Adolf Pichler
Janos und Jonas
Adolf Pichler

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wenn du von einem lieben Freund scheidest, drückst du ihm die Hand, siehst wohl noch vor dem Hause nach seinem Fenster empor, und denkst dabei an die vielen Stunden, – seien sie nun heiter gewesen oder voll Trauer, denn letztere bindet treue Herzen noch mehr, – an die vielen Stunden, die du mit ihm verbracht. Ähnlich gestimmt fühle ich mich stets im Spätherbste. Ich habe Tage und Wochen im Hochgebirge verlebt, manchen Schweißtropfen vergossen, manchen Stein losgeschlagen, manch holdes Blümlein, wie's drunten nicht wächst, gepflückt; der Sturm hat mich gezaust, der Donner umdröhnt, der Regen überschüttet, und der liebe Sonnenschein dann getrocknet und erfreut; ich habe manches würdige, mir bisher 120 unbekannte Berghaupt kennen gelernt, und manches altbekannte neuerdings begrüßt: jetzt ist das frische Grün, vom Reif versengt, einem tiefen Braun gewichen, aus dem hier und da ein blaues Glöckchen nickt, über den bunten Flechten krystallisieren die Wolkenbächlein zu Eis, und die höchsten Riesen haben die Stirne mit der blanken Krone von Schnee umzogen, – ja, es ist Zeit, zu scheiden! Da wähle ich dann gern den Morgen eines sonnigen Tages, unter meinen Füßen knistert der Reif und ich steige empor zu einem Gipfel, von dem aus sich eine weite, herrliche Rundschau öffnet. Der Hirt ist mit der Herde abgezogen, ein gelber Schmetterling, welcher vertrauend der Luftströmung nach oben gefolgt, flattert um meine Stirn, wär er drunten geblieben bei Astern und Zeitlosen, hier ist er einsam wie ich . . . . so lebt denn wohl, ihr geliebten Alpen, lebt wohl mit dem Sommer . . . auf Wiedersehen!

Ich hatte heuer zu meinem Abschiede die Serlos gewählt, jenen dreigipfeligen Berg, dessen steile Kalkschrofen sich hinter Mieders 121 erheben. Auf dem Rückweg über die Wände lockte mich hier und da eine Versteinerung, ich hämmerte manches los, auch das Abschiedsgeschenk sollte nicht ausbleiben: der Zahn eines Reptils, wie bisher in den Alpen kein ähnlicher entdeckt worden, winkte aus einem Blocke. Mit größter Sorgfalt meißelte ich ihn los, welche Freude! Fast so groß als wie dort, wo mir meine Braut das erste Sträußchen bot.

Mein Steig führte an der Waldrast vorüber. So heißt eine Wallfahrt in der westlichen Mulde des Gebirges. Einst stand hier ein großes Kloster, dessen viele Mönche kaum den Andrang der Beichtlinge genügten, jetzt flüstern die Föhren von den alten Tagen, und statt durch gestickte Fahnen weht der Wind durch die Tangeln der Lärchen, die der Herbst in Gold verwandelt. Das Kirchlein ist noch gut erhalten, auf dem Hochaltar prangt eine Mutter Gottes und reicht dem Kinde den Apfel. Dieses Schnitzwerk hat nicht viel Wert, es ist noch mit einem geschmacklosen Purpurrot, dessen Borten gewiß nicht viel kosteten, vermummt: 122 das stört jedoch die Andacht des Volkes nicht. Das schönste sind prachtvolle blonde Locken, die unter dem breiten Diadem, überdeckt von kantigen Platten farbigen Glases, hervorquellen. Welche Mädchenstirn mochten sie einst umspielt haben? Vielleicht hat sie der Tod abgeschnitten, vielleicht – – doch wozu Vermutungen, die sich gar zu einem Roman ausspinnen ließen, hätten wir es darauf angelegt, nur zu unterhalten, ohne Wahres zu erzählen. Jenes Bild in der Kirche ist angeblich auf einem Baumstamm gewachsen, fromme Hirten erhielten 1487 den Auftrag, eine Kapelle zu bauen als besondere Gnadenstätte, die sich Maria erkoren. Sie zog, so lautet die Sage, auf einem Esel ein; der Stein, über den sie ritt, ist noch mit einem Kreuze bezeichnet. Balde, der Horaz des Jesuitenordens, hat die Waldrast in einer wohlgefügten lateinischen Ode besungen.

Mehr als das Bild und die häßliche Kirche in ihrer verzopften Renaissance zogen mich die vielen Votivbilder an, eine Kulturgeschichte im kleinen, aber in so bestimmten und deutlichen 123 Zügen, daß man sich wundern muß, warum sie bis jetzt niemand ausgebeutet. Ich will die verschiedenen Arme und Beine, Pferde, Schafe und Ochsen aus Wachs nicht aufzählen, die Wunder, die hier geschehen, nicht staunend wiederholen; die gottlose Welt außer den frommen Tiroler Bergen würde es doch nur bespötteln. Mir fiel vor allem eine Drehorgel auf mit der Inschrift: Ex voto Janos und Gertraud Szalai 1860. Janos Szalai war offenbar ungarisch – Gertraud – den Namen tragen Tiroler Mädchen gar oft; wie kam das zusammen, wer hängte die Drehorgel auf?

Wo für den Herrgott die Kirche steht, baut der Teufel das Wirtshaus daneben; das Wirtshaus hatte jedoch diesmal nicht der Teufel, sondern der Servitenorden gebaut und mit gutem Wein versorgt, wie das ja Pflicht christlicher Nächstenliebe war. Ich ging in die Stube und ließ mir ein Seidel Roten einschenken; auf meine Frage nach der Drehorgel wußte mir die Kellnerin, die erst vor kurzem hier eingestanden, wenig mehr zu sagen, als 124 daß sie ein Müller aus Ungarn, der im Kriege arg verstümmelt wurde, in die Kirche gestiftet. Das war allerdings noch rätselhafter, indes ging mich die Sache nichts an, und ich erinnerte mich, daß ich meine Steine durcheinander in die Blechbüchse geworfen hatte, ohne sie zuvor in Papier einzuwickeln. Dazu war jetzt Zeit. Ich holte sie Stück für Stück heraus, blies den Staub ab und legte sie in Reihen auf den Tisch. Nun griff ich nach einem Pack Papier. Wie erstaunte ich aber, als ich ihn öffnete und statt der Blätter unseres »Tirolerboten«, den ich wegen seines bequemen Formats gern für solche Zwecke aufspare, einige Dutzend Heiligenbildchen fand: schmutzig, halbausgeschnitten, zum Teil stellenweise mit Farben bekleckst. Ich pflege sonst derlei Dinge nicht mitzuführen, – es war ein Streich von meinem Söhnlein. Tags zuvor hatte ich den kleinen Schelm getroffen, wie er seine Kunstschätze auf dem Sofa auslegte, um an die Puppen seiner Schwestern Gemälde zu verkaufen, und ihn ob der Unordnung, die er angerichtet, gescholten. 125 Er packte später die Bilder zusammen, schlug sie in Papier ein und steckte das Paket, um es recht gut aufzubewahren, in des Vaters Blechbüchse. Bei den wichtigen Dingen, an die er begreiflicherweise zu denken hatte, vergaß er darauf. Die Kellnerin lachte und meinte scherzend, ich sei mit meinem Barte ein verkleideter Kapuziner, der herumklettere, um Senner mit Bildern zu beschenken. Ich legte ihr das Paket hin; sie möge sich ein Stück aussuchen. Ihre Wahl fiel auf den heiligen Georgius, der im goldenen Panzer den Drachen durchstach, daß aus der Wunde, wie aus dem Spund eines Weinfasses, ein dicker Blutstrahl emporschoß. Nun faltete ich das Papier sorgfältig wieder und legte es in die Büchse.

Es war Zeit, zu gehen. Ich bezahlte meine Zeche und fragte die Kellnerin, ob ich ihr vielleicht im Thal drunten ihren Schatz, den Georg grüßen sollte. Sie sah mich verlegen an, die Frage mochte ihr wohl, weil der Pater Salesi, der hier den Kirchendienst besorgt, nicht weit seitab stand, ungelegen sein.

126 »Gut getroffen, nicht wahr?« sagte ich, »drum soll man über verkleidete Kapuziner nicht spotten.«

Ich überließ sie dem Nachdenken über meine Bekanntschaft mit ihrem Georg und stieg den Berg hinab.

Erst später fiel mir ein, daß mir vielleicht der Pater über die Drehorgel hätte Auskunft geben können; ich mochte jedoch nicht mehr umkehren.

Nach einigen Wochen traf ich die Kellnerin zu Innsbruck: mittlerweile war ihr ein Licht aufgegangen, wie ich Kenntnis von ihrem Georg erhalten, aber auch ihrem Dienstherrn über den schmucken Burschen, der oft bei Wind und Wetter von Matrei heraufstieg und weit seltener die wunderbare Mutter Gottes als die Kellnerin besuchte. Man fand ein derartiges Verhältnis mit der Heiligkeit des Ortes nicht recht verträglich, das Mädchen, dem ohnehin vor dem Winter auf diesen Höhen graute, nahm Reißaus und suchte einen bequemern Dienst.

Sie erzählte mir nun, daß sie den Pater 127 um die Drehorgel gefragt, weil sich gar manche Gäste nach diesem sonderbaren Weihgeschenk erkundigt, Salesi habe jedoch gemeint, die Sache gehe Fremde nichts an, vielleicht sei er williger, mir etwas zu verplaudern.

Ich verließ den Pfad, welcher an den Kapellen vorbei nach Mieders führt, und wandte mich dem Ziegensteige zu, der steil dem Bach entlang in das Thal springt. Brüche, die ich von fern gesehen, ließen manchen Fund hoffen; ich täuschte mich nicht und hämmerte bald mitten in den Platten des bunten Sandsteines, dessen Spaltflächen von glänzenden Flinserln Eisenglimmers überstreut waren. Schnell hatte ich das Säckchen, das ich neben der Blechbüchse trug, mit Handstücken angefüllt. Da ich nicht mehr mitschleppen konnte, mußte ich wohl fort. Die schwere Last über den Bergstock gehängt, schritt ich vorsichtig weiter, bis sich vom Bach ein Kanal abzweigte und das Wasser in eine Holzrinne goß, die, mit Klammern am Schrofen befestigt, abwärts leitete. Im Thal mußte eine Mühle liegen, und bei dieser 128 hoffte ich die Fahrstraße zu erreichen, – sie lag tiefer und ferner, als ich erwartete.

Ich erblickte sie plötzlich durch eine Öffnung des Waldes. Überrascht blieb ich stehen, langsam veratmend betrachtete ich ein Bild voll Licht und Farbenpracht, wie es mir heuer kaum noch begegnet war. Die Sonne neigte sich im Westen dem Amferstein zu, ihre letzten Strahlen trafen das Haus, das Mühlrad flog im Schwung und stäubte helle Perlen, die braune Holzwand, durch welche die Axe ging, leuchtete, als wäre sie schimmerndes Metall. Rückwärts drang der Bach, in weißen Schaum gelöst, aus dem Helldunkel der Felsen, deren Schatten an das Gelb herbstlicher Lärchen reichten, während die Dämmerung den scharfen Gegensatz milderte.

Das Haus war in vollem Einklang mit der Umgebung, so recht, als ob es absichtlich dafür gebaut wäre. Die ausspringenden Winkel waren, wie die Fenster, in denen die Sonne spiegelte, grün eingefaßt, im obern Stock prangten auf dem Gesims allerlei Blumenstöcke mit Reseda, Braunkresse, Astern, Windling, Blutnelken und 129 Rosmarin, die der Bauernbursch so gern auf den Hut steckt.

Die zwei mittleren Fenster waren besonders ausgezeichnet: in einem loderte zwischen Pelargonien die Flamme des Cactus, im andern hingen aus Epheuranken die roten Schoten des Beispfeffers, eines Krautes, das unsere Bauern gar nicht kennen; in Ungarn verwendet man es gestoßen als Paprika zum beliebten Gulaschfleisch.

Vielleicht hatte es sich aus dem botanischen Garten zu Innsbruck auf das Blumenbrett der einsamen Mühle geflüchtet. Über der Thür lächelte, von Schnörkeln umrahmt, im kokettesten Rokokostil eine Maria im blauen Mantel, darunter die Hausnummer 27, rechts der Name Jonas, links Gertraud Danler. Über der Thür zog sich ein Söller mit zierlichem Stabwerk hin, Reben schlangen das vom Reif versengte Gewinde empor, einige Träubchen hingen welk dazwischen, oben am First war eine Scheibe angenagelt mit der Devise: 130

»Zu rechter Zeit
Thut Gott Entscheid.«

Daß sie wacker im Feuer gestanden, bezeugten die vielen Kugellöcher, die der Zieler nachträglich mit Holzzapfen verschlagen.

Das Licht begann an der Mauer zu zittern, fast mußte ich fürchten, das schöne Bild entschwinde wie ein Traum. Alles war ruhig, nur ein Rotkelchen pickte schnalzend an den schwarzen Dolden des Holunders, da sprang plötzlich ein kleines, dralles Mädchen aus der Thüre; die strohgelben Zöpfe flatterten um die roten Wangen und die blauen Äuglein guckten frisch und munter heraus. Als es mich erblickte, öffnete es den Mund, daß die weißen Zähne aus den Lippen hervorblinkten, starrte mich an und rannte eiligst davon.

»Mutter, Mutter,« hörte ich es im Hause schreien, »nimm geschwind den Besen, der lange Mann steht draußen, mit dem Säcklein am Stock, jag' ihn fort, ich bin ja heut brav gewesen.«

Die Bäuerin trat unter die Thüre, das Mädchen duckte sich unter die blaue Schürze 131 und wies mit den Fingerchen auf mich, ängstlich flüsternd:

»Siehst du ihn dort?«

Die Tracht der Bäuerin unterschied sich in nichts von der ihrer Nachbarinnen; daß sie die Mutter des Mädchens war, hätte sie nicht leugnen können. Sie mochte etwa das dreißigste Jahr überschritten haben, fest und wohlgebaut, wie sie war, konnte sie vielleicht auch älter sein, als ihr Äußeres andeutete. Ihr Gesicht trug wesentlich den Typus der Frauen des Thales, und doch fiel einem kundigen Blick allsogleich auf, daß ihre Züge etwas von dem Ausdruck zeigten, den Bildung oder Lebenserfahrung verleiht. Es war nicht jenes stumpfe Gepräge, das die Bauernweiber bei oberflächlicher Betrachtung einander so ähnlich macht.

Sie sagte tröstend zum Mädchen: »Der Herr thut dir nichts.«

»Hast du dich gefürchtet?« fragte ich.

Das Kind erwiderte: »Du bist ja der lange Mann, von dem mir die Mutter erzählt hat, 132 er trägt ein graues Röcklein und steckt die Kinder, die nicht brav sind, in den Ranzen.«

Also der Klaubauf, dachte ich mir und beschloß, in der Rolle fortzufahren.

»Aber ich weiß, du bist brav gewesen; hast du die zehn Gebote Gottes ordentlich gelernt?«

Das Kind begann:

»Du sollst allein an einen Gott glauben< u. s. w. durch »des Nächsten Hausfrau« bis zum Gute desselben.

Ich nahm feierlich meine Blechbüchse von der Schulter, holte den Bilderpack meines Söhnleins heraus und hielt ihn dem Mädchen unter die Augen.

»Weil du alles so gut weißt, darfst du ein Bildchen aussuchen.«

Das Kind klaubte hin und her, endlich wählte es Antonius den Abt mit einem goldenen Heiligenschein und dem Ferkelchen zu seinen Füßen.

»Warum nimmst du denn das?« fragte ich etwas erstaunt.

133 »Weil auf dem Bild so genau unser Schwein im Stall dort gemalt ist!«

Ich mußte über diesen triftigen Grund herzlich lachen und legte noch den Schutzengel bei, damit es eine rechte Freude habe.

Die Bäuerin hörte lächelnd zu, mit dem Herzen des Kindes hatte ich auch das der Mutter gewonnen. Dann eilte sie in das Haus und brachte schnell auf einem Zinnkeller Mohnkrapfen, die noch vom heißen Schmalz brizelten.

Sie bot mir dieselben an, und als ich den Teller dankend zurückschob, rief sie: »Eßt doch, ich weiß wohl, daß Ihr's nicht braucht, allein Ihr sollt's nicht verschmähen, es ist heut Kirchtagsabend, und da schmecken die Krapfen besonders gut!«

Ich nahm einen vom Teller, einen zweiten reichte ich dem Mädchen. Als wir dieselben verzehrten, sagte die Bäuerin: »In der heiligen Schrift heißt es: Geben ist seliger als Nehmen. Nun weiß ich aus Erfahrung, daß das Nehmen, wenn man Elend kaut, zwar recht wohl thut, 134 aber die Bibel hat recht. Nehmt mit Dank und gebt, wenn Ihr es habt!« Sie hatte diese Worte an das Kind gerichtet, wie zur Belehrung, mit einer Wärme des Tones, der nur aus dem Herzen fließt.

Der Schatten legte sich über Haus und Wald, mit einem Geltsgott! eilte ich von dannen.

Da raschelte dort, wo der Weg aufwärts steigt, das dichte Gebüsch von Hagedorn und Birken, welke Blätter fielen nieder, ein Knabe stand mit einem zugeklappten Meisenschlag in der Hand vor mir, er wandte sich nach einem flüchtigen Blick schnell der Mühle zu und verschwand unter der Thüre. Ich stutzte über diese Gestalt; schwarze Augen und schwarze Haare sind in einer Gegend, deren Bewohner von Romanen stammen, noch vor einigen Jahrhunderten welschten, nicht gar selten; – der etwa zehnjährige Junge zeigte zwar einen südlichen, aber keinen romanischen Typus. Das lange geringelte Haar floß in der Mitte gescheitelt von der schmalen Stirn, die Brauen wölbten sich im scharfen Bogen über dem 135 dunkeln, etwas vortretenden Auge, unter der gebogenen Geiernase ein schmaler Mund mit kecker Unterlippe, eine fahle Gesichtsfarbe, – das ganze Wesen war trotz dem Tiroler Gewand fremdartig. Fremdartig, ja! wie die Blumen an den zwei Mittelfenstern, die mir unmittelbar darauf wieder einfielen.

* * *

Die Ferien waren zu Ende; ich hatte so viel zu thun, daß ich vorläufig weder an die Drehorgel noch an die Mühle denken konnte. So recht zu meiner Plage hatte ich den Zahn des vorweltlichen Reptils gefunden, ich mochte sinnen, bestimmen und vergleichen, wie ich wollte, es kam nichts heraus, er ließ sich nirgends einreihen oder unter einen bekannten Namen bringen. Ja, so ein unsystematischer Zahn kann einem Geologen ebensoviel Kummer schaffen, als ein hohler irgend einem Menschenkind!

Ich hatte aus der Universitätsbibliothek einen ganzen Ballen Bücher heimgeschleppt – vergebens! Nichts klappte, nichts paßte. Brummend wie ein antediluvianischer Urbär, 136 – so meinte wenigstens meine Frau – schleppte ich die Last mit Hilfe eines Packträgers wieder hinaus. Als ich an der Jesuitenkirche vorüberging, schlug es zehn; im Gymnasium tönte die Glocke des Schuldieners, um die geplagten Schüler zu befreien; siehe da! sie ergossen sich auch im breiten Schwall aus dem Doppelthore, jauchzend, hüpfend, springend aus Freude ob der Erlösung.

Wie ein Blitz schoß jener Knabe, den ich bei der Mühle gesehen, an mir vorüber, endlich wurde im Hintergrund die kleine Gestalt des Professors Simon sichtbar, er trug seine berüchtigte Dose und bestreute von Zeit zu Zeit mit einer gewaltigen Prise den Brustlatz des alten blauen Tuchrockes.

»Wie geht es, Simon,« rief ich ihm zu, »hast du heuer viele Jungen zu bändigen?«

»Dreiunddreißig,« erwiderte er langsam.

»Wer ist denn jener schwarze Schlingel, der dort zum Brunnen hinschießt, hinaufspringt und aus der vollen Röhre das Wasser in den Mund rinnen läßt?«

137 »Ja wohl, ein Schlingel!« seufzte Simon, »fraß dir der Kerl heut nicht in der Zwischenstunde eine ganze Zwiebel, daß allen die Augen übergingen! Ich habe ihn dafür auch tüchtig mit Hausarrest gebüßt.«

»Hm! er ist vielleicht ein Ungar, ein Kroat oder Slowak, die essen ja Zwiebel als Leibspeise, da hättest du ihn nicht büßen sollen.«

»Ein Ungar ist es allerdings, aber schadet dem Flegel nichts, er hat es sonst verdient.«

»Ein Ungar? wie kommt der ins Stubai?«

»Hast du ihn dort gesehen?«

»Allerdings. und er fiel mir sogleich auf. Wie heißt er denn?«

»Janos Szalai!«

»Janos Szalai!« rief ich erstaunt, »das ist ja der Name an der Drehorgel. Das ist mir interessant. Erzähle mir, was du von ihm weißt.«

»Eben nicht viel mehr!« erwiderte Simon bedächtig, »übrigens scheint mir, Dokterl! du willst wieder eine jener Geschichten zusammenstoppeln, an denen nichts wahr ist, als deine unlöbliche Unterschrift?«

138 »Meinst du, Simon?« erwiderte ich lachend. »Wenn ich nun gar deine werte Person hineinbrächte mit dem ungeheuren Cylinder, den rostigen Brillen und den schrecklichen Kanonenstiefeln? Übrigens bin ich ein Unterländer und du ein Vinstgauer; das Privilegium zu lügen verleiht, wie du weißt, der Volksmund nur den Vinstgauern.«

Er räusperte sich und griff nach der Dose, indes stürzte wieder ein Schwarm Schüler aus dem Thore und trennte uns.

Ich muß gestehen, der Knabe und die Drehorgel erregte meine Neugierde in hohem Grade. Schließlich gab ich der Versuchung nach, einen Ausflug ins Stubai, ja sogar auf die Waldrast zum Pater Salesi zu machen.

An schattigen Stellen lag bereits eine dünne Schicht Schnee, die vom letzten Unwetter, mit dem uns schon der Oktober überrascht, liegen geblieben war; frisch war's und kalt, daß sich der Hauch in der klaren Luft zu Nebel verdichtete. Der Schönberg, über den die Straße der deutschen Kaiser führte, war rasch erklommen, 139 ich blieb ein wenig bei der Zirbel stehen, die Goethe erwähnt, und gedachte seiner, des letzten herrlichen deutschen Kaisers im Reich der Poesie, wie er hier vorüberzog, das Land Italien mit der Seele suchend, so daß er die Schönheit der Gebirge im Hintergrund keiner Aufmerksamkeit würdigte. Und doch öffnet sich hier ein Ausblick über die dunkle Schlucht zu den weißen Gletschern, der selbst den erfahrensten Alpenwanderer immer neu zur Bewunderung auffordert. Die Bauern bevölkern dieses, einem kalten Tod verfallene Gebiet – größer als manches deutsche Fürstentum – mit den Gestalten ihrer Einbildung: Franziskaner und Jesuiten bannen böse Geister in die krachenden Schlünde, aber auch der Humor verirrt sich in diese Wildnis. Jene Eisspitze heißt: der wilde Pfaff, neben ihm ruht auf schwellendem Schneepfühl die Klosterfrau in weißen Linnen. Anstatt die Messe zu lesen, stieg er den Gemsen nach und ging sogar bei den Nonnen fensterln. Eine gab ihm Gehör – es war die heilige Christnacht – Schlag zwölf Uhr trug sie der 140 Teufel im Sturm nach den Gletschern, dort mag ihre heiße Liebe kühlen für ewig.

Das großartige Bild vor mir, in diese Gedanken vertieft, eilte ich vorwärts bis zu dem Feldkreuz, wo sich bei Mieders die Wege teilen. Rechts oder links? In die Mühle konnte ich doch nicht laufen, um wie ein Verhörrichter durch unpassende Fragen die guten Leute in sich zurückzuschrecken, also links.

Es war mir eingefallen, daß im nahen Hause eine alte Bötin wohnte, von der vielleicht mehr herauszuspinnen sein dürfte, als selbst vom Pater Salesi.

Langsam vorwärts schreitend, entwarf ich meinen Kriegsplan. Doch hier, wie oft im Felde, half der Zufall.

Ich wollte sie überfallen, sie hatte mich jedoch längst beobachtet. Plötzlich wurde ihr runzeliges Gesicht zwischen den Zweigen der Eschen am Zaun sichtbar, ihre etwas bärtigen Lippen umfloß ein möglichst süßes Lächeln, als sie mich anredete: »O Gnädiger, sind Sie wieder da, kommen Sie doch, ich habe trefflichen 141 Kirscheler.« Dabei zwinkerte sie so vertraut mit den Augen, als ob sie einen alten Schnapsbruder vor sich hätte.

»Das läßt sich hören,« erwiderte ich, »bringt mir ein Seitl nach Innsbruck.«

»Erst kosten, dann reden!« entgegnete sie und schritt zur Hausthüre. Dort öffnete sie die Schürze, Erdäpfel kollerten auf eine Bank, sie wendete sich wieder an mich: »Das wär' etwas für Ihre Frau, so was kriegt man zu Innsbruck auf dem Platz nicht.«

»Nun gut, so bringt Ihr zwei Staar, aber der Art, wie sie daliegen.«

»Ich prelle niemand, ich prelle niemand,« wiederholte sie gedehnt und öffnete die Stubenthür. Im Schrank stand eine dickbauchige, von Stroh umsponnene Flasche und ein Kelchgläslein daneben. Sie schenkte ein.

Ich kostete. »Ein echter Magentrank!«

»Nicht mehr als ein Seitl?«

»Meinethalb zwei, aber damit genug!«

Nun waren die Geschäfte erledigt, jetzt begann der Klatsch.

142 »Was machen denn unsere Miederer Bübeln zu Innsbruck,« begann sie, »kriegt das vom Landrichter Tribus gute Noten?«

»Denk' schon!«

»Und der Müllerin ihr Bub?«

»Der Müllerin?«

»Nu ja, der schwarze Janos!«

»Der wird sehr gelobt.«

»Da könnt ihm seine Mutter wohl einmal durch mich etwas schicken, macht ohnehin selten ein Geschäft mit mir!«

»Also der schwarze Janos ist der Sohn der Müllerin!« unterbrach ich sie.

»Das haben Sie nicht gewußt,« sagte sie lebhaft, »das ist eine verwutzelte Geschichte, aber ich will sie Ihnen erzählen. Vielleicht ist es für Sie als Professor nicht unwichtig, etwas über die Vermögensverhältnisse des Burschen zu erfahren,« sie blickte mich pfiffig an, »man weiß ja!« –

Ich verstand sie, bezwang jedoch rasch meinen Unwillen und ließ auch nichts davon merken, daß ich zu dem jungen Ungarn als Lehrer in 143 gar keiner Beziehung stehe. Sie erzählte nun mit größter Ausführlichkeit, was sie wußte – und sie wußte viel.

Auch das erfuhr ich, daß Pater Salesi Beichtvater der Müllerin sei und ihre zweite Ehe gestiftet und eingesegnet habe. Übrigens war der Pater bereits wieder in der Stadt, und ich hätte daher Schusters Rappen den Weg ersparen können. Ich suchte ihn später auf, auch hier unterstützte mich der Zufall. Er besaß nämlich eine kleine Mineraliensammlung; ich half ihm dieselbe ordnen und aufstellen, ein Wort gab das andere, so daß die Mitteilung dieses braven, wohlwollenden Priesters die Züge ergänzte, die die spitze Zunge der Bötin nicht zu zeichnen wußte.

