Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 4. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Die Sclaven.

Erstes Capitel.

Ottavio Negroni war ein geschätzter Rechtsgelehrter in Neapel. Seine frühverstorbene Gattin hinterließ ihm zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Diese war damals in ihrem zehnten Jahre. Rosalia war schön wie die aufblühende Hebe und ihre Seele war ihres reizenden Wohnhauses würdig. Eine Schwester ihres Vaters, die Wittwe eines begüterten Kaufmanns in Palermo, erbot sich ihre Nichte zu sich zu nehmen, und Ottavio, dessen Geschäfte ihn beständig an sein Cabinet oder an die Gerichtsbank fesselten, willigte mit Freuden in diesen Antrag. Er führte die kleine Rosalia in die Arme ihrer Tante Balbini, die sie mit mütterlicher Zärtlichkeit empfieng. Sie mußte ihr ihren einzigen Sohn Antonio ersetzen, der kurz zuvor eine langwierige Reise nach der Levante angetreten hatte. Der häufige Umgang mit Fremden, besonders mit Franzosen und Britten, die mit ihrem Gatten im Verkehr standen, hatte den Geist des schätzbaren Weibes aufgeklärt und sie in den Stand gesetzt ihrer Nichte eine weit bessere Erziehung zu geben, als die Töchter Siciliens zu empfangen gewohnt sind. Keine ihrer Lehren gieng 100 bei der jungen Rosalia verloren. Ihre Seele hatte, wie ihr Körper, die volle Reife der Schönheit erreicht, als eine auszehrende Krankheit ihr auch ihre zweite Mutter entriß.

Am Tage ihres Todes, als Antonio, der vor wenig Monaten zurückgekommen war, und die trostlose Rosalia an ihrem Bette weinten, richtete die Kranke sich auf, legte die Hände ihrer beiden Lieblinge in einander und sagte mit erloschener Stimme: Ich habe euch in der Stille beobachtet, meine Kinder; ihr liebt euch und diese Liebe erfüllet den einzigen Wunsch, der mir für diese Welt noch übrig blieb. Der letzte Brief, den ich schrieb, war an deinen Vater, meine Rosalia; er willigt in eure Verbindung. Wenn ihr ausgeweint habt auf meinem Grabe, so feyert sie und seyd glücklich. Ich hinterlasse euch ein ansehnliches Erbe; möget ihr es lange, und im Seegen geniessen. Dein Vater, Rosalia, ist nicht reich: Ihr werdet in meinem Pulte ein Codicill finden, wodurch ich ihm den Genuß von 6000 Zechinen vermache, welche auf seinen Sohn, euern Bruder Francesco, zurückfallen sollen. Ihr habt doch nichts dagegen?

Antonio und Rosalia warfen sich der Sterbenden um den Hals und weineten Thränen des Schmerzes und des Dankes auf ihren abgezehrten Busen. Sie berichteten ihren Verlust dem alten 101 Ottavio, der seinen Sohn nach Palermo sandte, um sein Erbe zu entheben und seine Tochter mit ihrem Bräutigam nach Neapel zu begleiten, weil das Podagra ihn hinderte zur See zu gehen, und das Brautfest seiner Tochter in Palermo zu feyern. Da Antonio mündig war, so brauchte er wenig Zeit um den letzten Willen seiner Mutter zu vollziehen und nach einigen Wochen bestieg er mit seiner Braut und ihrem Bruder eine maltesische Galeere, die im Begriffe stand, nach Neapel abzusegeln.

Kaum hatten sie die offene See erreicht, so erhob sich ein widriger Wind, der sie von ihrer Bahn abführte und gegen die afrikanische Küste verschlug. Ein tripolitanischer Seeräuber, der in diesen Gewässern kreuzte, griff die Galeere mit tollkühner Wuth an, und eroberte sie nach einem sechsstündigen Gefechte, in welchem der brave Befehlshaber mit einem Theil des Schiffsvolks das Leben verlohr. Antonio und Francesco stritten an seiner Seite, mit einer Tapferkeit, oder vielmehr mit einer Verzweiflung, die den Sieger zur Bewunderung zwang, und als sie mit Blute bedeckt zu Boden sanken, hieb er selbst einige seiner Leute nieder, welche gegen die ohnmächtigen ihre Säbel zückten, und befahl ihre Wunden mit der grösten Sorgfalt zu verbinden. Rosalia lag ohne Besinnung im Schiffsraume, als Selim, so hieß der 102 Seeräuber, hineindrang. Ihr Anblick versteinerte ihn. Wenn Engel sterben könnten, so würden sie in ihrer ruhigen Agonie Rosalien gleichen. Ihre Augen waren geschlossen, ihre rabenschwarzen Locken beschatteten einen Theil ihres Antlitzes und erhöheten seine blendende Weiße. Selim kannte keine Leidenschaft, als den Krieg, kein Gut als das Gold. Er sahe im himmlischen Mädchen nichts als eine unschäzbare Beute, für deren Erhaltung er alle Sorgfalt aufbieten müsse. Er ließ sie in die Kajüte des gebliebenen Hauptmanns bringen, und auf sein Bette hinlegen. Endlich öfnete sie die Augen wieder: Wo sind sie? Leben sie? waren ihre ersten stammelnden Worte. Selim wußte schon, daß die beyden Helden ihr Bruder und ihr Bräutigam waren. Ja sie leben, antwortete er dem jammernden Mädchen und ihre Wunden sind nicht gefährlich; bald sollst du sie sehen. Dieses sagte er in italiänischer Sprache, in der er sich ziemlich verständlich auszudrücken wußte. Er entfernte sich und nach einer Viertelstunde kam er, von seinen beiden Gefangenen begleitet, in die Kajüte zurück. Sie hatten einige leichte Kopfwunden empfangen und blos der ermattende Kampf und das verlorne Blut hatten sie der Besinnung beraubt. Beide sanken vor Rosaliens Bette nieder, jeder ergriff eine ihrer Hände, die er an seine 103 Lippen drückte, und mit Thränen benetzte. Seyd ruhig, sagte Selim, ihr sollt es gut bey mir haben; ich verkauffe nur diejenigen meiner Gefangenen, die sich nicht selbst loskaufen können. Doch davon wollen wir in Tripoli sprechen. Ein blasser Strahl der Hofnung röthete Rosaliens Wangen, indeß Antonio und Francesco die Kniee ihres Ueberwinders umarmten.

Nach einer fünftägigen Fahrt lief das Raubschiff im Hafen von Tripoli ein. Die Kanonen des Castells hatten eine Menge Neugieriger ans Ufer gelockt, um die Gefangenen zu sehen. Auch Omar, Selims Vater, eilte ans Ufer, um den Ueberwinder zu bewillkommen. Er schloß ihn in seine Arme und begleitete ihn siegprangend in seine Wohnung. Die Gefangenen folgten ihm paarweise mit Ketten beschwert. Nur die beiden Sicilianer giengen ohne Fesseln an Rosaliens Seite, deren Gesicht ein weiter, bis auf die Füsse herabhängender Schleier verhüllte. Als der Zug in Omars Wohnung angelangt war, wurden die neuen Sclaven in Verwahrung gebracht. Antonio und Francesco mit seiner Schwester, wurden in einen zierlichen Saal geführt. Selim wies ihnen einen Sopha an und befahl einem Sclaven Erfrischungen herbeizubringen. Unterdessen ließ sich Omar mit ihnen in ein Gespräch ein. Francesco, der am wenigsten 104 abgemattet war, beantwortete seine Fragen, welche seinen Geburtsort, seine Familie und den Zweck seiner Reise zum Gegenstand hatten. Dann wandte sich Omar auch an Rosalia und ihren Geliebten. Schluchzer erstikten die Stimme der Trostlosen und Thränen begleiteten ihre bebenden Worte. Fasse dich, mein Kind, sagte endlich Omar, als er seine Neugier gestillt hatte, man nennt uns Barbaren, viele von uns, aber nicht alle, verdienen diesen Namen. Dann führte er seinen Sohn bei Seite und während die Gefangenen die angebotenen Erfrischungen genossen, hielt er mit ihm, in türkischer Sprache, eine lange Unterredung. Endlich näherte er sich Rosalien mit freundlicher Miene: du und deine Gefährten sind mein, sagte er, mein Sohn hat euch mir überlassen. Ihr sollt nichts bei diesem Tausche verlieren.

Alle drey sanken ihm zu Fusse: Rosalia küßte den Saum seines Kaftans, und empfahl sich seiner Großmuth. Ich verstehe dich, gutes Mädchen, erwiederte Omar, fürchte nichts, du sollst die Gespielin meiner Tochter werden, und diesen beyden will ich die Aufsicht über den Bau meines Landhauses anvertrauen. Folge mir. Mit süßem Staunen sahen sie Omarn an, ihre Herzen überströmten von Dankgefühl, gegen ihn und seinen Sohn. Rosalia erhob ihre schönen Hände gen Himmel: O meine 105 Mutter, rief sie, du mein Schutzengel, auch hieher hast du uns begleitet! Omar war bewegt, er suchte eine Zähre zu verbergen, die ihm ins Auge trat und faßte Rosalien bei der Hand. Komm, mein Kind, ich will dich zu meiner Sofana führen.

Omars Behausung lag nur wenige Schritte von der seines Sohnes. Er übergab die beyden Freunde einem alten Mohren, welcher der Aufseher seines Hauses und seiner Sclaven zu seyn schien und befahl ihm, den Wundarzt zu rufen. Dieser war ein französischer Freygelassener, der in Tripoli sein reichliches Brod fand. Er hatte Omarn an einer gefährlichen Krankheit geheilt und von ihm zum Lohne die Freiheit und die Wohnung in einem Nebengebäude seines Hauses erhalten. Laforce erschien in einigen Minuten und Omar empfahl ihm die Pflege der beyden Verwundeten in den wärmsten Ausdrücken: Dann wandte er sich zu Rosalien: Du siehst, daß du ihretwegen ausser Sorgen seyn kannst; zudem erlaube ich dir, sie täglich zu besuchen. Laß uns nun zu meiner Tochter gehen.

Zweytes Capitel.

Sofana war, mit dem Koran zu reden, eine wahre kleine Houri. Weil aber ausser dem Propheten noch kein Sterblicher eine Houri sah, so wird es nicht überflüssig seyn, dieser Vergleichung den Commentar beyzufügen, daß Corregio, der 106 Maler der Grazie, in ihr das Ideal der ächt griechischen Schönheit gefunden haben würde. Auch war ihre Mutter wirklich eine Griechin aus der venetianischen Insel Corfu, ein holdes, edles Weib, das Omar noch im Grabe mit einer in der Barbarey unerhörten Zärtlichkeit liebte. Sofana, das Ebenbild ihrer Mutter, erbte diese Liebe in vollem Maaße. Ihr Vater lebte nur für sie: Selims Waffenruhm gab ihm Ehre und Ansehn; in Sofanas Herzen fand er seine Glückseligkeit; auch suchte er mit leidenschaftlicher Sorgfalt alles hervor, was ihr Freude machen konnte.

Hier, mein Kind, bringe ich dir eine Gespielin, sagte er, indem er, von Rosalien begleitet, in ihr Zimmer trat. Sofana sprang von ihrer Ottomanne auf, um sich ihrem Vater in die Arme zu werfen; allein sie blieb auf halbem Wege stehen, und staunte die fremde Göttergestalt an, die an seiner Seite daher schwebte. Noch ruhete eine dünne Kummerwolke auf ihrer Stirne, und auf ihren blaßrothen Wangen waren die Spuren der Thränen noch nicht ganz vertrocknet. Allein diese Mahlzeichen der leidenden Unschuld gaben ihr ein nur desto rührenders Ansehn, und ihr großes schwarzes Auge warf ihr einen Blick zu, der zu ihrem Herzen redete. Sofana, der diese Sprache seit dem Tode ihrer Mutter fremd war, näherte sich ihr mit 107 holder Freundlichkeit und reichte ihr die Hand. Von einer unbekannten Gewalt hingezogen drückte Rosalia die kleine Lilienhand an ihre Brust und ließ unwillkührlich eine heiße Thräne auf sie hinunter fallen. Sofana flog an den Busen ihres Vaters: Sie weint, Vater, wer ist sie? was ist ihr begegnet?

Omar. (auf Italiänisch) Ich hoffe meine Sofana werde ihre Thränen abtrocknen. Sie befand sich mit ihrem Bruder und Bräutigam auf dem Schiffe, das Selim erobert hat.

Sofana. Weine nicht, armes Mädchen, in meines Vaters Hause ist niemand unglücklich.

Rosalia. O! ich habe seine Großmuth bereits erfahren, nie werde ich vergessen, was sie für mich und meine Unglücksgefährten gethan hat.

Omar. Vielleicht kann ich einst noch mehr für euch thun. Schon lange suchte ich eine Gesellschafterin für meine Tochter: heute habe ich sie gefunden. Das Recht des Stärkern macht dich zu meiner Sclavin; wenn du meinen Absichten entsprichst, so wird das Recht des Stärkern auf deine Seite treten und deine Bande zerbrechen.

Omar entfernte sich, und Sofana bat Rosalien mit der trauligsten Unbefangenheit um die Erzählung ihrer Geschichte. Sie that es ohne Zurückhaltung, und als sie mit leisen bebenden Worten ihrer so nahe gewesenen Verbindung mit 108 Antonio erwähnte, hieng ihr ganzes Ich unverwandt an der Erzählerin Munde. Ein Seufzer aus dem innersten ihres Herzens begleitete den Seufzer, womit Rosalia ihre Erzählung endigte. Tröste dich, gutes Mädchen, sagte sie, es wird schon wieder besser kommen. Wie alt bist du?

Rosalia. Sechzehn Jahre.

Sofana. Und schon Braut? Ich bin vierzehn und kann ja in zwey Jahren wohl auch Braut seyn; dann bitte ich meinen Vater, dich mir zu schenken, dann schenke ich dir die Freyheit.

Rosalia. (tief gerührt) Gutes, edles Kind! Wenn dein Vater ein Lösegeld von uns annehmen wollte . . .

Sofana. O! mein Vater braucht kein Geld, er ist reich, sehr reich. Er war auch einst Sclave; aber der Dey gewann ihn lieb, und gab ihm seine Tochter. Es war die Mutter meines Bruders Selim. Ich habe sie nie gekannt. Aber meine Mutter . . . o, die hättest du kennen sollen! sie war so schön, so gut. Schon zwey Jahre ist sie todt, und noch immer weint mein Vater um sie. Wenn er von seinen Geschäften ermüdet nach Hause kam, so setzte er sich neben sie auf den Sopha, und nahm mich auf seinen Schooß, indeß meine Mutter die Laute schlug, und auf Italiänisch dazu sang. Dann küßte sie mein Vater, und nannte sie seine 109 theure Helena, seinen guten Engel. Kannst du auch singen und die Laute schlagen?

Rosalia. Ich singe; aber mein Bruder schlägt die Laute weit besser als ich.

Sofana. Dein Bruder? Das muß ich meinem Vater sagen: es wird ihn sehr freuen. Er liebt die Laute und die Italiänischen Lieder. Meine Mutter hat mich einige gelehrt, die ich ihm oft singen muß. Sie hat mich auch noch andere Dinge gelehrt, das darf aber kein Mensch wissen. Ich mußte es ihr noch auf dem Sterbebette versprechen.

Nun kam Omar zurück. Es wurde zu Nacht gespeißt; man setzte sich nach europäischer Art an eine zierlich gedeckte Tafel. Rosalia mußte den dritten Polsterstuhl einnehmen. Ich habe, sagte Omar, mich nie, weder an die afrikanische Küche, noch an die afrikanische Sitte, den Fußboden zum Tische zu machen, gewöhnen können. Zwo reinlich gekleidete Sclavinnen warteten auf. Das ganze Benehmen des Hausherrn gegen diese bewegliche Statuen gab Rosalien zu erkennen, daß sie bloße Mägde waren, und ihre halbverblühten Reize bestätigten dieses Urtheil. Desto auffallender war ihr die Ehrerbietung, womit diese beyden Dirnen ihr begegneten. Ganz gewiß sehen sie dich als ihre Gebieterin an, dachte sie, Gott, wenn ihre Muthmaaßung gegründet wäre! Dieser schauerliche 110 Gedanke stürzte sie in ihre schüchterne Schwermuth zurück, und benahm ihr alle Lust zum Essen. Der scharfsichtige Omar las in ihrer Seele. Um ihren Argwohn zu zerstreuen, lenkte er die Unterredung auf ihre künftigen Beschäftigungen: Du bist von nun an die unzertrennliche Gefährtin meiner Tochter; sie hat von ihrer guten Mutter die italiänische Sprache gelernt: ich wünschte, daß sie die gröste Fertigkeit darinn erlangte. Sie spricht sie, wie du siehst, ziemlich geläufig: im Lesen ist sie aber noch sehr zurück. Ich besitze verschiedene Bücher, die dir bey deinem Unterrichte dienen können, und meine Bekanntschaft mit auswärtigen Kaufleuten giebt mir ein leichtes Mittel an die Hand, ihre Zahl zu vermehren. Sie kann auch singen, und die Laute schlagen, unterbrach ihn Sofana, und befahl einer von den Sclavinnen ihre Laute zu holen. Sie wurde herbey gebracht. Sie gehörte meiner Mutter, sagte sie, indem sie das Instrument an ihr Herz drückte, und es Rosalien übergab; sie wollte mich darauf spielen lehren, allein ich konnte erst ein einziges Stückchen, als sie starb. Täglich muß ich es meinem Vater wiederholen, und es wird, so lange ich lebe, mein Leibstückchen bleiben. Omar warf dem holden Mädchen einen liebevollen Vaterblick zu, und Rosalia, ungewiß ob sie ihre Geschicklichkeit zeigen oder verbergen 111 sollte, fieng an mit zitterndem Finger zu präludiren. Auf einmal, als hätte ihr Schutzgeist ihr Muth eingehaucht, faßte sie sich, und sang mit den Accenten der Philomele eine rührende Arie aus dem Orpheus des Metastasio, die sie zwar mit einem zwar nicht vollkommnen, aber sehr angenehmen Spiele begleitete. Omar nickte ihr seinen Beyfall zu, und schien tief bewegt. Sofana streichelte Rosaliens Wange: O! nicht wahr, das lehrst du mich auch? Dann wandte sie sich zu ihrem Vater; Ihr Bruder, sagte sie, spielt die Laute weit besser als sie; den sollten wir doch auch hören. Dieses kann geschehen, wenn seine Wunden geheilt sind, versetzte Omar: der Wundarzt versichert mich, daß er und Antonio in vierzehn Tagen völlig hergestellt seyn sollen. Morgen, Rosalia, werde ich dich zu ihnen begleiten.

