Adolf Pichler
Letzte Alpenrosen
Adolf Pichler

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In der grünen Pertisau.

Das Gasthaus »Zum goldenen Adler« unweit der Innbrücke ist altberühmt; Touristen. die hier nicht einkehren, schauen wenigstens im Vorbeigehen zum stattlichen Schild empor, in dessen eisernen Ranken die Wappen der österreichischen Kronländer prangen, sie schlagen das rote Buch auf und lesen, daß hier Goethe und dann Andreas Hofer wohnten. Sein Bild hängt an der Wand des Hauptganges im ersten Stocke, nach vorn öffnet sich eine Glasthür in einen Verschlag, wo die abonnierten Stammgäste zu Mittag essen. Als ich noch ledig war und als Strohwitwer kam ich hier und da auch her. Die Gesellschaft war sehr gemischt; Kaufleute, Offiziere, ein Feldpater – lustige Leute, denen die Börse 15 keinen Platz an der Table d'hôte eines vornehmen Hotels gestattete.

Sobald wir Mädchen so unter uns waren, gab es manchen Spaß, den man nur hinnimmt, wenn er französisch erzählt wird; unangenehm war mir bloß ein Leutnant der Linie; er erlaubte sich zwar nie ein cynisches Wort, was er aber in seinem gebrochenen Deutsch vorbrachte, war so raffiniert perfid, daß es uns ehrlichen Deutschen vorkam, wie das Fuchteln mit einem welschen Stilet. Er war der Sohn einer Witwe, die vom Ertrag eines Gutes anständig, aber nicht reich lebte. – Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mit den mageren Fingern Brotkügelchen nach der Kellnerin schnellt und dann wieder das schüttere schwarze Haar von den hohlen Schläfen zum Scheitel hinaufbürstet. Nur einmal bin ich mit ihm zusammengewachsen. Der Wirt hatte das Bild Hofers zu einem Maler geschickt, um ihm Hose und Jacke, wo die Farbe abgerieben war, flicken zu lassen; es geschah auf mein Zureden, eh' der rote Ocker zu sehr durchschlug. Da machte er nun spöttische Bemerkungen über den alten Helden, das Jahr Neun und die Tiroler, bis ich ihm endlich das Gesims abkehrte mit dem Rate, das ja nicht in einer Bauernstube zu thun, er könnte sonst mit dem Spitzbärtchen an einen Schlagring 16 anstoßen. Er warf mir einen giftigen Blick zu, kniff die schmalen Lippen zusammen und schwieg. Man warnte mich vor ihm; damals wußte ich jedoch von der Gicht noch nichts, welche jetzt meine Sehnen zu zerfasern beginnt, mit dem schweren Hammer hätte ich den Schädel eines Stieres eingeschlagen, nicht bloß die papierenen Knochen eines solchen Herrleins.

Einmal im Spätherbste fehlte er durch mehrere Tage. Die Serviette, auf deren Band sein Name gestickt war, lag stets auf dem Teller, wir dachten uns, er habe einen Ausflug gemacht und fragten auch nicht weiter. Am vierten trat die Kellnerin an den Tisch, mit einem Zug von feierlichem Ernst nahm sie sein Besteck und wollte es schweigend forttragen. Wir sahen das stets heitere Mädel, das sonst von Scherz und Lustigkeit überquoll, fragend an, da legte sie die neuesten »Innsbrucker Nachrichten« vor mich hin und sagte:

»Weiß Gott, es ist zwar kein großer Schaden um diesen Welschen, aber schrecklich ist es doch, und so will ich für seine arme Seel' heut ein Vaterunser beten. Wird's brauchen.«

»Ja, was ist denn?« rief ich betroffen.

»Lesen Sie nur!« Sie ging zur Thür hinaus. Ich schlug das Blatt auf, da stand folgendes:

»Am 24. Oktober vormittags verunglückte der 17 Oberleutnant Baron Paride Cazzoni, den der Herzog von Koburg eingeladen hatte, auf der Gemsjagd in den Bachen. Er hatte seinen Stand auf dem Birschsteig genommen, der gegen die hohe Gans emporführt. Man fand ihn zu einer unförmlichen Fleischmasse zerschmettert am Abhang des Mahdes, das sich an die niedere Wand lehnt, ober der er sich aufgestellt hatte. Sonderbarerweise lag seine Börse droben auf dem Weg. Der Verstorbene hatte kaum das dreißigste Jahr überschritten, Gott tröste seine arme Mutter.«

»Ist denn der Platz gefährlich?« wandte sich der Feldpater an mich.

»Es kann eine dicke Kuh hinaufgehen,« erwiderte ich, »wenn er nicht selbst hinuntergesprungen ist, weiß ich nicht, wie er verunglücken konnte. Solche Leute sollte eigentlich ein Jäger am Gängelbande führen; ich begreife den Herzog nicht, daß er sie einlädt. Die Vorderseite des Grates, ja da schaut es anders aus, dort kann höchstens eine Fliege hinaufkriechen und bis jetzt hat sich kein Jäger in das Geschröf gewagt. Ich auch nicht, obwohl droben das lithodendron raethicum ansteht und ich mit den Brocken vorlieb nehmen muß, die herunter fallen.«

Tags darauf war das Begräbnis, als Tischgenossen begleiteten wir die Leiche.

18 Da ich behufs meiner Studien andere Gegenden aufsuchen mußte, kam ich etliche Jahre nicht mehr in die Pertisau, deren Felsarten und Versteinerungen ich längst für das Museum der Universität gesammelt hatte. Nun waren die letzten Tage des Oktobers 1878 hell und klar, zu Innsbruck fast schwül, denn es wehte der Scirocco und wirbelte die lästigen Staubwolken vom Berg Isel in die Stadt. Im Achenthal mußte es jetzt mild, warm und windstill sein; ich besann mich daher nicht lang und fuhr in einem Waggon nach Jenbach. Schritt für Schritt wanderte ich am Kaßbach aufwärts und genoß die lautere Herbstluft mit um so vollerem Behagen, weil ich wohl wußte, daß sie bald wüstem Schneegestöber weichen werde. So erreichte ich die Pertisau, eh sich noch die Sonne zum Feigelkopf gesenkt hatte. Meine Einkehr nehme ich gewöhnlich beim Much: ein ländliches Wirtshaus am Saume des Waldes, das besonders gern Künstler, Schauspieler und derlei Volk aufsucht, während drunten am Fürstenhaus über den Kies des Seebordes die seidenen Schleppen der vornehmen Welt hinrauschen. Der Wirt heißt eigentlich Michael, hat jedoch gar nichts von diesem Engel an sich, sondern ist ein echter Unterländer; derb, verschmitzt und – gemütlich. Es 19 hat ihn schon mancher Maler in die Mappe gezeichnet, wie er breitspurig dasteht, den Schurz um die Lenden, die gestickte Kappe auf dem rauhen Haar, und das Näslein keck in der Luft, seine Sprüche losläßt. Er ist brav und schaut auf seine Gäste ebenso fleißig, als auf die lieben Schweinlein dort im Stalle. Die Wirtin schwingt als wackere Hausfrau den Kochlöffel, sie ist stolz darauf, den Gästen stets frisches Fleisch anbieten zu können, denn ihr Gatte heißt nicht umsonst der Fackenmörder. Ihren Ruhm begründet nebenbei die Medizin, vor allem ein Pflaster.

Ein Freund behauptete zwar, es verbreite einen Geruch, daß jedem dabei die Sinne vergehen, und seine Wirkung bestehe vorzüglich darin, daß die Blinden hören, die Tauben laufen und die Lahmen sehen; das ist aber nur seine Bosheit, die sich an allerlei Witzen auf Kosten frommer Tiroler zu erbauen pflegt. Hätte ihm ein Bauer die Nase zerschlagen oder er sich bei einem lustigen Hopser den Hintern verrenkt, da würde er über die Wirkung gestaunt haben; wer schießt aber auf Mücken mit Kanonen und legt eine Wundersalbe auf ein Hühneraug? Das Pflaster ist schon gut, ein anderes Mal kleben wir es dem Freunde auf den Mund, und zwar ehe der halbe Schweinskopf, den er so gerne speist, auf den Tisch kommt.

20 Im Ernst wollen wir bemerken, daß die Älpler, welche soviel raufen und zerbrechen, auch allerlei heilsame Bergkräuter kennen, um den Schaden zu heilen, und da genießt das Pflaster der Frau Wirtin einen wohlverdienten Ruf. Auf meine Frage nach dem Speisezettel verkündete sie auch mir mit gerechtem Hochgefühl ein halbes Schweinsköpfel mit dem Waschel, das solle auf Sauerkraut den großen Speckknödeln folgen, die vorläufig Bresche schießen könnten.

Much hatte mich nur flüchtig begrüßt; er mußte von einer Wurznerin Enzeler holen, und dann erwarteten ihn noch beim Duschen zwei räudige Schweinlein. Er verstand sich nämlich in der Pertisau auf das Vieh, und zwar nicht bloß auf das vierbeinige, wie kein zweiter.

Ich setzte mich ins Freie. Das Mahl war bald verzehrt und geziemend gelobt; ich gab mich behaglicher Ruhe hin und schlürfte hier und da einen Schluck Wein oder etliche Verse aus der Odyssee über das lustige Treiben der Phäaken. Unten lag der See: blau, tief und ruhig, und über dem See schwebte die heilige Stille des Herbstes, denn der Sommer hatte seine Pflicht gethan und die Scheunen waren voll.

Nur hier und da hörte man das leise Schnalzen eines Rotkehlchens, das die 21 blauschwarzen Dolden des Hollunders abzupfte, oder den grellen Ruf einer Amsel, die eine der korallenroten Beeren des Faulbaumes pflückte. Auf dem braunen Gras flatterten Marienfäden, und der Blick folgte ihnen, wie sie gegen Süden zogen, bis er auf dem Gelände von Eben, über das sich der spitze Turm erhebt, haften blieb. Die Sonne goß ihr volles Licht aus, die Stoppelfelder leuchteten wie Gold, in welche die grünen Wiesen gleich Tafeln von Smaragd eingelassen waren.

Aus dem Innthale stiegen jedoch die Schatten, ihr düsteres Dunkel verhüllte gleichmäßig den See und die Landschaft, bis sich allmählich ein dünner Nebelschleier darüber wob.

Nur die Berge prangten noch in hehrer Pracht, als könnt' sie, wie Gilm singt,

»Nichts mehr vom heißen Sonnenkusse trennen.«

Zwischen den schwarzen Tannen leuchteten die gelben Lärchen, drängte sich kräftig das Braunrot der Buchen vor. Endlich tauchten auch die höchsten Bergspitzen in die Dämmerung; ich pflückte mir eine Aster und ließ den Blick, der soviel blendende Pracht geschaut, auf ihrem ernsten Violet ausruhen. Aus Falzthurn wehte der frostige Walwind; ich stand auf und griff zum Plaid, da kam Much um die Ecke.

22 »Was machen die Patienten?« – rief ich ihm spottend entgegen.

»Sie mögen kommen und ihnen den Puls greifen!« war die gelassene Antwort. »Wäre es nicht feiner, wir gingen in die Stube; dort ist geheizt, hier holen wir uns nur einen Rheumatismus?« Er ergriff Glas und Teller, ich folgte ihm. Bei einer Wendung sah ich die hohe Gans, über welche langsam ein rotes Wölkchen hinkroch. Ich blieb stehen, mir fiel der abgestürzte Offizier ein.

»Ist es denn wirklich nicht möglich,« fragte ich den Wirt, »vorn hinaufzusteigen?«

»Gewiß nicht, sonst müßte man glauben, es habe dem Welschen einer den Hals gebrochen, so sonderbar sind die Umstände, unter denen er zu Grunde ging. Von dem Bachen aus übersieht man ja den ganzen Abhang, da konnte niemand hinschleichen, übers Joch auch nicht, so muß ihm wohl der Teufel die Krallen hinter das Kravattl gesteckt haben. Die gerichtliche Kommission hat auch hin und her gefragt; es gab zwar Leute genug, denen er ins Herz gegriffen, da brauchte man sich aber gar nicht zu erkundigen. Sie waren alle nicht am Platze, und dann müßte man wohl auch etwas gesehen haben.«

»Es war eine wüste Geschichte, gerade da« – 23 er zeigte mit dem Finger auf den Platz, – »gerade da haben sie die Bahre niedergestellt, von den Fichtenzweigen troff das Blut, man hätte ihn auch in einem Sack heimtragen können! Die Wirtin lief mit dem Pflaster daher, sie haben sie aber ausgelacht; der war mehr als tot.«

Wir traten in die Stube, ich setzte mich. Much war durstig und ließ sich von Veronika ein Krügel Bier aufstellen.