Vorläufig sitzen wir jedoch noch in ihrer Stube. Sie geriet vom Hundertsten ins Tausendste, bis ich endlich rasch aufstehend den Faden abschnitt und enteilte.

Ich ging durch das Dorf zum Neuwirt, bestellte mir bei der Kellnerin ein Huhn mit Reis und trottete langsam zur Mühle.

144 Das kleine Mariele mit dem Heiligenschein von blonden Haaren saß auf der Schwelle und spielte mit den roten Früchten der wilden Rose. Als es mich erblickte, lief es eilig in das Haus, um meine Ankunft zu melden.

Die Bäuerin schälte am Tisch Äpfel.

»Mariele hat Euch gleich erkannt,« sagte sie aufstehend, »Ihr seid als grauer Bildermann in guter Erinnerung. Geh hin und gieb dem Herrn das Händchen.«

Das Mädchen gehorchte schüchtern, ich gab ihr etliche gebratene Kastanien.

»Eurem Janos geht es wohl,« wandte ich mich zu der Mutter, »ich hab' ihn frisch und wohlauf gesehen.«

»So kennt Ihr ihn?« rief sie überrascht.

»Der schwarze Bub ist mir aufgefallen, ich habe mich bei seinen Lehrern erkundigt und nur Gutes gehört. Er hat Talent, lernt fleißig und ist rechtschaffen.«

Sie faltete die Hände: »Mein Gott, wird das seinen verstorbenen Vater im Himmel freuen.«

145 »Er ist zwar ein bißchen quecksilbern, das thut aber nichts; nur soll er keine Zwiebeln in die Schule mitnehmen.«

»Gerade wie sein verstorbener Vater,« sagte sie wehmütig, »der mußte auch zu allem Zwiebel haben. Ihr seid wohl ein Professor, weil Ihr Euch so um die lateinischen Buben kümmert!«

Ich bejahte es.

Da ging die Thüre auf, der Bauer trat ein, ein stämmiger Mann in den besten Jahren. Obwohl das linke Auge schielte, was sonst einen Zug von Falschheit verleiht, so machte doch sein breites Gesicht den Eindruck von deutscher Ehrlichkeit und derber Gutmütigkeit. Wie ich später beobachtete, flochten sich über die Stirn die weißen Fasern einer Narbe, wahrscheinlich ein Denkzettel von Raufereien, denn ohne eine solche verfließt selten die Jugend eines wackeren Tirolers.

Die Bäuerin teilte ihm das Nötige über den Gast mit und fügte bei: »Jonas geht es gut, er ist recht brav!«

Seine Züge erheiterten sich: »Da mußt du 146 ihm auch eine Freude machen und zu Weihnachten einen guten Zelten schicken!«

»Ich möchte dem Buben auch etwas thun,« fuhr er fort, »ein paar Gröscheln im Sack wären nicht schlecht, wie soll ich es aber hinausbringen? Mit der Post geht's nicht recht, und zudem erfahren es die Nachbarn; Holz führe ich erst, wenn es einen festen Schlittweg schneit, nach Innsbruck.«

Das war an mich gerichtet. Ich erklärte mich bereit, das Geld zu übernehmen und dem Katecheten Lisch, einem verständigen Freund der Jugend, zu überliefern, damit er Janos als Belohnung oder nach Bedarf manchmal einige Kreuzer spendete. Er sah mich noch einmal mit einem prüfenden Seitenblick an, zog dann die Ösen eines schmutzigen Lederbeutels auseinander und wühlte eine Weile, bis er ein halbes Dutzend der glänzendsten Sechserl herausgeklaubt.

»Man muß Kindern das schönste Geld geben,« sagte er, »das schmutzige kupfrige achten sie weniger und verputzen es gern für allerlei 147 Geschleck. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs!« er zählte sie mir auf die Hand.

»Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs!« zählte ich laut nach, hielt ihm sie vor und steckte sie ein.

Während dieser Verhandlung kam, wie es an solchen halben Feiertagen zu geschehen pflegt, Besuch; ein Bauer mit seinem Weib, anständige, behäbige Leute. Die Bäuerin stellte sie mir als Schwager und Schwester vor. Man hätte schwer gethan, die wahre Verwandtschaft zu erraten, und den fuchsroten Mann mit den Sommersprossen eher für den Bruder als für den Schwager, dagegen die schwarzhaarige, schwarzäugige Schwester eher für die Schwägerin gehalten.

Im Dorf läutete es zwölf, ich erinnerte mich, daß mich Neuwirts Nanni mit dem gebratenen Huhn erwartete, und verließ, nach einem herzlichen Abschied, auf baldiges Wiedersehen die Stube.

Liebe, Eintracht, Sanftmut und Heiterkeit hatten in der einsamen Mühle von Vallrup nicht immer gewohnt. Der Alte, der von 148 hier vor einigen Jahren in die Ewigkeit abgefahren war, stand im schlimmsten Rufe, und es ist vielleicht nicht zu viel gesagt: er war noch schlechter als sein Ruf. Ziemlich jung kam er aus Leutasch, einem Dörflein an der bairischen Grenze, dessen Bewohner als Wilddiebe und Schmuggler hart an der Linie des Verbrechens hinstreiften und sie wohl auch, wenn kein Zeuge gegenwärtig war, als die Tannen des Waldes, unbedenklich überschritten, ins Stubai gewandert. Keck und verwegen, trotzig und rauflustig war er selbst in der Leutasch so anrüchig, daß niemand zu ihm hielt. Im Jahre 1809 hatte er manchen Franzosen weggeblitzt; man munkelte aber noch Schlimmeres, er habe Deserteure, die als geborene Tiroler in ihre Heimat flüchteten, um an der Seite ihrer Landsleute zu fechten, unter dem Schein, ihnen den Weg zu zeigen, auf Felsen geführt, in den Abgrund gestoßen und ausgeraubt. Wenigstens fehlte es ihm nie an blanken Thalern, und galt es, ein Mädel zu verlocken, so ließ er auch Gold blinken. Das Raufen gab er auf, als 149 er einmal einem Bauernburschen den Arm abgeschlagen hatte und beim Gericht zu Telfs nach längerer Haft, wofür er die Kosten tragen mußte, nicht nur vom Haselstock ein tüchtiges Trinkgeld erhielt, sondern dem Beschädigten auch noch über hundert Gulden Schmerzensgeld zahlen mußte. Freilich genoß dieser das Geld nicht lange, er wurde als Schafhirt von einem abrollenden Stein zerschmettert, was mancher nicht glauben wollte. Die Gestalt des Alten machte einen unheimlichen Eindruck. Ich erinnerte mich seiner gar wohl, wie er einmal nach Absam zum Bognerwirt kam. Langsam schlich er in den Garten, das schwarze Auge unter den borstigen Brauen musterte unstet die Gäste, das schneeweiße Haar hing tief in die Stirn, als sollte es die Ränke verhüllen, die dort auskochten. Die breite Unterlippe zeigte einige Narben, im Zorn pflegte er sie zwischen die Zähne zu klemmen. Der Kopf steckte tief zwischen den Schultern, ein Höcker drückte ihn nach vorwärts. Den hatte er sich im Wald geholt. An Feiertagen, wo die Mühle stand, 150 ging er nämlich wildern, um den Advokaten, die er bei seinen zahlreichen Prozessen benötigte, kein Geschenk kaufen zu müssen. Da überraschte ihn einmal der Forstwart, als er ein Gemslein niedergebrannt hatte; im Rohr war kein Schuß mehr, er mußte fliehen, stolperte über eine Wurzel und verletzte sich an einem Ast die Rückenwirbel. Diesen Höcker nannten die Armen, denen er nur, wenn es Bauernbrauch forderte und dann höchstens eine Handvoll mulmiges Mehl gab, des Teufels Schatzkästlein, wo er die Schuldzettel für die Hölle niederlege. Der Müller war übrigens zu Absam nicht gut gelaunt, er zankte mit der Kellnerin um einen halben Kreuzer und humpelte, ohne jemand zu grüßen, über die Felder davon. Später erfuhr ich, er sei wallfahrten gewesen und habe beim Pfarrer einige Messen bestellen wollen, sei aber von diesem, weil er als frommen Zweck angab, die Muttergottes möge dafür die Getreidepreise steigen lassen, zur Thüre hinausgejagt worden. All die Anekdoten über die raffinierte Art und Weise, wie er die Leute zu 151 prellen pflegte, will ich nicht wiederholen. Dem Lohnkutscher Knoll verkaufte er einen Stock Heu, unter dem er eine hohle Kammer angebracht hatte. Bei Gericht half es ihm freilich nicht, daß er angab, er habe nur gesagt, dieses Heu koste zwanzig Gulden, ohne das Gewicht zu bestimmen. Er wurde trotz des für den Advokaten gestohlenen Gemsbockes in eine tüchtige Geldstrafe verfällt. In solchen Fällen rannte er wie ein wildes Tier im Hause herum, teilte Püffe und Schläge aus, schloß sich abends früh in die Kammer ein und machte den Heiligen bittere Vorwürfe, daß sie ihn trotz manches schönen Opferkreuzers in der Klemme gelassen hatten. Den Bauern ist die Religion oft nichts anderes als eine Geschäftssache mit dem lieben Herrgott: nach der juridischen Formel do ut des! Man macht die Ceremonieen mit, zählt am Paternoster die Ave, empfängt den Beichtzettel als Wechsel an den heiligen Petrus und blickt auf jeden, der das nicht thut, mit dem heuchlerischen Hochmut des Pharisäers und dem stillen Hintergedanken: »Ich schau einmal vom Himmel aus 152 zu, wie dich der Teufel in der Hölle mit glühenden Zangen zwickt'« Alles ist äußerlich und handelsmäßig, wo nicht der Aberglauben die Arabesken seiner Mystik um die Tage der Woche schlingt und aus einem Boden, den der heilige Tau der Poesie weit seltener befruchtet, als manche Freunde des Volkes wähnen, hie und da eine phantastische Blume lockt. Überdies ist die Verfolgung Andersgläubiger sehr wohlfeil, Fluchen und Beten geht aus einem Munde, warum sollte man nicht eine Sprosse der Jakobsleiter erklimmen? Die Religion ist für solche Leute mit dem Kultus, den sie als einträgliche Sonntagsarbeit des Priesters betrachten, erschöpft und überzieht nur die Roheit mit einem gleißenden Firnis, ohne sie zu bändigen, während echte Bildung mit echter Sittlichkeit stets schwesterlich Hand in Hand geht, so daß man sich fast zu dem Aphorismus bekennen möchte: Echte Bildung ist echte Sittlichkeit. Doch gelangt auch mancher Bauer, in dem Erfahrung des Lebens angeborene Tugend reift und weiht, aus sich zu einer Harmonie 153 des ganzen Wesens, die wohl als Ziel und schönste Blüte seines arbeitsvollen Daseins gelten darf.

Da fragt man denn wohl, welche Stellung der Müller zu den Nachbarn einnahm. Keine schlechte, und das ist wieder für die bäuerlichen Verhältnisse charakteristisch.

Der Mann steigt in der Achtung mit jedem Stück Feld, das er erwirbt, mit jedem Paar Ochsen, das er zu Markte treibt. Der Durchschnittsbauer ist ein Geldprotz; wie albern, von modernem Materialismus zu faseln, als ob der Stolz auf einen Acker, den man erschachert, die heimliche Freude daran besser wäre, als der Stolz und die heimliche Freude, wenn man eine Aktie in feuerfeste Kassen legt. Geiz und Habgier sind so alt als die Menschheit, sie sind unter Umständen ein Hebel, der die Menschen vorwärts schiebt.

Der Müller wog schwer, er hielt auf den Bauernstand und zum Bauernstand. Die Bauern fühlen sich als ein zusammengehöriges Ganzes; trotz dem Groll des einzelnen gegen den einzelnen 154 schließen sie sich fest aneinander, der Nachbar betrügt den Nachbarn aus demselben Grund nicht, warum der Fuchs die Hühner um seine Höhle nicht frißt.

Unser Leutascher war als Knecht gedingt; Arbeitskraft empfahl ihn dem Vater, ein munteres Wesen und eine hübsche Gestalt der einzigen Tochter. Er hatte Geld, sich zu putzen, bald erhob er zu ihr den Blick, er wagte zu fensterln und wurde nicht abgewiesen, – es traten Umstände ein, die jedes Bedenken niederschlugen. So lang der Schwiegervater lebte, hielt er schlau zurück, kaum hatte dieser die Augen geschlossen, so war er Herr und die guten Tage der Frau zu Ende. Sie litt Unsägliches von seiner Roheit, seinem gemeinen Geize, der, wie die Bauern sagen, die Mäuse molk und der Laus den Balg abzog. Kaum daß er ihr den Unterhalt gönnte, jeden Bissen vergällte er ihr durch seine Aufpasserei, seinen giftigen Argwohn, auf ihre Thränen antwortete er mit Hohn und der Drohung mit dem Ochsenziemer. Nur ihre zwei Töchterlein hielten sie zurück, sonst 155 wäre sie vom Erbe ihrer Väter barfuß fortgelaufen.

Das sollte jedoch besser werden. Der Müller lieferte einem Beamten zu Innsbruck das Mehl, das dieser nicht immer regelmäßig bezahlen konnte, so daß stets eine laufende Schuld à conto stand. Der Beamte wurde vom Flecktyphus befallen und erlag demselben. Der Müller drang auf Exekution und erhielt die Kleider des Toten zugesprochen. Bei einem Versuch, sie an einen Trödler loszuschlagen, merkte er, daß er hier weniger erhalte, als wenn er sie gelegentlich selbst verschachere. Er schlang sie in ein Bündel und warf dieses in den Leiterwagen. Auf dem holperigen Wege schob er es hinter das Sitzbrett und benützte es als Rückenlehne. In der Eile, sich der Sachen zu bemächtigen, hatte er sie gar nicht waschen lassen, der ekle Dampf drang in seinen Körper und vergiftete ihn. Bald zeigten sich die Folgen der Ansteckung, er verlor die Lust an Speise und Trank und mußte sich niederlegen, ohne nun zu seinem größten Leidwesen den Gang 156 der Mühle überwachen zu können. Der Arzt schüttelte bedenklich den Kopf, man rief Geistliche, einen nach dem andern, keiner wurde mit dem verstockten Sünder fertig. Da erinnerte sich eine alte Base an den Pater Benizi, der gerade einige schöne Sommertage zu seiner Erholung im nahen Bade zu Medraz verbrachte. Pater Benizi ist jetzt längst schon Staub und Asche, allein sein Andenken wird noch verehrt, jeder Zug, den man von ihm erzählt, bestätigt seine edle und große Natur, der zwar das Gift der Schlange fehlte, aber nicht die Klugheit derselben. Niemand verstand es so wie er, harte Sünder zu zermalmen, dann emporzuziehen mit der sanften Hand der Liebe und durch strenge Buße versöhnend hinzuweisen auf die unerschöpfliche Barmherzigkeit Gottes.

Man holte ihn in einem Einspänner, es war jedoch zu spät, der Kranke raste schon. Angstvoll saß das Weib am Bett, sie wußte die Worte, die er bald stammelnd, bald laut schreiend ausstieß, nicht zu deuten, mit Grauen hörte sie der erfahrene, seelenkundige Priester 157 und hieß alle sich entfernen: er werde diese Nacht in der Stube zubringen. Die Tobsucht milderte sich, der Kranke duselte bewußtlos fort, bis die Kraft seiner Natur die Ansteckung bezwang. Er genas langsam, um sein früheres Leben fortzusetzen. Die Treue, mit der ihn sein oft mißhandeltes Weib gepflegt, rührte ihn wenig, das war ja ihre verdammte Schuldigkeit, er fluchte über das Honorar der Ärzte, ein Bader hätte es wohlfeiler gethan, er knauserte noch mehr als früher, denn man müsse einholen, was verschleppt und gestohlen worden, man habe ihn fast zum Bettler gemacht.

Da ließ ihn der Pater Benizi holen. Der Müller hatte ihn nie gesehen: aus seinen Delirien stand ihm nur eine hohe, schwarze Gestalt, mit langem, weißem Barte vor der Erinnerung, der er keinen Namen zu geben wußte. Diese Gestalt trat ihm jetzt plötzlich entgegen.

»Der Herr hat dich aus dem Rachen des Todes gerissen, wie willst du ihm danken?«

Rasch fuhr der Müller in den Sack, zog 158 einen ledernen Beutel und nahm etliche Zwanziger heraus. »Mein Hauswesen,« sagte er bitter, »ist zwar durch die Krankheit zurückgekommen, und mein Weib – –«

»Schilt dein Weib nicht,« sagte der Priester streng, »denn sie ist gut und recht; daß sie mit dir gesündigt, dafür hat sie Gott gestraft, weil er dich ihr zum Mann gab!«

»Nu, man kann mir doch nichts Unrechtes nachweisen?« rief der Müller und warf sich hochmütig in die Brust.

Ein Blick des Priesters, der in die Tiefe seiner Seele drang, machte ihn verstummen.

Er legte die Zwanziger auf den Tisch. »Bitte, geweihte Kerzen zu kaufen und eine heilige Messe zu lesen.«

Der Priester schob das Geld zurück: »Gott will nicht das Opfer des Sünders, sondern seine Besserung, Gott läßt sich nicht mit Geld bestechen, an welchem Thränen und Blut kleben.«

Frech und trutzig blickte ihn der Müller an.

»Erinnerst du dich,« sprach der Priester leise, »an jenen jungen Deserteur aus dem 159 Pusterthal? – Siehst du, so faltete er die Hände und bat dich mit Thränen: ›Laß mir das arme Leben, ich bin der einzige Sohn meiner Eltern und möchte sie noch einmal sehen.‹ Du stießest ihn über den Felsen!«

Der Müller stammelte erblassend: »Das war ein bairischer Soldat und 1809 – –«

»Es war ein Deserteur,« fuhr der Mönch leise fort: »Erinnerst du dich an jenen Förster, den du angeschossen, daß er sich nicht mehr wehren konnte? Du knietest ihm auf die Brust, er bat dich um Christi willen, du sollest sein Weib nicht zur Witwe machen und seine Kinder zu Waisen. Du grubest die Finger in seine Gurgel und erwürgtest ihn, daß er dich nicht verrate.«

Entsetzt brach der Müller in die Knie.

Nun erhob sich der Greis in voller Majestät und zog ihn bei der Schulter zum Fenster, riß dieses weit auf und rief mit Donnerstimme: »Dort ist das Landgericht, dort der Platz, wo man den Galgen zimmert, und unter dir der feurige Abgrund der Hölle.«

160 Der Mönch erschien dem Müller wie ein überirdisches Wesen, vertraut mit geheimnisvoller Offenbarung, er knickte zusammen und erbot sich weinend und wimmernd zu einer Generalbeichte, die für immer unter dem Geheimnis des Sakramentes ruht.

Er kam nach Hause, nicht als innerlich umgewandelter Mensch, nicht gezähmt, sondern gefesselt wie ein Raubtier, das die Stimme des Wächters fürchtet.

Der Pater besprach sich noch heimlich mit der Müllerin; verfiel der Mann in seine frühere Unart, so brauchte sie ihn nur zu warnen: »Du, denk' an den Benizi!« und es war wenigstens der äußere Schick hergestellt.

Die gestohlenen Jahre des Glückes, all die getäuschten Hoffnungen und stillen Qualen konnten der Armen nichts ersetzen, sie begann zu kränkeln und verschied, ehe sie noch ihre Gertraud und Vroni zu Jungfrauen aufblühen gesehen. Es war gut, daß sie der Benizi überlebte. Wohl mochte es sein Einfluß bewirkt haben, daß das Vermögen der Mädchen unter 161 andere Vormundschaft als die des Vaters gestellt wurde, und dieser eine alte Verwandte als Wirtschafterin berief.

Hatte denn der Müller gar keine Liebe zu den Kindern?

Wie die Natur in Tieren gute und böse Eigenschaften mischt, so auch im Menschen, nur soll er jene veredeln und diese durch die Kraft eines sittlichen Willens bezwingen, sonst bleibt er im Guten und Schlechten eben nur ein Tier. Der Müller liebte seine Kinder leidenschaftlich, das hinderte jedoch nicht, daß er sie, wenn sie ihm nicht zu willen waren, mißhandelte und wo möglich verkürzte. Seine Ausrede war, er spare ja doch nur für sie.

Vroni wurde einmal krank, da sah man ihn auf dem harten Steinpflaster der Waldrast knieen und Rosenkranz um Rosenkranz mit hastiger Lippe murmeln; als man ihm riet, einen Arzt aus der Stadt zu holen, wies er den Vorschlag unwillig zurück, die Muttergottes helfe billiger. Das Mädchen genas auch.

162 Zu rechter Zeit legte sich die Wirtschafterin ins Mittel.

Ein böses Weib zwingt den Teufel, warum nicht auch einen Müller? Sobald sie den zahnlosen Mund öffnete, um zu keifen, und ihre grelle Stimme, begleitet vom stechenden Blick der grauen Augen, zu schallen begann, nahm er Reißaus wie die Philister vor der Trompete von Jericho. Er hätte sie auf den Mund geschlagen, aber sie allein konnte die Salbe kochen, die bei Witterungswechseln seine Rückenschmerzen linderte; hatte er sie beleidigt, so ließ sie ihn heulen und zappeln, bis sie ihm endlich unter einer furchtbaren Predigt auf Bitten der Töchter half. So wurde der stolze Müller, welcher der ganzen Welt eine Nase zu drehen vermeinte, der Sklave eines alten Weibes.

Sie besaß ein gutes, redliches Herz, das sie freilich nicht auf der Zunge trug, weil angeborner Verstand und reife Erfahrung sie längst gelehrt hatte, daß dieses nur die Narren thun.

Ihr übergab der Vormund das Geld zur Ausstattung der Mädchen, und mochte der 163 Müller auch knurren, sie waren stets nicht bloß nett und sauber, sondern auch so gekleidet, wie es den reichen Erbinnen von Vallrupp ziemte. Nach städtischem Putz und bunten Flittern verlangten sie nie. Im Stubai wohnt kein schöner Menschenschlag, die Jungfrauen, welche ich jüngst hinter dem Muttergottesbilde in Prozession vorüberwandeln sah, hatten solche Essiggesichter, daß es mich nicht wundern würde, wenn das Freien aus der Mode käme. Gertraud und Vroni konnten wenigstens als hübsch gelten, als Schönheiten.

* * *

Der Nikolausmarkt gehört zu den lustigsten Erinnerungen meiner Studentenzeit. In zwei langen Reihen zogen sich die Buden den Stadtplatz hinan, wo wir Knaben mit Wonne all den bunten Kram betrachteten, der im hellen Licht der Laternen und Ballons so glänzte und schimmerte, als hätt' ihn wirklich der Heilige vom Himmel geschickt; ach, wie herrlich wär es gewesen, die kleine Bronzekanone zu besitzen 164 und droben auf dem Spitzbühel abzufeuern! Nun, wir hatten entweder kein Geld oder zu wenig, und begnügten uns mit den Schleckerln; wer eines geschickt zu schnipfen wußte, war auch ein Held.

Als Lehrer am Gymnasium besichtigte ich später mit einigen Kollegen ebenfalls den Nikolausmarkt, um die Rangen etwas im Zaum zu halten, wenn auch nicht gerade zu strafen; hatten wir es doch getrieben, wie sie! Gefallen wollten mir die Sachen freilich nicht mehr so wie früher, der Markt ist auch in Abnahme, weil das liebliche deutsche Christkindl den welschen Nikolaus mit seinem fürchterlichen Klaubauf aus den Familien verdrängt; dafür beobachtete ich das Leben und Treiben der Volksmenge und erfreute mich an manchen Scenen, die den besten Genremaler der Mühe des Erfindens überhoben hätten. Ein solcher Auftritt ist mir noch vor Augen, er hängt mit unserer Geschichte zusammen. Handwerksbursche und Lehrlinge treiben viel Unfug; sehen sie ein Frauenzimmer ohne männliche Begleitung, so 165 drängen sie sich auf Verabredung plötzlich um sie, schmieren ihr Ruß ins Gesicht oder hängen ihr Puppen an und stoßen sie dann mit wildem Gejohle hin und her, bis ein Polizeidiener oder eine mitleidige, derbe Faust die Geängstigte befreit. Ich stand neben dem Stadtturm, plötzlich hörte ich wüstes Geheul und schrilles Pfeifen, ein Bauernmädchen wurde von den Schlingeln mißhandelt, zornig und resolut gab sie den Frechsten tüchtige Ohrfeigen, machte aber die Sache nur schlimmer. Schon wollte ich ihr mit dem Rohrstock zu Hilfe eilen, da sprang ein riesengroßer ungarischer Grenadierkorporal mitten ins Gedränge, teilte Püffe aus, warf den einen bei den Ohren, den andern bei den Haaren auf die Seite und pflanzte sich gewaltig wie Sankt Christoph neben das erschrockene Mädchen. Ehe sie ihm noch danken konnte, rief eine heisere Stimme aus einem nahen Hause: »Wo bleibst denn, du Gans?«

»Ich hab' für Vroni ein paar Bänder gekauft,« antwortete sie, indem sie den Grenadier scheu anblickte.

166 »Geh, gieb mir d' Hand, Madel?« flüsterte dieser, »wo bist denn daheim?«

Da trat der Vater unter die Thüre, sie eilte schnell davon.

Der Ungar warf ihr einen Blitz seiner dunkeln Augen zu, besann sich, den schwarzen, spitzen Bart streichend, eine Weile und schloß sich dann einem Trupp Kameraden an.

Das war das erste Zusammentreffen von Janos Szalai und Gertraud Neuner.

In Vallrupp ging alles wie bisher, die Mühle klapperte, der Alte knurrte, und die Wirtschafterin keifte, der Winter verfloß unter der gewohnten Beschäftigung, nur brach Gertraud beim Spinnen hie und da der Faden, und der Vater schalt manchmal wegen Gedankenlosigkeit. Mit den Veilchen kamen die Schwalben, die Amsel schlug im jungen Buchenlaub, Gertrauds helle Stimme klang wieder durch den Wald, doch sang sie andere Weisen als früher; das bekannte Lied: »Es ist bestimmt in Gottes Rat!« mag sich wohl nur zufällig ins Stubai verirrt haben.

167 Der Müller wurde immer bresthafter, er hätte am liebsten sein Weib im Grab gescholten, daß sie ihm keinen Knaben geboren, um die Stelle des Knechts zu versehen. Lange sträubte er sich; erst nachdem er sich überzeugt, daß ihn die Wirtschafterin mit Salben und Pflastern nicht mehr zusammenflicken könne, und auch das Geld für Messen kein Wunder wirkte, hielt er Umschau und dingte endlich einen jungen Menschen, der bereits zu Pleben die Stelle des Schaffners versah und sich des besten Rufs erfreute. Beim Lohn mäkelte er um jeden Pfennig, der Knecht machte keine Schwierigkeiten, er lächelte vor sich hin, als ihn jener auf ein Drittel dessen, was man zu zahlen pflegt, herabgedrückt hatte und ihn im stillen für einen Esel hielt, den er hübsch dran gekriegt, um ihm für Disteln schwere Säcke aufzuladen. Jonas war ein schlichter ehrlicher Mensch mit einer guten Dosis gesunden Menschenverstandes, den er als Bursche unter verschiedenen Meistern anzuwenden gelernt hatte. Er hatte den Hof des Vaters verlassen, so lang 168 dieser stark und rüstig war, weil es ihm, wie er sich ausdrückte, zu Haus nicht mehr recht fein dünkte, obwohl ihm niemand etwas in den Weg legte, und die Mutter ihre Nudeln ebenso schmalzig kochte, wie jede andere Bäuerin. Die Sehnsucht, in der Welt sich umzutummeln, hatte ihn fortgetrieben, die Sehnsucht nach der Heimat führte ihn, nachdem er sich die Hörner abgestoßen und den neunundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, wieder zurück. Auf dem Wege leuchtete ihm das freundliche blaue Auge Gertrauds, er dachte daran, sich einen eigenen Herd zu gründen, sei es nun, daß er auf der Mühle bleibe, und Vroni ausheirate, oder umgekehrt, wo er dann mit seinem Vermögen ein kleines Gütchen gekauft hätte, um Gertraud dort ins Nestlein zu setzen.