Nun mußte sie noch einige Arien singen, und sie gelangen ihr um so besser, da Omars treuherziges Benehmen ihr immer mehr Vertrauen einflößte. Das furchtbare Bild, das sie sich unter einem Renegaten (denn dafür mußte sie ihn halten,) vorgestellt hatte, war nun völlig verschwunden, und als Omar sie in ihr Schlafzimmer führte, das mit dem seiner Tochter zusammenhieng, so konnte sie dem Drange des Dankgefühls nicht länger widerstehen; sie warf sich vor ihm auf die 112 Kniee und küßte seine Hand voll kindlicher Innbrunst: Großmüthiger Mann, stammelte sie, ich kann dir nicht danken; aber wenn du einst, o! möge es nach langen Jahren erst geschehen; wenn du einst an der Pforte des Grabes stehest, so möge ein Engel dir den Namen Rosalia ins Ohr flüstern und deine heutige That dir in die Ewigkeit voran tragen. Omar hob sie schweigend von der Erde auf und drückte sie an sein Herz; eine Thräne entrollte seinem Auge; er verhüllte sich das Gesicht und eilte hinaus.

Drittes Kapitel.

Sanft und erquickend war Rosaliens Schlaf: So schläft nach dem Sturme der müde Schiffer am palmenbeschatteten Ufer. Die Schwingnerven ihrer Einbildungskraft ruheten in süsser Erschlaffung, und versagten dem Traumgotte den Dienst. So lag sie in stiller Bewußtlosigkeit bis die geschwätzige Goldamsel, die vor Sofanas Fenster hieng, sie aufweckte. Schon bestrahlte die Morgensonne den persischen Teppich, der wie ein Blumenbeet ihr Lager bedeckte. Sie richtete sich auf und lauschte, und vernahm ein leises Geräusch in Sofanas Kammer. Hastig kleidete sie sich an, und schlich auf den Zehen nach der Glasthüre, die ein seidener Vorhang umhüllte. Sie schob ihn sachte hinweg, um zu sehen ob das holde Mädchen erwacht 113 sei. Sie erblickte es, von einem leichten Morgengewand umflossen, vor einem Tische von Ebenholz, den sie für einen Pulttisch hielt, weil ein Spiegel darauf stand. Jetzt schob Sofana vermittelst einer verborgnen Feder, die Rückwand des Spiegels hinweg, und das Bild des Gekreuzigten erschien an ihrer Stelle. Rosalia staunte; sie wagte es kaum, zu athmen. Sofana bemerkte sie nicht, weil sie der Thüre den Rücken zukehrte. Sie warf sich vor dem Gemälde auf die Kniee, und sprach einige Minuten lang ein leises Gebet. Dann richtete sie sich auf, und paßte die Rückwand des Spiegels wieder so genau ein, daß nichts vom Gemälde zu ahnen war. Rosalia schlüpfte auf ihr Bete zurück, und nach einer Viertelstunde rüttelte sie einen Stuhl, als ob sie eben aufstünde.

Sofana öfnete die Thür, und als sie Rosalien angekleidet sah, hüpfte sie zu ihr hin, und bot ihr ihren Morgengruß. Noch voll von der feyerlichen Scene, die sie erblickt hatte, ergriff sie die Hand des jungen Engels, und küßte sie mit der zärtlichsten Innbrunst. Nicht doch, sagte Sofana, indem sie liebreich ihre Hand zurückzog, mein Vater hat mir gesagt, ich solle dich als meine Schwester betrachten. Er war diesen Morgen schon bey mir; du schliefest noch und wir wollten dich nicht aufwecken. Er gieng weg, um deinen Bruder und 114 deinen Geliebten zu besuchen, wenn seine Geschäfte geendigt sind, wird er dich zu ihnen führen. Komm, sieh was er dir gebracht hat.

Arm in Arm führte Sofana sie in ihr Zimmer und übergab ihr drei vollständige Anzüge, theils von Seide, theils von gesticktem Nesseltuche, so reich und so zierlich, als Sofana selbst sie trug. Bey jedem lag auch ein langer Schleier von eben dem Stoffe. Nur die Sclavinnen, sagte sie, gehen hier mit unbedecktem Gesichte, und mein Vater will nicht, daß man dich für eine Sclavin halte. Komm her, ich will dich anputzen. Rosaliens Weigern half nichts; sie mußte dem trauten Geschöpf erlauben, das Amt der Zofe bei ihr zu versehen. Als sie angekleidet war, mußte sie vor einen grossen Wandspiegel treten. Habe ichs recht gemacht? sagte sie, indem sie die Arme um sie schlang, und auf die Christallscheibe des Spiegels eine Gruppe mahlte, deren treue Copie in allen Akademien Europens den Preis errungen hätte. Rosalia war sich selbst kaum kenntlich und mit Erröthen gestand sie ihrer jungen Freundin, daß sie die türkische Tracht sehr vortheilhaft finde. Ich möchte dabei seyn, sagte Sofana, wenn mein Vater dich deinem Bräutigam und deinem Bruder vorstellt; ich möchte ihr frohes Erstaunen mit ansehen.

Rosalia. Ist denn das nicht möglich? 115

Sofana. Mein Vater meynt, das gehe nicht an, und das thut mir leid. Wenn sie geheilt sind, sagte er, soll ich sie beide sehen.

Rosalia. Wie glücklich bin ich in meinem Unglück! Nie, nie werde ich die Güte deines edlen Vaters vergessen!

Sofana. Ich sagte dir ja gleich gestern, daß er gut sei. Als meine Mutter starb, setzte er alle ihre Sclavinnen in Freiheit. Das hätte mein Bruder nicht gethan; er war diesen Morgen schon hier. Denke nur . . . Doch es ist mir verboten, dir zu sagen, was mein Vater ihm für dich und deine zween Gefährten bezahlt hat.

Rosalia. O! ich hoffe es doch einmal zu erfahren; ich hoffe noch mehr; ich hoffe ihm und seiner edlen Tochter zu beweisen, daß sie ihre Wohlthaten an keine Undankbare verschwendet haben.

Sofana. Du wirst uns doch unsere Liebe nicht bezahlen wollen?

Rosalia. (gerührt) Nein, himmlische Seele. Gott! und solch eine Blume ließest du in einem Boden aufblühn, den so viele Thränen befeuchten.

Sofana. Ich verstehe dich nicht. Meinest du denn, es gebe nur in deinem Lande gute Menschen? Mein Vater ist zwar auch aus deinem Lande; (leise) er war ein Christ. Du siehest aber doch, daß er als Muselmann nicht schlechter geworden ist.

116 In diesem Gespräche wurden sie durch Omars Ankunft unterbrochen. Rosalia gieng ihm mit heiterer Ehrerbietung entgegen. Er betrachtete sie einige Augenblicke mit väterlichem Wohlgefallen; dann küßte er sie schweigend auf die Stirne. Rosalia wollte ihm danken, allein er fiel ihr ins Wort: Wirf deinen Schleier um, liebes Kind, wir wollen unsere zween Patienten besuchen. Ich kann dir zum voraus sagen, daß sie sich wohl befinden.

An der Seite ihres Wohlthäters gieng nun Rosalia durch einen grossen Garten, den verschiedene dichtbelaubte Bogengänge durchkreuzten und an dessen Ende ein zierliches Lusthaus stand. Hier wohnten die beiden Gäste, (denn Gefangene konnte man sie nicht nennen) in einem anmuthigen Zimmer des Erdgeschosses, dessen Fenster Jasmin und Gaisblatt beschatteten. Omars Anwesenheit konnte das zärtliche Mädchen nicht abhalten, wechselsweise ihrem Bruder und ihrem Bräutigam um den Hals zu fallen. Ohne diese schöne Unbescheidenheit würden ihre beiden Gefährten sie schwerlich erkannt haben. Sie staunten sie mit stummer Verwunderung an, und auf Antonios Stirne zog sich eine trübe Wolke zusammen. Omar bemerkte es: Warum so düster, Antonio, du wirst doch nicht böse seyn, daß ich Rosalia meiner Tochter gleich halte? 117

Antonio. Vergib Herr . . . Ich bin betroffen, Rosalia ist . . .

Omar. Deine Braut, an deren Tugend du doch glauben wirst, bis ich dich nöthige, auch an meine Tugend zu glauben.

Antonio. (Omars Hand fassend) Unbegreiflich! Ja bei dem lebendigen Gott ich glaube daran, und so lange ich ein Herz habe, wird es dich, edelster unter den Menschen, segnen.

Omar klopfte ihm auf die Schulter; in seinem liebevollen Blicke lag die erste Sylbe eines tiefen Geheimnisses. Auf einmal wandte er sich zu Francesco: Mache daß du bald gesund wirst; meine Tochter ist begierig, dein Lautenspiel zu hören. Ich gehe zu meinen Arbeitern aufs Land: diesen Abend komme ich wieder zurück. Indessen wird Rosalia ihr Lehramt bei meiner Sofana antreten: in einer Stunde wird eine Sclavin sie abholen.

Omar verließ sie und nun erzählte Rosalia ihren beiden Gefährten die Geschichte des gestrigen Abends und des heutigen Morgens. Mit stummem Erstaunnen hörten sie ihr zu, und als sie des Umstands mit dem geheimnißreichen Spiegel erwähnte, erwachten sie wie aus einem Traume. Nun geht mir ein Licht auf, rief Antonio; Omar ist noch ein geheimer Freund seines alten Glaubens. Es mag nun Großmuth oder Reue sein Herz regieren, so 118 können wir alles von diesem seltenen Manne erwarten. Wechselsweise an den Busen des Bruders und des Geliebten gelehnt, weidete sich Rosalia an den Aussichten, die sich ihr öfneten. Die Hoffnung wiegte sie in die lieblichsten Phantasien; sie half ihnen ihre Plane ausmalen, und nun erst betrachtete sie Antonio mit Entzücken in ihrer neuen Verwandlung. Es ist ein Glück für mich, sagte sie lächelnd zu ihrem Bräutigam, daß Gitter und Mauren meine junge Gebieterin vor dir verbergen, sonst würde es an mir seyn, für das Schicksal unserer Liebe zu zittern. Mit der unübersehbaren Poesie des Herzens malte sie nun das Bild der holden Sofana. Ihr Pinsel verweilte noch mehr bey der innern Schönheit als bey den äussern Reizen des Mädchens, und sie war mit ihrer Schilderung noch nicht zu Ende, als Nadine ins Zimmer trat, um sie zurück zu holen.

Viertes Capitel.

Mit jedem Tage besserten sich die Wunden der beiden Gefangenen; mit jedem Tage hatte Rosalia ihnen einen neuen Beweis der Güte ihres Beschützers, oder einen neuen Zug von Sofanas treflichem Charakter, zu erzählen. Ihr naives, gefühlvolles Herz, gleich der aufblühenden Rose, entfaltete sich immer mehr und mehr, und fühlte sich seelig, ein Wesen gefunden zu haben, an das es 119 sich anschmiegen konnte. Die Freundschaft, die sich selten in Palläste und Klöster verirrt, besucht noch seltener die goldenen Kerker eines Harems; aber zum Glück für ihre Bewohnerinnen ist sie auch selten Bedürfniß für ihre Herzen. Sie muß eine Sofana finden, wenn sie, gleich der mystischen Taube am Jordan, sich auf sie herablassen soll. Ihre reine, weiche Seele war ganz für sie geschaffen. In ihrem Busen schlummerte, ihr selber unbekannt, die heilige Sympathie; ihre Mutter, die Tochter eines griechischen Priesters, welche die Vorsehung Sclavin werden ließ, um einen Verirrten zur Tugend zurück zu führen, hatte die ersten Funken derselben angefacht: Sie brauchte nur der verwandten Seele zu begegnen, um aufzuwachen und sich ihr hinzugeben. Kaum war eine Woche vorbei, so war der Schwesterbund geschlossen. Sofana glaubte mit Rosalien eine Wiege getheilt zu haben; sie wunderte sich, wie sie so lange von einander entfernt leben konnten.

Omar betrachtete dieses Band mit stillem Wohlgefallen, ohne das Ansehen zu haben, sie zu beobachten. Er wohnte bisweilen dem Unterrichte der holden Sprachmeisterin bei, und ergötzte sich eben so sehr an ihrem rührenden Eifer, als am unermüdeten Fleiße der Schülerin. Es war, als ob jene an einem Tag den ganzen Reichthum ihrer 120 Sprache erschöpfen, und diese an einem Tag ihn auffassen wollte. Die Geister Petrarcas und Metastasios hauchten sie an, und wenn Rosalia mit seelenvoller Stimme ein Stück aus ihrer unsterblichen Verlassenschaft vorlas, so blitzte das Entzücken in Sofanas Auge oder eine schöne Thräne zitterte auf ihrer Wange. Aus dem Tasso wählte sie nur diejenigen Gemälde, welche reizende Naturscenen oder hohe Tugendgefühle schilderten, und vermied sorgfältig alle Stellen, die einer Mahomedanerin anstößig seyn konnten. Omarn, der das befreite Jerusalem sehr wohl kannte, entwischte diese Delicatesse nicht; er ließ sich aber nichts merken und begnügte sich, so oft die Gelegenheit sich anbot, der jungen Lehrerin Beweise seiner Zufriedenheit zu geben.

Ueber diesem angenehmen Geschäfte vergaß Rosalia ein noch angenehmeres, die Besuche bei ihren Gefährten, nicht. Sie waren ihr eine süße Erholung, und sie kehrte jedesmal mit einer frohern Miene zurük, da es sich mit den Patienten täglich besserte. Antonio hatte dem französischen Wundarzte Laforce die Bestellung eines Briefs nach Palermo aufgetragen, darin er seinen Verwandten seinen Unfall berichtete, und sie beschwor, schleunige Anstalt zu seiner und seiner Unglüksgefährten Loskaufung zu treffen. Laforce brachte 121 diesen Brief Omarn, der weit entfernt, sich der Bestellung desselben zu widersetzen, sie ihm sorgfältig empfahl: Es ist billig, sagte er, daß ihre Familie erfahre, in welche Hände sie gefallen sind. Das Schreiben wurde dem Patron eines Ragusaner Schiffes mitgegeben, das im Begriffe war, nach Livorno abzusegeln.

Die beiden Freunde waren nun vollkommen hergestellt. Bei Francesco ließen seine Wunden keine Spur zurük, weil die Hiebe seinen Scheitel getroffen hatten; Antonio hingegen behielt eine leichte Narbe auf der Stirne. Er war stolz auf dieses Mahlzeichen der Tapferkeit, weil er es bei der Vertheidigung seiner Geliebten empfangen hatte. Als Rosalia ihn zum erstenmal ohne Verband erblikte, stürzte sie sich in seine Arme, und drückte ihre Lippen auf die rosenfarbigte Narbe. Lieber, sagte sie in süßer, schwärmerischer Entzückung, die Lorbeerkränze verdorren, und die Hand des Schiksals zermalmet selbst Königskronen: aber dieser Schmuk deiner Stirne ist ein unvergängliches Siegel unsers Bundes. Ich trage den Abdruck davon in meinem Herzen, keine menschliche Gewalt, selbst nicht die Hand des Todes, soll es abreißen.

Sofana theilte Rosaliens Freude über die Genesung ihrer Lieben, und wiederholte nun ihrem 122 Vater täglich den Wunsch, Francescos Lautenspiel zu hören. Einst sagte er bei Tische zu Rosalien: Morgen wollen wir deinen Bruder hören; wenn Nadine dich zu ihm begleitet, so vergis nicht, ihr die Laute mitzugeben. Sofana klopfte in die Hände, und Rosalia antwortete: ich will sie ihm gleich in der Frühe bringen. Es wird ihm lieb seyn, wenn er das Instrument zuvor ein wenig zurüsten, und sich darauf üben kann. Er hat nun lange nicht mehr gespielt. Sie konnte den Seufzer nicht ersticken, den der Rückblick in die Vergangenheit und das Gefühl ihrer itzigen Lage ihr entriß. Omar sah sie liebreich an: ich lese in deinem Herzen, meine Tochter, dein Schmerz beleidigt mich nicht. Habe Geduld, es wird eine Zeit kommen, da du dich deiner Gefangenschaft mir Freuden erinnern wirst. Er schlug ihr sanft auf die hochglühende Wange und entfernte sich.

