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Zweyter Band

Lesen Sie nur weiter! was Sie nun lesen werden, ist eigentlich das, was dieses Werk des Petron bey allen Nationen, welche die römischen Schrifftsteller gelesen haben, so beliebt gemacht hat.

Die Erzählung von der Matrone zu Ephesus, das Gedicht auf den bürgerlichen Krieg, die Beschreibung der Liebeshändel des Enkolp mit der Circe sind immer bewundert, öffentlich und heimlich nachgeahmt und übersetzt worden. Eben darinn glänzt der Genius des Petron, und erhebt sich nicht allein über die Genieen seines Zeitalters, sondern über die mehrsten, welche zu den Zeiten des Mäcen blühten, empor; und eben deswegen hab' ich dieses Werk übersetzt.

Beynah ist es unglaublich, daß die Beschreibung der Begebenheiten des Enkolp mit der Circe und das erhabene Gedicht von einem Geiste seyen gebohren worden. – Doch ich darf nicht zu sehr loben! mein Lob möchte mir nach dem Aristoteles nachtheilig seyn!

Einige Stellen am Ende werden einigen Lesern mißfallen, welche nicht einmahl der ernsthafften Moral huldigen, weil sie für unsere reingesitteten Zeiten zu schmuzig sind; diese aber bitt' ich das Zeitalter zu bedenken, in welchem Petron lebte. Ich nenn' Ihnen nur den Nero und seine bekannten vom Tiberius erfundenen Stühle, durch deren Gebrauch sie iede Lucretia nothzüchtigten – um Sie zur Verzeyhung zu bewegen.

Man würde Petrons Satyre nicht gelesen haben, wenn sie eine Bußpredigt gewesen wäre, und sie würde in ihrer Geburt erstickt seyn; alles Volk lebte damals, wie iezt die Geistlichen zu Venedig.

Petron sagt auch weiter nichts zu seiner Vertheidigung, als:

Wer weiss denn nicht, was man mit schönen
Mädchen macht?


Wir hatten keine Fackel, welche uns den Weg hätte zeigen können; und die Stille der Mitternacht ließ uns nicht hoffen, daß uns Iemand mit Licht begegnen würde. Hierzu kam noch die Trunkenheit und die Unwegsamkeit der Oerter, in welchen es auch bey Tage immer sehr finster war. Da wir also schon beynahe eine ganze Stunde lang an Steinhaufen und zerbrochenen Nachtscherben unsere Füsse blutig gestolpert hatten, so wurden wir endlich durch Gitons Scharfsinnigkeit daraus erlöset; denn den Tag zuvor hatte er alle Pfeiler und Säulen bezeichnet, da er auch so gar bey hellem Tage sich nicht durch diese dunkeln Gänge zu finden hoffte, und die Striche der Kreide brachen aus der dichtesten Nacht hervor, und eröffneten uns herum irrenden mit ihrem deutlichen Scheine den Weg. Wir troffen von Schweise, wie wir an unsere Wohnung kamen. Wir machten Lärm. Aber unsere alte Wirthin, welche unter ihren Gästen länger, als gewöhnlich, mochte gezecht haben, wäre nicht erwacht, und wenn wir ihr glühende Kohlen untergelegt hätten.

Vielleicht hätten wir auch an der Thüre diese Nacht zubringen müssen, wenn nicht ein reicher Kutscher des Trimalcion dazu gekommen wäre. Dieser machte nicht viel Zauderns, und brach die Thür ein; worauf wir denn ganz ruhig durch diese Oeffnung giengen.

So bald wir in unserm Schlafzimmer waren, gieng ich mit meinem Lieblinge zu Bette. Ich hatte sehr reichlich geschmaußt, und alle Adern und Nerven waren mir aufgeschwollen – ich ließ der Wollust die Zügel schießen.

Welch eine Nacht! ihr Götter und Göttinnen!
Wie Rosen war das Bett! da hiengen wir
Zusammen im Feuer und wollten in Wonne zerrinnen!
Und aus den Lippen flossen dort und hier,
Verwirrend sich, unsre Seelen in unsre Seelen! – Dieses ist beynahe noch empfindungsvoller gesagt, als das schöne Gedichtchen des göttlichen Plato:

Ich gab ein Küßchen dem schönen Agathon.
Aus ihrer weisen Höhle
Flog auf die Lippen meine Seele
Und wollte flattern davon –


Lebt wohl ihr Sorgen! wollt ihr mich noch quälen?
Ich hab' in diesen entzückenden Secunden,
Wie man mit Wonne sterben kann, empfunden! Im lateinischen: Mortalis ego sie perire coepi. Man erklärt diese Stelle als wenn sie so viel sagen wollte: Ich habe die Menschheit ausgezogen und bin ein GOtt geworden. – Ich halte den Gedanken, welchen ich übersetzt habe, für weit natürlicher und schöner.

Unterdessen war ich noch nicht völlig so glückseelig, als ich glaubte; denn da ich im Taumel der Wollust und Trunkenheit die Hände hatte sinken lassen und eingeschlummert war, so schlich sich Ascylt, der Freudenstörer, herbey, entzog mir den Knaben, und trug ihn in sein Bett hinüber, und genoß ungehindert der Wonne der Liebe, wie ein Ehebrecher mit dem Knaben, der entweder das Unrecht nicht empfand oder nicht empfinden wollte. Er schlief in diesen gestohlnen Umarmungen ein, und vergaß dabey die heiligen Rechte der Menschheit.

Ich erwachte, und wie ich mich allein fand, sucht' ich das ganze Bett aus; aber alle Freuden meines Lebens waren daraus geraubet. Ich fand sie zusammen. In der Wuth trug ich beynahe kein Bedenken, sie alle beyde mit dem Schwerde durchzubohren und den Schlaf mit dem Tode zu vereinigen. Endlich folgt' ich doch aber dem sichreren Rathe, weckte den Giton mit Schlägen auf und sah den Ascylt mit wildem Gesichte an. »O du Treuloser!« sagt' ich zu ihm, »da du unsere Freundschafft durch das abscheulichste Verbrechen aufgehoben hast, so packe geschwind deine Sachen zusammen und suche dir ein andres Oertchen auf, welches du besudeln kannst!«

Er weigerte sich auch nicht. Wir theilten unsere Habseligkeiten mit aller Aufrichtigkeit. Wie dieses geschehen war, so sagte er: »Nun! wohlan! so wollen wir denn auch den Knaben theilen!« –

Ich glaubte, daß er noch zum Abschiede einen Scherz machen wolle; aber er zog, wie ein Mörder, das Schwerd, und sagte: »Du sollst diese Beute nicht genießen, welche du bisher allein zu deinem Gebrauche gehabt hast. Wenn es nicht anders seyn kann, so muß ich meinen Antheil mit diesem Schwerde herab hauen, eher geh ich nicht zufrieden davon!« Ich rüstete mich also auch auf meiner Seite zum Streite und wickelte meinen Mantel um meinen Arm.

Da wir Elenden so unsinnig gegen einander wütheten, fiel der unseelige Knabe uns beyden zu Füssen, und weinte und bat demüthig, daß wir in diesem elenden Wirthshauße den Thebanischen Kampf Etheokles und Polynices zween Söhne des Oedip, welche er mit seiner Mutter Iokasta gezeugt hatte, stritten sich beyde um's Reich und ermordeten sich. Eine fürchterliche Geschichte, welche den Alten durch verschiedene Trauerspiele darüber immer in frischem Angedenken war. nicht erneuern und die heiligsten Bande der Freundschafft mit unserm Blute besudeln möchten. »Und soll ia Blut vergossen werden«, rief er aus, »hier ist Hals und hier ist nackende Brust! Hieran legt eure Hände! darauf stoßt eure Spitzen! Ich muß sterben! Ich bin die Ursache der gebrochenen Freundschafft!« –

Nach diesen Bitten ließen wir die Schwerder sinken und Ascylt sagte zuerst: »Ich will dem Streit ein Ende machen! der Knabe soll folgen, wem er will! Wenigstens in der Wahl seines Freundes soll er frey seyn!« –

Ich glaubte, daß ihm die Liebe gegen mich aus unserm uralten Umgange zur zwoten Natur sollte geworden seyn, und trug nicht das geringste Bedenken, den Vorschlag im Augenblick' anzunehmen, und den Giton zum Richter des Streites zu machen. – Wenn es nur geschienen hätte, daß ihm die Wahl ein wenig wehe thäte! so aber, ohne die geringste Ueberlegung erwählt' er sich, so bald ich den Vorschlag angenommen hatte, den Ascylt zu seinem Freunde.

Wie vom Blitze getroffen fiel ich darüber, zumahl da ich das Schwerd aus der Hand gelegt hatte, auf das Bett, und ich hätte selbst Hand an mich gelegt, wenn ich meinem Feinde den Sieg nicht zu sehr beneidet hätte.

Stolz gieng Ascylt mit seiner Beute von dannen und ließ den an einem unbekannten Ort' im Stiche, der kurz zuvor sein zärtlich geliebter Kamerad war, und Glück und Unglück mit ihm theilte.

Es bleibt der Name Freund, so lang' er nützlich ist.
So lange du was hast, so lange wird gespielet;
Man flieht, so bald du nur vom Glück verlassen bist;
Nach deinen Schätzen wird, und nicht nach dir, gezielet.
Die Freundschafft ist nichts mehr, als eine Komödie!
Sohn ist der, Vater der, und iener macht den Reichen;
Und ist die Hauptperson zum Spott – so gehen sie
Von ihrem Narren fort, wie Freunde von dir weichen. Dieses kleine Gedichtchen würde man für keine Geburt des Petronischen Geistes halten, wenn es nicht in allen noch übrigen Manuscripten stünde. Es enthält eine alltägliche Moral, welche durch falsche Gleichniße aufgeputzt ist, die im lateinischen unverständlich und noch unverständlicher in den einfältigen Erklärungen sind, welche der Schwarm von Hummeln von Erklärern darüber gemacht haben.

Ich gestattete nicht lange den Thränen den freyen Lauf, sondern, da ich besorgte, man möchte, um das Unglück vollkommen zu machen, mich allein in diesem Wirthshauße finden, so packte ich meine Sächelchen zusammen, und miethete mir ganz niedergeschlagen ein abgelegnes Quartier am Ufer des Meeres. Daselbst schloß ich mich drey Tage ein, wurde endlich in dieser Einsamkeit ganz melancholisch, und konnte die Verachtung gar nicht verschmerzen. Ich schlug öffters meine kranke Brust, und schrye unter tiefgehohlten Seufzern: Ach! konnte sich die Erde unter mir noch nicht aufthun und mich verschlingen? Nicht das erzürnte Meer, welches sogar der Unschuldigen nicht verschonet? Ich brachte meinen Wirth um, und entfloh dem Gerichte; ich entwischte dem Amphitheater, und weswegen? damit ich als ein verruchter Bösewicht, als ein Bettler, als ein Vertriebner in dem Wirthshauße einer griechischen Stadt von allen Freunden verlassen liegen könnte? Und wer ist Schuld daran, daß ich in dieser Einöde leben muß? Ein Junge, in welchem ieder Tropfen Blut unrein ist, der nach seinem eignen Geständnisse verdient, davon gejagt zu werden, der seine Freyheit seiner niederträchtigen Hurerey zu verdanken hat, der in seinen männlichen Jahren sich noch als eine Dirne bey dem verdingte, der ihn für etwas männliches hielt!

Und o ihr Götter! Wer ist der andre? dieser nahm an eben dem Tage, wo er mit dem männlichen Kleide angethan wurde, einen Weiberrock um sich, und ließ sich dazu von seiner eigenen Mutter bereden! der den Sklaven als ein Weib diente: der nachdem er alles durchgebracht hat, sich wieder in einen Mann verwandelt, den Namen eines alten Freundes von sich wirft und – o Schande! – wie ein läufisches Weib alles für eine einzige Nacht giebt!

Ja! nun liegen sie zusammen, wie ein Paar Verliebten sich ganze Nächte lang mit den Armen der Liebe umwindend, und verspotten mich vielleicht in Wollust zerfliessend in meiner Einsamkeit! – Aber ungestraft sollen sie's nicht thun! Ich bin entweder kein Mann oder kein Freyer, oder ich wasche mein Unrecht in ihrem Blute ab.

Nachdem ich diesen Monolog gehalten hatte, so gürtete ich mein Schwerd an meine Seite, und damit die Schwachheit der Nerven mir den Muth nicht benehmen möchte, so stärkt' ich sie wieder mit den nahrhafftesten Speisen. Darauf sprang ich zur Thür hinaus, und durchlief, wie ein Wüthender, alle Gallerieen; und indem ich mit einem drohenden und verwegenen Gesichte nichts als Blut und Tod denke, und öffters in der Hitze nach dem Gefäße meines Degens greife, mit welchem die Rache sollte ausgeführt werden, so bemerkte mich ein Soldat, welcher gewiß entweder ein Landstreicher oder ein nächtlicher Strassenräuber war.

Er gieng auf mich zu und fragte: »Kamerad aus welcher Legion bist du? von welcher Centurie?« Ohne mich lange zu besinnen, gab ich ihm unerschrocken zur Antwort, aus der und der – »So?« sagte er, »in eurem Regimente trägt man sehr artige und sanfte Pantoffeln! Es muß sich gut darinnen tanzen lassen!« Und da ich durch mein Erröthen und meine Schüchternheit mich selbst verrathen hatte, so befahl er mir, die Waffen herzugeben, wenn ich noch gut davon kommen wollte. Bey den Römern war es nicht erlaubt, daß Iemand, mit Gewehre versehen, ausgehen durfte, ausser den Soldaten. Wenigstens fieng diese Gewohnheit kurz vor den Zeiten der Kaiser an. Ich gieng also entwaffnet wieder zurück nach Hauße, und das Mittel zur Rache war mir benommen; und da meine Wuth nachgelassen hatte, so dankt' ich sogar dem Spitzbuben für seine Frechheit.

Unterdessen wurd' es mir doch sehr schwer, das Verlangen, mich zu rächen, zu überwinden, und ich brachte voll Ungedult die halbe Nacht darüber zu. So bald aber der Morgen graute, gieng ich aus, um meine Traurigkeit zu vermindern und die Erinnerung an das, was geschehen war, auszulöschen; und wandelte in allen Gallerieen herum.

Endlich kam ich in eine Bildergallerie, Zu Rom wurden in dem Tempel des Friedens die Gemählde der größten Meister aufbewahret, welchen Vespasianus hatte aufbauen lassen. Vor ihm waren in den mehrsten Hallen der Tempel einige Gemählde von den größten Meistern zu sehen. In den griechischen Städten, wie hier Neapel, waren die Hallen der eigentliche Aufenthalt der schönsten Gemählde. in welcher allerley bewundernswürdige Gemählde hiengen. Hier erblickt' ich die Hand des Zeuxis, welche die Zeit noch nicht überwinden konnte; Zeuxis war ein Schüler des Apollodorus, welcher zuerst Licht und Schatten in seine Gemählde brachte und deswegen den Namen: Schattenmahler, δκιαγσαφοξ erhielt. und berührte die Zeichnungen des Protogenes, Protogenes lebte zu den Zeiten des Apelles und war ein Rhodier von Geburt. Seine Gemählde waren mit dem größten Fleiß ausgearbeitet, und das berühmteste von ihm war ein Gemählde von einem gewissen Jalisus, an welchem er sieben Jahre soll gearbeitet haben. Apelles tadelte auch das an ihm, daß er zu lange mit einerley Sache zubrächte und dadurch seinen Geist abmattete. – Apelles wurde von diesem Gemähld' entzückt, wie er es sah – welch' ein Lobspruch für ein Genie! – er fragte ihn, wie viel er dafür bekäme? – Wie er den geringen Preiß davon ihm gesagt hatte, so ärgerte sich Apelles darüber und gab ihm fünfzig Talente (50000 Thlr.) dafür, ließ es sich dann, als seine eigne Arbeit bezahlen und gab ihm noch das davon, was er über diese Summe erhalten hatte. –

Wo trifft man zu unsern Zeiten Züge von so schönen, neidlosen Geistern an! Unsere großen Künstler und Weisen unterdrücken ein junges, empor fliegendes Genie, aus Furcht, daß es sie verdunkeln möchte. Sie sind unter keinem Ionischen Himmel gebohren! Ihre Empfindung ist Memorienempfindung! In ihrem wirklichen Leben sind sie so kalt, wie ihre eißkalten Kunstrichter!

welche selbst mit der Natur um die Wahrheit stritten, nicht ohne einen gewissen Schauer. Vor den Gemählden des Apelles, Apelles, der Mahler der Grazie, war zu Ephesus unter dem rosendüfftigen Ionischen Himmel gebohren, in dem Lande, wo der Vater der Dichter, wie Winkelmann singt, mit der höchsten Grazie vor ihm begabet worden war. Er war einer von den schönsten Geistern, die ie aus dem Elysium der Grazien nach Griechenland versendet worden, wie wir aus den noch aufgezeichneten Begebenheiten seines Lebens wissen. Es kommt hier im lateinischen verdorbenen Texte das Wort Monochromata vor, dieses bedeutet Gemählde von einer Farbe, welche nach dem Plinius gewöhnlicher Weise mit Cinnober gemahlet waren. welchen die Griechen den Mahler der Grazie nennen, fiel ich nieder und betete an, mit einer solchen Feinheit war alles an seinen Gemählden bis zum Leben erhoben, daß man glauben konnte, die Götter hätten alle seine Gemählde, wie die Statue des Pygmalion, mit Geistern vom Himmel lebendig gemacht. – Im Fluge voll Majestät trug hier der Adler den Zeus gen Himmel; dort widerstrebte der blüthenweise Hylas Eine Nymphe raubte dem Herkules seinen Hylas, von seiner bezaubernden Gestalt entflammt. einer brünstigen Naiade; betrübt sah Apollo seine tödende Hand an, und bekränzte die liegende Leyer mit der neugebohrnen Blume. Apollo hatte aus Versehen seinen Liebling Hyacinth getödet, und verwandelte ihn dann in die Blume dieses Namens.

Unter diesen Gemählden der Liebe rief ich hier, als wenn ich allein wäre, aus: »Also beherrscht Amor auch die Götter? Zeus findet nicht in seinem Himmel, was er lieben könne und stillet auf unsrer Erde seine Begierden! Aber Niemanden hat er dadurch etwas zu Leide gethan. – Diese Nymphe, welche den Hylas mit innbrünstigen Armen an ihren kochenden Busen drückt, würde ihre Liebe gezähmt haben, wenn sie gewußt hätte, welchen Schmerz sie dadurch dem Herkules verursachen würde. Apollo verwandelte die Asche des Hyacinth in eine Blume. In allen diesen Gemählden raubet kein Falschherziger dem andern seinen Gatten aus den Armen; aber ich hatte einen Freund, der grausamer war, als Lykurg!« –

Indem ich mich so mit den Lüfften zanke, trat ein grauhaariger Greiß in die Gallerie. Er hatte die Physionomie eines Gelehrten, welche, ich weiß nicht, was Grosses zu versprechen schien; er war nicht wohl gekleidet und man konnte leicht einsehen, daß er von der Classe der Gelehrten sey, welche die Reichen zu hassen pflegen. Wie er zu mir kam, so blieb er stehen und sagte: »Ich bin ein Poet, und, wie ich hoffe, keiner von den kleinen Geistern, wenn man insbesondre den Kränzen trauen darf, welche leider auch den Unwissenden um die Schläfe geflochten werden.« Hier wird der Dichter Eumolp eingeführt,welcher wahrhafftig keinen kleinen Geist hatte, wenn das Gedicht auf den bürgerlichen Krieg von ihm käme. Ueberhaupt ist der Charakter dieses Mannes so gezeichnet, daß er mir bisweilen unnatürlich vorgekommen ist. Aber ein Dichter steht in dem Rufe, daß er die entgegen gesetztesten Dinge thun könne, anders zu handeln, als er spricht, und in grauen Haaren den ausschweifendsten Jüngling zu machen, im Stande sey.

»Warum«, fragt' ich ihn, »gehst du denn aber so zerlumpt einher?«

»Eben deswegen«, gab er zur Antwort, »weil das wahre Genie in den schönen Wissenschafften niemals einen reich gemacht hat –

Wer auch sogar dem falschen Meere traut,
Hat offt dadurch Palläste sich erbaut.
In Sturm und Schlacht kann sich ein Held viel Schätze sammlen:
Und Ehebruch wird theuer offt bezahlt
Von einer Frau, die mit der Keuschheit prahlt:
Der weise Mann allein geht im zerrissnen Kittel,
Man lobet ihn und giebt statt Geld ihm Ehrentittel.

Es ist völlig ausser Zweifel, daß der, welcher von allen Lastern ein Feind ist und den rechten Weg des Lebens geht, zuerst wegen seiner eignen Sitten gehaßt wird; denn wer kann etwas billigen, was nicht mit seinen eigenen Sitten überein kömmt? Und dann verlangen dieienigen, welche nur allein sich bestreben, Reichthümer aufzuthürmen, daß dasienige, was sie besitzen, für das ganze menschliche Geschlecht das beste sey. Man mag also immer auf allerley Art und Weise, so sehr man will, die Liebhaber der schönen Künste und Wissenschafften rühmen und preisen, das Geld wird ihnen bey diesem allen immer doch vorgezogen werden.«

»Ich weiß nicht, wie es kömmt«, antwortet' ich ihm darauf, »daß die Armuth immer eine Schwester eines gesunden Verstandes ist?« – und seufzte dabey. »Mit Recht«, sagte der Greiß, »beseufzest du das Schicksal der Gelehrten!«

»Ach!« sagt' ich, »guter Greiß, das ist nicht die Quelle meiner Seufzer, ein andrer Schmerz tobt in meinem Busen!« und zugleich, wie der Mensch geneigt ist, seine schmerzlichen Empfindungen fremden Ohren vorzuklagen, erzählt' ich ihm mein Schicksal, und vergrösserte insbesondre die Treulosigkeit des Ascylt. Endlich rief ich unter vielen Seufzern: »Ach ich wollte, daß er mir nur meine Wollust geraubt hätte! dann wär' er noch beynahe unschuldig, und könnte verbessert werden; aber so ist er ein alter Strassenräuber, und übertrifft die Lehrer der Buhlereyen.«

Der Alte betrachtete mich, wie einen Jüngling voll Unschuld, wollte mich trösten, und, um meine Traurigkeit zu vermindern, erzählt' er mir seine alten Liebeshändel.

»Ich reiste ehemals«, fieng er zu erzählen an, »in dem Gefolg eines Quästors nach Asien, und bekam mein Quartier zu Pergamus. Mit Vergnügen wohnt' ich in diesem Orte, nicht allein wegen der Reinlichkeit der Häußer, sondern weil mein Wirth einen überaus schönen Sohn hatte.

Ich brannte vor Liebe nach ihm, und suchte nur ein Mittel, wie ich den Verdacht des Vaters deswegen auf mich vermeiden könnte, und glücklich gelang es mir. So offt bey Tische die Rede auf den Gebrauch der schönen Knaben kam, so offt fieng ich an, so hefftig von einem heiligen Zorne zu glühen und wußte mein Gesicht so verdrüßlich und ärgerlich darüber zu machen, daß mich insbesondre die Mutter für noch strenger und verehrungswürdiger als den alten Cato selbst hielt. Schon durft' ich ihn in die Schulen begleiten, sein Studieren einrichten und ihn selbst lehren. Die Sorge wurde mir noch dazu aufgetragen, zu verhüten, daß kein Freybeuter der Schönheit ihn verführen möchte, welches ich mir denn auch sehr angelegen seyn ließ.

Einst lagen wir zu Tische, ein Fest hatte an diesem Tage die Schulen verschlossen, und blieben, weil wir ungewöhnlich vergnügt waren, lange beysammen; und aus Nachlässigkeit und Liebe zur Bequemlichkeit blieb ich und der Knabe liegen. Es war schon um Mitternacht, als ich bemerkte, daß der Knabe noch wache. Schüchtern murmelt' ich darauf das Gelübde zur Venus: »O allmächtige Göttin der Liebe, wenn ich diesen Knaben küssen kann, so daß er's nicht empfinde, so will ich ihm Morgen ein Paar Däubchen schenken!«

Kaum hatte der Knabe den Preiß der Wollust gehöret, so fieng er an zu schnarchen. Sanft naht' ich mich zu ihm, und stahl dem kleinen Heuchler einige Küßchen von den Lippen. Vergnügt über diesen Anfang stand ich sehr früh auf, kauft' ihm ein ausgesuchtes Paar Däubchen, und bracht' es ihm, da er schon darauf wartete, und bezahlte mein Gelübde.

Die Nacht darauf hatt' ich eben eine solche Gelegenheit wieder, ich veränderte den Wunsch, und sagte: »Wenn ich ihn mit einer leichtfertigen Hand betasten kann, und er es nicht empfindet, dann will ich ihm zweene von den allertapfersten Hähnern schenken!« – Bey diesem Gelübde schmiegte sich mein Knabe freywillig an mich, und ich glaube, er befürchtete, daß ich wieder einschlafen möchte. Ich erfüllte also seinen Willen und genoß aller Wollust des Gefühls ausser der höchsten. So bald der Tag erschien, bracht' ich ihm, was ich versprochen hatte, und er war voller Freude darüber.

Die dritte Nacht wurde mir eben so wenig verwehret, ich wandte mich zu dem Ohre des schönen Heuchlers und sagte: »O ihr unsterblichen Götter, wenn ich bey diesem schlummernden Knaben die größte Wollust dieses Lebens werde genossen haben, so will ich für diese Glückseeligkeit dem Knaben den allerbesten Macedonischen Klepper schenken, doch mit dieser Bedingung, daß er es nicht merke.« Mein Zögling lag da, als wenn er gestorben wäre. In meinen Händen schwoll sein milchweicher Busen auf, ich hieng an seinen Lippen und genoß der höchsten Wonne des Lebens.

Den andern Morgen blieb er im Bette liegen und erwartete, daß ich wie gewöhnlich mein Versprechen erfüllen sollte. Du weist aber, daß es leichter ist, ein Paar Däubchen und Hähner zu kaufen, als einen Klepper, und über dieses befürchtete ich noch, daß ein so großes Geschenk meine Philosophie verdächtig machen würde. Ich gieng also einige Stunden spazieren, kam wieder nach Hauße zurück und brachte meinem Knaben weiter nichts, als ein Küßchen mit. Aber er betrachtete mich auf allen Seiten, schmiegte seinen Nacken an meinen, und sagte: »Nun mein lieber Herr, wo hast du denn das Klepperchen?«

»Mein liebes Kind«, antwortet' ich ihm, »ich wollte dir ein schönes Pferdchen kaufen, da ich aber heute keines finden konnte, so muß ich das Geschenk aufschieben, aber binnen wenig Tagen sollst du eines erhalten.« Mein Knabe wußte den Augenblick sehr wohl, was dieses zu bedeuten hätte, und seine Mienen verriethen die innern Betrachtungen seines Geistes darüber.