Der Müller hatte sich daher getäuscht, als er sich heimlich ins Fäustchen lachte, daß er einen tüchtigen Knecht so spottwohlfeil gewonnen; der kam und diente nur um Gertraud.

Jonas hatte alles klug überlegt, die Grundlage für sie und ihr eheliches Glück sorgsam 169 geprüft, jeden Kreuzer für Einnahmen und Ausgaben berechnet, nur das Herz des Mädchens nicht.

Derlei Herzen sind freilich oft inkommensurable Größen.

Sie plauderte gern mit dem wackern Burschen, dankte ihm freundlich für jeden Blumenstrauß; als er sie einmal um eine Nelke von ihrem Stock bat, pflückte sie ihm dieselbe und befestigte sie an der Hutschnur.

Seine Freude kannte keine Grenzen.

Er trank nach der Vesper – es war Sonntag – einen Schoppen mehr, fest entschlossen, abends die Sache zum Austrag zu bringen. Ein Ringlein von Steinbockhorn, welches die Treue verbürgt, eingefaßt mit goldenen Streifen und geschlossen von zwei Herzen aus Granat, um die sich ein Kränzchen blauer Vergißmeinnicht schlang, hatte er zu Innsbruck eingehandelt und trug es sorgsam in Papier gewickelt in der Tasche.

So kehrte er zur Mühle zurück. Auf der Höhe, von der man den First des Daches erblickt, schnalzte er ein paarmal mit der Zunge und pfropfte einen hellen Juchezer drauf, um den 170 Mut zu steigern. Gertraud hörte ihn erstaunt, so etwas war sie von dem nüchternen Burschen nicht gewöhnt.

Als er sie bemerkte, wurde er plötzlich kleinlaut; er machte sich darüber Vorwürfe, hatte er doch mit allerlei Menschen verkehrt und sogar mit dem gnädigsten Prälaten von Fiecht, der doch ein dicker Herr mit einer Goldkette um den Hals war, ohne Zagen geredet!

Endlich raffte er sich zusammen, er trat vor sie hin:

»Guten Abend, heut' ist schön Wetter!«

»Freilich, Jonas.«

»Gott sei Dank! In der vorigen Woche hat es auf der Saile geschneit.«

»Und bei dir heut ein bißchen geblitzt,« sagte sie scherzend.

»Nimmst mir's etwa gar übel, daß ich heut' ein Seitel Roten auf deine Gesundheit getrunken?«

»Danke dir, der Wirt hat ja auch für dich Wein im Keller. Sei es dir herzlich vergönnt.«

»Hm! wenn ein Reif kommt, erfrieren die Rüben.«

171 Sie sah ihn lachend an.

»Kreuzdonnerwetter, schau mich nicht an, sonst weiß ich kein Wörtlein mehr, und ich hab' doch mit dir etwas Wichtiges reden wollen.«

»Brauchst was, so weißt du, daß ich dir gern aushelfe.«

»Ja freilich, Gertraud, brauch' ich was.« Er zog das Ringlein heraus. »Siehst du die zwei Herzen darauf? Eines ist das meinige, und da thät halt das deinige gut dazu passen, so mitten unter die Vergißmeinnicht.«

Sie schwieg betroffen, ohne das Ringlein, das er ihr reichte, anzunehmen.

»Bin ich dir zu schlecht?« fragte er verlegen.

»Gewiß nicht.« rief sie rasch, »ich weiß dich zu schätzen, aber – –«

.,Aber – –« er trat einen Schritt zurück, »du kennst doch meine Verhältnisse?«

»Ein braves Mädchen kann mit dir zufrieden sein.«

»Und du? Doch du willst nachdenken! Mit dem Alten hoff' ich in Ordnung zu kommen.«

172 »Nein,« entgegnete sie mit Wärme und faßte ihn bei der Hand, »du bist zu brav, als daß man dich herumziehen sollte. Ich kann dir mein Jawort nicht geben, denn zur Ehe gehört ja die Liebe!«

»Die Liebe,« rief er erstaunt, »die Liebe! du hast gewiß die herrischen Bücher gelesen, die den Fräulein die Köpfe verrücken – – –«

»Liebst du mich denn nicht?« fragte sie leise.

»Von ganzem Herzen:'« rief er und legte beteuernd die Hand auf die Brust.

»Und ich soll dich heiraten ohne Liebe?«

Er sah sie groß an, sein Auge wurde feucht: »Gertraud, verwirf mich nicht! Die Zeit ändert des Menschen Sinn, und ich will dienen um dich, wie Jakob um Rahel, und wär's sieben Jahre!«

Sie schüttelte das Haupt.

»Warum nicht! Liebst du einen andern?«

Erschrocken fuhr sie zusammen und verhüllte das Gesicht mit den Händen, als fürchtete sie, er sehe in ihr Inneres.

»Warum mußt du mich lieben,« rief sie nach einer Pause, »warum mich, du wärst mit meiner Schwester vielleicht glücklicher!«

173 »So liebst du glücklich.« sagte er kleinlaut.

Ein Strom von Thränen brach aus den Augen des Mädchens.

»Nun weiß ich, daß du deinen Sinn nicht mehr änderst, wenn du aber auf der Welt einen treuen Freund brauchst, so versprich, daß du ihn bei mir suchest.«

Er bot ihr die Hand, sie drückte sie heftig.

Stumm ging er in das Haus, das Ringlein war ihm entglitten und zu Boden gefallen, sie hob es auf; es ihm zurückzugeben, wagte sie nicht mehr. –

Der Seelenzustand Gertrauds bedarf keiner Erklärung. Sie besuchte wohl hie und da mit dem Vater die Stadt, schmucke Grenadiere begegneten ihr genug, aber nie Janos, den Namen desselben wußte sie nicht, wie hätte sie sich also erkundigen können?

Hatte Janos' Erscheinung auf sie einen tiefen Eindruck gemacht, so legte sich die Aufregung doch allmählich, bis die Werbung ihr Herz erschütterte und das Bild des frischen Ungarn im Gegensatz zu dem schlichten 174 Knechtlein lebhaft vor ihre Erinnerung zauberte. Die Frage, ob sie ihn heiraten wolle, hatte ihr Herz getroffen und ihr zum Bewußtsein gebracht, daß sie innerlich schon gebunden sei, ohne ein Wort gegeben zu haben. Unter andern Voraussetzungen hätte sie vielleicht wie so viele Bauernmädchen nach einigem Zögern und Sperren Jonas geheiratet, jetzt wär' ihr dieses nicht möglich gewesen, wenn sie auch nie den Gedanken einer Verbindung mit Janos hegen konnte, ja fast die Hoffnung, ihm wieder zu begegnen, aufgegeben hatte. Daß sie die Werbung des Ferstl Rochus, der seinen Anspruch darauf gründete, er habe so viel Kühe im Stall wie ihr Vater, spröde, ja geringschätzig abwies, bedarf keiner Erklärung.

Auch der Müller wog diese Gründe, und ihm schienen sie nicht so staubleicht, wie seiner Tochter, er schalt sie oft bitter, wenn sie den zudringlichen Burschen derb abschnalzte, und drohte ihr mit einem Plätzlein auf dem Sterzinger-Moos, wo bekanntlich alte Jungfrauen den 175 Mücken Strümpfe stricken und mit den Fröschen zu Ostern Alleluja singen. Gertraud erwiderte ihm höchstens: »Ledig gestorben, ist auch nicht verdorben,« und ging dann schweigend zur Thüre hinaus.

Aber auch noch ein anderer Freier meldete sich: der himmlische Bräutigam. So wenigstens behauptete der hochwürdige Ignazi, der wahrscheinlich von Engelstimmen den Auftrag erhalten hatte, für den Herrn Jesus zu werben.

Diesem lag das Seelenheil des Nebenmenschen eben so an, als dessen Börse, aus der er nur zu gern Peterspfennige oder Beiträge für Kirchenschmuck kitzelte. Freilich wußte er genau zu unterscheiden, und so sprach er mich, als er mich vor etlichen Jahren abends müde im Wirtshause zu Wattens traf, zwar um keinen Kreuzer an, machte jedoch den drolligen Versuch, mich zu bekehren. Vergelt's ihm Gott, obwohl es nicht anschlug! Eher kannst du einen Mohren weiß waschen, als so einen wetterbraunen Geognosten zurechtbringen, der mit Hammer und Kompaß durch das große Haus 176 der Welt stolpert, ohne dem Herrn auch nur die Visitenkarte zu schicken! Ich schmücke mich nicht gern mit fremden Federn, und so bestätige ich hiermit, daß diese gelungene Phrase aus dem Mund Ignazis stammt. Er hatte übrigens bereits vor dem Essen, wie mir der Wirt unwillig erzählte, ein gutes Geschäftlein gemacht. Seine Nachbarin, eine alte Jungfrau, war verschieden, nachdem er ihr vorher noch den letzten Gang dadurch erleichtert hatte, daß er sie dahin gebracht, ihr Hab und Gut der Kirche zu vererben – ohne Rücksicht auf arme Verwandte. Bei der gerichtlichen Verhandlung hielt er den schluchzenden Vettern und Basen, die im Gedanken schon Kühe und Felder verteilt hatten und nun leer ausgingen, eine bewegliche Rede und zwar ohne Bezahlung: wie die verstorbene Lisel nun zu höchst droben neben der Muttergottes sitze und nur warte, um dem heiligen Petrus zu winken, daß er jedem aus der Gemeinde Wattens den Himmel sperrangelweit aufthue.

Doch Ehre, dem Ehre gebührt.

177 Die Verleumdung darf nicht einmal flüstern, Ignazi habe von den Summen, die er für kirchliche Zwecke erbettelte, erschlich, erschwindelte, nur einen roten Heller für sich verwendet. Er fühlte sich als Glied eines großen Ganzen und lebte und webte in diesem und für dieses große Ganze.

Ignazi war ein auserkorenes Rüstzeug. Wie herrlich stand er vor der Katholikenversammlung zu Innsbruck, daß rauschender Beifall seinen Thaten und Worten lautes Zeugnis gab. Wie beredt schilderte er die Not des heiligen Vaters! Aus den tiefliegenden Augen rannen Thränen auf die magere Wange und von da durch die lange Furche um den Mundwinkel auf das blaue Perlkoller; Nasenspitze und Lippen zuckten in schmerzlicher Erregung. Wie der Chor der Furien antwortete das Schluchzen der Betschwestern auf der Galerie, und gar manche gelobte für acht Tage nur die Hälfte der Kaffeebohnen zu rösten, um etliche Kreuzer mehr in die römische Blechbüchse werfen zu können.

178 Spöttelt nur darüber.

Herr Ignazi hat keinen vernünftigen Menschen gerührt, seine Rede war überhaupt nur auf die Armen im Geist berechnet, hier erschloß sie aber ein Silberäderchen, und das geschieht unter gleichen Verhältnissen auf der ganzen Erde; die Silberäderchen rinnen zusammen, und ein reicher Strom fließt nach Rom, wo ihn die Kurie wuchern läßt ad majorem Dei gloriam und so fort ins Unermeßliche.

Herr Ignazi litt aber an einer Schwäche, die wir bald kennen lernen, und vielleicht knüpft ihn gerade der Umstand, daß er so oft die mütterliche Verzeihung der Kirche bedarf, um so fester an diese. Diese Schwäche hinderte ihn nicht, brünstig auf violette Strümpfe zu hoffen und zu erwarten, daß er als tapferer Streiter endlich damit belohnt werde. That er doch alles, um sie zu verdienen! So stiftete er einen Jungfernbund: die Mädchen trugen eifrig zu einer Statue der unbefleckten Empfängnis bei.

Wir haben natürlicherweise dabei kein Arg: 179 schaut ihn nur an den frommen Ignazi, ist er nicht ein Bild der Askese, wenn er, das rotgeschnittene Brevier unter dem dürren Arme, mit Spindelbeinen den Häusern entlang huscht, die Knixe der Frauen und die Handküsse der Kinder empfängt und wie eine Hummel den Rosenkranz brummt – vielleicht für eine sündige Magdalena.

Nachdem wir ihn vorgestellt, kehren wir zu unserer Geschichte zurück.

Ignazi war damals Kooperator in einem nahen Dorfe und hatte bald die Mühle entdeckt. Als er den Alten und die Tochter in der Kirche sah, witterte er, daß er hier den Hebel ansetzen könne, um in der einen oder anderen Richtung etwas zu gewinnen; Betschwestern, die in jeden Topf gucken, bestätigten, als er sie vorsichtig ausholte, seine Ahnung.

Der Müller saß nachmittags gern ein Stündchen an der Sonne und blies dabei Wolken von Lauskraut, das er im Gärtchen nebenan gebaut, in die Luft.

Anscheinend ganz harmlos spazierte der Herr 180 Kooperator vorbei, er that, als ob er den Müller, der bereits die Hand an die alte, schmutzige Zipfelkappe legte, nicht bemerke, und schaute starr zu dem Bilde ober der Thüre empor.

»Gelobt sei Jesus Christus!« rief er plötzlich, »hätt' Euch bald nicht gesehen, so gut hat mir die Muttergottes ober der Thür gefallen. Schon recht, wenn die Bauern ihre Schwelle mit solchen Gemälden segnen und schützen, schon recht, dann kommt nichts Böses hinein.«

Der Müller war ehrerbietig aufgestanden.

»Niedersitzen, niedersitzen,« sagte Ignazi sanft und drückte ihn mit der rechten Hand auf die Bank, »ein so alter Mann soll nicht stehen. Ist's gefällig?« Er zog eine ungeheure schwarze Dose, auf deren Deckel prächtig lackiert der heilige Aloysius mit dem Lilienstengel prangte.

Das that dem Müller, der von Geistlichen nicht immer so viel Herablassung erfuhr, wohl, er faßte eine gewaltige Prise und schnupfte mit großem Behagen in mehreren Absätzen. Dann stand er auf, nahm die Mütze ab und lud den 181 Hochwürdigen ein, in die Stube zu treten. Wie staunte Gertraud, als er ihr befahl, ein weißes Tuch auf den Tisch zu decken und Brot aufzustellen, er selbst nahm aus dem fest versperrten Schrank eine Flasche doppelt destillierten Branntwein und füllte ein geschliffenes Gläschen bis zum Goldrand.

Ignazi nippte. »Thät' einem gleich zu Kopf steigen. Ein schönes Kruzifix dort in der Ecke! So ist's recht, so soll es in christlichen Haushaltungen sein!« Er schielte bei diesen Worten nach Gertraud. »Das Töchterl? ja wohl.« Er wandte sich zum Mädchen. Sie zog die Hand fast erschrocken zurück, als er sie mit den feuchten Fingern berührte.

»Ist halt ein Bauerntrall,« murrte der Alte, »die nicht weiß, wie man einen solchen Besuch ehrt.«

»Behüte Gott,« unterbrach ihn Ignazi, »ein solcher Vater hat nur brave Töchter.«

Er empfahl sich bald mit einem demütigen Gruß. Den Fuß hatte er im Hause, das übrige sollte die Zeit reifen.

* * *

182 Auf der Wiese bei Mieders blühten schon einzelne Zeitlosen; die Schnitter banden abends die letzten Garben unweit des Kreuzbüchels, Gertraud hatte ihren Leuten Brot und einen Krug saure Milch zur Labung gebracht. Der Vater ruhte im Schatten des Kirschbaumes, der seitwärts an der Lehne steht. Die Fülle des Weizens war so groß, daß die Wagen unter der Last knarrten, er meinte jedoch, in seiner Jugend hätten die Äcker mehr getragen, weil man dort mehr und fleißiger gebetet.

Seine Betrachtung wurde durch den einförmigen Takt einer Trommel unterbrochen, auf der Straße in der Richtung gegen Schönberg glitzerten Musketenröhre, bald wurden in einer Staubwolke die weißen Röcke der Grenadiere sichtbar.

Gertraud erschrak, daß ihr Herz klopfte.

»Heilige Dreifaltigkeit,« rief der Alte und ging langsam an den Zaun, »da kommen ja gar Soldaten an, für ein Manöver ist's noch zu früh, das wär' doch schrecklich, würden die Fresser im armen Stubai einquartiert.«

183 Die Dirnen schauten von der Arbeit auf, sie warfen die Rechen weg und stellten sich neugierig hinter den Müller. Je näher die Kompagnie heran marschierte, desto mehr freuten sie sich auf die schlanken braunen Ungarn, von deren Lustigkeit und Leichtigkeit beim Tanz man so viel geschwatzt. Die Burschen schauten mißtrauisch auf die flotten Uniformen, mancher griff mechanisch nach dem Schlagring in der Tasche, denn das konnten sie sich an den Fingern abzählen, daß ihnen die Gäste in den Hag geraten würden.

Mürrisch brummte der Müller: »Käm' das hochwürdige Gut, ihr hättet es nicht so eilig, schaut zum Zeug.«

Die Dienstboten machten sich wieder zu thun, doch war kein rechter Ernst dabei.

Gertraud hatte den Befehl des Vaters überhört, weil sie den barschen Ton längst gewohnt war. Die ersten Rotten schritten vorüber, sie musterte Mann für Mann, da . . . der war's, er kannte sie, seine ernsten Züge erheiterten sich, und mit der Hand grüßend, rief 184 er: »Grüß Gott Madl, bist auch da! Grüß Gott!«

Sie sah ihn mit großen Augen an, ohne eine Antwort zu finden . . . der Zug war vorüber. Nun stürmten die Mädchen auf sie los: »Deswegen bist du so gern nach Innsbruck, du Falsche, du hast also schon einen?« Und eine Flut von Fragen ergoß sich über die Geängstigte, von der nun auch der Vater Auskunft über die saubere Bekanntschaft mit einem Kamaschenhupfer forderte.

Sie erzählte kurz das Zusammentreffen auf dem Nikolausmarkt, die Freundinnen zupften einander ungläubig an der Schürze; wie hätte sich der prächtige Korporal von dort her noch erinnern, und gar so vertraut grüßen können?

Gertraud schloß sich, ohne ein Wort zu sagen, den Schnittern an, die in das Dorf eilten, um dort das Neueste zu erfahren.

Richtig! Einquartierung!

Der Hauptmann marschierte mit drei Zügen weiter, um die Mannschaft in Telfes, Vulpmes, Medraz und Neustift unterzubringen, Janos 185 blieb als höchster Kommandierender zu Mieders und erhielt die Bollette zum Neuwirt. Der Müller wurde diesesmal übergangen, da er von früher einige Köpfe auf Rechnung hatte.

Gertraud hatte Mühe, den Sturm ihres Herzens zu verbergen; kaum den Löffel aus dem Mund, stieg sie über die Treppe in die Kammer. Sie konnte nicht schlafen, doch flossen die Stunden vor ihrem brennenden Auge schnell vorüber.

Hinter dem hohen Glungezer stieg der Mond auf, die Gletscher schimmerten, und die Verklärung des Friedens floß über die ruhige Herbstlandschaft. Plötzlich zitterte ein leiser Ton durch die Luft, weich und eigentümlich, ähnliche Töne schwebten näher, schwebten ferner, es war wie Musik und doch nicht Musik, sie horchte und dachte an Geisterstimmen, dann aber, ihres Aberglaubens spottend, öffnete sie das Fenster und beugte sich hinaus.

Eine hohe Gestalt trat aus dem Dunkel – sie starrte hinab,. es war Janos: »Schlaf 186 wohl, Gertraud,« flüsterte er, »schlaf wohl!« und verschwand.

Wie manche Ungarn, namentlich die Zigeuner, ein Virtuos auf der Maultrommel, hatte er ihr mit diesem sonderbaren Instrument ein Ständchen gebracht.

Sie griff an die Stirn, ob sie wache; frisch wehte sie die Nachtluft an und ihr Herz jubelte: »Er liebt mich. Er liebt mich!«

Ein einziges Gefühl wogte durch ihre Brust, beherrschte Hirn und Sinne: »Er liebt mich!«

Noch wachte sie, bald sollte sie träumen, ihr Auge schloß sich – wer so träumen könnte, wie sie. O, daß sich der Himmel nur in stiller Nacht zu uns niedersenkt, entweder führt er uns dann mit seinen Sternen hinaus über uns selbst in die selbstlose, ewige Unendlichkeit oder er zaubert in unsern stummen Schlaf die Bilder eines Eden, welche die Sonne mit ihrem Strahl, wie mit einem Flammenschwerte zerstört.


Die Kreuzspinne läßt einen Faden fliegen, er hängt sich an ein Zweiglein, sie hakt sich 187 ein und klettert daran empor, wirft neue Fäden und verwebt sie, dann setzt sie sich in die Mitte des Netzes und wartet ruhig: die Beute rennt von selber in das fast unsichtbare Garn, verstrickt die Glieder und wird ohne Anstrengung ausgesogen.

So that auch Ignazi, den der Alte bald als Muster von Heiligkeit bewunderte. Trotz der Ehrfurcht, die Tirolermädchen vor schwarzen Röcken und langen Stiefeln anerzogen wird, wichen diese doch mit einer gewissen Scheu aus.

Ignazi fand sich nicht selten ein, er spähte jeden Winkel aus und kümmerte sich um jede Kleinigkeit, daß es endlich selbst der Wirtschafterin auffiel, und diese die Warnung nicht unterdrücken konnte: »Der bringt uns noch Unheil unters Dach.«

»Du bist halt ein argwöhnisches Mensch,« eiferte der Müller zornig, »du suchst andere hinter dem Ofen, weil du selbst dahinter hockst.«

»Nu,« erwiderte sie schnippisch, »mit dir bin ich weiter nie hinterm Ofen gesessen, und 188 Sankt Fuchs, dein neuer Heiliger, taugt auch nicht zu mir. Übrigens, gesagt hab' ich's, gehört hast du's, thu' wie du willst, ich werde aufpassen und wie der Hase mit offenen Augen schlafen.«

»Herr bin ich im Hause!« fuhr der Alte auf.

»Ja, es sieht darnach aus,« entgegnete sie und schlug die Thüre hinter sich zu.

Ignazi redete mit dem Alten oft über die unvergängliche Herrlichkeit des Himmels, für die man alles Gold der Erde wie Kot hinwerfen solle, um sie zu kaufen. Der liebe Herrgott sei gnädig, jede Spende an seine Braut, die heilige Kirche, schreibe er in das goldene Buch des Lebens, das der Engel auf dem Totbett den Sterbenden entsiegle und ihnen zu ewigem Trost vorhalte. »Gieb der Kirche den Staub, den du doch nicht ins Jenseits schleppen kannst, und sie nimmt den Schlüssel, den ihr Christus übertragen, zu binden und zu lösen, sie schließt das Grab auf, nicht damit du dort vermoderst, sondern als Thor, das zu den Jubelchören der Engel 189 führt, welche dir die Palme des Glückes überreichen!«

So rief er pathetisch, das Auge starr nach oben, als sähe er die himmlischen Scharen den Arm erhoben, als griffe er nach der Palme.

Der Müller schwieg, nach einer Pause legte er eine Fünferbanknote auf den Tisch, damit Ignazi für ihn Messen lese.

Dieser nahm das Geld mit den übertriebensten Ausdrücken des Dankes, er hatte jedoch etwas anderes gewollt. –

Die Geieraugen des Müllers wurden nach und nach schwächer, sie röteten sich von leichten Entzündungen, eines der zahllosen Übel des Greisenalters. Ignazi erfuhr es. Als der Alte klagte, sagte er mit der Zuversicht des Wunderthäters. »Da kann ich helfen!« Er schlug das Brevier auseinander und überreichte ihm ein schönes Bildchen. Es stellte eine Nonne mit goldenem Heiligenschein vor, sie trug ein Buch, auf welchem zwei Augen lagen! »Dies ist die heilige Ottilie,« fuhr er fort, »der Trost der Blinden; betet abends andächtig zu ihr, 190 wascht die Augen mit kaltem Weihwasser, und es wird gut. Das ist ein Gnadenbronnen, wie viele danken ihm das Licht.«

Der Müller betrachtete das Bild aufmerksam.

»Hab' ich doch nie von dieser Heiligen gehört!«

»Nie?« rief Ignazi erstaunt, »wirklich nie? So geht's, wenn die Katecheten in der Schule nicht ihre Pflichten thun. Vernehmt und erzählt es auch Euern Töchtern. Die heilige Ottilie war die Tochter eines englischen Grafen, sie ein Muster jeder Tugend und Frömmigkeit, er ein Ausbund teuflischer Laster. Sie redete ihm oft mit kindlicher Liebe zu, er möge sich bessern, er schlug ihr jedoch mit der Faust auf den Mund und häufte Sünden auf Sünden, bis endlich die Wage voll war und ihn der Erzengel Michael in den Abgrund stieß, wo die Verdammten heulen und zähneklappern. Ottilie gedachte mit Angst und Schrecken des Schicksales ihres Vaters. Voll Inbrunst betete sie nachts. Da würdigte sie Gott einer Offenbarung. Der Boden schwand vor ihren Füßen, 191 der Schlund der Tiefe that sich auf, blaue Flammen züngelten empor, der Unglückliche lag auf glühendem Rost, Teufel schlugen die ehernen Krallen in sein Fleisch – – –«

Den Müller überlief eine Gänsehaut.

»– – – er winselte: ›Mein Kind, mein Kind, hilf mir!‹ Dabei streckte er die Hand nach dem Rande des Zimmerbodens, er zischte allsogleich in Flammen auf. ›Mein Kind, mein Kind, hilf mir! bete für mich, thue Buße für mich, daß ich aus dem Ort der entsetzlichen Qual frei werde!‹ Ottilie sank ohnmächtig auf den Boden. Als sie des Morgens erwachte, sah sie auf der Diele die Hand des Vaters eingebrannt. Und was that sie? Sie entsagte den Lockungen dieser Welt, stiftete mit ihrem Erbe ein Kloster und wurde die erste Äbtissin desselben. Sie legte den Stachelgürtel nie mehr ab, schwang beständig die Geißel, fastete, betete und weinte Tag und Nacht, bis sie blind wurde. Darum ist sie die Patronin der Blinden.«

»Und ihr Vater?« fragte der Müller mit Spannung.

192 »Nach sieben Jahren hatte sie wieder ein Gesicht. Diesesmal öffnete sich die Decke der Zelle, himmlische Musik drang in ihr Ohr, helles Licht umfloß sie, und wen erblickte sie droben auf einer der höchsten Stufen der Seligkeit? Ihren Vater, der sich dankend zu ihr herabneigte. Ottilie wurde nach ihrem Tode heilig gesprochen und feiert nun an der Seite ihres Vaters das Lamm Gottes.«

»Ist das möglich,« rief der Müller erstaunt, »daß ein Kind den Vater aus der Hölle losbetet?«

»Wenn es in das Kloster geht, – ja! und sich für den Vater opfert! Zweifelt nicht, ein Zweifel an den Wundern der Kirche ist eine Todsünde, schwerer als jede andere, eine Todsünde, die kaum Verzeihung erlangt.«

Den Kopf auf den Arm stützend, schwieg der Müller, der Kooperator überließ ihn seinen Gedanken und empfahl sich mit seinem gewöhnlichen Gruß.