Am folgenden Abend gieng er, von den beiden Mädchen begleitet, nach dem Gartenhause. Sie waren verschleiert, nichts als Sofanas sanftes, heiteres Auge, der Spiegel ihrer Seele blizte unter der lilafarbenen Hülle hervor. Die zwo Sclavinnen, Nadine und Fatme, mit Sorbet und andern Erfrischungen beladen, giengen voraus, und kündigten den beiden Freunden den erwarteten Besuch an. Sie lauschten hinter den Jalousieen ihres 123 Zimmers; Rosalia hatte sie unterrichtet, daß es der Landessitte zuwider laufe, und in jedem andern als in Omars Hause ein Verbrechen seyn würde, ohne Erlaubniß einem türkischen Frauenzimmer unter die Augen zu treten. Als die kleine Gesellschaft den Bogengang herauf kam, fieng Francesco an, mit der Hand eines Meisters in sein Instrument zu greifen. Sofana stand still, so hatte sie noch nichts gehört. Die rauschende Harmonie der Accorde fesselte ihre Sinne. Allmälig verlor sie sich in ein sanftes Adagio, dessen schmelzende Töne in ihrem Herzen wiederhallten. Itzt war es zu Ende! O! wie schön, lieber Vater, sagte sie leise, indem sie mit beiden Händen seinen Arm umfaßte. Laß uns hineingehen.

So wie sie in den kleinen Saal traten, kamen die beiden Fremdlinge ihnen entgegen, und neigten sich vor Omarn und seiner Tochter mit zwangloser Ehrerbietung. Francesco hielt die Laute in der Hand. Ich brauche dir nicht zu sagen, welcher mein Bruder und welcher mein Bräutigam ist, flüsterte Rosalia ihrer Gebieterin zu. Beide kennen die Güte der holden Sofana gegen mich, wie sie die Grosmuth unsers gemeinschaftlichen Wohlthäters kennen. Sofana schwieg. Die edle Gestalt Francescos fesselte ihr Auge, das ausser ihrem Vater und ihrem Bruder noch nichts als 124 braungelbe Mohrengesichter gesehen hatte. Laß dich nicht stören, Francesco, sagte Omar, wir kommen um deine Zuhörer zu seyn. Er nahm seine Tochter und Rosalia bei der Hand, und sezte sich zwischen sie auf einen Sopha. Dir Antonio brauche ich deinen Plaz nicht anzuweisen, fuhr er fort, indem er auf Rosalien zeigte. Nun spielte Francesco einige Arien, die er mit einer angenehmen Tenorstimme begleitete; dann mußte seine Schwester ihn mit dem Gesang ablösen. Sie schlossen mit einigen lieblichen Duetten, auf die Rosalia sich des Morgens mit ihrem Bruder vorbereitet hatte. Das Vergnügen malte sich auf Omars Gesichte. Sofana sah nichts und hörte nichts als den Sänger und sein bezauberndes Instrument. Nach einer halben Stunde befahl Omar den Sclavinnen die Erfrischungen herumzugeben. Als Rosalia sang, hatte sie ihren Schleier zurückgeschlagen; Sofana blieb noch immer verhüllt. Du darfst deinen Schleier nun wohl ablegen, sagte Omar zu ihr, indem er ihr eine Apfelsine reichte. Sie that es, und Antonio und Francesco sahen mit stummem Entzücken ein Gesicht, schön wie das Antliz Aurorens, aus dessen Zügen himmlische Unschuld und himmlische Güte hervorleuchteten.

Es war ein Glück, daß Francesco in diesem Augenblicke nicht spielte, die Laute wäre seinen 125 erstarrten Fingern entsunken. Unverwandt staunte er das reizende Mädchen an, bis endlich ein warnender Wink Rosaliens seine Seele erreichte, und zu sich selbst brachte. Er senkte schamroth seinen Blick auf die Laute, und nach einigen melancholischen Phantasieen spielte er Sofanas Lieblingslied, womit seine Schwester ihn bekannt gemacht hatte. Das holde Mädchen und ihr Vater sahen sich wechselsweis an, dann weilte ihr liebevoller Blick auf Rosalien. Noch mehr wurden sie überrascht, als diese von ihrem Bruder secundiert, ein anders Lied anstimmte, das er dem alten Texte untergelegt hatte. Es war folgenden Inhalts:

Einst fischte des Kaisers Tochter zu Fetz
An eines Schmerlenbachs Rand,
Und zog in ihrem seidenen Netz
Drei blanke Fischlein ans Land.

O, schenke mich, sprach das erste zu ihr,
Dem treuesten Schwesterlein!
Nein, sprach die Schöne, du bleibest hier;
Auch ich kann Schwester dir seyn.

Ich hab ein Liebchen, ihm banget nach mir:
So sprach das zweite betrübt.
Mein Teich, sprach sie, ersetzet es dir.
Sie hatte noch nie geliebt. 126

Ich habe noch meinen Vater, o Schmerz!
Erseufzt das jüngste zuletzt.
Sei frei, rief sie, mein eigenes Herz
Sagt mir, daß nichts ihn ersetzt.

Sofana warf sich ihrer Freundin in die Arme; Omar war tief gerührt. Wir wollen sehen, sagte er, ob ich euch nicht den Vater ersetzen kann. Spiele die Melodie noch einmal, Francesco, meine Tochter soll nun auch ihr Lied singen. Sofana warf ihrem Vater einen ängstlichen Blick zu. Ein liebreicher Wink wiederholte seine Aufforderung. Die erste Strophe sang sie mit leiser bebender Stimme; allmälig faßte sie Muth und in der letzten Hälfte bezauberte sie die ganze Gesellschaft durch die reinen lieblichen Silbertöne, die ihren Rosenlippen entschwebten. Sie schwieg schon einige Minuten, und noch stand Francesco stumm und unbeweglich mit dem Instrument im Arme. Rosalia nahm es ihm ab, und übergab es Nadinen, weil sie, die einzige von allen, wahrnahm, daß Omar sich zum Fortgehen anschickte. Die beiden Mädchen warfen schweigend ihre Schleier um, und folgten Omarn, der den zween Freunden traulich die Hand drückte, und ohne ein Wort zu sprechen, sich nach der Thüre wandte. Sofana stand noch einen Augenblick still; man sah es ihr an, daß sie mit sich selbst kämpfte. Endlich sagte sie mit 127 schüchterner Stimme: Ich danke dir, Francesco, du hast mir grose Freude gemacht; und hieng sich an den Arm ihres Vaters.

Die ganze Scene des Rückwegs war stumm. Omar, in tiefe Gedanken verloren, schien seine Gefährtinnen nicht wahrzunehmen. Sofana hätte gern geredet, allein sein Stillschweigen schreckte sie ab. Bald aber entschädigte sie sich für diesen Zwang auf ihrem Zimmer. O, liebe Rosalia, rief sie, in ihren Armen, was war das für ein schöner Abend! Sie gefallen mir beide, aber dein Bruder . . . O, wenn ich spielen könnte wie er, und Lieder machen wie er! Ich weiß nicht, warum ich den Muth nicht hatte, meinen Vater zu bitten, mir ihn zum Lehrmeister zu geben. Diesen Muth hatte sie bei der Abendmahlzeit, zu der Omar seine ganze Heiterkeit wieder mitbrachte. Sie hieng sich ihm an den Hals. Sie bat, sie bettelte mit einer so reizenden Zudringlichkeit; sie schilderte ihm das Vergnügen, das sie ihm einst durch ihr Spiel machen würde, mit so lieblichen Farben, daß Omar endlich mit Lächeln zu ihr sagte: Wir wollen sehen, kleine Zauberin, was zu thun ist, wenn wir auf dem Lande sind.

Fünftes Kapitel.

Von nun an wurde Sofana nicht müde, mir ihrer Freundin von ihrem Bruder und von ihrem 128 Bräutigam zu sprechen. Freilich drang sich Francescos Name immer zuerst auf ihre Lippen, und sie erwähnte des Antonio oft nur der Gesellschaft wegen, oder um, wie sie meynte, Rosalien durch den Vorzug, den sie dem Bruder vor dem Geliebten gab, nicht wehe zu thun. Rosalia war mit dieser Rangordnung sehr wohl zufrieden; sie kannte zwar die Eifersucht nicht, aber sie kannte die Liebe. Antonio war ihr alles: sie wollte auch ihm alles seyn. Nur selten sprach sie mit Sofana von ihrer Rückkehr ins Vaterland, und nie von ihrer stillflammenden Sehnsucht nach dem Augenblicke, der ihre Liebe krönen würde. Sie bemerkte wohl, daß ihr Bruder einen tiefen Eindruck in Sofanas Herzen zurückgelassen hatte, und das holde unschuldige Mädchen gab sich keine Mühe, diesen Eindruk zu verbergen. So oft Rosalia ihre Gefährten besuchte, gab sie ihr einen Grus an sie mit, und wenn sie zurückkam, fragte sie immer, ob Francesco von ihr gesprochen habe? Ja wohl, antwortete sie einst, er spricht nur zuviel von dir, er beneidet mir das Glück, das ich geniesse, täglich um dich zu seyn. Der gute Francesco, antwortete sie; du glaubest also, daß er gern mein Lehrmeister werden wird? O wenn wir doch nur bald aufs Land giengen! Du sollst sehen, daß ich recht fleissig seyn werde.

129 Sofanas Wunsch wurde nach einigen Tagen erfüllt. Beim Abendessen kündigte ihr Omar diese Reise auf den folgenden Morgen an. Sofana hüpfte vor Freuden, und empfahl Nadinen wohl zehnmahl ihre Laute: Vergiß sie ja nicht, und gieb wohl acht dazu, denn ich werde sie nöthig haben. Nicht wahr, lieber Vater? O ich habe dein Versprechen nicht vergessen!

Omar. Ich habe nichts versprochen. Indessen wenn Rosalia mit deinem Fleisse zufrieden ist . . . .

Sofana. Sie ist es, sie ist es! Nicht wahr Rosalia.

Omar. Und Francesco will . . .

Sofana. Er wird wollen; er muß wollen. Nicht wahr, Rosalia?

Rosalia. (lächelnd) Er wird alles wollen, was unser Wohlthäter will. Man kann ihm nicht anders als mit Freude gehorchen.

Omar. Ich brauche ihn bei meinem Gebäude. Doch . . .

Sofana. (lebhaft) Ey dazu kannst du auch den Antonio brauchen. Nicht wahr, Rosalia?

Rosalia. Ich denke ja.

Sofana. Da hörst dus, lieber Vater.

Omar. Das wird sich alles geben, wenn wir einmal an Ort und Stelle sind. Mit Sonnenaufgang wollen wir abreisen.

130 Omars Landgut lag nur eine Meile von der Stadt. Sofana und Rosalia machten die Reise in Sänften, die von Maulthieren getragen wurden. Omar und die beiden Italiäner ritten neben her; ein paar Sclaven und Sclavinnen folgten in einem verschlossenen Wagen. Das Gut lag in einer romantischen Bucht am Ufer des Meeres. Lachende Hügel, von zahllosen Obstbäumen beschattet, umkränzten seine Gärten und Anger. Auf einem dieser Hügel stand das Lusthaus, das Omar im Geschmack eines italiänischen Casino angelegt hatte. Der Bau war bis auf das Belvedere fertig, welches dem Auge eine herrliche Aussicht in das weite Meer öfnen sollte. Das Wohnhaus stand, nach der Landessitte, im Hintergrund eines Hofes, der mit Platanen und Silberpapeln besezt war, welche den untern Gemächern eine beständige Kühlung gaben, und einem Heere zwitschernder Vögel zum Aufenthalte dienten. Aus der ganzen innern Einrichtung sah man, daß der Genius, der sie entwarf, hier nicht heimisch war. Das Landesübliche war nirgends verlezt, aber überall verschönert. Ein reiner Geschmack herrschte in den Gemächern, und alle Anlagen dieser reizenden Siedelei verriethen die Hand eines Kenners, der die Natur leitete, ohne sie zu meistern.

Omar führte selbst die beiden Fremdlinge auf dem Gute umher. Sie versicherten ihn, daß sie 131 in der Barbarei so was nicht gesucht hätten, und das Lob, das sie seinem Werke beilegten, schien ihm zu schmeicheln. Ich habe vormals, sagte er, die vornehmsten Gärten Italiens gesehen; was in meiner Erinnerung zurückblieb und meiner Lage angemessen war, – habe ich nachzuahmen gesucht. Es wäre überflüssig, euch zu sagen, daß ich nicht in diesem Lande geboren bin. Ich war ein junger Kaufmann; die kümmerlichen Umstände meiner Eltern bewogen mich, mein Glück in Alexandria zu suchen; ich hatte euer Schicksal. Ein Schritt, den ihr vielleicht mißbilliget, brach meine Bande, und erhob mich auf die Zinne des Reichthums und der Ehre. Dennoch war ich nicht eher glücklich, selbst in der Liebe nicht eher glücklich, als bis ich ein Weib fand, das meine Freundin wurde. Folget mir. Schweigend führte er sie an den Fuß eines Hügels, dessen Zugang ein dichtes Cypressengebüsch verzäunte. Sie starb, sprach er, auf diesem Gute. Jezt entfernte er das Gesträuch: es verbarg eine kleine Grotte, und der hineinfallende Tag ließ die zween Freunde im Hintergrund eine schwarze Marmorplatte erblicken, auf welche nichts als der Name Helena mit goldenen Lettern eingegraben war. Omar trat zurück; der Eingang schloß sich wieder von selbst. Seine Begleiter staunten, und er gieng in melancholischer Stille dem Hause zu. 132 Sie hatten es bald erreicht, als er die feyerliche Pause mit den Worten unterbrach: Sie war die Mutter meiner Sofana. Antonio und Francesco waren innig bewegt. Sie hatten sich bereits mit einer stummen Verbeugung von Omarn getrennt, um sich in ihre Wohnung zu begeben, die ausserhalb dem Haupt-Gebäude lag, als dieser Francesco nachrief: Noch eins: Meine Tochter wünschte die Laute bei dir zu lernen. Ein süsser Schauer überlief den Jüngling. Er stand einige Momente sprachlos da; endlich stammelte er: Ihre Wünsche . . . . Deine Wünsche, Herr, sind mir theure Gesetze. Morgen wollen wir weiter davon sprechen, fuhr Omar fort, und verließ sie.

Antonio wandelte seufzend an der Seite seines Freundes; ein trauriger Unwille malte sich in allen seinen Gesichtszügen. Was hast du Bruder? fragte ihn Francesco; du scheinest misvergnügt. Wie kann ich vergnügt seyn, wenn man uns täglich neue Fesseln anlegt? Wenn wir erst ein Haus und eine Virtuosin fertig machen sollen, ehe man uns fortläßt, so können wir noch lange in der Sclaverei schmachten. Ey, laß das gut seyn, erwiederte Francesco, das Haus ist mehr als zur Hälfte fertig, und die Virtuosin soll, hoffe ich, das Werkzeug unsrer Befreyung werden.

Die geringe Anzahl und die Unerfahrenheit der 133 Arbeiter, denen Omar am folgenden Tage die beiden Italiäner, als ihre Gebieter vorstellte, waren freilich nicht fähig, den Muth des Antonio aufzumuntern. Sie bestanden aus einem Dutzend Sclaven oder Renegaten, und diese letztern, welche bisher den Meister gespielt hatten, sahen es sehr ungerne, daß ihnen ein paar Gauer zu Aufsehern gesetzt wurden. Antonio und Francesco merkten gar bald, daß sie es mit diesen Leuten nicht verderben durften, und die gute Art, womit sie ihr Amt ausübten, die Gefälligkeit, die sie für sie hatten, benahm ihnen allmählich ihre böse Laune. Als ihnen Antonio gar von einer schönen Belohnung sprach, wenn sie den Bau in zween Monaten vollenden würden, so arbeiteten sie mit verdoppeltem Eifer. Natürlich schrieben sie dieses Versprechen auf Omars Rechnung, und dieser, der nichts davon wußte, fand den Grund dieses guten Fortgangs in der einsichtsvollen Thätigkeit seiner zween Repräsentanten.

Wenn die Tagarbeit vollendet war, führte er Rosaliens Bruder auf das Zimmer seiner Tochter, und wohnte dem Unterrichte bei, den er ihr auf der Laute gab. Sofana erwartete diesen Augenblick jedesmal mit kindlicher Ungedult, und heftete ihre Blicke triumphirend bald auf den Vater bald auf den Lehrer, wenn sie ein Stück, das sie 134 in der vorigen Lektion zum erstenmale versucht hatte, in der folgenden mit unerwarteter Fertigkeit zu spielen wußte. Ihre Laute kam ihr beinahe nie aus dem Arme, und der Lautenmeister beinahe nie aus den Gedanken. Immer sprach sie mit Rosalien von ihm: »Die Hitze macht mich heute träge; Francesco wird nicht mit mir zufrieden seyn. Morgen stehe ich früh auf; ich muß mein Stück noch einigemal durchspielen. Wie wird dein Bruder sich wundern, wenn ich diese schwere Stelle ohne Anstoß herausbringe.«

Diese und ähnliche Reden entdeckten Rosalien, was das gute Kind selbst nicht ahnete, daß eine geheime Leidenschaft in ihrem Herzen aufglimmte, und wenn sie noch daran gezweifelt hätte, so würde der arglose, liebenswürdige Vorwitz, womit sie sich bei Rosalien nach ihrer und ihres Bruders Jugendgeschichte erkundigte, und wobei sie ihr immer die den Bruder betreffenden Szenen am genauesten ausmalen mußte, sie vollends davon überzeugt haben. Freilich ist ein sechszehnjähriges Mädchen, der Regel nach, besser mit ihrem Spiegel, als mit der Psychologie bekannt; wenn aber das sechszehnjährige Mädchen Braut ist, so ist in der Geschichte des weiblichen Herzens ihre Mutter oft nicht viel gelehrter als sie, zumal wenn die Tochter, wie Rosalia, mit einem hellen Kopfe eine 135 zartfühlende Brust vereiniget. Anfangs freuete sie sich über ihre Entdeckung; bald aber zeigte ihre Vernunft ihr den Abgrund, in welchen diese aufkeimende Liebe sie und ihre Gefährten stürzen könnte. Sie schauderte und faßte den festen Entschluß, sich kein Wort zu erlauben, das den glimmenden Funken anfachen könnte. Allein das zärtliche Mädchen hatte nicht immer Klugheit genug, um nicht bisweilen, ohne daß sie es wußte, ihr Gelübde zu brechen.