Unterdessen, da ich glaubte alles verdorben zu haben, was ich gut gemacht hatte, wollt' ich doch versuchen, ob er mir verzeyhen würde. Nach wenig Tagen, da wir uns wieder glücklicher Weise in einer der vorigen Lagen befanden, fieng ich an, da ich merkte, daß der Vater in einen festen Schlaf gefallen war, meinen Ganymed auf das zärtlichste zu bitten, er möchte sich wieder mit mir versöhnen, welches so viel sagen wollte, er möchte mir den Genuß der vorigen Wollust wieder verstatten! und trug ihm, da alles aufrührisch in mir war, die Sache aufs beweglichste vor. Er aber voll von Zorne gab mir keine andre Antwort, als: »Schlafe! oder ich wecke den Vater auf und sag's ihm!«

Es ist nichts so schwer, daß es eine hartnäckige Leidenschafft nicht erhalten sollte. Indem er sagte, ich wecke den Vater auf, umarmt' ich ihn von der Allmacht der Liebe hingerissen, und genoß, ohngeachtet seines verstellten Widerstrebens, unaussprechliche Wollust. Aber nicht mißvergnügt über meine Unenthaltsamkeit beklagt' er sich nur darüber, daß er von seinen Kameraden wäre verspottet worden, weil er zum Voraus ienen Morgen mit meinem Geschenke geprahlt hätte. »Doch du sollst sehen«, fügt' er hinzu, »daß ich dir nicht gleich bin. Hier bin ich zu deinen Diensten! ich will dein Vergnügen nicht stören!«

Alles vorige wurde vergessen und der Liebe zur Befestigung unserer Versöhnung ein Opfer gebracht. Nach Vollendung desselben fiel ich in einen sanften Schlummer. Damit aber war mein Liebling nicht zufrieden, er war in dem Alter, wo der Knabe zum Jünglinge reift, und die Begierden in dem Busen anfangen lebendig zu werden; er weckte mich also auf und sagte: »Ist dir was gefällig?« Noch von Wonne taumelnd war ich im Stande sein Verlangen zu erfüllen, aber der Schweiß lief mir die Stirne darüber herab, und von zu vieler Wonne ganz abgemattet schlief ich wieder ein. Es mochte ohngefehr eine Stunde verflossen seyn, als er mich mit seinem sanften Händchen streichelte, und liebkosend zu mir sagte: »Wollen wir die ganze Nacht fortschlafen? wär' es nicht besser, wenn wir –« Ich wurde so vielmahl aufgeweckt zornig, und sagt' ihm, was er mir erst sagte: »Schlafe! oder ich wecke den Vater auf und sag's ihm!« –

Da diese Erzählung meinen Schmerz ein wenig gelindert hatte, so befragt' ich ihn um das Alter dieser Gemählde, weil er mir ein Kenner zu seyn schien. Er mußte mir auch ferner die Vorstellungen verschiedener Gemählde erklären; dann bat ich ihn, mir die Ursachen der iezigen Unwissenheit zu entdecken, und warum die schönsten Künste in Verfall gekommen wären, unter welchen die Mahlerey nicht einen Funken von ihrem vorigen Glanze übrig behalten hätte.

»Der Geiz nach Gelde«, gab er mir darauf zur Antwort, »hat diese Veränderung hervor gebracht. In den alten Zeiten wurde ein nackendes Genie empor gehoben, die schönen Künste blühten und die Künstler stritten mit dem größten Feuer um die Wette, Erfindungen für die künftigen Jahrhunderte zu machen. Demokrit untersuchte die Säffte aller Kräuter durch die Destillirung, und erforschte das Wesen der Pflanzen und Steine, und brachte mit diesen Erfahrungen sein ganzes langes Leben zu. Eudox wurde zum Greiße auf dem Gipfel des höchsten Berges, damit er die Bewegung der Gestirn' am Himmel genau berechnen könne; und Chrysipp reinigte seinen Geist dreymahl mit Nieswurz, damit er in seinen Erfindungen nicht von dem Irrdischen, das ihm anklebte, verhindert würde.

Und damit ich auf die Bildhauerey komme, Lysipp, Lysipp, einer der allergrößten Künstler der Griechen unter der Regierung Alexanders des Großen, suchte die Natur selbst nachzuahmen, und folgte seinen Vorgängern nur in so weit sie dieselbe erreichet, oder sich weislich über dieselbe erhoben hatten. Plinius setzet die Blüthe desselben in die hundert und vierzehnte Olympias. Von seinen Werken ist nichts erhalten, auch nichts künftig zu hoffen, da dieselben von Erzte gewesen sind. Winkelmann in der Ges. d. K. an verschiedenen Orten. indem er eine von seinen bewundernswürdigen Statuen bis zum Leben erheben wollte, starb vor Armuth über dieser göttlichen Arbeit; und Myron, Myron hat vornehmlich in Erzt gearbeitet. Unter seinen Werken ist seine Kuh das berühmteste. Man weiß die Zeit nicht gewiß, in welcher er gelebt hat; vermuthlich lange vor dem Phidias, wenn Erinna, die kurz nach dem Anakreon zu den Zeiten der Sappho lebte, das bekannte Sinngedicht daraufgemacht hat. welcher seinen Menschen von Thieren von Erzt Seelen gegeben hatte, fand keinen Erben. Aber wir in Wein und Hurerey versunken, wagen es nicht einmahl, die ererbten Künste zu untersuchen! Nur allein spotten wir über das Alterthum und lehren und lernen Fehler.

Wo findet man eine gesunde Dialectik? und wo richtige Astronomie? Der wahre Weg zur Weisheit ist verlohren. Wo kömmt Iemand in den Tempel, und thut ein Gelübde, um die Beredtsamkeit zu erlangen? Wer, um die reine Quelle der Weisheit zu finden? Man bittet nicht einmahl um guten Verstand und gute Gesundheit, sondern, so bald man die Schwelle des Kapitels berührt, verspricht dieser ein Geschenk, wenn er einen reichen Anverwandten hinaustragen lassen würde, und iener, wenn er einen Schatz fände, und noch ein andrer, wenn er glücklich drey Millionen zusammen gebracht hätte.

Selbst der Senat, der Lehrer des Rechten und Guten, pflegt tausend Pfund Goldes auf dem Kapitole zu versprechen, und will den Iupiter damit erbitten, damit ia Niemand Bedenken trage, Geld von ihm zu begehren. – Verwundere dich also nicht darüber, daß die Mahlerey vernachlässiget worden ist, da allen Göttern und Menschen ein Klumpen Gold eine weit grössere Schönheit zu seyn scheinet, als alles, was Apelles und Phidias, phantasierende Griechlein, gemacht haben.

Aber ich sehe dich deine ganze Aufmerksamkeit auf ienes Gemählde hefften, welches die Verheerung von Troia vorstellet. Ich will einmal versuchen, ob ich dir es in Versen erklären kann. Dieses Gedicht scheint eine Satyre auf den Nero zu seyn, obgleich einige sehr schöne Stellen sich darinnen befinden. Nero soll nach dem Zeugniß einiger Alten auch wirklich ein Gedicht darauf gemacht haben. Uebrigens wiederhohl' ich, was ich schon von dem Eumolp gesagt habe. Petron hätte sein Gedicht über den bürgerlichen Krieg nicht von dem Eumolp machen lassen sollen; oder dieses nicht; oder seine geile Handlung am Ende.

Ich hoffe, daß allen, die diese Uebersetzung lesen, die Umstände von der Eroberung von Troia, welche so unzählige mahl besungen und beschrieben worden sind, bekannt seyn werden, und daß es unnöthig sey, sie hier noch einmahl zu beschreiben.

Schon kam zum zehntenmal der Sommer wieder,
Und eingekerkert noch in ihre Mauren
Erzitterten die Phrygier vor den Griechen,
Und diese fiengen an voll Furcht zu zweifeln,
An dem, was Kalchas hatte wahrgesaget:
Als auf des Delius Apoll' Orakel
Die Eichen sich von Idas Gipfel stürzten,
Wovon die Griechen nun ein Pferd sich bauten,
In dessen langen ungeheuren Seiten
Ein ganzes Lager sich verbergen konnte.
Drauf schrieben sie: Gewidmet der Minerva!
Erzürnet über die zehnjähr'gen Schlachten
Verbargen sich hinein der Griechen Helden. –
Iezt glaubten wir, die tausend Schiffe flögen
Schon über's hohe Meer: nun sey befreyet
Vom Krieg das Vaterland! – uns log die Aufschrifft
Des Pferd's und der zu unserm Untergange
Bestochne Sinon, unser Wahn sey Wahrheit.
Ganz Troia lief nun frey aus seinen Thoren,
Um das Geschenk der Griechen zu betrachten.
Da rollten Freudenzähren von den Wangen –
Die Freude der betrübten Seelen weinet –
Dem ganzen Volk, und im erhob'nen Busen
Schlug wieder frey das Herz seit vielen Jahren.
Auf einmahl kam mit aufgelösten Haaren
Laokoon, der Priester des Neptunus,
Und drang sich schreyend durch die Menge.
Iezt warf er einen Spieß in'n Bauch des Pferdes,
Allein das Schicksal schwächte seine Hände,
Absprang der Spieß und stärkt' uns in dem Wahne.
Doch muthig stärkt' er seine Nerven wieder,
Und hieb mit einem Beil' in dessen Seiten –
Ein Schauer überfiel die Helden drinnen
Und aus dem Pferde fuhr ein dunkles Murmeln,
Allein man hielt es für ein heilig Schnauben. –
Das Pferd und die darinn gefangnen Helden
Fieng man nun an, nach Troia hinzuziehen,
Auf daß mit unerhöhretem Betrüge
Dem Kriege sie ein Ende machen könnten. –

Doch sieh, indem's geschieht, ein neues Wunder!
Dort wo das hohe Tenedos die Wogen
Mit seinem Felsenrücken von sich schüttelt,
Daß von der Tiefe sie zurücke prallen,
Die Fluth aufschwillt und sich in Schaum verwandelt,
Und wie bey stiller Nacht der Schlag der Ruder
Vom weiten einer ganzen Flotte rauschet –
Hier sehen wir zwo Schlangen Fluthen werfen
Hoch mit verschlungnen Kreisen an die Felsen –
Sie gleichen aufgeschwollen hohen Schiffen! Ein todes colossalisches Bild; besser Virgil: Mit ungeheuren Kreisen liegen die Drachen auf dem Oceane.
Aufstrudelt hier der Schaum an ihren Leibern!
Die Schwänze klatschen! ihre Mähnen ragen
Mit rothen Feuerstrahlen aus dem Meere!
Von ihren Blitzen brennen alle Wogen,
Von ihrem Zischen zittern alle Wogen Beym Virgil sehen wir in unsrer Phantasie die fürchterlichen Schlangen selbst, hier aber können wir sie vor dem Zischen und ihren Flammen nicht hören und sehen. Man sieht sehr deutlich, daß hier Petron oder Eumolp oder Nero die Beschreibung Virgils und nicht die Drachen selbst sich vorgestellt hat.
Und aller Augen stehen starr und staunen.
In ihre heil'gen phrygischen Gewänder
Gekleidet standen da Laokoons Söhne,
Zwey Pfänder von der allerreinsten Liebe,
Und plötzlich haben sie die glühnden Schlangen
Umwunden! – o wie strecken sie die Händchen
Nach Hülf empor! ach keiner kann sich helfen!
Ach ieder jammert über seinen Bruder!
Und ieder stirbt aus Furcht für seinen Bruder! Hier ist die Leidenschafft übertrieben, kein Knabe kann die Empfindung des eignen Schmerzes so sehr verleugnen. Leßing in seinem Laokoon hat dieses schon bemerkt, wie ieder es bemerken wird, der das menschliche Herz kennt.
Der schwache Vater eilet sie zu retten –
Sie dehnen hoch sich über seine Kinder,
Ergreifen ihn und ziehen ihn darnieder,
Und winden ihren Gifft in iede Nerve!
Da liegt der Priester am Altar ein Opfer
Mit seinen Söhnen durch und durch umwunden
Und sträubet sich, und wälzt sich auf der Erde. Ein enges Gemählde, wo sich ieder den Laokoon in ieder Lage vorstellen kann, in welcher er will; der einzige Vers vom Virgil: Er sträubt sich, mit den Händen die Schlingen zu zerreissen, ist mehr werth, als alle diese brittisch poetische Beschreibungen.
O Ilion hier hast du deine Götter
Geschändet, und mit ihm zugleich verlohren!

Schon zeigt im vollen Silberglanze Luna
Ihr Angesicht, und führt herauf an Himmel
In stiller Majestät die kleinren Sterne –
Und Troia war von Schlaf und Wein begraben.

Iezt machten los des Pferdes innre Riegel
Die Helden, sprangen 'raus zum Kampf gerüstet,
Und fochten sich zu üben mit den Lüfften.
So schüttelt ein Thessal'scher Hengst die Mähne
Befreyet von dem Dunkel seines Stalles,
Und stampft, noch eh er flieget, mit den Hufen.
Und Schwerd und Schild in seinen tapfern Händen
Anfället der die schlafenden Troianer,
Und schicket sie bezecht zu Proserpinen –
Die Fackel zündet der an am Altare
Und ruft die Götter Troiens wider Troia.« – Dieses Gemählde muß ziemlich groß gewesen seyn.

Diejenigen, welche in der Gallerie herum spazierten, fiengen iezt an, mit Steinen nach dem declamirenden Eumolp zu werfen. Er aber, weil er offt mit dieser Art von Beyfall war beehret worden, verhüllte sein Haupt und floh zum Tempel hinaus. Ich voll Furcht, daß man mich auch für einen Poeten halten möchte, floh ihm nach und hohlt' ihn endlich am Ufer wieder ein; und wie wir nun ausser Gefahr waren, sagt' ich zu ihm: »Ich bitte dich! was hast du für eine abscheuliche Krankheit an dir? du bist noch nicht zwo Stunden bey mir gewesen, und hast mehr poetisch, als menschlich mit mir gesprochen. Ich verwundere mich also gar nicht darüber, daß dich der Pöbel mit Steinen verfolgt. Ich selbst will meinen Busen mit Steinen beschweren, und, so offt du aus dem Häußchen kommst, dir an deinem Kopf ein wenig zur Ader lassen!«

Sein Gesicht veränderte sich darüber, und: »O mein lieber Jüngling«, antwortet' er mir, »nicht heute zum erstenmahl hab' ich diese Lobeserhebungen erhalten, sondern so offt ich auf das Theater getreten bin, um etwas herzusagen, so offt pflegt mich ein Haufe auf diese Art zu bewillkommen. Uebrigens, damit ich mich nicht auch mit dir den ganzen Tag zanken müsse, will ich mich dieser Speise enthalten.«

»Wohl!« sagt' ich, »wenn du die heutige poetische Wuth verschwörst, so wollen wir zusammen speisen!« Zugleich befahl ich dem Kellner von meinem Quartiere, die Mahlzeit zurichten zu lassen; und darauf giengen wir in's Bad.

Hier erblickt ich den Giton niedergeschlagen und verwirrt mit Reibetüchern und Schabezeugen an die Wand gelehnt. Es schien, als wenn ihm sein neuer Dienst gar nicht anstünde. Wie ich ihn genauer betrachtete, so wandt' er sein Gesicht zu mir, welches sonst immer der Sitz der Freude war, und sagte: »O lieber Bruder habe Mitleiden mit mir! Hier sind keine Schwerder, hier darf ich frey reden! Entreisse mich dem blutigen Strassenräuber! und bestrafe den Giton voll Reue, daß er wider dich ein Urtheil fällte, mit aller Strenge! Für mich Elenden wird dieses Trost genug seyn, wenn ich auf deinen Befehl gezüchtiget werde.« –

Ich befahl ihm, hier seine Klagen zu unterdrücken, damit uns nicht Iemand bemerke; verließ den Eumolp – denn dieser declamirte den Badgästen ein Gedicht her – zog den Giton durch eine dunkle und schmuzige Schleusse, und floge mit ihm in mein Quartier. Darauf verschloß ich die Thüren, drückte seinen Busen inbrünstig an meinen, und wir küßten einander tausend Zähren der Wollust von den Lippen. Lange konnte keiner ein Wort hervorbringen; dem liebenswürdigsten Knaben hatte das häufige Schluchzen beynahe die schöne Brust zersprengt. – »O welch eine unwürdige Handlung!« rief ich hier aus, »wie sehr lieb' ich dich, ob du mich gleich verlassen hast! In dieser Brust war eine ungeheure Wunde! lezt ist sogar die Narbe davon verschwunden. Was sagest du dazu kleiner Flüchtling? War ich dieser Verachtung werth?« –

Nachdem er seine Obermacht über mich wieder empfand, so hob er die Stirn etwas höher empor. »Aber«, sagt ich, »ich habe keinen andern zum Schiedsrichter erwählt, wie sehr ich dich liebe. Ich beklage mich über nichts! Ich denk' an nichts! wenn du es nur wieder gut zu machen suchst!«

Da ich dieses unter Seufzern und Thränen gesagt hatte, so trocknet' er mir mit dem Mantel das Gesicht ab und sagte dabey: »Ich bitte dich lieber Enkolp! bedenke nur noch einmahl, wie es zugegangen ist! Hab' ich dich verlassen? oder hast du mich dazu gezwungen? Ich will dir es aufrichtig gestehen, und offenherzig bekennen, da ihr zweene gut bewaffnet um mich strittet, so floh ich zu dem Stärkern.«

Ich küßte die klugheitvolle Brust, und warf die Hände um seinen Nacken, und damit er desto leichter einsehen möchte, daß ich nicht den geringsten Groll mehr wider ihn habe, so umarmt' ich ihn mit der hefftigsten Zärtlichkeit zum besten Beweise unsrer wieder auflebenden Freundschafft.

Schon war die völlige Nacht hereingebrochen, und die Köchin hatte das Essen zubereitet, als Eumolp an die Thüre klopfte. Ich fragte: »Wie viel sind ihrer?« und guckte aufs behutsamste durch einen Spalt der Thüre, ob irgend Ascylt mit zugegen wäre. So bald ich sah, daß es mein Gast allein sey, macht' ich den Augenblick auf. Wie er sich in ein Ruhebettchen geworfen hatte, und den schönen Giton aufwarten sah, so nickte er freundlich mit dem Kopfe, und sagte: »Dieser Ganymed verdient, daß man ihn lobe! Heute müssen wir wohl leben!«

Dieser neugierige Anfang war mir eben nicht sonderlich angenehm, und ich befürchtete, mit eben einem solchen Gesellen, wie Ascylt sey, Bekanntschafft gemacht zu haben. Der Poet gieng weiter; und da ihm der Knabe einen Becher gereicht hatte, so sagte er: »Du bist mir lieber, als das ganze Bad!« Hitzig leert' er ihn aus, und sagte, daß er niemals einen so brennenden Durst gehabt hätte. »Denn indem ich noch bade«, fuhr er fort, »hab' ich beynahe Prügel erhalten, weil ich mich unterstand, denen, die um das Bad herumsassen, ein Gedicht herzusagen; und nachdem ich aus dem Bade, wie von einem Theater hinaus gejagt wurde, so fieng ich an, in allen Winkeln herum zu kriechen, und mit heller Stimme zu rufen: Enkolpion!

Auf der andern Seite schrye ein nackender Jüngling, welcher seine Kleider verlohren hatte, wo nicht noch stärker, als ich, nach einem gewissen Giton. Die Knaben verspotteten mich, als einen Erznarren, und äfften mir auf die muthwilligste Art alles nach. Ienen aber umgab ein entsetzlicher Haufe mit Händeklatschen und einer schüchternen Bewundrung; denn die Natur hatte ihn so verschwendrisch und Hengstmäßig mit einem gewißen Gliede begabt, daß sein ganzer übriger Leib nur ein Anhang davon zu seyn schien. O welch ein allmächtiger Jüngling war das! Ich glaube, daß, wenn er heute anfängt, er morgen erst aufhöret. Man kam ihm auch gleich zu Hülfe. Ich weiß nicht, was für ein ehrloser römischer Ritter, wie man ihn nannte, bedeckte den herumirrenden mit seinem Kleide, und führt' ihn mit sich nach Hauße. Ich glaube, daß er diesen großen Schatz allein benutzen wollte. Ich aber hätte nicht einmahl meine Kleider von dem jungen Aufwärter wieder erhalten, wenn ich nicht einen Zeugen hervor gefuhrt hätte. – Hier kann man sehen, wie viel eher man sein Glück machen kann, wenn man mit den Talenten eines Esels, als mit dem Genie seinem Nächsten beyzustehen im Stande ist.« –

Während der Zeit, da Eumolp dieses sagte, verändert' ich sehr offt mein Gesicht; nämlich bey den Beschimpfungen meines Feindes war ich heiter, und bey seinem Glücke traurig. Bey diesem allen aber schwieg ich stille, als wenn mich die Sache gar nicht beträfe, und erzählte dem Eumolp, was wir speisen würden.

Kaum hatt' ich aufgehört zu reden, so wurde die kleine Mahlzeit aufgetragen. Es waren gemeine, aber gesunde und nahrhaffte Speisen, welche Eumolp hungrig hinunter schluckte. Wie er satt war, so fieng er an, sich über die Philosophen herzumachen, und spottete bitter und beissend auf dieienigen, welche alles, was gemein ist, verachten, und nur allein das Seltene schätzen. Er sagte: »Das ist ein sichrer Beweis von einer verdorbenen Seele, wenn man das, was erlaubt ist, gering schätzt und nach dem Schwerern immer eifriger strebet.

Was ich verlange, darf nicht fliegen mir entgegen!
Das ist kein Sieg, wo sich der Feind zu leicht ergiebt!
Die Vögel, die am Phasis Eyer legen,
Und tief in Afrika, ist's was die Zunge liebt.
Die weise Gans kann nur den Pöbel laben –
Er mag sie mit der Barb' und bunten Ente haben.
Für fein're Gäume wird der Skar Der Skar gehörte unter die deliciae der Römer, Ennius nannt' ihn zu poetisch: Hirn des Zeus. Die lateinischen Dichter haben seiner offt Erwehnung gethan. Er kommt noch einigemahl in der Folge vor.
Gefangen an entfernten Küsten!
Und was dem Schiffbruch kaum entronnen war,
Kann edle Zungen nur gelüsten!
Die Rose schämet sich bey'm schönen Cinnamus,
Ein Weib giebt keinen süssen Kuß,
Entzücken fliest allein von einer Phryne Lippen!
Das was man liebt und sucht steckt hinter spitzen Klippen.«

»So?« sagt' ich, »ist das dein Versprechen, daß du heute keinen Vers machen wolltest? Ich bitte dich um aller Götter Willen! Schone wenigstens unsrer, die wir dich niemals gesteiniget haben! Wenn einer von den hiesigen Gästen nur den Namen Poet wird gerochen haben, so hetzt er die ganze Nachbarschafft auf, und wir sind alle zusammen verlohren! Erbarm dich unsrer! Erinnere dich nur einmahl der Bildergallerie und des Bades!«

Giton, der sanfteste Knabe, fieng an, mit mir zu zanken, daß ich das sagte, und behauptete, es sey nicht recht, daß ich einem Aeltern so begegnete. Ich sollte doch bedenken, daß ich die Mahlzeit, welche ich ihm so freundlich vorgesetzt hätte, mit dergleichen Beschimpfungen wieder wegnähme; und fügte noch mehreres hinzu, welches ihm Unschuld und Schaamhafftigkeit eingab. Sein reizendes Gesicht glühte von einem edlen Unwillen auf, und er stand leibhafftig wie ein junger Apollo da. –

»Glückseelig«, rief hier Eumolp begeistert aus, »glückseelig ist die Mutter, die dich gebohren hat! Sey mir gesegnet mein Sohn! Weisheit und Schönheit ist ausserordentlicher Weise in dir vereiniget! Nein! umsonst sollst du diese Worte nicht gesagt haben! du hast meine ganze Liebe dadurch gewonnen. Meine Gedichte will ich mit deinen Lobeserhebungen anfüllen! Ich will dein Lehrer und dein Begleiter seyn, und will dir auch dahin nachfolgen, wohin du mir es nicht wirst befohlen haben! Und Enkolp soll dadurch nicht in seiner Glückseeligkeit gestört werden, denn er liebt einen andern.« Vermuthlich hatte Enkolp dem Eumolp den Namen seines Lieblings nicht gesagt, und ihn auch nicht deutlich genug beschrieben, da er ihm sein Unglück klagte.

Eumolp hatte von Glück zu sagen, daß mir iener Soldat das Schwerd abgenommen hatte; denn sonst würd' ich ihn mit eben der Wuth, mit welcher ich den Ascylt aufsuchte, ermordet haben. Giton irrte sich auch nicht hierinnen; er gieng die Stube hinaus, als wenn er nach Wasser gienge und löschte meinen Zorn durch seine klügliche Abwesenheit aus. Nachdem meine Wuth wieder ein wenig besänftiget war, so sagt' ich: »Eumolp, lieber will ich, daß du in Gedichten mit mir sprichst, als daß du dir dergleichen Dinge vorsetzest! Ich bin von Natur sehr zornig und du sehr verliebt; du wirst selbst sehen, daß wir uns in dieser Verfassung nicht zusammen schicken. Bilde dir also ein, ich wäre rasend: Weiche meiner Raserey! das ist: Gehe so geschwind, als du kannst, zur Thür hinaus!«–

Eumolp wurde ganz bestürzt über diesen Antrag, verlangte nicht, die Ursache meines Zorns zu wissen, gieng den Augenblick zur Thür hinaus, verriegelte sie plötzlich, sperrte mich, der ich nichts weniger erwartete, ein, nahm den Schlüssel zu sich und lief, den Giton aufzusuchen.

Wie ich eingesperrt war, so faßt' ich den kurzen Endschluß, mich aufzuhängen, befestigte meinen Gürtel an einen Pfeiler der Mauer, wo das Bett stand, schon band ich damit einen Knoten mir um den Hals, als die Thür aufgieng und Eumolp mit dem Giton hereintrat, und mich von der Grenze meines Lebens wieder zurücke führte. Giton wurde für Schmerz wüthend, riß mich mit beyden Händen herab, und stürzte mich aufs Bett. »Du irrest dich sehr Enkolp«, sagt' er, »wenn du glaubest, so glücklich zu seyn, vor mir zu sterben! Ich war es eher Willens! schon sucht' ich ein Schwerd in der Wohnung des Ascylt! Und wenn ich dich nicht wieder gefunden hätte, so würd' ich mich schon iezt von einem Felsen herab gestürzt haben. Und damit du wissen mögest, daß man den Tod finden könne, wenn man wolle, so erblicke hier, was ich nach deinem Vorsatz erblicken sollte!«

Kaum hatt' er dieses gesagt, so riß er dem Lohnbedienten des Eumolp, welcher mit ihnen zugleich herein getreten war, ein Scheermesser aus der Hand, hieb sich einmahl und noch einmahl damit in die Gurgel, und stürzte vor unsre Füße. – Ich erhob ein Zetergeschrey, stürzte auf ihn, und suchte mit eben diesem Messer den Tod. Allein beym Giton war keine Spur von einer Wunde zu bemerken, und ich selbst empfand auch keinen Schmerz; denn das Messer hatte keine Schneide, und war deswegen in der Tasche des Bedienten abgestumpft, damit die Lehrlinge dadurch ohne Furcht das Bartabscheeren lernen sollten. Also erschrack der Bediente nicht darüber, wie es ihm Giton aus der Hand riß, und Eumolp widersetzte sich auch diesem theatralischen Tode nicht.

Indem wir Verliebten diese Tragödie spielen, kam der Wirth mit noch einem Gerichte dazu, und wie er uns in diesen Stellungen und alles in einem abscheulichen Wirrwarr umher liegen sah, so sagt' er zu uns: »Seyd ihr besoffen? oder Spitzbuben? oder alles beydes? – Wer hat das Ruhebett dort in die Höhe gerichtet? Wer hat so diebisch alles unter einander geworfen? Ihr habt gewiß mit der Bezahlung bey Nacht durchgehen wollen? Aber es soll euch übel bekommen! Ich will euch lehren, mit wem ihr zu thun habt! Ich will euch zeigen, daß ich keine Wittwe, sondern Marx Manitius bin!« –

»Was?« rief Eumolp, »du willst uns drohen?« und hohlte weit aus und gab ihm aus Leibeskräfften eine Ohrfeige. Der Wirth aber nicht faul warf ihm einen großen leeren Krug an den Kopf und damit ein Loch in die Stirne, und sprang über Hals und über Kopf zur Thür hinaus. Eumolpen verdroß diese Beschimpfung, er ergriff voller Ungedult einen hölzernen Leuchter, lief hinter ihn drein, und rächte mit unzähligen Prügeln seine verwundete Stirne. Das ganze Hauß und alles, was darinnen besoffen war, lief zusammen. Ich aber ließ die Gelegenheit, mich an dem Eumolp zu rächen, nicht entwischen; so bald er draussen war, schloß ich die Thür zu, vergalt dem Unbesonnenen gleiches mit gleichem, und bediente mich meines Zimmers und der Nacht ohne Nebenbuhler.

Unterdessen prügelten alle Köche und alles Haußgesinde auf den ausgesperrten Poeten los; der eine schlug ihm mit einem Bratspieße, an welchem noch siedender Braten hieng, nach den Augen, und ein anderer fiel ihn mit einer Gabel aus der Fleischkammer an. Insbesondre kam ein altes triefäugiges Weib, in einem durchlöcherten und zerlumpten Rocke und zweyerley hölzernen Pantoffeln, mit einem entsetzlich ungeheuren Kettenhunde, und hetzte ihn, wie eine alte Hexe auf den Eumolp; er aber fochte wie ein Herkules, und schlug sich glücklich mit seinem hölzernen Leuchter durch.