Nach einigen Tagen fand sich der Alte mit Gertraud zufällig allein. Er benutzte die 193 Gelegenheit und redete sie an: »Was hast du denn eigentlich im Sinn? Willst du den Rochus, der ein hübsches Anwesen hat, heiraten oder nicht?«

»Nein!«

»Das ist kurz genug! Ich kann dich nicht zwingen, denn die Häuserin meint . . . . . Wenn du übrigens auf einen verwunschenen Prinzen wartest, dürftest du vergebens warten.«

»Die Sache hat ja noch Zeit genug!«

»Ja ja, so redet man, wenn man jung ist; wird man alt, dann hat's Zeit. Ich möchte nur wissen, wie ich mit dir daran bin und ob du glaubst, es müsse alles nach deinem eigensinnigen Kopf auslaufen?«

»Ich habe ja nichts verlangt.«

»Das will ich dir auch nicht raten,« brummte er; doch schnell stimmte er den Ton milder. »Wie wär's, wenn du in ein Kloster gingest? Das könnte mir und dir ewiges Heil schaffen, und die Gemeinde hätte gewiß die größte Freude. Du sagst nicht ja und nicht nein. 194 Meinetwegen, überleg' dirs, das Dümmste wär's aber nicht!«

Das Gespräch hatte vorläufig ein Ende. Gertraud hatte allerdings nicht ja und nicht nein gesagt – aber still an Janos gedacht.

Dem Alten schien sein Plan nicht ohne Aussicht des Gelingens. Doch plötzlich stieg ihm ein Bedenken auf, er fragte Ignazi, wie viel man denn einzahlen müsse, wenn ein Mädchen in ein besseres Kloster gehe.

»Nichts, gar nichts,« erwiderte dieser, an das reiche Erbe denkend, »Mädchen wie Euere Tochter nimmt man überall mit offenen Armen auf.«

Das ist bekanntlich nicht der Fall, die meisten Klöster fordern eine große Ausstattung, und daß ihnen der Nachlaß des Ordensgliedes nicht entzogen werde, dafür ist gewöhnlich auch gesorgt.

Ignazi verließ den Alten und trat in den Garten. Die Mädchen begossen ihre Blumen und freuten sich an den duftenden Gelbveigelein, welche die Pflege mit üppigen Blüten lohnten. 195 An einem Tisch saß die Häuserin und betrachtete den Herrn mit mißtrauischem Auge.

»Schöne Blumen, prächtige Blumen? Ich weiß aber einen Klostergarten, wo sie zu Füßen der unbefleckten Maria noch besser gedeihen!«

»In dem Klostergarten,« unterbrach ihn die Alte, »wird wohl eine andere Sonne scheinen und feinerer Regen fallen als hier.«

Er sah sie giftig an und sagte langsam: »Gott segnet die Seinen.«

Die Mädchen schenkten ihm keine Aufmerksamkeit und überließen ihn dem Gespräch mit Gretl. Gertraud ging mit der Gießkanne an ihm vorüber, er klopfte ihr leise auf die Schulter. »Das wär' halt ein Klosterfrauele, das wär' ein Klosterfrauele, da hätte das liebe Jesulein eine Freude, wie einst über die heilige Agnes.«

Gertraud wußte nicht, was sie antworten sollte; das übernahm die Alte: »Jedem Lappen, Hochwürdiger, paßt nicht jede Kappen. Meine Baselen werden den Weg zum Himmel schon treffen, und ich mein', wenn sie in der Welt gut thun, hat das Christkindl auch keinen Verdruß.«

196 Der Hochwürdige wandte das Gespräch auf andere gleichgültige Gegenstände und verließ die Gesellschaft, die bei seinem Abschied offenbar frisch aufatmete.

»Ihr wißt,« begann die Base, »daß ich euch immer Ehrfurcht gegen die Geistlichen gepredigt habe, bei dem fällt mir stets der Wolf im Schafspelz ein. Laßt euch von ihm nie allein betreffen. Jedenfalls muß ich mit dem Benizi reden, daß er ihm den Steig verlegt. Vorläufig laßt niemand etwas merken.«

Diese Andeutung verschärfte den Widerwillen der beiden Mädchen noch mehr, so daß sie beschlossen, ihm überall auszuweichen.

Er wählte den Weg um die Mühle, wo der Alte gerade einen Mehlbeutel mit Stiften festnagelte.

»Schon heim?« rief er dem Hochwürdigen zu.

»Muß heute noch das Brevier und einen Psalter beten. Wie lang habt Ihr Euere Häuserin?«

»Sie ist vor drei Jahren zu Jakobi eingezogen.«

197 »Vielleicht wäre es für Euer Seelenheil besser, wenn Ihr eine fromme Klosterschwester ins Haus nähmet, ich kann aus Freundschaft für Euch die Sache in Ordnung bringen.«

»Pst!« flüsterte der Müller, den Finger auf der Lippe, »Pst!« und sah sich ängstlich um, ob es die Alte nicht höre.

»Es käme auch viel wohlfeiler,« bemerkte der Geistliche leise, »solche Schwestern thun ja alles aus Liebe Gottes!«

»Das gäb' ein fürchterliches Geheul von den Mädeln.«

»Erinnert sie an das vierte Gebot!«

Der Müller schüttelte bedenklich den Kopf.

»Vielleicht schickt Gott eine Gelegenheit, die alles ins Gleiche bringt!«

Im Haus wurden schwere Tritte hörbar; das Wasser, das abgestaut in den Graben floß, stürzte auf die Mühlräder und setzte sie in Schwung, Jonas trat aus den Gang, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei.

Der Geistliche betrachtete ihn prüfend, dann flüsterte er leise: »Ein schöner Bursch, ein 198 schöner Bursch. Gebt acht, daß Ihr nicht den brennenden Zunder ins Stroh legt.«

Der Knecht bemerkte das Zwiegespräch und beugte sich grüßend über den Söller, Ignazi bot dem Alten scheinbar gleichgültig eine Prise und entfernte sich.

* * *

Der wackere Korporal hatte indes manche Fensterpromenade ohne großen Erfolg ausgeführt, er konnte Gertraud, die seinen Gruß stets freundlich erwiderte, nie allein treffen. Schon nahte der Kirchtag, der Neuwirt hatte vom Bezirksamt bereits die Erlaubnis, bis zwölf Uhr nachts tanzen zu lassen, mochte nun der Pfarrer scheel sehen oder nicht.

Diesesmal war ein Widerspruch nicht leicht möglich, denn die Garnison wollte den Kirchtagstanz zum Dank für die gute Aufnahme und zu Ehren ihrer Wirtinnen besonders festlich einrichten. Die Gärten wurden ihres letzten Schmuckes beraubt, vor den Thüren saßen bärtige Soldaten, denen Buben und Mädchen Blumen und Tannenzweige zutrugen, beschäftigt, 199 lange Guirlanden zu flechten und mit Streifen bunten Papieres zu umwinden. Das hatte Janos selbst ausgewählt und eingekauft, aber noch wichtiger schien ihm in der Kunsthandlung Groß zu Innsbruck etwas anderes. Die Ladenmädchen mußten ihm verschiedene Sorten Briefpapier vorlegen, keines war ihm schön genug, bis endlich aus einem Schranke ein neues Heft geholt wurde. Wie schimmerten die Ränder von Gold, Vergißmeinnicht, Rosen, Veilchen und Nelken, zwischen denen Amoretten herumkugelten und mit Pfeil und Bogen nach brennenden Herzen zielten! Vergnügt strich er den Bart und zahlte den verlangten Preis.

Schon hatte er die Klinke in der Hand, da verfinsterte sich sein Gesicht, es fiel ihm ein, auf das Papier gehöre etwas, und bisher hatte er nur Kompagnietabellen, Rapporte und Berichte über Kommißbrot, wenn auch in zierlichster Schrift, verfaßt. Die Mädchen kicherten, weil sie seine Not errieten.

»Ist vielleicht ein Briefsteller gefällig?« fragte Rosa und reichte ihm einen.

200 Er setzte sich auf das Stühlchen hinter der Glasthüre und begann zu blättern. Nach einer Weile schnalzte er mit den Fingern, er hatte ein Muster gefunden, so reich an Blumen, Herzen und Amoretten, wie die Zeichnung seines Papieres; das paßte ihm.

Er versprach, das Buch sorgfältig zurückzusenden, und erhielt es geliehen. Zu Mieders schrieb er den Brief ab: die Anrede mit Karmin und Fraktur, die erste Zeile in Kanzleilettern, und dann Kursivschrift.

Voll Selbstzufriedenheit, denn welches Mädchen sollte dieser Bombe widerstehen? – siegelte er, schrieb die Adresse: »An die ehrsame und tugendhafte Jungfrau Gertraud Neuner Fräulein Tochter in Vallrupp« und schickte einen Soldaten mit den nötigen Erläuterungen.

Dieser fand Gertraud bei einem Beete, wo sie gerade Zwiebelröhre schnitt. Er stellte sich am Gartenzaun steif aufrecht, salutierte und begann:

»Korporal hat sie mich an Madel geschickt, soll geben ihr diesen Brief!«

201 Er zog ihn aus dem Stulp des Rockärmels, überreichte ihn und salutierte wieder.

Gertraud zitterte vor Freude, die Buchstaben tanzten vor ihren Augen, so daß sie kaum all die zierlichen Sprüchlein und Verslein lesen konnte, die im bunten Farbenschmuck der Einfassung prangten.

»Komm in einer halben Stunde dort zur hintern Thüre!« flüsterte sie.

Der Soldat begriff allsogleich ihre Absicht, salutierte und verlor sich in den Wald.

Sie warf die Zwiebelröhre weit weg, pflückte die schönsten Herbstblüten und band einen Strauß mit einer Dolde »brennende Liebe«, so heißt nämlich eine feuerrote Blume von symbolischer Bedeutung. Vorläufig legte sie ihn unter die Bank, eilte in das Haus und kehrte mit einem Seitel Schnaps in der Schürze zurück. Der Soldat stellte sich pünktlich ein, die Blumen gab sie ihm für den Korporal, den Schnaps als Belohnung für den Gang.

»Prächtiges Madel das!« sagte der Soldat zum Korporal, der ihn nicht ohne Sorge 202 erwartete, »prächtiges Madel, hat mir Schnaps geben eine ganze Flasche.«

Als wär' ihr der Takt schon in den Füßen, lief Gertraud zur alten Margareth und klatschte voll Freude in die Hände: »Übermorgen wird beim Neuwirt getanzt, nicht wahr, du führst mich hin.«

Aus dem Nebenzimmer schob sich der Kopf des Müllers: »Nimm sie nur mit, kann sie noch ausgumpen, vor sie ins Kloster geht.«

»Man kann auch tanzen, ohne ins Kloster zu gehen!« schnarrte die Häuserin zurück.

»Vroni laßt ihr zu Hause, daß ich jemand habe, für solche Lappereien ist sie überhaupt noch zu grün!« Der Alte verschwand wieder.

»Diendl, was ist denn das auf einmal mit dir,« fragte Gretl verwundert; »das ganze Jahr hast nicht tanzen wollen, und jetzt hüpfst du, ehe noch eine Geige klingt.«

»Ja. der Himmel hängt voll Geigen,« rief Gertraud heiter. »Morgen wollen wir lustig sein, der Vroni bring' ich Torte und Muskazoner heim, daß sie auch eine Freud' hat.«

203 Sie trällerte ein Liedchen, das damals die Burschen nicht selten sangen:

»A Bußl ist a gspaßiges Ding!«

Nicht wahr, Gertraud ist ein leichtfertig Ding! Fast fürchte ich, sie hat die Gunst mancher Leserin verscherzt und ich mit ihr. Ich dachte eine Weile nach, ob es sich wohl schicke, daß sie so mit beiden Füßen in die Liebe hineinspringt und mit einem Soldaten anbandelt, ohne auch nur zu erwägen, ob er heiratsfähig sei, und die Erlaubnis dazu von einem hohen Militärkommando im Sack trage. Aber Natur bleibt eben Natur, und daß diese beim Volk im guten und schlechten unverpfuscht und ungeschniegelt hervorbricht, gerade aus diesem Grund gehe ich gerne mit dem Volke um. Eben deswegen muß man aber von mir keine Honigfarbe verlangen, ich male, wie ich schaue; meine Bauern und ich sind viel zu ungeschlacht und knorrig, um uns anders zu geben, als wir sind.

Während dieses Seitensprunges, den wir nicht ohne Grund gewagt, hat sich Gertraud 204 für den Tanz geputzt. Es stand ihr alles vortrefflich, der breite Filzhut mit goldenen Quasten, der braune Spenzer aus Merino und der blauseidene Schurz mit den eingewobenen roten Rosen.

Beim Fortgehen aus der Mühle überlustig wie ein Kitzlein, wurde sie, je näher die Klänge der Musik aus dem Wirtshaus rauschten, um so befangener. Die Burschen standen vor der Thür, welche so wie die Fenster von Laubwerk und Blumen eingefaßt war – schöner als bei irgend einer Primiz –, musterten die Mädchen, die niedergeschlagenen Blickes und doch voll Verlangen von allen Seiten ankamen, um ein Schätzchen, oder was sonst jedem gefiel, abzufangen. Trutzig, die Hände im gestickten Bauchgurt, wo die Thaler klapperten, hatte sich Rochus hingepflanzt; in der Überzeugung, daß jede nur auf ihn warte, würdigte er die armen Dinger keines Blickes. Gertraud wollte durch das Gedränge in den Saal, er packte sie beim Arm.

»Heut' abend wirst wohl mir gehören?«

205 Sie kräuselte stolz die Oberlippe, schlug ihm ein Schnippchen und kehrte ihm den Rücken. Ringsum lautes Gelächter, er grinste vor Wut, jeder gönnte es ihm, daß er »abgetakelt« worden.

Der Korporal sprach mit den Musikanten; kaum erblickte er Gertraud, eilte er auf sie zu, die Musik begann mit Klarinette und Posaune, als wär' das jüngste Gericht; sie flogen im Tanz dahin, ehe sie noch ein Wort gewechselt. Die Häuserin stellte sich in eine Ecke und dachte: »Das also war's, du falsches Diendl!«

Der Korporal wußte jedoch Lebensart; als der Tanz vorüber war, trat er, das Mädchen am Arm, mit zierlicher Verbeugung vor die Alte und führte beide an einen Tisch. Die Kellnerin stellte Schweinsbraten und Wein auf, das schmeckte köstlich. Er ließ die Alte nicht aus den Augen, legte ihr vor und schenkte ein, daß sie in die rosigste Lage geriet. Auf seinen Wink stellte sich ein ungarischer Grenadier vor und fragte, ob sie nicht Lust habe, es mit ihm zu wagen. Die Musiker stimmten aufs neue, geschmeichelt lächelte sie, lehnte aber doch ab, 206 weil man jetzt anders tanze als früher, wo man nicht so ungeheuere Hupfe gemacht. Nachdem der Korporal den Zaun wegen des Blumenstöckchens dahinter geehrt, wirbelte er wieder mit Gertraud dahin. Allein er konnte nicht jede Tour mit ihr tanzen, die Vettern wollten auch ihr Recht, so überließ er sie einem derselben und setzte sich zur Alten.

Er schenkte die Gläser voll und hob das seinige: »Gertraud soll leben, ist doch die schönste von ganz Stubai!«

Die Alte stieß an, jetzt wollte sie ihm auf den Zahn fühlen: »Ihr kennt etwa das Mädchen wohl schon länger?«

»Ich bin heut mit ihr das erste Mal zusammen,« erwiderte er, »das thut aber nichts, deswegen hab' ich sie doch von Herzen lieb und will sie heiraten.«

Die Alte maß ihn, in den Stuhl zurück gelehnt, mit großen Augen, endlich besann sie sich, stieß das Glas auf den Tisch und sagte: »Ja heiraten. Man kennt euch Soldaten. Ihr 207 habt die Kindstauf vor der Hochzeit und die Hochzeit gar nicht.«

»Nein, nein, so ist es nicht gemeint,« erwiderte er ruhig auf ihre derbe Rede. »Es ist mein voller Ernst. Meine zweite Kapitulation geht zu Ende, oder ist eigentlich zu Ende. Stündlich erwarte ich den Abschied. Ich bin kein heuriger Hase mehr, statt des ewigen Herumziehens möchte ich mich auf eigener Hufe niederlassen, dazu braucht es jedoch ein Weiblein. Siehst du, Alte, ich hab' manche angeguckt – –«

»Und angeschmiert!« platzte sie heraus.

Der Korporal wurde unwillig: »Nein, Alte, auf Ehre nicht. Ich habe eine brave Mutter daheim und stets geglaubt, ich thät' mich an der versünden, würd' ich bei Weibern oder Mädeln liederlich.«

»Das ist aller Ehren wert,« antwortete sie gerührt. »Zum Heiraten braucht es jedoch außer der Lieb' auch noch andere Dinge.«

Rochus ging am Tische vorüber, er stieß heftig an den Stuhl des Korporals, ohne sich 208 zu entschuldigen. Dieser rückte ein wenig beiseite und nahm das Gespräch wieder auf: »Liebe Alte, ich hab' diese Dinge! Drüben im Banat an einem Bach, wo die Forellen springen, wie hier in der Sill, steht eine kleine Mühle zwischen Nußbäumen, und hinter der Mühle zieht ein Weinberg empor, da wächst ein Tropfen, den solltest du kosten! Das gehört mir. Ich bin eben Soldat geworden, wie tausend andere, die es daheim zu gut hatten, und bin jetzt froh, daß ich den weißen Kittel ablegen kann. Glaubst du's nicht, zeig' ich dir's schwarz auf weiß, und will es der Müller versuchen, so mag er mich ein Jahr als Knecht dingen. Er soll mich mit dem Besen zur Thür hinaus fegen, mahl' ich nicht besseres Mehl als alle Müller an Ruetz und Sill.«

»Aber Ungarn, das liegt ja fast außer der Welt!« jammerte die Alte.

»Der ungarische Himmel ist so blau wie der tirolische, und dazwischen geht weder eine Naht noch ein Sprung, und der ungarische Herrgott und der tirolische Herrgott sind 209 höchstens zwei verschiedene Personen in der heiligen Dreifaltigkeit, sonst thäten Ungarn und Tiroler nicht so gut zusammenpassen, das hab' ich im Kriege oft gesehen. Auch Deutsche giebt es drunten, recht viele in meiner Gegend, so daß Gertraud gar keine fremde Sprache zu lernen braucht. Morgen geh' ich zum Müller und halt' um das Mädel an!«

»Gsegne Gott!« rief die Alte, »da betet vorher ein ordentliches Vaterunser.«

Rochus rannte wieder an, noch gröber als zuvor; der Korporal stieß einen tüchtigen Fluch aus.

Da kam Gertraud, sie setzte sich neben ihn auf den Stuhl, er faßte ihre Hand.

»Ja Madl, jetzt haben wir dich verschachert, aber nicht um dreißig Silberlinge, sondern um ein Herz und ein Bußl als Zuwag.«

Er schob ihr das Glas zu. Horchen wir nicht auf das Geplauder der Liebe und zählen wir nicht, wie oft er ihre Hand drückte, oder sie im Tanze schwang.

Es mochte gegen elf Uhr sein. Da warf 210 Rochus einen Kronenthaler in den Teller der Musikanten und sang:

Der ung'rische Kommißloab
Der tanzt wie a Totz'n,
Tiroler werft's 'n außi
Und laßt enk nit frotz'n.

Der Korporal verstand die Herausforderung, sandte ihm jedoch nur einen verächtlichen Blick zu. Nachdem der Reigen beendigt, stellte sich Rochus schon taumelnd vor ihn, sang seinen Trutzvers noch einmal und faßte den Korporal beim Rock: »Ist deine Courage so groß als dein Schnauz, so geh' mit in den Anger, wir haben was auszuraufen.«

Der Ungar schob ihn beiseite; bis jetzt hatte im Saale Eintracht geherrscht, er wollte keine Händel.

Der Bursch wurde noch frecher: »Wenn du schlafen gehst und laßt das Mädel da, so thue ich dir nichts, du schlampeter Sauhirt.«

»Kerl,« rief Janos zornig und schleuderte ihn zurück, »mit solchen Buben wie du rauft kein ehrlicher Grenadier, in Ungarn thät dich 211 der Komitatspandur auf die Bank legen und dir fünfzig aufmessen.«

Rochus stürzte wütend auf den Soldaten, der den Halbtrunkenen ohne Mühe abwehrte. Nun sprang der Gerichtsdiener hinzu und faßte ihn beim Kragen. »So, so, du bist's, Posch,« schrie Rochus, »laß mich an den Soldaten!«

Jener drängte ihn jedoch mit Hilfe von ein paar Soldaten durch die Thür und schleppte ihn in eine leere Keuche, wo er ausnüchtern konnte.

Gertraud wollte nicht mehr bleiben, sie rüstete sich mit der Base zum Aufbruch. Janos begleitete sie. Auf der Höhe vor der Mühle schlang er den Arm um sie und drückte einen feurigen Kuß auf ihre Lippen – den ersten!

»So, erst jetzt bist du meine Braut, mein auf ewig!« flüsterte er.

Sie erwiderte den Kuß: »Dein auf ewig!« Er kehrte in das Quartier zurück.

Hämische Zungen hatten dem Alten schon bei der Frühmesse erzählt, was geschehen war. Zu Hause suchte er das Mädchen. Gertraud 212 war jedoch mit Gretl nach Schönberg gegangen, wo in der Kirche ein Jahrtag für eine weitschichtige Verwandte abgehalten wurde.

»Die soll mir kommen!« brummte er; da rief ihm Rochus einen guten Morgen ins Fenster.

Er antwortete kaum.

»Gratuliere!« sagte jener, höhnisch den Hut abziehend; «gratuliere zum künftigen Schwiegersohn, der ist kaiserlich königlich und kleidet sich in zweierlei Tuch.« Das Lied vom »Augustin« pfeifend, entfernte er sich.

Nach einer Weile klopfte es an die Stubenthüre. In voller Uniform, die Tapferkeitsmedaille und den sechseckigen Messingstern, eine Auszeichnung für Soldaten, die das zweite Mal dienen, an der Brust, trat Janos ein und bot dem Müller einen guten Morgen.

»Was wollt Ihr?« fuhr dieser auf; »hier ist keine Kaserne, wo Euresgleichen die Nase hineinzustecken haben.«

»Es ist eine wichtige Angelegenheit,« sprach der Korporal, »über die ich mit Euch verhandeln will, mag es Euch nun lieb oder leid sein, so 213 geschehe es wenigstens mit dem Anstand, der Männern ziemt.«

»Ich bin Herr in meinem Hause, Ihr habt hier nichts zu suchen.«

»Gut, so mag das, was ich in Freundschaft von Euch wollte, gegen Euch und ohne Euch geschehen. Ihr habt dann kein Recht zur Klage. Ich wollte Euch um die Hand Gertrauds bitten, nun werde ich sie von ihr selbst empfangen. Das ist mein letztes Wort an Euch, Beschimpfung duldet weder mein Kleid, noch meine Person.«

Der Alte brach in wütendes Hohngelächter aus.

»Also heiraten will der. Auf was denn? ha ha ha! Ein halber Kommißlaib für den Tag, trifft auf eines ein Viertel, und will das Weib Fleisch, mag es sich in die Zunge beißen!«

Der Korporal stand einen Augenblick sprachlos, er griff an die Thüre, und obwohl er Batterien gestürmt, floh er doch vor dieser entsetzlichen Roheit.

Er traf Gertraud und Gretl auf dem Weg. Bebend vor Zorn erzählte er ihnen, was sich zugetragen; er faßte leidenschaftlich Gertrauds 214 Hand: »Ich werde dich nie aufgeben, nie und müßt' ich dich der Hölle abtrotzen. Mit solchem Spott hätte der Teufel nicht geantwortet« – es versagte ihm die Stimme.

Gertraud hatte sich bald gefaßt, sie blickte ihm mit ruhigem Ernste in das Auge. »Mein Wort soll nicht schlechter sein als das deine. Du bist meiner Treue gewiß, wozu die Heftigkeit? Wir zwei haben die Sache auszumachen, du bist mein, und ich bin dein, wer darf uns trennen?«

»Um Gottes willen, denk' an den Vater,« rief die Häuserin; »er hat auch dreinzureden.«

»Ich hab' ihm erwiesen, was ihm gehört, trotzdem, daß er mich . . . . . doch er ist mein Vater! Meine Mutter da droben – hätte auch dreinzureden, sie würde nicht widersprechen, und über mein Wort verfüge ich selber, denn ich bin die Tochter des Müllers und nicht seine Viehdirn. Auf Wiedersehen, Janos! Thu' mir nicht die Schande, an mir zu zweifeln!«

Betroffen schwieg er, sie reichte ihm die Hand, er drückte rasch einen Kuß darauf.

215 Sie betrat das Haus mit jener Selbstgewißheit, jener Ruhe für die Zukunft, welche den begleitet, der mit sich einig und fest entschlossen steht. Welch einen Gegensatz bildete der Vater; als sie kaum die Thüre hinter sich zugeklinkt, sprang er, so schnell es seine alten Glieder erlaubten, auf sie los.

»Du hast also hinter meinem Rücken ein Techtelmechtel angefangen?« brüllte er ungestüm.

»Nicht hinter Eurem Rücken. Im Einverständnis mit mir war heute Janos da, um Euch alles aufzuklären; Ihr wolltet ihn nicht hören.«

»Du schämst dich nicht, mit einem Soldaten herumzuflankieren, du, die Tochter des Müllers?«

»Dieser Soldat ist der Sohn eines Müllers. Wart Ihr vielleicht bereits Müller, als Euch meine Mutter heiratete?«

Wie von einer Viper gestochen, fuhr er zurück und dann die Faust ballend wieder vorwärts:

»Willst du von dieser Liebschaft ablassen oder nicht?«

216 »Nein.«

»Steht für dich das vierte Gebot nicht in der Bibel? Doch wozu noch reden! Du gehorchst, hörst du!« er stampfte mit dem Fuß auf den Boden, »du gehorchst, oder ich schlag' dir die Haxen ab.«

»Ich bleibe Janos treu.«

»Ins Kloster gehst du, das will ich, und dabei bleibt's.«

»Ich bin bald majorenn, dann verlasse ich dieses Haus, nachdem ich das Erbteil meiner Mutter eingefordert. Oder wollt Ihr mir weigern, was verbrieft und verschrieben ist?«

Er riß das Gewehr von der Mauer, daß der Nagel auf den Boden fiel. »Siehst du, wenn sich der Ungar noch einmal auf tausend Schritte blicken läßt, brenn' ich ihn nieder.«

Vor Wut zitternd, ließ er den Stutzen fallen. Das Mädchen hob ihn gleichgültig auf und legte ihn auf die Ofenbank. »Ihr habt mich,« sagte sie langsam, »an das vierte Gebot erinnert, ich habe es bis jetzt nicht verletzt, und verletze es auch jetzt nicht, indem ich mein Recht 217 behaupte. Habt Ihr stets an das fünfte gedacht, das da lautet: ›Du sollst nicht töten‹?«

Die Rede geschah ohne Vorbedacht. Der Alte prallte erbleichend an die Wand zurück und wieder vor. Seine Kniee wankten, er suchte die Faust zu ballen, dann wischte er den Schweiß von der Stirn und taumelte in die Schlafkammer. Erschrocken ließ sie ihn allein. Sie wußte, daß er über die Sache nicht weiter sprechen, wohl aber, wie es seine Art, irgend einen tückischen Streich aussinnen werde. Der Häuserin erzählte sie den wesentlichen Inhalt des Gesprächs, auch die Alte hatte keine Lust, den Handel noch einmal aufzurühren. So gingen im Müllerhause die nächsten Verwandten kalt aneinander vorüber, als wäre nichts geschehen, oder als wären sie nur Fremde, die der Zufall auf etliche Minuten zusammengeführt hatte.