Einst fragte Sofana sie in einem bedenklichen Tone: Ist dein Bruder auch schon Bräutigam? Vermuthlich wohl, da er, wie du sagst, kaum zwei Jahre jünger ist, als Antonio. Ach nein, erwiederte Rosalia, mein Bruder hat noch keinen sichern Beruf. Er arbeitete, als ein junger Rechtsgelehrter, unter der Leitung meines Vaters, der ein zu uneigennütziger Mann ist, als daß er hätte ein reicher Mann werden können. Die Grosmuth meiner Muhme würde ihn in den Stand gesetzt haben, sich selbst ein ruhiges Alter, und seinem Sohn eine anständige Versorgung zu verschaffen, wenn nicht das ihm bestimmte Erbe mit uns eine Beute des Ueberwinders geworden wäre. Sofana schwieg. Nach einer langen Pause, sagte sie, mehr zu sich selbst, als zu Rosalia: Der gute Francesco! Ach, lebte nur meine Mutter noch! Ihr 136 Blick begegnete Rosaliens Blicke; erröthend schlug sie die Augen nieder, und war den ganzen Tag tiefsinnig.

Selbst bei Francescos Unterrichte war sie zerstreut, und nur erst als ihr Vater sie fragte, was ihr fehle, nahm sie sich zusammen, und suchte ihre Verwirrung zu verbergen. Es will heute nicht gehen, sagte sie endlich, ich muß etwas spielen, das ich schon kann. Sie spielte und sang das Liedchen, das Francesco auf ihre Lieblingsmelodie verfertigt hatte. Ihre Stimme war leise und sanft, gleich dem Hauche des Zephirs. Bei der letzten Strophe hob sich ihre Brust, ihr feuchtes Auge begegnete dem Auge des bebenden Jünglings. Seine Kniee bogen sich unwillkürlich, und er mußte alle seine Kräfte zusammenraffen, um nicht zu den Füssen des jungen Engels niederzusinken.

Rosalia bemerkte die deutungsvolle Szene, ihr Herz zitterte für beide. Omar bemerkte sie auch: er warf dem Francesco einen durchdringenden Blick zu, der, gleich dem vorbeischwirrenden Pfeile des Todes, ihn aus seiner süssen Betäubung aufschreckte. Dann sagte er in einem Tone, der seinen Blick zu widerlegen schien: Genug für heute, und stand auf. Francesco folgte ihm mit wankenden Schritten, ohne den Muth zu haben, sein Auge nach Sofana aufzuheben, 137 die wie ein Schatten des Elysiums dastand, und zum erstenmale vergaß, ihren Vater zum Abschiede zu umarmen.

Sechstes Capitel.

Francesco taumelte wie ein Trunkener nach Hause. Von zehn Fragen, die sein Freund an ihn that, beantwortete er kaum eine, und seine Antworten waren so verworren, daß Antonio endlich gar nicht mehr fragte, in der Hoffnung, daß Rosalia ihm das Räthsel auflösen würde. Ungeachtet Sofana sich mit ihrem Gesange an ihren Vater wandte; ungeachtet der Ausspruch der Prinzessin von Fetz eben so wenig einer Liebeserklärung glich, als ein Psalm Davids einer Ode Anakreons gleicht, so sah dennoch Francesco, dem schon der Vorzug, welchen sie seinem Liedchen gab, das Herz electrisiert hatte, während dieser ganzen Scene den Himmel offen. Ein inneres Orakel sagte ihm, das himmlische Geschöpf liebt dich, und, gleich den Exegeten der Christenheit, fand er in Sofanas Worten, die im Grunde seine eigenen waren, einen Sinn, den ausser ihm kein sinniger Mensch darin gesucht hätte.

So phantasirte er die ganze Nacht fort; der Schlaf floh seine Augenlieder, und als seine Schwester ihn am folgenden Morgen besuchte, fand sie ihn so blaß und erschöpft, als ob er eine neuntägige Bußübung in einer Cartause bestanden hätte. 138 Um Gotteswillen, Bruder, wie siehst du aus! was fehlt dir? sagte das erschrockene Mädchen, indem sie ihm in die Arme stürzte. Francesco schwieg. Ein schwerer Seufzer entströmte seiner Brust.

Antonio. Wie du ihn itzt siehest, kam er gestern Abends nach Hause, und alle meine Fragen, alle meine Bitten konnten ihn nicht bewegen, mir sein Herz aufzuschliessen.

Rosalia. Gestern Abends? Nun so kann ich dir den Schlüssel seines Geheimnisses mittheilen.

Itzt erzählte sie ihm den ganzen Vorgang, und schloß mit den Worten: Ich zitterte für dich und für uns alle. Wäre Omar argwöhnisch, oder vielmehr hätte er nicht mit Aug und Ohr an den Lippen seiner Tochter gehangen, so wären wir verloren gewesen. Erinnerst du dich, was Laforce uns einst von der Strafe eines Sclaven erzählte, der die Tochter seines Herrn liebte?

Antonio. Freund, ich bin bereit, mich noch einmal an deiner Seite mit Corsaren herumzuschlagen; allein ich gestehe dir, ich habe keine Lust, mich an deiner Seite spiessen zu lassen. Es wurmte mir gleich anfangs, als ich dich mit schwärmerischer Beredtsamkeit die Reize deiner Schülerin lobpreisen hörte. Mein Spott über deinen Enthusiasmus bewog dich zum Stillschweigen; ich sehe aber leider, daß er dich nicht geheilt hat. 139

Rosalia. Wohl tausendmal habe ich mir seit gestern vorgeworfen, daß ich der guten Sofana dein musikalisches Talent anrühmte. Wenn du dich selbst und uns nicht ansehen willst, so wirst du doch wenigstens dem trauten unschuldigen Kinde keine hoffnungslose Liebe einflößen wollen?

Antonio. So wirst du ihrem Vater seine Grosmuth nicht durch den schnödesten Undank vergelten wollen?

Francesco schwieg, aber alle Muskeln seines Gesichts verriethen den Sturm, der in seinem Busen tobte. Endlich flossen seine Thränen, und er rief mit hohler wehmüthiger Stimme: Ihr habt recht, ich war auf dem Wege, ein Ungeheuer zu werden; vergebt mir. Er schloß beide in seine Arme, und preßte sie mit krampfhaftem Zittern an sein Herz. Aber ach! fuhr er fort, wer kann den Engel sehen, und ihn nicht lieben, zumal . . . denn warum sollte ich es verhehlen, zumal da ihre wohlwollende Freundlichkeit, da ihr süsser, himmelvoller Blik mich täglich mehr aufzumuntern schien. Wie werde ich diesen Blik, wie werde ich ihr bezauberndes Lächeln ertragen können?

Antonio. Besser wäre es freilich, wenn du dich von deinem Lehramte losmachen könntest; da aber dieses vor der Hand nicht angehet, so sieh ihr 140 auf die Finger, anstatt ihr ins Auge zu sehen, denn mit den Fingern hast du es doch eigentlich zu thun.

Rosalia. Und wenn du fühlst, daß ihr Finger nach deinem Herzen greifen, so wirf einen Blick auf ihren Vater. Je unbefangener, ja gütiger seine Miene seyn wird, desto mehr wird sie dein Herz erschüttern.

Francesco. Wäre ich allein hier, so wüßte ich ein weit sicherers Mittel, mich zu retten.

Rosalia. Und das wäre?

Francesco. Die Flucht.

Rosalia. Die Flucht? Und du würdest deinen Wohlthäter betrügen, und ihn vielleicht auf die Zukunft zu einem Tyrannen machen wollen?

Francesco. Antonios Edelmuth würde mich in den Stand setzen, bei Omarn meine Ehre durch ein reiches Lösegeld zu retten.

Antonio. Was sollen alle diese Hirngespinste? Du bist nicht allein hier, und auch alsdann wäre deine Flucht nicht so leicht, als du dirs einbildest. In wenig Wochen können und müssen wir Antwort aus Palermo erhalten; dann ist es Zeit, mit Omarn zu sprechen, zumal da unser Bau mit diesem Monat vollendet wird. Wenn deine Unvorsichtigkeit uns kein neues Unglück zubereitet, so können wir noch vor dem Einbruche der stürmischen Jahrszeit den väterlichen Boden begrüssen.

141 Francesco versprach die strengste Wachsamkeit über sich selbst, und Rosalia hüpfte, von dem lieblichsten Traumbildern umflattert, in ihr schönes Gefängniß zurück. Des Abends erschien ihr Bruder, von Omarn begleitet, auf Sofanas Zimmer. Sein Gesicht trug noch die Spuren der schlaflos durchkämpften Nacht, und sein Auge war erloschen. Er erbebte, als er in das Gemach trat. Bist du krank, Francesco? rief ihm Sofana entgegen; du siehst so bleich aus. Ach nein, erwiederte er mit gerührter, dumpfer Stimme, ich war diese Nacht nicht wohl; nun geht es aber wieder besser. Um der sichtbaren Verlegenheit ihres Bruders ein Ende zu machen, langte Rosalia die Laute hervor, und übergab sie dem lieben Mädchen, dessen traurendes Auge noch immer an Francescos Wange klebte. Omar schwieg: er schien zerstreut, und gar nicht auf diese stumme Scene zu achten.

Francesco hatte ein neues Stück mitgebracht: er legte es seiner Schülerin vor: sie versuchte es zu spielen. Es war ein schwerer Accord darin; er mislang ihr. Sie versuchte ihn zum zweitenmal; er mislang ihr. Francesco sezte ihr die Finger zurecht; seine Hand zitterte. Er fühlte, daß auch Sofanas Finger zitterten. Spiele es ihr vor, sagte die wachsame Rosalia. Francesco gehorchte. Schön, sehr schön, flüsterte Sofana; 142 nun werde ich es wohl herausbringen. Es gieng noch nicht recht; Francesco mußte ihr zum zweitenmal helfen. Endlich glückte es ihr. Siegreich wandte sie sich nun gegen ihren Vater und spielte ihm das Stück durch. Recht gut, mein Kind, bald wirst du keines Lehrmeisters mehr bedürfen. Er stand auf, und Francesco folgte ihm in den Garten.

Bei der Abendmahlzeit war Sofana niedergeschlagen; man sah ihr an, daß sie etwas auf dem Herzen hatte. Ihr Vater, der gewohnt war, mit dem Anblicke des holden frohsinnigen Mädchens seine Mahlzeit zu würzen, fragte sie nach der Ursache ihrer trüben Laune. Der Kopf thut mir weh, antwortete sie, und Omar glaubte es, oder schien es zu glauben. Er schrieb ihr Uebel der drückenden Hitze zu, ließ ihr eine Schaale mit Mandelmilch zubereiten, und rieth ihr, sich zu Bette zu legen. Rosalia begleitete sie auf ihr Zimmer, und wollte sie, als Nadine sie ausgekleidet hatte, mit einem Schwesterkusse verlassen. Du bedarfst der Ruhe, liebes Kind, sagte sie: bis morgen wird alles vorbei seyn. Sofana hielt sie zurück: Ich bedarf der Ruhe, allein ich werde nicht ruhen. Sieh nur, Rosalia, es ist mir bald weh, bald wohl; bald schwer, bald leicht auf der Brust. Ich weiß nicht, was mir fehlt: es wandelte mich schon gestern an, als dein Bruder bei mir war. Die 143 halbe Nacht brachte ich schlaflos zu, tausend Gedanken liefen mir durch den Kopf, und es war, als wenn sie mir aufs Herz fielen. Dann klopfte es so schnell, so stark hier, daß ich es zu hören glaubte. Heute war es noch schlimmer. Als dein Bruder so bleich, so traurig vor mich trat, hätte ich überlaut weinen mögen. Ich scheuete mich, ich weiß nicht warum, vor meinem Vater, und zwang mich, heiter zu scheinen. Ueber dem Spielen aber kam es mir wieder; ob vielleicht das Stück Schuld daran war? Freilich ist es sehr rührend. Als dein Bruder mir es vorspielte, schlug mir jeder Ton ans Herz, und als er vollends mir die Finger berührte . . . Sieh, Rosalia, das kann ich dir nicht beschreiben, es schoß mir wie ein feuriger Strom durch alle Adern. Ich fühlte, daß seine Hand zitterte; gern hätte ich sie zwischen die meinige gedrückt, und sie gefragt: warum zitterst du? Aber meine Hand zitterte auch, und wären wir auch allein gewesen, so hätte ich doch nur seufzen können. Dir, Liebe, sage ich das alles; aber meinem Vater . . . Nein, ich hätte den Muth nicht, es ihm zu sagen, und gleichwohl ist er so gut, so gut! Sieh, Rosalia, es thut mir weh, daß ich mich seit einiger Zeit vor ihm fürchte.

Rosalia stand wie versteinert: sie wußte nicht ob sie schweigen oder reden sollte. Sie sah das gute Kind zärtlich an, und blinzte eine Thräne 144 aus dem Auge. Endlich sagte sie: es scheint, liebe Freundin, daß die Musik deine Nerven zu sehr angreift; gieb das Lautenspiel auf, oder spiele nur selten, bis dieser Eindruck sich verliert. Dein Vater hat ja ohnehin gesagt, daß du bald keinen Lehrmeister mehr nöthig haben wirst. Ach, rief sie mit einem tiefen Seufzer, dieses Wort war mir ein Messerstich ins Herz! Ich bin nun so sehr an deinen Bruder gewöhnt, ich bin ihm so gut, daß ich es nicht ertragen könnte, ihn nicht mehr zu sehen. Rosalia konnte nichts als das arme Mädchen mit wehmüthiger Zärtlichkeit anstaunen. Sofana rückte noch näher zu ihr, und legte ihr Gesicht auf ihre Schulter: Höre nur, was ich diese Nacht für einen Einfall hatte: Wenn auch du und Antonio in euer Land zurückkehret, so könnte ja Francesco hier bleiben. Der Dey hat meinem Vater seine Tochter gegeben, warum könnte mein Vater mich nicht deinem Bruder geben? Was denkst du, liebes Kind? unterbrach sie Rosalia, indem sie das unschuldige, reitzende Wesen fest an ihren Busen drückte. Weißt du nicht, daß in diesem Lande die Verbindung zwischen einem Christen und einer Mahomedanerin ein Verbrechen ist? Einer Mahomedanerin? sagte Sofana lächelnd, und wand sich aus Rosaliens Armen. Sie schlich sachte nach der Thür, um sich zu versichern, ob 145 sie wohl recht verschlossen sey. Dann ergriff sie ihren Spiegel, den sie mit sich aufs Land genommen hatte: sie schob die Rückwand hinweg, und stellte das Gemälde auf den Tisch. Schwöre mir bei diesem, sagte sie leise zu Rosalien, indem sie auf die Kniee fiel, und Rosalien neben sich nieder zog, schwöre mir, was du siehst und hören wirst, keinem Menschen zu eröfnen.

Rosalia. Ich schwöre dir die heiligste Verschwiegenheit.

Sie umarmten sich schweigend, und ihre Schuzengel umarmten sich auch. Nun stand Sofana auf, und, nachdem sie das Bild wieder verborgen hatte, sagte sie: Komm meine Schwester, in deiner Kammer sind wir weiter von den Sclavinnen entfernt. Hand in Hand folgte ihr Rosalia auf ihr eigenes Zimmer, das, gleich dem in der Stadt, mit dem ihrigen zusammenhieng, aber keinen andern Zugang hatte.

Sie schmiegte sich neben sie auf den Sopha und sagte mit leiser Stimme. Du weißt schon, daß meine gute Mutter eine Griechin war: mein Vater liebte sie mehr als sein Leben. Vor ihr hatte er mehrere Weiber: neben ihr und nach ihr keine. Ich hörte ihn mehrmals zu ihr sagen, ohne daß er glaubte, daß ichs hörte oder verstand: Dir danke ich meine Rückkehr zur Tugend. Ihre Liebe war 146 zwischen ihm und mir getheilt. Als ich mein zehntes Jahr zurückgelegt hatte, nahm sie mich einst zwischen ihre Kniee. Mein Vater war abwesend; wir waren allein in ihrem einsamsten Gemache. Mein Kind, sagte sie, ich weiß nicht, wie lange ich noch um dich bin. Deine Seele ist rein und gut; bisher habe ich sie den einigen, unsichtbaren Gott lieben gelehrt: es ist Zeit, daß ich dir sage, daß er nicht immer unsichtbar blieb. Er erschien den Menschen unter dem Bilde eines Menschen, der, seiner Niedrigkeit ungeachtet, unendlich größer war als alles, was die Menschheit großes kennt. Er predigte die Tugenden durch Tugenden, und brauchte keine andere Waffen, um sich eine Gesellschaft guter Menschen zu sammeln, die sich durch die ganze Welt und durch alle Jahrhunderte verbreitet hat. Ich sage dir nichts gegen den Helden der Muselmänner, allein ich will ein Buch mit dir lesen, aus dem du meinen Helden kennen lernen, und dann zwischen beiden wählen sollst.