Wir sahen diesem allen durch ein Loch in der Thür zu, welches kurz vorher entstanden war, da man die Thür aus ihren Angeln gerissen hatte, und ich gönnte dem Poeten die Prügel. Giton aber konnte unmöglich sein Mitleiden unterdrücken, er bat mich, ich möchte die Thür aufmachen, wir müßten ihm in dieser Gefahr zu Hülfe kommen. Mein Zorn hatte sich noch nicht gänzlich gelegt, und ich konnte mich darauf nicht enthalten, ihm mit zusammen gebogenem Zeigefinger einen Schneller auf den Kopf zu geben. Die Thränen fielen ihm darüber aus den Augen und weinend setzt' er sich nieder aufs Bett. Ich aber guckte bald mit dem oder bald mit dem andern Auge durch die Thür, und wünschte denen Beystand, welche den Eumolp prügelten; es war mir eine rechte Augenweide.

Indem kam Bargates, der Richter in dieser Gegend, welchen man von seiner Mahlzeit in einer Sänfte hatte herbey tragen lassen; denn er hatte das Podagra. Dieser, nachdem er lange mit rauher und barbarischer Stimme eine Strafrede auf die Besoffenen und die Durchgeher gehalten hatte, erblickte auf einmahl den Eumolp und rief: »O du vortrefflichster unter allen Poeten, du warst es? und diese Hunde von Sklaven gehen nicht den Augenblick fort, und enthalten sich nicht des Streites wider dich?« – Darauf gieng er zum Eumolp, und sagt' ihm leis' in's Ohr: »Meine Beyschläferin verachtet mich; wenn du mich liebest, so mach' ein Pasquill in Versen auf sie, daß sie sich schäme!«

Da noch Eumolp und Bargat sich insgeheim unterhalten, so kam ein Ausrufer mit einem Stadtknechte und keiner kleinen Menge Volkes in das Wirthshauß, und schrye, indem er eine Fackel schüttelte, die mehr Rauch als Licht von sich gab –

Ein Knabe, von ohngefehr achtzehen Jahren,
hat sich kurz zuvor im Bade verlohren. Er ist
krauß, zart und schön, mit Namen Giton!
Wer ihn wiedergeben oder anzeigen wird,
soll hundert Thaler empfangen!

Nicht weit vom Ausrufer stand Ascylt in einem vielfarbigen Gewande und trug in einer silbernen Schüssel zur Sicherheit zugleich die Belohnung. Man mußte in einem solchen Gewand' erscheinen, wenn man mit dem Willen der Obrigkeit etwas aufsuchte. Suchte man etwas auf, welches man in ein Gewand verstecken konnte, so mußte man nackend kommen, ausser einem Schurze vor den Theilen des Leibes, weswegen wir sündlichen Menschen uns zu schämen pflegen, und andern ein Aergerniß geben; zur Sicherheit der Jungfrauen, Frauen und ältlichen Matronen und der unschuldigen schönen Knaben. Doch war dieses nur in Rom gewöhnlich, bey den Griechen war man nicht so einfältig, daß man nicht hätte wissen sollen, was unter einem Stückchen Tuche verborgen sey.

Ich befahl dem Giton, daß er geschwind unter das Bett kriechen und Füsse und Hände in die Gurte stecken solle, welche das Bett trugen, um sich daran, wie ehemals Ulysses an einem Widder, vor den Händen seiner Sucher zu verstecken.

Giton verzögerte nicht einen Augenblick, dem Befehle zu gehorchen, steckte Hände und Füsse in die Bänder und übertraf den Ulysses an List und Geschicklichkeit dabey. Endlich legt' ich noch Kleider aufs Bett, um allen Verdacht zu vermeiden, und legte mich hinein, um ein Lager darinn nach meiner Grösse zu machen.

Unterdessen da Ascylt mit dem Stadtknechte alle Zimmer untersucht hatte, so kam er auch zu dem meinigen, auf welches er seine meiste Hoffnung setzte, weil er die Thüren sehr fest verschlossen fand. Der Knecht zwängte sie gleich mit seinen Beilen von einander.

Darauffiel ich dem Ascylt zu Füssen, und bat ihn bey unsrer alten Freundschafft und Verbindung in allen Gefährlichkeiten, daß er mir wenigstens nur noch einmahl meinen Liebling möchte sehen lassen; und damit er diese Bitten für wahrhafftig halten möchte, so fuhr ich ferner fort: »Aber ich weiß, daß du gekommen bist, mich umzubringen, denn wozu hättest du sonst die Beile mitgebracht? Sättige deine Wuth! Hier ist der Nacken, welchen du unter dem Vorwand einer Untersuchung hast abschlagen wollen! Hier ist er! Stille deinen Blutdurst!«

Ascylt lehnte dieses sehr von sich ab, und sagte, daß er nichts anders als seinen Flüchtling aufsuche, und den Tod keines Menschen begehre, insbesondre den meinigen in dieser Stellung, da er mich nach ienem unseeligen Streite auf das zärtlichste wieder liebte.

Unterdessen aber legte der Stadtknecht die Hände nicht in den Schoos, sondern fuhr mit einem Rohre, welches er dem Wirthe genommen hatte, unter das Bett, und untersuchte alle Löcher an der Wand. Giton vermied auf das schlaueste alle Stösse, hielt furchtsamlich den Athem an sich, und eckelte sich so gar nicht, die Wanzen über sein Gesichtchen laufen zu lassen.

Kaum waren sie hinaus, so brach Eumolp voll Zorn herein, weil die Thür ausser Stande war, zugeschlossen zu werden und rief: »Ich kann hundert Thaler erhalten, gleich werd' ich dem Ausrufer nachlaufen und ihm sagen, daß du den Giton hast; du bist nicht werth, daß ich es verschweige!«

Schon wollt' er fort. Ich umpfieng seine Kniee und beschwor ihn, daß er uns halbtode nicht vollends um's Leben bringen möchte; ich sagt' ihm, daß er mit Recht mich verrathen könne, wenn es ihm was nützen würde; der Knabe sey im Lärm davon gelaufen, und die Götter wüßten allein, wo er iezt wäre. »Ich bitte dich Eumolp, so sehr ich kann,« fuhr ich fort, »schaffe mir entweder den Knaben wieder oder übergieb ihn wenigstens dem Ascylt, wenn du ihn findest!« –

Schon hatt' ich ihn so weit gebracht, daß er es glaubte, als Giton, bey welchem sich zu viele Lebensgeister versammlet hatten, dreymahl nach einander so hefftig nieste, daß das Bett davon erschüttert wurde. Eumolp kehrte sich nach dem Bette zu, und sagte: »Gott helfe dir Giton!« daraufhob er die Bettdecke auf, und erblickte denn den Ulysses, welchen auch so gar ein hungriger Cyklope hätte schonen können.

Darauf wandt' er sich zu mir, und sagte: »Räuber! was ist das? Ertappt hast du mir nicht einmahl die Wahrheit gestehen wollen? Ja! wenn GOtt, der Schiedsrichter der menschlichen Dinge, dem hängenden Knaben nicht ein Anzeichen ausgepreßt hätte, so würd' ich iezt zum Spott in den Schenken herum laufen!« – Aber Giton, ein weit größrer Schmeichler, als ich, kam hervor und verband die Wunde an seiner Stirne mit Spinnewebe in Oel getaucht, drückte sie zusammen, vertauschte sein Mäntelchen mit seinem zerrissenen Rocke, umarmt' ihn, da er schon besänftigt war, und gab ihm Küßchen, welche ihm, wie Balsam seinen Wunden, waren; und sagte dabey: »O Väterchen in deinem Schutze sind wir iezt! Ach! wenn du deinen Giton liebst, so wolle ihn doch erretten! – O wenn doch rächerisches Feuer vom Himmel fiel und mich verzehrte! O wenn doch das ungestümme Meer mit seinen Wogen mich zu sich riß! Ich allein bin der Stoff zu allen diesen Verbrechen! ich allein bin die Ursache! Ach! mein Tod würde den Frieden unter den Feinden wieder herstellen!« –

Unsere unseelige Beschwerlichkeiten rührten den Eumolp; insbesondre hatten Gitons Schmeicheleyen den stärksten Eindruck auf ihn gemacht. »Gewiß!« sagt' er, »ihr seyd Erznarren! Ihr habt alle Vollkommenheiten, um glückseelig zu seyn und doch führt ihr ein höchst mühseeliges Leben, und kreuziget mit iedem Tag' euch freywillig aufs neue. O nehmt doch ein Beyspiel an mir! Ich lebe iederzeit so, und habe aller Orten so gelebt, daß ich ieden gegenwärtigen Tag als unwiederkommlich genoß, das ist, in aller Seelenruhe. Wenn ihr mir nachleben wollet, so verbannt die Sorge aus euren Geistern. Ascylt verfolgt euch; fliehet ihn! – Ich will iezt in auswärtige Gegenden reisen, reiset mit mir. Vielleicht reis' ich schon künftigen Morgen mit einem Schiffe ab, ich bin darauf sehr wohl bekannt, man wird uns alle mit dem größten Vergnügen aufnehmen.«

Der Rath schien mir sehr weise und ersprießlich zu seyn, weil er mich von den Beunruhigungen des Ascylt befreyte und ein glückseeligeres Leben versprach. Die edle Denkungsart Eumolps zwang mich, das Unrecht zu bereuen, welches ich ihm diesen Abend erwiesen hatte, und ich verdammte meine Eyfersucht, welche Schuld an allem war.

Nachdem ich einen ganzen Strom von Thränen vergossen, bat ich ihn auf das beweglichste, daß er sich wieder mit mir versöhnen möchte. Ich sagt' ihm, daß es nicht in der Verliebten Gewalt stehe, die Wuth der Eyfersucht zu zäumen, und daß ich mir alle Mühe geben wolle, nichts mehr zu sagen oder zu thun, was ihn beleidigen könne, und er möchte, als ein weiser Mann diese Schwachheiten einem Sterblichen verzeyhen, und alle Feindseeligkeiten in seiner Seele auslöschen. »Der Schnee«, fuhr ich ferner fort, »bleibt länger auf unbaubaren felsigten Gegenden liegen, aber auf einem fruchtbaren gepflügten Lande zerschmilzt ihn der Hauch von einem lauen Windchen. So ist es mit dem Zorn im Herzen; in einem rohen Busen hängt er mit Wiederhacken fest, in einem sanften Herzen aber gleitet er immer aus.« – Nichts kann wahrer seyn! – Man kann viel daraus schließen! insbesondre wenn man mit diesem Satze die Religionen beleuchtet, welche die Weisen, so lange wir in der Geschichte lesen können, auf dieser Erde am hefftigsten verfolgt haben. – Burmann hat diese Stelle nicht erklärt.

»Damit du dich völlig von der Wahrheit dessen überzeugen mögest, was du sagest«, antwortet' Eumolp, »so will ich mit einem Kuße unsre Versöhnung versiegeln. – Wohl bekomm' es uns! – Bringt eure Sachen in Ordnung und folgt mir! oder wenn ihr lieber wollet, führt mich!« –

Er hatte noch nicht ausgeredet, so klopfte lemand hefftig an die Thür, und wir erblickten auf der Schwelle einen Schiffer mit einem ungeheuren Barte. »Und du thust Eumolp, als wenn du noch viele Zeit übrig hättest?« sagt' er, »weißt du nicht, daß der Tag bald anbrechen wird?« –

Ohne Verzug stehen wir alle auf, Eumolp weckte seinen Bedienten auf, welcher schon ausgeschlafen haben konnte, und befahl ihm, seine Sachen fortzutragen. Ich aber und Giton packten, was da war, in einen Schnappsack, flehten die Gestirne um ihren Schutz an, und stiegen in das Schiff. –

Wir lagerten uns vorn im Schiffe an einen abgesonderten Ort, und Eumolp schlief schon, da der Tag noch nicht angebrochen war. Ich und Giton aber konnten auch nicht ein Schlummerkörnchen vom Schlafe genüßen. Aengstlich überdacht' ich, daß ich mit einem noch fürchterlichem Nebenbuhler, als Ascylten in Gesellschafft sey; und dieses quälte mich sehr. Endlich aber trug die Vernunft den Sieg über die Leidenschafft davon.

»Wahr ist es«, sagt' ich zu mir selbst, »es ist verdrüßlich, daß mein Liebling Eumolpen gefällt; aber ist das Vollkommenste, was die Natur hervorgebracht hat, nicht immer allgemein? Allen leuchtet die Sonne. Dieser Mond da oben von unzählbaren Sternen begleitet leuchtet sogar den Bestien zu ihrem Futter. Was ist schöner, als ein klarer Bach, der seine Wellen durch Blumen dahin rollt? Alle Durstigen können sich daraus erquicken. Und wie? soll man die Wonne nur aus dem Zauberbecher der Liebe stehlen? soll sie keine Belohnung für Verdienste seyn? Ja! ich will ein Kleinod besitzen, welches alle Welt entzücken kann. Dieser abgelebte ehrliche Greiß wird mir nicht zur Last fallen. Wenn auch sein Blut zu Begierden aufschwillt, so wird ihn seine Engbrüstigkeit mitten auf dem Wege ohnmächtig machen.« –

Damit hintergieng ich mein mißtrauisches Herz und wurde ruhiger. Ich wickelte meinen Kopf in meinen Mantel, und that, als ob ich schlief. Aber plötzlich, als wenn das Schicksal auf einmahl alle meine Standhafftigkeit wieder vernichten wollte, erschallte seufzerlich eine Stimme über mir: »Also hat er mich verspottet?« Sie schien von einem Manne herzukommen, und meinen Ohren bekannt zu seyn – das Herz in meinem Leibe fuhr mir darüber zusammen. Darauf hört' ich ein Weib ärgerlich sagen: »Wenn ein Gott mir den Giton in die Hände führte, wie liebreich wollt' ich den Flüchtling empfangen!« –

Das Blut von uns beyden stand darüber im Laufe stille. Ich insbesondere, wie von einem fürchterlichen Traum' umwunden, konnte die Zunge nicht zum Reden bringen. Endlich zog ich mit zitternden Händen den Mantel vom Haupte und fragte den Eumolp: »Vater ich bitte dich bey allem! kannst du mir nicht sagen, wem das Schiff gehöre? oder was für Leute darauf sind?« Er, in seinem Schlafe gestört, nahm es übel, und gab mir zur Antwort: »So! deswegen gefiel es dir, daß wir diesen abgesonderten Ort einnähmen, damit du uns nicht ruhen lassen könntest! Und was wird's denn seyn, wenn ich dir gesagt haben werde, daß Lykas von Tarent der Schiffsherr sey, und daß er die Tryphäna auf eine Lustreise nach Tarent mit sich genommen habe?« –

Wie von einem Donnerschlage getroffen entblößt' ich meine Gurgel und sagte: »Nun Schicksal, endlich hast du mich einmahl ganz überwunden!«

Giton hatte sich an meine Brust geschmieget, und wollte den Geist aufgeben. Endlich brach uns beyden der Angstschweis aus, und gab uns das Leben wieder. Ich umfaßte die Kniee des Eumolp, und sagte zu ihm: »Erbarme dich unsrer! wir sind im Begriffe zu sterben! Reiche mir nach unsrer Sympathie der Seelen die Hände! Unser Tod ist gewiß, wenn du uns nicht rettest, und dann kann er eine Wohlthat der Götter seyn!« –

Eumolp ärgerte sich darüber und schwur bey allen Göttern und Göttinnen, daß er gar nicht begreifen könne, was wir haben wollten! Er habe nicht die geringste böse Absicht gehabt, sondern mit der aufrichtigsten Seele von der Welt hab' er uns auf dieses Schiff mit sich genommen, auf welches er schon allein zu gehen sich vorgesetzt habe. »Und was habt ihr denn vor Nachstellungen zu befürchten?« sagt' er; »es schifft ia kein Hannibal mit uns! Lykas von Tarent, die aufrichtigste Seele, welchem nicht allein dieses Schiff gehört, sondern der ausserdem noch viele liegende Güter besitzt und iezt Handlung treibt, hat Waaren nach Tarent zur Fracht bekommen. Nun! das ist der Cyklope und Erzseeräuber, welcher uns führt! und ausser ihm ist noch Tryphäna da, die schönste unter allen Weibern, welche zu ihrem Vergnügen bald da bald dorthin schiffet.«

»Und diese sind es eben«, rief Giton, »vor welchen wir fliehen!« und erzählte kürzlich die Ursachen ihrer Verfolgung, und die bevorstehende Gefahr dem zitternden Eumolp. – Dieser wurde ganz bestürzt darüber, und wußte nicht, was er rathen sollte. Er befahl, daß ieder seine Meinung vortrüge, und sagte: »Stellet euch vor, in die Höhle eines Cyklopen gekommen zu seyn! Wir müssen eine Ausflucht suchen, wenn wir nicht einen Schiffbruch bewerkstelligen, und uns von aller Gefahr befreyen können.«

»Ueberrede viel lieber«, sagte Giton, »den Steuermann, daß er das Schiff in irgend einen Haven führe! du must ihm freylich dabey eine Belohnung versprechen; und schwör' ihm zu, daß dein Bruder, welcher die See nicht vertragen könne, in den letzten Zügen liege. Du kannst dabey weinen, und ein jämmerliches Gesicht machen, und ihn desto eher zur Barmherzigkeit bewegen, daß er dir Gehör gebe.« –

Eumolp leugnete, daß dieses geschehen könne, weil grosse Schiffe nicht leicht in einen Hafen einlaufen könnten; und weil es nicht wahrscheinlich wäre, daß ein Bruder so bald auf einmahl in den letzten Zügen seyn sollte. »Dazu kömmt noch, daß Lykas vielleicht aus Menschenliebe den Kranken wird sehen wollen. Siehe nur! was das für ein ersprießliches Mittel ist, wenn wir von freyen Stücken zu dem Herrn kommen müssen! Und dann setz' auch einmahl zum voraus, daß das Schiff von seinem ungeheuren Laufe könne abgeleitet werden, und daß Lykas kein Freund sey, Krankenbette zu besuchen! wie können wir denn aus dem Schiffe gehen, ohne von allen betrachtet zu werden? Mit bedeckten oder blossen Köpfen? Mit bedeckten: wer wird uns Schwachen die Hand nicht reichen wollen? Mit blossen: ist das was anders als sich selbst verrathen?« –

»Vielmehr«, sagt' ich, »wollen wir etwas wagen, uns von dem Schiffsseil' in den Nachen hinab lassen und wenn wir darinnen sind, das Seil abhauen, und das übrige dem Schicksal' überlassen. Ich verlange gar nicht, daß sich Eumolp dieser Gefahr aussetzen solle; nein! warum einen Unschuldigen in Gefahren zu stürzen, die ihn nichts angehen? Zufrieden will ich seyn, wenn nur wir glücklich hinaus kommen.«

»Das wäre der beste Rath«, sagte Eumolp, »wenn er könnte ausgeführt werden. Wer wird uns im Weggehen nicht bemerken? Wenigstens der Steuermann, der so gar bey Nacht den Lauf der Gestirne bewachet. Und gesetzt auch, im Wachen könnte man ihn hintergehen, ist dann das Seil, woran der Kahn hängt, nicht am Hintertheile des Schiffs, wo er das Steuerruder führt? Wie wollen wir da hinabkommen? Und dann wundert es mich, daß es dir Enkolp nicht eingefallen sey, daß immer ein Matrose bey Tag und bey Nacht im Kahne liege und ihn bewache, und daß wir diesen entweder tod schlagen, oder in's Wasser werfen müßten; und fragt euren Muth, ob ihr das thun könnet! denn was mich betrifft, so will ich bey ieder Gefahr seyn, wo sich Hoffnung zur Rettung zeigt; aber ohne Ursache sein Leben, als etwas Ueberflüssiges, auf's Spiel setzen, werdet ihr mir selbst nicht zumuthen. Ich will noch einen Vorschlag thun, sehet, ob er euch gefällt!

Ich will euch unter unsere Habseeligkeiten mit Riemen einwickeln und als meine Reisesachen neben mich legen, so daß ihr mit den Lippen Athem schöpfen und Speise zu euch nehmen könnet. Wenn es Tag wird, will ich schreyen, daß ihr als meine Sklaven aus Furcht vor der Strafe euch in's Meer gestürzt hättet; und wenn wir in einem Haven anlanden, so will ich euch schon ohne den geringsten Verdacht, als meine Reisesachen hinausbringen.«

»So?« sagt' ich, »du willst uns wie ein Stück Holz einpacken, als wenn wir keine Hintern hätten, und nicht niesten und schnarchten! Vielleicht weil mir diese List einmahl gelungen ist? Und voraus gesetzt, daß wir dieses einen Tag in dieser Lage aushalten könnten, was denn wenn es länger währet? Wenn wir entweder eine Windstille oder einen Sturm erhalten, was ist denn zu machen? Ein Kleid, wenn es zu lange zusammen gefesselt liegt, erhält Runzeln; ein zu lang angeklebtes Papier verändert seine Gestalt; und wir Jünglinge voll blühendem Leben, die noch keiner Strapatzen gewohnt sind, sollen wie Statuen in Tücher und Bänder eingewickelt da liegen? Wir müssen einen andern Weg uns zu retten ausfindig machen! – Höret, was mir eben eingefallen ist. Eumolp, als ein Gelehrter, hat Dinte bey sich. Mit diesem Mittel wollen wir unsere Farbe vom Wirbel bis zu den Spitzen der Fußzehen verändern. Wie Mohren wollen wir dem Eumolp desto freudiger, als Sklaven dienen, weil wir keine Strafen zu befürchten haben, und wollen mit veränderter Farbe unsere Feinde hintergehen.«

»Beschneid' uns«, sagte Giton, »daß man uns für Juden hält! Schneid' uns die Ohren ab, daß wir den Arabern gleichen! Uebertünche unser Gesicht, daß wir den Galliern ähnlich werden! Die Gallier sahen nach dem Bericht vieler Alten sehr weis aus. Als wenn die Farbe allein die Gestalt verändern könne! als wenn nicht mehr dazu gehöre, um von einer fremden Nation seyn zu wollen! Laß uns einmahl voraussetzen, daß ein überschmiertes Gesicht lange Bestand habe, daß ein Tröpfchen Wassers auf uns gesprützt kein Fleckchen auslöschen könne, daß die Kleider nicht an der Dinte kleben, welches auch öffters ohne Gummi geschieht – alles dieses vorausgesetzt, können wir dann unsere Lippen mit ienem abscheulichen Schwulst aufschwellen? Können wir mit einem Eisen unsere Haare in so kleine Löckchen kräusseln? Können wir in unsere Stirnen allerley Gestalten von Narben einschneiden? Können wir unsere Schienbeine in einen gehörnten Mond verwandeln? Die Aegypter sollen nach einer Anmerkung des Aristoteles auswärtsgebogene Schienbeine gehabt haben; vermuthlich nicht alle. Können wir auf den Fersen gehen? Können wir uns ungekämmte Barte machen? Eine künstliche Farbe besudelt den Leib, aber verändert ihn nicht.

Höret! was mir in der Verzweifelung einfällt! – Wickeln wir unsere Häupter in unsere Kleider! und stürzen wir uns in's tiefe Meer hinein!« –

»Dafür uns Götter und Menschen behüten wollen!« rief Eumolp, »wer wird auf eine so entsetzliche Art sterben? Thut viel lieber das, was ich euch befehle. Mein Bedienter ist, wie ihr aus dem Scheermesser erfahren habt, ein Barbierer. Dieser soll euch beyden den Augenblick nicht nur die Köpfe, sondern auch die Augenbraunen abscheeren. Das übrige laßt mich machen! Ich will die schönste Aufschrifft auf eure Stirnen schreiben; ihr sollet aussehen, als wenn ihr wirklich gebrandmahlet wäret. Diese Buchstaben werden euren Feinden allen Verdacht benehmen, und der Schatten von der Strafe wird eure Gesichter verbergen.« –

Dabey blieb' es. Wir giengen heimlich in einen Winkel des Schiffs, und überliessen unsere Haare und Augenbraunen dem Barbierer. Eumolp machte beyden ungeheure Buchstaben auf die Stirnen und zog mit einer verschwendrischen Hand die Aufschrifft flüchtiger Sklaven über unser ganzes Gesicht. – Von Ohngefehr kam einer von den Reisegefährten an die Seite des Schiffs, und leerte seinen Magen aus, weil er der See nicht gewohnt war, und bemerkte beym Mondschein den Barbierer, welcher zur unrechten Zeit sein Handwerk trieb, verfluchte die böse Vorbedeutung, weil dieses nur bey bevorstehendem Schiffbruch zu geschehen pflegt, und warf sich wieder in sein Bett. Wir thaten, als wenn wir die Verwünschung des sich übergebenden Reisegefährten nicht gehört hätten, und giengen traurig wieder an unsern alten Platz zurücke, machten uns ganz stille, und brachten die noch übrigen Stunden der Nacht mit einem übeln Schlafe zu.

Den andern Morgen gieng Eumolp, so bald er merkte, daß Tryphäna aus ihrem Bette sey, in die Kammer des Lykas, und nachdem er von der glücklichen Schiffarth, welche der heitre Himmel verspräche, gesprochen hatte, sagte Lykas zur Tryphäna: »Es war mir diese Nacht, als wenn Priap zu mir sagte, den Enkolpion, welchen du suchst, hab' ich auf dein Schiff gebracht.«

Tryphäna erschrack darüber, und sagte: »Man möchte glauben, daß wir zusammen geschlafen hätten, denn die Statue des Neptun, auf welche ich zu Baien dreyerley Aufschrifften geschrieben habe, schien mir zu sagen: in dem Schiffe des Lykas wirst du den Giton finden.« Lykas und Tryphäna müssen also vorher im Traume gesprochen und dadurch den Enkolp und Giton erschreckt haben.

»Ihr müßt wissen«, sagte darauf Eumolp, »daß Epikur, ein göttlicher Mann, dergleichen Spiele der Phantasie auf die scherzhaffteste Weise verdammt!

Wie offt kann nicht ein Traum, wann mit den tausend Sphären
Die Nacht am Himmel glänzt, und Schatten flattern umher,
Leichtgläubiger Menschen Herz bethören!
Kein Gott, kein Tempel, ihn schafft ein Ohngefehr!
Wenn unsre Augenlieder
Ein sanfter Schlummer ziehet nieder,
So scherzt die Seele von der Sinnen Fesseln frey.
Was wandelte bey Tage vor der Stirne,
Das wandelt uns die Nacht auch im Gehirne.
Ein Krieger wohnt im Traume Schlachten bey,
Bringt Schaaren von Menschen um, verheeret Länder und Städte,
Sticht Könige tod, und wälzt sich im Blute herum,
Zum Glücke für's Menschengeschlecht – allein in seinem Bette:
Der höhlet im Traum sich vor Gerichten Ruhm,
Er sieht den Richter auf seinem Stuhle sitzen
Und donnert mit den Gesetzen, wie Zeus mit seinen Blitzen:
Und aus der Erde scharrt der Geizige sich Gold,
Und scharrt es wieder hinein voll Furcht in die Erde sein Gold:
Von seinen Hunden läßt ein Jäger die Wälder erschallen:
Ein Schiffer rettet sein Schiff, wenn es in den Abgrund sinkt
Und schon die Fluth mit tausend Lippen trinkt,
Und Felsen und Himmel und Meer vom Orkan wiederhallen:
Von Liebesgöttern eingewiegt
Schreibt eine Buhlerin entzückt Endymionen,
Und ältliche Matronen
Versprechen Faunen Gold und Kronen:
So gar ein Hund, wenn er im Schlafe liegt,
Erhebt ein Bellen und fängt auf seiner Flucht den Haasen:
Gefangne werden von Häschern erschreckt:
Und ist die Wunde schon von alter Narbe bedeckt,
So muß ein Krieger im Traum von frischen Wunden rasen.«

Nachdem Tryphäna wegen ihres Traums dem Neptun geopfert hatte, sagte Lykas: »Nun! wer verwehrt uns denn, das Schiff zu untersuchen? Wir wollen wenigstens keine Verächter der göttlichen Eingebungen seyn!«

Auf einmal schrye der, welcher uns beym Mondschein überrascht hatte, mit Namen Arsius: »Ganz gewiß sind das dieienigen, welche sich diese Nacht haben abscheeren lassen! und das bey allen Göttern! auf die ärgerlichste Weise; denn ich habe schon offt gehört, daß es keinem Sterblichen erlaubt sey, weder Nägel noch Haare im Schiffe abzulegen, ausser wenn ein Sturm sich auf dem Meer' erhebt.«

Bey dieser Rede glühte der erschrockene Lykas vor Zorne. »Wie?« sagte er, »es hat sich Iemand in meinem Schiffe die Haare abgeschnitten? und bey dieser ruhigen Nacht? Geschwind ziehet die Verbrecher hervor, auf daß ich wisse, durch welche Häupter das Schiff müsse ausgesöhnet werden!«

»Ich hab' es befohlen«, sagte Eumolp, »damit die Götter nicht wegen dieser unreinen Verbrecher auf uns zürnen möchten, und nicht um eine böse Vorbedeutung zu machen, denn ich bin ia selbst auf dem Schiffe; denn da diese Spitzbuben ganz abscheulich lange Haare hatten, so hab' ich befohlen, daß man diesen Verdammten den Schmuz ein wenig abnehmen solle; und damit zugleich ihre Ueberschrifft, welche von den Haaren überschattet war, deutlich in Jedermanns Augen fallen möchte. Unter andern haben sie mir mein Geld gestohlen, und es bey ihrer gemeinschafftlichen Freundin verzehret, von welcher ich sie die gestrige Nacht von Wein und Salbe triefend heraus gezogen habe. Kurz! ich glaube, daß sie noch iezt von den Ueberbleibseln meines Vermögens riechen.«

Damit man also den Schutzgott des Schiffes aussöhnete, wurde befohlen, daß ieder von uns beyden vierzig Bey den Römern gab man niemals mehr als vierzig Streiche, damit der Mensch nicht verunstaltet würde; und damit man sich nicht verzählte, nur neun und dreyßig; wie uns der heilige Apostel Paulus mit seinem eignen Beyspiele belehret. Streiche erhalten sollte. Man säumte sich nicht lange. Wüthend fielen uns die Matrosen mit ihren Stricken an, und suchten, durch unser nichtswürdiges Blut ihre Gottheit zu versöhnen. Ich verdaute, ohne mich zu verändern, drey Streiche mit dem Adel eines Spartaners; Die Spartaner wurden von Kindheit an gewöhnet, die Schmerzen des Leibes gedultig zu ertragen. Plutarch erzählt, daß die edelsten Knaben jährlich einmahl um den Altar der Diane tanzen und sich mit Ruthen bis aufs Blut peitschen lassen mußten. Nie soll einer deswegen geseufzt oder ein weinerliches Gesicht gemacht haben. Cicero sagt, daß sie bisweilen bis auf den Tod gepeitscht wurden, und doch ihr Gesicht nicht veränderten. Giton aber schrye bey dem ersten Schlage so hefftig, daß Tryphänen die Ohren von der ihr sehr wohl bekannten Stimme gellten. Sie wurde nicht allein darüber bestürzt, sondern alle ihre Mägde erkannten die Stimme und liefen zu dem armen Sünderchen.