»Hat er auch den Widhopf beleidigt?« fragte ich.

Much sah mich bedenklich an, schüttelte das würdige Haupt und schwieg. Bis er sich zu einer Antwort erholt, will ich dem Leser sagen, wer der »Widhopf« ist. So nannten ihn die Herrschaften, denen ein zweiter Name, welchen er unter den Bauern führte, nicht recht aus dem Mund wollte. »Dreckhans« ist freilich keine schöne Bereicherung des deutschen Sprachschatzes, seitdem man jedoch den Rabelais zu übersetzen wagte, darf ich ihn wohl herschreiben. Der »Widhopf« war im Sommer auf der Alpe Gramais, und wenn seine Amtsbrüder, wie es nun in Tirol Brauch und Sitte ist, schmutzig waren bis über die Ohren, so konnte man ihn füglich eine wandernde Leimtasche nennen. Kein Senner wechselt während des Sommers das Hemd, ja er reibt es sogar mit Butter ein zum 24 Schutz wider das Ungeziefer, wie sich etwa die Büffel der Campagna zum gleichen Zweck im Schlamm suhlen. Sonst war er ein guter Kerl, stark wie ein Bär, lustig und wohlgemut, sein Kopf ein Bienenkorb voll Schnadahüpfeln. Darum waren wir gute Freunde, denn auch ich wußte manchen Schwank und sang er ein Schnadahüpfel, so setzte ich ein zweites drauf, bis er zur Maultrommel griff und sich selbst zum Tanz aufspielte. Salonfähig ist er allerdings nicht, aber bei den Mädeln galt er viel und zwar nicht bloß deswegen, weil er ein fettes Bauerngut besaß. Wenn er im Herbst frisch gewaschen und blank geputzt, den schweren Silberring am Finger in die Kirche ging, so folgte ihm mit dem sehnsüchtigen Blick mancher stille Wunsch, und er hätte nur anschaffen dürfen, die Musikanten hätten sogleich zur Hochzeit geblasen. Das taugte ihm aber schon gar nicht; er meinte: warum soll man sich an ein Weib binden, wenn einen zwanzig Dirndln gern haben, daß man sie an einer Schnur anfassen könnte, wie die Grallen eines Rosenkranzes. Ich hatte ihm oft zugeredet und gedroht, meine väterlichen Ermahnungen verschlugen aber bei ihm gar nicht, er lachte mich einfach aus.

Der Wirt schwieg noch immer; da pochte ich auf den Tisch und rief: »Nun Much wird's endlich?«

25 Bedächtig kratzte er sich hinter dem Ohr, bewegte vor meinen Augen den Zeigefinger der rechten Hand abwehrend hin und her und sprach endlich: »Na, Herr Professor, Ihnen erzähle ich nichts, seit ich Ihre »Allerlei Geschichten« gelesen habe. Die Leute sagen zwar, es sei etwas dran, ich aber wett' Euch, daß alles erlogen ist, rein zusammengelogen. Woher könnten Sie nur wissen, was sich die Menschen denken, und was sie ganz allein thun, da wären sie ja mehr als ein Beichtvater und fast wie der Schutzengel. Und dann bringt Ihr alle Bekannten auf den Markt: Die Lena, die Scholastika, die Postmeisterin zu Achenkirch, daß sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich vor den Gästen schämen, wenn diese fragen, ob es so sei, wie der Pichler erzählt. Meine Nase haben Sie auch schon beschrieben und mit einer Triangulierungs-Pyramide verglichen, wie sie droben auf der Rabenspitze steht – na Herr Professor, wenn ich erst in Leibesgröße gedruckt wäre, da müßte ich mich gut ausnehmen.«

»Warum nicht, da kommen zuerst die Photographen und dann läßt die »Illustrierte Zeitung« den Much gar noch zeichnen und in Holz schneiden; dann kommen die Fremden und wollen ihn kennen lernen und jeder trinkt sein Seidel; dann kommen 26 die Damen und wenn sie auch nicht viel trinken, so hat doch jede im Achenthal soviel Appetit wie ein Drescher, und der Much hat gar nicht genug Schweinsohren, um sie zu sättigen. Und erst die Wirtin, die wird dann an ihrem Alten eine Freude haben.«

Er schmunzelte: »Wäre schon recht, aber trau' Ihnen der Teufel. Die Geschichte des Hans will ich Euch aber doch erzählen, sie ist so bäurisch und zochet, daß man sie für die fürnehmen Leut' nicht brauchen kann. Ich weiß schon, was die wollen; da hat mir die Strohschneider Ernestine im letzten Sommer ein Buch gegeben, in das eine Berlinerin uns Tiroler hineingethan hat. Das waren aber lauter Männlein und Weiblein, Schäfer und Schützen, Kühlein und Öchselein, lackiert und frisiert, wie ich sie jüngst im Porzellanladen auf dem Graben zu Innsbruck angegafft.«

»Also der Hans?«

»Der hat vor zwei Jahren geheiratet und gleich mit Zwillingen angefangen.«

»Daß Gott erbarm'! Da muß ich ihm ja gratulieren.«

»So oft er in die Pertisau kommt, fragt er immer, ob Sie in der Nähe seien. Er fürchtet sich nämlich, Ihr möchtet ihm ein schieches 27 Schnadahüpfl singen, und wenn das unter die Leut' käme, müßt' er sich schämen.«

»Hat er eine wüste, alte Gesellin aufgeklaubt?«

»Das just nicht, sie hat ein bissel Geld, ist jung und fest wie der Kern einer Haselnuß; aber bös', daß man vor ihr das Kreuz machen könnt'. Jetzt darf er nicht mehr als Nachtlichtl im Wirtshaus blitzen, da nimmt sie gleich die Zwillinge auf den Arm und holt ihn und hält ihm eine Predigt, daß die Bauern, welche zuhören, weiß werden wie Käse.«

»Das ist ein Unglück, aber gewiß nichts besonderes.«

»Nu ja, meine Alte brummelt auch hier und da, lustig ist nur die Art, wie er in die Trappel getappt ist.«

Ich ließ noch einen Schnitt einschenken.

»Also! Daß er immer ein Schlankel war und den Dirndeln vorgeschwefelt hat, wissen Sie ohnedem. Da ist er nun auch an die Moidl vom Sixten geraten, und die Leute haben sie alle für die Schönste zu Reut am Berg gehalten und ist sogar deswegen einmal der welsche Katzeler gekommen und wollte dem Hans ins Handwerk pfuschen. Zuerst haben sie am Wirtstisch gestritten, dann hat der Katzeler zum Säbel griffen, 28 unser Hans hat ihn aber beim blauen Janker gepackt und lüftlings durch das Fenster in den Brunnentrog geworfen. Laßt's Euch vom Gernsepp zur Harfe singen; der hat's in G'satzln bracht, Sie kennen ihn ja. Also, da hat man nun überall gemeint, der Hans werde die Moidl auch heiraten, Zeit wär's auch gewesen, denn er war just kein junger Loder mehr. Er hat aber die Sache hinausgezogen, hinausgezogen, hinausgezogen, daß vom Faden kein Trumm hergangen ist. – Ihr Notizbüchl lassen Sie nur in der Tasche, sonst sag' ich nichts mehr.«

Ich steckte Bleistift und Heft wieder ein.

»Also! da ist Spätherbst geworden, und dann wär' es auch nichts gewesen, denn die Regel lautet:

»Sanct Kathrein
Stellt Tanz und Räder ein!«

Da sind aber Moidl's zwei Brüder aus dem Wald heimgekehrt, wo sie den Sommer über als Holzknechte verdingt waren. Denen ist es endlich zu viel geworden. Sie wissen, wie bei uns die Bauernstuben im ersten Stock ausschauen. Das Fenster auf den Söller ist mit starkem Eisen vergittert und die Thür von festem Holz, wegen dem Fensterln und Einbrechen, denn da heben die Bauern ihre Töchter und das Geld auf.

29 Da haben die Buben ein Stück scharfen Käse, raffes Selchfleisch und Branntwein, den sie über Pfeffer abzapften, hingestellt. Sie sind nun fortgegangen; dem war aber nicht so, sie haben sich in die Holerstaude versteckt und gepaßt, bis der Hans wohlgemut anrückte, weil er die Luft rein glaubte, über die Stiege schlich und sich zum Heimgart neben das Mädchen setzte. Jetzt fuhr ein Kalescherl hinter das Haus, beide riefen der Schwester, sie solle schnell kommen! – Als sie arglos vor die Thüre trat, packte sie der eine, trug sie in den Wagen und fuhr eiligst davon, eh' sie noch Papp sagen konnte. Der andere sprang über die Treppe, rieb den Schlüssel um und schlug oben und unten noch ein paar lange Nägel in die Thüre, so daß die Maus bei Speck und Käse gefangen war.

Er wagte kaum zu atmen, früher oder später mußte ihn Moidl doch erlösen. Die war leider selbst gefangen, der Bruder hatte sie nach Kufstein entführt und sie dort einer Base aufzubehalten gegeben. Die Dämmerung rückte an; ihm wurde bänger und bänger; er tastete sich zur Thüre, zu den Fenstern – keine Möglichkeit des Entrinnens. Endlich regte sich auch Hunger und Durst; er aß Käse und Fleisch und trank Branntwein dazu. Gesättigt taumelte er auf das Bett; 30 trotz des Rausches war ihm fast so, als solle er heut' ein Nachtgebet sprechen; schlief er endlich ein, so weckte ihn jeder Schlag vom Glockenturm.

Morgens erwachte er mit schwerem Kopfe, wütender Durst quälte ihn. Da trampelte ein schwerer Tritt über den Söller – eine rauhe Stimme rief durch das Fenster, wo er den Vorhang niedergelassen hatte:

»Thu' nur auf, wir haben zu reden.«

Hans gehorchte; als er sich dem älteren Bruder, einem Jugendgespielen, gegenüber sah, wollte er spaßen, der rief ihm jedoch finster zu:

»Jetzt haben wir keine Zeit, da lies dieses Papier und unterschreib es.«

Er überreichte ihm die Feder und das Blatt, auf diesem stand ein advokatenmäßiges Eheversprechen; obenan der Stempel, unten die Namen des Pfarrers und Gemeindevorstehers als Zeugen. Hans war wütend:

»Meint Ihr, ich lasse mich so fangen?« schrie er und warf das zerrissene Papier durch das Fenster zurück.

»Auch recht!« antwortete der Bruder, »mußt halt den Stempel noch einmal zahlen; die Thüre deines Gefängnisses macht nur der Kirchenschlüssel auf.«

31 Da rüttelte Hans am Gitter, daß die Wand zitterte und pumperte dann wieder an die Thür und sprang mit beiden Füßen dagegen; die Bohlen waren jedoch zu fest; er mußte keuchend und schweißtriefend abstehen. Hätt' ihm auch nichts genützt, denn draußen warteten beide Brüder mit gewässerten Ochsenfiseln.

Er verschränkte die Arme und setzte sich trotzig auf das Bett; zum Durst gesellte sich jedoch der Hunger, und von draußen hörte er das Plätschern des Brunnens. Als die Mittagsglocke vom Singoz die Arbeiter zum Essen lud, wurde ein Tisch vor sein Fenster geschoben: Löffel und Teller klapperten, die beiden Brüder setzten sich zu einer Schüssel schmalziger Nocken, die Magd trug ihnen auch noch einen Weidling rahmiger Milch auf; sie lachten, spaßten, aßen und thaten, als wär' er gar nicht da.

»Das war mehr, als der reiche Prasser des Evangelium litt; stellen Sie sich einen Unterländer vor, der täglich fünfmal schwere Kost braucht und dazu tüchtig aufschüttet –«

Nun näherte er sich dem Fenster und bat: »Ein Schüsselchen Milch könntet Ihr mir wohl geben, daß ich es besser aushalte; oder ein Gläschen –«

Sie lachten; einer zeigte ihm das Duplikat der Urkunde.

32 »Und wenn ich verdursten müßte!« rief er und schritt in das Dunkel zurück.

Es kam die Magd, um abzudecken. Er zeigte ihr eine Fünfernote und hob flehend die Hände. Sie trällerte:

»Wenn's Fasten schon weh thut,
Du lumpiger Gsöll,
Wie wird's dir erst drunten
A mol in der Höll!«

Es wurde wieder Nacht. Ein leiser Regen rieselte nieder, er reckte den Arm durch das Gitter, so weit er konnte, einige Tropfen stäubten auf seine Finger, er leckte sie ab, das machte ihn jedoch nur noch durstiger.