So oft wir allein waren, las sie mit mir in diesem Buche: sie lehrte mich ihren Propheten lieben und anbeten, und in einer schönen, heiligen Nacht, da mein Vater verreist und alles um uns stille war, wie im Grabe, weihete sie mich zu seiner Schülerin ein. Dann verbrannte sie das Buch mit den Worten: Es könnte dich, oder deinen guten Vater 147 unglücklich machen. Bewahre seinen Inhalt in deinem Herzen. Für dein Schicksal wird die Vorsehung sorgen. Mein Vater wußte um die Sache; allein nie hat er mit mir davon gesprochen, und erst auf dem Sterbebette sagte mir meine Mutter, daß er darum wisse. Ich mußte ihr aber versprechen, dieses Geheimniß keinem Menschen zu sagen. O! wenn sie hier unter uns wäre, gewiß, gewiß sie würde mir erlaubt haben, es dir, meine Rosalia, zu offenbaren. Nun siehst du, daß ich keine Mahomedanerin bin, und daß dein Bruder . . . Sie stockte und eine glühende Röthe färbte ihr Gesicht.

Rosalia weinte lange schweigend an ihrem Halse; aber die lauten Schläge ihres Busens antworteten für sie. Engel, sagte sie endlich, wie könnte ich dir ausdrücken, was ich empfinde! selbst für die Seeligen des Himmels wäre dieser Augenblick schön. Allein liebstes, bestes Kind, hüte dich deinem Vater etwas von deinem Wunsche zu sagen; wenn er, wie ich fürchte, ihn mißbilligt, so würdest du dich und meinen armen Bruder unaussprechlich elend machen. Schon dadurch würde mein Bruder es werden, wenn er deine grosmüthigen Gesinnungen gegen ihn errathen könnte. Sofana wurde leichenblaß und fragte zitternd: Gott! warum das? Weil er die unüberwindlichen 148 Schwierigkeiten, oder laß uns das wahre Wort gebrauchen, weil er die Unmöglichkeit einsehen würde, jemals zu dem Glücke zu gelangen, das Sofana, wenn sie die Macht dazu hätte, ihm anbieten würde.

Sofana. (seufzend.) Also willst du ihm nicht sagen, daß ich ihm gut bin? Ich hätte es ihm wohl schon selbst gesagt, wenn ich mich nicht vor meinem Vater gescheuet hätte, der ihn jedesmal zu mir begleitet.

Rosalia. Du siehst also, daß du selbst besorgest, deinem Vater durch dieses Geständniß zu mißfallen: Glaube mir, liebes Mädchen, deine Furcht ist nicht ungegründet. Nie müsse dein Vater das Geheimniß deines Herzens ahnen, und erst, wenn wir in unsere Heimat zurückgekehrt sind, werde ich meinem Bruder sagen, wie die edle Sofana für ihn dachte.

Sofana. Ach! dann werde ich nicht hören, was er dir antwortet und wenn . . . Sie konnte ihre Thränen nicht länger zurückhalten. Sie rieselten in heißen Tropfen auf Rosaliens Busen. Rosalia war auf der Folter: Bald hätte sie dem guten Kinde eine grausame Hofnung einflüstern, bald sich unter die Erde verbergen mögen. Endlich sagte sie schluchzend: Gib dich zufrieden, meine Freundin, ich will nachsinnen, vielleicht fällt mir ein Mittel ein, das uns alle beruhigen kann. Gehe nun 149 zu Bette. Sie schloß sie in ihre Arme, und begleitete sie auf ihr Zimmer.

Siebentes Capitel.

Rosalia sann und sann, und fühlte sich immer zwischen der quälenden Wahl eingezwängt, ein Herz, vor dem sie hätte niederknieen mögen, zu täuschen, oder zu zerreissen. Sie warf sich auf ihrem Lager hin und her; sie seufzte, sie weinte, sie betete. Endlich fiel sie auf einen Gedanken, bei dem sie mit stillem Lächeln verweilte, und der um die Mitternachtstunde sie in einen sanften Schlaf einwiegte. Als sie die Augen aufschlug, erblickte sie Sofanen, die, reizender als nie, vor ihrem Bette saß, und mit einem Wedel von Straußfedern ihr die Fliegen wehrte. Guten Morgen, Schwesterchen, sagte sie mit einem Kuße, den Francesco mit einem Jahre seines Lebens erkauft hätte, hast du nachgedacht?

Rosalia. Ja wohl; die ganze Nacht war ich wachend und träumend mit dir beschäftigt.

Sofana. Nun, gute, ist dir ein Mittel eingefallen?

Rosalia. Ich mag es überlegen, wie ich will, so müßen wir erst frei seyn, ehe mein Bruder es wagen darf, sich deinem Vater zu entdecken. Sind wir einmal in unserm Vaterlande, so wird er ungesäumt an ihn schreiben und . . .

150 Sofana verzog ihre schönen schwarzen Augbraunen. Warum kann er nicht gleich an ihn schreiben? Dieses kann, erwiederte Rosalia, ohne die gröste Gefahr für dich und ihn, nicht geschehen. Erinnere dich, was ich dir gestern sagte: Um seine Augen bis zu dir aufzuheben, müßte er seinem Glauben entsagen, und das wirst du doch nicht verlangen?

Sofana. (nach einem gedankenvollen Stillschweigen) Das eben nicht. Zwar mein Vater, der so gut ist . . .

Rosalia. War vermuthlich von seinem Glauben nicht überzeugt, und da konnte er wohl einen andern annehmen. Wenn mein Bruder das thäte, so würde er sein Gewissen beschweren; du würdest aufhören, ihn zu schätzen, und er, von Reue gemartert, würde aufhören, dich zu lieben.

Sofana. Könnte er das? Mich dünkt, ich könnte nie aufhören, ihn zu lieben. Meine Mutter hörte nie auf, meinen Vater zu lieben, und er liebt sie noch itzt. Er weinet oft auf ihrem Grabe. Ich will dir einmal weisen, wo ihr Grab ist. Die gute Mutter! wenn sie noch lebte, so würde ich mich an sie wenden, und sie würde bei meinem Vater für mich sprechen.

Rosalia. Wenigstens würde sie dir besser rathen können, als ein unerfahrnes, kaum siebzehnjähriges Mädchen. 151

Sofana. Ach! wenn du nur deinen Bruder um Rath fragtest, der ist älter als du.

Rosalia. Lieber wollte ich sterben, als ihm eine Aussicht öfnen, die sich in einen unabsehbaren Abgrund enden würde. Hast du vergessen, was ich dir gestern sagte?

Man klopfte an Sofana's Thür. Es war ihr Vater. Sie eilte ihm aufzuschließen, indeß Rosalia hurtig ihre Kleider umwarf. Omar schien sie bei seiner Tochter zu erwarten: Ich wollte euch nur sagen, meine Kinder, daß meine Geschäfte mich auf einige Tage in die Stadt rufen; ihr werdet mich begleiten. Antonio und Francesco bleiben hier bei den Arbeitern zurück. In einer Stunde wollen wir verreisen. Omar verließ sie. Sofana warf sich schweigend auf ihren Sopha. Rosalia war erschüttert; allein so schwer es ihr fiel, sich von ihren Gefährten zu trennen, so tröstete sie sich dennoch mit dem Gedanken, daß diese Trennung das sicherste Mittel seyn würde, die entflammte Phantasie ihrer jungen Freundin und ihres Bruders abzukühlen. Sie fand noch einen Augenblick, um von ihm und ihrem Bräutigam Abschied zu nehmen. Dieser war gar nicht mit der Reise zufrieden, und haderte mit dem Verhängniß. Francesco stand in dumpfer Betäubung da: er verbarg seiner Schwester den Argwohn, der 152 plözlich in ihm aufstieg, ob nicht vielleicht Omar in seinem Herzen gelesen habe? Sie lag noch im Arm ihres Geliebten, als Nadine ihr ansagte, daß man auf sie warte.

Diese Verpflanzung war für die beiden Mädchen ein Exil, das Rosalia gar bald eben so sehr als ihre Freundin fühlte. Sie that sich alle Gewalt an, um ihre Schwermuth vor Sofanen zu verbergen, deren Zustand ihr in die Seele schnitt. Das arme Kind war immer in tiefen Gedanken; alle äußern Gegenstände waren für sie verschwunden. Oft schien sie es nicht einmal zu bemerken, wenn Rosalia die Ottomanne mit ihr theilte, oder an ihrer Seite die dunkeln Bogengänge des Gartens durchwandelte. Kam sie an das Lusthaus, das die Fremdlinge bewohnt hatten, so blieb sie wie eingewurzelt stehen, und betrachtete mit starrem Blicke das Fenster, aus dem Francescos Lautenspiel ihr zum erstenmal entgegen schallte. Wollte Rosalie sie aus dieser Extase wecken, so mußte sie seinen Namen nennen; dann kehrte das Leben in ihr mattes Auge zurück, und sie fand die Sprache wieder. Omar sah sie selten anders als bei Tische. Einige Tage beobachtete er sie stillschweigend; er hoffte, sie würde ihm von selbst ein Anliegen eröfnen, das sie so schlecht zu verhehlen wußte. Endlich fragte er sie: Was fehlt dir, liebes 153 Mädchen? Ach! nichts, Vater, es ist mir nicht weh und nicht wohl; ich muß bald seufzen, bald weinen und weiß nicht warum. Rosalia unterbrach sie; ihr Herz zitterte vor der Fortsetzung dieser Beicht. Sie gibt sich zu wenig Bewegung; seitdem wir hier sind, konnte ich sie kaum zwei oder dreimal bereden, den Garten zu besuchen. Bald werden wir aufs Land zurückkehren, erwiederte Omar; dann wird es schon besser gehen. Warum hast du auch deine Laute nicht mitgenommen? Er sah sie steif aber liebreich an. Sie konnte den Blick nicht ertragen; sie warf sich ihm in die Arme, und verbarg ihr flammendes Gesicht in seinem Busen.

Am folgenden Tag ließ ein italienischer Mönch sich bei Omarn anmelden. Er empfieng ihn mit seiner gewöhnlichen Leutseligkeit. Du hast, sprach der Ordensmann, drei Gefangene aus Palermo in deinem Hause: ich komme im Namen ihrer Verwandten, dich zu bitten, das Lösegeld dieser Unglücklichen zu bestimmen.

Omar. Ob sie unglücklich sind, mögen sie selber dir sagen.

Mönch. Ich weiß, Herr, wie grosmüthig du sie behandelst. Rosalia und ihr Bruder haben ihrem Vater deine Güte mit einer Rührung geschildert, welche die Kummerthränen des 154 rechtschaffenen Greises in Thränen des Dankes und des Segens verwandelt hat.

Omar. (bewegt) Der gute Mann! Sein Wunsch soll ihm gewähret werden; allein ich habe dringende Ursachen, die jungen Leute noch nicht von mir zu lassen. Vermuthlich wirst du sie sprechen wollen? Komm morgen früh wieder, ich werde dich durch einen Sclaven auf mein Landguth führen lassen. Pater Benedetto entfernte sich, ungewiß, ob er mehr fürchten oder hoffen sollte.

Dieser Mönch war ein alter Freund des Ottavio, dessen Kinder ihn wie einen Vater verehrten. Als er ihren Unfall erfuhr, bot er sich zum Unterhändler ihrer Befreiung an, und begab sich hierauf nach Palermo, wo der Handelsgenosse des Antonio ihn mit einem offenen Wechsel versah. Auch dieser war ihm nicht unbekannt. Er sah ihn ehedem bei seinem Oheim zu Neapel, und hatte ihm in Rom die Erlaubniß ausgewirkt, seine Base Rosalia zu heurathen. Zu Messina gieng er zu Schiffe, und zweifelte um so weniger an dem glücklichen Ausgange seiner Unternehmung, da er Vollmacht hatte, die Freiheit der Gefangenen um jeden Preis zu erkaufen.

Am folgenden Morgen ließ Omar ihn nach seinem Gute begleiten. Kaum erblickten ihn Antonio und Francesco von der Anhöhe, wo sie mit 155 ihren Arbeiten beschäftigt waren, so liefen sie ihm mit offenen Armen entgegen. Pater Benedetto! riefen beide zugleich, willkommen Pater Benedetto! Gewiß kommt ihr von Neapel, was macht unser Vater? Das werdet ihr aus diesem Schreiben ersehen, antwortete der Mönch. Er hat mich hieher gesandt, um euch auszulösen.

Antonio. Gott sey gelobt!

Benedetto. Ich fürchte, wir werden Schwierigkeiten im Wege finden. Euer Herr empfieng mich sehr freundlich; allein von eurer Freiheit will er nichts hören. Er hat, sagte er, wichtige Ursachen, sie noch nicht zu bewilligen.

Antonio. Wir kennen diese Ursachen; in weniger als vierzehn Tagen sollen sie behoben seyn.

Benedetto. In vierzehn Tagen? Nun so lange wird wohl das französische Schiff, mit welchem ich vorgestern ankam, in Tripoli verweilen.

Nun führten sie den Mönch in ihre Wohnung, wo er, nach Omars Befehl, aufs beste bewirthet wurde. Nichts fehlte ihnen zu ihrer Freude als Rosalia. Benedetto fragte nach ihr, und erfuhr, daß sie in der Stadt sey. Der edle Omar, sagte Francesco, wird dir das Vergnügen nicht versagen, sie zu sehen.

Dieses geschah am folgenden Tage. Rosalia taumelte wonnetrunken in seine Arme. Ha: 156 Benedetto! träume ich nicht! Lieber, ehrwürdiger Benedetto! Nicht wahr, ihr kommt von meinem Vater, von meinem guten Vater? Sie suchte ihre Thränen vor Omarn zu verbergen.

Mönch. Ja, meine Tochter, ich komme von deinem Vater, und würde einen Tag meiner künftigen Seeligkeit darum geben, wenn ich ihm in diesem Augenblicke meine Stelle abtreten könnte.

Omar. Ihr Vater wird sie wieder sehen. schon gestern sagte ich dirs. Ich bin selbst Vater, und meine Hand auf meinem Vaterherzen verbürgt dir mehr, als wenn ich sie auf den Koran oder auf das Evangelium legte.

Der Mönch gab auch ihr einen Brief. Sie preßte ihn an ihre Lippen, und steckte ihn in ihren Busen. Du wirst ihn lesen wollen, sagte Omar, gehe, mein Kind, auf dein Zimmer. Du sollst deinen Landsmann noch mehr als einmal zu sprechen bekommen. Itzt muß ich ihn verabschieden! der Dey hat mich rufen lassen. Brust an Brust kündigte Rosalia ihrer jungen Freundin ihre Freude an, und ließ sie mit in den entfalteten Brief sehen. Dein guter Vater liebt dich, wie der meinige mich liebt, sagte Sofana, als sie den Brief gelesen hatte; ich bedaure ihn, o gewiß! ich bedaure ihn. Allein wenn er in mein Herz sehen könnte, so würde er auch mich bedauren. Den 157 ganzen Abend, und besonders bei Tische war sie zerstreut und niedergeschlagen. Auch Omar sprach wenig; auf seiner Stirne lag finstere Schwermuth. Bisweilen warf er einen Blick voll zärtlichen Mitleids auf seine Tochter, und schnell, als hätte er sich auf einer Unvorsichtigkeit ertappt, schlug er das trübe Auge nieder, oder heftete es auf Rosalien. Sofana glaubte seine Gedanken zu errathen. Bald also, sagte sie, werde ich meine Rosalia verlieren?

Omar. (wie in einem fürchterlichen Traume) Verlieren? Nein, das wirst du nicht, bei dem lebendigen Gott, das wirst du nicht!

Er schlang seinen Arm um die bebende Rosalia, und drückte sie mit Ungestümm an seine Brust. Man will uns trennen, aber . . . doch was sage ich? Vergieb mir, liebes Kind! Mein Kopf ist zerrüttet, und mein Herz . . . nein, du sollst nicht darinn lesen. Gute Nacht, Kinder. Er stand hastig vom Tische auf und verschwand.

Achtes Kapitel.

Nun kam die Reihe zu trösten an Sofana. Rosalia klagte nicht; ihr Herz hieng zu sehr an der Tochter, als daß sie sich erlaubt hätte, den Vater bei ihr zu verklagen. Der Schmerz war in ihre pochende Brust verschlossen. Mit 158 niederhängenden Armen und gefalteten Händen lag sie in einen Sopha hingegossen. Große, glühende Thränen entstürzten ihren geschlossenen Augen; sie öffnete sie blos, um bisweilen einen Blick gen Himmel zu richten, darin mit Flammenschrift die Worte zu lesen waren: Gott du siehst mich, du verstehest mich! Auch Sofana redete nicht. Sie wand ihren Arm um den Nacken ihrer Freundin, und küßte die Zähren von ihren bleichen Wangen: So küßt der schonende Zephir den Abendthau vom Busen der hinwelkenden Lilie. Fasse dich, meine Freundin, meine Schwester, sagte sie endlich, mein Vater ist nicht ungerecht, er ist gut, das schwöre ich dir bei deinem und meinem Gotte. Ein tiefer Gram blizte aus seinen Augen! mein Herz sagt mir, er werde sich bei dir rechtfertigen. Dein Abschied, ach! er wird es zerreißen; allein du mußt, du sollst deine Freiheit erhalten.