Schon hatte Giton durch seine bezaubernde Gestalt die Matrosen entwaffnet, und auch ohne ein Wort zu reden bewegte er die Grausamen zum Mitleiden, als alle Mägde zugleich ausrufen: »Es ist Giton! Giton ist's! Haltet ein ihr Grausamen! Giton ist's o gnädige Frau! Komme zu Hülfe!« –

Tryphäna neigte die Ohren gefällig zu der Stimme, welche hier sehr leichtgläubig waren, und eilte auf den Fittichen der Liebe zu dem Knaben.

Lykas, der mich auf das beste kannte, lief hinzu, als wenn er selbst auch meine Stimme gehöret hätte, betrachtete weder Hände noch Gesicht, sondern lenkte seine Blicke auf meinen Unterleib herab, griff mit buhlerischer Hand an meine Schaam, und sagte: »Ey! willkommen lieber Enkolp!« Nun mag sich ein Ulyß verwundern, wenn ihn seine Amme nach zwanzig Jahren an einer Narbe erkennt, da dieser kluge Mann, indem alle Linien und Kennzeichen des Leibes verändert waren, so scharfsinnig das einzige ächte Merkmahl des Flüchtlings erwischte.

Tryphäna vergoß Thränen von den Brandmahlen an unsern Stirnen getäuscht, denn sie hielt sie für ächte, wie sie gefangne Sklaven erhalten, und fragte ganz leise: »Wo hat man euch Flüchtlinge erwischt und in's Gefängniß geworfen? Aber wessen Hände waren so grausam und brannten euch diese schändliche Strafe auf das Gesicht?« Wir verdienten, sagte sie weiter, daß wir ein wenig gezüchtiget würden, weil wir uns selbst im Lichte gestanden und sie verlassen hätten, da sie unser Glück hätte machen wollen. –

Zornig sprang Lykas herbey und sagte: »O du einfältige Närrin! als wenn Wunden von Dinte gefärbt mit Eisen gemacht worden wären! Wollten die Götter, sie wären gebrannt! dann würden wir keine Rache mehr verlangen. Mit mimischen Blendwerken haben sie uns hintergehen und mit dem Schatten von einem Brandmahle verspotten wollen.«

Tryphäna wollte sich über uns erbarmen, weil die Erinnerung an die Wollust, welche sie in unsrer Gesellschaft genossen hatte, auf einmahl wieder in ihr erwachte. Aber Lykas hatte noch nicht vergessen, wie seine Gemahlin war verführt worden, und was er für Beschimpfungen in der Halle des Tempels des Herkules hatte verschlucken müssen; er schrye also hefftig mit erboßtem Gesichte: »Ich glaube gewiß, daß die unsterblichen Götter für die Dinge da unten Sorge tragen! auch du hast es erfahren Tryphäna, denn ohn' ihr Wissen haben sie die Strafbaren auf unser Schiff gebracht, und daß sie es gethan haben, beweisen unsere beyderseitigen von ihnen eingegebene Träume. Also bedenke, ob es ersprießlich sey, denen zu verzeyhen, welche Gott uns selbst zur Bestrafung herbey führt! Ich bin wahrhafftig nicht grausam, aber ich besorge, die Strafe möchte mir selbst über mein Haupt kommen.«

Von dieser abergläubischen Rede bewegt, wollte sich Tryphäna der Strafe nicht entgegen setzen, sondern vielmehr die gerechteste Rache mit befördern helfen, indem sie nicht weniger, als Lykas beleidiget worden sey, da wir vor der ganzen Welt ihrer Ehre einen Schandflecken angehängt hätten.

So bald Lykas gewahr wurde, daß Tryphäna einmüthiglich mit ihm zur Rache geneigt sey, so befahl er, die Strafe zu vollziehen. Wie Eumolp dieses gehört hatte, so sucht' er ihn mit folgendem zu besänftigen.

»Diese Unglückseeligen«, sagt' er, »deren Leben in deiner Hand ist, flehen deine Barmherzigkeit o Lykas an, und haben mich dazu, als einen deiner alten Bekannten, erlesen, und mich gebeten, daß ich sie mit euch wieder vereinigen möchte, die ihr vor kurzen noch ihre besten Freunde waret. Ihr glaubet gewiß, daß sie euch das Ohngefehr in eure Hände gespielet habe? aber ieder Reisende bekümmert sich ia vor allen Dingen darum, wem er sich anvertraue. Seyd zufrieden mit der Strafe, die sie schon empfangen haben, und laßt eure Seelen erweichen! und dann laßt doch freye Menschen ohne Beleidigung hingehen, wohin sie wollen! Auch die Grausamkeit der wildesten und unversöhnlichsten Herren wird zurück gehalten, wenn Flüchtlinge von eigener Reue angetrieben zurück kehren; man schont der Feinde, die sich selbst ergeben. Was verlangt ihr mehr? oder was wollt ihr? da liegen sie demüthig vor euren Augen! Freye edle Jünglinge! und was mehr, als beydes ist, eure alten Freunde! Und beym Herkules! wenn sie euer Geld entwendet, wenn sie euch als Freunde verrathen hätten, so könntet ihr doch mit dieser Strafe gesättiget seyn. Ihr seht die Sklaverei auf ihren Stirnen! Freywillig haben sie ihre freyen Gesichter gebrandmahlet.«

Hier unterbrach Lykas die Vorbitte und sagte: »Vermische nicht alles unter einander, sondern sage alles einzeln nach einander her!

Erstlich, wenn sie von freyen Stücken gekommen sind, warum haben sie sich die Köpfe abscheeren lassen? wer sein Gesicht verändert, hat Betrug im Sinne und keine Genugthuung.

Und dann, wenn sie dich als einen Abgesandten abschickten, um wieder unsere Freundschafft zu erhalten, warum hast du denn alles so veranstaltet, daß sie verborgen bleiben sollten, indeß du ihre Vertheidigung über dich nähmest? Daraus ist ia leicht zu sehen, daß sie allerdings von Ohngefehr uns in die Hände gefallen sind, und daß du alle Kunst angewendet hast, sie dem Anfall unserer Rache zu entziehen. Und nimm dich ja in Acht, daß du, indem du uns vorwirfest, sie wären freye und rechtschaffene Leute, nicht den ganzen Handel verderbest! denn was sollen die Beleidigten thun, wenn sich die Schuldigen selbst der Strafe für werth erklären? und wenn sie unsere Freunde gewesen sind, so haben sie eine desto härtere Strafe verdient; denn wer Unbekannte beleidiget, wird ein Strassenräuber genennt, wer aber Freunde, den kann man für nicht weniger, als einen Vatermörder halten.«

Eumolp fieng an, diese schwierigen Einwürfe zu widerlegen. »Ich sehe«, sagte er, »daß den armen Jünglingen als Hauptverbrechen aufgebürdet wird, daß sie sich diese Nacht haben abscheeren lassen; dieses nimmt man als einen Beweis an, daß sie von Ohngefehr in das Schiff gefallen und nicht mit Willen hereingekommen sind. Ich wünsche, euch aufrichtig alles so erklären zu können, als es geschehen ist! Sie wollten, ehe sie auf das Schiff stiegen, ihre Häupter von einer beschwerlichen und überflüssigen Last befreyen, aber ein zu günstiger Wind verhinderte sie, diesen Vorsatz auszuführen. Sie glaubten, es wäre einerley, es möchte geschehen, wo es ihnen gefiel, weil sie weder was von der bösen Vorbedeutung, noch von den Gesetzen der Schiffarth wußten.«

»Aber warum mußte man sie«, antwortete Lykas, »als verbrecherische Sklaven abscheeren? Vielleicht weil man mit den Kahlköpfen eher Mitleiden zu haben pflegt. Aber warum soll man die Wahrheit bey ihrem Vertheidiger suchen? Was sagest du, du spitzbübischer Enkolp dazu? welcher Salamander hat deine Augenbraunen abgebrannt? Die Alten glaubten, daß das Oel, in welchem man einen Salamander aufbewahre, die Haare ausfallen mache. welchem Gotte hast du dein Haar geweyhet? Rede Gifftmischer!«

Ich staunte und wußte nicht, was ich in der Todesangst wider die augenscheinliche Wahrheit einwenden könnte. Auch über meine Häßlichkeit war ich bestürzt, denn ausser dem geschornen Kopfe waren Stirne und Augenbraunen überein kahl, so daß ich nichts mit dem geringsten Anstande weder thun noch sagen konnte. Nachdem man aber unser Gesicht mit einem feuchten Schwamm abgewaschen hatte, und die aufgethaute Dinte zerflossen war, und alle Gesichtszüge, wie mit einer Wolke von Kühnruß, bedeckte, so verwandelte sich der Zorn in Haß; Eumolp schwur, daß er nicht geschehen lassen würde, daß man freye Menschen wider alles Völkerrecht der Menschheit quäle, und widersetzte sich den Drohungen der Wüthenden nicht allein mit dem Munde, sondern auch mit den Händen. Sein Bedienter stand ihm treulich bey. Aber beyde waren leider! zu schwächliche Gesellen, und dienten uns mehr zum Troste, als daß sie uns wirklich mit ihren Kräfften zu Hülfe hätten kommen können.

Ich sprach kein Wort zum Besten für mich, sondern machte der Tryphäna eine Faust, und schrye mit freyer und heller Stimme, daß ich Gewalt brauchen würde, wenn sie nicht wie ein erzunreines Weib von dem Giton abstünde, sie sey im ganzen Schiffe allein werth, vierzig Streiche weniger einen zu empfangen.

Lykas wurde durch meine Kühnheit wüthender, und es verdroß ihn, daß ich mich nicht selbst, sondern einen andern vertheidigen wolle.

Tryphäna raste über diese Beschimpfung, und das ganze Schiff theilte sich darüber in verschiedene Partheyen.

Der Barbierer des Eumolp theilte sein Werkzeug unter uns, und bewaffnete sich selbst damit; auf der ändern Seite rüstete sich die Familie der Tryphäna mit ihren Nägeln zum Streite. Die Mägde erhoben einstimmig ein Kriegsgeschrey, und der Steuermann allein rief aus: daß er das Ruder verlassen würde, wenn diese Dirnen und Ehebrecher nicht aufhörten, in dem Schiffe herum zu wüthen.

Aber nichts desto weniger dauerte die Wuth der streitenden Partheyen fort. Die eine stritt, sich zu rächen; und wir für unser Leben. Viele stürzten auf beyden Seiten halbtod nieder, und viele entwichen voll gefährlicher Wunden dem Treffen, aber dennoch ließ auf keiner Parthey die Wuth nach.

Endlich fuhr Giton, der tapferste unter uns allen, mit seinem Scheermesser nach seinem Gemächte, und drohte, sich die Ursache aller dieser Feindseeligkeiten abzuschneiden; aber Tryphäna verhütete ein so grosses Unglück, und versprach ihm auf das feyerlichste Vergebung. Ich selbst setzte offt das Scheermesser an meine Gurgel, und hatte nicht mehr Lust, mich umzubringen, als Giton, sich zu combabisiren. Er spielte aber seine tragische Rolle viel vortrefflicher, denn er konnte verwegener seyn, weil er wußte, daß er eben das Messer hatte, mit welchem er sich schon einmahl die Kehle hatte abschneiden wollen.

Beyde Schlachtordnungen standen da, und der Krieg schien immer hitziger zu werden.

Endlich brachte der Steuermann es mit genauer Noth dahin, daß Tryphäna, wie ein Herold, Waffenstillstand ankündigen mußte. Nachdem man nun wechselseitig, nach unsrer Väter Weise, Treue angelobt hatte, so gieng sie hin nach dem Schutzgotte des Schiffes, brach einen Olivenzweig ab, hob ihn empor und trat unter uns:

»Welch eine Wuth«, rief sie, »verwandelt in Waffen den Frieden?
Was hilft es, daß wir mit den Händen und Zungen wüthen?
Herr Menelas sucht wohl doch hier Helenen nicht,
Sein theures Eheweib und seiner Augen Licht?
Da sie mit dem Paris flieht, ihm ewige Liebe verspricht? –
Es schleudern ia nicht hier rasende Medeen
Die brüderlichen Glieder in die Seen? Medea auf ihrer Flucht mit dem Iason ermordete ihren Bruder Absyrt, und streute einzeln dessen Glieder in's Meer, damit ihr Vater, der sie verfolgte, mit Zusammenlesung derselben die Zeit versäumte. Iupiter erzürnte sich über diesen Brudermord, und überfiel die Argonauten mit einem ungeheueren Sturme.
Allein verachtete Liebe hat Muth!
O wer vergießt mein Blut
Mit seinem Schwerd' in dieser Wuth?
Wie? euch ist's nicht genug, allein mich sterben zu sehen?
O übertreffet nicht den wilden Ocean!
Und seyd nicht wüthender im Schiff als ein Orkan.«

Wie eine begeisterte Bacchantin goß sie dieses aus; die Schlacht stand stille; wir reichten einander die Hände, und der Friede wurde geschlossen. Unser General Eumolp bediente sich der günstigen Gelegenheit, sagte die Wahrheit dem Lykas bitter, brachte sein Schreibezeug hervor, und setzte folgende Friedensartickel auf.

»Nach deiner festen Willensmeinung versprichst und gelobest du hiermit an Tryphäna, daß du die dir angethane Beleidigung nie dem Giton weder vorwerfen, noch über das, was vor diesem Tage geschehen ist, dich bey ihm beschweren und dich deswegen rächen und ihn auf keine Art und Weise verfolgen – und ferner, daß du den Knaben nie mit Gewalt zu etwas zwingen wollest, was ihm nicht gefallig seyn werde, weder zu einer Umarmung, noch zu einem Küßchen, noch zu einem Beyschlafe; widrigen Falls verpflichtest du dich an Eydesstatt, ihm für iedes von benannten Stücken hundert baare Thaler zu erlegen.

Und eben so versprichst auch du Lykas, ebenfalls nach deiner festen Willensmeinung, dem Enkolpion weder mit einem beleidigenden Worte, noch Blicke mißfällig zu seyn; ferner nicht nachzuforschen, wo und an welchem Orte er die Nacht schlafe. Und widrigenfalls du dieses nicht wirst unterlassen haben, gelobst du feyerlich an, ihm für jede Beleidigung zwey hundert baare Thaler zu

Alles getreulich und ohne Gefehrde.«

Nachdem diese Friedensartickel aufgezeichnet und unterschrieben waren, so legten wir die Waffen nieder, und schwuren, daß kein Funken von Zorn in unsern Gemüthern bleiben solle. Darauf umarmten und küßten wir uns, und vergaßen alles Geschehene.

Alles ermunterte uns zur Versöhnung, und der Haß sank in unsern Busen nieder. Man fieng an, auf dem Kampfplatze zu schmaussen, und das Gastmahl heiterte aller Seelen auf. Das ganze Schiff erscholl von Gesängen; und da eine plötzliche Windstille den Lauf unterbrach, so fieng der eine mit einem Dreyzack emporhüpfende Fische, und der andere mit beköderten Haken. So gar waren die Vögel so kirre, auf die Vögelstangen sich zu setzen, welche ein geschickter Vogler unter den Matrosen mit Leimruthen wegfieng. Sie wollten, wann sie gefangen waren, davon flattern; die Federchen flogen davon in den Lüfften umher und wurden dann ein Spiel der Wellen, die an unserm Schiffe lachten.

Lykas hatte sich wieder mit mir völlig ausgesöhnet und Tryphäna sprützte schalkhafft die letzten Tröpfchen im Becher auf den Giton. Indem fieng Eumolp vom Bacchus besiegt über unsere Kahlköpfe und Aufschrifften an, zu spotten; und endlich, da er seinen eißkalten Witz erschöpft hatte, ergriff er seine alte Leyer wieder und machte ein Elegielein auf die geraubten Locken.

Herabgefallen sind
Die allerschönsten Locken!
So schüttelt ein rauher Wind
Im Frühling herab der Blüthen Flocken!
Sie, die des Frühlings größte Zierde sind! –
Herabgefallen sind
Sie, die der Schönheit größte Zierde sind,
Die allerschönsten Locken!

Ach die Schläfchen stehen kahl!
Traurig ohne Schatten!
Die mit Reizen ohne Zahl
Uns entzücket hatten!

Warum ihr Götter muß das Schöne so geschwind
Vergehn? Kaum ist die Knospe zur Rose gebohren
Des Frühlings schönstes Kind,
So hat von einer Sonne
Sie ihre Schönheit verlohren,
Sie welkt und sieht nicht mehr in ihrer Pracht Auroren.

Unglückseeliger! ach in deiner Haare
Glänze wärest du schöner, als Apollo!
Als in fliegenden Locken seine Schwester,
Wenn durch Hayne sie flüchtig irrt, Diane! Apollo und seine Schwester sind unter den schönen Göttern und Göttinnen durch ihre Haare berühmt. Beyde haben davon bey den Griechen und Römern Zunamen bekommen, z. B. der Goldhaarige, beym Horaz und Virgil der Unbeschorne.

Aber glatter, als Erzt und als ein Schwämmchen,
Das vom Regen aufwachset, ist dein Scheitel.
Ach dich werden die Mädchen nun verspotten!
Schüchtern, weinerlich wirst du nun sie meiden!
Lieber Knabe gedenk' an's Sterbebette!
Schon das schönste vom Köpfchen ist gestorben.

Er wollte noch mehr hervorbringen, und wie ich glaube, noch ärgerlichere Dinge, als die Magd der Tryphäna den Giton in das untere Theil des Schiffs zog, und mit einem Haarschmuck Die Griechen und Römer und Kleinasiaten hielten ein schönes Haar für das wesentlichste Stück der Schönheit, und bey welchem die Natur sparsam hierinnen mit ihren Geschenken gewesen war, der suchte durch Kunst diesen Mangel zu ersetzen. Deswegen erfanden sie vielerley Arten von Haarputz, von welchen wir, ausser einigen Köpfen von alten Statuen und Gemählden, nur noch die Namen übrig haben. ihrer Frau den Kopf des Knaben wieder auszierte. So gar brachte sie auch Augenbraunen aus einem Schächtelchen hervor, und ersetzte iedes Härchen über seinen schönen Augen, und gab ihm seine ganze vorige Schönheit wieder.

Tryphäna erblickte iezt in dem Giton ihren alten Liebling. Freudenzähren tröpfelten ihre Wangen herab, und in Wonne trunken gab sie dem Knaben ein Küßchen voll Liebe.

Ich aber, ob ich gleich über die wiederhergestellte Schönheit des Knaben mich freute, verbarg öffters mein Gesicht, voll von der traurigsten Ueberzeugung, daß ich ausserordentlich häßlich seyn müsse, da mich Lykas nicht einmahl für würdig hielt, mit mir zu reden. Aber eben iene Magd befreyte mich von dieser Quaal, denn sie rief mich bey Seite, und überzog mein Haupt mit nicht wenigen zierlichen Locken, so gar war mein Gesicht von einem grössern Reize überstrahlt, weil die Locken von blonden Haaren waren.

Uebrigens fieng Eumolp an, unser Beystand in Gefährlichkeiten und der Stiffter des gegenwärtigen Friedens, damit unsre Freude immer mehr Nahrung bekäme, vieles über den weiblichen Leichtsinn zu scherzen, wie leicht sich die Weiber verliebten, und wie bald sie ihre Lieblinge wieder vergäßen. Er behauptete, es seye keine unter allen Damen so schamhafftig, daß sie nicht bißweilen gegen einen unrechtmäßigen Liebhaber bis zur Wuth entzündet würde; und daß er dieses nicht mit alten Tragödien oder verjährten Geschichten bekräfftigen wolle, sondern mit einer Begebenheit, welche sich wirklich zu seiner Zeit zugetragen habe. Wenn wir ihm ein aufmerksames Ohr gönnen würden, so woll' er sie uns erzählen. – Aller Ohren und Augen waren auf ihn gerichtet, und er erzählte. Johannes Salisberiensis hat eine Vorrede zu dieser weltbekannten und beliebten Erzählung gemacht, welche ich wegen ihrer Vortrefflichkeit zu übersetzen nicht unterlassen kann. »Ueber den weiblichen Leichtsinn wird von den Autoren hie und da vieles geschrieben; vielleicht bisweilen fälschlich. Unterdessen hindert dieses doch nicht, im Lachen die Wahrheit zu sagen und mit erdichteten Erzählungen, welche die Weisheit nicht verwirft, auszudrücken, was in den Sitten anstössig seyn könne. Denn aus diesen erhellet, wie leicht die Weiber lieben und von der Liebe zum Haß übergehen, wie schnell sie ihre Neigungen vergessen, und der Natur uneingedenk bisweilen sich gegen ihre Söhne bewaffnen, und bisweilen gar gegen ihre Eingeweyde wüthen. Doch giebt es auch noch keusche Damen, ob gleich ein Satyrenschreiber sagt, daß ein völlig keusches Weib

Ein seltener Vogel auf Erden
Und einem schwarzen Schwan am allerähnlichsten sey.

Zu Ephesus war eine gewisse Dame wegen ihrer Keuschheit so berühmt, daß alles Frauenzimmer aus den benachbarten Gegenden, der Seltenheit wegen, hinreisete, um sie zu sehen. Da nun der theure Ehegemahl dieser zärtlichen Dame starb, und aus der Welt getragen wurde, so war es ihr viel zu wenig, nach der gewöhnlichen Art die Leiche mit fliegenden Haaren zu begleiten, und die entblößte Brust vor allem Volke zu schlagen, sondern sie folgt' ihm so gar bis in sein Grabmahl nach.

Der Verstorbene wurde in eine Grufft nach griechischer Weise gebracht, und hier fieng sie nun an, seinen Leichnam zu bewachen, und Tag und Nacht zu weinen. Ihre Betrübniß war so gewaltig, daß sie sich zu Tode hungern wollte, weder Anverwanden noch Freunde konnten sie davon abwendig machen.

Zuletzt wurde noch der ganze Magistrat an sie abgeschickt, aber er mußte mit einer abschlägigen Antwort wieder abziehen. Schon hatte sie den fünften Tag ohne Nahrung zugebracht, und alle Welt wurde über die Tugend dieser ausserordentlichen Frau gerührt und weinte mit ihr, und war ihrentwegen höchlich bekümmert.

Diese trostlose Dame begleitete noch ein ihr ungewöhnlich zugethanes Mädchen, und traurete und weinte die bittersten Zähren mit ihr, als wenn der letzte Mann auf dem Erdboden gestorben wäre; und wenn die Lampe im Begräbniß' ausgehen wollte, so goß es wieder frisches Oel hinein. In der ganzen Stadt wurde von weiter nichts gesprochen. Groß und Klein und Jung und Alt bekannten mit einem Munde, daß bey ihnen das einzige wahrhafftige Beyspiel von der reinesten Keuschheit und Liebe erschienen sey. –

Unterdessen hatte der Befehlshaber von der Provinz nicht weit von eben dem Gewölbe, wo die Dame ihren erstgestorbenen Mann beweinte, einige Spitzbuben an's Kreuz hängen lassen. Die folgende Nacht bemerkte ein Soldat, welcher bey den Kreuzen die Wache hatte, damit man keinen Spitzbuben davon stehlen und begraben möchte, ein helleuchtendes Licht unter den Monumenten, und hörte von eben daher ein klägliches Wimmern. Nach einem Fehler des ganzen menschlichen Geschlechts hüpft' ihm das Herz im Leibe, zu wissen, was das wäre, und was dort geschehe.

Er schlich sich also dahin, und stieg in das Gewölbe, und wie er ein reizendes Weib erblickte, so stutzte er, und glaubte, es sey ein Gespenst und ein Blendwerk böser Geister. Bald darauf aber, wie er die darneben liegende Leiche gewahr wurde, und die Thränen betrachtete, und das göttliche Gesicht von Nägeln zerkratzt, so traf er eben mit seinen Gedanken die Wahrheit, und hielt sie für eine Dame, welche über den Verlust ihres Mannes trostlos sey.

Er höhlte eine kleine Mahlzeit aus seinem Schnappsacke, reichte sie freundlich der Dame dar, und trug alle Trostgründe, die er wußte, der Betrübten auf das beweglichste vor, damit sie nicht in ihrem vergeblichen Schmerz beharre, und ihre schöne Brust mit unnützen Seufzern abzehre. »Wir müssen alle sterben! das ist nun nicht zu ändern!« sagte er, »wir alle müssen einmahl in dergleichen Häußlein ziehen!« und fügte noch alles übrige hinzu, wovon sonst sich diese Schwären in dem Herzen heilen lassen. Aber ihr Schmerz wuchs noch mehr bey diesen Trostgründen, sie erzürnte sich darüber, schlug sich wüthend den Busen, riß ihre Locken aus dem Haupte, und streute sie auf ihren geliebten Gemahl.

Der Soldat aber war kein Mann, der sich so leicht abschrecken ließ; er fuhr fort mit seinen Trostgründen, und gab sich alle Mühe, sie zu bereden, daß sie etwas Speise zu sich nähme. Ihre Begleiterin wurde zuerst überwunden, der nectarische Geruch vom Weine hatte ihre Begierden erregt; schüchtern reichte sie ihre Hand dem freundlichen Mann entgegen, erquickte sich mit Speis' und Trank, und fieng selbst an, die Hartnäckigkeit ihrer Frau zu bestürmen.

»Was wird dir's helfen«, sagte sie, »wenn dich nun der Hunger wird aufgezehret haben? wenn du dich lebendig begräbst? wenn du deinen reinen Geist von dir stössest, eh' ihn noch das Schicksal abruft?

O liebe Frau dein abgeschiedener Gemahl
Weiß nichts von deinem Harm, ihn rührt nicht deine Quaal!