Am nächsten Vormittag hielt er es nicht mehr aus, er rief, die Leute hörten ihn nicht, sie waren auf dem Acker, er schrie vergebens.

Als mittags wieder der Tisch vor das Fenster gerückt wurde, die Löffel klapperten und der Duft der Nocken in seine Nase zog, da ergab er sich endlich und sagte halblaut: »Gebt her, ich will unterschreiben.«

Er that es; die Brüder nahmen die Urkunde und sperrten auf. Ohne Gruß und Wort sprang er an ihnen vorbei, in einem Satze über die Stiege, zum Brunnen; dort ließ er sich, ich weiß nicht wie 33 lange das Rohr in den Hals rinnen. Als er fertig war, riefen ihm die droben zu:

»Jetzt komm; es ist auch für dich angerichtet!«

Er aber rannte, ohne nmzuschauen, ins Wirtshaus, und wird man ihm wohl wie dem verlorenen Sohne ein Kalb geschlachtet haben.

Nun hätt' er freilich bei Gericht klagen können, dann wär's aber in der Gemeinde fertig gewesen, man hätt' ihn gewasent und gesteinigt: so mußte er heiraten. Die Hochzeit war sehr lustig; zuletzt ist auch der Gern-Sepp mit der Harfen kommen und wollte ihm die Geschichte vorsingen. dem hat er aber zwei harte Silberthaler in die Hand gedrückt, daß er für ewige Zeiten mit dem Liedl still sei.«

Nun fragte ich nach der alten Zenz.

»Geht sie noch als Bötin mit dem schweren Rückkorb über den Kaßbach und trägt den Herrschaften die Sachen zu?«

»Die Zenz! Die schaut jetzt aus wie die große Trommel von Jenbach, so geschwollen und wassersüchtig, daß sie sich gar nicht im Bette umdrehen kann und seufzt um Erlösung. Als sie krank wurde, hat sie ganze Nächte geächzt und liebergottet, als ob sie schwer das Gewissen drücken thät; da ist der Kooperator zum alten Rabinger gegangen und dann wieder zu ihr, 34 seitdem erwartet sie ruhig den Tod. Da muß etwas ganz besonderes sein, vielleicht hat sie sich an ihm versündigt und er ihr durch den Geistlichen die christliche Verzeihung geschickt.«

Der alte Rabinger! Ich hatte gehofft, ihn im Gasthaus zu treffen; nun zog ich die Uhr, um ihn noch aufzusuchen. Much hielt mich zurück.

»Der ist in seiner Branntweinhütte auf der Zemm; wann er kommt, weiß wohl der Jäger Neuner.«

Auch den wollte ich sprechen und den Kindern eine Tüte Gutelen durch den Gucker werfen. Da fragte ich vorher Much noch:

»Ja was thut er denn jetzt in der Zemm? Mit den Wurzeln ist es aus und Wilderer war er nie. Der nächste Sturm schneit ihn ein.«

»Das schad't dem nichts. Seit seine Tochter, die Magdalena, tot ist, bleibt er fast immer in der Wildnis.«

»Also tot! Ich kannte sie nur als ein schönes Kind.«

»Sie war das schönste Mädchen weit um, leider Gott! Was ich weiß, will ich Ihnen sagen, damit Sie den Alten, wenn Ihr zu ihm kommt, nicht durch eine unüberlegte Frage kränken.

»Die Arme ist an einem rußigen Kessel 35 angepumpft und schwarz worden; wir erfuhren es erst, als der Kooperator das Kind taufte. Wie Ihr wißt, sind die Weiber neugierig gleich den Geisen; diesmal konnten sie aber doch nichts herausfratscheln, und wenn mir der verdammte welsche Katzeler einfiel, so war es eben nur ein Einfall, und ich hätte mich wohl gehütet, ihn merken zu lassen, weil ich nichts beweisen konnte.

Also! Die Magdalena nahm immer mehr und mehr ab; weder meine Wirtin noch der Doktor verstanden die Krankheit, und so hätt' es wohl nichts genützt, wenn wir ihr das Pflaster auf das Herz gelegt hätten. Sie ward wie ein Rosenstöckel, das man im Sommer nicht begießt. Das vergeß ich nie, wie sie auf der Bahre lag, blaß, langgestreckt, still. Der Alte hatte die buschigen Brauen zusammengezogen wie nach dem Lineal und starrte aus den blauen trockenen Augen in das Weite und zog hier und da die Finger zu einer Faust, als wollte er etwas zerdrücken. Ich getraute mir gar nicht »Tröst Gott« zu sagen. Mein Herz ist weich, besonders wenn ich ein paar Tröpfeln getrunken habe, da gehen mir gleich die Augen über; hier mußte ich weinen, daß die Zähren einander einholten.

Von dort an ging er nicht mehr zur Kirche, 36 zur Beicht'. Der Prälat selbst wollte ihn bekehren, er aber erwiderte auf alles Zudringen: »Ihr neuen Geistlichen kennt das Alte Testament nicht.«

Da fragte ihn endlich der Hochwürdige: »Glaubst du noch an einen Gott?«

Er richtete sich hoch auf und sagte langsam:

»Ja, an einen Gott der Gerechtigkeit, und der hat geoffenbart: Aug' für Aug', Zahn für Zahn.«

Er kehrte dem Prälaten den Rücken und ließ sich auf nichts weiteres ein.

Als man den zerfallenen Katzeler brachte, war der Rabinger längst auf der Zemm zu Hause; er wolle einiges abthun, sagte er.

Bei uns bahrt man den Toten auf; die Nacht durch halten die Männer Wache und wechseln im Gebet ab. Wir wunderten uns alle, daß er kam und mit fester lauter Stimme vorbetete. Um die Leute zu laben, stellt man ihnen Getränk auf – und die Mutter hat alles bezahlt, wenn sie es auch nicht bestellte – er hat keinen Tropfen angerührt.

Von dort ging er wieder in die Kirche und beichtete dem Prälaten, dem ehrwürdigen Pockstaller, der soll dann den ganzen Abend vor dem 37 Altar gekniet haben, bis er spät und nüchtern zu Bette ging.

»Reimt Euch das zusammen; ich kann es nicht.«

»Also! der Rabinger hat oft nach Euch gefragt und Ihre Geschichten zweimal gelesen, dann wollte er wissen, ob Sie noch solche Sachen schreiben, das wäre ihm wichtig. Wie sollt' ich das beantworten?«

»Ich gehe morgen ohnehin durch die Bachen in die Zemm, da kann er's von mir selbst hören.«

Ich nahm den Hut und ging zum Neuner. Da waren noch die Fenster hell, vor einer Breipfanne saß der riesige Jäger, auf der anderen Seite das Weib und dazwischen der gutmütige Dori und das kleine Emmerl mit den blonden Zöpfen und säbelten tapfer drein. Ich genoß diese friedliche Idylle eine Zeitlang aus dem Dunkel, dann pochte ich an die Scheibe. Der Jäger sprang auf, die Kinder hielten sich an seinen Kniebändern, daß er kaum vorwärts konnte, bis sie mich mit den weitaufgespreizten Augen erkannten und einstimmig schrieen: »Mutter, der Pichler ist da.« – Emmerl mußte die Schürze aufhalten und ich warf ihr die Tüte hinein. Nun fragte ich nach dem Rabinger.

38 »Sonst kommt er zu Allerheiligen,« – beschied mich der bärtige Jäger; – »weil er dort, wie es der Brauch, auf das Grab seines Weibes und seiner Tochter den Buchskranz legt; heuer wird es ihn wohl schneller heimtreiben, denn er kränkelt.«

Ich bot »Gute Nacht!« und eilte zum Much.

Nun will ich vor dem Einschlafen erzählen, was ich von dem alten Rabinger damals wußte. Zuerst lernte ich ihn 1848 in Judicarien kennen, er war Führer einer Schützenkompagnie, die auf der Höhe Ober-Lardaro stand. Als er hörte, daß der Pater Joachim mit mir ausgerückt sei, wollte er diesen begrüßen, denn er hatte als fünfzehnjähriges Bürschlein bereits 1809 mitgethan.

Später besuchte ich ihn im Achenthal; wenn es regnete, saß ich mit ihm so manches Stündchen auf dem Söller und plauderte von vergangenen Zeiten, wo noch kein Tourist den See unsicher machte, um uns die Salblinge zu verteuern.

Sein Weib ging ab und zu und brachte uns wohl zur Marende eine Schüssel saurer Milch, die uns besser behagte, als der Kaffe, der leider schon in alle Bauernküchen gedrungen ist. Sie 39 war feiner gebaut als die Achenthalerinnen, und wenn sie auch die Tracht des Thales trug, so war diese doch etwas netter in Schnitt und Fassung, obschon sich Stoff und Farbe nicht von jener unterschied. Durch den Dialekt klang hie und da ein fremder Accent, wenn sie länger sprach, belegte sich die Stimme; die Schultern standen etwas vor und die Brust war eingesunken, so daß ich daraus schließen mußte, sie werde das rauhe Klima nicht mehr lange ertragen. Es geht aber allen Zugewanderten so, und ich wußte, daß sie eine Fremde sei.

Der älteste Sohn war Oberjäger im Landesregimente; so lange er in Innsbruck zu Garnison lag, brachte ich ihm wohl von den Eltern hie und da einen Guldenzettel oder eine Kleinigkeit, was so wohl thut, wenn es aus der Heimat kommt. Er war ein bescheidener, tüchtiger Mensch, der um einen Kreuzer nicht viel redete, wie man zu sagen pflegt; wegen seiner Zuverlässigkeit beim Stabe geachtet, hatte er sogar Aussicht, das Portepee zu erlangen. Mehrere Kinder, welche ihm folgten, waren gestorben und zuletzt kam als spätes Nestquackelchen ein Töchterlein, welches der Base zu Ehren den Namen Magdalena erhielt. Das Kind gesellte sich bald zu uns auf den Söller; ich sah es sehr gerne, denn es war 40 so schön, daß man es wohl zu den Englein auf den Altar hätte stellen mögen. Stets war Lena hübsch und sauber, nur die krausen Flachslöckchen ließen sich nicht in einen Zopf flechten, und wenn sie hin- und herspringend den Kopf schüttelte, erinnerte sie mich an das reizende brasilianische Seidenäffchen. Ich neckte sie nicht selten, weil es mir Spaß machte, wie sie sich mit beiden Händchen wehrte und dabei trotzig die Oberlippe aufwarf.

Einmal im Herbst, als ich ihr eine Puppe gebracht hatte, die beim Drücken schrie, tuschelte sie mir ins Ohr: »Du sollst mir nicht bloß Gutelen und Spielereien mitbringen, denn weißt, ich bin jetzt schon zehn Jahre alt. Hast du nicht gesehen, was die Fräulein im Sommer für Sonnenschirme und Hütchen tragen?«

»Du bist ja kein Fräulein,« – erwiderte ich und streichelte ihr Haar – »sondern nur ein grobes Bauerndirndl, für das die Zottelmütze paßt, so daß du ausschaust wie eine blaue Morchel.«

»Nein, nein, nein!« – rief sie und strampelte mit den Füßen, – »ich will ein Fräulein werden; sagen doch alle, ich sei herzig, viel herziger, als die Mädeln mit den gelben Gesichtern, die aus der Stadt an den See kommen!«

41 Das nächste Mal brachte ich ihr zwei Bänder; eines blauer Sammet, das andere roter Atlas. Sie wand jenes um das Haar, dieses um den Hals und trug beide, bis ich sie später mit neuen vertauschte. Die Eitelkeit war es, welche später die Jungfrau mit ihrer Schlinge fing und in den Abgrund zog. Als ich nachträglich ihr Schicksal erfuhr, machte ich mir fast Vorwürfe darüber, daß auch ich vielleicht zur Entwickelung dieses Giftkrautes beigetragen.

Gelegentlich erzählte mir Rabinger, wie er zu seiner Frau gekommen.