Die Mitternacht fand die beiden liebenden Geschöpfe noch Brust an Brust geschmiegt, keiner ihrer Seufzer verwehete unvermischt mit dem Seufzer der Schwester. Rosalia entschlummerte erst gegen Morgen. Beim Erwachen konnte sie kaum ihren kranken Kopf emporheben. Sofana trat vor ihr Bette, und als sie das arme Mädchen mit geschlossenen Augen und eingefallenen Wangen da liegen sah, vergaß sie sich selbst, und fühlte nur den Kummer 159 der Freundin. Ermanne dich, liebe, morgen kehren wir auf's Land zurück. Wie würde dein Bräutigam sich bekümmern, wenn er dich in diesem Zustande sähe. Mein Bräutigam! war alles, was Rosalia mit leiser, herzdurchbohrender Stimme erwiederte.

Als die Stunde des Mittagsmahls herannahete, nöthigte Sofana sie, ihr zu Tische zu folgen: Mein Vater möchte unwillig werden, wenn du das Ansehen hättest, ihn vermeiden zu wollen. Omar ward erschüttert, als er sie erblickte; aber seine Stirne blieb umwölkt. Blaß und stumm, wie eine Abgeschiedene, saß sie neben ihm. Sofana nöthigte sie zum Essen; sie berührte die Speisen, aber sie aß nicht. Ein ernstes Stillschweigen herrschte an der sonst so traulichen Tafel. Auch Omar aß wenig und stand vor der gewöhnlichen Zeit auf. Beim Weggehen küßte er seine Tochter mit der feurigsten Zärtlichkeit, und wandte sich dann zu Rosalien: Werde mir nicht krank, liebes Kind; in drei Tagen ist Sofana's Geburtsfest, das mußt du mit feyern. Morgen kehren wir auf's Land zurück.

Sofana's liebreicher Trost und selbst die rührende Güte Omars, der einen Theil des Abends bei den beiden Mädchen zubrachte, verbreiteten einige Ruhe in Rosaliens Gemüth, und die Bewegung der Reise gab ihrem blassen Gesicht einen Theil seiner Blüthe wieder. Allein ihr Gram entgieng dem 160 scharfen Auge der Liebe nicht. Ihr Herz war beklommen, und sie konnte sich des Weinens kaum erwehren, als sie ihren Bräutigam umarmte. Dir ist etwas widriges begegnet, meine Freundin, was hast du? Nun strömten ihre Thränen, und sie erzählte ihm die gestrige Scene. Antonio knirschte: Mein Argwohn war nur allzugerecht; der Renegat fängt an sich zu entlarven. Nun erst verstehe ich die Antwort, die er dem Pater Benedetto gab. Der Meineidige! Was anders als eine geheime Leidenschaft, die er nicht mehr bekämpfen mag, konnte seine Weigerung veranlassen?

Francesco. Dein Verdacht scheint mir ungegründet. Sind wir nicht in seiner Gewalt? Wozu hätte er der Verstellung nöthig?

Rosalia. Blos dieser Gedanke hat mich bisher vor der Verzweiflung bewahret. Es ist mir ein Trost zu glauben, daß andere Beweggründe, als solche, vor denen er erröthen müßte, unserer Befreiung im Wege stehen.

Antonio. Am Ende ist es eins, was für Fesseln uns hier zurückhalten; allein, bei'm allmächtigen Gott! ich werde sie zu brechen wissen. Wenn er unser Vertrauen täuscht, so dürfen wir auch das seinige täuschen.

Francesco. Lieber Bruder, du bist immer zu hastig. 161

Antonio. (heftig.) Und du zu ruhig. Das macht, du bist lieber in Tripoli als ich.

Rosalia. Fi, Antonio! ich kenne dich nicht. Omar ist mir unbegreiflich; aber daß er ein Heuchler seyn soll, dagegen empört sich mein Herz.

Antonio. (bitter.) Dein Herz? Doch er sey was er wolle, so wird er meinem Auge und meiner Hand nicht entwischen.

Francesco. Deine ungestümme Hitze, Bruder, wird uns noch alle ins Verderben stürzen. Wenn Omar, wie du wähnst, uns betrügt, so wird auch für uns die Verstellung das einzige Rettungsmittel. Das mindeste Zeichen des Mißtrauens würde auch ihn mißtrauisch machen, und zwischen Rosalia und uns eine eherne Scheidemauer aufführen. Laßt uns also thun, als ob wir nichts wüßten, nichts fürchteten, und das Uebrige der Zeit und dem Himmel überlassen. Still, dort kömmt er.

Omar bewillkommte die beiden Freunde mit seiner gewöhnlichen Unbefangenheit. Seine Stirne war etwas heiterer, und doch waren darauf die Furchen des Grames nicht ganz verwischt. Er besichtigte mit ihnen seinen Bau, indeß Rosalia zu ihrer Freundin zurückkehrte. Das Belvedere war beinahe fertig. Er bezeugte ihnen seine Zufriedenheit; dann sagte er wie im Vorbeigehen: Gestern 162 besuchte mich Benedetto; da wir aber im Begriffe waren, die Stadt zu verlassen, so habe ich ihn hieher beschieden. Ihr werdet also euern Freund nächstens wiedersehen.

Ich habe die Mönche nie geliebt; allein dieser scheint mir ein biederer, ehrwürdiger Mann zu seyn. Noch eins Francesco: Uebermorgen ist meiner Sofana Geburtstag: ich weiß, daß du Verse machst; es würde mich freuen, wenn du auf dieses häusliche Fest ein Liedchen verfertigen könntest. Des Abends zuvor müßtest du ihr dann ein Ständchen bringen und es zur Laute absingen. Francesco war betreten; er zitterte vor Angst und Freude. Du schweigest? fuhr Omar fort, du wirst mir doch meine Bitte nicht abschlagen wollen?

Francesco. Ach, Herr! was soll ich sagen . . .

Omar. Ey, was dein Herz dir sagt. Du kennst ja deine Schülerin. Sie verlangt sehr nach ihrem Lehrmeister; ich werde dich morgen zu ihr begleiten.

Und du glaubest, daß dieser Mann uns hintergehen will? sagte Francesco zu seinem Freunde, als Omar sich entfernt hatte. Warum nicht? erwiederte Antonio. Oft versteckt die Natter sich unter Blumen. Vermuthlich gereuet ihn sein Versprechen, uns in Freiheit zu setzen, und er legt uns eine Falle, um einen Vorwand zu finden, es 163 zurückzuziehen. Nimm dich in Acht, Bruder, du stehest auf einer gefährlichen Probe. Ein Wort kann uns zu Grunde richten.

Francesco. (lächelnd) Fürchte nichts; du sollst meine Arbeit lesen, ehe ich Gebrauch davon mache. Die gelbe Brille der Eifersucht, die schärfste von allen kritischen Brillen, wird nichts verfängliches darin stehen lassen. Antonio brach ab. Sein Freund hatte ihm einen Spiegel vorgehalten, von dem er sein Gesicht abwandte, weil es ihm das scheusliche Bild der Eifersucht zurück warf. Sie hatte sich wider seinen Willen in sein Herz eingeschlichen, und seine Vernunft uns die unschuldvollen Liebkosungen seines Mädchens waren kaum vermögend, diese Furie zu hindern, sich darin festzusetzen.

Am folgenden Tage kam Pater Benedetto auf das Landgut. Er ließ sich zuerst bei Omarn anmelden, der sich über eine Stunde lang mit ihm in sein Cabinet verschloß. Den Rest des Tages brachte er bei seinen jungen Landsleuten zu, und ritt des Abends wieder nach der Stadt. Ehe er zurück reisete, verschaffte ihm Omar auch eine Unterredung mit Rosalia, welche ihm ihre Besorgnisse anvertraute. Der Mönch sprach ihr Muth ein, und versicherte sie mit einem geheimnißvollen Lächeln, daß er Omarn für unfähig halte, ihre 164 Hoffnung zu täuschen. Als sie ihren Gefährten von dieser Unterredung Rechenschaft gab, rief Antonio: Nun so ist denn meine Muthmaßung kein eitler Traum, wie dein Bruder mich bereden wollte! Glaube mir, meine Geliebte, der Pfaffe ist auf Omars Seite; auch mit uns sprach er in diesem zuversichtlichen Tone: »Ich habe in diesen wenigen Tagen Omarn als einen edlen Mann kennen gelernt, ihr könnt alles von seiner Grosmuth erwarten. Ohne Zweifel werdet ihr zu seiner Zeit den Grund seines zweideutigen Betragens erfahren, und ihn billigen.« Eine solche Erklärung im Munde eines Priesters zu Gunsten eines Abtrünnigen ist nicht natürlich, oder, frei zu sagen, sie ist verdächtig. Und mich dünkt, erwiederte Francesco, daß der Mönch, der dem Abtrünnigen ein solches Zeugniß gibt, der unverdächtigste von allen Zeugen ist. Rosalia wußte nicht, auf welche Seite sie treten sollte: ihre Vernunft klagte beide an, und ihr Herz rechtfertigte beide.

Omar vergaß nicht, daß er seiner Tochter versprochen hatte, ihr ihren Lehrmeister zuzuführen. Obgleich Sofana ihn mit Ungedult erwartete, so überfiel sie dennoch ein süßes Zittern, als er sich ihr näherte. Die wachsame Rosalia brachte sie durch die Frage zu sich selbst: Was sie spielen 165 wolle? Gib mir nur die letzten Stücke, sagte sie, ich will sehen, ob ich sie in den ersten acht Tagen, da ich von meiner lieben Laute getrennt war, nicht verlernt habe. Sie spielte sie alle durch, und mußte manche Stelle wiederholen. Der bewußte schwere Accord wollte ihr auch bei der dritten Wiederholung nicht glücken, und Francesco mußte ihr wieder die Finger zurechte setzen. Die Stunde der Nachtmahlzeit machte der gefährlichen Lection ein Ende. Omar war sehr aufgeräumt; das frohe Licht des folgenden Tages schien bereits sein Gesicht zu bestrahlen. Sofana war nachsinnend; allein es malten sich nur liebliche Gedanken auf ihrer Stirne.

Als sie mit Rosalien allein war, sagte sie: Wie froh bin ich, daß wir wieder hier sind! Ich kann dir nicht sagen, wie mir war, als ich deinen Bruder erblickte. Ohne ihn freuet mich meine Laute nicht mehr. Bei dem letzten Stücke, – du weißt wohl, welches ich meyne, – wollte ich doch sehen, ob es mich wieder so heiß überlaufen würde, wenn seine Hand mich berührte, und denke nur, es war wieder ganz wie damals. Mich dünkt sogar, daß es mir noch stärker hier klopfte. Vielleicht kam es daher, weil ich zum Scherz ganz leise seinen Finger drückte. Ich weiß zwar nicht, ob er es 166 fühlte, denn ich hatte das Herz nicht, ihn anzusehen. Hast du nichts gemerkt? Ich gab nicht Achtung darauf, erwiederte Rosalia, und ich rathe dir, ein andermal diesen Scherz zu unterlassen. Dein Vater würde ihn gewiß übel nehmen. Ey, du meinst auch, daß er alles übel nimmt, versetzte sie halb unwillig, am Ende werde ich deinen Bruder gar nicht mehr ansehen dürfen! Rosalia schwieg, weil sie von dieser Materie abbrechen wollte. Sofana glaubte, sie habe ihr wehe gethan. Nicht doch, Schwesterchen, ich wollte dich nicht betrüben, sagte sie an ihrem Busen. Am Abend vor meinem Feste wollen wir uns nicht zum erstenmale zanken.

Um Mitternacht wurde sie durch eine sanfte Musik aus dem Schlafe geweckt. Sie sprang aus dem Bette, und lief an das vergitterte Fenster. Die silberne Lampe des Mondes zeigte ihr den Francesco, der sein Zauberspiel mit folgender Cantatille begleitete, die er auf eine Pergolesische Composition verfertigt hatte:

    Der Herold rufet Mitternacht
Von Gottes Burg. Du, der vor fünfzehn Lenzen
Die Schwester vom Olymp gebracht,
Komm, Engel, sie mit Rosen zu begränzen,
Eh' sie erwacht. 167

    Mit rothen werd' ihr Haupt bedecket;
Sie sind der Freude Bild.
Mit weissen ihre Brust bestecket;
Sie sind der Unschuld Bild.

    Und ich, o, wär' ich die Viole,
Die diesen Grasweg ziert!
Vielleicht hätt' ihre weiche Sohle
Dann heute mich berührt.

Er beschloß seine Serenade mit dem deutungsvollen Stücke von gestern, und entschlüpfte durch einen der Bogengänge, aus welchem ein junges paar Turteltauben ihm Beifall zugirrte. Sofana lief auf Rosaliens Zimmer, die noch am Fenster lag. Hast du's gehört, Schwesterchen? sagte sie mit funkelndem Auge, hast du's gehört? Der gute Francesco! Er meint also, daß ich auf die Viole treten würde? O, nein! pflücken würde ich sie, und neben die weisse Rose hier an mein Herz stecken. Sag' ihm das morgen; denn ich weiß wohl, daß ich es ihm nicht sagen darf, und bring ihm diese Thräne. Sie nahm Rosaliens Hand, und wischte damit eine Zähre ab, die ihr über ihre sanftverklärte Wange rollte.

Neuntes Capitel.

Hold, wie eine Tochter des Himmels, saß die 168 Tochter Omars, in die Farbe der Unschuld gekleidet, auf ihrer Ottomanne. Ihr Haupt war auf ihren Rosenarm gestützt, und ihrer heitern Stirne war die Hieroglyphe eines schönen Geheimnisses aufgeprägt. Bisweilen lächelte sie, wie im Traume das Kind seinen guten Engel anlächelt, und dann blitzte ein himmlisches Feuer aus ihren Augen. Rosalia wollte sie nicht in ihren Betrachtungen stören: schweigend schmückte sie mit frischen Blumen die Tafel, auf welcher das liebevolle Mädchen den Vater mit einem Frühstück bewirthen wollte.

Nun trat Omar herein. Sofana flog ihm entgegen: er preßte sie segnend an seine Brust, und warf ihr eine prächtige Perlenschnur um den Hals. Sie gehörte deiner Mutter, sagte er, ihr, die mir ihr verjüngtes Ebenbild in dir zurückließ. Sofana küßte den Halsschmuck und die Hand des Gebers: dann sank sie vor ihm auf die Kniee: Darf ich nach diesem unschätzbaren Geschenk den besten Vater noch um eines bitten, das meinem Herzen eben so theuer wäre? Rede, liebes Kind, was verlangest du? Die Freiheit meiner Rosalia, indem sie seine Kniee fest an ihren Busen drückte. Sie sey dir gewährt, antwortete Omar, der sie aufhob, und nochmals in seine Arme schloß. Das Wort: Freiheit hatte wie ein elektrischer Schlag 169 Rosalien erschüttert: Omars Antwort stürzte sie zu seinen Füßen nieder. Sie hatte nicht Kraft, sie zu umfassen, und noch weniger Kraft zu sprechen. Sofana sah, daß sie einer Ohnmacht nahe war. Sie riß sich vom Halse des Vaters los, und wandte sich zu ihrer Freundin. Die zärtlichen Liebkosungen, der süße Zuruf des auferweckenden Engels brachten sie wieder zu sich. Nun wollte sie stammeln; noch immer versagten ihr die Worte. Omar, der sie auf die Ottomanne getragen hatte, faßte ihre aufgehobenen Hände: Schon gut, liebes Kind, ich lese in deinem Herzen. Doch es fehlen noch zwo Personen zu unserer Gesellschaft; gehe, Nadine, rufe ihre Gefährten, und laß uns allein. Francesco und Antonio erschienen.

Omar. Sofana hat mir zum Angebinde Rosaliens Freiheit gefodert; noch keine Bitte habe ich ihr versagt. Rosalia ist frei, und zum Danke für die Schwesterliebe, die sie meiner Tochter erzeigte, gebe ich ihr Vollmacht, einen von euch beiden zu befreien.

Rosalia, deren Gesicht beim Anblick ihrer Lieben ein ahnendes Lächeln erheitert hatte, erblaßte; ein Thränenstrom entstürzte ihren Augen, die wechselsweise den Bruder und den Bräutigam anstarrten. 170

Antonio. Wähle nicht, Rosalia; du kennst mein Herz, du weist, daß du seine Welt bist; allein ich bin des Geschenks unwürdig, das Omar einem von uns beiden machen will. Wisse, edelster unter den Menschen, daß ich an deiner Rechtschaffenheit zweifelte, daß ich gestern noch deine Weigerung, unser Lösegeld anzunehmen, unreinen Absichten zuschrieb. Deine Grosmuth vernichtet mich: dein Geschenk würde wie ein Gebirg auf meinem Herzen liegen. Bis in Rosaliens Arme würde die Furie der Schaam mich verfolgen; denn auch sie, hörst du's, Rosalia? auch du warst nicht sicher vor meinem Mißtrauen. Wähle deinen guten Bruder, ihn, der immer meinen schmähligen Argwohn bekämpfte: ihn, den Liebling und die Stütze deines ehrwürdigen Vaters; und du, unnachahmlicher Mann, verstoße mich unter die geringsten deiner Sclaven, verurtheile mich zu den schwersten Arbeiten; und wenn ich Mondenlang oder Jahrelang gebüßet habe, so vergib mir ein Verbrechen, das ich mir selbst nie vergeben werde.