Nur einer hoffte bei dem Feuer, das unter der Asche glomm, zu gewinnen; es war Ignazi. Nach der Frühmesse traf er den Alten wie zufällig; er bot eine Prise, ein Wort gab das 218 andere; jener fühlte das menschliche Bedürfnis, zu klagen, und fand williges Gehör.

»Da ist leicht zu helfen,« meinte der Kooperator, nachdem er wie um Erleuchtung aufwärts geblickt; »ganz leicht. Habt Ihr vielleicht irgend eine Base im Kloster?«

»Zu Gnadenzell!«

»Gnadenzell!« wiederholte der Hochwürdige langsam und zog die Stirn in senkrechte Falten. »Gnadenzell . . . . !« plötzlich leuchtete sein Auge. – »Gnadenzell! ganz recht. Ich kann einen Brief vorausschicken und alles einleiten. Ihr besucht mit Gertraud die Base, das Kloster empfängt Euch mit den Armen heiliger Liebe, man lad't Eure Tochter ein, während Eures Aufenthaltes ein Stübchen neben ihr zu beziehen, damit diese den so lang entbehrten Umgang recht genieße. Eines Morgens verlaßt Ihr Gnadenzell ohne weiteren Abschied, der ja doch nur schmerzlich für beide wäre, die Oberin tröstet Gertraud und legt ihr eine Urkunde mit Eurer Unterschrift vor: daß ihr sie kraft väterlicher Autorität dem Kloster für ein 219 Probejährchen überlassen. Sei sie auch ein ganz verdorrtes Weltkind, so wird sie nach einigen Wochen von der Süßigkeit des Klosterlebens so entzückt, daß sie nicht mehr nach dieser schnöden Welt begehrt. Bei Christinnen begreift man dies; was für Wunder der Gnade haben wir nicht schon an Judenmädchen erlebt, welche die göttliche Barmherzigkeit in die Arme frommer Nonnen geführt. Welche Gnade! Welche Wunder! Übrigens bindet die Kirche nie und nirgends den freien Willen, gefällt es ihr nicht, kann sie jede Minute wieder austreten.«

Der Alte erwiderte kein Wort. Ignazi wußte, daß er nicht umsonst gesprochen, und jener nur noch über die Art der Ausführung nachsinne. –

»Du Gretel,« rief er eines Tages, »ich wär' zu einer Wallfahrt aufgelegt.«

»Die Waldrast ist nahe, gehen wir Sonntags alle vier hinauf.«

»Ich brauch' Euch nicht alle, was thät' das Hauswesen derweil? Ich will mit Gertraud nach Gnadenzell!«

220 Die Alte schöpfte gleich Verdacht und unterdrückte deshalb jede weitere Frage, jede Bemerkung; doch warnte sie das Mädchen.

Zum Kooperator sagte der Müller gelegentlich: er möge doch auch einmal mit Gertraud von der Herrlichkeit und dem Segen des Klosters sprechen, vielleicht folge sie den feinen Worten.

Gertraud hatte sich mit Janos verständigt; die Liebenden sprachen sich alle Tage bei jenen Lärchen, deren leuchtend Gold mit dem dunkeln Hintergrund der Föhren mir, als ich die Mühle zum erstenmal sah, so sehr gefiel. Janos wollte das Mädchen bereden, mit ihm zu fliehen, auf einem Donauschiff sei Ungarn schnell erreicht, und dort werde sie niemand mehr verfolgen; ein anderes Land, andere Gesetze! Sie wies den Vorschlag sanft, aber entschieden zurück; sie wolle dem Vater nicht davonlaufen, er selbst solle sie frei entlassen, wenn er sich überzeugt, daß sie unerschütterlich auf ihrem Recht bestehe, nachdem sie alle Pflichten gegen ihn erfüllt, die er beanspruchen dürfe.

221 Dem Alten deuchte Gertrauds Schweigen – sie war hierin seine Tochter – immer unheimlicher; daß sie ihrer Liebe auf seinen Befehl abgesagt, daran glaubte er nicht und hoffte es auch nicht. Er konnte sie nicht am Schnürchen anhängen; mochte er lauern wie er wollte, nichts führte ihn auf eine sichere Spur. Argwöhnisch schlich er umher, da huschte ein Schatten, dort störte ihn nachts ein Geräusch, er horchte durch das Fenster und glaubte flüstern zu hören; ihre Kammer lag fast vereinzelt, sein Pochen erhielt keine Antwort. Er eilte ins Freie, es raschelten Schritte durch das dürre Laub. »Wart,« dachte er, »du entgehst mir nicht!«

Tags darauf kam er mit einer Bleiplatte in die Küche, hieb mit der Axt ein Stück herab und zerschrotete es.

»Was hast im Sinn?« fragte die Häuserin.

»Weißt wohl, die Füchse fressen uns die Erbsen und stehlen am Ende gar die Hühner; ich möcht' für alle Fälle einen Schuß im Rohr haben.«

Sie kümmerte sich nicht weiter um ihn.

222 Um zehn Uhr nachts stieg der Mond. Der Müller hörte ein Geräusch auf dem Flur, vielleicht ein Mäuschen, er eilte an das Fenster; neben den Haselstauden am Ackerrain regte sich etwas, er empfand eine grimmige Freude, dem verhaßten Feind einen Denkzettel anzuhängen, töten wollte er ihn nicht, ein Schuß in den Fuß jedoch sei wohl angebracht, meinte er. Dann möge er als Krüppel im Invalidenhause verfaulen. Mit dem Kriminalgesetz hatte er die Rechnung schon fertig: er war auf die Füchse gegangen, hatte in der Staude Bewegung gespürt und, durch sein blödes Auge irre geführt, losgeknallt.

Mit diesen Vorsätzen verließ er das Haus und schlich gebückt den Zaun entlang bis auf Schußweite. Er lugte durch die Äste, eine große Gestalt breitete die Arme – krach – – eine Feuersäule stieg auf. Der Schuß hatte getroffen, allein nicht bloß die Schrote, sondern auch der brennende Pfropf, er zündete den Strohmann an, den der Nachbar abends, um die Vögel zu scheuchen, aufgestellt hatte.

223 Die Leute liefen zusammen, und bald erfuhr man von der Fuchsjagd des Alten. Der Nachbar fluchte, die Häuserin mußte eine neue Vogelscheuche zusammenflicken zum Ersatz für die verbrannte. Gertraud fragte den Vater, als er an ihr vorüberging: »Ihr war't auf der Fuchsjagd?« Er schlug vor ihrem Blick das Auge nieder. Nun wußte sie alles!

Durch diesen verbrecherischen Anschlag hatte sich ihr Vater von ihr losgesagt, sie fühlte, daß sie sich zwar nicht gegen ihn wenden, jedoch von ihm scheiden dürfe, bis er Janos und sie, sein Unrecht erkennend, feierlich in das Elternhaus zurückrufe. Janos' freudige Mitteilung, daß sein Abschied demnächst in der Regimentskanzlei ausgefertigt werde, erwiderte sie ihrerseits damit, daß sie ihm erklärte, sie werde ihm jetzt folgen bis an das Ende der Welt. Sie sagte das mit dem Ausdruck schwermütiger Trauer; er fragte um die Ursache des plötzlichen Umschlages ihrer Gesinnung, leise seine Hand fassend, bat sie ihn mit Thränen, nicht weiter zu forschen. Die Häuserin war mit dem Plan 224 völlig einverstanden, sie hoffte, wenn Gertraud entflohen sei, werde der Alte wieder die Macht der Liebe zu seiner Tochter fühlen, um so heftiger, da er sie durch eigene Schuld verloren, und weil zwar nicht die Berge, wohl aber die Leute immer wieder zusammen kommen, so lasse sich dann alles ausgleichen. Sie bestellte unter der Hand im Widum für Gertraud den Taufschein und lieferte Kleider sowie wertvolle Sachen an eine sichere Stätte nach Innsbruck.

Janos' Kompagnie sollte in einigen Tagen nach Kufstein verlegt werden, das paßte gut, man konnte die nahe Grenze um so sicherer überschreiten und zu Rosenheim ein Floß besteigen. Gertraud wollte am Abend vor dem Abmarsch Stubai verlassen und in der Frühe mit dem Stellwagen nach Kufstein fahren, Janos hatte für sie bereits bei einer Bäuerin, in deren Hause er von früherer Zeit bekannt war, ein Zimmerchen bestellt.

Die Katastrophe sollte jedoch unvermutet schon am nächsten Nachmittag niederbrechen.

Der hochwürdigste Ignazi hatte den Auftrag 225 des Müllers nicht vergessen und lang nach einer günstigen Gelegenheit gespäht, mit Gertraud allein zusammenzutreffen, um so mehr, da er wenigstens eines halbwegs günstigen Erfolges sicher zu sein glaubte.

Er lauerte gegen Abend, wo man die Gärten zu gießen pflegt, bei dem Kreuz, das auf der Straße rechts ober der Mühle steht. Kaum war Gertraud aus der Thüre des Hauses, so steckte er das Brevier in das Gebüsch und schlich wie ein Iltis auf Umwegen hinunter; das Mädchen pflückte unter den Schlehdornhecken einige Veilchen, die der milde Herbst zur Unzeit hervorgelockt, da und dort war auch noch ein rotes Steinnelkchen, eine duftende Ähre von Quendel, einige kleine blaue Glöckchen. Sie schlang diese Blümlein zu einem Strauß für Janos, der sie heimlich erwartete. Ihre Stimmung war ernst, aber nicht gedrückt, hie und da unterbrach sie sich wohl nachsinnend in ihrem Geschäfte, dann schwebten wieder Verse eines Tirolerliedchens leise von den Lippen: 226

»Ja höher der Kirchturm,
    Je schöner das G'läut,
Und zum Bub'n da ist's mir
    Nirgends zu weit!«

»Gelobt sei Jesus Christus!« grüßte sie Ignazi plötzlich, »das Sträußchen gehört wohl der Muttergottes?«

»Die hat einen Kranz von Georginen und Astern,« erwiderte sie unbefangen.

»Nun dann krieg' wohl etwa ich es?«

»Für so heilige Hände passen keine schlechten Blümlein!«

Er nahm eine Prise.

»Das soll wohl getrocknet mit ins Kloster,« begann er neuerdings, »zur Erinnerung an das liebe Stubai?«

»Ei was! Es soll . . . der Strauß soll ebenso wenig im Kloster verwelken als . . .«

»Liebes Kind, beherzige den Willen deines Vaters!«

»Ihr seid nicht mein Vater, mischt Euch nicht ein!«

»Nichts für ungut, nichts für ungut, Trautel, du ahnst nicht, wie glücklich die Auserwählten 227 Gottes sind. Denk' nur an die feine Kost in den Klöstern!«

»Zu essen krieg' ich überall, wenn ich arbeite.«

»Ich weiß es schon, Trautel, dich hält die Liebe in der schnöden Welt!«

»Und wenn es so wäre?«

»Die Liebe findest du ja auch im Kloster, oder meinst du, der Herr sorge nicht für die Seinen?«

»Nu, man wird doch bei den Ursulinerinnen nicht mit den Wiegenbändern zur Messe läuten?« fragte sie spöttisch.

»Das nicht. Gott hält von den Seinigen jedes Unheil fern.«

»Von den Seinigen! Dazu gehören wohl außer den Klosterfrauen auch noch andere Leute?«

»Liebe Trautel, verständest du die heilige Schrift genau . . .«

Sie kehrte ihm den Rücken und bückte sich zu einer Blume.

»Kennst du,« begann er nach einer Pause, während der sie ihn völlig unbeachtet ließ, mit leiserer Stimme, »kennst du den Bibelspruch: 228 Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Als Nonne bist du geweiht, und dann sind die Geweihten deine Nächsten.«

Gertraud lachte hell auf, ihr fielen der wilde Pfaff und die Klosterfrau hinten auf dem Gletscher ein.

Er faßte sie zärtlich bei der Hand: »Dann heißt es in der heiligen Schrift: Ohne die Werke ist die Liebe tot. Merk' dir das: ohne die Werke.«

»Das steht ja auch im Katechismus, meint Ihr nicht das Beten, Fasten und Almosengeben?«

»Das sind gute Werke, aber nicht die Werke der Liebe.«

»Und die wären?« fragte sie stutzend.

»Es heißt in der heiligen Schrift: Er küßte mich mit dem Kuß seines Mundes!« dabei legte er den Arm um ihre Hüfte und spitzte das Maul, wie ein Ferkel, das nach Kartoffeln schnüffelt.

Sie stieß ihn zornig zurück.

Schnell faltete er die Hände und lispelte sanft: »Omnia ad majorem Dei gloriam!«

229 »Was ist's mit Majors Gloria?« rief plötzlich eine rauhe Stimme. Janos trat aus dem Gebüsch und legte mit funkelndem Auge dem Priester die Finger auf die Schulter, daß er zusammenknickte wie ein Taschenmesser.

»Was ist's,« rief Janos stärker und schüttelte ihn heftig, »was ist's mit des Majors Gloria? Du Zwetschgenklaubauf, willst mir übern Zaun grasen. In Ungarn hätt' ich dich gewamst, daß du für ein Gulyas zu schlecht wärst.«

»Omnia ad majorem Dei gloriam!« stotterte Ignazi, »ich hab' das Mädchen nur prüfen wollen, ob es keusch genug sei für eine Braut des Himmels.«

Janos gab ihm einen Stoß: »Fahr' ab, und wagst du dich noch einmal an Gertraud, dann schau zu!«

Ignazi enteilte, nach zehn Schritten wandte er sich um: »Gelobt sei Jesus Christus!«

Janos hatte sich mit Gertraud zusammenbestellt. Als sie vom Priester aufgehalten, nicht kam, näherte er sich durch die Stauden dem Hause und war Zeuge von der verfänglichen 230 Wendung des Gespräches. Leicht errötend bot sie ihm den Strauß, er steckte ihn nicht an die Brust, sondern wie ein Siegeszeichen auf die blaue Mütze. Während die Liebenden Pläne entwarfen, sprang Ignazi zur Mühle und rief den Müller: »Weh dir, weh euch! Gertraud mit dem Korporal dort in jenem Gebüsch . . . Sodoma und Gomorrha! über das Werk des Fleisches!«

Der Alte lief, so schnell ihn die gichtischen Beine trugen, zu den Stauden, er traf Janos und Gertraud im Gespräch. Wütend faßte er Gertraud rückwärts bei den Zöpfen, riß sie nieder und wollte sie durch die Dornen nach Hause schleppen. Der Korporal packte ihn rasch bei den Armen, er mochte sich winden und anstrengen, wie er wollte, er war festgeklemmt wie in einem Schraubstock. Gertraud war aufgestanden, um sich zwischen die Männer zu werfen. Janos schob sie beiseite und ließ den Greis frei. Sie standen Aug' in Auge, von den Lippen des Alten träufelte blutiger Schaum.

231 »Dank' Gott, daß du ihr Vater bist,« begann der Korporal. »Noch einmal treten wir uns gegenüber, noch einmal biete ich dir die Hand. Haben wir an dir gefehlt, so wollen wir dich knieend um Verzeihung bitten, wir wollen dich umarmen als unsern lieben Vater, aber auch du denke an Recht und Billigkeit!«

»Fluch über euch!« brüllte der Alte. »Sie will deine Gesellin sein, sei sie es denn auf Erden und dann in der Hölle. Von der Heimat bist du ausgestoßen, fort auf die Straße, Dirne! Sei verflucht für jetzt und in Ewigkeit!«

Der Greis wankte dem Hause zu.

»Für den Fluch der Ungerechtigkeit hat Gott kein Ohr!« rief Janos, dann faßte er Gertraud, die sich erblassend auf einen Stein stützte: »Deine Mutter ist im Himmel, dort ist auch dein Vater, auf dieser Welt bin ich dein Mann, deine Stütze.«

Er führte sie fort.

Als die Thür krachte, die der Müller hinter sich zuwarf, fuhr Gertraud heftig zusammen.

232 »Mein Haus ist jetzt dein Haus!« flüsterte Janos und drückte sie innig an die Brust.


Es galt, schnell zu handeln. Janos führte Gertraud sogleich nach Absam, einem Wallfahrtsorte, wo es nicht auffiel, wenn eine Fremde einen Tag blieb und übernachtete. Die Zeit genügte, um sie, unterstützt von der Häuserin, mit den nötigen Kleidern zu versehen, so manches war bereits vorausgeschickt. Die Kompagnie war indes nach Kufstein marschiert, dort erwartete Janos Gertraud. Weil ihre Papiere in Ordnung, und sie bereits die Mündigkeit erreicht hatte, und ebenso wenig ein verbotener Verwandtschaftsgrad vorauszusetzen war, erhielten sie Dispens, so daß sie der Feldkaplan nach einmaligem Aufgebote trauen durfte. Die Hochzeit wurde selbstverständlich in der Stille gefeiert, obwohl die Kompagnie, welche den Korporal hochachtete, gern ein offenes Fest gehalten hätte. Galt es doch auch seinem Abschied, der ihm in der anerkennendsten Form erteilt wurde. Die wackern Soldaten ließen 233 sich jedoch nicht hindern, zu einem Ehrengeschenk beizusteuern, und so überreichte der Feldwebel dem Paar, als es zu Schiffe stieg, einen silbernen Becher als Andenken.

»Viel Glück! Lebt wohl!« riefen noch die Soldaten von der Brücke hinab, als die Schiffer die Seile lösten und die Ruder ergriffen.

Immer herrlicher und größer wurde der Strom, andere gesellten sich zu ihm, Dörfer und Städte tauchten am Gestade auf, die endlose Ebene dehnte sich vor ihnen, in blauer Ferne verschwanden die letzten Berge Tirols.

Gertraud setzte sich an Bord des Schiffes, verhüllte das Gesicht und weinte bitterlich.

Mögen sie gute Sterne geleiten, wir überlassen sie vorläufig ihrem Schicksale.

* * *

In der Mühle wurde wenig gesprochen, Vroni trauerte im stillen, sie wagte jedoch dem Vater gegenüber nicht zu reden; wie bald trocknen die Thränen eines Kindes! Die Haushälterin berührte den Vorfall mit keiner Silbe: 234 »Er soll beizen in seinem Elend wie ein Rettich im Salz, bis die Zähren von ihm rinnen!« so dachte sie und mied es absichtlich, auf den Gegenstand zurückzukommen, so oft auch der Alte Gelegenheit bot. Größerer Aufruhr, als scheinbar im Hause, war im Dorf; der Müller wies jedoch unberufene Neugier, die seiner verschlossenen Art ohnedem widerlich war, scharf und kurz ab: »Gertraud war majorenn, sie konnte daher ihren Weg selbst wählen, das andere geht niemand an.«

Es ging freilich niemand an, ihm aber ging es von Tag zu Tag tiefer zu Herzen.

Die Vermutungen der Nachbarn erschöpften sich endlich, die üble Nachrede begann zu schweigen, die Stimme seines Gewissens wurde jedoch immer lauter, vergebens suchte er sie zu beschwichtigen. Die er sonst mit Hohn und Spott von sich gejagt, die bösen Geister wollten ihn nicht meiden, besonders lang dehnten sich die schlaflosen Nächte, deren Minuten er nach den Perlen des Rosenkranzes abzählte. Entschlummerte er, so kam es ihm wohl vor, Gertraud 235 sei in ihrer Kammer, – so lebhaft, daß er aufsprang und an die Thüre eilte, zu horchen. Ein Mäuschen pfiff, als wollte es ihn spotten, er schlich wieder auf den Socken zurück. Man raunte sich in die Ohren, er habe hie und da Erscheinungen, besonders in gewissen Nächten, wohl nur Träume . . . . . einmal sah er die Tochter, vorwurfsvoll schaute sie ihn an, er fuhr auf und brach in lauten Jammer aus.

So oft eine fremde Stimme an der Hausthüre sprach, glaubte er, es sei ein Bote von ihr, einmal kam einer aus dem Widum und stellte ihm die Abschrift ihres Trauscheins zu, im Auftrag des bischöflichen Ordinariats. Es war ein Tropfen der Labung, so bitter er Janos haßte, fast empfand er gegen ihn jetzt ein Gefühl der Dankbarkeit, daß er Gertraud nicht in Schande und Elend gestoßen, er vergaß sich und gab dem Meßner einen – – Guldenzettel Trinkgeld. Tags darauf klopfte es wieder an seiner Stubenthüre. Jonas trat ein und kündete ihm kurz, wie es der Brauch, den Dienst.

236 »So verläßt mich eines nach dem andern!« seufzte er.

Jonas begriff diese Äußerung gar nicht; Dienstverhältnisse werden ja leicht geschlossen und ebenso gelöst. Indes hielt der Alte an sich und bezahlte ihm den kargen Lohn.

Wir haben bisher den wackern Jonas nicht vergessen, sondern ihn nur, weil er sich selbst in den Hintergrund stellte, dort gelassen. Seit jenem Gespräch mit Gertraud kam er nur noch zum Essen in die Stube, kein Mensch ahnte, was vorgefallen; noch einmal davon zu reden, verbot ihm männliches Ehrgefühl. Er sah alles, was geschah; eingreifen konnte er nicht. Daher blieb er von der Scene weg; bedurfte Gertraud seiner, so brauchte sie ja nur zu rufen, und er reichte ihr die treue, starke Hand. Auch sie gedachte seiner mit jener Achtung, die ein solcher Mensch jedem unverdorbenen Weib einflößt.

Und es klopfte wieder – leise – leise.

»Gelobt sei Jesus Christus!« Ignazi trat ein, die Stirn des Alten runzelte sich.

237 »Wie geht's, Vater,« begann jener, »wie geht's? Wir wissen alles und danken Gott; wen er lieb hat, den prüft er!«

»Wär' schon recht,« murrte der Müller, »ich hab' jedoch unserm Herrn stets das Seine gegeben, keine Messe versäumt, keinen Fasttag mit Fleisch verunehrt und überdies manchen Opferkreuzer in den Beutel geworfen. Da sollt' er auch Einsicht haben und endlich die Sache zum guten wenden.«

»Vielleicht will er Euch nur belehren und dadurch, daß er Euch durch die erste Tochter solche Schmerzen bereitet, die zweite retten. Laßt Euch raten, Vater, und folgt mir, denn wer die Kirche hört, hört mich, heißt es in der heiligen Schrift. Also hört die Kirche, die aus meinem Munde redet und die Mutterarme voll heiliger Liebe öffnet, um sie schirmend über ein unschuldiges Lamm zu breiten. Eure Vroni ist jetzt sechzehn Jahre alt, die gefährlichste Zeit für eine aufblühende Jungfrau, wo Satan besonders gern die Falle stellt. Die gefährlichste Zeit! Wie wär' es, wenn Ihr sie in ein Institut 238 schicktet? Es giebt herrliche Anstalten, Nonnen, gleich Engeln rein und selig, erziehen Eure Vroni, und Ihr sollt Freuden erleben, Freuden, die Euch alles Leid ersetzen.«

»Und was thät das kosten?«

»Für Euch recht wenig, recht wenig! Ihr könntet das Geldchen sogar abdienen, wenn Ihr für solche selige Frauen das Mehl mahlen wolltet. Recht wenig, sag' ich Euch, recht wenig!«

Im verdüsterten Geist des Alten war bereits Argwohn gegen den Hochwürdigen, an dessen Verkehr sich ohnedem so bittere Erfahrungen knüpften, erwacht. Mit lauerndem Blick fragte er: »Und was soll dann aus mir werden?«

»Aus Euch? Als ob ich nicht schon gesagt hätte, daß ich eine fromme Schwester senden kann, die Euch pflegt, wie ihren Augapfel.«

»So, so, so« erwiderte der Alte, »die wird es aber auch nicht umsonst thun?«

»Die fordert nichts, als Gotteslohn. Ihr aber könnt der Kirche danken, die auf Euern 239 Scheitel eine solche Fülle von Gnaden gießt, indem Ihr derselben das gebt, was doch nicht Euch gehört, sondern Eurer Feindin – –«

Der Müller zog die Unterlippe ein.

»Eurer Tochter, ja. Die findet den Weg des Heiles, von dem sie abgeirrt ist, leichter, wenn sie nicht die Last irdischer Güter schleppt. Wie gut meint es der liebe Gott mit Euch! Sie hat sich geweigert, sich für Euch und ihr eigenes Seelenheil dem Himmel zu opfern, tretet ihr mütterliches Erbe an die Kirche ab, und für dieses schnöde Gold gewinnt Ihr in irgend einem Orden eine Stellvertreterin, deren sämtliche gute Werke Euch gehören. Reichen sie nicht aus, so hat die Kirche ja den Schlüssel zu einem Wunderbrunnen, daß Ihr rein wie ein neugetauftes Kind von Stund' auf gegen Himmel fliegt!«

»Das mütterliche Erbe!« sprach der Müller, »ist bei Gericht verbrieft und verfestet. Ihr scheint ob den himmlischen Dingen die irdischen zu vergessen, sonst wüßtet Ihr, daß da nichts mehr frei wird, nicht einmal auf Todesfall!«

240 »Gebt mir die Urkunde,« rief der Kooperator und steckte gierig die langen Finger aus, »gebt sie mir. Zu Innsbruck ist ein Rechtskundiger, der treu zur Kirche hält, ein Rechtskundiger von tiefem Studium, von tiefer Gelehrsamkeit, der wird die Sache gegen jeden Advokaten des Teufels durchfechten. In Österreich gilt die Kirche noch etwas, ja wohl! darum wird Gott Österreich segnen! Gebt mir die Urkunde, und Euere Seele ist gerettet!«

Trotz seiner Bigotterie durchschaute der Müller jetzt den Kooperator, wilder Ingrimm kochte in seiner Brust, er hätte ihn am liebsten bei der Kehle gefaßt und an die Wand gedrückt, allein er besann sich auf die sieben Weihen, und wer die hat, gilt in den Augen der Bauern als gefeit, wie ein Zauberer.

Er bezwang sich.

»Hochwürdiger,« stotterte er unwillig, »die Sache bedarf allseitiger Überlegung. Meine Tochter bleibt meine Tochter, ich fürchte, ich habe mich an ihr schon versündigt und will mich nicht noch mehr versündigen. Morgen 241 geh' ich zum Pater Benizi nach Innsbruck und stelle dem die Entscheidung anheim.«

Der Kooperator war sichtlich betroffen, was dem Müller, der ihn lauernd von der Seite ansah, nicht entging und seinen Argwohn steigerte. Ignazi überlegte, ob er den alten Pater als einen Josefiner bezeichnen sollte, der in seiner Art recht fromm sei, aber die päpstliche Vollmacht der neuen Geistlichen nicht besitze, oder ob er sich bis auf weiteres ein Plätzchen neben ihm erobern könne, wenn er ihn über die Maßen lobe und preise.

Er war noch nicht mit sich im reinen, als der Müller, heuchlerisch die Hände gefaltet, seine Gedanken unterbrach: »Das Reden greift mich an,« – er hüstelte dabei – »nicht wahr, Hochwürdiger, Sie kommen auch, wenn ich um Ihren Beirat bitte?«

»Freilich, freilich!« erwiderte dieser bitter-süß, »obgleich der Benizi für sich gescheit genug ist. Laßt es mir nur sagen, doch jetzt – – gelobt sei Jesus Christus!«

Er schlich zur Thüre hinaus.