Willst du wider den unveränderlichen Willen des Schicksals ihn wieder lebendig machen? Oder willst du nicht lieber die weiblichen Vorurtheile ablegen, und noch so lange die Freuden des Lebens genießen, als es erlaubt ist? Siehe selbst diese Leiche sollte dich belehren, wie flüchtig das Leben sey!«

Kein Sterblicher wird dadurch beleidiget, wenn man ihn zwingt, Speise zu sich zu nehmen, und zu leben. Also ließ sich denn auch endlich diese Dame, von dem Fasten einiger Tage ausgehungert, von ihrem hartnäckigen Endschlusse zurücke bringen, und füllte sich nicht weniger begierig mit der Speise, durch deren Anblick sich das Mädchen vorher hatte überwinden lassen.

Uebrigens wißt ihr, was der Mensch verlange, wenn er sich satt gegessen und getrunken hat. Mit eben den Schmeicheleyen, wodurch der Soldat die Dame bewegt hatte, nicht mehr sterben zu wollen, griff er nun auch ihre Keuschheit an. Dieser Jüngling schien ihr nicht häßlich und unartig zu seyn, und das Mädchen stand dem Soldaten treulich bey, weil ihm das auferweckte Leben durch ihn sehr wohl behagte, und rief offt ihrer tugendhafften Frau zu:

»Selbst wider dich willst du hartnäckig immer streiten?
Du liebst, und deine Liebe schmeichelt dir?
O häufe nicht auf Leiden größres Leiden!
Wer dich getröstet hat Madame lieget hier!«

Was soll ich euch länger aufhalten? ihr wißt vielleicht, wie schnell der Uebergang von Traurigkeit zu Liebe ist! Die Dame fastete auch hier nicht länger, und der unüberwindliche Soldat überredte sie, auch diese Fasten aufzuheben.

Sie lagen nicht nur diese Nacht zusammen, in welcher sie Hochzeit machten, sondern auch den folgenden und dritten Tag. Freylich schlossen sie die Thüren der Grufft zu, damit ledermann, wer von Bekannten oder Unbekannten an das Monument kommen würde, glauben möchte, die keuscheste Frau unter dem Monde habe über dem Leibe ihres Mannes den Geist aufgegeben. Uebrigens ergötzte den Soldaten so wohl die Schönheit der Dame, als auch das Geheimniß, und er kaufte, so viel ihm sein Vermögen erlaubte, das beste, was er erhalten konnte, und trug es, so bald die Nacht herein brach, in das Gewölbe.

Wie die Verwanden eines von denen an's Kreutz gehängten bemerkten, daß keine Wache zugegen sey, so zogen sie ihn bey Nacht herab, und erwiesen ihm noch die letzten Pflichten, und der Soldat wurde, während daß er am Busen seiner Geliebten lag, hintergangen. Bey anbrechender Morgendämmerung bemerkte er, daß ein Dieb an dem einen Kreuze mangelte. Er furchte sich vor der Lebensstrafe, und lief zu seiner Getrösteten, und erzählt' ihr, was sich zugetragen habe, und daß er das Urtheil nicht erwarten wolle, sondern seine Nachlässigkeit gleich selbst mit seinem Schwerde zu bestrafen beschlossen habe. Er bitte sie nur noch um diese einzige Gefälligkeit, daß sie ihn zur Ruhe bestatten, und mit dem unseeligen Grabe ihres Mannes auch zugleich ihren Freund bedecken möge.

Die Dame war nicht weniger barmherzig, als sie keusch war, und rief: »Ach! das wollen die Götter nicht zulassen, daß ich zu gleicher Zeit die zween Sterblichen, welche ich am zärtlichsten liebte, in einem Grabe sehen solle! Nein! besser ist es, daß ich den Toden aufhänge, als den Lebendigen umbringe!« – Nach dieser Rede befahl sie, daß man den Leichnam ihres Mannes aus dem Sarge zöge, und an das Kreuz hienge, von welchem der Dieb war gestohlen worden. Der Soldat bediente sich der List der klugen Dame; und den Tag darauf verwunderte sich alles Volk, und konnte nicht begreifen, wie es der Verstorbene müsse gemacht haben, daß er sich an's Kreuz geschlagen hätte. Den Leserinnen und Lesern wird die Matrone von Ephesus des la Fontaine bekannt seyn, der diese Petronische Erzählung davon sehr verbessert und verschönert hat. Die reine philosophische Moral und der gesunde Menschenverstand sagt über diese Handlung der Matrone, was la Fontaine darüber sagt:

de mettre au patibulaire
Le corps d'un mari tant aime,
Ce n'etoit pas peut-etre une si grande affaire;
Cela lui sauvoit l'autre: et tout considere,
Mieux vant goujat debout, qu'Empereur enterre.

Die frömmste Dame wird gestehen müssen, daß ein solcher Held Plus digne d'etre aime que le mort le rnieux fait sey. Doch muß ich den Eyfersüchtigen zum Troste sagen, daß Joh. Salisberiensis die Anmerkung am Ende dieser Erzählung macht: »Du magst«, sagt er, »nach deinem Gefallen diese Erzählung des Petron für eine Geschichte oder Fabel halten. Unterdessen bezeugt Flavianus, daß sich wirklich diese Begebenheit zu Ephesus zugetragen habe, und daß das Weib wie eine ehebrecherische Förderin bestraft worden sey.« Höchst unbillig wäre das Urtheil gewesen! die alten Griechen, selbst Drako würde nie so einfältiglich und grausam gestraft haben. Man setze sich nur an die Stelle der Matrone! Man wird nichts unnatürliches finden.

Die Matrosen nahmen die Erzählung des Eumolp mit Lachen auf; Tryphäna aber wurde darüber bis an die Ohren roth, und schmiegte ihr Gesicht auf das zärtlichste an den Nacken des Giton. Aber Lykas lachte nicht, sondern schüttelte sein zorniges Haupt und sagte: »Wenn der Befehlshaber ein gerechter Mann gewesen wäre, so hätt' er den Leichnam des Mannes wieder zurück in sein Grab bringen und das Weib dafür an's Kreuz schlagen lassen sollen.« Vermuthlich kam ihm wieder der Ehebruch seiner Frau, und das auf der Liebesreise geplünderte Schiffin den Sinn. Aber der Friedenscontract erlaubte nicht, empfindlich darüber zu seyn, und die allgemeine Freude, welche alle Gemüther zuvor wider ihn würde eingenommen haben, ließ dem Zorne keinen Raum.

Unterdessen hatte sich Tryphäna dem Giton auf den Schoos gesetzt; bald gab sie ihm unzählige Küsse auf den Busen, und bald brachte sie iedes Härchen an seinem Köpfchen in Ordnung, welches seine Lage verändert hatte.

Ich aber betrübte mich darüber; der neue Vertrag stand mir gar nicht an, und nahm weder Speise noch Trank zu mir, sondern sah beyde mit gefährlichen und wilden Blicken an. Iedes Küßchen war mir ein Dolch in's Herz! Iede Schmeicheley, welche das geile Weib dem Knaben machte! Noch wußt' ich nicht, ob ich mehr auf den Knaben zürnen sollte, daß er mir meine Freundin raubte, oder auf die Freundin, daß sie mir den Knaben verdürbe. Beyde waren meinen Augen unausstehlich, und lieber wollt' ich in der vorigen Gefangenschafft seyn. Dazu kam noch, daß Tryphäna mit mir, wie mit einem Fremden sprach, und nicht, wie mit ihrem vorigen Lieblinge; und Giton achtete mich nicht für würdig, nur einmahl im Vorbeygehen mir vorzutrinken; oder, was das geringste ist, mich nur einmahl bey meinem alten Namen zu nennen. Ich glaube, er befürchtete, bey der wieder aufs neue angefangenen Freundschafft die alte Wunde wieder aufzureissen. Die zurück gehaltenen Thränen schwollen in meinem Busen an, und wollten mit schweren Seufzern mein Herz zersprengen, und die Seel' im Leibe mir ersticken.

Indem ich in dieser Verfassung da saß, wurde Lykas auf's neue wieder gegen mich entzündet, weil ich vielleicht in meinen blonden Locken ihn noch mehr reizte. Er liebäugelte mir, und versuchte, ob er wieder die alte Wollust bey mir genießen könnte. Er machte gar nicht mit seiner Stirne den Herrn gegen mich, sondern bezeugte sich so gefällig, wie der beste Freund. Allein alles war vergeblich. Endlich verwandelte sich seine verachtete Liebe in Wuth, und mit Gewalt wollt' er seine Wünsche befriedigen. Indem kam unerwartet Tryphäna zu uns, und bemerkte seine Unmäßigkeit. Beschämt bracht' er sich, so geschwind er konnte, wieder in Ordnung und flohe von dannen.

Dieser Anblick hatte alle Begierden der Tryphäna erregt, sie fragte mich: »Was wollte Lykas mit dir machen?« und mit Gewalt brachte sie mich zum Geständnisse. Nach dieser Erzählung brach alles in Flammen bey ihr aus, sie erinnerte mich an unsere alte Vertraulichkeit und den Genuß des vorigen Vergnügens. Aber ich, von so vielen Strapatzen abgemattet, wollte mich zu nichts verstehen. Wüthend überfiel sie mich nun mit ihren Umarmungen, und drückte mich so hefftig an sich, daß ich schreyen mußte. Eine von ihren Mägden lief darauf herbey, und glaubte nicht anders, als daß ich verlangte, was ihre Frau haben wollte, und trennte uns beyde von einander. Tryphäna vor Begierden lechzend schimpfte und schmähte, daß ich sie so verachtet hatte, drohte und gieng zum Lykas, um ihn desto mehr gegen mich aufzuhetzen, daß sie beyde gemeinschafftlich sich an mir rächen könnten.

Sagen muß ich euch aber, daß mich dieses Mädchen vor diesem, da ich der Liebling von ihrer Frau war, sehr liebte; also war es ihm sehr empfindlich, mich mit der Tryphäna überrascht zu haben; es seufzte und war sehr begierig, alles von mir zu wissen. Endlich nach einiger Ueberwindung brach es in folgendes aus: »Wenn du noch einen Tropfen ehrlichen Geblüts hast, so wirst du sie für nichts mehr, als eine Hure achten; und wenn auch die Natur in dir aufrührisch werden sollte, so hast du nicht nöthig, sie bey einem solchen läufischen Weibe zu besänftigen.«

Alles dieses quälte mich sehr. Aber deswegen war ich am mehrsten besorgt, daß Eumolp alles, was geschehen wäre, erfahren möchte; denn dieser Erzpoet würde mich mit seinen Versen gerächet haben, und dadurch würd' ich ohne Zweifel lächerlich geworden seyn.

Da ich aber darauf dachte, dieses zu verhindern, so kam er selbst zu mir und wußte alles, was sich zugetragen hatte; denn Tryphäna hatt' es dem Giton erzählt, indem sie dadurch sich bey ihm schadlos zu halten suchte. Eumolp erzürnte sich sehr darüber, insbesondre deswegen, weil dadurch die Friedensartickel gebrochen waren.

So bald mich der Alte erblickte, bedaurete er mich, und bat, daß ich ihm alle Umstände erzählen sollte. Ich erzählte ihm also aufrichtig, wie mir Lykas und Tryphäna begegnet wären. Nachdem er dieses gehört hatte, so schwur er, mit den bittersten Versen mich zu rächen, indem selbst die Götter diese Verbrechen nicht unbestraft vorbey lassen könnten.

Während dieser Streitigkeiten schwoll das Meer auf, Wolken wälzten sich überall zusammen, und bedeckten den Tag mit erschrecklichen Finsternissen. Die Matrosen liefen zitternd zu ihren Arbeiten, und zogen die Seegel vor dem Sturm hernieder. Der Wind trieb bald dahin und bald dorthin die Fluthen, und der Steuermann wußte nicht, wohin er sich wenden sollte. Bald wehte der Wind nach Sicilien, und bald trieb ein Nordwind das Schiff in einem Wirbel an die Küsten von Italien; es war ein Spiel der Winde. Und was gefährlicher, als alle Sturmwinde war, es fiel auf einmahl eine so dichte Nacht herab, daß der Steuermann nicht einmahl den Schiffsschnabel mehr erblicken konnte. Wie alle Hoffnung zur Rettung verschwunden war, so hob Lykas gefalten seine Hände empor und sagte: »O du Enkolp steh uns in diesen Gefährlichkeiten bey! Ach gieb dem Schiffe das göttliche Gewand und das Sistrum wieder! Ich bitte dich bey allen Göttern! Erbarme dich unsrer! Du hast ia sonst ein mitleidiges Herz!« Wie er noch so schrye, so warf ihn ein Wirbelwind in's Meer. Er kam ein wenig wieder empor, aber der Sturm bedeckte ihn mit seinen Wogen und ein Schlund verschlang ihn. – Plötzlich ergriffen die getreuesten Sklaven die Tryphäna, setzten sie auf den Nachen, und entführten sie mit dem größten Theíl´ ihrer Kostbarkeiten, dem augenscheinlichen Tode.

Ich aber umarmte den Giton, und weint' und schrye: »Also haben wir das allein von den Göttern verdient, daß sie uns nur im Tode vereinigten! Aber auch das wird das grausame Schicksal nicht zugeben. Siehe! iezt wird die Fluth das Schiff umkehren! Ach das Meer wird unsere verliebten Umarmungen zertrennen! Gieb, wenn du deinen Enkolpion wahrhafftig geliebt hast, ach so gieb ihm noch Küsse der Liebe, da es noch erlaubt ist, und raube noch diese letzte Wollust dem eilenden Schicksale.«

Wie ich dieses gesagt hatte, so warf Giton sein Gewand von sich ab, hüllte sich in das meinige, hob sein Köpfchen an meine Lippen empor, und gab mir die brünstigsten Küsse. Und damit keine mißgünstige Welle uns so zusammenhängend von einander reissen könne, zog er den Gürtel um uns beyde herum, und sagte: »Wenn es auch nicht anders seyn kann, so wird uns doch das Meer zusammenvereiniget tragen müssen. Oder will es uns barmherzig an ein Ufer treiben, so wird ein vorübergehender Wandrer so menschenfreundlich seyn, uns in unserer Vereinigung zu begraben, oder welches das äusserste ist, auch die erzürnten Wogen müssen uns so verbunden in den Sand legen.« Ich erdultete dieses letzte Band der Liebe, und erwartete, wie auf dem Todenbette zubereitet, ohne Furch und Angst den Untergang.

Unterdessen richtete der Sturm die Befehle des Schicksals aus, und zerbrach alles, was noch ganz am Schiffe war. Mastbaum, Steuerruder, Seile und alle Ruder waren verlohren. Wie ein roher und unbearbeiteter Haufen Holz gieng das Schiff mit den Wellen.

Auf einmahl kamen Fischer mit kleinen Schiffchen eilfertig herbey gerudert, um Beute zu machen, wie sie aber noch Leute auf dem Schiffe sahen, welche im Vertheidigungsstande waren, so verwandelten sie die Grausamkeit in Hülfe.

Und wie man sich so besprach, hörten wir ein ungewöhnliches Murmeln in der Kammer des Steuermanns, es gliech dem Gebrüll' einer gefangnen Bestie, die sich los machen will. Wir giengen dem Gebrülle nach und fanden dann den Eumolp da sitzen und ein ungeheueres Pergament mit Versen anfüllen. Wir verwunderten uns darüber, daß er noch bey dem bevorstehenden Tode ein Gedicht machen könne, zogen ihn mit allem seinen Geschrey heraus, und befahlen ihm, doch nicht so närrisch zu seyn. Aber er glühte von Zorn auf, daß wir ihn unterbrochen hatten, und sagte: »Laßt mich doch nur noch diesen Gedanken endigen! ich bin am Ende meines Gedichts.« Ich ergriff den Rasenden, ließ den Giton herbey kommen, und wir zogen ihn auf die Erde, da er noch vor Wuth brüllte. Ein schöner Zug von einem erhabnen Genie. In einer solchen Lage ein Gedicht machen können, wie das auf den bürgerlichen Krieg ist, ist mehr, als eine Ode unter Donnerwettern. Eine starke Phantasie beherrscht den Menschen offt mehr als alle übrigen Sinne, welches leider! die rohen Erdensöhne nicht begreifen und lächerlich finden.

Nachdem wir damit fertig waren, so giengen wir traurig in eine Fischerhütte, sättigten uns mit Speisen, die vom Schiffbruche verdorben waren, und brachten hier die traurigste Nacht zu.

Den andern Tag, wie wir Rath hielten, welcher Gegend wir uns anvertrauen wollten, sah ich auf einmahl einen Leichnam auf einer leichten Welle an das Ufer gespület werden. Der Anblick rührte mich, und ich betrachtete mit lebhafften Augen die Treulosigkeit des Meeres.

»Ach!« rief ich aus, »vielleicht erwartet diesen in irgend einem Welttheile seine sichere Gemahlin! Vielleicht ein Sohn, der das Meer nicht kennt! Oder vielleicht hat dieser seinen Vater verlassen, und ihm zum Lebewohl einen Kuß gegeben! Das sind die Rathschlüsse der Sterblichen! das ist das Ziel ihrer großen Gedanken! Siehe! wie der Mensch schwimmt!«

Noch beweint' ich ihn, als einen Unbekannten. Wie aber die Wellen sein unbeschädigtes Gesicht an's Land gebracht hatten, so erkannt' ich in ihm den vor kurzen erschrecklichen und unversöhnlichen Lykas. Zu meinen Füssen lag er iezt.

Ich konnte mich der Thränen nicht länger enthalten, schlug die Brust mit verdoppelten Schlägen, und rief: »Wo ist nun dein Zorn? wo deine Macht? da liegst du nun, eine Beute der Fische und Seethiere! du, der du vor kurzen mit deinen Herrschafften prahltest, konntest dir nicht einmahl im Schiffbruche ein Bret von deinem grossen Schiffe zueignen!

Gehet nun hin ihr Sterblichen, und schwellet eure Busen mit grossen Gedanken auf! Gehet hin und macht aufs kläglichste Plane für eure durch Betrug erworbenen Güter auf tausend Jahre hinaus! Dieser da sah gestern die Berechnungen seines Vermögens durch! dieser da bestimmte sogar den Tag, wenn er in sein Vaterland kommen würde! Ihr Götter und Göttinnen! wie weit ist er vom Ziele seiner Hoffnungen!

Aber das Meer nicht allein ist den Sterblichen so treulos. Ienen Krieger betrügen seine Waffen: ienen begräbt der Ruin seines Haußes, indem er seinen Haußgöttern opfert: und dieser stürzt vom Wagen und giebt den Geist auf: den einen erstickt zu viel Speise und der andere stirbt vom Fasten. Wenn man es ganz richtig berechnen will, so ist überall Schiffbruch. – Aber die Schiffbrüchigen sind nicht so glücklich, begraben zu werden. Die Alten furchten sich sehr vor dem Ertrinken. Einige Ausleger machen hier die lächerliche Erklärung: »Einige Philosophen hätten geglaubt, der Geist im Menschen bestünde aus Feuer, wenn nun einer ertränke, so stürbe seine Seele zugleich mit dem Leibe, denn dieses Feuer würde vom Wasser ausgelöscht, und verlöhre dadurch ihre Unsterblichkeit.« Und man findet auch wirklich verschiedene Stellen, welche diese Meinung bekräfftigen. – Diogenes und andere Weisen sagten: Macht mit mir was ihr wollt, wann ich gestorben bin, denn da empfind' ich ganz gewiß nichts mehr davon; und Mäcen: Ich sorge nicht für mein Grab, die Natur begräbt die Toden. Als wenn es dem Körper was hälfe, daß er auf diese und keine andere Art aufgelöst würde! Feuer, Wellen und Zeit ist hier einerley. Es mag seyn, was es will, so kömmt es alles auf eins hinaus. Aber dort zerfleischen wilde Thiere den Leib. Als wenn das Feuer barmherziger mit ihm umgienge! Ja wir halten dieses ia für die härteste Strafe, wenn wir auf unsere Sklaven zürnen! Was ist es denn also für eine Raserey, alle Sorgfalt anzuwenden, damit ia nicht etwas von uns unbegraben bleibe, da auch das Schicksal wider unseren Willen es so verordnet hat?« In einem gewissen gottlosen Buche, wie man es nennt, Compère Mathieu oder Gevatter Matz getauft, kann man über diesen Text eine ausführliche philosophische Predigt lesen, die der allgewaltige Père Jean hält, nachdem er den Engländer durch seine Beredtsamkeit dazu bewegt hatte, daß er sich an einen Baum erhenkte, damit seine Reisegefährten aus Syberien in der großen Hungersnoth etwas zu speisen bekämen, ohne daß sie um ihr Leben würfelten, oder einen tod schlügen.

Nach dieser Betrachtung erwiesen wir dem Leichnam die letzten Pflichten. Mit unwilligen Händen richteten wir dem Lykas einen Scheiterhaufen auf, und verbrannten ihn. Eumolp sah unterdessen weit in die Ferne, um dem Toden eine Grabschrifft zu machen.

Nachdem wir ihm die letzten Pflichten erwiesen hatten, so traten wir die beschlossene Reise an, und erstiegen binnen kurzer Zeit voll Schweis einen Berg, von dessen Gipfel wir nicht weit davon eine Stadt auf einer Anhöhe erblickten. Wir wußten in der Irre nicht, was es für eine wäre, bis wir endlich von einem Pachter erfuhren, daß es Crotona sey, eine von den ältesten Städten Italiens und ehedem dessen Hauptstadt. Wir erkundigten uns sehr genau, was für eine Art von Menschen diesen edeln Ort bewohnte, und was für Gewerbe sie hauptsächlich trieben, nachdem die öfftern Kriege alle ihre Reichthümer aufgezehrt hätten.

»O meine Freunde«, sagte der Mann, »wenn ihr Handelsleute seyd, so verändert euren Vorsatz und sucht auf eine andre Art euch was zu verdienen. Wenn ihr aber zu der feinern Art von Menschen gehört, und euch für verschlagen genug haltet, so ist was daselbst zu gewinnen. In dieser Stadt macht man sich nichts mehr aus den Wissenschafften, die Beredtsamkeit wird nicht mehr geachtet, Mässigkeit und unsträfliche Sitten werden weder gerühmt noch belohnt, sondern alle Menschen, die ihr darinnen sehen werdet, theilen sich in zween Theile, denn sie werden entweder erschlichen oder erschleichen. In dieser Stadt zieht man seine eigenen Kinder nicht mehr auf, Dieses gieng bey den Alten sehr wohl an, man brauchte sie nur auszusetzen; das ist in irgend einen Wald tragen, oder in's Wasser werfen. weil ieder, welcher schon seine Erben hat, weder zu Gastmahlen, noch festlichen Spielen zugelassen wird, sondern aller Bequemlichkeiten des Lebens beraubt unter den Hefen des Volks im verborgenen leben muß. Wer aber keine nahen Anverwanden hat, kömmt zu den höchsten Ehrenstellen. Diese allein sind Soldaten, sind allein tapfer, sind allein rechtschaffen. Ihr werdet diese Stadt«, fuhr er fort, »für nichts anders, als ein Lager halten, in welchem die Pest gewüthet hat, wo man nur Leichname sieht, welche Raben zerfleischen.« –

Eumolp, welcher die mehrste Weltkenntniß unter uns hatte, stellte Betrachtungen über die Neuheit dieser Sache an, und gestand, daß ihm diese Art sich zu bereichern nicht übel gefiel. Ich glaubte, der Alte scherze nach seinem poetischen Leichtsinn, aber er ließ mich nicht lange bey diesen Gedanken, und sagte: »O könnt' ich doch in einem bessern Aufzug erscheinen! das ist, wenn ich nur ein prächtigers Kleid hätte, welches die Lügen bekräfftigte; dann würd' ich beym Herkules nicht diese Tasche mit mir herumtragen, sondern den Augenblick wollten wir Gold in Menge haben.«

Ich antwortete ihm, daß diesem leicht könne abgeholfen werden, wenn ihm gefällig sey, den geraubten Mantel, und was wir auf dem Landgute des Lykurg erbeutet hätten, anzuziehen. Die Mutter der Götter würde uns in der gegenwärtigen Noth mit ihrem Beystande nicht verlassen, und uns für das Zutrauen, das wir zu ihr hätten, Geld dazu bescheeren.

»Machen wir Komödianten!« sagte Eumolp, »ich bin euer Herr, wenn euch dieser Plan gefällt!«

Niemand wollte diese List verdammen, welche uns nichts schaden konnte. Damit also die Sache unter uns bliebe, schwuren wir dem Eumolp einen feyerlichen Eyd, und gaben ihm dadurch Gewalt, uns zu brandmahlen, zu binden, mit dem Schwerde zu ermorden, oder was ihm sonst belieben würde. Wie ächte Klopfechter ergaben wir uns ihm mit Seel und Leib auf das heiligste.

Nachdem wir unsern Eyd abgelegt hatten, grüßten wir ihn, als verstellte Sklaven unsern Herrn, und lernten unsere zu spielenden Rollen. Der einzige Sohn des Eumolp wäre gestorben, ein Jüngling von einer erstaunlichen Beredtsamkeit, der ausserordentliche Hoffnung von sich gegeben. Dieser untröstliche Greiß sey deswegen aus seinem Vaterlande gegangen, damit er nicht täglich die Clienten und guten Freunde seines Sohns, oder sein Grabmahl, die ewige Ursache seiner Zähren, sehen müßte. Dazu sey noch erst kürzlich ein Schiffbruch gekommen, durch welchen er über eine Million Verlust gehabt; daß er zwar daraus sich nichts mache, aber daß es doch deswegen ihm unangenehm sey, weil er seine Bedienten dadurch verlohren, und es seine alte Würde beleidigte, daran Mangel zu leiden. In Afrika besitz' er noch dessen ohngeachtet über drey Millionen an Gütern und Kapitalien; denn er habe auf den Fluren zu Numidien so viel Sklaven, daß er ein Karthago damit erobern könne.

Wie wir damit fertig waren, so befahlen wir dem Eumolp, so offt zu husten, daß man ihn für schwindsüchtig hielt: sich zu stellen, als wenn er immer den Durchfall habe: alle Speisen, sie möchten so köstlich seyn, als sie wollten, öffentlich zu verachten: von nichts, als Gold und Silber zu sprechen: von uneinträglichen Gütern und unfruchtbaren Ländereyen: ausserdem sollt' er täglich über Rechnungen sitzen und alle Tage was an seinem Testamente ändern: und damit die Komödie vollkommen gespielt werde, so sollte er, so offt er einen von uns rufen wollte, ihm einen andern Namen geben, daß es desto eher das Ansehen hätte, er sey der Herr von vielen, die nicht zugegen wären. –

Da dieses alles in Ordnung gebracht war, so baten wir die Götter, daß sie unser Vorhaben beglücken möchten, und wandelten unsere Strasse weiter. Aber Giton war nicht mehr im Stande, die ihm ungewöhnliche Last weiter zu tragen, und der Lohnbediente des Eumolp war seines Dienstes satt; öffters legte er seinen Sack nieder, und fluchte, daß wir so schnell liefen, und schwur, daß er entweder die Sachen von sich werfen, oder damit durchgehen würde.

»Glaubt ihr«, sagte er, »daß ich ein Esel sey oder ein Lastschiff? ich habe mich als einen Menschen verdingt, und nicht als ein Pferd! Ich bin ein eben so freyes Geschöpf als ihr, ob mich gleich ein armer Vater gemacht hat!« Und nicht einmahl mit diesen Scheltworten war er zufrieden, sondern hob offt ein Bein in die Höhe und beleidigte auf das schändlichste unsere Ohren und Nasen. Giton spottete über die Faulheit dieses Kerls und macht' es ihm mit dem Munde nach, damit er den schlimmen Geruch von seiner Nase abhielt.

Auf einmahl aber setzte sich Eumolp wieder auf sein altes Steckenpferd, und sagte: »O ihr Jünglinge, viele haben sich mit der Poesie betrogen! denn so bald einer einen Vers gedrechselt, oder einen zärtlichen Gedanken in einen Schwall von Worten gewickelt hat, so bald denkt er auch: Nun bist du eben auf dem Helikon!

So haben offt einige den gerichtlichen Geschäfften entsagt, ihre Glückseeligkeit bey der Poesie gesucht und sind nach ihr wie nach einem zugänglichern Hafen geflüchtet, indem sie glaubten, es sey leichter, ein Gedicht hervorzubringen, als eine Streitschrifft mit spitzigen Sentenzlein durchflochten.

Uebringens ist ein edelartiges Genie nicht zu eitel, und verläßt sich bloß auf sich selbst. Der Geist kann nicht empfangen, oder eine Geburt hervorbringen, als bis er viel von den ächten Quellen der Gelehrsamkeit getrunken hat. Man muß alle wiedrige Worte vermeiden, und nichts aus dem Pöbel hervorhohlen, damit man mit Recht sagen könne:

Ich hasse dich unheiliger Pöbel und Verscheuche dich von meiner Musen Haynen!