»Im April 1809 eroberten Bauern die Stadt Innsbruck; eine kleine Abteilung bayerischer Soldaten, an welche sich etliche versprengte Beamte mit Frau und Kindern anschlossen, entrann über die Mühlauerbrücke und wollte sich auf Seitenwegen durchschleichen. Ihr kennt die Gegend von Tratzberg. Das Schloß steht auf steilem Schrofen, an diesem zieht sich unten die Straße hin, bis zum Inn dehnen sich saure Wiesen und Erlenauen; dort war es Sumpf, durch den man nirgends waten konnte. An der engsten Stelle hatten wir einen Verhau angelegt; auf den Höhen und dahinter standen wir mit den Stutzen und lauerten. Als der armselige Zug in Schußweite war, begannen wir das mörderische 42 Feuer. Sie gerieten in Verwirrung und flohen zurück, auf dem Rain von Stans ordneten sie sich wieder. Die Beamten blieben bei den Frauen und Kindern, die Soldaten teilten sich in zwei Scharen, die größere suchte unter einem jüngeren Offizier ober dem Schlosse durchzudringen; es gelang ihnen auch; denn die Schützen waren überrascht.

Beim Verhaue kommandierte mein Vater, an seiner Seite lag ich hinter einem Steinblock geduckt und that mit meiner Büchse, die sich bereits den Eichkätzchen fürchterlich gemacht hatte, was ich konnte. Als die Bayern sahen, daß sie nur Leute verloren, ohne vorwärts zu kommen, pflanzten sie das Bajonett, der Trompeter blies Sturm und sie rannten gegen uns. Noch erinnere ich mich an den Feldwebel, der allen vorauslief. Er war groß und stattlich, ein blonder Vollbart bis zur Brust herab – daß so ein wackerer Deutscher gegen uns Deutsche kämpfen mußte! – unter dem Barte konnte man kaum die vielen Orden und Medaillen erkennen, welche seine Brust schmückten. Sie hängen jetzt im Glaskasten; ich habe sie von den Schützen nachträglich zusammengekauft. Schon hatte er den Wirt von Margareten, der sich wegen seiner Dicke nicht drehen konnte, gespießt wie einen 43 Frosch, da traf ihn der Duning Sepp – jetzt liegt er auch schon im Boden – mit dem Morgensterne, daß der Raupenhelm zerbarst und das Gehirn durch den Riß quoll. Nun gab es keinen Rat mehr. Die anderen streckten das Gewehr und ließen sich wie die Schäflein nach Jenbach führen.

Ein Schütz wurde an die Beamten geschickt, sie sollten nur weiter reisen, mit ihnen habe man nichts. Das war traurig, wie die an den Leichen vorbeischritten, Thränen im Aug', zitternd, wenn wir zufällig an den Stutzen griffen. Am meisten dauerten mich die Weiber und die Kinder – nun die Gräfin Trautmannsdorf hat ihnen wohl zu essen und zu trinken gegeben, wie sie stets eine gute Frau war. Unter ihnen war aber ein Weib, sie trug ein Kind in einem Leintuch gebunden auf dem Rücken und schaute ängstlich jeden Toten an; einen, der auf dem Gesichte lag, drehte sie sogar um. Als sie den Feldwebel auf dem Verhau liegen sah, that sie einen entsetzlichen Schrei, daß selbst die alten Schützen erschrocken zurückfuhren, es war ihr Mann! Sie lag lange wie ein Stück Holz, daß wir nicht wußten, ob sie noch lebe, endlich begann sie zu atmen; sie schlug die Augen auf und drückte das Kind an das Herz. Wir labten 44 sie mit Wein, es war uns aber allen ganz herzschlachtig. Der Feldpater redete ihr lange zu, und so brachte man sie endlich soweit hinweg, daß man den Feldwebel mit den anderen gefallenen Soldaten und Schützen begraben konnte.

Aber was nun? Einholen konnte sie die anderen nicht mehr und bei den Schützen auf den Vorposten auch nicht bleiben. Da sagte mein Vater zu mir: »Weißt was? Du mußt ohnehin heimwärts, der Mutter Nachricht bringen, sonst zergrämt sie sich noch mehr um uns; nimm das Weib mit dem Kind, in unserem Zuhäusel ist Platz, und ob ein Löffel mehr in die Schüssel fährt, macht uns nicht weniger satt. Jetzt muß man barmherzig sein, denn kein Haus ist so fest und kein Acker so tief gegründet, daß dich nicht der Sturm mit dem Bettelstab in der Hand wegfegen könnte. Heut' mir, morgen dir!«

»Das Weib hatte zugehört und setzte in diese ehrlichen Worte Vertrauen; ich warf den Schnerfer über die Achsel und hieß sie mitgehen. Ermüdet und des Bergsteigens ungewohnt, hielt sie nicht lange aus; da nahm ich das kleine Mädel auf die Schulter. Wohl lachte, wer mir begegnete; was lag mir daran? Hat Christus das schwere Kreuz getragen, warum sollte ich nicht dieses Kind tragen, 45 das mir ohnehin leicht vorkam, wie eine Heuschrecke. Auch die Mutter that das Herz auf; so waren die zwei Unglücklichen geborgen. Die Weiber merkten bald, daß die Lora, – so hieß die Fremde, – allerlei könne, was gut ins Haus zu brauchen war, da erhielt sie denn Bestellungen von verschiedener Art; weil sie christlich die Messe besuchte, der Predigt zuhörte, kam auch der Kurat von Eben und übertrug ihr das Steppen der Kirchenwäsche, ja ließ von ihr sogar die kostbare Garderobe der heiligen Notburga sticken. So hatte sie zu leben, daß sie uns bereits Mietszins entrichten wollte. Hätten wir ihr die armen Kreuzerlein, die sie oft bei der Lampe ernadelte, abnehmen sollen?

Sie war vom Rhein; wohl faßte sie anfangs den Gedanken heimzukehren; es waren jedoch ihre Eltern tot und von den anderen Verwandten erwiderte keiner auf ihre Briefe. Wie's halt ist! Viel Vetter, viel Hundsfött! So gewöhnte sie sich ganz her und legte auch endlich unsere Tracht an. Als die Lehrerin starb, übernahm sie sogar die Winterschule; weltlich und geistlich war mit ihr zufrieden, die Bauern lieferten ihr gerne das beste Buchenholz sauber gekloben vor die Schwelle, und manches Butterkügerl flog durch den Kamin in ihre Küche. Ihre Tochter nannten wir Finerl, 46 denn Malvina klang uns so spaßig, daß wir uns daran nicht gewöhnen wollten; bei uns taufte man auf Emerentia, Crescentia, Moidele, Scholastica, das stand doch im Kalender!

Das Mädel trat nach und nach die Kinderschuhe aus und ward eine bildschöne Jungfrau, brav, wohlgesittet, verständig, die Stütze ihrer Mutter. Hie und da wollte sie ein Bursch zum Tanz führen, sie lehnte stets bescheiden ab, und besuchte sie am Kirchtag das Wirtshaus, so ging sie auch wieder mit der Mutter heim; wenn einer an das Fenster kam, wurde er derb abgefertigt. Sie wußte auch, warum. Als eine Fremde durfte sie nicht hoffen, daß sie ein einheimischer Bauer zum Altar führe, und so weltfroh sie auch war, dachte sie doch: Ledig gestorben ist auch nicht verdorben.

Seitdem sie groß geworden, sprach ich nur noch selten mit ihr, ja vermied sogar ihr Haus; es sollte nicht scheinen, daß ich auf Grund der Wohlthaten, die sie mit ihrer Mutter von uns empfangen, Ansprüche erhebe. So schaute ich sie nur von weitem an, wie die Heiligen auf dem Altar. Die Achenthaler Mädchen waren zwar brav, rechtschaffen, es hätte mich auch keine über den Söller hinunter geworfen, wenn ich angefragt hätte; ich mochte aber nicht, denn sie waren mir 47 zu viereckig, zu ungeführig, und ich hatte doch auf Märkten und Reisen ein bißchen Welt gesehen. So kam es, daß ich am Kirchtag zum Hochamt gehen wollte, und hatte nichts auf meinem Hut, als ein bißchen welkes Edelweiß und den zerrupften Spielhahnstoß. Ich bürstete wohl, er wurde aber nicht schöner. »Ei was Teufel!« rief ich endlich und setzte ihn schief auf das Ohr. Finerl saß auf dem Söller des Zuhäusels zwischen Nagerln, Astern und Balsaminen; ich blickte unter dem Hut schräg hinauf und grüßte, sie dankte artig und schlug dann die Augen nieder. Da blieb ich stehen, faßte mir ein Herz: »Schau Finerl, giebst du niemand eine Blume?« – Ich hatte den Hut abgenommen, sie errötete tief und sagte verlegen: »Hätt' mich nie getraut, dir etwas anzubieten, du bist ja immer vorbeigeschossen wie ein Wilder.« Sie langte mit der Hand herab, nahm den Hut und pflückte die schönsten Blumen. Dann löste sie ein grünes Band aus dem Haar und knüpfte sie zu einem Strauß. Ich wurde kecker und rief hinauf: »Wenn du heute mit der Mutter zum Wirt kommst, könnten wir wohl ein Tanzerl wagen.«

»Die Mutter,« antwortete sie und eine Thräne drang ihr ins Auge, »die ist ja krank, weißt du es nicht?«

Ich fühlte mich in peinlichster Verlegenheit.

48 Sie fuhr fort: »Wenn du auf dem Eben den Chirurgen siehst, schick' ihn doch herein!«

Ohne mich zu besinnen, rannte ich den See entlang zum Katzensteig und packte den Arzt, daß er schleunig mitmußte.

Mein Vater war gestorben. Bald darauf meine Mutter und das mußte mich entschuldigen, daß ich von den Nachbarn nichts wußte.

Seitdem fragte ich fleißig zu; freilich gab der Arzt wenig Hoffnung, und als im Lenz die Blätter knospten, konnte man grünen Rosmarin auf ihr Grab legen.

Am Abend nach dem Begräbnis fand ich Finerl ruhig und gefaßt in der Stube. Sie wandte sich von einem Koffer, dessen Deckel zurückgeschlagen war, freundlich zu mir und reichte mir die Hand. »Du siehst, ich fange an einzupacken, denn als einzelne Person kann ich hier doch nicht bleiben. Eh ich scheide, will ich auch noch am Grab deiner Eltern beten, daß dir Gott die Wohlthaten, die sie mir erwiesen, hundertfach vergelte: – dich,« – es stockte ihre Stimme einen Augenblick unter Thränen – »dich werde ich nie vergessen und bitte dich zu allem, was du gethan hast, nur noch um eines: laß meine lieben Blumen nicht verkommen. Sie haben sonst niemand mehr und ich habe auch niemand mehr.«

49 »Niemand mehr?!« rief ich und blickte ihr beweglich in die Augen. »Niemand mehr?!« Meine Zunge war gelöst. »Bin ich denn niemand? Und meinst du, ich sei als rechtschaffener Mann nicht imstande, einer armen Waise Vater und Mutter zu ersetzen?«

Sie stand betroffen und schaute mich groß an. Ich zog den Ehering meiner Mutter vom Finger und reichte ihr denselben; als sie ihn ansteckte, seufzte sie tief auf und murmelte:

»Ja, mit dir kann ich's wagen.«

Erst später entdeckte sie mir, daß sie mich schon lange im Herzen getragen und gerade deswegen bei der Hoffnungslosigkeit der Verhältnisse die Abreise beschleunigen wollte.

Soviel braucht es, bis zwei dummen, jungen Leuten endlich das Licht aufgeht – zwar ich war kein heuriger Hase mehr, schon nahe an den Dreißigern.

Der Pfarrer hatte nichts dawider, uns an einem Sonntag dreimal von der Kanzel aufzubieten; wie steckten zuerst die Bauern die Köpfe zusammen, wie geiferten die Weiber, daß ich auf mein schönes Gut ein hergelaufenes Weibsbild als Frau setze!

Was kümmerte das uns?

Ich habe auch nie Ursache gehabt, es zu 50 bereuen. Hat sie ihre Schwächen, so hab' ich sie auch, das geht einander quitt auf, und so ist es die richtige Rechnung in der Ehe.«

Diesen Mitteilungen habe ich nur beizufügen, daß sie mir nicht auf einmal, sondern bald da, bald dort anvertraut wurden, und ich sie erst nachträglich im Zusammenhang verknüpfte.

Später sah ich den alten Rabinger noch einmal. Die Donner von Weißenburg und Wörth rollten auch über unsere Alpen, wir zündeten zum Ärger einiger k. k. Hofräte im Fürstenhaus Freudenfeuer an; er half uns Holz zusammentragen, denn er erinnerte sich lebhaft an die schreckliche Franzosennot der napoleonischen Kriege. Die Kinder tanzten um das Feuer, wie die Irokesen, und Lenerl machte etliche Pas der Quadrille.

»Aber wo hast du denn das her, du Balg?« rief ich ihr zu.

