Plautus
Das Kästchen (Cistellaria)
Plautus

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Dritter Act.

Melänis. Silenium. Haliska. Hernach Alkesimarchus.

Melänis. (mit einem Kästchen)
Alles hab' ich dir erzählt: jezt folge mir, Silenium,
Zu den Deinen; haben die doch größ'res Recht an dich, als wir.
Wohl verlier' ich dich nur ungern: doch es sei! Dein Bestes ja
Muß ich stets im Auge haben, deinem Glück nicht feindlich sein.
Hier das Spielzeug, das die Frau mir gab, die dich zu mir gebracht,Gemeint ist das Kinderspielzeug samt Allem, was das ausgesezte Kind um und an sich trug, die crepundia. Da im Alterthum (bemerkt Köpke in der Einleitung zu seiner Uebersezung dieses Stückes) die Rechte der Eltern über die Kinder viel weiter gehen, als in der neueren Zeit, und sie als die unbedingten Urheber des Lebens ihrer Kinder angesehen werden, so haben ihnen auch nur wenige Gesezgeber das Recht beschränkt, die neugebornen Kinder zu tödten oder auszusezen. Wir finden ausser den Spartern, wo es sogar gesezlich ist, schwächliche oder mißgestaltete Kinder auszusezen oder zu tödten, auch bei den meisten der übrigen griechischen Staaten und auch bei den Römern, denen das Zwölftafelgesez diese Erlaubniß gibt, dieses Recht gehandhabt. Man kann daher denken, daß von demselben noch häufiger da Gebrauch gemacht wurde, wo man die Frucht eines beschämenden Abenteuers der Kenntniß der Mitbürger entziehen wollte. Da aber gleichwohl sich bei den Eltern Mitleid regte für das unglückliche Kind, welches preisgegeben werden sollte, so war es bei dem Aussezen der Kinder, welche nicht geradezu getödtet oder den Raubthieren vorgeworfen werden sollten, allgemeine Sitte, sie in oder mit einer Kiste (cistella) auszusezen, in welcher, ausser Kinderzeuge von feinem Gewebe (υφάσματα, σπάργανα u. s. w.), welches zuweilen den vornehmen Stand der Mutter ankündigte, manches köstliche Kleinod oder Kinderspielzeug, oft von edleren Metallen eingelegt war, welches als Kinderklapper zur Ergözung des Kindes benüzt werden konnte. Daher der Name crepundia, griechisch παίγνια. Diese Dinge sollten besonders dazu dienen, das Kind vielleicht dereinst daran wieder zu erkennen, wenn sich die Lage der Eltern änderte, daher die Findenden, welche die Pflegeeltern des Kindes wurden, die Humanität hatten, diese Krepundien als ein Heiligthum unverlezt zu bewahren, auch wenn sie sonst den Findling durchaus als eigenes Kind sich unterschoben. Daher heißen dieselben bei den Griechen Kennmittel, γνωρίσματα, so wie bei den Römern auch signa undmonumenta. Man kann denken, wie oft diese Kästchen mit Kinderspielzeug für das Lustspiel benüzt sind, da die Aussezungen zu dramatischen Verwickelungen so oft beliebt wurden, und Wiedererkennungen ausgesezter und verloren geglaubter Kinder nun durch diese kleinen Monumente begründet wurden. Schon im heroischen Alterthum der Griechen kommen dergleichen vor, wovon besonders der Ion des Euripides ein Beweis ist, welcher nur durch die ihm beigefügte Kiste als ein Sohn der Kreusa wiedererkannt wird. Dort enthält dieselbe ein feines Gewand, in welches eine Medusa gewebt und von Schlangen umgeben ist, eine goldene Halskette durch zwei in einander verschlungene Drachen gebildet, und einen Kranz vom attischen Oelbaum. In unserem Stücke sind diese Krepundien nicht genannt; desto genauer sind sie im Schiffbruch des Dichters aufgeführt, wo es ihrer eine ganze Menge gibt. Es werden uns genannt ein kleines goldenes Schwert, in welches der Name des Vaters der Tochter eingegraben ist, ein kleines zweischneidiges Beilchen, gleichfalls von Gold, mit dem Namen der Mutter, eine kleine Sichel, zwei kleine in einander verschlungene Hände, ein kleines Schwein von Silber, und eine goldene Bulla. S. Schiffbruch 4, 4, 112–127.
Daß dereinst die Mutter um so leichter dich erkennen kann.
(zu Haliska)
Nimm, Haliska, nimm das Kästchen; poche keck an jene Thür!
Sage dort, ich lasse bitten, daß sich Jemand unverweilt
Aus dem Haus zu mir bemühe.

Alkesimarchus. (tritt in einiger Entfernung auf, ein Schwert in der Hand)
                                                  Nimm zu dir mich auf, o Tod,
Deinen Freund, der dein begehrt!

Silenium. (ihn erblickend)                     Weh, weh! Wir sind des Todes, Mutter!

Alkesimarchus. Stoß' ich rechts in meine Seite, stoß' ich links das Schwert hinein?

Melänis. (zu Silenium)
Was gebricht dir?

Silenium.                     Siehst du nicht Alkesimarchus mit dem Schwerte?

Alkesimarchus. (sich selbst ermuthigend)
Was beginnst du? Säumst du noch? Verlaß das Licht!

Silenium.                                                                             Ach, eilt heran,
Daß er sich nicht tödtet!
(sie stürzt auf ihn zu, und fällt ihm um den Hals.)

Alkesimarchus.                     O mein Heil, heilvoller, als das Heil!
Ob ich will, ob nicht, allein du kettest mich an's Leben fest.

Melänis. Wolltest du die Grausamkeit begeh'n?

Alkesimarchus.                                                   Ich habe nichts mit dir,
Bin für dich todt. Diese hab' ich, lasse sie nicht mehr von mir.
Denn ich will sie jezt, bei'm Himmel! ganz mit mir zusammenleimen.
(er ruft in's Haus)
Knechte, he! Wo seid ihr? Schließt das Haus mit Schlössern und mit Riegeln,
Wenn ich sie hineingetragen!
(er nimmt Silenium auf den Arm, und trägt sie in sein Haus)

Melänis. (ihm nachblickend)           Er ist fort, und trägt das Mädchen
Mir davon; ich eile nach, ich will hinein, ihm Alles sagen,
Was geschah; vielleicht gelingt mir's, seiner Wuth ein Ziel zu sezen.

(sie eilt ihm nach, hinter ihr die Sklavin Haliska, die in der Eile das ihr anvertraute Kästchen fallen läßt.)


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