242 Benizi, der Freund Andreas Hofers, dessen Tod er in einem Trauerspiel verherrlichte, war seinerzeit ein berühmter Geistlicher, der als Professor der Philosophie manchen Ungläubigen bekehrte und die härtesten Sünder zu erweichen wußte. Er kannte die Ränke des Kooperators schon längst und hatte sie, wo es immer thunlich, gekreuzt, ohne ihn bloß zu stellen, weil er das Ansehen des Klerus, den er selbst auf so würdige Weise vertrat, nicht schädigen wollte.

Mit schlichtem, einfachem Wort löste er jetzt die Verwirrung des Alten und beruhigte ihn wenigstens teilweise, indem er ihm Vertrauen zu Gott empfahl, der Unheil zum besten wende auch dort, wo der Mensch jeden Pfad verloren habe. Für den Notfall wies er ihn an den Pater Salesi, einen schlichten Mann, welcher Art und Bedürfnis der Bauern kannte, ihnen hier und da mit der Bodenbürste derb den Kopf wusch, wegen seiner wohlwollenden Gesinnung und uneigennützigen Thätigkeit jedoch sehr beliebt war.

Bald ersetzte dieser in der Mühle den 243 gleisnerischen Ignazi, der sich seitdem nicht mehr blicken ließ und schon nach etlichen Monaten zu einer höheren Stelle berufen wurde, wo er wohl in seiner Weise für die Ehre Gottes zu wirken fortfuhr, bis ihn der strenge Bischof beim Kollar erwischte und in eine geistliche Strafanstalt für etliche Jahre einnähen ließ. Omnia ad majorem Dei gloria!

Zu Vallrup ging wieder alles im gewohnten Geleise, die Jahreszeiten wechselten und mit ihnen die Geschäfte: säen und ernten und aus der Ernte schönen Gewinn ziehen, so wurde die Zeit voll, bis ein neuer Abschnitt begann.

Der Bauer kümmert sich wenig um jene Poesie, die wie der Klang der Sphären den Wechsel von Tag und Monat begleitet, ihm liefert die Natur nur Rohstoff für seine Zwecke, und jenes Gebirg, dessen Majestät der Fremdling bewundert, ist ihm ein wüster Steinhaufen, den Gottes Zorn hingestreut hat. Nur die Liebe macht ihn zum Dichter, und dabei ist er meistens ebenso realistisch, wie in der Auswahl der Leibgerichte, seinem Idealismus genügt die 244 Muttergottes. Die Schnadahüpfeln, höchstens lyrische Motive, kaum jedoch Lieder zu nennen, sind manchmal zart und neckisch, warm und innig, meistens jedoch derb und zotig, roh und gemein, daß man in den Salons, wo man »G'satzeln« zur modischen Zither liebt, vor Schrecken erstarren würde. Einen solchen Vers singend, trat eines Abends Rochus vor die Mühle.

»Du kannst dir auch die Stimme mit Schweinefett schmieren, sonst weckst du die Hähne noch vor Mitternacht!« rief die Häuserin in das Dunkel hinaus.

»So bist du da?« schrie Rochus zurück, »ich hab' gemeint, du seist auf dem Besen durch den Kamin aus, weil heut Pfingsttag ist. Gesungen hab' ich fürs Vronele und nicht für dich, machst mir aber das Fenster auf und laßt mich hinein, dann darfst Liqueur mittrinken und ein Trumm Torte abbeißen.«

Ein tüchtiger Platsch Wasser kühlte den Zudringlichen, daß er fluchend davon lief.

Die Häuserin machte das Fenster zu. Vroni 245 hatte, versunken in den Schlaf der Jugend, von der ganzen Scene nichts gehört.

Bei der Flucht Gertrauds noch fast ein Kind, war sie jetzt zur Jungfrau aufgeblüht, ein dralles Bauerndiendl mit Augen wie Schwarzkirschen, stets geneigt zu einer kleinen Schelmerei, aber dabei voll Herzensgüte, besonders gegen den Alten. Dieser schrumpfte von Tag zu Tag mehr zusammen, Furcht erregte er auch bei solchen, die, seine schlimme Vorgeschichte kennend, ihn zu allem fähig hielten, keine mehr, und der Haß derer, die er gekränkt, mochte sich wohl in Mitleid wandeln, sahen sie ihn zitternd einen Platz suchen, um in der Sonne zu rasten. Ein leichtes Lächeln spielte, wie ein verlorener Sonnenstrahl auf einem Gletscher, über sein ledernes Gesicht, wenn Vroni sich neben ihn setzte, die langen Nadeln in der Hand, ihm eine Wolljacke zu stricken. Sie bat ihn oft, ihr von alten Zeiten zu erzählen, vom Sandwirt, mit dem er in der holzgetäfelten Stube beim Domanig am Schönberg Krapfen aus einer Schüssel gegessen, oder von sich selber, 246 wie er in der Leutasch 1805 die blauen Franzosen niedergebrannt, welche die Revolution als Muttergottes anbeteten und den scheußlichen Voltaire als Gottes Sohn verehrten.

Der Alte wurde hie und da geschwätzig, dann schüttelte er wieder das kahle Haupt, murmelte vor sich hin und wies Vroni unfreundlich zurück.

»Es ist nicht gut, viel von alten Tagen zu reden, denk' du an das, was vor dir liegt, und forsche nicht, was geschehen ist!«

Rochus, der bei Gertraud abgeschlüpft war, wollte sich Vroni, die nach der Flucht ihrer Schwester ein noch größeres Vermögen zu erwarten hatte, nicht entgehen lassen und machte sich daher zeitlich daran, sie zu erobern. Er war jedoch alt geworden an Leib und Seele, wenn er überhaupt je jung gewesen; die Habsucht, die weder sich noch andern was vergönnt, trocknet den Menschen bald aus und verwandelt ihn in ein Einmaleins, vor dem der frischen Jugend graut, und sei es auch in Gold gedruckt.

247 Vroni lachte ihn aus, wenn er von Liebe sprach, und als er sie frischweg einlud, als Bäuerin auf den Ferstlhof zu ziehen, war sie unartig genug, den Daumen an ihr spitzes Näschen zu setzen und eine Fratze zu reißen, die er nicht mißverstehen konnte.

Er beschloß, es beim Alten zu versuchen. Als dieser einmal Sonntags vor der Thüre saß, nahm er neben ihm Platz, zog aus der schwarzen Jacke von Manchester, die mit Seidenschnüren verziert war, eine Flasche Wein und lud ihn ein, zu kosten, das wärme besser, als die Sonne im Herbst.

Der ließ sich nicht zweimal laden und lobte den Trunk, den er nicht zahlen durfte, über die Maßen.

»Ich hab' die Halbe im Spiel gewonnen.«

»Da kann man aber auch verlieren!«

»Ich kenn' den Vorteil beim Zwicken« – er drückte blinzelnd das linke Auge zu – »da schlägt's fast immer ein.«

»Bis dir der Teufel über die Achsel in die Karten schaut.«

248 »So hast vor zehn Jahren nicht geredt. Wo ist denn das Vronele? Sollt' ein Gläslein bringen und Gesundheit trinken!«

»Die laß nur bei der Häuserin, die ist dir nicht grün!«

»Aber ich hab' sie gern. Du hättest mir die Gertraud geben, wenn – – – doch rühren wir das nicht mehr auf. Vronele ist ein Schatz zum Fressen, warum sollte sie nicht meine Bäuerin werden?«

»Ich hab' dir schon gesagt, sie mag dich nicht!«

»Für was bist du denn ihr Vater, wenn du nicht kommandierst?«

»Nein, nein,« erwiderte der Alte scheu, »die Mädeln haben ihre eigenen Köpfe, und ich möcht' nicht noch einmal erleben, was ich erlebt.«

»Nun so laß sie in Goldslinserln fassen und stell' sie auf den Altar neben die heilige Notburg, daß sie dir nicht auch ein Soldat stiehlt!«

Er sprang unwillig auf, steckte die noch halbvolle Flasche rasch ein und ging ohne ein Wort davon. –

Da war der Fallsoner Franzl ein anderer 249 Bue. Er wußte jedes lustige Liedl und galt es, die erste Alpenrose zu pflücken, so trug sie gewiß Vroni Sonntags am Mieder. Hatte er mit ihr gelallt und getrallt, daß ihr die Augen übergingen vor Lachen, dann war er aber auch wieder fest bei der Arbeit und ließ sich nicht schelten. Wegen seines rötlichen Haares hieß er der Fallsoner Fuchs. »Rote Haare, falsches Herz!« Dieses Sprichwort traf jedoch bei ihm nicht zu, er war der beste Bursch von der Welt, ohne Arglist und Verstellung, gefällig bis zum Selbstvergessen – fürs Vronele wär' er durchs Feuer gerannt, natürlich, sie war ja seine Schulkameradin!

Bei dem roten Feldkreuz mit dem blutrünstigen Christus, wo sich der Weg nach Fallson abzweigt, Franzls Heimat, wartete immer eines auf das andere. In einem Täschchen trugen sie das Neunerbrot, sie setzten sich auf den Betschemel, lösten die Schnur und legten die Leckerbissen, Äpfel, gedörrte Zwetschen und Birnzelten, die ihnen Mutter und Häuserin eingesteckt, der Reihe nach hin.

250 Nun wurde geteilt, jedes nahm die Hälfte vom andern, es galt strenges Recht, denn keines wollte leiden, daß es mehr bekomme, jedes Stücklein wurde auf Gewicht und Größe geprüft. Hier tröstete Vroni nach der Schule den Franzl, wenn er wegen einer Rauperei Tatzen gekriegt. Neben dem Kreuz stand eine schöne Eberesche, im Herbste reizten sie die prächtig roten Träubchen, Franzl stieg hinauf und warf herunter, Vroni faßte die Beeren an eine Schnur und wand Armringe und Halsband. Wie schön das war! Da schlug es neun, sie hatten eine Stunde verpaßt und liefen nun voll Angst in die Schule. Der Lehrer hielt ein strenges Gericht, er zog den Stock hinter der Tafel hervor, und jedem wurde sein Teil auf die flache Hand gemessen. Weinend liefen sie nach der Schule zum Kreuz, kauerten auf dem Schemel nieder, bliesen gegenseitig in die roten Händchen und guckten sich wehmütig an, bis sie endlich hell auflachend des Schmerzes vergaßen und allerlei Mutwillen trieben.

So verstanden sich Fallsoners Fuchs und 251 Neuners Schwarze trefflich unter einander und nahmen die Freundschaft aus der Schule in das Leben.

Als sie größer geworden, sahen sie sich freilich nicht mehr so oft wie früher, sie konnten die Erdbeeren am Rain nicht mehr miteinander pflücken und zanken, wer mehr und schönere habe, dafür brachte ihr aber Franzl den Hut voll bis zum Gupf, und sie behielt ihm manche gelbe Kaiserbirne weich wie Butter, die er dann mit Behagen verzehrte.

Auch der Müller sah ihn, so viel er außer Vroni jemand lieben konnte, nicht ungern, schon der Tochter wegen, weil er dieser, wie ihm selber, manchen kleinen Dienst erwies. Übrigens steckte ihr Verhältnis noch in den Kinderschuhen, denen sie selbst längst entwachsen waren: für Franzl war Vroni noch immer das »Schwarzele« und für Vroni Franz das »Füchsl« von der Schule her.

Im Frühjahr zog er als Senner auf die Alm, dort nach Kaserstatt, das sich unter dem Burgschrofen so breit und grün der warmen 252 Sonne gegenüberlegt. Sie konnte von ihrer Kammer aus den Platz recht gut sehen und dachte oft: »Was thut etwa der Franzl?«

Sonntags stand er richtig vor der Thüre, frisch und heiter wie der Strauß, den er ihr mitgebracht, und sie liefen lachend und scherzend zur Kirche. War da nun das Hochamt vorüber, so kehrte er in der Stube ein bis Mittag; warf er die Lodenjoppe über den Rücken, da steckte immer Obst, Kuchen oder sonst ein süßes Andenken in den Taschen.

Im Herbst schützte Vroni Astern, Georginen und Windling vor dem Reif, so viel sie brauchte, um für Franzls Lieblingskuh einen Kranz zu flechten. Das war aber auch ein schönes Tier, schwarz wie Kohlen, mit junonischem Auge, um Homers Vergleich umzukehren, und einer rautenförmigen Blässe auf der Stirne. Der Kranz wurde um die Hörner geschlungen. Dann leckte das Tier Salz aus Vronis Hand und ließ sich muhend streicheln, bis es ein Klatsch auf den breiten Rücken vorwärts trieb. Für Vroni brachte Franz stets eine große Düte Almnüsseln, 253 so heißt ein fettes Gebäck aus Butter, Rahm und feinem Semmelmehl.

Es wird ein Teig geknetet, in Kügelchen geballt und diese braun herausgebacken. Wie das Melchermus, erfordern auch die Almnüsseln geschickte Bereitung; unserm Franz gebührte der Preis, und er bildete sich viel darauf ein.

So kam der Frühling, wo Rochus seine vergebliche Bewerbung unternahm. Er hielt den Fallsoner Fuchs für viel zu gering, um auf ihn Rücksicht zu nehmen oder sich um seine Anwesenheit zu bekümmern. Franz betrachtete ihn mit größtem Mißbehagen, seine Versuche bei Vroni erfüllten ihn mit dunkler Besorgnis, für die er schwerlich einen Grund, ja nur einen Ausdruck hätte finden können. Als sie jenen, wie wir erzählt, abgefertigt, war Franz seelenvergnügt wie noch nie, er lobte Vroni und fand es in der Ordnung, daß sie den Lotter tüchtig abgeschnalzt. Das lose Mädchen drehte sich auf dem Absatz herum und schnitt ihm die nämliche Grimasse. Er sprang hinzu, packte sie beim Handgelenk und hielt sie fest. Nach 254 einigen vergeblichen Versuchen, auszureißen, wandte sie ihm das Gesicht zu, sie schauten sich in die Augen und ließen einander errötend los. Erst als sich die Häuserin zu ihnen gesellte und schalt, daß sich für einen so alten Buben und ein so altes Mädel derlei Kindereien nicht mehr schickten, löste sich ihre Befangenheit in harmloses Geplauder.

Franz traf jedoch nicht mehr den alten unbefangenen Ton, seine Besuche wurden zwar häufiger als früher, doch war er viel ernster geworden, vielleicht hatten die Vorwürfe der Häuserin gewirkt, – oft näherte er sich der Mühle, ohne einzutreten, sah eine Weile zu Vronis Fenster empor und schlich davon, als man ihn bemerkte.

Schon wurde die Alpe grün, er sollte auffahren. Beim Abschied von dem Hause stockte ihm und Vroni hie und da das Wort, sie gingen recht einsilbig auseinander.

Nachts hörte sie hell jauchzen, sie richtete sich auf und vernahm Franzens kräftige Stimme: 255

»Siehst's Feuerl auf'm Berg
    Dort brennen recht hell,
An mein brennende Lieb
    Sollst denken dann schnell!«

Heut war er gewiß beim Wirt das Nachtlichtl, dachte sie, da hat er wohl auch die Verslein aufgeklaubt . . . dann fiel ihr wieder ein, er könnte sie selbst gedichtet und an sie gerichtet haben. Es stieg ihr warm ins Gesicht.

Am nächsten Abend, als die Dämmerung der Nacht wich, konnte sie es nicht lassen, von der Ecke des Hauses nach Kaserstatt zu spähen . . . es war nichts sichtbar, fast wurde sie unwillig. Nach dem Essen ging sie in die Kammer; als sie die Thüre aufthat, leuchtete ihr vom Berg ein Feuer entgegen: sie erschrak, als ob es im Hause brennte. Allerdings begann es zu glimmen, zu brennen.

Sie hatte sonst keine Sehnsucht nach den Alpenblumen in ihrer Wolkennähe, nun wünschte sie zu Peter und Paul, wo die Jöcher im schönsten Blütenschmucke prangen, hinaufzusteigen, sie wollte die Goldaurikeln selbst von der steilen Wand pflücken, denn frisch duften sie viel feiner, 256 den blauen Speik bewundern, wie er zwischen den zackigen Flechten aufstrebt, und die verschiedenen Arten Steinbrech, welche sich mit zierlichen Ästchen durch das feuchte Geklüft der Schrofen winden, vom Stein lösen. Der Gerichtsschreiber hatte in seinem Gärtchen aus Liebhaberei verschiedene Alpenkräuter angepflanzt, fast jeden Sonntag kam sie nachzuschauen, ob keine neue Knospe aufgebrochen. Wie glücklich mußte Franz sein, der das alles täglich vor Augen hatte und aus freier Brust über Berg und Thal hinaus jodeln konnte. Glücklich? – Da er heuer zum Schaffer auf der Alm vorgerückt, konnte er diese auch an Feiertagen der Aufsicht wegen nicht verlassen, den Buben mochte er weder Gruß noch Strauß aufgeben, weil sie ihn und Vroni schon früher oft geneckt. Der Vater hat ein paar Kühe in Kaserstatt, der Knecht sollte hinauf, um den Almnutzen, so nennt man Butter und Käse, auszutragen. Vroni summte nun der Häuserin täglich in die Ohren, bis sich diese endlich bewegen ließ, mit ihr den Knecht zu begleiten. Franz hatte 257 natürlich Botschaft erhalten, er mußte doch Lebensmittel in Bereitschaft halten und kochen.

War das ein Freudentag!

Er hatte die Hütte sorgfältig gescheuert, den Tisch blank gerieben und in den Krug einen großen Strauß gesteckt, auf dem Teller lagen Butterstrützchen, für die er eigens einen neuen Model geschnitzt, um ihnen allerlei Zierraten aufzudrücken, in zierlichen Bastkörbchen waren rechts blaue Heidel-, links rote Erdbeeren aufgehäuft. Von Zeit zu Zeit trat er vor die Thüre, schaute in das Thal und jodelte, daß es weithin widerhallte; endlich hörte er von fern Antwort, wie Lerchengesang drang Vronis helle Stimme empor. Er jauchzte und jauchzte wieder, immer näher die Antwort . . . endlich stand sie vor ihm auf der Isse. Sie zwitscherten und schwätzten wie die Schwalben im Frühling.

Vroni half ihm beim Kochen, bald dampfte das Melchermus, oben und unten schön braun, vor ihnen; die Häuserin stellte eine Flasche Wein dazu.

Nach dem Essen zeigte Franz Vroni alle 258 Kostbarkeiten; er führte sie hinaus zu den Blumen, an die Schrofen, wo das Edelweiß nickte, er hob sie empor und ließ sie zuletzt auf seinen Rücken steigen, damit sie Sonntags vor den andern Mädchen mit Stolz einen selbstgepflückten Strauß an der Brust tragen könne. Dann bewunderte sie die Aussicht, er benannte ihr all die fernen Gipfel, sie freuten sich an den Häuschen, die so winzig aus der grünen Tiefe winkten, am glitzernden Bach und an tausend Kleinigkeiten, die ihnen wichtig deuchten. Auch die Sonne schien jetzt, seit Vroni auf der Alm war, schneller zu wandeln, als dort, wo Franz sie erwartete.

Die praktische Häuserin hatte indes den Milchgaden mit der aufgestockten Butter und die Käsemännchen gemustert, jede Kuh betrachtet und den Schafen den Rücken gekraut, um die Wolle zu prüfen, der Knecht stand mit der schweren Kraxe zur Abfahrt bereit, – sie mußten scheiden.

»Hast du mein Feuerchen immer gesehen?« fragte Franz.

259 »Freilich!« erwiderte das Mädchen.

»Siehst du, machen wir es in Zukunft so,« sagte er treuherzig. »Du trittst mit dem Licht an dein Kammerfenster und bewegst es auf und ab, dann löschest du es aus und wünschest mir eine freundliche gute Nacht. und ich lösche das Feuer aus und wünsche dir eine gute Nacht!«

»Das kannst du ja nicht hören und ich auch nicht!« sagte sie schelmisch.

»Wir können es aber sehen.«

»Du bist ein Lapp,« kicherte sie, »und willst, daß man sehe, was man hören soll!«

»Nun, so wollen wir es denken!«

Sie drückten sich die Hand.

Noch am nämlichen Abend spielte das telegraphische Feuerzeichen zwischen Berg und Thal.

Es spielte, wenn sich nicht die Nebel zu tief senkten, bis in den Herbst.

Zu Michaeli warf der Nordwind Schnee auf die Berge, die Senner mußten abtreiben, auch unser Franz kehrte zurück mit der Düte voll Almnüsseln. Man traf ihn oft in der 260 Mühle; Vronele wurde von den Gespielinnen bald wegen ihres Fuchses aufgezogen, sie nahm es eben nicht übel, ohne daß ihr Verhältnis einen Schritt weiter gerückt wäre.

Franz mußte Streu holen. Er wählte sich einige Tannen unweit der Mühle, wie erschrak Vroni, als sie ihn einmal in der Frühe wie aus den Wolken jauchzen hörte. Rasch sprang sie aus dem Bette, kleidete sich an und riß das Fenster auf. Sein rotes Haupt leuchtete aus dem Wipfel eines hohen Baumes, er schwang das Hütlein und wünschte ihr einen guten Morgen. Sie drohte mit dem Finger. Er setzte die Arbeit fort, Zweig und Zweig fiel unter seinem Beil, dann stieg er auf eine andere Tanne, um sie zu entasten. Das Stroh wird nämlich in Tirol häufig verfüttert, der Wald muß zu seinem Schaden den Ausfall an Streu decken. Nachmittags wollte sie ihm einige Nudeln bringen. Ehe sie ihn erblickte, hörte sie ihn unter einem Baum in der warmen Sonne schnarchen. Rasch bückte sie sich und warf ihm einen Tannenzapfen an den Kopf. 261 Er fuhr auf, rieb sich die Augen und schaute fluchend zum Baum empor, in der Meinung, ein Eichhörnchen sei droben. Da er keines sah, legte er sich auf das andere Ohr und schlief wieder. Ein zweiter Zapfen traf ihn so empfindlich, daß er in die Höhe sprang. Vroni hüpfte aus einer Staude und lief lachend davon. Er nach, bald hatte er sie eingeholt, schlang den Arm um ihren Leib und drückte der sich Sträubenden einen Kuß auf die Wange. Sie riß sich scheltend los, enteilte und rief schmollend zurück: »Weil du von deinen sauberen Kameraden alle Unform gelernt hast, so komm mir nicht mehr nahe!« Dann rieb sie die Wange und ging ohne umzuschauen heim. Franz erschrak, er bereute seine Keckheit und wagte sich einige Tage gar nicht mehr in die Nähe der Mühle.

Vor Allerheiligen brach ein heftiger Südsturm los, der Schnee schmolz und Ströme lauen Regens rauschten nieder. Die Bäche schwollen in Wut, die Ruez ergoß ihre braunen Fluten über die Wiesen und warf bereits den Gischt auf den Steg von Mieders nach Telfes. 262 Endlich klärte sich der Himmel. Franz lauerte in der Nähe der Mühle, lang vergebens. Nachmittags öffnete sich die Thüre, Vroni trat heraus, sie trug eine große Eierbretze, die sie einem Patenkind bringen wollte.

Nachdem sie eine Weile nach allen Richtungen ausgeschaut, als ob sie jemand erwarte, stieg sie auf den schmalen Pfad nieder.

Franz begrüßte sie: »Darf ich dich etwa begleiten?«

»Wenn du dich anständig benimmst!« erwiderte sie lächelnd.

Er wollte an ihre Seite treten, sie machte eine abwehrende Bewegung und rief: »Drei Schritt von meinem Leib!«

So oft er sich ihr nähern wollte, wiederholte sie es, so daß er nebenher durch den nassen Anger laufen mußte.

Sie waren am Stege. Franz sagte: »Jetzt mußt du mich doch an deine grüne Seite lassen, geh', sei gescheit und häng' dich ein!«

»Drei Schritt von meinem Leib!« rief sie 263 scherzend und tänzelte, das Gesicht gegen ihn gewandt, rückwärts.

Er schrie, als sie sich dem Wasser näherte, vor Angst laut auf, sie erschrak, glitschte aus und stürzte in die tobenden Wellen.

Ohne sich zu besinnen, sprang er nach, es gelang ihm, sie zu erreichen und an das Ufer zu bringen. Beide waren wie in Chokolade gebadet, er schüttelte sich und wollte sie auf einen Stein setzen, ohnmächtig sank sie ins Gras.

»Du lieber Gott!« jammerte er, »wenn sie nur nicht stirbt!« Langsam legte er sie über die Achsel und trug sie zur Mühle. Ein leiser Hauch berührte seine Wange, sie begann wieder zu atmen.

»Das Vronele ist ins Wasser gefallen!« rief er.

Der Müller stand zuerst wie versteinert, dann stürzte er über Vroni, die Franz auf die Bank gelegt hatte. Die Häuserin rannte mit einem Büschel aromatischer Kräuter aus der Thüre, um sie vor ihrem Gesicht anzuzünden.

264 »Was treibt Ihr denn?« unterbrach sie Franz abwehrend, »sie atmet noch, erstickt sie nicht mit Euerem Rauch.«

Der Müller starrte ihn ungläubig an, da regte sich Vroni und schlug die Augen auf, sie schaute sich im Kreis herum, ohne jemand zu erkennen, und schloß das Auge wieder.

Ein paar Tropfen Melissengeist, welche die Häuserin auf ihre Lippen träufelte, erweckten sie wieder.

Franz stand vor ihr, über ihre Züge glitt jenes unbeschreibliche Lächeln seligen Verständnisses, der schönste Strahl aus dem Morgenrot des Paradieses, den ein milder Engel den Menschen gönnt.

Sie reichte ihm die Hand und sagte mit leiser Stimme: »Ich danke dir!«

»Und ich danke Gott,« rief er feurig, »daß er mir das Glück gönnte, dich zu retten!«

Sie konnte sich langsam aufrichten; unterstützt vom Vater und der Häuserin wankte sie durch die Thüre, das Haupt gegen Franz gewandt.

265 Er fühlte, daß er vorläufig überflüssig sei, und ging sinnend gegen Fallson.

Als sich Vroni ganz erholt, verließ sie der Müller und stieg in seine Kammer. Dort traf ihn die Häuserin in der Ecke; die Arme bewegungslos auf den Tisch gelegt, schien er in traurige Gedanken versunken und sie gar nicht zu beachten.

»Du bist mir der Rechte,« begann sie unwillig, »oder besser, du bist halt, der du bist, sonst thätest du dich schämen. Ohne ein Wort des Dankes läßt du Franz vor der Thüre, das ist denn doch ein bißchen zu wenig!«

»Ihm danken?« begann er, »ich zahle einige Messen zur Ehre Gottes, und ist er ein rechter Christ, so zahlt er auch ein paar, daß ihm der Schutzengel aus dem Wasser geholfen. Ihm danken? Hab' ich nicht gesehen, was sie für zärtliche Blicke getauscht? Ich weiß, was nun kommen wird; er freit um sie, und ich, ich werde allein bleiben, ganz allein und verlassen.« Eine Thräne füllte sein Auge, er wischte sie mit dem Hemdärmel weg, stand auf und trat, der Häuserin den Rücken kehrend, ans Fenster.

266 »Und warum soll sie den Franz nicht heiraten?« fragte diese.