Dann muß man auch dafür sorgen, daß keine Gedanken in das Ganze hineingeflickt zu seyn scheinen, sondern es muß alles wie ein Gewand von einer schönen Farbe glänzen. Homer ist Zeuge davon, die neun lyrischen Poeten, der römische Virgil und die glückliche Kühnheit des Horaz. Denn die übrigen haben den Weg nicht gesehen, auf welchem man zu den Musen gelangt, oder wenn sie ihn sahen, furchten sie sich, ihn zu betreten.

Zum Beyspiel! wer ein Gedicht über den bürgerlichen Krieg, ein schweres Werk, verfertigen will, und den Geist nicht voll Wissenschafften hat, der wird unter der Last ersinken. Man darf die Reyhe der Begebenheiten nicht nach eineinander in Versen erzählen, das kann ein Geschichtschreiber weit besser; sondern durch kühne Wendungen, Rathschläge der Götter, wunderbare Gedanken muß das grosse Genie, wie auf der Blitze Flügeln, zum Erhabnen sich empor schwingen. Es muß mehr die Rede eines von Begeistrung Wüthenden seyn, ein hinreissender Strom von grossen Gedanken, als eine aufrichtige Erzählung mit Zeugen versehen. Eben so sagt Baco von Verulam in seinem Buche über die Vervollkommnung der Wissenschafften: die Dichtkunst muß sich über die Geschichte erheben und nur die erhabnern Thaten beschreiben. Ein Dichter muß ein Stückchen von der Gottheit in sich haben, damit er die Seelen bezaubern und zum Erhabnen empor reissen könne. Und damit alle seine Worte wie Honig in die Busen der Kinder von Weibern gebohren flössen, wurde ihm die Göttin Musica zur Begleiterin gegeben. Dadurch kann er die rohesten Geister gelind machen. Barbaren zähmen und sie bey den Ohren fest halten. z.B. 1O .Kap. S. 169.

Die lange Stelle oben ist auf Lucans Gedicht gemacht, von welchem die ersten Bücher freylich gegen dem Gedichte Petrons verschwinden müssen, wie Mond vor Sonne.

Zum Beyspiel, wenn euch dieser Anfall von Begeistrung gefällt, ob gleich die Feile noch nicht darüber gewesen ist. Man muß dieses Gedicht als die erste Ausströmung eines begeisterten Dichters betrachten. Es ist voll von schönen und erhabenen Gedanken. Ieder empfindliche Geist wird das Vergnügen dabey empfinden, das ich empfand, da ich es las und übersetzte. Die Männerchen, welche Horaz den Wanzen vergleicht, haben viele Stellen darinnen verdorben und zernagt. Ueberall findet man einen Haufen von verschiedenen Lesarten. Ich habe mich, wie ich glaube, derienigen bedient, welche der Stelle, wo sie vorkommen, am angemessensten waren. Burmann hat sehr selten vom Petron mehr, als die Sprache verstanden; deswegen hab' ich seine Verbesserungen an diesem Gedichte auch gar nicht gebraucht; wohl aber sehr offt die Lesarten, welche Henault, der beste Erklärer dieses Gedichts, aus der Handschrifft des Colbert davon angeführt hat. Wenn mir die Vergleichungen einiger Stellen dieses Gedichts mit einigen ähnlichen des Lucan nicht zu weitläufig und überflüssig geschienen hätten, so würd' ich offt hier sehr gelehrt haben scheinen können, insbesondre bey denen Leuten, welche Fielding Ungeziefer nennt.

Die Uebersetzung selbst hab' ich so getreu gemacht, als ich es konnte, ohne unverständlich zu werden, und die römischen Gedanken in ihrer ganzen Stärke ausgedrückt, wo es in unsrer Sprache möglich war.

Ich würd' es in Hexameter übersetzt haben, wenn nicht diese Versart durch die vielen geistlichen Gedichte in unsrer Sprache darinnen selbst heilig geworden wäre, und ich nicht hätte befürchten müssen, sie zu entheiligen. Dann ist auch dieses Metrum dem Gange unsrer teutschen Sprache sehr zuwider, wie die Gedanken in ienen Gedichten dem gesunden Menschenverstände mehrentheils zuwider sind. Es in gereimte Verse zu übersetzen, würde nicht viel besser gewesen seyn, als die Arbeit ienes Bildhauers, der der griechischen Statue des Apollo eine Fiddel in die Hand gab.

Schon hatte Rom den Erdenkreis bezwungen,
Wo Meer und Erde war, wohin nur Sonne
Und Luna schien – und suchte neue Länder! Man könnte dieses als eine Spötterey ansehen, wenn man den Petron vertheidigen wollte, weil er gesagt hat, Rom beherrschte die ganze Welt – und suchte neue Länder.
Schon giengen zu entfernten Nationen
Durch tausend Klippen schweere Kriegesschiffe! Man will diese Stelle mit dem Besuch erklären, welchen Caesar den Britten machte; aber sehr ungereimt. Bey diesen war kein Gold zu holen; und dann that es auch Caesar nicht aus dieser Ursache, welche hier getadelt wird. Man kann wohl besser die Unternehmungen des Crassus und Sylla und anderer hier anbringen.
Und wo noch eine Küste lag verborgen
Und noch ein Land, wo Gold gebohren wurde –
Das war auch Feind! zum Kriege! rief das Schicksal.
Der Krieger suchte Gold, nicht mehr Triumphe:
Der Ahnen Lust gehörte für den Pöbel:
Soldaten suchten unbekannte Wonne,
Und Purpur unsrer Scipionen Kronen,
War dunkel gegen indian'sche Farbe. Eine Art von afrikanischer Farbe, welche dem Purpur gleich kam.

Für Wolle mußten Serer Seide bringen,
Numidien seinen Marmor zu Pallästen,
Arabien süssen Dufft von seinen Fluren!
Allein noch nicht genug! auch neue Wunden
Muß man dem längst gewünschten Frieden schlagen! –
Aus Mauritaniens ungeheuren Wäldern Die abscheulichen Spiele der Römer sind so bekannt, daß ich nicht für nöthig halte, sie hier zu beschreiben.
Hohlt man mit schweerem Golde wilde Thiere –
Aus Lybien Sande bis zum letzten Ammon –
Damit ein theurer Zahn gefangne Römer
Zerfleische! Schiffe müssen weit herfahren
Den zähnefletschenden ergrimmten Tyger
In einem goldnen Tempel eingeschlossen,
Damit in Rom er Menschen morden könne,
Um satt an ihrem Blute sich zu trinken,
Indeß die Römer freudig dazu klatschen!

Ach! daß ich's sagen muß! dein günstig Schicksal
O Rom, wird bald aus deinen Mauren weichen!
Nach persischem Gebrauch Semiramis soll zuerst die Verschneidung schöner Knaben erfunden haben, um sie zur Liebe zu gebrauchen; nach einer Stelle des Ammianus Marcellinus. Daß diese Art von Liebe hauptsächlich von den Persern herkomme, und daß sie bey ihnen öffentlich erlaubt gewesen, ist aus vielen alten Autoren zu beweisen. Von ihnen kam sie zu den Griechen und von diesen zu den Römern. stielt man den Knaben,
Wann sie zur Jugend reifen, ihre Mannheit,
Und quetscht der Bräute süsse Frucht mit Eisen,
Verheerend die Natur zur glatten Wollust!
Man hält den Wuchs der Blüthen zu den Früchten
Zurück – der Zeiten edle Flucht zum Jüngling!
Natur sucht sich, doch ohne sich zu finden!
Zur Hure wird der Knabe iezt geschaffen,
Und weichlich ohne Nerven muß er wandeln!
Die Haare flattern düfftend um den Nacken!
Unzählig sind der neuen Kleider Namen,
Um seine Schande männiglich zu zeigen. –


Wie ungeheuer üppig wird geschwelget
An prächt'gen Tafeln von Citronenholze! Martial vergrössert dieses noch; er sagt, daß eine Tafel von Golde weniger koste, als eine von diesem Holze – Aurea, qui dederit dona, minora dabit. – Plinius versichert uns, daß es bey den Römern solche Narren gegeben, welche eine von dergleichen Tafeln mit vierzig tausend Thalern und noch mehr, nach unserer Münze gerechnet, bezahlt haben. Die Verschiedenheit der Adern machte hauptsächlich die Schönheit davon aus. Henault.
Für schlechte Adern werden Tonnen Goldes,
Mehr Gold, als Holz, nach Afrika getragen!
Und um sie müssen Heere Sklaven stehen
An Purpurbetten, die ein Schwarm von Schmeichlern
Besoffen drückt – und hier wird nun die Beute
Von vielen tod geschlagnen Nationen –
Der ganzen Welt in einem Schmauß verschlucket! –

Erfindrisch ist dein Gaum! aus tiefem Meere
Muß dir Sicilien lebendig bringen
An deinen Tisch den Skar, und zehr'nde Austern
Der See Lucrin, damit du wieder hungerst,
Und Phasis muß dir seine Vögel schicken
Und die Musik von seinen Ufern rauben,
In seinen traurigen, verwaisten Zweigen
Sucht sie umsonst der sie gewohnte Zephyr!

Die tolle Wuth erwählt auf deinem Wahlplatz,
Und iede Stimm' ist Folge größrer Beute.
Das Volk ist feil zusammen mit den Vätern!
Verkäuflich alles! Geld ist Bürgermeister!
Auch Greiße denken nicht an röm'sche Freyheit!
Das Geld stürzt alle Römermacht zu Boden!
Da liegt der Alten Majestät im Staube!
Und überwunden, von dem Volk vertrieben
Muß Cato wandern! selbst sein Nebenbuhler
Schämt sich des Siegs und der erhaltnen Beile. Vatinius wurde statt seiner erwählt, weil Pompeius und Crassus es ihrem Interesse nicht gemäß fanden, daß Cato erwählt würde.
O Schande Rom! welch ein Ruin der Sitten!
In diesem war dein Stolz nun überwunden
Und deine Macht! nicht er! und deine Zierde!
Von deiner eignen Hand wirst du besieget,
Und ohne Rächer bist du nun verlohren. –

Drauf raubt der Wucher alle deine Beute
Von beyden Meeren! Folge von dem Schwelgen!
Kein Hauß ist sicher! ieder Leib verpfändet!
Wie eine Seuche leis' erst in die Nerven
Sich schleichet, wie ein Dämon dann allmächtig
Im Menschen wüthet, und mit Martern peinigt,
Und dann ihn grausam sich zu töden reizet –
So müssen in Verzweiflung zu den Waffen
Die Römer greifen, um sich wieder Schätze
Zu rauben, oder töden sich zu lassen.
Gefahren haben sie nicht zu befürchten,
Wer kann verliehren, scheuet nur Gefahren.
Und welche Künste konnten aus dem Schlummer
Auf Purpurbetten Rom dich besser wecken,
Von Wollust eingewieget, als die Waffen?
Als Wuth und Bürgerkrieg und Tod und Wunden?
Drey Helden schenkte dir dazu das Schicksal,
Die in verschiednen Schlachten bald Bellona Begrub.
Des Crassus Kopf liegt bey den Parthern:
Pompeius im ägypt'schen Meer, der Grosse:
Und Iulius, den größten aller Römer,
Hat undankbar sein Vaterland ermordet,
Als wenn die Mutter Erd' an einem Orte
Die mächt'gen Leichen nicht ertragen könne,
Vertheilte sie der grossen Männer Aschen. Ueber den Tod des Pompeius und Caesar haben die Dichter viel gedacht, insbesondre haben sie viele Ursachen angegeben, warum Pompeius lange Zeit, nach dem Bericht einiger Geschichtschreiber, unbegraben gelegen. Molza, einer der schönsten Genieen des sechszehnten Jahrhunderts, dessen Hermaphrodit bekannter ist, als seine bessern Gedichte, sagt noch das beste darüber in folgendem Sinngedicht:
Dux Pharia quamvis iaceas inhumatus arena
Non ideo fati est saevior ira tui:
Indignum fuerat tellus tibi victa sepulcrum,
Nec decuit coelo te nisi, Magne, tegi.
Ein so grosser Mann, der die ganze Erde überwunden hatte, konnte nur von dem Himmel bedeckt werden.

Die ihr nach Ehre dürstet, denkt ihr Schicksal! –

Es lieget zwischen Pozzol und Neapel Henault und vor ihm Gonsal will hier den Berg Vesuv beschrieben haben; es ist aber augenscheinlich, daß hier ein andrer Ort beschrieben ist. Und wirklich haben andere Dichter eben so wie Petron die Gegend um Puzzuolo beschrieben.
Ein Ort verborgen unter faulem Nebel,
Von Sümpfen, die herquellen vom Cocytus,
Aushaucht er lauter heise gifft'ge Dämpfe.
Es kann Autumnus keine goldne Früchte
Hintragen, und der Frühling keine Blumen,
Und keine blühnde Zweige voll von Sängern
Der süssen Liebe, keine Nachtigallen.
Hier wohnt das alte Chaos, schwarze Felsen
Und schmuzge Kiesel sind kaum werth zu tragen
Noch traurige Cypressen voll Gespenster.
In diesen hob sein schwarzes Haupt voll Asche
Empor der schreckliche Monarch der Toden
Und schrye zu der eilenden Fortuna:

»O Königin der Menschen und der Götter Fortuna,
Hasserin des sichern Stolzes,
Die du den Bettlern Scepter und Monarchen
Offt Ketten schenkest, weist du wohl, daß Rom dich
Nun endlich einmahl überwunden habe?
Und daß du keine Grosse finden könnest,
Die fähig sey, es in'n Ruin zu stürzen?
Die Jugend Roms selbst hasset seine Kräffte,
Und läßt mit sich, als wie mit Mädchen buhlen,
Und mag der Siege Glück nicht mehr ertragen.
O siehe! wie die Römer nach dem Luxus
Hier wüthen, um die Beuten zu vernichten!
Palläste bis hinauf zu den Gestirnen
Erbauen sie von Gold' und Felsenhäußer
Verjagen Seen von den alten Ufern!
Auf ihren Fluren wird das Meer gebohren
Und mitten in dem Meere Zaubergärten!
Sieh die Natur der Dinge sie verändern!
Schon stürmen sie mein Reich, die Erde wanket,
Denn ihrer Feste Säulen sind durchgraben!
Die Berge sind erschöpft! das Eingeweyde
Der Erde wird von ihnen nun zerrissen,
Weil Rom zu iedem Dinge Felsen brauchet!
Die Schatten fürchten schon der Sonne Strahlen! Die Sonnenstrahlen waren den Schatten nach dem Zeugnisse der Alten sehr fürchterlich; sie brachten ihre Langeweile gern im Dunkeln zu.
O blick' einmahl mit zornigem Gesichte
Die Römer an! demüth'ge sie Fortuna!
Entzünde Bürgerkrieg in ihren Geistern!
Und schicke wieder unserm Reich Erschlagne!
Schon lange haben wir kein Blut getrunken,
Und meine liebe Tisiphone lechzet,
Seit dem der kühne Sylla hat geschlachtet
Und von der Römer Blute Saaten wuchsen. – «

Er sprach's: und spaltete mit seiner Rechten
Den Boden, um der Göttin sie zu reichen.
Drauf sprach Fortun' aus ihrem leichten Busen –

»O Vater, dem das Todenreich gehorchet,
Dein Wille soll geschehn! wenn ich entdecken
Den Schluß des Schicksals darf – In diesem Busen
Empört sich kein geringrer Zorn! im Herzen
Auflodert keine leichtre Flamm'! ich hasse
Die Macht, die ich dem stolzen Rom gegeben!
Die ungeheure Grosse soll zerstürzen!
Die Göttin, die sie schuf, kann sie vernichten!
Verbrennen will ich seine tapfren Heere,
Mit ihrem Blut den Gott der Trauer weiden! –
Schon rasselt Waffenschall in meinen Ohren –
Auf beyden weiten Ebnen der Philippen
Erblick' ich Nationen sich ermorden!
Thessalien ist Feu'r von Scheiterhaufen!
Iberien bedecket von Erschlagnen,
Und Lybien! Ich seh die Ufer seufzen
An dir o Nil! und Actium voll Schiffbruch
Und leichenvoll und wüthen den Apollo! Hier sind die verschiedenen Land- und Seeschlachten bezeichnet, welche in den bürgerlichen Kriegen sind gehalten worden. Apollo ist deswegen hier mit im Spiele, weil Augustus ihn für seinen Schutzgott hielt, und ihm wegen seiner Siege viel Ehre erwies.
Mach' auf die Thore deiner Reiche Pluto!
Nicht länger sollen sie nach Blute dürsten!
Nimm auf die Millionen neuer Seelen!
Dein alter Charon wird in seinen Nachen
Die blut'gen Schatten wohl nicht alle bringen!
Nein! eine Flotte muß er haben!
Sätt'ge Du Tisiphone dich mit Strömen Blutes!
Zerfleischt kömmt eine ganze Welt voll Schatten
Zu deinem Styx, nun friß zerrißne Glieder!«

Kaum hatte sie geendigt das Orakel,
So fuhr ein lichter Blitz aus einer Wolke
Und Donner rollten schrecklich durch die Himmel.
Der Schatten König kroch in seine Hölle
Und zitterte vor seines Bruders Keilen.

Darauf verkündigten die Niederlagen,
Die kommen würden, Zeichen an dem Himmel. Es ist wunderbar, daß vor ieder wichtigen Veränderung auf diesem Erdboden, der schon so viele Meilen von dem Sirius entfernt ist, viele unbegreifliche Vorboten erschienen sind und erschienen seyn sollen. Fast alle diese Zeichen, welche hier Petron sehr schön beschreibt, sollen sich nach dem Bericht der glaubwürdigsten Geschichtschreiber zugetragen haben, und alle Dichter, die von den Helden des Bürgerkrieges gedichtet, bedienten sich derselben; bis auf den Geisterriesen Shakespear. Machiavell untersteht sich nicht, diese und dieienigen, welche sich kurz vor seinen Zeiten zugetragen, in Zweifel zu ziehen. Wer das 56te Kapitel im ersten Buche seiner Discorsi darüber liest, wird sich gewiß verwundern. Er sagt: »Donde e' si nasca, io non sò.« Doch sagt er endlich: »Pure potrebbe essere, che sendo questo aere, come vuole alcuno Filosofo, pieno d'intelligenze, le quali per naturale virtù prevedendo le cose future et avendo compassione à gli uomini, acciò si possino preparare alle diffese, gli auvertiscono con simili segni.« Hier ruf' ich mit dem Shah Baham aus: Jamais question plus difficile! –
Den Titan sahe man mit einer Wolke
Sein blutig Angesicht bedecken: Fackeln
Vom Bürgerkriege flammten in den Lüfften:
Und Cynthia verlöscht ihr volles Antlitz,
Den Blick entzog sie dem Verbrechen: Donner
Zerrissen wiederhallende Gebürge:
Im Laufe sterbend standen Ströme stille:
Der Himmel wüthet vom Geräusch der Waffen:
Mars stößt in die Trompete, die Gestirne
Erschüttert Kriegeston: und Aetna speyet
Aus seinen Eingeweyden Feuerwogen
Und schicket sie wie Blitze nach dem Himmel.
Die Gräber öffnen sich, und aus den Urnen
Erheben Geister sich und zischen gräulich:
Und durch die Atmosphäre ziehn Kometen
Mit langen Feuerschweifen schrecklich brennend:
Und plötzlich fällt herab ein blut'ger Regen. –
Und kurz darauf geschah, was dies uns drohte.
Der Sieger Caesar zögerte nicht länger
Und zog aus seinem Gallien, sich zu rächen,
Mit seinen Helden hin zum Bürgerkriege.

Auf ienen lüft'gen Alpen, wo sich Pfade
Alkmenens Sohn durch tausend Felsen bahnte, Herkules soll einmahl über die Alpen gegangen seyn, und daselbst viele Denkmahle hinterlassen haben.
Dort ist ein Ort dem Herkules geheiligt,
Die ew'ge Residenz des strengen Winters.
Dort ragt sein grauer Scheitel an die Sterne!
Hier sitzt der Himmel auf den Riesengipfeln!
Der wüthend'sten der Sommersonnen Strahlen
Gehn nicht dahin! und nicht ein laues Lüfftchen!
Gebürge können dort von Eiß' und Reifen
Mit ihren droh'nden Schultern Welten tragen!
Held Caesar hatte diesen Ort erstiegen
Mit seinen muthgen Kriegern, ihn betrachtet,
Und übersah von dessen höchstem Gipfel
Sein Vaterland, Hesperiens goldne Fluren.
Hier hob er in den Himmel seine Hände. Livius erzählt von dem Hannibal, daß er eben da über die Alpen gekommen sey, wo man weit nach Italien sehen könne. Seine Soldaten wollten aus Verdruß über die Beschwerlichkeiten der Reise nicht weiter gehen, da er ihnen aber Italien zeigte und die entzückenden Fluren darinnen, so hätten sie sich mit ihm durch eine Hölle hinein geschlagen.
»Dich Richter Zeus und dich o Land der Venus,
Das mit Triumphen einst ich hab entzücket,
Ruf ich zu Zeugen an, daß ich gezwungen
Der Rache Schwerd in diese Fluren trage!
Aus meinem Vaterlande will man mich verbannen,
Indeß der Rhein vom Blut der Feind' erröthet! –
Indeß ich Gallier in Alpen jage,
Die wieder unser Kapitol zu stürmen
Im Sinne hatten, will man für die Siege
Zu der Belohnung mich aus Rom verweisen!
Ich habe sechzigmahl den Sieg davon getragen, Caesar hat nach dem Zeugniß des Solin und der ältesten Handschriften vom Plinius 52 mahl gesieget; Petron nimmt hier also poetisch die runde Zahl.
Dadurch der wilden Teutschen Wuth gebändigt,
Das ist der Dorn in meiner Römer Augen!
Und doch wem sind denn die Triumphe schrecklich?
Wer sind die, welche meine Rache heischen?
Ein feiles Sklavenvolk mit Geld erkaufet!
Stiefmutter ist mein Rom von diesen Sklaven!
O diese Rechte wird kein Träger fesseln!
Ihr meine Sieger und Begleiter gehet
Und schaffet wüthend euch das Recht mit Schwerde!
Wir haben mit einander triumphiret,
Und dies Verbrechen wollen sie bestrafen.
Ihr meine Freunde müßt euch selbst belohnen,
Ich habe nicht allein gesieget. Also
Mag nun Fortun' entscheiden, ob wir Strafe
Und Schande für Trophäen haben sollen.
Erhitzt den Muth in euren Nerven! Krieget!
Entschieden ist die Sach'. Unüberwindlich
Ist Caesar unter so viel tapfern Helden!«

So sprach er unter seinem Heer erhaben.
Schnell flog ein kühner Adler auf zur Sonne Die Erklärer machen hier aus dem Adler einen Raben oder Habicht, aber der delphische Vogel im Original kann hier nur den ersten wegen der Erhabenheit der Stelle bedeuten. Auch der Adler war dem Apollo geheiligt.
Und aus dem dunkeln fürchterlichen Hayne
Erscholl zur linken Seit' ein lautes Murmeln,
Und lichte Flammen blitzten durch die Zweige,
Der Himmel that sich auf und Phöbus glänzte
Mit strahlendem Gesichte durch die Welten.

Doch Er allein war mehr, als dieses alles.
Voran gieng er, schön wie der Gott des Krieges
Mit kühnen Schritten durch die wilden Felsen,
Das Eiß war Rosen unter ihren Füssen,
Doch wie die Helden durchgedrungen waren,
Zerschmolz das Eiß, und mit den Hufen schlugen
Die Pferde durch gefrorner Flüsse Decken,
Und von den hohen Bergen schossen Ströme
Herab, schnell vom geschmolznen Schnee gebohren.
Doch plötzlich standen sie im Laufe stille,
Man konnte glauben auf Befehl des Schicksals,
Zusammen froren Wellen wie gebunden.
Allein nun glitschten aus der Männer Füsse,
Da lag zerstreuet Roß und Mann und Waffen.
Vom Himmel stürzten Wolken auf sie Hagel,
Es wütheten um sie die Wirbelwinde,
Aus ihren Sitzen rissen sich die Felsen
Und fielen wie gefrorner Meere Schollen
Auf ihre Waffen! Ungeheure Tiefen
Von Schnee und Hagel lagen auf der Erde!
Und mit Orkanen hatte nun der Winter
Die Fluren überwunden, die Gestirne
Des Himmels überwunden, und die Ströme
Mit Fesseln an den Ufern überwunden –
Doch nicht den Caesar! mit dem grossen Spiesse
Schlug er in's Eiß und gieng mit sichern Schritten.
So gieng einst Herkules durch die Gebürge
Des Caucasus – auf des Olympus Gipfeln
Verachtung blickend Toruo ore – Diese Gebehrde war dem Jupiter sehr gewöhnlich und man findet sie auf den
mehrsten alten Köpfen von ihm, wie die Anschauer derselben bemerkt haben. Aus dieser Stelle
kann man hauptsächlich die Grosse des Petronischen Genies bestimmen.
Zeus und warf die Berge
Zurück auf die rebellischen Giganten. –
Schon übergiebt man furchtsam dem Erzürnten
Die festen Plätze von Italiens Gränzen.
Nun flieget Fama mit geschwindem Fittich
Nach Romes stolzem Berge Palatinus,
Ein Donnerschlag verkündigt sie den Römern.
Sie hören Caesars Flotten auf dem Meere,
Durch alle Alpen seine Legionen,
Und daß sie noch von teutschem Blute rauchen.
Und Waffen, Blut und Brand und Niederlagen
Und aller Krieg schwebt ihnen vor den Augen.
Aufruhr und Furcht und Sturm und Schrecken wüthen
Und zweifelhafft theilt Rom sich in Partheyen.

Der will zu Land entfliehn, der auf dem Meere,
Schon sind die ungetreuen Fluthen sichrer,
Als Vaterland! der greifet zu den Waffen
Und spricht: das Schicksal rufet uns zum Kriege!
Nach seiner Furcht flieht Jedermann geschwinder.
Und im Tumulte führt man aus den Thoren
Das röm'sche Volk – erbärmlich ist's zu sehen! –
Wohin die Flucht den Führer treibet. Wehrlos
Verlässet es sein Vaterland entvölkert.
Rom suchet auf der Flucht sein Heil. Geschlagen
Sind schon die Römer und verwaiset stehen
Noch da die Häußer. Dieser fasset zitternd
Die Kinder auf den Arm, und iener traget
Auf seinem Schoose seines Haußes Götter,
Verläßt die Schwelle weinend und verwünschet
Der Römer Feind und bringt ihn um mit Worten.
Der drückt sein zärtlich Weibchen an den Busen:
Und iener graue Väter: und die Jugend
Trägt auf dem schwachen Nacken, was sie liebet:
Der Geiz'ge nimmt sein Gold und trägt's zur Beute.
So, wenn der Südwind auf dem Meere stürmet
Und Fluth auf Fluthen wälzet, stehen Schiffer
Auf ihrem Schiff bestürzet, weder Ruder
Noch Seegel helfen, dieser will den Hafen,
Und iener läßt zur Flucht die Seegel schwellen
Und überläßt auf Klippen sich dem Glücke.

Pompeius flohe mit den Bürgermeistern,
Der Riese Roms, vor welchem Pontus zittert!
Der Schrecken des Hydasp! der Räuber Klippe!
Bey dessen ungeheueren Triumphen
Selbst Zeus in seinem Kapital erstaunte!
Auch dieser flieht sein Vaterland! o Schande!
Nun sah des Grossen Rücken auch Fortuna!
Den Rücken? welche Strafe! wie Er zeigten
Die Götter ihrem Rom nun auch den Rücken,
Sie fliehen von der Erde voll Verbrechern.
Vor allen andern hüllt sein lächelnd Antlitz
Der Fried' in einen Helm und flieht die Erde
Mit einem Schild' an den schneeweisen Armen
Und wandelt flüchtig nach dem Schattenreiche.
Er wird begleitet von der reinen Treue
Und der Gerechtigkeit mit fliehnden Haaren
Und von Concordien im Trauerkleide.

