Bein!« Hier überbrachte Pompey dem Bündel ein großartiges Korkbein, fix und fertig angezogen, und im Nu hatte er es angeschraubt. Und da stand es vor meinen Augen auf.

»War eine blutige Geschichte«, fuhr das Ding wie im Selbstgespräch zu pfeifen fort; »aber man darf sich nicht mit den Bugaboos und Kickapoos herumschlagen wollen und denken, man kommt mit einer einfachen Schramme davon. Pompey, bitte jetzt den Arm! – Thomas« (es wandte sich offenbar wieder an mich) »ist weitaus der beste Mann für ein Korkbein, aber sollten Sie je einen Arm nötig haben, so möchte ich Ihnen doch hierfür Bishop empfehlen.« Jetzt schraubte Pompey den Arm fest.

»Wir hatten heiße Arbeit damals, das darf ich wohl sagen. Jetzt, du Hund, zieh mir die Schultern und die Brust an! Pettitt macht die besten Schultern, eine Brust aber sollten Sie schon bei Ducrow bestellen.«

»Brust!« sagte ich.

»Pompey, wirst du heute nimmer fertig mit der Perücke? Skalpiert werden ist allerdings eine unangenehme Operation, aber Sie können sich dann bei De L'Ormes so eine prachtvolle Mähne zulegen.«

»Mähne!«

»Jetzt, du Nigger, meine Zähne! Um ein gutes Gebiß wie dieses zu bekommen, wenden Sie sich am besten gleich an Parmly; hohe Preise, aber tadellose Arbeit. Ich verschluckte da doch allerlei, als der hünenhafte Bugaboo mich mit dem Kolbenende seiner Büchse zu Boden schmetterte.«

»Kolbenende! Zu Boden schmetterte!! O ihr lieben Augen!«

»Augen, ganz recht – nun Pompey, Taugenichts, schraub sie ein. Diese Kickapoos brauchten nicht lange dazu, sie mir auszustechen, aber man hat dem Dr. Williams doch Unrecht getan; Sie können sich nicht vorstellen, wie gut ich mit den Augen sehe, die er mir angefertigt hat.«

Jetzt erst ging mir ein Licht auf, daß das Ding vor mir nichts Geringeres vorstellte, als meinen neuen Bekannten, Brevet Brigadier-General John A. B. C. Smith. Pompeys Handgriffe hatten, ich muß gestehen, die Erscheinung des Mannes in vorteilhafter Weise verändert. Nur die Stimme störte mich nicht wenig, und schon klärte sich auch dieses Geheimnis auf.

»Pompey, du schwarzer Halunke,« quiekste der General, »ich glaube gar, du ließest mich ohne Gaumen gehen.«

Der Neger stammelte eine Entschuldigung, ging zu seinem Herrn, sperrte ihm mit der Kennermiene eines Pferdeknechts den Mund auf und brachte darin eine etwas sonderbar aussehende Maschine auf sehr geschickte, mir aber nicht recht verständliche Weise an. Eine erstaunliche Veränderung in Haltung und Ausdruck des Generals trat augenblicklich ein. Als er wieder sprach, hatte seine Stimme den satten melodischen Tonfall und die Kraft, wie ich sie zu Anfang beschrieb.

»Verdammte Halunken!« donnerte der General in so klarem Ton, daß ich über die Veränderung höchlichst erstaunte. »Verdammte Halunken! Sie zerschmetterten mir nicht nur die Gaumenplatte im Mund, sondern machten sich auch noch die Mühe, mir zum mindesten sieben Achtel von der Zunge abzuschneiden. Es gibt in ganz Amerika keine Quelle, die sich mit Bonifanti in wirklich gediegenen Gaumengarnituren messen könnte. Ich kann ihn Ihnen mit bestem Gewissen empfehlen, und« (hier verbeugte sich der General) »ich versichere Sie, daß es mir ein Vergnügen war, Ihnen diesen Dienst leisten zu können.«

Ich bedankte mich für seine Liebenswürdigkeit in meinen höflichsten Redewendungen und wußte jetzt vollauf, wie die Dinge standen. Das Geheimnis, das mich so lange umgetrieben hatte, war gelöst. Es lag auf der Hand, es war mir jetzt vollkommen klar: Brevet Brigadier-General John A. B. C. Smith war der Mann – der Mann, der aufgerieben worden war.

 


 


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