»Ich hab's den Herren und Fräuleins abgeschaut, die jüngst auf der frischgemähten Fischerwiese tanzten. Der Gernsepp hat ihnen sogar aufgespielt.«

* * *

Am nächsten Morgen ließ ich die Sonne hoch über die Zillerthaler Berge steigen, ehe ich mich vom Much verabschiedete, der sein »ochsiges« Haupt 51 sehr bedenklich schüttelte, daß ich mich um diese Zeit noch in die Wildnis wage. Die Nacht war bissig kalt gewesen. Auf den Pfaden nach Gern hingen überall die Reifnadeln am welken Gras, und ich war zufrieden, als ich endlich aus dem Schatten in die klare Sonne trat.

Erst beim Aufstieg zum Psonserjoch erwärmte ich mich allmählich; ich mußte vorsichtig auftreten, denn der Abfall unendlichen Herbstlaubes verhüllte den Pfad – um einen Ausdruck der Odyssee beizuziehen.

Der nächste Weg hätte mich am Brunnen hinter der Alm vorbei in die Bachen geführt; die roten Marbel von Überschüß winkten aber so verführerisch, daß ich mich entschloß, dort nach Ammoniten zu suchen. Ich fand nicht gerade viel, denn wie oft hatte ich diese Schrofen schon abgeklopft! – aber immerhin einzelnes, was des Mitnehmens wert war.

Von Überschüß gelangt man quer zur hohen Gans; weil ich schon heroben war, trug es wenig aus, wenn ich hinstieg. Bald erreichte ich den Pfad, den der Herzog von Koburg anlegen ließ; er führte mich im Zickzack zu dem Platz, wo Cazzoni abstürzte. An der Wand war eine viereckige Nische eingemeißelt, hier stand sein Name, Jahr und Datum. Aufmerksamen Blickes prüfte 52 ich die Stelle; mir war geradewegs unbegreiflich, wie hier jemand fallen sollte, es sei denn Nacht oder der Steig mit Eisgallen bedeckt.

Mich ging jedoch die Sache nichts an, ich wandte mich daher zum Scheitel der hohen Gans, wo man eine weite Rundsicht über das ganze Gebirge und ein Stück der bayrischen Ebene hat. Über diese verbreitete sich ein feiner Duft, der gegen die Grenze des Horizontes in ein blasses Grau verschwamm und so die Linie zwischen Himmel und Erde kaum erkennen ließ. Um so klarer schnitten die Gräte der Alpen, die Hörner der Gletscher in den blauen Himmel, aus dem die Sonne in farbloser Helle niedersah. Droben war zwischen den Zundern ein ebenes Plätzchen mit dichten Grasbüscheln, an den Ritzen des grauen Gesteins hing noch hier und da ein Stämmchen dürres Edelweiß, das die Gier der Sammler nicht entdeckt hatte. Ich streckte mich behaglich nieder. Den Blick lenkte keine Spur des Lebens ab, die goldenen Fliegen, welche summend durch die Luft schwirrten, die bunten Falter, die gleich Poeten von Blume zu Blume pilgerten, hatten ihre Zeit gehabt, nicht einmal die unheimliche Viper ließ sich von der Wärme ins Freie locken, denn ihre Beute, das kleine Mäuschen, schlief fest und sicher in seiner gepolsterten Höhle. Nordwärts dehnten sich die 53 Bachen mit ihren waldigen Höhen und tief eingeschnittenen Mulden, dieses Paradies der Senner und Schmuggler, aber keine Herdenglocke erklang, kein Rauch schwebte über dem Dach der Hütten, die einzeln zerstreut waren. Und doch war es nicht der öde und traurige Tod, der hier herrschte, überall Größe, Majestät, Erhabenheit, die nicht drückend wirkte, sondern beruhigend, weil hier der wüste Kampf ums Dasein verstummt und mit seinen vergänglichen Siegen und Niederlagen drunten geblieben war. Auf dieser Höhe schweigt Schmerz, Zorn und Rache, ein Gefühl milden Friedens dringt in unsere Seele; wem es unten zu eng, zu schwül wird, der steige herauf, die Last seiner Qualen fällt allmählich vom gepreßten Herzen, der steige herauf! – der steige herauf! Und öffnet dann die Nacht die zahllosen Sternenaugen, dringt dann sein Blick in den unermeßlichen Weltenraum, je tiefer je dunkler, dann ahnt er die Ewigkeit, er fühlt, daß, wer im Ewigen lebt, auch der Ewigkeit gehört.

Gegen zehn Uhr erhob ich mich; als ich an den Rand des Felsens hinabkletterte, fiel mir wieder jener Offizier ein; ich hielt mich an den Grasbüscheln und beugte mich vorwärts, so daß ich die ganze Wand überblickte. Fast gerade unter mir lag die Zemm, vor der Hütte ging ein Mann hin 54 und her, wohl der Rabinger. Ich ließ einen Juhschrei los, er blieb stehen und winkte mit der Hand nach rechts. Ich meinte, er wolle mich warnen und trat zurück. Wer senkrecht niederstieg, konnte in einer kleinen halben Stunde bei ihm auf der Bank sitzen, das war jedoch unmöglich; so hatte ich, weil ich den Kamm umgehen mußte, über all die Tobel und Gräte noch einen Weg von geschlagenen fünf Stunden vor mir. Darauf kam es jedoch mir heut' nicht an, wer weiß, ob ich das Gebirge bald wieder in solcher Herrlichkeit sehen würde.

Vorläufig stieg ich zu einer Alm nieder, neben der eine Quelle kalten klaren Wassers aus dem Felsen brach. Ich rückte mir eine Steinplatte zurecht; auf dieser verzehrte ich mein Mittagmahl, hart gesottene Eier, etwas Speck und Brot, zum Schluß ein Stückchen Zucker, auf welches ich Rum geträufelt hatte.

Gegen vier Uhr nachmittags erreichte ich auf der andern Seite des Gehänges des Teufels Wurzgärtlein, wo ich unter der Schirmtanne rastete. Es waren allerlei Namen eingeschnitten und die Jahreszahlen dazu; manchen kannte ich, auch den meinen fand ich noch, obschon die Rinde fast in den Schnitt hineingewachsen war. Gleich daneben sah ich in lateinischen Lettern ein M. und 55 P. vielleicht von einem Studenten, der in den Ferien vorbeigestreift. Etwas höher war ein rohes Kruzifix angenagelt, es sollte dem Teufel sein Wurzgärtlein sperren, wenn er etwa käme, um Hexenkräuter zu säen. Solche Wurzgärtlein trifft der Wanderer hier und da im Gebirge. Es sind kleine Hochebenen, die sich gegen das Thal vorschieben, meistens bewässert sie eine Quelle, an deren Bord die seltensten und üppigsten Alpenkräuter gedeihen. Der Fremde betrachtet das alles arglos, da setzt sich ein Hirt neben ihn auf die Bank, erzählt ihm allerlei gruselige Geschichten und deutet auf einen Kreis von Schwämmen: Hier müßten die Hexen am letzten Pfinztage getanzt haben. Wahrscheinlich sind das Erinnerungen an altheidnischen Götterdienst.

Eine Viertelstunde abwärts liegt zwischen hohem Ahorn neben einem Steg, der über den Bach führt, die Branntweinhütte.

Das laute Rauschen des Wassers übertönte meinen Schritt, so daß ich Rabinger, der auf einem Block Holz spaltete, erst anrufen mußte. Er lehnte die Axt an die Bank und reichte mir freundlich die Hand.

»Die Nocken, die ich Euch kochte, sind längst alt geworden. Ich dachte, Ihr kämt gerade herab, und habe Euch deshalb rechts hingewinkt, wo der 56 Steig einsetzt. Vor zwei Jahren brach er dort, wo Ihr standet, herunter.«

Ich schaute ihn verwundert an. »Aber wie denn? Hat mir doch der Neuner selbst gesagt, er habe auf diesem Schrofen bis jetzt auch nicht einmal eine Gemse gesehen?«

»Der Neuner! Die Jäger brauchen nicht alles zu wissen, was thäten sonst die Wilderer? Nehmt meinen Feldstecher« – er reichte mir ein Fernrohr aus braunem Pappendeckel – »und schaut dort zu der Staude hinauf, was seht Ihr?«

»Eine Furche, die etwa ein- bis zweihundert Fuß gerade hinaufzieht.«

»Da kann man sich wie ein Kaminfeger mit den Ellenbogen emporlupfen. Und darüber?«

»Die Platten des Hornsteinkalkes, der bricht einem unter dem Steigeisen.«

»Es thut's schon ein gewöhnlicher Bergschuh auch. Was morsch, ward herausgearbeitet, so habt Ihr die schönsten Stiege. Dann hängen die Zundern herab, an ihren Ästen seilt man sich leicht empor. In drei Viertelstunden steht Ihr auf dem Kamm, und das ist der nächste Weg in die Bachen und dann nach Bayern, aber verratet es niemand, Jäger und Finanzler brauchen ja nichts davon zu wissen.«

57 In meinem Kopfe blitzte ein unheimlicher Gedanke auf. Wir setzten uns auf die Bank. Erst heut fiel mir auf, wie er zerfallen und gealtert war. Als rüstigen Greis, der täglich seine zehn bis zwölf Stunden steigen konnte, hatte ich ihn verlassen; jetzt hing der Kopf auf die Brust, die Haut war verschrumpft und fahl, die blauen Strümpfe schlotterten um die Beine.

»Ich bin ich schon von dem bißchen Holz müd'!« unterbrach er meine Betrachtung »und derschnaufen thu' ich es schon gar nicht mehr! Da giebt's wohl kein Mittelchen, Herr Doktor?«

Ich schwieg.

»Übrigens ist es auch kein Schad'«, fuhr er ruhig lächelnd fort, »wenn wir alten Leute in die Grube fahren, wir haben dem Leben unsern Zins mit Blut und Thränen gezahlt, und ich wenigstens bin niemand was schuldig blieben, das weiß der gerechte Gott, und Ihr sollt es auch noch erfahren und durch Euch die Welt.«

Da sprang ein Bube von etwa vier bis fünf Jahren aus der Hütte; er blieb einen Augenblick vor mir stehen und wollte dann in den Wald laufen.

Der Alte hieß ihn jedoch die Nocken über die Glut stellen, damit ich nicht ungespeist von seiner Schwelle scheide. An der feinen Form der Hände, 58 dem Knochenbau der Stirne und dem Haarschopf, der wie ein Flämmchen darauf gesetzt war, erkannte ich den Stamm, so daß ich den neugierigen Weibern der Pertisau leicht ihr Rätsel hätte lösen können. – Paride Cazzoni!

Bald kehrte er mit der dampfenden Pfanne zurück und schob sie vor mich auf den Tisch, der Alte stellte die Flasche Enzeler und ein Stingelglas daneben. Ich ließ mich nicht zweimal laden und that Speise und Trank die gebührende Ehre. Unser Gespräch bewegte sich nur um allgemeine Gegenstände, ich konnte sein Vertrauen entgegennehmen, aber für mich schickte es sich nicht, zu fragen. Unterdes war die Beleuchtung am Unutz, dessen breiter Waldrücken sich uns gegenüber im Osten erhob, immer höher hinaufgerückt. Der alte Rabinger sah, daß ich gehen wollte. Er faßte meine Hand. »Wir treffen auf der Welt wohl nicht mehr beim Salzfaß zusammen, deswegen versprecht mir zu beschreiben, was Euch mein Sohn erzählen wird. Ihr habt das auch schon anderen gethan; es ist der Mühe wert!«

»Was ich kann, von Herzen gern!«

»Ich werde schon sorgen, daß Euch eine Ehrung geschieht, sei's mit einem Kitzlein, einem Butterknollen oder einer Flasche Echten.«

»Das thut nicht not,« erwiderte ich, »aber 59 seid überzeugt, daß ich Euch verstehe!« Ich blickte ihm tief ins Auge.

Dann wollte ich dem Buben einen Zwanzgerl zum Andenken geben, der Alte wehrte ab und sagte: »Bitt' den Herrn, daß er dir auf das nächste Jahr die deutsche Sprachlehre bringt, denn du mußt dich für die Schule in der Stadt vorbereiten. Dann bitt' ihn auch,« setzte er leise bei, »daß er auf dich ein Aug' habe, du hast ja keinen Vater und Mutter und der heilige Schutzengel schläft manchmal.«

Ich kehrte nicht mehr in die Pertisau zum Much, sondern ließ mich in einem Schifflein geradewegs an den Seespitz führen und stieg von da zum Bahnhof in Jenbach hinab.

Im Verlaufe des Winters hörte ich gar nichts aus dem Achenthal.