Die Hölle speyt dafür aus ihren Schlünden
Ein ganzes Chor von rächrischen Göttinnen.
Die drohende Bellona und Erinnys,
Mit Fackeln in den Händen die Megäre,
Die Traurigkeit und die Treulosigkeit und

Des Todes Ebenbild mit gelben Augen.
Die Wuth hebt unter ihnen ohne Zäume
Ihr blutig Haupt empor, ihr scheußlich Antlitz,
Wovon ein Helm die tausend Wunden decket.
In ihrer Linken ist ein Schild zerfleischet
Von unzählbaren Pfeilen; in der Rechten
Trägt sie des Krieges Fackel auf die Erde.

Von den Gestirnen steigen zum Olympe
Und theilen in Partheyen sich die Götter.
Dione führet ihres Caesars Sache
Und Pallas tritt ihr bey und Mars ihr Liebling,
Indem er seinen mächt'gen Speer erschüttert.
Pompeius findet Hülfe beym Apollo
Und bey Dianen und Alkmenens Sohne:
Der Grosse Pompeius und Magnus bedeuteten bey den Römern den nämlichen Mann. Er hatte in seiner Jugend wie Alexander durch einen wichtigen Sieg nach dem andern sich diesen Beynamen erworben. Wer wie Plutarch vergleichen kann, kann viel Aehnlichkeit bey diesen beyden Grossen finden. war nach ihm der zweyte Herkul.
Trompeten schmettern. Ihren schwarzen Scheitel
Reckt zu den Obern mit zerrißnen Haaren
Discordia, von deren Augen flossen
Und deren Lippen Blut und scheußlich Eyter:
Des Rachens Zähne waren rostig Eisen,
Und Drachen spyen aus den Haaren Flammen:
Zerrißne Kleider hingen an den Busen:
Sie schüttelte mit ihrer hagern Rechten
Von ihrer Fackel blutge Feuerfunken.
Nun gieng sie aus den dicken Finsternissen
Des gräulichen Cocytus aufs Gebürge

Des edeln Apennins mit wilden Schritten,
Wovon sie alle Welt und iedes Ufer
Erblicken konnt' und alle Kriegesschaaren,
Und brüllt' voll Wuth aus ihrem schwarzen Busen:

»Ergreifet wüthend Völker eure Waffen!
Ergreifet sie! werft Fackeln in die Städte!
Nicht Weib und Knab' und Greiß soll müssig liegen!
Die Erde zittre selbst! und alle Häußer
Zerfallen. Du Marcell sey strenger Richter! Es waren damals ihrer zweene dieses Namens, der eine war Consul im Jahre Roms 702. und der andre das folgende Jahr. Der erstere, von welchem hier die Rede ist, hies Marcus Claudius Marcellus. Dieser war es, welcher zum ersten den Vorschlag that, den Caesar wider die Erlaubniß, welche man ihm gegeben hatte, aus Gallien zurück zu rufen.
Du Curion feur' an den röm'schen Pöbel! C. Scribonius Curio, einer von den schönsten Genieen seiner Zeit, war unter der Zahl der Tribunen im Anfange des bürgerlichen Krieges. Er war erstlich dem Caesar nicht gewogen, welcher ihn aber durch vieles Geld auf seine Seite zu bringen wußte.
Du Lentulus gestatte keinen Frieden! Cornelius Lentulus war Consul das nämliche Jahr, welches das 704te Roms, und wie man sagen kann, das letzte der Republik war. Dieser war einer von denen, welche sich am hefftigsten den Friedensvorschlägen, welche Caesar that, widersetzten. Henault.
Zerbrich du Halbgott Caesar diese Thore!
Zerbrich! Was zauderst du! Stürz' ein die Mauren!
Nimm das gesparte Gold! und du Pompeius
Du weist nicht mehr dein festes Rom zu schützen?
Die Zuflucht zu den Griechen kann nichts helfen!
Thessalien muß von deinem Blute trinken!«

Und es geschah, was sie der Welt befohlen.

Da dieses Eumolp mit einer erstaunlichen Geläufigkeit der Zunge aus sich geströmet hatte, so kamen wir nach Crotona. Wir herbergten diesen Tag in einem kleinen Wirthshauße, den andern Morgen aber suchten wir ein reicheres auf, und fielen gleich unter einen Haufen von Erbschaffterschleichern, welche sich sehr genau erkundigten, wer wir seyen, und woher wir kämen. Nach der Vorschrifft unsers gemeinschafftlichen Rathschlages vergrösserten wir alles mit einer gewaltigen Beredtsamkeit, und entdeckten ihnen, wer und woher wir wären. Sie hatten nicht den geringsten Zweifel darüber; und gleich um die Wette legten sie dem Eumolp ihre Schätze zu Füssen, und suchten alle seine Gunst durch Geschenke zu gewinnen. Lange lebten wir auf diesem Fuß zu Crotona. Eumolp schwamm in Glückseeligkeit, und dachte so wenig mehr an seinen vorigen Zustand, daß er so gar sich bey seiner Familie rühmte: Niemand könne seinem Ansehen daselbst widerstehen, und daß wir alle ungestraft, wenn wir etwas verbrochen hätten, unter dem Schutze seiner Freunde sicher seyn würden.

Ich aber, ob ich gleich in den täglich immer mehr und mehr zunehmenden Bequemlichkeiten des guten Lebens meinen Leib vollgestopft hatte, und glaubte, daß mein gutes Glück nunmehr sich nicht um mich bekümmere, dachte doch öffters nicht so wohl an meine gegenwärtige Lebensart, als an die Ursache davon, und sagte zu mir selbst: Was dann, wenn ein verschmitzter Erschleicher einen Spion nach Afrika wird geschickt und unsern Betrug entdeckt haben? Was dann, wenn der Lohnbediente seiner gegenwärtigen Glückseeligkeit überdrüssig das ganze Geheimniß bey seinen Bekannten wird ausgeschwatzt und unsere Streiche neidisch verrathen haben? Nun! dann müssen wir uns wieder auf die Flucht begeben und zu unserer lieben Armuth zurück kehren, die wir so schlau von uns scheuchten. Ihr Götter und Göttinnen in welcher Unruhe leben die Herumschwärmer! Täglich befürchten sie, was sie verdient haben. –

Nach diesem erbaulichen Monologe gieng ich traurig aus unserm Hauße, um in der freyen Lufft meinen Geist wieder aufzuheitern. Kaum aber war ich in die öffentlichen Spatziergänge getreten, so gieng ein niedliches Mädchen auf mich zu, nannte mich bey meinem falschen Namen Poliän und sagte mir, wie vertraulich, ihre Frau bäte mich, daß sie ein Paar Worte mit mir reden dürfe.

»Schönes Kind«, antwortet' ich bestürzt, »du kömmst an den unrechten Mann! Ich bin ein fremder Sklave und einer solchen Einladung im mindesten nicht würdig.«

»O ich kenne dich sehr gut!« sagte das Mädchen, »zu dir! zu dir mein Freund bin ich abgeschickt worden! Aber du weist, daß du ein Adon bist, und bist stolz darauf! Es ist unbillig, daß du deine Umarmungen verkaufst und nicht aus Liebe giebst! Warum denn hiengen sonst diese zierlich gelockten Haare um das polierte Gesicht? weswegen diese schalkhaffte Bewegung der Augen? dieses süsse langsame Liebäugeln? Und diese Nymphenschrittchen, deren Fußtapfen man zu einem Meßstabe brauchen könnte, als daß du deine Schönheit herumträgst, um sie zu verkaufen?

Du siehst mich an? Ich bin dir wahrhafftig keine Wahrsagerin und bekümmere mich um nichts weniger, als den Himmel der Sterngucker! aber ich verstehe die Kunst, aus den Gesichtszügen die Sitten der Menschen zu erfahren, und wenn ich dich gehen sehe, so weiß ich, was du denkst. Willst du uns also verkaufen, warum ich dich bitte, so hast du einen Käufer gefunden; willst du es aber aus Liebe geben, welches etwas menschlicher ist, so mache denn, daß man dir eine Wohlthat zu verdanken hat; denn dadurch, daß du dich zu einem Sklaven erniedrigest, wird die Begierde meiner Frau, dich zu umarmen, desto hefftiger. Es giebt gewisse Damen, deren Leidenschafft nur die rohe Natur verlangt, und die Begierden wallen nicht eher in ihren Busen auf, als bis sie schöne Sklaven oder hoch aufgeschürzte Thürhüter gesehen haben. Einige entzündet ein Klopfechter, ein bestaubter Mauleseltreiber oder ein ausgeklatschter Possenreißer auf dem Theater. Aus dieser Zunft ist meine Dame. Sie überspringt vierzehn Bänke vom Orchester, und sucht sich im Winkel unter dem Pöbel, was sie lieben will.« –

Ich war voll Entzücken über diese schmeichelhaffte Rede. »Bist du wohl selbst die Dame, welche mich liebt?« fragt' ich sie; das Mädchen lachte laut über diese frostige Schmeicheley. »O«, sagt es, »du hast ein wenig zu viel Eigenliebe! Noch kein Sklave kann sich rühmen, mich überwunden zu haben. Behüten mich alle Götter davor, daß ich meine Liebe am Kreuze sollte hängen sehen! diesen rührenden Anblick will ich den vornehmen Damen überlassen, die so sehr gelüstig sind, die Narben von Peitschen zu küssen! Nur Ritter, mein schöner Sklave, können das Herzchen dieses Kammermädchens mit Liebe anschwellen!«

Ich mußte mich über diese unordentliche Begierden verwundern und unter die Ungeheuer der Liebe rechnen, daß die Magd den Stolz der Dame und die Dame die Demuth der Magd hätte.

Da wir endlich mit unsern Scherzen zu weit ausschweiften, so bat ich das Mädchen, ihre Dame unter diese Ahornbäume zu führen. Dem Mädchen gefiel diese Bitte. Es hob sein Röckchen etwas höher hinauf, und wandt' sich in einen Seitengang von Lorbeerbäumen. Kurz darauf kam es wieder zum Vorschein, und führte eine Dame aus dem Schatten hervor und zu mir – und eine Göttin schlug ihre Arme um meinen Nacken, welche schöner war, als alle Statuen. Jede Sprache ist ohnmächtig, ihre Gestalt zu beschreiben, und was ich sagen werde, wird zu wenig seyn.

Ihre Haare wallten in natürlichen Locken die Schultern herab: auf ihr niedriges Stirnchen beugten sich die Spitzen derselben vorwärts: Eine kurze Stirn war bey den Alten ein wesentliches Stück der Schönheit; aber eine kurze Stirn konnte immer zu gleicher Zeit breit und hoch seyn, nämlich die hereinwachsenden Haare mußten machen, daß sie kurz zu seyn schien. Deswegen kämmen noch iezt die Circassierinnen die abgestutzten Haare auf der Stirne von oben über dieselbe herunter, so daß sie fast bis an die Augenbraunen reichen. Winkelmann in den A. ü. d. G. der K.

Man muß diese Petronische Beschreibung für weiter nichts, als ein Portrait halten.

ihre Augenbraunen liefen daran bis an die Gränze der Backen herum und verlohren sich sänftlich zwischen Augen, die heller, als alle Sterne glänzten, wenn kein Mond am Himmel ist: von ihrer Stirne stieg ein klein wenig gebogen die Nase herab, und ein Mündlein hatte sie, dergleichen Praxiteles im Taumel der süssesten Begeistrung an der Göttin der Dryaden gesehen hat: und Kinn und Nacken und Hand und Fuß ausser den feinen goldenen Bänderchen übertraf die Weisse des Marmors von Paros. – Meine alte Liebe, die Doris des Lykas verschwand aus meinem Kopfe dagegen, wie Dämmerung von Auroren.

Und du vergissest Zeus zu seyn
Und schlafest bey den Göttern
O Vater Iupiter in deinem Himmel ein
Bey deinen Spöttern?
Hier sollten aus der kühnen Stirne
Die schönsten Hörner steigen dir!
Europa war nur eine feile Dirne –
Hier würd' ich, wär' ich Zeus, zum Stier!
Zu dieser sollte Pflaum, so weiß, wie Schnee,
Auf reiner Fluth dich wie zu Leden führen!
Das ist die wahre Danae!
Versuch' es nur, dies Leibchen zu berühren!
Wie deine Semele
Zerschmolz von deines Glanzes Flammen,
So wirst du fließen selbst zusammen
Von dieser Zaubrin Flammen.

Diese jugendliche Begeistrung ergötzte sie. Sie lächelte, wie die schönste Grazie, und Luna schien mir von einem Wölkchen in den reinen Aether gegangen zu seyn und ihr volles Antlitz darinnen zu zeigen. Daraufschlug sie zärtlich mit ihren Fingerchen an meine Wangen und sagte liebkosend: »Wenn dir ein schönes, junges Weibchen, das zum erstenmahl' in diesem Jahr einen Mann erkannte, nicht unanständig ist, so hast du o Jüngling ein Schwesterchen gefunden! – Schon hast du zwar ein Brüderchen – denn meine Liebe hat es ausgekundschafftet – aber was hindert dich, ihm noch ein Schwesterchen zuzugesellen? Ich komme zu dir in eben dem Grade der Verwandtschafft! würdige mich nur, mir bisweilen zur Abwechselung, wenn es dir gefällig seyn wird, ein Küßchen zu geben!« –

»Bey allen deinen göttlichen Reizen bitt' ich dich«, rief ich aus, »verschmähe nicht einen fremden Menschen! Nimm ihn unter deine Verehrer auf! Ewig anbeten will ich dich, wenn du es erlaubest! und damit du nicht glauben mögest, daß ich mich umsonst zu diesem Tempel Amors nahe, so schenk' ich dir meinen Bruder.«

»Was?« sagte sie, »du schenkest mir den, ohne welchen du nicht leben kannst? von dessen Umarmungen die Glückseeligkeit deines Geistes abhängt? welchen du so liebest, wie ich dich gegen mich wünsche?« –

Wie sie das sagte, so war eine solche Grazie in der Melodie ihrer Worte, so liebliche Töne versüßten die harmonische Lufft, daß ich glaubte, die Syrenen schwebten über die Lorbeerbäume dahin und sängen ihre süssesten Liedchen. Die Syrenen waren wegen ihres bezaubernden Gesanges bey den Alten berühmter, als selbst die Musen, ob diese sie gleich in einem Wettstreite überwunden hatten. Wer ein Beyspiel davon hören will, der hör' es in dem Agathon des Oberpriesters der Grazien, des griechischen Wieland. Circe mußte eine Stimme haben, wie Aspasia eine hatte, von welcher Aelian erzählt: Sie hat eine so süsse, so zarte Stimme, daß du glaubest die Syrenen singen, wann sie redet.

Im Taumel entzückender Bewunderung stand ich da – mein Geist und alles, was Sinn an mir war, wurde von einem gewissen Glänze bezaubert, wie keiner im ganzen Himmel seyn kann. – »Wie ist dein Name o Göttin?« fragt' ich sie, nicht mehr bey mir selbst –

»So hat dir meine Magd nicht gesagt«, antwortete sie, »daß ich Circe heise? Ich bin zwar nicht die Tochter des Phöbus, und meine Mutter hat den Lauf der Welt nicht, wenn es ihr gefiel, an ihren Busen zurück gehalten; Die Mutter der alten Circe war die Geliebte des Phöbus, mit welcher er diese Tochter zeugte. doch werd' ich etwas besitzen, das vom Himmel abstammet, wenn uns das Schicksal wird vereiniget haben. Ein Gott sagt mir es, ich weiß nicht, in was für geheimen Ahndungen und unaussprechlichen Gedanken! Nein! Circe liebt nicht ohne Ursache den Poliänon! So offt ich diesen Namen nur nenne, so offt lodert auch das Feuer der Sympathie in meinem Busen auf. Laß mich dich umarmen, Geliebter! du darfst hier keinen Neugierigen befürchten! – dein Brüderchen ist weit von diesen Lauben entfernt!« –

So sagte die reizende Circe und umwand mich mit weichern Armen, als Pflaum und zog mich auf einen Rasen nieder.

Voll von Blumen, wie auf Idas Gipfel Diese Stelle ist aus der Iliade des Vaters der Dichter nachgeahmt, wo Zeus in seiner luno die Göttin der Liebe auf dem weichsten Ida umarmet. Viele Dichter haben diese Stelle nachgeahmt und übersetzt. Wieland hat die Quintessenz davon in ein Metastasisches Liedchen gegossen und Jakobi sie trefflich nachgeahmt.
Einst die Mutter Erde goß,
Als Frau luno Zeusen wie Lede genoß,
Und der blühnden Bäume Wipfel
Dämmerung der Lieb' umfloß.
Unter lunons Schoose
Schwollen sanft empor
Hyacinth und Rose
Aus der Erd' hervor,
Veilchen und Cyperon
Wollten sie erheben,
Und auf einem Wölkchen
Schienen sie zu schweben –
Eben so lag ich in Circens Schoose
Seeliger als Iupiter
Auf der Erde weichstem Moose!
Blumen blühten um uns her,
Und in blüthenvollen dunkeln Lauben
Schnäbelten sich Venus Turteldauben.

Tausend Küsse gaben wir uns auf diesem Blumenthrone; Circe umschlang mich feurig mit den Armen der Begierden und suchte mich dadurch in das Heiligthum der Liebe zu führen, in welchem ich den süssesten Nektar der Jugend opfern sollte. Ich kam vor das Pfortlein des Heiligthums, aber wie ich weder Gefäß noch Nektar hatte, so rief Circe wüthend aus: »Wie? hat dich mein Kuß beleidiget? Athm' ich was unreines aus meinem Munde? Wie? Gefällt dir der Thau der Liebe an meinem Busen nicht? Oder wenn das nicht ist, befürchtest du irgend den Giton?« –

Ich wurde röther, als Purpur und ließ die sich noch ein wenig empor sträubenden Flügel gänzlich sinken und alle Seele fuhr aus allen Nerven meines Leibes. »Bey allen Göttern«, sagt ich, »bitt' ich dich meine Königin! mache mich nicht noch elender! Ich bin behext!« –

Circe wollte diese lächerliche Entschuldigung nicht hören; verächtlich wandt' sie die Augen von mir und fragte ihr Mädchen: »Sage Chrysis, aber rede die Wahrheit! bin ich unreinlich? Ist irgend etwas eckelhafftes in meinen Locken! Lösch' ich mit irgend einem natürlichen Fehler meine Schönheit aus? Hintergehe deine Frau nicht! Ich weiß nicht, wobey wir etwas versehen haben.« –

Das Mädchen schwieg stille. Darauf riß sie ihr einen Spiegel aus den Händen und untersuchte iedes Fleckchen am ganzen Gesichte und betrachtete iede Mien' und iedes Lächeln, welches die Verliebten zu machen pflegen, riß ihr in die Blumen verflochtenes Gewand von der Erde und gieng hitzig in ihre Kapelle der Venus.

Ich aber lag da, wie ein armer Sünder, wie von einer Zaubrin an einen gähen Abgrund geführt, und fragte meinen Geist, ob ich wirklich hier die entzückendste Wollust meines Lebens einbüßte? –

Wie, wenn die schlummerreichste Nacht
Vom Himmel sinkt und Träume mit uns spielen,
Herausgegrabnes Gold vor unsern Augen lacht,
Und wir die Schätze schon in unsern Händen fühlen,
Der Schweiß von Wangen rinnt und Sorge quält den Geist,
Daß der Besitzer uns nicht seinen Schatz entreist;
Und nun der Morgensonne Strahlen
Die leere Wahrheit deutlich mahlen –
Dann wünscht die Seele noch, was sie erwacht verlohr,
Und mahlt die Träume sich mit allen Bildern vor.

So schien mir auch dieses ein wahrer Traum und eine wahre Bezaubrung gewesen zu seyn. Ohnmächtig lag ich da, keine Nerve wollte sich regen und ich war nicht im Stande aufzusteigen. Endlich erhohlt ich mich wieder ein wenig und gieng nach Hauße und legte mich in's Bette unter dem Vorwand, es sey mir nicht wohl.

Gleich daraufkam Giton, welcher meine Krankheit erfahren hatte, traurig in mein Schlafzimmer. Ich sagt' ihm aber, um ihn zu beruhigen, daß ich nur deswegen zu Bette gegangen sey, um ein klein wenig einzuschlummern; und unterhielt ihn dann mit allerley Sachen; aber von meinem Unglücke dürft' er nichts wissen, denn ich befürchtete seine Eyfersucht; und um allen Verdacht zu vermeiden, gab ich ihm Küsse und zog ihn zu mir in's Bett und wollte versuchen, ob ich wirklich behext sey. Aber Schweis und Keuchen war vergebens. Zornig stand er auf und beklagte sich über diese Schwächlichkeit des Leibes und die Veränderung der Seele, und sagte, er habe längst bemerkt, daß ich ihn iezt nur zum Nothhelfer brauche.

»O liebes Brüderchen«, antwortet' ich ihm, »meine Liebe zu dir ist immer einerley! Nur seit kurzer Zeit ist sie ein wenig vernünftiger geworden und braußt nicht mehr so stark.«

»Nun! wenn das ist«, sagte er lächelnd, »so dank' ich dir, daß du mich nach Sokratischer Art und Weise liebst! denn Alcibiades soll ja, wie seine Freunde sagen, eben so unberührt in dem Bettchen seines Lehrmeisters gelegen haben.«

Mit Zähren in den Augen antwortet' ich ihm: »Glaube mir liebstes Brüderchen, ich weiß nicht mehr, daß ich ein Mann bin! ich empfinde nichts davon! Ach! der Theil meines Leibes ist gestorben, mit welchem ich ehemals Achill war!«

Wie Giton diese klägliche Nachricht erfahren hatte, so lief er davon in den innren Theil des Haußes, damit man ihm, wenn man ihn allein bey mir würde gefunden haben, nichts böses nachreden möchte.

Kaum war er hinaus, so trat Chrysis in mein Schlafzimmer, und übergab mir folgendes Briefchen von ihrer Frau.

Circe dem Poliän

Wenn ich verbuhlt wäre, so würd' es dir übel gehen! So aber muß ich dir so gar für deine Ohnmacht danken. Im Schatten der Wollust hab' ich länger gespielt.

Aber was du mächtest, möcht' ich wohl wissen! Bist du denn mit deinen Füssen nach Hauße gekommen? denn die Aerzte behaupten, daß man ohne Nerven nicht gehen könne. Rathen will ich dir junger Mensch, nimm dich vor der Gicht in Acht! Ich habe niemals einen Kranken in so grosser Gefahr gesehen. Ach ihr Götter! Schon bist du vielleicht des Todes! Wenn eben dieser Frost in deine Schenkel und Hände geschlagen ist, so kannst du dich zur Abfarth fertig machen.

Nun! wir sind ia Menschen! ob du mich gleich auf der empfindlichsten Seite beleidiget hast, so will ich doch einem so gefährlichen Kranken das Mittel nicht verheelen, sein Leben zu retten. – Wenn du wieder willst gesund seyn, so bitte den Giton. Ich versichere dich, du wirst deine Nerven wieder erhalten, wenn er dir drey Rasttage zu halten erlaubt. – Was mich betrifft, so hab' ich keine Sorge, daß sich Jemand finden möchte, dem ich weniger gefalle. Es schmeichelt mir weder Spiegel noch Ruf.

Lebe wohl, wenn du kannst!

Wie Chrysis merkte, daß ich die ganze Spötterey gelesen hatte, so sagte sie: »Es kann einem bisweilen so ein Streich gespielt werden, insbesondre in dieser Stadt, wo es Hexen giebt, die so gar den Mond vom Himmel herab zaubern können. Aber wir wollen dir schon diese Bezaubrung vertreiben. Schreibe nur so zärtlich, als du kannst, an meine Gebieterin zurück und besänftige ihr Gemüth wieder mit einer ungeheuchelten Unterwürfigkeit! denn, ich muß die Wahrheit gestehen! seit dem Augenblicke, da sie die Beschimpfung erhielt, ist sie nicht mehr bey sich.«

Gern gehorcht' ich dem Mädchen und schrieb ihr diese Antwort.

Poliän der Circe

Ich gesteh' es, reizende Circe, daß ich offt gesündiget habe, denn ich bin auch ein Mensch, und noch jung; niemals aber hab' ich vor diesem Tage den Tod verdient.

Hier hast du einen Strafbaren, der seine Sünden bekennet! Ich habe alles verdient, wozu du mich verdammen wirst. Ich habe eine Verrätherey begangen, einen Menschen umgebracht, einen Tempel bestohlen. Diese Verbrechen kannst du bestrafen. Willst du mich umbringen, so komm' ich mit meinem Schwerde: bist du nur mit Peitschenstreichen zufrieden, so lauf ich nackend zu dir. Nur dieses einzige bedenke, daß nicht Ich, sondern die Werkzeuge gesündiget haben. Wie ein muthiger Soldat hatt' ich keine Waffen. Wer diese verdorben habe? das weiß ich nicht.

Vielleicht that die Seele von Entzückung hingerissen einen Sprung und kam dem trägen Leibe zuvor; oder vielleicht hab' ich im Taumel der Begierden das Opfer verschüttet, eh' ich in's Heiligthum der Liebe kam.

Ich kann bey diesem allen kein Verbrechen finden.

Du befiehlst mir, daß ich mich vor der Gicht in Acht nehmen soll? als wenn sie noch hefftiger werden könnte, da sie mir den Schatz geraubt hat, durch welchen ich bey dir glückseeliger, als Zeus im Himmel und auf Erden werden konnte!

Alle meine Entschuldigung besteht darinn: ich werde deine Gnade wieder erhalten, wenn du mir wirst erlaubt haben, meinen Fehler zu verbessern. Lebe wohl. Chaulieu hat eine witzige Nachahmung von diesem Briefchen in gutem Latein an die verewigte Herzogin von Bouillon geschrieben. Wer über die Schalkhafftigkeit dieses Weisen der Musen lächeln will, kann sie in dem ersten Bande seiner Werke am Ende der guten Ausgabe zu Paris nachlesen, denn in den ärgerlichen Nachdrücken der teutschen Buchhändler ist er nicht befindlich.

Nachdem ich die Chrysis mit diesem Versprechen zurück geschickt hatte, so sucht' ich, so gut ich konnte, meinen übel zugerichteten Leib wieder herzustellen. Ich badete mich, gebrauchte eine mässige Salbe, aß die nahrhafftesten Speisen, Eschlauch und dergleichen hitzige Sachen und trank sehr wenig Wein dazu. Vor dem Schlafgehen macht' ich einen kleinen Spaziergang und begab mich ohne Giton in mein Schlafzimmer; denn die Sorgfalt, alles wieder gut zu machen, war bey mir so groß, daß ich befürchtete, Giton möchte mich in die Seite kitzeln und alles wieder verderben.

Den Tag darauf, da ich völlig wieder hergestellt, frisch und gesund an Seel und Leib aufgestanden war, gieng ich wieder in eben diesen Gang von Ahornbäumchen und ein Schauer überlief mich, da ich mich an die gestrige Begebenheit darinnen erinnerte. Ich erwartete unter deren Schatten die Chrysis, meine Wegweiserin. Ich gieng ein wenig spazieren und setzte mich an das Oertchen, wo sie mich gestern angetroffen hatte.

Gleich darauf erschien sie und brachte ein altes Mütterchen mit sich, und nachdem sie mich gegrüßt hatte, sagte sie: »Nun! wie ist dir's armer Gebrechlicher? Bist du wieder gutes Muthes?«

Darauf zog das alte Weib eine Binde von verschiedenen bunten Fäden gewebt aus seinem Busen und wickelte sie um meinen Nacken. Nun vermischt' es Sand mit Speichel und machte wider meinen Willen Zeichen mit ihrem Mittelfinger an meine Stirne damit.

Wir dürfen noch hoffen, so lange wir leben,
So lange wir leben, nicht denken an's Grab!
Erscheine gewaltiger Vater Priap!
Und woll' uns deinen Seegen geben!

Nachdem diese Zauberey vorbey war, so befahl es mir, dreymahl auszuspeyen, und dreymahl magische Steinchen in den Busen zu werfen, welche es in ein Tüchlein von Purpur gewickelt hatte. Darauf untersucht' es mit seinen Händen den behexten Theil an meinem Leibe; und eh' es noch seine Zauberworte ausgemurmelt hatte, gehorchten die Nerven ihrem Befehle und füllten die Hand der Alten mit einem ungewöhnlichen Schwulste an. Sie machte Freudensprünge darüber und rief: »Siehest du meine Chrysis! Siehest du, was für einen Rammler ich für andere aus seinem Lager gehetzt habe?«

Nun übergab mich die Alte der Chrysis, welche vor Freuden ausser sich war, daß sie das verlohrne Kleinod ihrer Gebieterin wieder gefunden hatte. Mit eiligen Schrittchen führte sie mich zu sie in das lieblichste Oertchen auf der ganzen Erde, wo alles war, was die Natur den Menschen zur Augenweide hervorgebracht hat –

Der edle Ahorn goß hier Sommerschatten nieder,
Und ihr beschornes Haupt hob dort die Ficht' empor,
Und durch Cypressen sah der Lorbeer stolz hervor.
In Wipfeln gaukelten mit kühlendem Gefieder
Der Frühlingslüffte ganzes Chor
Und wehten Balsam in die offnen Glieder.