Omar. Junger Freund, die Monden und Jahre deiner Buße sind vollendet: heute kann ich nur verzeihen, und deine Braut wird nicht strenger seyn, als ich. Nicht wahr Rosalia?

Rosalia stand unbeweglich; alle Fasern ihres 171 Herzens zuckten. Wer kann sagen, was sie fühlte? da sie selbst es nicht wußte. Der höchste Grad des Gefühls ist eine Betäubung, die an Unempfindlichkeit grenzt, und in diesem Zustande schlummerte ihre Seele. Francesco, dessen Mund bisher geschwiegen, dessen Aug aber sich um desto lauter mit Sofanen unterhalten hatte, näherte sich itzt seiner Schwester. Du hast schon gewählt, sprach er, Antonio ist dein Verlobter, und selbst seine Verwirrung, die er so schön bereuet, sagt dir, daß er ohne dich unaussprechlich elend seyn würde. Er wird mich unserm Vater ersetzen: ich bleibe hier. Sofanas Antlitz glänzte wie die Sonne; sie lächelte und glaubte nur zu lächeln, als ihren Purpurlippen die Worte: Guter Francesco! entwehten.

Omar. Ich sehe wohl, ich muß diesem Streit ein Ende machen. Antonio kann, sagte er, die Freiheit nicht von mir annehmen. Nun wohl, er soll sie aus der Hand seiner Braut empfangen, und damit auch mir Sofanas und Rosalias Freude zu Theil werde, so empfange du, Francesco, die Freiheit aus meiner Hand.

Sofanas Antlitz glänzte nun nicht mehr: ein trüber Nebel umhüllte ihre Stirne, und in Francescos Miene wechselten Freude und Trauer. Alle waren wie verzückt, als ob sie einem aus den 172 Wolken erschollenen Orakel nachhorchten. Itzt machte Francesco eine Bewegung, um sich Omarn zu Füßen zu werfen. Er wußte wohl selbst nicht, was er ihm sagen wollte. Omar ersparte ihm die Worte, indem er ihn aufhielt und in seine Arme schloß. Es ist genug, rief er, länger kann ich es nicht aushalten. du bist in den Armen deines Oheims Angelo! Kommt auch ihr, meine Kinder, an den Busen des todtgeglaubten Bruders eueres Vaters! Rosalia und Antonio taumelten in seine Arme. Der erste Erfinder der Gedankenstriche hatte vermuthlich eine Scene wie diese zu schildern, und war nicht Stümper genug, die Schilderung zu wagen.

Ein hoher, namenloser Affect malte sich auf Omars Gesichte. Nach einigen Minuten fuhr er fort: Itzt, Kinder, ist der Augenblick nicht, euch meine Geschichte zu erzählen; allein ihr sollt sie heute noch erfahren. Sofana staunte so sehr als die übrigen; aber die Wolke auf ihrer Stirne war verschwunden. Wie du da stehest, Mädchen, sprach Omar lächelnd zu ihr; ich glaube gar, du fürchtest dich, deinen Vettern den Schwesterkuß zu geben? Antonio und Francesco eilten auf sie; aber Francesco vertrat seinem Freunde den Weg. Ein Händedruck, weit beredter, als sein Kuß 173 es seyn durfte, sagte Sofanen alles, was sie wünschte; allein dieser behutsame Kuß war doch immer der erste Kuß der Liebe, dessen Magie so allmächtig auf die seidnen Nerven des Mädchens wirkte, daß sie den Kuß des Antonio gar nicht gewahr wurde.

Omars Vaterherz weidete sich an der herrlichen Gruppe. Endlich erblickte er die gedeckte Tafel: Wie ich sehe, so will meine Sofana uns an ihrem Geburtstage bewirthen, das ist ja recht hübsch. Diese Worte weckten Rosalien aus ihrer Entrückung. Sie sprang herbei, um die Wirthin zu machen, und in der That bedurfte Sofana einer Gehülfin. Ihr Auge hieng immer am Auge Francesco's, der gegen ihr über saß. Seitdem der Vater sie aufgefodert hatte, die beiden Vetter zu küssen, fürchtete sie sich nicht mehr, in seiner Gegenwart den einen Vetter anzusehen, und der Vetter, dessen Seele auf den goldnen Schwingen der Hoffnung daher wogte, warf ihr mit jedem Blicke sein Herz entgegen. Omar schien sie nicht zu beobachten und mehr mit Rosalia und Antonio, als mit ihnen beschäftigt. Nun aber lenkte er das Gespräch, wie von ungefähr auf Francesco's Serenade: Du hast, sprach er zu ihm, meiner Sofana ein schönes Lied gemacht. Fand'st du es nicht auch so, meine Tochter. 174

Sofana. (lächelnd) O, ja! sehr schön.

Omar. Allein, wenn du das Veilchen auf deinem Wege bemerkt hättest, was würdest du damit angefangen haben?

Sofana schwieg; all' ihr Blut stieg ihr in's Gesicht.

Rosalia. Das weiß ich. Sie würde es gepflückt und an ihr Herz gesteckt haben.

Sofana sank an ihres Vaters Busen.

Rosalia. Und vom Veilchen weiß ich, daß es diese Stelle einem Beete des Paradieses vorgezogen hätte.

Omar. (lachend.) Du bist sehr wohl unterrichtet. Ist das wahr, Francesco?

Francesco. (zu Omars Füssen.) Ja, es ist wahr: und sollte es mich mein Leben kosten, so sage ich: ja es ist wahr!

Omar. (indem er die bebende Hand des Mädchens in Francescos Hand legt.) Ich war nicht so blind, als ich zu seyn schien. Nimm sie hin, mein Sohn, sie ist dein. In der ersten Stunde, da ich dich sah, da ich deinen Namen hörte, war sie dir zugedacht; ich wollte nur erst eure Herzen beobachten, um zu sehen, ob sie mit meinem Wunsche zusammenstimmten. Auch dieses Gemälde ist 175 nur für den inneren Sinn des Sehers, und die Farben dazu liegen jenseits des Gebietes der Kunst.

Selig, wie ein Gott, saß Omar unter den Seligen, die er gemacht hatte. Auf einmal füllten seine Augen sich mit Thränen. O, meine Helena, rief er, diesen Tag hättest du erleben sollen! Doch wenigstens soll deine Asche dein Busenkind in's neue Vaterland begleiten. Auch ich werde es begleiten. Ja, meine Kinder, ich ziehe mit euch. Ich habe unsere Abreise, die ein heiliges Geheimniß bleiben muß, bereits mit dem Vater Benedetto verabredet. Bei dem Namen Benedetto fuhr ein neuer Dolchstich durch Antonio's Herz. Ich Ungeheuer, sagte er leise zu sich selbst, und legte die Hände vor das Gesicht. Ihr wisset nicht, Kinder, fuhr Omar fort, daß Benedetto mein Jugendfreund war. Ungeachtet einer beinahe dreisigjährigen Trennung erkannte ich ihn sogleich. Er erkannte mich nicht, weil er mich für todt hielt. Ich selbst habe das Gerücht von meinem Tode in Italien ausstreuen lassen, um meiner Familie mein Schicksal zu verbergen.

Nun wurde die Gesellschaft durch die Erscheinung des guten Paters vermehrt, dessen gefühlvolle Seele am stillen Jubel dieses Tages einen väterlichen Antheil nahm. Der Tag verstrich ihnen 176 wie eine flüchtige Stunde. Hundertmal wiederholten Francesco und Sofana sich das Gelübde eines ewigen Bundes, und Antonio und Rosalia glaubten sich zum erstenmale zu sagen, daß sie sich liebten.

Des Abends führte sie Omar auf sein neues Belvedere. Die saphirne Schale des Himmels hieng mit Diamanten besetzt über ihrem Scheitel, und von ferne vernahm man das leise Murmeln des ruhig wogenden Meeres. Wie schön ist es hier, meine Kinder, sagte Omar, und dennoch werde ich mit Freuden diesen romantischen Aufenthalt meinem Sohne überlassen. Gehe Francesco, hole die Laute, und spiele uns noch einmal dein Lied; dann will ich euch zum Beschlusse des Festes meine Geschichte erzählen. Francesco holte die Laute, und spielte und sang, und Rosalia stimmte mit in die melodischen Töne, die das Echo von den umherliegenden Hügeln zwiefach wiederholte. Thränen der himmlischen Wollust floßen aus jedem Auge, und Rosalia rief am Halse ihres Oheims wonnetrunken aus: Göttlicher Mann! wie herrlich erfüllst du deine Weissagung, daß unsere Gefangenschaft uns nicht gereuen werde. 177

Zehntes Capitel.

Ich war, so fieng Omar seine Erzählung an, der älteste Sohn unsers Vaters Negroni. Da er kein Vermögen hatte, so bestimmte man mich zur Kaufmannschaft, die mir ein gewisseres Brod versprach, als die Laufbahn des Gelehrten, welche unserm Vater, der weder schmeicheln noch trügen konnte, nichts als den nothdürftigen Unterhalt gewährte. Nach ausgestandener Lehrzeit bekam ich eine Stelle auf einer Wechselstube zu Livorno. Sie gab mir Brod, aber keine Aussicht. Ich suchte mein Glück in Venedig, und fand es auch da nicht. Nachdem ich sechs Jahre für andere gearbeitet und mir ein paar hundert Zechinen erspart hatte, faßte ich den Entschluß, Italien zu verlassen, und mit guten Empfehlungen versehen, für eigene Rechnung, eine Fahrt nach Alexandria zu versuchen.

Das Schiff, auf dem ich mich befand, fiel einem hiesigen Corsaren in die Hände, und ich wurde mit meinem kleinen Schaze ein Eigenthum des Ueberwinders, der mich dem damaligen Dey überließ. Acht Monate schmachtete ich in den Fesseln. Die Arbeit, die man mir auflegte, war schwer, und die Härte unsers Aufsehers machte sie mir unerträglich. Als er mich einst ohne Ursache mit Schlägen mißhandelte, gerieth ich in Wuth, ich 178 warf den Barbaren zu Boden, und würde ihn erdrosselt haben, wenn man ihm nicht zu Hülfe gekommen wäre. Ich wurde bei dem Dey als ein Verbrecher angeklagt, und zu hundert Streichen auf die Fußsohlen verurtheilet; Ihr kennet diese abscheuliche Strafe. Dem Tod würde ich getrotzt haben; diese Marter schien mir weit ärger, als der Tod. Um ihr zu entgehen, erklärte ich mich, daß ich den Turban annehmen wolle. Nun wurden meine Bande gelöst. Der Dey nahm mich unter seine Hausbedienten auf, und in kurzer Zeit, ward ich der Aufseher meines ehmaligen Henkers. Ich benutzte mein Ansehen, um das Schicksal meiner Unglücksgefährten zu mildern, und, ich darf sagen, daß mehr als eine dankbare Thräne mich belohnte.

Ich stieg täglich in der Gunst meines Herrn, und da ich mit allem Eifer die Landessprache erlernt hatte, gebrauchte er mich als Schreiber in seinem Cabinet. Ich leistete ihm wesentliche Dienste, und nach einigen Jahren gab er mir eine seiner Töchter zur Ehe. Der reiche Brautschatz, den ich erhielt, setzte mich in den Stand, meinen ersten Beruf wieder zu ergreifen. Von meinem Schwiegervater begünstigt, hatte mein Gewerbe einen so glänzenden Fortgang, daß ich in Zeit von sechs Jahren Herr von mehr als 100,000 Piastern wurde.

179 Doch vergaß ich über meinen Arbeiten das nicht, was ich damals Lebensgenuß nannte. Die niedlichste Tafel, und ein halbes Duzend der schönsten Sclavinnen sollten meine Sinne befriedigen; sie konnten sie blos abstumpfen. Ich veränderte meine Köche und meine Beischläferinnen. Der Orient mußte mir seine Leckerbissen, und Europa seine Flitterwaaren zollen. Ich häufte Genuß auf Genuß, Thorheit auf Thorheit, und mein Herz blieb ungesättigt. Je mehr ich mich durch Sinnlichkeit erschöpfte, desto leerer ward es in meinem Busen. Mein Reichthum nahm immer zu, aber die Zufriedenheit floh immer weiter von mir.

Mein Weib starb nach einer zehnjährigen Ehe, und hinterließ mir einen einzigen Sohn. Selim wurde der Liebling seines Grosvaters, der ihn früh zu den Waffen anhielt. Er zählt erst fünf und zwanzig Jahre, und schon wird er unter den tapfersten Kriegern unsers Staats genannt. Der Dey wünschte mir oft Glück zu diesem jungen Helden; indeß ich im Stillen über seine Siege erröthete. Meine Denkungsart hatte sich geändert, und diese Aenderung war das Werk einer griechischen Sclavin. Ihr wisset schon, wer meine Helena war. Ich kaufte sie von einem Corsaren, der sie wenig Tage zuvor von einem venetianischen Schiffe erbeutet 180 hatte. Sie flehete mich auf den Knieen, ihrer Ehre zu schonen: ihre Thränen fielen auf mein Herz. Ich wollte es einmal versuchen, die Liebe eines Weibes nicht der Gewalt, sondern ihrer Wahl zu danken zu haben. Ich begegnete ihr wie einer Unglücklichen, deren Unglück ich ehrte. Je mehr ihre Reitze und ihr sanfter Charakter mich an sie fesselten, je leichter ward es mir, den Herrn zu vergessen, und ihr blos den Freund, wo nicht den Liebhaber, zu zeigen.

Dieses Betragen rührte sie: täglich mehrte sich ihr Vertrauen und ihr Wohlwollen gegen mich. Ein hiesiger Consul bekam nach sechs Monaten den Auftrag, mir ihre Loskaufung vorzuschlagen. Ich ließ sie auf mein Zimmer rufen, und sagte vor dem Manne zu ihr: Hier meine Freundin, ist jemand, der mir dein Lösegeld anbietet; soll ich es annehmen? Nein, sagte sie, indem sie sich in meine Arme warf, dieser letzte Zug entscheidet mein Schicksal: Ich gebe dir, was der Räuber, der mich dir verkaufte, dir nicht geben konnte, mein Herz. Ihnen mein Herr, sagte sie zum Consul, werde ich einen Brief an meinen Vater zustellen: ich kenne ihn, er wird meinen Entschluß billigen. Damals wußte ich nicht, was sie an ihren Vater schrieb. Sie wies mir seine Antwort; er segnete ihren 181 Entschluß. Bis an sein Ende unterhielten wir einen Briefwechsel mit dem Manne Gottes.

Helena besaß jene reine prunklose Tugend, welche das gemeinschaftliche Werk eines guten Naturells und einer weisen Erziehung ist. Sie liebte ihre Religion, aber sie glaubte nicht, daß die Tugend eine ausschliessende Gabe irgend einer Secte sey. Sie war fromm, aber ihre Frömmigkeit war mild und duldsam, und kein Mensch war von ihrer Wohlthätigkeit ausgeschlossen. Sie hatte im Stillen den Vorsatz gefaßt, mich nicht zu ihrem Glauben, sondern zu den hohen Gefühlen der Tugend zurückzuführen. Heil deiner geweihten Asche, süsses, edles Weib, dein Vorsatz ist dir gelungen!

Ich hatte eigentlich nicht das Christenthum, das ich nie kannte, sondern den pfäffigen Aberglauben verlassen. Weil ich diesen mit dem Christenthum verwechselte, so hielt ich es nicht der Mühe werth, um seinetwillen Marter und Bande zu erdulden. Mein Glaube an den Einzigen im Himmel blieb unangetastet, durch meinen Uebergang zur Secte Mahomeds, den ich, so wenig als die Christen, für einen Gesandten Gottes halte. Aber indem ich in die Christenheit zurückkehre, werde ich meine Vernunft eben so wenig dem Zepter der Moufti zu Rom unterwerfen, als ich sie dem Zepter der Moufti zu 182 Constantinopel unterworfen habe. Ich scheue mich nicht, meine Gesinnungen in Gegenwart des ehrwürdigen Benedetto zu offenbaren: Eine einzige Unterredung mit ihm war hinreichend, mich zu überzeugen, daß er den Kern von der Schaale unterscheidet.

Als Sofana, die einzige Frucht unserer Liebe, einiger Geistesbildung fähig wurde, überließ ich diese Sorge ganz ihrer Mutter. Sie machte aus ihr, was sie selbst war. Ich wußte, daß sie sie in ihrem Glauben unterwies, und ich ließ es mit Freuden geschehen, weil der Glaube meiner Helena gut seyn mußte, da ich durch sie gut und glücklich wurde. Vor zwey Jahren entriß mir sie der Tod. Auf dem Sterbebette mußte ich ihr angeloben, daß ihr Busenkind nie das Schlachtopfer eines Harems werden sollte. Ich versprach es gerne, weil ich mich ohnehin von dem einzigen Gute, das mir übrig blieb, nicht trennen konnte, und schon damals eine dunkle Ahnung hatte, daß ich meine Tage nicht in diesem Lande beschliessen würde. Seit dem Tode des alten Deys, meines Schwiegervaters, bemerkte ich, daß mein Ansehen täglich abnahm. Sein Nachfolger, dessen Geitz keine Grenzen kennt, betrachtete mich bald als einen verdächtigen Muselmann, bald als einen 183 verdächtigen Bürger, dessen freie Grundsätze und vertrauter Umgang mit den Ungläubigen, wie er sagte, sein gerechtes Mistrauen erregten. Eigentlich waren es meine Reichthümer, die seine Habsucht reizten, und da ich dieses wußte, so suchte ich sie von Zeit zu Zeit durch beträchtliche Geschenke zu befriedigen, und beschäftigte mich in der Stille mit dem Plane, mich seinen Klauen zu entreißen. Ich würde keine ruhige Stunde gehabt haben, wenn ich den letzten Anschlag hätte errathen können, den ein böser Dämon ihm eingab, um beides, mein Vermögen zu verschlingen, und meine häusliche Glückseligkeit zu zerstören.