* * *

Es wurde wieder Frühling. Von der Osterreise nach Italien heimgekehrt, fand ich auf dem Tisch ein Fläschchen mit einer goldgelben Flüssigkeit, daneben einen Brief. Er gehört zur Sache.

»Verehrtester Herr Professor!

Wir haben den Vater am 23. April begraben, seine Sterbestunde war still und selig, wie wir uns allen wünschen möchten. Er hat 60 mir aufgetragen, Ihnen dieses Fläschchen von der Essenz der Meisterwurz zu schicken; das sei für die schwersten Fälle und er lasse Sie bitten, Ihr Versprechen ja nicht zu vergessen.

Ich habe mir alles zurecht gelegt, daß ich es Ihnen der Wahrheit getreu mitteilen kann; ich muß mich jedoch wegen unverschiebbaren Geschäften bei Gericht vorläufig beschränken, Ihnen das anzuzeigen und Sie zu bitten, wenn Sie etwa in die Pertisau kommen sollten, an meinem Hause nicht vorüber zu gehen.

Sollten Sie mir vorher ein paar Zeilen schreiben, so erwarte ich Sie mit dem Kahne am Seespitz.

Ergebenst

Florian Rabinger, pensionierter Lieutenant.

Pertisau, am 4. Mai 1879.«

Ich verschob meinen Ausflug bis Pfingsten, wo mir die Ferien einen längeren Aufenthalt in der Pertisau gestatteten.

Doch bog ich oben am Kaßbach von der Fahrstraße ab und schlug den Gangsteig ein, der von einer kleinen Wegsäule steil zur Kirche von Eben hinaufführt. Es war gerade die Vesper, der frömmere Teil der Gemeinde ergab sich dem Gottesdienst, die jungen Bursche im 61 Wirtshaus nebenan dem stillen Suff. Ich schritt langsam an der Wand des Friedhofes hin, ein frischaufgeworfenes Grab ließ mich vermuten, daß hier der Rabinger liege, die Blechtafel an einem schwarzen Kreuz bestätigte es. Nach Namen und Datum kam jedoch ein Spruch, der mich befremdete: »Aug' um Auge, Zahn um Zahn.« Ich hatte ihn noch an keinem Grabmal gefunden; als ich über den Zweck desselben nachsann, klirrte das Gitter, ich wandte mich um und sah Florian kommen. Wir begrüßten uns schweigend.

»Ich habe mich aus der Kirche ins Freie gezogen, aber auch ins Wirtshaus mag ich nicht gehen, so ist es gut, daß ich Sie hier treffe.«

Ich zeigte mit dem Finger auf den Bibeltext.

»Auch darüber werde ich Sie aufklären. Der Vater las in den letzten Jahren viel in der Bibel, meistens das Alte Testament, und da wählte er diese schrecklichen Worte. Wann darf ich Sie erwarten? Gehen Sie gleich mit?«

Meine Neugier war sehr groß, doch hatte ich noch nicht Mittag gegessen; so sagte ich für den Abend zu. Wir verabschiedeten uns; er ging in die Buchau voraus. Wie erwähnt, ist das Gasthaus von der Kirche nicht weit entfernt. Ich wollte mir im Garten einen Tisch aussuchen, um dort mein Stück Bockfleisch zu verzehren, 62 denn außer Cervelatwurst war sonst nichts zu bekommen.

Da sah ich am Hof gegenüber einen Burschen, der mit der Sense von unten die Nagerln an dem Söller mähte. Ich schrie ihm zu: »Was treibst du denn, du Saggerakerl?« Er drehte sich lachend um. »Des Rohregger Trinele ist ein so hoffärtiges Ding, daß sie mir heut, wie ich sie beim Kirchgang anbettelte, nicht das kleinste Blümlein schenkte.«

»Wirst halt keines verdient haben, mir schenkte sie im vorigen Jahr ein gar nettes Sträußchen.«

»Das begreift sich,« entgegnete er rasch, »Ihr seid ein alter Loter, und mit denen hat man Mitleid, aber mit uns Jungen trutzt sie.«

Er raffte die Blumen in den Hut zusammen und trug sie in die Gaststube, wo bald ein lautes Gelächter erscholl. Ich aber wollte sehen, wie die Sache ausging, und setzte mich so, daß ich den Söller im Auge behielt.

Die Vesper war gesungen, das Volk strömte aus der Kirchthüre auf den Platz und dann auf den verschiedenen Wegen und Pfaden, die hier einmündeten, nach Hause. Trinele kam mit der Mutter; schon von weitem erkannte sie den Greuel der Verwüstung und lief jammernd voraus. Auf dem Söller übersah sie erst den ganzen Schaden 63 und kreischte, zornig die Hand ballend: »Das hat der Ascher Simei gethan, der Lump der! Könnt' ich ihm die Augen auskratzen.«

»Das thätest du wohl nicht,« rief ich hinaus, »siehst du, wenn man Heu nicht selber mäht, kommt ein anderer.«

Da lachte sie hell auf, aber dieses Lachen ging bald in ein krankhaftes Weinen über. Nun kamen ihre zwei Brüder mit etlichen Vettern. Sie erzählte ihnen schluchzend, was geschehen. Die kehrten an der Thüre um und stürmten, die wuchtigen Fäuste wie Dreschflegel schwingend, gegen das Wirtshaus. Das konnte eine tolle Mette werden. Weil ich mich für Volksscenen interessiere, wenn sie auch im Stil eines Ostade oder van Steen sind, so wollte ich mir wenigstens durch die Stubenthür die Welfen und Ghibellinen anschauen. Als ich auf den gepflasterten Vorplatz trat, flogen schon die Fensterscheiben heraus, durch die Thüre wälzte sich mir eine Lawine grauer Lodenjoppen entgegen, in der bald eine Faust, bald ein Fuß, bald ein blutiges Gesicht auftauchte, so daß ich einen großen Satz machen mußte, um nicht hineingeschwemmt zu werden. Da scholl plötzlich vom Turm die Glocke, welche den Feierabend einläutete. Wie auf Kommando löste sich der Knäuel; die Raufer eilten zum Brunnen 64 und fingen an, einer neben dem anderen, sich zu waschen.

Ich trat hinzu.

»Habt ihr euch die Kürbisse eingeschlagen, daß euch der heilige Geist besser erleuchten kann? Aber so geht es nicht, etliche muß man verbinden.«

Da ich mir auf meinen Ausflügen manchmal nicht bloß die Hose, sondern auch die Haut zerreiße, so habe ich immer Heftpflaster bei mir. Der Simei hatte eine arge Schramme ob der linken Braune.

»Siehst du, nun brauchst du kein Nagerl mehr aufzustecken, sagte ich ihm und klebte den Riß zu.

So auch einigen andern; dann hieß ich sie noch zu Muchs Wirtin über den See fahren, die sei billiger als der Chirurg und helfe eben so gut. Sie griffen zu den Hüten und machten sich einträchtig, als ob nichts vorgefallen wäre, auf den Weg.

Ich setzte mich wieder an den Tisch; die Kellnerin stellte mir eine andere Portion Fleisch auf, denn die erste war kalt geworden.

Da rief mir Trinele leise vom Söller:

»Hat's der Simei tüchtig kriegt?«

»Ja,« antwortete ich, »ich wollte nur, daß er dich dafür kriege, du Hexe.«

65 Ich kannte das Mädchen, es war einmal mit dem Vater, der viel in Kräutern pfuschte, beim Much eingekehrt.

Dunkle Wolken über dem Sonnjoch ließen mich einen Spritzer besorgen, ich bezahlte daher schnell und stieg zu Buchau in den Kahn. Es fielen jedoch nur einzelne Tropfen, aus dem Hintergrunde des Innthales brummte ferner Donner, bald spannte sich quer über den Löffelspitz ein schimmernder Regenbogen.

In der Pertisau ging ich sogleich zum Hause Rabingers. Er erwartete mich bereits. Als er mich in die Stube führen wollte, meinte ich, es wäre an diesem Abend doch gemütlicher auf dem Söller. Er wehrte ab.

»Was ich zu erzählen habe, ist so traurig und entsetzlich, daß es nicht unter Gottes liebe Sonne zwischen Blumen und singende Vögel paßt.«

Er legte ein Paket Briefe auf den Tisch und begann:

»Sie erinnern sich meiner Schwester gewiß noch; wenn ich mich recht besinne, war das Mädel zwölf Jahre alt, als Sie zum letztenmal hier waren. Seit dort hat sich in ihrem Leben allerdings wenig verändert, sie wuchs und gedieh so frisch und sauber, daß alles eine Freude daran hatte, 66 wenn man auch denken mußte, ein solches Prachtbäumlein tauge nicht zu einer künftigen Bäuerin in der Pertisau. Das sagten auch die Fremden. Als sie reifer war, schlichen allerlei junge Herren um das Haus, es kamen wohl auch artige Geschenke; die Mutter hätt' es nicht so scharf genommen, aber der Vater! Der fuhr zum Tempel aus, daß es kleckte. Man mußte jedoch an die Zukunft denken; zu Innsbruck lebte eine weitschichtige Base, bei dieser klopfte die Mutter an, ob sie das Mädel nicht in Kost und Wohnung nehmen wolle, damit es etwas Ordentliches lerne. Jene war eine gute Haut, sie that es gegen eine angemessene Entschädigung und trug keine Schuld an dem Unheil, das folgte. Damals war ich als Unterjäger zu Innsbruck in Garnison, aber ein Mann ist viel zu dumm, wenn er ein Mädchen vor der Liebe hüten soll, und ein Bruder, der warnt oder gar verbietet, kommt so einem lustigen Ding bald als ein Brummbär vor, dem man schon spaßeshalber eines aufdrehen muß. Ihre Schönheit fand bald Anwert; sie hätte sogar heiraten können; ein braver Beamter, freilich nicht mit einer dicken Goldborte am Kragen, meldete sich, wurde jedoch schnöde abgewiesen, denn er trug nicht zweierlei Tuch. Am besten gefiel ihr der Oberlieutenant Paride Cazzoni, ein geriebener Gauner, 67 dabei voll Hochmut auf seinen uralten Stammbaum, wenn auch der Grund, wo er gepflanzt wurde, nicht viel Dukaten trug. Ich merkte die Sache bald, seiner süßlichen Freundlichkeit setzte ich dienstliche Kälte entgegen und vermied ihn um so leichter, da er zu einem andern Bataillon gehörte. Auch meine Kameraden paßten gut auf, denn es mochte ihn keiner leiden. So mußte sich's Lena gefallen lassen, Sonntags immer mit mir aufs Land zu marschieren, bald nach Rum oder Tauer, oder auch auf das Mittelgebirge bei Natters, wo eben ein guter Tropfen Wein herging. Einmal waren wir in Amras beim Kapeller. Da kam der Herr Cazzoni angeschwänzelt, er rückte gleich an unsern Tisch und begann zu plänkeln, meine Schwester schmötzelte und kicherte, wie all die Gänschen in ihrem Alter. Nun ließ er Spezialwein bringen und Gläser aufstellen. Ich schob Flaschen und Gläser zurück: »Der Sohn meines Vaters brauche sich von niemandem aufwichsen zu lassen.« Meiner Schwester befahl ich den Shawl zu nehmen, sie schnitt eine Pritschen und begann halblaut zu mocken. Jetzt kehrte ich das Rauhe heraus. Der Herr galante Lieutenant wollte sich einmischen und drohte mit dem Rapport. Da erhoben meine Kameraden ein schallendes Gelächter. Am nächsten Morgen wurde ich richtig wegen respektwidrigen 68 Benehmens gegen einen Offizier vor den Major kommandiert. Das war ein braver Mann, der selbst Frau und Töchter hatte, mit dem konnte ich von der Leber reden, und auch Kameraden, die sich als Zeugen gemeldet hatten, bestätigten meine Aussage. Er hieß diese abtreten, ging einigemale die Hände auf dem Rücken, wie es seine Art, im Zimmer hin und her, dann stellte er sich plötzlich vor mich hin und klopfte mir auf die Schulter:

»Florian, dem Herrn mußt du gut aufpassen, daß er dich nirgends fassen kann; was deine Schwester betrifft, so rate ich dir als einer, der mehr weiß und erfahren hat, als du: pack' sie zusammen und führe sie heim. Gleich morgen früh! Da geht der Stellwagen ins Unterland, in einer Stunde fertigt dir der Oberjäger das Certifikat für einen zweitägigen Urlaub aus.«

Das war ein ehrlicher, braver Soldat! Hab' es ihm auch nicht vergessen und seinen Töchtern den verwundeten Vater bei Sarajewo auf dem Rücken aus dem Feuer getragen. Nun gut! Lena mußte ins Achenthal, wenn sie auch Zähren vergoß wie Haselnüsse und auf dem ganzen Wege kein Wort redete.