»Schau,« redete er über die Achsel zurück, »ich habe das Vronele lieb, und in der Ehe giebt's oft bittere Brocken zu verkiefeln. Die Männer sind manchmal grob und schlecht.«

»Denkst du vielleicht daran, wie du es ihrer armen Mutter gemacht? Der Franz ist kein solcher Zoch wie du!«

»Rochus wär' mir doch lieber, er hat einen schönern Hof und mehr Geld in der Truhe.«

»Und wär' er ein Dukatenmännlein, sie mag ihn nicht, das weißt du längst. Lieber trägt sie gegerbtes Leder an den Füßen, als auf dem Rücken.«

»Ach Gott, daß die Geschichte gerade jetzt ausbrechen muß!«

»Was recht ist, ist recht zu jeder Zeit. Du brauchst nicht zu sorgen. Vroni ist brav und Franz auch, sei froh, daß du eine Stütze im Alter hast!«

»Du kennst mich ja,« sagte er ausweichend, »laß mich's überlegen!«

267 Sie kehrte an Vronis Bett zurück.

Den weitern Verlauf kann sich der Leser bereits vorstellen. Franz warb förmlich um Vroni, der Alte sagte knurrend zu, weil ihm Gertraud warnend vor der Seele stand, doch suchte er die Heirat hinauszuschieben, so lange als möglich. Endlich war der Tag angesetzt, er konnte ihn nicht mehr verlegen. Da saß er einmal in Sorgen vertieft auf seinem Bett, nebenan flackerte ein Öllämpchen. »Am Ende verläßt mich Gretl auch!« seufzte er und sann neuerdings nach. Plötzlich erheiterte sich sein Gesicht, er schlüpfte in die bocklederne Hose, warf ein Leintuch über die Schultern und ergriff die Lampe. Hüstelnd stieg er zu Gretls Kammer empor. »Sitzt dem Alten wieder der Geizteufel im Genick?« dachte sie, als sie das Klappen der Schlappschuhe hörte. Leise drückte er die Klinke auf und trat, wie der Tod auf Plattners Bild im neuen Friedhof zu Innsbruck, vor ihr Lager.

»Bist du verrückt, Alter?« rief sie staunend.

»Gewiß nicht. Aber es ist mir ein guter 268 Einfall gekommen. Ich will kein Wörtlein mehr gegen die Hochzeit mit Franz sagen, aber vorher selber heiraten.«

Die Häuserin drückte sich erschrocken an die Wand, denn sie glaubte nicht anders, als er sei närrisch geworden.

»Ja, das will ich,« fuhr er fort, »und zwar dich! Sonst laufst du mir auch noch durch, und wen hab ich dann? Sag ja, und die beiden Jungen mögen sich acht Tage nach unserer Hochzeit haben und kriegen sich so um vierzehn Tage früher, als es bestimmt.«

Sie setzte sich auf. »Meinetwegen!« sagte sie, »wenn du's nicht anders thust. Du ersparst dann meinen Jahreslohn, und das hast du wohl auch schon berechnet?«

Der Alte schwieg verlegen.

Sie fuhr fort: »Ich will dich heiraten – aus Mitleid für dich, und aus Lieb zur Vroni. Kannst beim Pfarrer alles in Ordnung bringen. Jetzt pack dich aber durchs Zimmermanns Loch hinaus, es will sich doch nicht recht schicken, 269 daß ein Witwer zu seiner ledigen Häuserin des Nachts auf die Stube schleicht.«

Er wandte sich zum Gehen, trat aber noch einmal an ihr Bett: »Du weißt nicht, wie oft ich an Gertraud denke, und welchen Kummer ich ihretwegen trage. Hat sie dir nie geschrieben?«

»Keine Zeile!«

»Du lieber Gott! Vielleicht steckt sie in Elend und Jammer.«

»Das glaube ich nicht. Sie schreibt nicht, weil sie sich nach dem schönen Abschied, den du von ihr genommen, nicht traut; ging es ihr schlecht, so würde sie ihr mütterliches Erbe einfordern.«

»Das ist wahr!« antwortete er, »du hast recht.«

Er verließ die Kammer. Zum erstenmal sprach er heute von Gertraud, obwohl diese bereits drei Jahre aus dem Hause war. Gretl wußte nun, daß ihn die Vorwürfe des Gewissens und der stumme Schmerz weich gebeizt, und hoffte das Beste.

270 Sie heirateten, und acht Tage darauf Vroni und Franz.

Als Vroni entbinden sollte, ließ der Müller einige Messen lesen. Man legte ihm ein Knäblein, das allsogleich die Wände tapfer anschrie, in die Arme, er machte ihm ein Kreuz, daß ihm die Hexen nichts anhaben könnten, und sagte nach einer Weile traurig zu Gretl: »Meinst wohl, ob die Gertraud auch so frische Buben hat?«

Das geschah im Sommer; die Tage des Alten waren gezählt. Seine Füße schwollen an, nur nach mehrmaligem Atemholen konnte er den oberen Stock des Hauses ersteigen; die Blätter am Ahornbaum neben der Mühle vergilbten und fielen ab, er mußte sich zu Bett legen. Der Arzt von Mieders besuchte ihn täglich, er wurde schwächer und schwächer, ein Fieber gesellte sich zur Engbrüstigkeit; die Lage wurde bedenklich und verschlimmerte sich, als die warme Witterung mit heftigem Schneegestöber wechselte, noch mehr. Franz holte im Einspänner den Doktor Lantschner von 271 Innsbruck. Dieser ließ sich vom Arzt die Symptome aufzählen, untersuchte den Kranken, blieb eine Weile nachdenklich, die Hand am spitzen schwarzen Bart, stehen und wandte sich dann, die Brauen leicht emporziehend, leise an den Kollegen: »Was geben wir ihm etwa?«

Dieser zuckte die Achseln. Der Doktor ergriff ein Blatt Papier und verschrieb Moschus.

Aufmerksam und ängstlich beobachtete der Kranke jede Bewegung. »Es steht wohl schlecht mit mir?« begann er zagend.

»Gut freilich nicht,« erwiderte Lantschner, »alt seid Ihr auch.«

»So muß ich abkratzen?« seufzte der Müller erschrocken.

»Das sag' ich nicht; Ihr könnt noch hundert Jahre alt werden; Ihr mögt jedoch an die vier letzten Dinge denken, morgen ist ohnehin Allerheiligen, wo es der Brauch ist, zu beichten und kommunicieren; thut es auch!«

»In Gottes Namen.«

Lantschner winkte der Tochter, die weinend 272 am Fuß des Bettes stand. Sie ging mit ihm vor die Zimmerthüre.

»Nehmt den Vater wohl in acht, ich möchte nicht verbürgen, daß er Mitternacht erlebt.«

Er stieg in den Wagen, Franz übernahm es, den Pater Benizi zu bringen.

Indes bereitete man den Alten auf die Ankunft desselben vor, gegen Abend hörte man das Rasseln des Einspänners, bald darauf das Klingeln eines Glöckleins, über die Stubendecke glitt der Lichtschein einer Laterne: Benizi trat im Chorrock und Stola, den Kelch in der Hand ein, ihm folgte der Meßner mit den übrigen kirchlichen Gerätschaften.

Franz zündete schweigend die Wachskerzen zu beiden Seiten des Kruzifixes an. Die überflüssigen Zeugen entfernten sich, der Pater trat an das Bett des Kranken und sprach als Einleitung zur Beichte die liturgischen Formeln.

Der Müller faltete die Hände und flüsterte lang und leise.

»Also darf ich Eurer Gertraud sagen, Ihr verzeiht ihr allen Schmerz, den sie Euch verursacht?«

273 »Ich verzeih' ihr, wie ich wünsche, daß sie mir verzeihe. Sie soll meine Tochter sein, gleich an Ehre und Recht wie Vroni; könnt' ich beide mit ihren Kindern hier sehen, ehe ich die Augen zumache!«

»Ihr verzeiht auch Janos und erkennt ihn als Sohn?«

Aus dem matten Auge des Kranken fuhr ein Blitz, seine Finger zuckten krampfhaft.

Der Pater wiederholte die Frage ernst und gemessen.

»Er hat mich schwer getroffen! Aber um Gottes, um Gertrauds willen verzeih ich ihm – um ihrer Kinder willen!«

»So mag auch Euch der Herrgott verzeihen! Tragt Ihr sonst gegen niemand Unrecht auf dem Herzen?«

»Ich hab' ja Messen lesen und Rosenkränze beten lassen.«

»Das ist gut, damit allein seid Ihr aber der Pflichten gegen den Nächsten nicht ledig. Ihr müßt den Schaden, den Ihr verursacht habt, ersetzen.«

274 »Wie kann ich das, die letzten Jahre hab' ich niemand verletzt, aber früher! . . . mancher ist schon tot.«

Er ächzte wie unter der Last schmerzlicher Erinnerungen und faltete angstvoll die Hände. »Könnt Ihr mich nicht lossprechen?«

»Zuerst muß du dich lossprechen vom Sündensold dieser Erde. Alle zu entschädigen, ist unmöglich, aber es giebt Witwen und Waisen genug, thue für die etwas.«

Der Alte zerrte mit zitternden Fingern einen Beutel unter dem Kopfpolster hervor, der Priester öffnete ihn, eine Rolle Dukaten kollerte auf den Tisch.

»Wie schön das Gold glitzert!« flüsterte der Alte, gierig die Hand ausstreckend, »glaubt Ihr, ich soll es opfern? Hätten das meine Töchter noch, dann wären sie die reichsten im Dorf . . . . dafür wollt' ich fast ein bißchen Fegfeuer aushalten.«

»Dein Geld folgt dir nicht in das Grab, wohl aber die Schuld in die Hölle. So lang du dich nicht lossprichst vom Kot dieser Erde, 275 kann ich dich nicht lossprechen, und es gälte auch nicht vor Gott, wenn ich dich losspräche.«

»Freilich, freilich,« sagte der Kranke, »es war ein flüchtiger Gedanke von mir, den mir der Teufel in der letzten Stunde eingeblasen hat. Nehmt das Geld für Witwen und Waisen, ich werfe es um Gotteslohn mit aufrichtigem Herzen von mir!«

Der Priester erhob segnend die Hand zur Absolution. Dann steckte er die Dukaten in den Beutel und verbarg ihn in der Kapuze, wo die Mönche gewöhnlich Dosen und andere Kleinigkeiten aufbewahren.

Der Kranke schien beruhigter.

Benizi klingelte. Der Meßner trat mit den andern ein; während er zur Kommunion ein weißes Linnen auf die Decke breitete, knieten diese rings um das Bett nieder.

Der Müller suchte sich plötzlich aufzurichten: »Jesus, Maria und Joseph,« stöhnte er, »helft, helft.«

Der Pater trat mit der Hostie vor ihn und fragte sanft: »Was willst du?«

276 »Die ganze Stube war plötzlich schwarz, Flämmlein zuckten durch das Dunkel,« antwortete der Alte mit gebrochenem Laut, »– – dort – – dort – – dort.«

»Der Erlöser lebt.« sprach der Priester tröstend. »Empfange den Leib des Herrn und ruhe im Schoß seiner unendlichen Barmherzigkeit.«

Er legte die Hostie auf die Lippe des Sterbenden. Dieser zuckte noch einigemale; ein hohler Seufzer, und er war verblichen.

Schluchzend drückte ihm Vroni die Augen zu.

Der Priester sprach die Gebete für die Toten.

Bald erzählte man im Dorfe, der Teufel habe sich über das Bett des Kranken gelegt, mit den Fledermausflügeln flatternd, daß fast die Kerzen erloschen, die Klauen ausgespannt, um die Seele abzufangen; er sei erst gewichen, als ihm Benizi, der ihn schon oft aus dem Felde geschlagen, das Kruzifix zwischen die Hörner stieß. Die Hunde sähen Geister, darum habe Mordan zu dieser Zeit so schrecklich geheult und fast die Kette abgesprengt. Ohne 277 Teufel geht es halt bei den Bauern nicht ab; gönnen wir ihnen die gute Gesellschaft.

Nach der Beerdigung, die mit jenem bäuerlichen Prunk abgehalten wurde, den der Brauch bei der Leiche eines so reichen Grundbesitzers forderte, pochte das Gericht an die Thüre, um das Inventar aufzunehmen und das Erbe zu ordnen. Weil der Verstorbene seine Aufschreibungen pünktlich geführt hatte, so erhob sich nirgends eine Schwierigkeit, nur war der Aufenthalt Gertrauds nicht zu ermitteln, obwohl von Amtswegen an das Militärkommando und von diesem an die Behörde des Werbebezirks, welchem Janos zuständig war, geschrieben ward. Franz wurde daher zum Verwalter des Vermögens bestimmt; daß er es auf das Redlichste that, daß er und Vroni den aufrichtigsten Wunsch hegten, Janos und Gertraud gesund eintreffen und ihren Teil antreten zu sehen, besprechen wir als selbstverständlich nicht weiter.

Die wackern Leute veranlaßten auf eigene Kosten Nachforschungen um die Verschollenen, leider umsonst!

* * *

278 Ein heftiges Unwetter hatte 1860 das Korn auf den Feldern Stubais in den Boden gehagelt. Franz konnte sonst den Bedarf der Mühle, wo er einen geschickten Knecht angestellt hatte, durch eigenes Erzeugnis decken, dieses Mal war es unmöglich, und so entschloß er sich, auf die Schranne nach Rosenheim zu fahren; Vroni, die nie über Innsbruck hinausgekommen war, begleitete ihn.

Auf dem Platze hörte sie den Racoczimarsch auf einer Drehorgel spielen. Unwillkürlich wandte Vroni das Haupt, sie erinnerte sich an Janos, der ihn auf der Maultrommel oft gespielt, – ein großer Mann mit einem Stelzfuß drehte matt und verdrossen die Kurbel, graues Haar flatterte um die knochige Stirn und die eingefallenen Wangen, auf denen die Stoppeln eines verwahrlosten Bartes starrten. Ein zerzauster Schnauz hing über die Oberlippe. Um die mageren Glieder schlotterte ein alter Soldatenrock, oft geflickt, der Staub der Straße ließ kaum die Farbe erkennen. Sein unstetes schwarzes Auge folgte einem Knaben, 279 der in den Hut die kargen Kreuzer sammelte, welche das Mitleid spendete.

Vroni preßte Franz krampfhaft beim Arm: »Das ist ja Janos!« flüsterte sie.

»Was dir nicht einfällt!« antwortete Franz. Der Knabe trat demütig vor sie hin, Vroni warf ihm ein Sechserl zu und fragte: »Wie heißt dein Vater?«

»Janos Szalai aus Ungarn,« erwiderte der Knabe unbefangen aufschauend.

»Er ist's, er ist's!« rief Vroni und stürzte mit Franz zum Bettelmusikanten.

Dieser ließ die Kurbel fahren. »Ja, du bist's, Janos!« rief Vroni noch einmal, faßte und drückte seine schwielige Hand.

Große Thränen rollten in seinen grauen Bart.

»Ihr verachtet mich also nicht, wenn ich auch weder Haus noch Gut mehr habe?« sagte er.

»Du bist unser Schwager!« entgegnete Franz.

»Wo ist Gertraud?« fragte Vroni ängstlich.

Schon hatten sich Leute um die Gruppe gesammelt, Janos nahm die Orgel auf den 280 Rücken, der Knabe lief voraus bis zu einer ärmlichen Schenke, wo Gertraud eben Kartoffeln sott.

Wir schweigen von der Scene eines erschütternden Wiedersehens.

»Lebt der Vater noch?« war Gertrauds erste Frage.

»Wir haben ihn vor zwei Jahren begraben, er ist mit aller Heiligkeit versehen gottselig verschieden und hat deiner noch liebevoll gedacht.«

»O, daß ich ihn mit meinen Händen aus dem Grab scharren könnte, ihn um Verzeihung zu bitten für das Leid, was ich ihm bereitet!« schluchzte Gertraud. Vroni mußte ihr alles erzählen und wieder erzählen, sie hörte mit Rührung zu, und ihr Schmerz milderte sich.

Unterdessen war Franz in die Stube gegangen und hatte der Wirtin aufgetragen, zu kochen, was gut und teuer sei. Bald schäumte der Gerstensaft frisch angezapft auf dem Tisch, zu dem eine gebratene Gans einlud. Unter Freud und Leid verzehrten sie das Mittagsmahl, – mit größtem Appetit der Bube, 281 dem kein Schmerz den Genuß des seltenen Leckerbissens störte, und der eigentlich nicht begriff, warum die großen Leute, anstatt einzuhauen, immer wieder plauderten und weinten.

Wir erzählen nun kurz die Schicksale von Gertraud und Janos.

Einige Wochen nach der Hochzeit hatten sie die kleine Mühle mit den Nußbäumen und dem Weinberg erreicht. Gertraud gewöhnte sich bald ein und wäre ganz glücklich gewesen, ohne die Erinnerung an die letzten Scenen in der Heimat . . . Janos' Gut war zwar nicht groß, aber es nährte die Familie, zu der sich bald ein Knäblein gesellte. Gertraud schrieb bald nach ihrer Ankunft an Gretl und legte eine Banknote bei, daß sie Vroni eine Freude mache; nach der Geburt des Knaben schrieb sie an den Vater, schilderte ihm den Enkel und ihr Mutterglück und beschwor ihn bei dem Haupte desselben, ihr zu verzeihen. Auch dieses Mal legte sie eine Banknote bei, zu einem ähnlichen Zweck wie früher, mit der Nebenabsicht, den Alten, der auf Geld und Gut 282 hielt, um so leichter zu gewinnen, wenn er sähe, daß sie nicht arm geheiratet. Leider wurden in Österreich früher viele Briefe »verloren gegangen«, wenn ich so sagen darf; wie sollten Geldbriefe ohne Recepisse auf der weiten Reise von Ungarn nach Tirol Diebsfingern entschlüpfen? Vergebens harrte sie auf Antwort, sie entsagte endlich mit dem traurigen Gedanken, sie sei von der Mühle ausgestoßen und vergessen für immer.

Der Neujahrsgruß von 1859 brachte den Krieg. Überall wurden Truppen ausgehoben, in Ungarn nahm man auch ausgediente Leute, was begreiflicherweise große Erbitterung gegen die damalige Regierung hervorbrachte. Ich erinnere mich selbst eines alten Feldwebels, der zu Innsbruck plötzlich vor einigen spielenden Kindern stehen blieb und bitterlich weinte: Er habe auch solche Kinderchen, sagte er, und gab den Buben etliche Sechser, sie möchten sich Obst kaufen und für ihn in der Kirche dort beten, daß seinen Kindern der Vater erhalten bleibe! Dann erzählte er, wie man ihn neuerdings 283 gezwungen, den Soldatenrock anzulegen. So ging es auch Janos.

Unfähige, hochadelige Generäle führten die Armee auf die Schlachtbank, überall traf man Verstümmelte, die freilich nicht tausende von Gulden als Pension erhielten, um sie in Ruhe zu verschlingen; – Janos ist uns begegnet.

Während er im Felde war, versah Gertraud die Mühle, sie kannte die Verhältnisse zu wenig. und es ging viel Geld verloren. Janos kehrte zurück, vermochte aber nicht mehr viel zu leisten, und gerade damals wie wohl auch heute waren fremde Arbeitskräfte in Ungarn teuer und nie zuverlässig. Mit bitterstem Kummer sahen beide, wie sich die Wirtschaft aufzehrte, sie gerieten in Schulden, ihr Hüttlein kam unter Sequester. Die Liebe flieht gern vor Armut und Elend, Janos und Gertraud fühlten sich dadurch fester verbunden und stützten einander mit rührender Gattentreue.

Da nahm Janos den letzten Rest des Geldes, kaufte die Drehorgel, und beide begannen in der Fremde das Elend zu bauen. Wohl dachte 284 Gertraud an die Heimat, wie bitter empfand sie es, wenn harte Menschen sie fortwiesen, wie viel schmerzlicher mußte es sein, wenn sie der eigene Vater von der Thüre jagen, und die Nachbarn höhnend mit den Fingern auf sie und Janos deuten würden.

Sie dachte an das Erbe ihrer Mutter; sollte sie ihrem Vater, dem sie so schweres Leid bereitet, die Kapitalien künden und ihm wieder in das Herz greifen? Sie fragte Janos. Er war mit ihr einverstanden, lieber darben, als das thun. Doch wollten sie sich Tirol nähern und vielleicht nach Innsbruck wandern, wo sie niemand mehr erkennen würde, um hier Nachrichten einzuziehen.

So duldeten Janos und Gertraud. –

Der Plan für die Zukunft war leicht entworfen. Janos und Gertraud sollten nach Ungarn zurückkehren, die Mühle versteigern, denn vielleicht ließ sich trotz der Schulden noch einiges herausschlagen, dann nach Stubai zurückkommen und dort das Erbe übernehmen. Franz trug eine schwere Geldkatze, er zählte dem 285 Schwager für künftige Abrechnung eine beträchtliche Summe zu. Zwei Tage blieben sie in Rosenheim beisammen, wie viel hatten sie zu erzählen. Da erfuhr Gertraud auch, daß Rochus geheiratet, seinem Weib, als sie gesegneten Leibes war, einen Fußtritt gegeben und dadurch ihren Tod im Kindbett bewirkt habe. Jonas – auch ein ehemaliger Anbeter – sei noch ledig, obwohl ihm manche wackere Mutter ein Töchterlein nicht versagen würde.

Die Geschäfte wurden verabredetermaßen abgewickelt. Die Bauern erfuhren, Janos übernehme die Mühle von Vallrup und werde deshalb die seinige in Ungarn verkaufen, Franz kehre in sein Erbgut zurück.

Noch vor dem ersten Schnee wanderte Janos und Gertraud in die Heimat. Die Orgel stifteten sie aus Dankbarkeit gegen die Mutter Gottes, weil sie ihnen ihren gnädigen Schutz verliehen, auf die Waldrast, nicht daß sie dort bleibe, sondern mit der Bedingung, daß sie ein armer Invalide, dem sonst kein Erwerb blühe, nehmen und in der Mühle noch zehn Gulden 286 Reisegeld dazu holen dürfe. Bis jetzt hat sich noch niemand gemeldet.

Sie sollten übrigens ihr Glück nicht lang vereint genießen. Janos begann noch mehr abzumagern, die beste Nahrung stärkte ihn nicht, Doktor Lantschner erkannte die Zeichen der Schwindsucht und wagte keine günstige Diagnose zu stellen:

»Bis zum Frühling!« sagte er ernst.

Bis zum Frühling! Janos sah mit der Ruhe des Soldaten und viel geprüften Mannes dem Tode entgegen; als die ersten Blätter grünten, begrub man ihn neben dem alten Müller.

Die Schützen von Stubai erwiesen ihm die letzte Ehre und schossen über den Sarg. Ein gußeisernes Kreuz mit goldenen Knäufen und silbernen Strahlen bezeichnet seine Ruhestätte: wer den Friedhof von Mieders besucht, wird es auf der Ostseite desselben leicht finden und mag dann, wenn er die Inschrift auf der Blechtafel gelesen, mit dem Sprengwedel Weihbrunn auf den Hügel spritzen.

* * *

287 Gertraud wird in den Verdacht der Nüchternheit geraten, wenn es sich in den nächsten Blättern darum handelt, sie mit Jonas zu verheiraten; zartfühlende Herzen mögen daher die Erzählung bis zur letzten Seite weglegen, den Schluß vermißt ja doch niemand gern.

Gertraud war Witwe. Mit echter Trauer, mit aufrichtigem Schmerz trug sie den Tod des Gatten, er blieb und bleibt für immer eingeschlossen in ihrem Herzen wie in ihr Gebet; sie wandte sich jedoch, nachdem das erste Leid überwunden, den Pflichten des Lebens mit jenem Ernst, jener Tüchtigkeit zu, welche die vorzügliche und löblichste Eigenschaft einer gesunden Natur sind.

So lang Janos auf dem Krankenbette litt, verließ sie selten das Haus, Jonas hatte sie nur von weitem oder vor der Kirche gesehen. Hatte sich auch seine Leidenschaft zu einer ruhigen Freundschaft abgeklärt, über der nur noch ein Hauch von Liebe schwebte, daß er seiner selbst völlig gewiß war, empfand er auch nicht den mindesten Widerwillen gegen 288 Janos, der ihn als glücklicher Nebenbuhler ausgestochen, so widerriet ihm doch ein dunkles Gefühl, Vallrup zu besuchen, ohne daß er den Vorsatz gefaßt hätte, der Müllerin auszuweichen, wenn sie ihm der Zufall entgegenführe.

Das geschah, als sie vom letzten Seelengottesdienst zurückkehrte. Der kleine Janos lief, das Gebetbuch unter dem Arm, voraus, aufgeweckt und munter, denn er hatte noch kein Verständnis für den großen Verlust, der ihn getroffen. Jonas, der zu Mieders das Tagblatt holte, kam ihm auf der Straße entgegen. Das Büblein wollte nach Zigeunerart ein Rad schlagen, es verfehlte dabei den Rain der Straße und fiel laut schreiend in die Disteln. Das Unheil war nicht so groß, Jonas stellte es auf die Beine und führte es zur Mutter.

Ein leises Lächeln spielte über ihr verweintes Antlitz, von Verlegenheit oder Befangenheit war weder bei ihm noch bei ihr eine Spur.

Er bot ihr die Hand: »Grüß Gott, Gertraud. Es hat sich nie fügen wollen, dich früher zu sehen, – also noch einmal grüß Gott!«

289 Sie schlug freundlich ein und fragte: »Dir ist's immer gut gegangen?«

»Ich hab' halt so zwischen kalt und warm fortgelaggelt. Hätte nicht erwartet, dich so früh im schwarzen Rock zu sehen.«

Ihr Auge wurde feucht.

»Du bist jetzt Witwe,« fuhr er treuherzig fort, »für Witwen und Waisen sind schlechte Zeiten, wo sich Recht und Billigkeit verschliefen, als gehörten sie gar nicht auf die Welt. Du hast an Franz einen braven Schwager; wenn er aber nicht beim Zeug sein sollte, so geh' bei mir nicht vorüber.«

»Vergelt dir Gott deinen guten Willen,« erwiderte sie gerührt, »daß du es außer meinen Verwandten am besten mit mir meinst!«

»Janos soll einmal nachschauen, ob an meinem Spalier nicht bald die Pelzkirschen reifen.«

»Behüt Gott!«

»Behüt Gott!« Sie trennten sich!

Der Müllerin that Freundeshilfe sehr not, um so mehr, da Gretl schwach war und vom 290 Geschäft zu wenig verstand, um kräftig einzugreifen. Das Dienstgesinde ist häufig ein Gesindel, es haßt den Besitzer und kümmert sich wenig darum, ob er zu kurz kommt, wenn es nur seinem Zaume nachlaufen darf. Soll Ordnung sein, muß es die stramme Faust eines Mannes im Genick spüren. Das gilt vorzüglich von der Nähe der Stadt, die zu allerlei Genüssen und Auslagen lockt, die man in abgelegenen Thälern, wo die patriarchalische Sitte noch nicht ganz erlosch, gar nicht kennt. Am Sonntag vormittags kann man die Bauernknechtlein in der Stadt sehen: sie führen ein Mädel zum Zuckerbäcker oder in das Kaffeehaus; wie vom Zauberstab berührt verschwinden ganze Teller Konfekt, das auf der würzigen Welle des Liqueurs hinabgeschwemmt wird. Das ist auch eine Frühmesse, aber keine Gott zur Ehre. Solcher Aufwand fordert Geld; was man nicht im Sack hat, hat der Bauer im Tennen, und da braucht man es ja nicht zu stehlen, man findet es. Der Herr mag, wenn er die Sache gewahrt, es sich drei-, viermal überlegen, ob 291 er eingreifen solle: sonst künden ihm die Dienstboten gerade dort, wo er sie am nötigsten hätte, und fahren mit Hohn und Spott ab. Sie erlangen schnell einen neuen Platz und stecken noch ein hübsches Drangeld ein, denn die Arbeitskräfte sind auf dem Lande selbst für hohen Lohn und üppige Kost selten, weil alles in die Stadt zieht, um dort schnell und viel zu verdienen. Man kann sich denken, wie schlimm es der Müllerin auf ihrem großen Anwesen ging, sie hatte manchen Verlust zu beklagen; als sie einen Knecht wegen Diebstahls dem Gericht übergab, verabredeten sich die Dienstboten des Thales ihr gegenüber zu einem förmlichen Streik, Franz mußte in das Oberinnthal, um neue zu werben. Gefallen ließen sich Mägde und Knechte von ihr als einem Weib garnichts, halbe Nächte tranken sie im Wirtshause und gaben Ärgernis nach allen Seiten. Franz konnte nicht immer zugegen sein, Jonas unterstützte sie gern mit seinem Rat in geschäftlichen Dingen; ihn bitten, er solle die Leitung des Ganzen übernehmen, wollte sie 292 nicht . . . nicht aus Stolz! Daß sie, obwohl er ihr jede mögliche Hilfe leistete, gegen ihn immer wortkarger wurde, verdroß ihn zwar im stillen, er konnte es sich jedoch nicht erklären.