Als ihr meine Lieben, in die Hände meines Sohnes fielet, führte mich der leitende Arm der Vorsehung euch entgegen. Ich erkannte in euch die Kinder meines Bruders und meiner Schwester, und mußte mir alle Gewalt anthun, meine Freude zu verbergen. Aus guten Gründen verhehlte ich meinem Sohne meine Entdeckung, und bewog ihn, nicht ohne Mühe, euch mir abzutreten. Mein Entschluß, Tripoli zu verlassen, bekam nun ein neues Leben. Ich mußte alles in's Geheim, und eben darum sehr langsam veranstalten, um jeden Schatten eines Argwohns zu vermeiden. Ich hatte noch wohl für einen Monat Arbeit, um alles in's 184 reine zu bringen, als Benedetto hier ankam; deßwegen gab ich ihm eine zweifelhafte Antwort. Allein vor einigen Tagen ließ der Dey mich zu sich rufen, und sagte mir: Omar, dein Sohn Selim hat mir gesagt, daß er eine sehr schöne Schwester habe; ich bestimme sie meinem jüngsten Sohne Hamet, den ich in wenig Wochen von Stambul zurückerwarte. Ich hoffe, du wirst die Ehre dieser Verbindung fühlen.

Alle schauderten. Sofana verbarg sich in die Arme Francescos. Rosalia ergriff Omars Hand, die sie mit Küssen bedeckte. O, Gott! rief sie, dieses war also die Ursache deines Mißmuthes, den ich so ungerecht auslegte. Ja, meine Kinder, fuhr Omar fort, mein Herz war zermalmt. Ich that mir alle Gewalt an, dem Dey zu heucheln, sonst wären wir unwiederbringlich verloren. Nun aber wird es eine dringende Nothwendigkeit, unsere Abreise zu beschleunigen. Der Patron des französischen Schiffes, mit welchem unser Freund Benedetto hier einlief, wird in acht Tagen nach Marseille absegeln, und uns alle an Bord nehmen. Ueber eine halbe Million Piaster habe ich durch seine Vermittlung in Diamanten und gute Wechsel verwandelt, und eben so viel werde ich an liegenden Gründen und Waaren meinem Sohne 185 zurücklassen. Bisher hat mein geheimes Geschäfte einen so glücklichen Fortgang gehabt, daß ich hoffen darf, der Himmel werde es bis an's Ende begünstigen. Ihr sehet aber, lieben Kinder, daß die strengste Behutsamkeit nöthig ist, wenn wir uns nicht alle ins Verderben stürzen wollen. Deswegen wachet über alle euere Schritte, über alle euere Mienen, damit nichts unser Vorhaben verrathe. Benedetto selbst wird uns nur noch ein oder zweimal besuchen; doch für allen diesen Zwang werden wir uns in wenig Wochen reichlich entschädigen können.

Eilftes Kapitel.

Die folgenden Tage waren ein ununterbrochenes, aber geheimes Fest der Tugend und der Liebe. Rosalia besuchte, wie vormals, täglich ihre Gefährten, und labte ihr Herz mit ihnen an den heitern Aussichten der Zukunft. Francesco wurde jeden Abend von Omarn zu seiner Tochter geführt: aber die Laute hatte nun gute Ruhe. Die beiden Liebenden vertrauten sich die Geschichte ihrer Herzen, und wiederholten sich bald mit, bald ohne Worte, das Gelübde ihres ewigen Bundes.

Am sechsten Tage kam Benedetto, vom Patron des französischen Schiffes begleitet, auf das Landgut. Nach einem frohen Mittagsmahl, auf 186 welches eine lange Unterredung folgte, begab sich die ganze Gesellschaft an das Ufer der See, die den Rand des Gartens bespühlte. Unter dem Vorwand einer Lustfahrt bestieg man eine Tschaike, die beständig in der Bucht lag, und auf welcher Roland, so hieß der Hauptmann, die Tiefe des Meeres untersuchte. Er fand, daß sein Schiff ganz bequem in diese Bay einlaufen, und sich dem Ufer bis auf einige Ruthen nähern konnte. Dann wurde beschlossen, daß wenn der Wind bis auf den folgenden Abend günstig bleiben würde, Roland bei einbrechender Nacht den Hafen von Tripoli verlassen, und anstatt in die weite See zu stechen,. nach der Bucht steuern sollte.

Der ganze folgende Tag verstrich unter den Zubereitungen zur Reise. Die vornehmsten Kostbarkeiten Omars, und das nöthigste Reisegeräthe wurden in der Stille von Antonio und Francesco eingepackt, und gegen Abend war alles in Bereitschaft. Außer dem alten Mohren Nesir hatte Omar alle seine Christen-Sclaven, acht an der Zahl, auf dem Gute. Den Mohren sandte er nun mit einem versiegelten Päckchen, für den Wundarzt Laforce, in die Stadt, mit dem Auftrage, es am folgenden Mittag zu überliefern. Es enthielt ein Abschiedsschreiben an diesen treuen Franzosen 187 mit einem Wechsel von zweihundert Zechinen auf den französischen Consul, wovon er die Hälfte als ein Geschenk für sich behalten, und die andere Hälfte dem ehrlichen Mohren zustellen sollte.

Die Nacht war schön, aber dunkel, und der Wind günstig. Gegen zehn Uhr hörte Francesco, der am Strande Wache hielt, mit einem süßen Schauer das Schiff heranrauschen, und eilte Omarn davon zu benachrichtigen. Dieser berief nun seine Sclaven in den Gartensaal: Meine Freunde, sprach er zu ihnen, ich unternehme eine Reise nach Europa; zum Lohne für euere Treue schenke ich euch die Freiheit, und nehme euch mit mir in euer Vaterland. Sie fielen alle vor ihm auf die Kniee, und dankten ihm mit Freudenthränen. Wenn ich euch bisher als unglückliche Brüder behandelt habe, fuhr Omar fort, so schwöret mir, daß ihr in jeder Gefahr mich als Männer vertheidigen wollt. Wir schwören es! riefen alle mit aufgehobenen Händen. Dann befahl ihnen Omar all' sein vorräthiges Gewehr und die Kisten in die Tschaike zu bringen, welches mit gröster Behendigkeit vollzogen wurde, indeß er mit Antonio und Francesco nach der Grotte gieng, worin Helenens Gebeine verwahrt lagen. Ein mit Erde bedeckter Stein, der ein kleines Gewölbe verbarg, wurde 188 weggeräumt, und die beiden jungen Männer hoben den bleiernen Sarg aus seiner Ruhestätte. Dieses ist der kostbarste meiner Schätze, sagte Omar, lieber wollte ich mein Leben, als ihn, hier zurücklassen. Auch dieser ward in die Tschaike getragen. Dann gieng Omar in sein Haus, um, von seinen Neffen begleitet, die beiden Mädchen abzuholen, die mit wallender Ungedult ihm entgegen liefen. Die zwo Sclavinnen Nadine und Fatme hatten den geheimißvollen Bewegungen dieses Tages mit stummem Erstaunen zugesehen. Wir segeln in ein fremdes Land, sagte nun Omar zu ihnen, aus welchem wir vielleicht lange nicht, vielleicht nie wieder zurückkommen werden. Ich stelle euch frei, ob ihr uns auf unserer Reise begleiten wollt oder nicht; in jedem Falle seyd ihr frei. Wollt ihr hier bleiben, so schenke ich einer jeden zweihundert Zechinen; wollt ihr mit uns ziehen, so soll euch das zwiefache, oder ein lebenslänglicher Unterhalt versichert seyn. Die guten Geschöpfe wußten nicht, wie ihnen geschah. Auch sie warfen sich Omarn zu Fuße. Behalte deine Geschenke, Herr! riefen sie, und laß uns bis an den letzten Tag unsers Lebens unsern theuern Gebieterinnen dienen. Wohlan denn, so folget uns, erwiederte er, und alle eilten nach der Tschaike. Als sie hinein getreten 189 waren, warf Omar noch einen Blick des Abschieds auf sein Landgut, und befahl dann seinen Sclaven, nach dem Schiffe zu rudern. In einer Viertelstunde war jedermann an Bord, und die Anker wurden gelichtet.

Ein frischer Wind blies in die Segel, und bei'm Anbruche des Tages konnte man die afrikanische Küste nur noch wie einen weißen Saum erblicken, der die grüne Fläche des Meeres einfaßte. Omar umarmte nun seine Kinder, und wandte einen flehenden Blick gen Himmel. Sofana und Rosalia sanken an die Brust ihrer Geliebten. Roland hatte den beiden Mädchen seine eigene Cajüte eingeräumt, so daß sie nichts, als die unvermeidlichen Beschwerlichkeiten der See, zu erdulten hatten. Das Schiff segelte wie mit Adlersfittigen seine Straße, und gegen Abend konnte man auch durch die Fernröhre nichts mehr, als die weite See erblicken. Dem Ewigen sey Dank, rief Omar, nun sind wir gerettet. Früher als um diese Stunde konnte der Dey unsere Flucht nicht erfahren. Ich habe sogar Ursache zu glauben, daß er sie heute noch nicht erfahren werde. Er mag uns nun alle Raubschiffe des Hafens nachschicken; nimmermehr werden sie uns erreichen.

In seinem Schreibtische hatte er einen 190 zärtlichen Abschiedsbrief an seinen Sohn Selim zurückgelassen, worin er ihm seinen Segen gab, und ihm alle seine Waaren und Güter schenkte. Er war so abgefaßt, daß er ihn dem Dey vorzeigen konnte. In einem besondern Beischlusse meldete er ihm, daß er, um seine Sofana einer gewaltsamen Heirath zu entziehen, den Entschluß gefaßt habe, sich mit seinen ehemaligen Gefangenen nach Europa zu flüchten, welche die Kinder seines Bruders und seiner Schwester seyen. Sollte auch Selim diese Briefe finden, ehe man seine Flucht erfuhr, so war er gewiß, daß er nichts verrathen würde, aus Furcht, sein Vater möchte eingeholt, und er einer reichen Erbschaft beraubt werden, die er sich so früh noch nicht versprechen durfte.

Die ganze Reise über war das Wetter eben so erwünscht, als am ersten Tage. Mit jeder aufgehenden Sonne, mit jeder niedergehenden Sonne freueten sich die Reisenden, Herz an Herz, des sichtbaren Schutzes des Himmels, und am Morgen des zehnten Tages lief das Schiff glücklich im Hafen zu Marseille ein. Als sie ans Land gestiegen, und alle ihre Kisten in einen Gasthoff gebracht waren, wurde Roland von Omarn fürstlich belohnt, und jeder von den acht Sclaven erhielt fünf und zwanzig Zechinen Reisegeld. Da es meist 191 Bootsleute waren, so nahmen sie bei Roland Dienste, drei ausgenommen, die bei Omarn und seinen beiden Neffen verblieben.

Kaum hatte Benedetto sich von den Beschwerlichkeiten der Seefahrt ein wenig erholt, so begab er sich nach Avignon, um bei dem dortigen Cardinal-Legaten Omars Aussöhnung mit der Kirche und zugleich die Dispenz für die Heirath seiner Tochter mit ihrem Vetter zu bewirken. Der erste Punkt lag Omarn wenig am Herzen; allein um nicht in seinem Vaterlande der heiligen Inquisition in die Klauen zu fallen, verstand er sich willig zu diesem Schritte, zumal da er nichts dabei zu thun hatte, als einige Rollen Dukaten aus seiner Cassette hervorzulangen. Die Gesellschaft erwartete des Paters Rückkunft in Marseille und benutzte diesen Zwischenraum, um sich nach dem europäischen Costume zu kleiden. Sofana's und Rosaliens unerborgte Reitze konnten durch keine Tracht etwas gewinnen; dennoch sahen ihre Geliebten sie mit Entzücken in dieser Verwandlung. Es war ihnen, als ob ihre Bräute ihnen nun um desto gewisser angehörten.

Jetzt erschienen die holden Mädchen in den Schauspielen und auf den öffentlichen Spaziergängen, überall wurden sie mit Entzücken angestaunt. 192 Es war nöthig, die bisherige Coenobitin Sofana an das Geräusch der Welt und an die Rolle zu gewöhnen, die sie darin zu übernehmen hatte. Von Rosalien angeführt, und von Francesco begleitet, ward ihr alles leicht; aber dennoch frohlockte sie, wenn sie sich dem wirbelnden Strudel und den Stieraugen des Gaffers entziehen, und in die Einsamkeit flüchten konnte.

Zwölftes Capitel.

Gleich nach ihrer Ankunft in Marseille hatten Ottavio's Kinder ihn davon benachrichtiget; und da sie weder einen Roman, noch ein Drama spielen wollten, so meldeten sie ihm ohne Zurückhaltung, daß sein wieder erstandener Bruder Angelo, ihr bisheriger Herr, sie mit seiner Tochter nach Europa begleitet, und das himmlische Mädchen auch ihm zur Tochter bestimmt habe. Daß Francesco es bei dieser oberflächlichen Schilderung seiner Geliebten nicht bewenden ließ, versteht sich von selbst. Der junge Poet borgte zu seinem Gemälde den Pinsel Petrarkas, und dennoch war es nicht geschmeichelt. Für einen solchen Zusammenfluß froher Begebenheiten war das so lange gepreßte Herz des redlichen Alten beinahe zu enge. Er wußte selbst nicht, ob die Rückkehr seiner Kinder, oder das Glück seines Sohnes, oder das 193 Wiederleben seines einzigen Bruders, das Maaß seiner Freuden am meisten häufte.

Endlich kam Benedetto von seiner geistlichen Unterhandlung zurück. Der heilige Vater hatte die Wiederaufnahme seines verirrten Sohnes in den Schooß der Kirche unterzeichnet, und auch die Heirath des Vetters mit dem Bäschen mit dem Fischerringe besiegelt; nur hatte Sofana's Name bei seiner Eminenz in Avignon große Bedenklichkeiten erregt. Sie wollte diesen türkischen Namen schlechterdings nicht anerkennen, und ungeachtet Benedetto versicherte, daß Sofana auf arabisch eine Perle, und folglich eben soviel als Margaretha bedeute, so wollte dennoch der orthodoxe Prälat, als ein Todtfeind der orientalischen Sprachen, diesen etymologischen Beweiß durchaus nicht gelten lassen, und noch überdieses der jungen Neophytin, zur Versicherung ihres Seelenheils, in seiner Domkirche, das Supplement der Taufe in kanonischer Form administriren. Ein frisches Röllchen Zechinen, und die Geschicklichkeit des Paters, räumten endlich auch diesen Stein des Anstoßes unter der Bedingung weg, daß Sofana ein eigenhändiges Zeugniß ihrer Wiedergeburt ausstellen, und mit ihrem bisherigen Namen noch den ihrer Mutter verbinden sollte.

194 Nun stand der Fortsetzung ihrer Reise nichts mehr im Wege. Omar kaufte sich in Marseille ein paar bequeme Wagen; in welchen die Gesellschaft ihren Zug über Monaco, Genua und Lucca nach Florenz fortsetzte. Ueberall wurden die Merkwürdigkeiten des Orts besehen; überall wurden Sofana und Rosalia bewundert; überall sammelten sie sich Kenntnisse, welche ihren Geist ausbildeten, und besonders die junge Afrikanerinn mit ihrer neuen Lage täglich vertrauter machten. Der reitzende Aufenthalt in Florenz bewog Omarn, acht Tage lang in dieser Residenz zu verweilen. Dann gieng die Reise nach der Hauptstadt der christlichen Welt, mit deren mannigfaltigen Wundern er seine jungen Gefährtinnen bekannt machen wollte.

Auch von dieser Maaßregel wurde Vater Ottavio unterrichtet, dem es nun unmöglich war, seine Gäste in Neapel zu erwarten. Drei Tage nach ihrer Ankunft in Rom überraschte er sie in ihrem Gasthofe. Lange weinte der gute Greis am Halse seiner Kinder und seines trefflichen Bruders. Alles schwamm in Wonne, und Ottavio war so sehr von seiner reizenden Nichte bezaubert, daß er schon am folgenden Tage zu seinem Bruder sagte: Ich kann die Stunde nicht erwarten, da ich diesen Engel meine Tochter nennen werde. 195 Was hindert, sagte Omar, daß wir hier das zwiefache Hochzeitfest begehen, das wir blos um deinetwillen verschoben haben. Der Vorschlag ward mit Entzücken angenommen. Der ehrwürdige Benedetto sprach den Segen über die vier glücklichsten Wesen des Erdbodens, und nach einem Aufenthalte von acht himmlischen Tagen setzten sie ihre Reise nach Neapel fort. Omar kaufte sich ein herrliches Landgut, einige Meilen von der Stadt, wo er sich mit seinen Kindern niederließ. Auch Antonio's Wunsch, sich in ihrer Nachbarschaft anzusiedeln, ward erfüllt, und Ottavio und Benedetto theilten ihre Tage zwischen diesen beiden Residenzen der Freundschaft und der Tugend.

 


 


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