Dem Vater sagte ich nichts, da fand sich eine Ausrede, der Mutter setzte ich alles haarklein 69 auseinander, und sie mußte es gelten lassen, obwohl sie mit Lena größeres Mitleid hatte als ich. Mir schien, als habe bei dieser Angelegenheit die Eitelkeit in ihrem Herzen einen größeren Fleck als die Liebe: der schöne, vornehme, hochadelige Offizier, der sie immer Fräulein hieß und vielleicht gar schon vom Heiraten redete! Wie viele Herzen mögen schon an dieser Angel verblutet sein, wenn sie nicht früher in den Kot gestampft wurden.

Im Achenthal wäre sie sicher gewesen, wo aber der Teufel nicht hinreicht, schickt er eine Bötin. Herr Cazzoni hatte unsere Zenz bald ausgemittelt; es stand ja im Kalender, daß jeden Donnerstag die Bötin aus der Pertisau beim Niederkircher einstelle. Nun flogen die Brieflein hin und her; durch seinen Burschen erfuhr ich, daß er die ihrigen den Kameraden in der Kaserne vorlas; man nennt das Spaß, und es geschieht oft, mir schien es immer eine große Gemeinheit. Die seinigen liegen hier in der klaren saubern Schrift eines Feldwebels. Sie können sie auch gedruckt lesen; später fiel mir der »Briefsteller für Liebende« in die Hand, da stehen sie sammt und sonders.

Herr Cazzoni kam sogar etlichemal in die Pertisau, verkleidet – sonst wär' er aufgefallen, 70 und die Zenz räumte dem Pärchen die Stube, daß sie bequem schwatzen konnten. Mancher arme Soldat erhielt Prügel für nichts, warum peitscht man die Kupplerinnen nicht aus? – Da wär' kein Hieb verloren, als der fehl geht.

Da ging der Herbst ins Land; die Wurzelgräber meldeten sich beim Vater, er bezog die Hütte und begann die Brennerei. Magdalena mußte ihn zur Aushilfe begleiten. Die Mutter wollte sie nicht zu Hause behalten, denn sie hatte zufällig erfahren, daß der Cazzoni vom Herzog zur Jagd geladen sei. Auf der Zemm konnte er das Mädel nicht leicht ausspüren, es hätten ihm auch die Wurzeln mit Knitteln heimgegeigt, wenn er hinter dem Rücken des Vaters eingeschlichen wäre.

Die Zenz wußte jedoch zu helfen. Sie hatte früher selbst gegraben und kannte daher in der Zemm jeden Stein. An einem Sonntag bestellte sie Herrn Cazzoni nach Achenkirch und führte ihn auf einem Schafsteig schräg durch den Wald zu des Teufels Wurzgärtlein. Wie schon verabredet war, erwartete ihn Magdalena hier. Der Christus, welcher unsaubere Geister bannen sollte, hat so wenig seine Schuldigkeit gethan, als später der Schutzengel. Vor Menschen waren sie sicher; man überschaut von der Tanne aus 71 das ganze Thal, und bis jemand heraufstieg, konnte er sich tief im Gebüsch verkriechen. Doch erreichte er vorläufig seine Absichten nicht, denn Lena war, die kindische Eitelkeit ausgenommen, die bereits Eva mit dem Apfel gegessen hat, ein braves Mädel durch und durch, ihr galt die Ehe noch als heiliges Sakrament, das man in der Kirche zu empfangen habe.

So sahen sie sich nun öfters.

Da wollte der Vater nachschauen, wie es daheim gehe, am nächsten Mittag werde er wieder da sein. Er konnte der Mutter sagen, daß Magdalena, die nur ungern mitgegangen war und die ersten Tage auffällig traurig schien, jetzt heiter, ja lustig sei.

Abends war wieder Stelldichein. Wenn die Verliebten plaudern und kosen, ist ihnen die Zeit nicht lang. Cazzoni mochte wohl absichtlich in den Abend hineinzögern, weil er erfahren hatte, daß der Vater Magdalena allein gelassen habe. Er malte ihr die Bilder des ehelichen Glückes, wie sie die Schönste von allen auf den Bällen als Königin prangen werde. Italien sei das Land der Seide, seine Mutter halte eine prächtige Equipage, da wollten sie denn mit den Rappen hinfliegen und Besuche machen oder im Marmorsaale des Hauses Besuche empfangen – all die vornehmen Herren 72 und Damen der Stadt. Magdalena horchte begierig den Schmeichelworten, die er in ihr Ohr träufelte. Er gehe zur Weinlese nach Trient, seine Mutter werde ihm, dem einzigen Sohne nichts abschlagen und in einem Monat heiße sie nicht mehr Rabinger schlechtweg, sondern Baronin Cazzoni.

Der Abend war tief hereingesunken; die Zemm ist schluchtartig, daß man die Gewitter erst dann merkt, wenn sie da sind, und hätten die zwei jetzt wohl Zeit gehabt zum Himmel zu schauen? – Ein heftiger Donnerschlag schreckte sie auf; sie mußten sich verabschieden. Der Weg zur Hütte und nach Achenkirch war etwa fünfzig Schritt der gleiche; dieser zweigte bei einer kleinen Kapelle ab. Ehe sie dieselbe erreicht hatten, prasselte schwer der Regen nieder, so daß sie eilig hier Unterstand suchen mußten. Vor dem Marienbilde flackerte die kleine Lampe im Winde, Lena selbst hatte sie, ehe sie zu des Teufels Wurzgärtlein emporstieg, dem Samstag zu Ehren angezündet.

Es war Nacht geworden, sie blickte angstvoll durch das schmale Fenster, die Schleusen des Himmels standen offen, durch alle Tobel rauschten die Gießbäche.

»In dieses Wetter willst du mich hinausjagen?«

73 Sie schwieg.

Da zog er einen Ring vom Finger und steckte ihr denselben an.

»Den wollte ich dir zum Abschied reichen, du sollst meine Verlobte sein, jetzt aber schwöre ich mich dir vor der heiligen Muttergottes treu und auf ewig zum Gatten. Nur der Tod soll uns scheiden.«

Magdalenas Schutzengel schlief in jener Nacht.

Herr Cazzoni kehrte nach Innsbruck zurück; bis Allerheiligen ging noch die Bötin hin und her, sie konnte ihn aber nie mehr treffen und in der Wohnung wollte sie ihn nicht aufsuchen. Lena fragte daher vergebens nach Briefen. Ein Monat schlich vorbei, langsam, langsam; ihm folgte der zweite, der dritte und erfüllte sie mit Verzweiflung. Gerne wäre sie selbst nach Innsbruck gelaufen, allein ihre Mutter kränkelte bereits, so daß sie sich nur noch bei mildem Sonnenschein auf den Söller wagte. Da griff sie in ihr aufgespartes Patengeld; Zenz mußte für ein paar Gulden nach Innsbruck und ihn aufsuchen. Sie traf ihn nach Tisch in der Wohnung, er blies behaglich den Dampf einer Zigarre von sich, warf sie jedoch beiseite, als er sie erblickte. Sie übergab ihm den Brief; Lena schilderte ihm den Abgrund ihres Elendes, sie 74 forderte ihn auf, als Mann von Ehre sein Wort zu halten. Er las den Brief, trällerte eine welsche Arie und sagte dann zur Zenz: »Ein spaßig's Madel, das Tiroler Bauernmadel. In Welschland Madel anders sein. Stecken Geld ein und lassen gut sein. Werd' ihr aber gleich schreiben.« Er setzte sich an den Tisch, kratzte auf ein Blättchen und siegelte es mit duftigem Wachs. Nehmt es mit und verbrennt es dann; es gehört in die Geschichte, die andern Briefe brauchen wir nicht, sie sind ja ohnedem gedruckt, ich werfe sie gleich in das Feuer.«

Er nahm das Paket und trug es in die Küche. Ich faltete indes das Blatt auseinander. Es war mit schlechten lateinischen Buchstaben in unorthographischem Deutsch hingekritzelt. »Ist ganz recht, daß du an mich denkst, auch ich nicht vergessen, daß wir uns so schön divertiert. Hätt' auch schon schrieben; im Wirtshaus mir jetzt zu schlecht und teuer ist, will eigene Menage halten; thu brauchen Köchin und gute Nähterin und thu dich gerne anstellen. Auch ein gutes Präsentel ich dir noch schuldig sein, hast es ja verdient. Laß mich wissen Antwort. Paride Baron de Cazzoni.«

Mir stieg die Flamme ins Gesicht.

»Nicht wahr; das ist ein Schuft?« sagte Florian, als er auf seinen Platz zurückkehrte. 75 Meine Schwester las den Brief; nicht daß sie dann geweint hätte oder zusammengebrochen wäre; jetzt erst, wenn auch zu spät, regte sich in ihr das Blut des Rabinger. Sie richtete sich hoch auf und sagte zur Zenz, indem sie ihr ein paar Gulden hinwarf: »Kehr' um nach Innsbruck und meld' ihm: ich sei im tiefsten Elend, aber wenn er mir jetzt die Hand reichen wollte, um mich herauszuziehen und mich auf einen Königsthron zu setzen, ich würde sie verschmähen.« Bei diesen Worten zog sie den Ring vom Finger, den er ihr in der Kapelle angesteckt und zerbrach ihn in Stücke. »Wirf ihm die Trümmer vor die Füße und sag' ihm noch: da sind deine Schwüre, deine Niedertracht zerbrach sie leichter, als ich diesen Goldreif. Was ich gefehlt, ich will es büßen, aber täglich beten, daß dich die Gerechtigkeit zerbreche, wie ich diesen Ring zerbrochen.« Zenz eilte wieder nach Innsbruck, sie bestellte treulich ihre Botschaft; er sagte lächelnd: »Spaßiges Tirolermadel!« drehte das Bärtchen auf und kehrte ihr den Rücken.

Lena mußte sich endlich der Mutter anvertrauen; das Unglück drückte dieser das Herz ab; ehe sie aber verschied, teilte sie alles dem Vater mit und bat ihn noch auf dem Sterbebette um Gnade für ihr armes Kind. Die Schwester 76 hörte aus seinem Munde nie ein hartes Wort. Als die Mutter verschieden war, ergriff er Hut und Stock und eilte nach Innsbruck. Er fragte nach Cazzoni, man wies ihn nach der Hauptwache, die ihm heute übertragen war. In der Stube voran rauchten und spielten die gemeinen Soldaten, im Nebenzimmer saß Cazzoni und füllte die Rubriken eines Meldungsbuches aus. Als er Rabinger erblickte, fuhr er zusammen, seine freche Natur half ihm jedoch bald über die Verlegenheit. »Ach, sehen gut aus, freut mich, zu Haus auch gut gehen?« – Der Alte unterbrach ihn: »Das wissen Sie wohl selbst am besten, nachdem Sie über uns ein solches Unglück gebracht. Wir wollen kurz sein: Ich frage Sie: Wann führen Sie meine Tochter Magdalena vor den Altar, wie Sie ihr mit Wort und Ring zugeschworen?«

»Ich Bauernmadel heiraten?« stotterte er verlegen, »war ja nicht Ernst.«

»Ich fordere Sie bei Ihrer Standesehre auf, sie binnen drei Wochen heimzuführen.«

Cazzoni warf einen Blick durch die Thüre, ob genug Soldaten draußen seien, um ihn allenfalls zu schützen. Als er sich davon überzeugt hatte, sagte er: »Sie besoffen sein, werde Sie auf Polizei führen lasse.«

77 Mein Vater fuhr auf: »Herr, ich habe das Portepee getragen, wie Sie jetzt, und noch 1848 als Hauptmann für den Kaiser gefochten!«

»So, so, einer von den Grauröcken, die unser schönes Trentino arm gefressen haben und gesoffen. Kaiser sollt jeden Bauern, der Portepee anlegt, daran hängen lassen.«

Nun sprang mein Vater gegen ihn, er schrie laut um Hilfe, so daß die Soldaten hereinstürzten. Mein Vater schlug jedoch den einen nach rechts, den andern nach links, daß die übrigen erschrocken zurückwichen und schrie noch, ehe er enteilte, Cazzoni zu: »Das nächste Mal treffen wir uns, da wird niemand zwischen uns sein, aber Gott über uns.«

Man verfolgte ihn nicht.