Auch Janos bereitete ihr manchen Verdruß. Geschäfte und Hauswesen nahm sie so in Anspruch, daß sie ihn hier und da, wenn auch nur für kurze Zeit, aus den Augen verlor. Hätte er nur die Hose in Fetzen auf einer Tanne oder Eiche gelassen, die war bald geflickt: mitunter geriet er jedoch auf die Obstbäume der Nachbarn oder jagte ihre Hennen, und das setzte dann Unfrieden. Es war Gefahr, daß er zu einem Gassenjungen auswachsen und seiner Mutter wenig Freude machen werde.

Da kam, wie es in solchen Fällen auf dem Lande nicht selten geschieht, die Angelegenheit vor die Gemeinde; der Beschluß des Ausschusses ist begreiflicherweise kein Befehl, dem unbedingte Folge zu leisten ist, er hat jedoch solches moralisches Gewicht, daß man sich ihm nur selten entzieht.

Sonntags nach dem Hochamt traten die 293 Männer auf dem Kirchplatz zusammen. Nachdem sie sich eine Weile angeschaut, um ihre Ochsen und dann allenfalls noch um ein krankes Kind sich erkundigt, zündeten sie den Knaster in den hölzernen Nasenwärmern an und rückten auf den eigentlichen Gegenstand ihrer Beratung los.

Darüber waren sie schnell einig, daß die Witwe heiraten müsse, wenn nicht alles zu Brocken gehen solle, aber wen? Auf Jonas verfiel keiner, denn er gehörte nicht zur Gemeinde, und hätte ihn einer genannt, es wäre von den andern Widerspruch erfolgt: man dürfe keinen Fremden zu so viel Geld hereinlassen. Endlich nahm der alte Nagiller das Maßholderpfeifchen aus dem Mund, räusperte sich und begann schnarrend wie ein Dudelsack: »Den Rochus gebt ihr. Das Alter paßt, beide sind verwittibt, Geld besitzen sie ungefähr gleich viel, und er hat Haare genug auf den Zähnen, um das Zeug zusammen zu halten. Wenn sie herwärts schaut, nimmt er's an, wir haben darüber schon geredt, und dann ist's recht.«

294 Das gefiel allen. Man holte Franz in den Kreis und bat ihn, der Schwägerin, was ausgemacht worden, mitzuteilen.

Franz erwiderte: »Sagen werd' ich ihr's, ob sie mag, weiß ich nicht!«

Er trug noch vor dem Mittagessen Gertraud die Angelegenheit vor. Sie hörte ihn ruhig an und gab ihm den Auftrag, dem Ausschuß für seine treue Vorsorge zu danken, jedoch den wohlgemeinten Rat vorläufig abzulehnen.

Franz hatte dagegen nichts einzuwenden, fügte aber schließlich bei: »Heiraten solltest du schon wegen dem Anwesen, und dem Buben thät' auch ein Vater not, der ihn hie und da bei den Ohren beutelt. Ich hab' zwar den besten Willen, aber nicht immer Zeit dazu!«

»Rochus kann ich, abgesehen von allem anderen, nie heiraten, da würde sich Janos im Grab umkehren. Das begreifst du!«

»Es muß nicht gerade Rochus sein. Du kannst dir ja wählen. Hast du keinen im Sinn?«

Gertraud errötete und schwieg.

295 »Nun ja, thu wie du willst, wir werden treu zu dir halten.«

Franz ging und teilte dem Vorstand die Unterredung mit.

Rochus erhielt den dritten Korb, grimmig hämmerte er mit dem silbernen Schlagring auf den Tisch, das wolle er der Müllerin nachtragen bis zur siebenten Ewigkeit.

Vor der Vesper wußte es schon die ganze Gemeinde; das konnte er aus den schadenfrohen Gesichtern der Burschen sehen, von denen ihm wegen seines Hochmuts keiner grün war.

Nachdem der Kooperator, der an die Stelle Ignazis getreten war, den Segen erteilt, verloren sich die Bauern in die Wirtshäuser. Viele gingen zum Neuwirt, weil der das redlichste Gesüff habe, auch Jonas setzte sich an einen Tisch. An einem andern nahm Rochus Platz, bald hörte er allerlei Anspielungen, die Sticheleien wurden derber, endlich sang einer:

»Aufs Eis ist der Rochus
    Zum drittenmal gangen,
Und d' Müllerin hat er
    Sich doch nit d'erfangen.«

296 Schallendes Gelächter brach los. Rochus sprang fluchend auf und stieß den Tisch beiseite, daß Flaschen und Gläser klingend zu Boden fielen. »Meint ihr, ich sei auf die angestanden? Ich hab' mich nicht zu schämen, denn ich hab' ihr eine Ehr' angethan; wenn sie mir jetzt auf den Knieen nachrutschen würde, nähme ich sie nimmer und spuckte ihr ins Gesicht.«

Das Gelächter erhob sich von neuem, aber noch toller. Als er verstummte, sagte Jonas: »Nimm das Maul nicht so voll, die Müllerin wird deinetwegen keine Strümpfe zerreißen.«

»Du bist auch da, du Mausbauer,« höhnte Rochus, »mit den fünf Kühelen? Bist etwa du schon mit ihr verkündet?«

Auf Jonas Wange flammte dunkle Glut.

»Da schlampt sie zuerst in Ungarn herum,« fuhr Rochus fort, »und klaubt auf der Straße einen Buben auf – –«

»Die ganze Gemeinde kann ihren Trauschein und das Taufzeugnis des Buben sehen,« unterbrach ihn Jonas, »wenn sie eine Schande trifft, 297 ists einzig die, daß ein solcher Kerl wie du, gewagt hat, um sie zu freien!«

»Du willst mir's bieten,« schrie Rochus, daß die Stimme überschnappte, »du? Warum will sie nicht heiraten? Weil ihr der Wechsel mit den Knechten besser schlaunt!«

»Du bist ein schlechter Mensch,« erwiderte Jonas, »ein Lügner und Verleumder, man wird dich finden!«

»Mich finden,« brüllte Rochus, »da bin ich!« Er sprang gegen Jonas und schlug ihn mit dem Ring an den Kopf, daß das Blut herunterrieselte. Sie packten sich und rangen, Rochus stellte ihm das Bein, daß er zu Boden fiel. Nun warf er sich auf ihn und stach ihn mit dem Daumen in den Augenwinkel, um ihm das Auge auszubohren. Die Männer rissen die Raufenden auseinander. Jonas wischte das Blut aus dem Gesicht und hob die Hand: »Wir werden uns finden, Rochus!« Dieser blökte die Zähne und suchte sich loszureißen, um noch einmal auf den Gegner einzudringen. Die Bauern führten Jonas aus 298 der Stube zum Brunnen, wo er sich wusch, und brachten ihn dann nach Hause. Rochus wurde eine halbe Stunde darauf von den Gendarmen geknebelt, weil er sich zur Wehr setzte, denn er, der reichste Bauer von Stubai, lasse sich nicht von solchen Stieglitzen angreifen, und zum Bezirksvorstand geschleppt. Dieser leitete gleich das Verhör ein, es ergab sich das Verbrechen schwerer Körperverletzung, der Gefangene wurde nach Innsbruck zur Untersuchung geführt. Wie gewöhnlich in solchen Fällen wollten die Bauern gegen ihn nicht Zeugnis ablegen; zum Glück waren jedoch bei jener Scene einige Herren aus der Stadt anwesend; Rochus mußte an Jonas 200 Gulden zahlen und wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt.

Was nun das Ausbohren der Augen betrifft, so hat es nicht Rochus erfunden. Noch vor einigen Jahren begegnete man Bauern mit nur einem gesunden Auge nicht selten, das andere schielte oder war durch einen Riß der Hornhaut verunstaltet, wenn es nicht ganz fehlte. Seltener war die ganze Sehkraft vernichtet. Diese 299 scheußliche Roheit wurde endlich nebst mancher andern durch den Haslinger kuriert, die Österreicher verstanden ihn tüchtig zu führen, bald hätten wir gesagt: Gott sei Dank; es helf, was helfen könnte.

Durch die Bauern, welche Jonas zu Hilfe eilten, war das Ärgste von ihm abgewandt, er genas daher schnell, schielen mußte er freilich sein Lebtag; daß dadurch allenfalls seine Schönheit Eintrag erlitt, kümmerte ihn wenig, denn er hatte nicht weit zu den vierzig. In die Mühle ging er nicht, weil dort gerade nichts für ihn zu schaffen war; als er noch im Bette lag, war Gertraud mehrmals bis zur Thüre seines Hauses gekommen, sie hatte schon die Klinke in der Hand, schien sich aber jedesmal wieder zu besinnen und kehrte um.

Die Sache wäre vielleicht noch Jahre lang so fortgegangen, da mischte sich zum Glück unser Pater Salesi, der die Bauern besser kannte, als Deus ex machina ein.

Er weilte eben in der Sommerfrische zu Mieders und war daher bald über die Lage der Dinge in Vallrup genau unterrichtet. Die 300 Müllerin ging bei ihm zur Beichte; sie wird ihm wegen Jonas keine sündhaften Gedanken anzuvertrauen gehabt haben, wohl aber sah er auf den Grund ihres redlichen Herzens und beschloß, einen Knoten zu lösen, der sich ohne sein Eingreifen nur mehr verwirrt hätte.

Er bestellte sie nach der Absolution.

Der Rat des Gemeindeausschusses war der Punkt, an den er anknüpfte, er selber müsse zustimmen, ob sie denn zu keinem Entschluß gelangen könne? Seit dem Tod ihres Mannes seien anderthalb Jahre verflossen, niemand würde sie daher bei einem neuen Bündnis der Voreiligkeit zeihen, und gewiß wäre es im Sinne des Verstorbenen, wenn sie dem Knaben einen wackern Vater gäbe, der ihm durch treue Vorsorge das Gut erhielte.

Es überraschte ihn nicht, daß die Müllerin ihm völlig recht gab. Sie habe auf Janos Grab gebetet, ihm die Sache vorgetragen und dabei eine solche innere Beruhigung erfahren, daß er zu einer Wiederverehelichung gewiß vom Himmel den Segen gebe.

301 »Ihr habt gewählt?« sagte der Priester entschieden.

Sie hob ruhig und langsam das Auge: »Gern gesteh' ich es Euch, ich habe an Jonas gedacht, und zwar nicht bloß äußerer Gründe wegen, sondern weil ich ihn ehre und, so weit es nach meiner ersten Ehe möglich, auch gern habe. Nur ein Umstand tritt hemmend zwischen uns, er warb schon einmal um mich, ich habe ihn, wenn auch mit aller Achtung, zurückgewiesen.«

»Überlaßt Ihr mir die Sache?«

»Mit aufrichtigem Vertrauen.«

»Ihr wißt, daß ich nur Euer Bestes will und Euch nicht bloßstellen werde. Heut ist Samstag, wie die Dinge liegen, kann ich Euch morgen zum erstenmal von der Kanzel verkünden.«

Die Müllerin trat betroffen zurück.

»Erschreckt nicht darüber, daß, was Ihr im stillen wünscht, so schnell in Erfüllung geht. Ihr habt lang und viel gelitten, darum soll diesesmal nichts eine glückliche Zukunft 302 verzögern. Mit Jonas bring' ich die Sache abends in Ordnung. Wollt Ihr?«

»Sei's!« antwortete sie rasch entschlossen. »Damit wird alles weitere Gerede abgeschnitten; ich darf auch bei der nahen Reife des Korns nicht mehr zappeln und strappeln.«

Sie kehrte in die Mühle zurück.

Nun kam die Reihe an Jonas. Salesi ließ ihn fragen, warum er ihm denn heuer auch nicht eine von seinen trefflichen Marillen bringe? Ob sie mißraten seien?

Es war Feierabend. Nach dem Aveläuten suchte Jonas die saftigsten Früchte. Salesi erkannte schon auf der Stiege den schweren Tritt der genagelten Schuhe und machte die Thüre auf.

»Da wär' ich halt mit Marillen!« sagte Jonas treuherzig, »vergessen hätt' ich Euch eben nicht, es sollten nur mehr reifen. So müßt Ihr halt mit dem, was ich bringe, vorlieb nehmen.«

»Gelt's Gott, Jonas!« sagte der Priester schlau lächelnd. »Heut hast du mir was 303 geschenkt, ich möchte aber an dir auch was verdienen.«

»Ja, wie denn?«

»Es schlägt jetzt bald vierzig bei dir, heiraten sollst du, daß ich dich kopulieren kann.«

Jonas ließ erschrocken das leere Körblein fallen.

»Die Müllerin sollst heiraten.«

»Du lieber Gott,« unterbrach ihn der Bauer, »die mag mich nicht, ich bin schon einmal abgeschlüpft.«

»Wenn sie dich aber jetzt möchte?«

»Das wär' die größte Freud' in meinem Leben. Da müßt' ein Scheibenschießen in Stubai sein, daß es noch hundert Jahre durch das ganze Thal kracht.«

»Gut. Die Sache ist in Ordnung. Du kommst morgen zum Hochamt. In der Kirche selbst wirst du das Weitere hören, dann erwarte ich dich hier im Widum. Daß du niemand was zu sagen brauchst, begreifst du.«

Jonas verstand zwar nicht, wie das alles zusammenhänge, zu fragen getraute er sich nicht, und so ging er nachdenkend heim.

304 Er fand sich zeitlich beim Hochamt ein, nach allen Richtungen spähte er, ob die Müllerin käme, – sie mußte wohl die Frühmesse besucht haben. Der letzte Tusch war verrauscht; Salesi stieg auf die Kanzel und predigte schlicht und einfach, wie es für Bauern paßt, ohne dogmatische Spitzfindigkeit und zweifelhafte Legenden. Jonas schien die Predigt gewaltig lang, endlich schloß Salesi, ließ das gewöhnliche Vaterunser beten und zog das schwarze Buch, das die kirchlichen Mitteilungen für die Woche enthielt, aus der Brusttasche.

Er verlas die verschiedenen Rosenkränze, die eingezahlt worden, dann begann er:

»Zum heiligen Sakrament der Ehe haben sich entschlossen: – –

– Die Bauern glotzten verwundert empor –

»Jonas Danler und Gertraud Szalai, geborene Neuner« – –

Jonas schrie laut auf: »Jesus Maria und Joseph!« und stürzte durch die Kirchthüre auf den Friedhof.

305 Dumpfes Murmeln erhob sich, die Leute meinten, er sei närrisch geworden.

Auf Umwegen gelangte er zum Widum.

Salesi war bereits in seinem Zimmer.

»Ja, was ist denn das, Hochwürdiger,« begann Jonas fast verzagt, »es wird doch kein Spaß gewesen sein!«

»Dafür ist die Kirche zu gut!« antwortete der Priester lachend.

Es klopfte leise, auf das Herein erschien Gertraud.

»Ist es denn wirklich wahr, meine liebe Gertraud?« fragte Jonas, wagte jedoch nicht, sich zu nähern.

»Gebt euch die Hände,« sagte der Geistliche. Sie gehorchten. »So ist's recht,« fuhr er fort, »wollte Gott, daß alle Paare, die sich zur Trauung melden, so gut zusammen passen möchten, wie ihr zwei.« –

Ich will diese Erzählung mit einer Nachricht schließen, die wenigstens mir und gewiß auch vielen Lesern sehr wichtig erscheint. Der Zahn jenes Reptils, der mich so viel beschäftigte, 306 gehört zur Species Belodon; ähnliche Zähne fanden sich nach einer gefälligen Mitteilung des berühmten Paläontologen Hermann v. Meyer im Keuper bei Stuttgart.

* * *

Meine Schrift ist etwas unleserlich. Um nun Druckfehlern vorzubeugen und dem Setzer Mühe zu ersparen, kopiert mir meine Frau die Aufsätze. Bei den letzten Zeilen dieser Erzählung schüttelte sie mehrmals bedenklich das Haupt, endlich warf sie die Feder weg und rief: »Glaubst du wirklich. daß außer etlichen alten Professoren sich jemand um diesen Zahn kümmere? Wär's für den Schluß nicht besser, wir gingen am Samstag abends nach Mieders, sehen, was die Leute zu Vallrup treiben, wo du seit ein paar Jahren nicht mehr eingekehrt bist, und stiegen Sonntags früh zur Waldrast empor. Den Kindern wird es wohl thun, wenn sie sich Almrosen, Aurikeln und Steinblümeln holen dürfen; du bringst ohnehin fast nur noch Mineralien vom Joch herunter. Abends fahren wir 307 von Matrei auf der Eisenbahn nach Innsbruck; das wird ein prächtiger Ausflug für einen Tag.«

Ich stimmte zu.

Am nächsten Morgen suchte ich den Direktor Sibinger auf, um mich nach Janos zu erkundigen.

»Der Schliffel der!« erwiderte dieser bedächtig. »Nu, nu, Sie dürfen nicht erschrecken, er ist sonst brav und unverdorben, hat auch was Ordentliches gelernt, und so bringt er gewiß in etlichen Wochen ein gutes Maturitätszeugnis heim. Aber ein Schliffel ist's! Für die Primiz braucht seine Mutter kein Huhn zu mästen, der wird kein Geistlicher. Denken Sie sich, letzthin schwänzt er die Schule. Ein Professor geht über den Rennplatz und bleibt, weil man Pferde versteigert, stehen. Wen sieht er? Den Janos, wie er einem Bauern das Roß, welches dieser kaufen will, im Kreis tummelt. Wir haben ihn mit Arrest gebüßt – nu, er wird schon gescheiter werden, aber nach Brixen taugt er nicht.«

»Was soll ich den Eltern raten?« fragte ich.

»Der Bub schwärmt immer vom Militär. 308 Wie wär's, wenn ihm der Stiefvater dazu thäte? Sagen Sie ihm das; ein vergnügter Soldat ist besser als ein unzufriedener Geistlicher.«

Dagegen ließ sich nichts einwenden.

So marschierte ich Samstag abends mit meinem Völklein über den Schönberg nach Mieders. Nachdem wir Abendessen und Nachtlager bestellt, gingen wir zur Mühle.

Mariele stand vor der Thür und neben ihr wie Orgelpfeifen in Reihe ein paar Büblein, die seit meinem letzten Besuch auf die Welt gekommen, so daß der Segen Salesis bei der Trauung: Jonas und Gertraud möchten wachsen und sich mehren schön erfüllt war; die Müllerin erkannte meine Stimme, sie lief zur Schwelle und machte mir nach dem freundlichsten Gruß Vorwürfe, daß ich mich so lang nicht sehen gelassen hatte.

Sie reichte meiner Frau die Hand, an der jetzt das Ringlein mit den zwei Herzen steckte, und führte uns in die Stube. Meine Rangen hatten mit ihren Kindern bald Freundschaft geschlossen, die durch einiges Spielzeug, das 309 sie ihnen aus der Stadt mitgebracht hatten, für ewig befestigt wurde. Bald schmückte Butter, Käse, Milch und Kirschen, die ein Knecht frisch vom Baume gepflückt, den Tisch und beschäftigte die lärmende kleine Gesellschaft; Jonas wurde auch herbeigeholt und schenkte mir ein Gläschen mit doppelt destilliertem Schnaps, der noch aus den Tagen des Alten für feierliche Gelegenheiten reifte, bis zum Goldrand voll.

Und nun hielt ich meinen Vortrag über Janos.

»Der Teufelsbub,« meinte Jonas, »wenn er so gern mit Rossen zu thun hat, könnt' er gar wohl die Mehlsäcke hin und her fahren.«

»Für was hätt' er denn g'studiert!« rief die Mutter mit einem Anflug beleidigter Eitelkeit. »Da liegt der schöne Brief« – sie zog ein sorgfältig zusammengelegtes Papier aus dem Busen und breitete es auf den Tisch – »worin er den Salesi um sein Vorwort bittet, daß er zu den Husaren darf.«

»Ja, und was hat der Salesi gesagt?«

»Der hat die Achseln gezuckt und gemeint, wir sollten mit den Professoren reden.«

310 Sie blickte mich auffordernd an.

Ich erzählte nun Wort für Wort, was Sibinger gesprochen und verstärkte meinen Rat, den Buben laufen zu lassen, mit dem Gewicht dieses erfahrenen trefflichen Jugendfreundes.

»Ja, ja!« sprach Jonas nach einer Weile, »im Herbst muß er ohnedies für das Militär losen; wird er über die Vakanz nicht anderen Sinnes – meinetwegen.« Er drückte Gertraud die Hand: »Ist's dir recht, Mutter?«

Eine Thräne füllte ihr Auge. »Der Herrgott ist überall bei ihm, auch wenn er Husar ist! Hab' ich ihn doch selber, wenn ich ernstlich betete, in Ungarn so gut gefunden als in Tirol!«

Der Leser hat sich wohl überzeugt, wie es den Leuten zu Vallrup geht, hoffen wir – gut fort und fort!

* * *

Auf der Waldrast fanden wir die Orgel nicht mehr. Später traf ich sie zu Sterzing auf dem Bahnhof im Besitz eines Invaliden, der die alten Melodieen gar beweglich ableierte. 311 Ich erkannte das Werkl an der Inschrift; er erzählte mir, daß er bei Custozza zum Krüppel geschossen worden sei. Dann habe er von dem Weihgeschenk gehört und es mit den zehn Gulden von Gertraud erhalten unter der Bedingung, dasselbe, wenn er es nicht mehr brauche, einem anderen Invaliden zu hinterlassen. Das habe freilich noch Zeit, indem er alt zu werden und der braven Müllerin noch manches Vaterunser zu beten hoffe.

Nur die blonden Flechten prangten noch auf dem Scheitel des Gnadenbildes. Ich äußerte gegen meine Frau, die sie bereits früher gesehen hatte, den Wunsch, zu erfahren, wie es sich damit verhalte.

Sie lächelte und schwieg.

Wir gingen in das Wirtshaus.

Nachdem die Hallertörtchen, welche die Kellnerin gebracht, unter die Kinder verteilt waren, sagte sie: »Jetzt will ich auch dir ein Dessert liefern. Weißt du, daß mir die Geschichte mit dem Haar drüben in der Kirche bekannt ist?«

312 »So!« rief ich erstaunt, »erzähle!«

»Und noch dazu stammt das blonde Haar von einer Schwägerin Gertrauds. Siehst du, ich weiß die Chronik der Mühle genauer als du trotz deines Talentes, wie ein echter Topfgucker, alles auszuschnüffeln. Also höre!«

»Im Nachwinter traf ich eine Bäuerin auf dem Platz. Das prächtige blonde Haar fiel mir sogleich auf, und ich konnte nicht zweifeln, daß die Locken der Muttergottes auf dem gleichen Grund gewachsen seien. Als das Gedränge des Marktes etwas nachließ, trat ich an ihren Korb und kaufte Butterstrüzeln und Eier. Sie erbot sich, mir wöchentlich meinen Bedarf zu bringen, und so ist sie seit einem Vierteljahr meine Butterbäuerin, der du wegen deiner Vorlesungen nie zu Haus begegnetest. Sie hat im vorigen Herbste den Lehrer zu Rovatsch geheiratet, wo meine Schwester Anna die Sommerfrische genießt und ihren Buben, den Karl, von ihm für die Schule vorbereiten läßt. Mit diesem Lehrer hat nun Hanni, die Schwester von Vronis Franz, ein Verhältnis angeknüpft, 313 als er noch Oberjäger war. Der schreckliche Krieg von 1866 brach aus, er mußte in das Feld und wurde von seinen Kameraden das letzte Mal im Gefecht bei Boara gesehen. Niemand wußte von ihm zu melden; auch nach dem Friedensschluß und der Rückkehr der Gefangenen war über ihn keine Nachricht zu erhalten. Nach der Seelenmesse, die Salesi in herkömmlicher Weise für ihn gelesen, erklärte Hanni, sie wolle im Kloster der Carmelitinnen zu Wiltau eintreten. Ihr Bruder hätte es auf ihre beweglichen Bitten und Thränen erlaubt, aber der erfahrene Salesi, der im Ausbleiben eines Liebhabers keinen Grund für den klösterlichen Beruf sah, widersprach entschieden. Weil das leidenschaftliche Mädchen den Vorsatz dennoch nicht aufgeben wollte, so setzten ihr die Verwandten ein Ziel bis – Neujahr. Verzweifelnd an der Erfüllung der in ihren Augen unmöglichen Bedingung gelobte sie sich dennoch auf die Waldrast: der Muttergottes ihr Haar als Schmuck zu widmen, wenn ihr Bräutigam unerwartet noch zurückkehre; wenn nicht, mög' es vor dem 314 Altar und der Schere der Äbtissin fallen. Der Totgeglaubte kehrte jedoch zurück. In einer Festung Italiens, wohin man ihn verwundet geschleppt, vom Lazarettfieber befallen, mußte er zurückbleiben, seine Genesung zog sich lange hin, und um sich nicht zu verderben, durfte er täglich nur wenige Stunden fahren. Die amtliche Anzeige von seinem Aufenthalt, wenn sie die schlauderischen Welschen überhaupt machten, verfehlte sein Regiment, und da man in jenen Tagen ohnedem genug zu thun hatte, unterließ man beiderseits weitere Schreibereien hin und her. Weil er am Allerseelentage unvermutet heimkehrte und Hanni, zu der er fensterln kam, im ersten Schrecken ein Gespenst zu sehen glaubte, nennt man ihn seitdem die arme Seele von Rovatsch. Nachdem er ihr am Hochzeitstag abends den Kranz vom Kopfe genommen, schnitten ihr Gertraud und Vroni das Haar ab; am nächsten Feiertag wurde es von allen Hochzeitsgästen im lustigen Zuge auf die Waldrast begleitet und dort als glückliches Andenken dem Pater Salesi 315 überreicht. Nun weißt du alles. Nicht wahr? Den nächsten Ausflug machen wir nach Rovatsch zur Lehrerin, die mich ohnehin schon eingeladen hat. Zugleich kann ich meiner Schwester dann die verschiedenen Einkäufe, die sie bestellte, überbringen.«

Ich stimmte zu und lernte am Peter- und Paulitag eine wackere Familie kennen. Sowie die Lehrerin meiner Frau die Butter, liefert mir der Lehrer, der an den bunten Steinen in der Umgebung längst seine Freude hatte, manchmal gegen kleinen Lohn für die Universität Mineralien; von Belodon hat er freilich bis jetzt nichts gefunden.

 


 


 << zurück