In die Pertisau zurückgekehrt, ließ er sogleich Lebensmittel und was er sonst brauchte, in die Zemm bringen; Magdalena empfahl er der Treue einer alten Magd und ging, ohne noch mit jemand ein Wort zu reden, fort.

Ich war unterdessen in Mailand Lieutenant geworden, ein alter Lieutenant, aber so geht es, wenn man von der Pike auf dienen muß. Bei diesem Anlaß gab mir der Oberst gern einen Urlaub; ich fuhr nach Innsbruck und erfuhr hier alles, was geschehen war.

78 Von der Straße weg eilte ich in Cazzonis Wohnung; er war bereits auf den Jagden in der Riß. Ohne nur noch umzuschauen, stieg ich in einen Waggon des Zuges nach Jenbach, eilte von hier atemlos in die Pertisau und als ich den Vater nicht traf, sogleich in die Zemm. Ich erreichte im Zwielicht die Kapelle und wollte daran vorbei; da rief es – »Halt!« – er trat heraus.

Das war ein»Grüß Gott«, den ich empfing.

»Du gehst augenblicklich nach Achenkirch, übernachtest dort auf der Post und morgen Mittag bist du zu Innsbruck.«

Ich ließ die Hand sinken, die ich ihm bieten wollte. Er fuhr mit gehobener Stimme fort: »Augenblicklich! Ich weiß, warum du da bist! du willst dich mit dem Cazzoni duellieren.«

»Ja, Vater,« erwiderte ich verlegen, »ich wollte ihn in der Riß vor all den Herrschaften anspucken, ihm ins Gesicht schlagen und gleich einem Hund einen Fußtritt geben, daß er trotz seiner Feigheit heraus müßte auf Leben und Tod. Sollen wir eine solche Schmach dulden?«

»Wer sagt dir das?« erwiderte er scharf. »Zählt dein Vater für nichts, oder ist er nicht der erste, der hier Rache zu fordern hat? – Aug' um Auge, Zahn um Zahn!« rief er mit 79 gehobener Stimme und sah drohend zur hohen Gans empor. »Wenn ich sterbe und er lebt noch, dann trittst du ein. Euer Duell, euer dummes Duell! Jetzt gehst du!«

Er kehrte mir den Rücken; ich wagte nichts mehr zu antworten. Am nächsten Morgen stürzte Cazzoni von der Wand.

Mein Vater sprach nie mehr von ihm, ich auch nicht; ich wußte aber, was geschehen. Heuer im Winter hat er es mir erzählt. Er hätte ihn längst schon von hinten erschießen können. Das that er nicht, denn der Schurke sollte wissen, durch wen und wie er sterbe. Von Jägern, Wildheuern und Sennern, die in der Branntweinhütte einkehrten, erfuhr er leicht, ohne eine auffällige Frage zu thun, wie die Gäste im Revier verteilt wurden. Als die Gelegenheit günstig war, kletterte er über die Wand, welche für unersteiglich galt, zur hohen Gans und kroch durch die Zunder bis fast an die Füße Cazzonis, so daß er plötzlich vor diesem stand, als wäre er aus dem Boden gewachsen. Der Welsche griff zum Stutzen, er riß ihm denselben aus der Hand und warf ihn hinunter. Dann sagte er: »Du bittest uns all' das Leid ab, das du unserer Familie gethan, ferner übernimmst du die Verpflichtung, den Sohn Magdalenas auf deinen 80 Namen hin anzuerkennen und nach dieser Legitimation ihn standesgemäß zu erziehen.«

Cazzoni stammelte: »Madel wohl auch andere Liebhaber gehabt, wie alle Bauernmadel.«

Da sank mein Vater vor ihm auf die Knie und faltete die Hände: »Mensch, ich beschwöre dich beim heiligen Sakrament der Buße; jetzt gilt für deine arme Seele die Wette zwischen Himmel und Hölle!« Da zog Cazzoni verächtlich lächelnd die Börse und bot sie ihm. Mein Vater sprang auf, packte ihn, ehe er noch schreien konnte, bei der Gurgel, hielt ihn frei in die Luft hinaus, daß alle Glieder zappelten wie bei einem Hampelmann, und schleuderte ihn dann hinab, daß er von einem Vorsprung im Schwung zum andern flog und als roher Fleischklumpen drunten lag.

Das ist gräßlich! Nicht wahr?

Sie werden es aber nicht einen Mord, eine That brutaler Rachsucht nennen. Wo das menschliche Gesetz nicht hinreicht, muß das Naturrecht hervorbrechen, wie sich die Lawine auf den herunterwälzt, der sie durch einen mutwilligen Schrei weckt. Da ist ein Wucherer. Er treibt den Vater des Hauses zum Selbstmord, Weib und Kind bleibt als Bettler zurück . . . Stellt ihn vor den Richter, der pfändet vielleicht Euch um die Prozeßkosten . . . Schaut uns an: Die 81 Mutter im Grab, der Vater einem öden Alter voll Schmerz hingeworfen, die Tochter mit Schanden gestorben; die ohnmächtige Qual des Bruders . . . bringt die Klage an; man hätte ihn vielleicht zu den Alimentationskosten verurteilt – ha ha ha! – Dreißig bis sechsunddreißig Gulden jährlich! – Der Priester verweist uns auf das Jenseits, das Unrecht ist aber diesseits geschehen, und dann . . . . für diese Leute ist der ewige Richter nur noch, was der Klotz für die Frösche, sie schlagen ihm einfach ein Schnippchen.

»Über diese That war der Vater ruhig bis zum letzten Atemzug; der Geistliche hörte schweigend seine Beichte und machte schweigend das Kreuz über den Sterbenden. Wenn er mir noch einmal auftrug, Ihnen alles zu erzählen, so geschah es nicht, weil er sich vor der Welt rechtfertigen wollte, sondern damit die Welt erfahre, daß es in Tirol noch Männer giebt, die nicht Schmach und Schande hinnehmen wie ein stummer Hund; damit die Frevler wissen, daß die Wiese nicht überall für sie glatt gemäht ist, und sie das Verhängnis ereilen kann, ehe sie es ahnen.«

»Was soll aber aus dem Buben werden?«

»Der hat nichts verschuldet; für den sorge ich. Wenn auch nicht nach dem Gesetz, fällt ihm doch nach Menschenrecht das Erbteil Lenas zu 82 und wer weiß, ob ich heirate. Es hat bei mir vierzig geschlagen; an den Stadtfräulein hab' ich mir genug gesehen, ein Bauernmädel taugt auch nicht mehr recht und dann! – In Österreich soll man gar nicht mehr heiraten, um schließlich Gut und Blut hinzugeben – für wen und für was!«

Währenddem war der Knabe ins Zimmer getreten und sah mich mit den dunkeln unbefangenen Augen wie ein Eichkätzchen ruhig an.

»Deutsch und welsch ist die richtige Mischung!« sagte ich halblaut und gab ihm einen leichten Klaps.

Er sprang zur Thür hinaus.

Heuer im Herbst hat er mich hie und da in den Wald begleitet und in einem Körbchen die Schwämme nachgetragen, manchmal auch Erdbeeren gebracht.

Der Schlingel gefällt mir und so wollen wir sehen!

Möge nun der Tau des Himmels alle Schuld von den Gräbern auf dem Friedhof von Eben wegwaschen und über dieser düsteren Vergangenheit das Gras wachsen.

* * *

83 Die alten Griechen ließen auf ihre erschütternden Tragödien ein komisches Satirspiel folgen, wenn unsere Bauern in einem schrecklichen Stück die Bühne mit Blut und Thränen überschwemmt haben, springt der Hanswurst hinauf und schwingt lustig die Pritsche; so möchte auch ich meine freundlichen Leser heiter entlassen, indem ich eine arme Mädchenseele aus dem Fegefeuer des ledigen Standes in das Paradiesgärtlein der Ehe befördere.

Heuer im Herbst besuchte ich wieder die heilige Notburga auf dem Eben. Auf der Bank vor dem Ascherhof saß Trinele, auf ihrem Schoß einen dicken Buben, der, einen faustgroßen Schnuller im Mund, stillvergnügt in die Welt sprotzte. Sie errötete, als sie mich erblickte, ich blieb stehen und betrachtete sie schmunzelnd: »Ja Trinele, was ist denn das? Wer hat denn dieses Nagerl angepflanzt?«

»Wenn Ihr's nicht wißt, sollt' ich es Euch wohl nicht sagen, daß ich den Simei geheiratet habe, aber im Wirtshaus erfragt Ihr es doch und dann lacht Ihr noch mehr!«

»Den Simei?! Aber wie ist denn das zugegangen? Hätt' ich doch gemeint, der käm' eher an die heilige Notburga als an dich.«

»Nun ja, unverhofft kommt oft und die 84 Ehen werden im Himmel geschlossen, hat der Pfarrer bei der Trauung gepredigt. Ihr habt selbst gesehen, wie er mir die Nagerln abgemäht hat, der Schlankel. Das wär das Wenigste gewesen, aber da war keine Ruhe vor den Buben mehr, die haben mir bei Tag und Nacht G'satzln gesungen . . .«

»Du weißt gewiß noch eins, geh, sing mir's!«

»Richtig! Ihr wäret imstand und kommt mir damit heute Nacht vor das Haus, daß die Mette gar nie ausginge. Diese Liedlein brauche ich nicht mehr, sie haben mich schon damals so geärgert, daß ich den Simei gar nicht mehr anschaute. Da standen einmal in der Frühe zwanzig der herrlichsten Nagerlstöcke auf dem Söller; wie er die zusammengebracht, weiß ich heute noch nicht, aber gethan hat's der Simei. Deswegen hab' ich ihn aber doch nicht angeschaut. Da ist Allerheiligen kommen; ich ging zur Kirche, um zu beichten, er stand mit einem wahren Armensünder-Gesicht neben dem Gatter und flüsterte mir zu: »Geh Trinele, verzeih' mir's.« – Ich huschte in den Beichtstuhl und sagte alles dem alten Pfarrer. Der hat gar gelacht, wie es eigentlich nicht paßt für einen so heiligen Ort, und mir zugeredet: »Du mußt ihm schon verzeihen, sonst kann ich dich gar nicht absolvieren; 85 wenn du dann morgen nicht zur Kommunion darfst, so reden dir die Leute nach: ›Was muß das Trinele angestellt haben?‹« Da mußte ich mich ergeben.

»Als ich heimging, stand der Simei auf dem alten Fleck, er flüsterte: »Verzeihst mir noch nicht?« – Ich nickte mit dem Kopf und eilte schleunig weiter.

»Die Nacht war klar und mondhell, daß man auf zehn Schritte einen Pfennig auf der Straße gesehen hätte. Kaum war ich in meine Kammer getreten, so klopfte es leise an die Fensterscheibe Ich machte auf; denkt Euch, der Simei stand da. Der Schrecken! – Der Schrecken!

»Er begann demütig. »Du hast mir heute mit dem Kopfe genickt. Bedeutet das, daß du mir verzeihst?« – »Ja, ich verzeihe dir, aber jetzt schau, daß du hinabkommst.« – »Geh' gieb mir die Hand d'rauf.« – Ich that es arglos Da zog er mich an das Eisengitter – ich konnte mir doch nicht den Arm ausreißen lassen – und gab mir ein Bussel. Mitten drein rief eine Stimme von der Straße herauf: »Halt Trinele, ich hab' dir im Beichtstuhl nicht befohlen, daß du ihm auf diese Weise verzeihen sollst.«

»Er schwang sich über den Söller hinab, ich flog in die Kammer zurück, als hätte mich der 86 Donner hineingeschlagen. Das war der alte Pfarrer, der noch spät von einem Kranken heimkehrte. – So macht es ihr Mannsleute, so kriegt ihr uns dran!

»Am nächsten Morgen kam Simeis Vater und redete mit dem meinigen, wir hielten noch vor Advent Hochzeit.«

»Von den Liedeln soll ich also keines hören?«

»Könnt mir einfallen!«

»Behüt Gott.«

An der Ecke des Hauses drehte ich mich um und sang:

»No wachsen scho Nagerln,
Bei oam do bleibt's nöt,
Und bleibet's bei oam, ju!
Dös war jo a G'frött.«

Sie bückte sich nach einem Steinchen und hätte mich auch getroffen, wenn ich nicht bei Seite gesprungen.

Meine Leserinnen merken schon, daß ich viel an Wallfahrtsorten verkehre. Sollte mir eine an einen Heiligen geheime Aufträge erteilen wollen, so stelle ich mich zur Verfügung. 87

 

 


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