Und durch Blumen rollen Quellen
Unter ihnen klare Wellen –
Murmeln zornig sich zu Schaum
An den kleinen Kieselsteinen –
Süsser, als in Paphos Haynen
Muß sich schlummern hier ein Traum!

Für verliebte Seelen
Ist der Ort gemacht!
Amors Philomelen
Singen in der Büsche Nacht
Lauter Lieb' aus ihren Kehlen!
Nymphen schleichen, um sie nicht zu stören,
In die kühlen Grotten und hören
Entzückter sie, als die Musik der Sphären.

Sie lag auf einem goldnen Ruhebettchen, ihren schneeweisen Nacken auf eine lunonische Hand gelehnt und kühlte mit einem Myrthenzweige die laue Lufft. Wie sie mich erblickte, überzog ihr Gesicht eine Rosenröthe wegen der gestrigen Begebenheit. Darauf, wie sich alle ihre Mädchen entfernt hatten, setzt' ich mich auf ihren Befehl an ihre Seite; sie hielt den Zweig vor meine Augen und kühner durch diese Scheidewand gemacht fragte sie mich: »Nun! mein lieber Gichtbrüchiger kömmst du heute, als ein ganzer Mensch? Hast du dich wieder gefunden?«

»Ich wollte«, gab ich zur Antwort, »daß du lieber versuchtest, als fragtest!« und darauf umarmt' ich sie mit ganzem Leibe, und wir nahmen und gaben uns unzählige Küsse bis zur Sättigung. Die Schönheit ihres enthüllten Leibes bezauberte mich mit nie empfundnen Reizen und zog mich allmächtig zum höchsten Genüsse der Wollust. Schon sprachen unsere Lippen die Sprache stechender Begierden! Schon hatten unsere gelüstigen Hände alle Art von Liebe gefunden! Zusammengewachsen waren unsere Leiber! zusammen geflossen unsere Seelen! –

Aber auf einmahl lag ich wieder ohnmächtig da, als wie vom Blitze getroffen. Ich habe Mitleiden mit dem armen Enkolp! man kann sich in keine schlimmre Lage mit der feurigsten Phantasie versetzen! – Hier hätte Nodot, wenn er nur ein wenig Belesenheit in den Schrifften der Genieen gehabt hätte, da er selbst keins hatte, die schönen Verse des göttlichen Ariost in's Latein übersetzen können:

Egli Pabbraccia, et a piacer la tocca:
Or le baccia il bei petto, ora la bocca,
Ma ne l'incontro il suo destrier trabocca,
Ch'al desio non risponde il corpo infermo.
Tutte le vie, tutti li modi tenta
Ma quel pigro rozzon non perö salta.
Indarno il fren gli scuote e lo tormenta
E non può far, ehe tenga la testa alta.
Vers 48. im achten Gesange des rasenden Roland.

Gern übersetzt' ich diese Verse den Damen, aber ** und * rufen: Falle nieder Weltkind und bete die Göttin an! und ich muß von der Schönheit dieser Göttin entzückt niederfallen und anbeten und wie ein armer Sünder um Gnade bitten.

Bey dieser offenbaren Beschimpfung lief die Dame endlich zur Rache. Sie rief ihre Sklaven und befahl, mich wie einen Hund hinauszupeitschen. Dieses war ihr noch zu wenig für ein so schweres Verbrechen, sie rief alle Mägde und den Abschaum von Gesinde zusammen und gebot, mich anzuspeyen. Ich hielt die Hände vor meine Augen und dachte nicht daran, um Vergebung zu bitten, weil ich wußte, was ich verdient hatte; und ausgespyen und ausgeprügelt wurd' ich zur Thür hinausgeworfen – hinausgeworfen wurde Proselenos die Alte, und Chrysis bekam eine ganze Tracht Schläge. Die ganze Familie fragte traurig und erschrocken, und murmelte, wer die Ruhe ihrer Gebieterin so sehr gestört hätte.

Ich aber ergab mich in mein Schicksal, weil ich es nicht ändern konnte, verband und bedeckte alle meine Wunden aufs beste, damit Eumolp mich nicht noch dazu schadenfroh ausspotten, und Giton bedauren möchte und gieng muthig nach Hauße. Alles, was ich ohne mich schämen zu dürfen, thun konnte, war, ich stellte mich unbäßlich, hüllte mich in's Bett und ließ alle Wuth an dem aus, welcher die Ursache von allem diesen Unglücke gewesen war.

Dreymahl ergriff ich fürchterlich
Das Messer mit der Hand! Herr Burmann hat zu mehrerer Deutlichkeit dieses Messer mit einem Holzschnitte säuberlich abdrucken lassen.
Und dreymahl krümmt' er furchtsam sich,
Als wie ein Wurm im Sand!
Es zitterten mir selbst die Glieder,
Ich konnte nicht und legt' es wieder nieder.
Und da ich's wüthend wieder nahm,
Verkroch er sich voll Furcht und Schaam
Voll Todesangst in's Eingeweide,
Vermummte sich, als wenn es auf ihn schneyte.
Geköpft hätt' ich den Bösewicht!
Allein ich fand sein Köpfchen nicht;
Drum mußt' ich ihn mit Worten strafen,
Ihn schimpfen, wie den ärgsten Sklaven.

Ich richtete mich also auf den Ellenbogen und ärgerte den Eigensinnigen mit dieser Anrede: »Was antwortest du? du Scheusal aller Menschen und Götter? Sünde ist es, wenn man dich unter die wirklichen Dinge zählt! Hab' ich das um dich verdienet? daß du mich herab hinunter in die tiefste Hölle stürzest? daß du mich um die in der ersten Krafft blühenden Jahre bringest und mir die Mattigkeit des spätesten Alters aufbürdest? Gieb mir einen Todenschein, wenn du mir das Leben nicht wiedergeben willst!«

Er aber schlug die Augen immer nieder,
Kein Wort, kein Spott gab ihm das Leben wieder,
Da hieng sein Haupt, als wie zerknickter Mohn,
Und war nicht mehr der Wollust stolzer Thron. –

Wie ich diese abscheuliche Schmährede gehalten hatte, so gereute sie mich und ich erröthete innerlich darüber, daß ich meine Schaamhafftigkeit vergessen und mit dem Theile des Leibes gezankt hatte, an welchen ernsthaffte Leute zu denken sich scheuen. Lange rieb ich mir die Stirne. Endlich rief ich aus:

»Und was hab' ich denn böses gethan, wenn ich mich meines Schmerzens nach dem Rathe der Natur entlediget habe? Ist es nicht eben das, wenn wir auf unsern Magen fluchen? Oder auf den Gaurn? Oder auf den Kopf, wann er uns wehe thut? zankte nicht Ulysses mit seinem Herzen? und züchtigen nicht die Theaterhelden ihre Augen, als wenn sie Ohren hätten? die Podagristen verwünschen ihre Füsse, die Chiragristen ihre Hände und die Triefäugigen ihre Augen, und die ihre Finger beschädiget haben, verstampfen den Schmerz mit ihren Füssen.

Was blickt ihr mich mit runzelnvoller Stirne
Catonen an? Warum verdammet ihr
Die Schildrung der Natur? – O Freunde, glaubet mir!
Sie lächeln drüber im Gehirne! –
Gewissenhafft, ohn' alle Heucheley,
Sag' ich, was unterm Volk geschehen sey!
In einer Sprache voller Klarheit
Erzähl' ich lächerliche Wahrheit.
Wer weiß denn nicht, was man im Bett mit Mädchen macht? Der göttliche Plato selbst, wer es nicht glauben will, kann es in seinem Abendmahle lesen, sagt und behauptet: Keiner war wohl so faul und träge in seinem Leben, daß er nicht einmahl sollte – geliebt haben.
Die Götter werden uns deswegen nicht bestrafen,
Daß bey Aspasien bißweilen wir geschlafen!
Für Einen Mann sind sie so reizend nicht gemacht!
Der weise Vater Epikur
Verstand gewiß so gut, als wie ihr die Natur!
Der lehrt uns gründlich, daß für Götter in dem Himmel
Selbst dies das beste sey, wie uns im Weltgetümmel

Nichts ist fälscher, als dieser abgeschmackte Wahn der Menschen
und nichts ist abgeschmackter, als dieser geheuchelte Strenge.« Diese ächt Yorikische Vertheidigung mag auch für mich mit gelten und mich vertheidigen, daß ich Petrons Gedanken in unsere keusche, teutsche Sprache so getreulich übertragen habe. Wer hier die Wahrheit nicht fühlen und ihm und mir verzeyhen und unser Gönner und Freund werden will, der muß gewiß ein verstocktes Herz haben.

Nach Endigung dieser Rede rief ich den Giton, und sagte zu ihm: »Liebes Brüderchen, erzähle mir, aber auf dein Gewissen! brachte Ascylt die Nacht, da er dich mir entführte, mit Wachen zu, oder war er mit einer keuschen Wittwennacht zufrieden?« Der Knabe hielt schaamhafftig sein Händchen vor die Augen, und schwur mit den ausgewähltesten Worten, daß ihm Ascylt keine Gewalt angethan habe.

Ich wollt' ihn nicht länger quälen, und mich selbst nicht mit der Erinnerung der vorigen Begebenheiten, und war nun darauf bedacht, wie ich wieder in meinen vorigen Zustand kommen konnte. Ich fieng von Oben an, und gieng aus, um den Priap zu erbitten, mir zu helfen. Ich nahm eine zuversichtliche Miene an, kniete auf die Schwelle seines Tempels, und redte in der Göttersprache mit dem Gotte.

Du des Bacchus und der schönen Nymphen Begleiter,
Welchen selbst die reizende Dione
Wäldern und Gärten zum allmächtigen Gotte gebohren,
Welchen Lesbos und das blüh'nde Thasos,
Welchen geschmückte Lyder in prächtigen Tempeln anbeten,
Zu Hypäpen Stephan schreibt davon: Hypäpa ist eine Stadt in Lydien und hat ihren Namen von ihrer erhabnen Lage erhalten. In ihr werden durch eine besondere Gunst der Venus die schönsten Weiber gebohren. ewig Opfer bringen –
Sey mir gnädig Beschützer der Reben! du der Dryaden
Wonne! Höre, was ich schüchtern bitte!
Nicht mit dem Blute der Unschuld besudelt erschein' ich o Vater!
Keinen Tempel hab' ich ie bestohlen!
Sondern arm und verunglückt bin ich am edelsten Theile!
Dieser nur hat wider dich gesündigt!
Wer aus Mangel sündigt ist wohl weniger strafbar –
Mache wieder heiter meinen Busen!
Sohn der Dione verzeyh, was ich wider Willen verbrochen!
Wenn mir wieder wird Fortuna lächeln,
Dann will dankbar ich dich anbeten, dir feyerlich opfern!
Dann will ich ein Mutterschwein, ein Böckchen
Und den Vater der Heerden, den schönsten gehörneten Widder
Zum Altare tragen, ihn mit Blumen
Schön umflechten! und schäumen soll dir Falerner entgegen!
Knaben sollen um den Tempel taumeln!

Indem ich mein Gebet verrichte, und immer sorgfältig untersuche, ob die Hand des Gottes bey mir anfieng, zu würken, trat die Alte mit zerrissenen Haaren herein. Sie sah abscheulich in ihrem schwarzen Trauerkleide aus, ergriff mich bey der Hand, der ich bey iedem Geräusche zitterte, und führte mich aus dem Vorhofe.

»Was für Hexen«, sagte sie, »haben dir deine Nerven verzehrt? In welches Auskehricht bist du getreten? Oder auf welche Leiche? Nicht einmahl deinen Knaben hast du befriedigen können, sondern schlotternd, schwächlich, abgemattet, wie ein müdes Roß an einem Hügel hast du alle Mühe und allen Schweis vergeblich angewandt. O hättest du nur allein gesündiget und die Götter nicht auch wider mich aufgebracht! und ich soll mich nicht an dir rächen?«

Darauf führte sie mich in die Zelle der Priesterin; ich ließ mit mir machen, was sie wollte, sie stieß mich auf ein Bett, nahm ein Rohr von der Thür, und schlug auf mich zu, ohne daß ich ein Wort dawider hervorbrachte. Und wenn nicht das Rohr vom ersten Schlage zerbrochen wäre, und dadurch ihre Wuth zurück gehalten hätte, so hätte sie mir vielleicht Arm und Kopf in zwey geschlagen.

Ich seufzte nicht so wohl deswegen, als weil sie nun auch anfieng, meinen Zustand zu untersuchen. Die Thränen rollten mir darüber aus den Augen, ich hielt meinen rechten Arm an meine Stirne, und legte meinen Kopf auf das Kopfkissen. Die Alte selbst weinte aus Sympathie mit, setzte sich auf die andere Seite des Bettchens, und beklagte sich mit zitterlicher Stimme, daß sie zu lange lebte. Endlich kam noch die Priesterin dazu, und sagte: »Warum seyd ihr in meine Zelle gekommen? Ihr liegt ia da, wie vor einer frischen Urne! Und so gar an einem Festtage, wo selbst die Traurenden sich freuen?«

»O«, sagte die Alte, »o Enothea! dieser junge Mensch, welchen du hier siehest, ist unter einem schlimmen Gestirne gebohren worden, denn er kann mit seinem Vermögen weder einem Knaben noch Mädchen dienen! Du hast in deinem Leben keinen so unglückseeligen Menschen gesehen! Er ist so schlaff, wie Leder im Wasser! Kurz! für was hältst du den, welcher aus dem Bette der Circe, ohne Wollust genossen zu haben, gestiegen ist?«

Wie Enothea dieses gehört hatte, so setzte sie sich zwischen uns beyde, schüttelte lange den Kopf, und sagte endlich: »Nur ich allein weiß diese Art von Krankheit zu heben! Und damit ihr nicht glauben möget, ich wolle hier mit meiner Kunst prahlen, so bitt' ich, daß dieser Jüngling eine Nacht bey mir schlafe, den andern Morgen soll er wie Horn und Stahl seyn!

Die Ober und die Unterwelt
Gehorchen meinen Worten!
Ich schliesse, wenn es mir gefällt,
Der Mutter Erde Pforten.

Im Frühling, wann die Bäume blühn,
Kann ich sie dürre machen!
Und kahlen Angern geben Grün
Und Wüsten lassen lachen.

Schlag' ich an trockne Felsen an,
So kömmt ein Nil gezogen:
Und stillen muß der Ocean
Auf mein Geheiß die Wogen.

Zephyre müssen Balsam wehn,
Mich fächeln ganz gelinde:
Im Laufe müssen Ströme stehn:
Und in dem Sturm die Winde.

Ein Tyger, der in Lybien wohnt,
Und Drachen müssen schweigen:
Und auf ein Wörtchen muß der Mond
Herab vom Himmel steigen.

Die Sonne mußte Phöbus schon
In meinen Jüngern Jahren
Mit seinen Pferden auf mein Drohn
Zurücke wieder fahren.

Die Flammenstiere könnt' ein Weib
In Colchos gut behandeln,
Und Circe gar zum Zeitvertreib
Den Mensch in Schwein verwandeln.

Wie einst Ulyß bey ihr erfuhr
Mit seinen Reisgesellen,
Und Proteus kann aus der Natur
Ein iedes Ding vorstellen.

Ich aber stürz' in'n Ocean
Den Ida samt den Haynen,
Und Flüsse laufen berghinan
Als liefen sie mit Beinen.«

Ein Schauer überlief mich nach dem andern, wie ich diese wunderbare Macht hörte, und öffters sah ich die Alte dabey an. Endlich rief diese: »O Enothea übe deine Macht aus!« darauf wusch sie neugierig sich die Hände, und legte sich über das Bettchen, und küßte mich einmahl und noch einmahl.

Enothea setzte darauf einen Tisch in die Mitte des Altars, bedeckt' ihn mit lebendigen Kohlen, und brachte mit geschmolzenem Peche ein vom Alter zersprungenes Gefässe wieder in Ordnung. Nun schlug sie einen Nagel wieder in die beräucherte Wand, welcher daraus gefallen war, da sie das hölzerne Gefäß herabziehen wollte. Nun gürtete sie ihren priesterlichen Schurz um sich, und setzte eine ungeheure Pfanne auf das Feuer, und hohlte zugleich mit einer Gabel aus einem Speiseschranke ein Säckchen mit Bohnen, und ein durchlöchertes Ueberbleibsel von einem uralten Hirnschädel. Sie machte das Säckchen auf, und schüttete einen Theil von den Bohnen auf den Tisch, und befahl mir, daß ich sie geschwind reinigen sollte. Ich gehorchte den Augenblick, und säuberte sie emsig von den alten schimmlichten Hülsen. Aber dennoch beschuldigte sie mich der Trägheit, nahm mir sie eilig aus den Händen, biß mit der größten Geschicklichkeit die Hülsen mit den Zähnen herab, spye sie auf die Erde, und bemahlte gleichsam den Boden mit Fliegen. Es ist wunderbar wenn man bedenkt, wie erfindrisch die Armuth ist. Wie viele Künste hat uns schon der Hunger gelehrt! Meine Priesterin schien auch zu dieser Secte zu gehören; denn ihre Wohnung war das wahre Heiligthum der Armuth.

Hier glänzte nicht in Gold des Elephanten Zahn
Und abgeschliffen warf der Marmor keine Strahlen!
Auf Weydenphälen Stroh ist eine sanft're Bahn,
Und dient zugleich zum Sitz bey mäß'gen Abendmahlen.
Von ird'nen Töpfen war die Ecke ganz besetzt,
Ein grosser Zuber stand von Wasser voll daneben,
Und Schüsselchen von Holz mit Scheuren durchgewetzt,
Und noch ein Fläschchen voll – Geruch vom Safft der Reben.
Von Stroh und Leimen war die lüfft'ge Wand gemacht,
Von Binsen und von Rohr ein Dach darauf gedecket;
Als Schätze hatte man in dieses Hauß gebracht,
Was an der Armuth Tisch, als wie Ambrosia schmecket.
Mit einem Blumenkranz gar schön umflochten hieng
Gedürrtes altes Obst, als wie im grünen Laube
Zum Putz im Zimmer da; hier glänzt ein Speyerling,
Ein bunter Apfel da, dort eine trockne Traube,
In ihre Hütte nahm Theseus den grossen Held
Einst Hekale so auf; dadurch ist's ihr gelungen,
Daß sie die Musen selbst zum Muster vorgestellt
Und Kallimach sie hat der Nachwelt vorgesungen.

Wie sie die Bohnen gereiniget hatte, so zog sie auch ein wenig Fleisch von dem Schädel herab, und legte den Kopf, der wohl so alt seyn mochte, als sie selbst, mit der Gabel wieder in den Speiseschrank. Darüber zerbrach der vermoderte Sessel, auf welchem sie getreten war, um hinauf reichen zu können, und die alte Priesterin stürzte auf das Feuer, indem sie aus ihrem Gleichgewicht gekommen war. Die Pfanne wurde zerbrochen, das Feuer ausgelöscht, sie verwundete sich den Ellenbogen an einem Brande, und ihr ganzes Gesicht war voll Asche und Kohlen.

Erschrocken sprang ich herbey, und hob die Alte nicht ohne Lachen auf. Gleich darauf trippelte sie in die Nachbarschaft, um Feuer zu hohlen, damit die Aussöhnung nicht verzögert werden möchte.

Kaum war sie zur Thür' hinaus, so kamen drey heilige Gänse, welche, wie ich glaube, gewohnt waren, am Mittage ihre Mahlzeit von der Alten zu holen, fielen mich an, und standen mit einem wüthenden Gezische um mich herum. Die eine zerriß meinen Rock, die andere zerrte die Bänder an meinen Schuhen aus einander, und die dritte, welche die Anführerin zur Grausamkeit war, zerfleischte mein Schienbein mit ihrem sägeförmigen Schnabel. Ich vergaß aller der Possen, zog einen Fuß aus dem Tischchen, und wehrte mich aufs tapferste mit bewaffneter Hand. Ich war nicht mit einem Vertheidigungsschlage zufrieden, sondern rächte meine Wunden mit dem Tode der Gans.

So mußten wohl die Stymphaliden
Einst in Arkadien wüthen,
Die Herkules aus ihrer Grufft
Mit Klapperblechen jagte durch die Lufft.
So quälten den Phineus die scheußlichen Harpyen
Die Eyter, Gifft und Tod in seine Mahlzeit spyen.
Der Aether zitterte von ihrem Heulen voll,
Das bis zur Residenz der Götter wild erscholl.
Man konnte Musen nicht vor ihnen singen hören,
Die Freude war verscheucht aus ihren frohen Chören,
Und aus den Angeln rissen sich empörte Sphären.

Die andern frassen nun die Bohnen auf, die auf dem Boden hier und da zerstreut lagen, und watschelten ihrer Heerführerin beraubt wieder zurück in den Tempel. Ich war über meine Rache vergnügt, versteckte die erschlagene Gans hinter das Bett, und wusch die leichte Wunde an meinem Schienbeine mit Essig aus. Darauf befürchtete ich den Zorn der Alten, und faßte den Endschluß, davon zu gehen; wickelte meinen Mantel zusammen, und gieng zur Thür hinaus. Kaum war ich auf die Schwelle getreten, so kam mir Enothea entgegen mit einem Topfe voll Kohlen. Ich mußte also wieder zurück gehen, warf meinen Mantel ab, und blieb in der Thür stehen, als ob ich sie da hätte erwarten wollen.

Sie brachte das Feuer mit einem Rohre wieder in Ordnung, und legte Holz darauf. Nun entschuldigte sie sich, daß sie nicht eher zurück gekommen wäre, ihre Nachbarin hätte sie nämlich nicht eher von sich gelassen, als bis sie drey Becher, wie gewöhnlich, ausgeleeret hätte. »Was hast du«, fuhr sie fort, »in meiner Abwesenheit gemacht? Wo sind die Bohnen hin?«

Ich aber, der ich glaubte, eine lobenswürdige Handlung gethan zu haben, erzählte ihr das ganze Treffen nach der Ordnung, und damit sie nicht traurig darüber seyn möchte, erbot ich mich, ihr den Verlust der Gans zu ersetzen. Ich hohlte sie ihr hinter dem Bette hervor, und wie sie die Alte erblickte, so erhob sie ein so grosses Geschrey, daß ich glaubte, alle Gänse der ganzen Welt zischten um mich herum.

Ich wurde ganz bestürzt darüber, und konnte nicht begreifen, was ich für eine neue Art von Verbrechen begangen hätte. Ich fragte nach der Ursache ihres Zorns, und warum sie eher Mitleiden mit der Gans, als mit mir habe.

Aber sie schlug die Hände über den Kopf zusammen und schrye: »Wie? Bösewicht du redest noch? Weist du nicht, was für eine abscheuliche That du begangen hast? du hast die Wollust des Priap umgebracht, eine Gans, welche der Liebling aller Matronen war! Und damit du nicht glaubest, es sey eine Kleinigkeit, so wisse, daß, wenn es der Magistrat erfahrt, du an's Kreuz mußt! du hast meine Wohnung mit Blute besudelt, die bis auf diesen Tag noch unentheiliget war! du hast gemacht, daß Iedermann, der mir nicht wohl will, mich von meiner Priesterinstelle vertreiben kann!«

Nun riß sie sich ohn' Maaß und Ziel
Heraus das graue Haar, zerschlug die Brust mit Schlägen,
Zerriß die Wangen sich, und aus den Augen fiel
Herab ein ganzer Thränenregen.
Wie wenn ein Strom herab von Bergen schiest,
Und Thäler überschwemmt, wenn Eiß und Schnee zerronnen
Von lauer Lufft und warmen Frühlingssonnen,
Und nun der Winter vor dem Lenz zerfliest:
So überströmt' ein Strom die Wangen voll von Jammer,
Die Seufzer pochten an den Busen wie ein Hammer,
Und brausseten darinn, wie Wind' in Aeols Kammer.

Darauf sagt' ich ganz erschrocken zu ihr: »Ich bitte dich, schreye nicht mehr! Einen Strauß will ich dir für deine Gans schaffen!«

Indem ich darüber erstaunte, und sie in dem Bettchen saß, und den Tod der Gans beweinte, kam Proselenos dazu, und brachte die Opfergebühren; und wie sie die Gans tod da liegen sah, und uns um die Ursache der Traurigkeit befragte, fieng sie selbst an, bitterlich zu weinen und mich zu bejammern, als wenn ich meinen Vater und nicht eine Gans umgebracht hätte. Endlich wurd' ich des Geheuls überdrüssig, und sagte: »Sagt mir einmahl, ob ich nicht mit Gelde, wenn ich auch noch dazu fußfällig bäte, mein Verbrechen aussöhnen könnte, und wenn ich auch einen Mord begangen? Hier habt ihr zwey Goldstücke, mit welchen ihr Götter und Gänse kaufen könnet!«

So bald der Schein davon der Enothea in die Augen gefallen war, so sagte sie: »Verzeyhe lieber Jüngling! ich bin deinetwegen bekümmert! Meine Klagen sind Beweise meiner Liebe und nicht des Zornes gegen dich! Wir wollen dafür sorgen, daß es Niemand erfahre. Bitte du nur die Götter, daß sie deiner Handlung verzeyhen!« –

Wer einen Kasten hat voll Silber und voll Gold,
Dem ist Fortuna selbst die flatterhaffte hold.
Rechts fliegen schaarenweis' ihm alle guten Vögel!
Und immer schiffet er mit aufgeschwollnem Seegel.
Er gießet Danaen ein Klümpchen in den Schoos,
Und wie entzaubert springt der Liebe Gürtel los.
Er machet dem Akris des Mädchens altem Drachen
Mit seinem Golde weiß, er woll' es selbst bewachen.
Ein Dichter ist er, ist ein Redner, Advocat,
Und wenn er spricht, so hat Gerechtigkeit gesprochen,
Beklagter habe was und habe nichts verbrochen!
Du wirst an's Kreuz gehängt, weil er's gesprochen hat.
Er übertrifft so gar an Ansehn die Catonen,
Ist mehr als Servius und alle Labeonen.
Kurz! wünsche, was du willst! dein Wunsch wird dir erfüllt. –
Hast du mit Golde nur den Kasten angefüllt.
So kannst du alles auf der weiten Welt erlangen!
Du hast in ihm den grossen Jupiter gefangen.

Unterdessen setzte Enothea unter meine Hände eine Schüssel voll Wein, machte meine Finger aus einander, und wie sie sie darinnen mit Lauch und Petersilie gereiniget hatte, so warf sie Haselnüsse mit heiligen Worten in den Wein und wahrsagte daraus, sie mochten entweder untersinken oder darauf schwimmen. Ich konnte sehr leicht begreifen, daß dieienigen oben schwammen, welche keine Kerne, und diese untersanken, welche die volle Frucht in sich hatten.

Darauf wandt' sie sich zur Gans, schnitt ihr die Brust auf und zog die gesündeste Leber daraus, und nun prophezeythe sie mir meine zukünftigen Schicksale. Ja, damit gar nicht eine Spur von meinen Verbrechen übrig bliebe, zerlegte sie die Gans und steckte sie an den Bratspieß, und bereitete dem, welcher, wie sie selbst sagte, kurz zuvor des Todes schuldig war, ein herrliches Mahl.

Nun gieng der Becher herum, und die Alten verzehrten mit dem größten Vergnügen die Ursache ihrer Traurigkeit, die Gans. Wie sie aufgegessen war, sah mich Enothea mit einem taumelnden Blick an, und sagte: »Nun wollen wir die Aussöhnung vollenden, damit du deine Nerven wieder bekömmst!« und zugleich brachte sie einen ledernen Priap herbey, dünkt' ihn in Oel, das mit gestossenem Pfeffer vermischt war, wälzt' ihn dann in Nesselmehle herum und schob ihn nach und nach mir in den Leib hinein. Nach diesem bestrich die grausame Alte meine Schenkel mit eben diesem vermischten Oele. Dann vermengte sie Gartenkreßsafft mit Stabwurz, und rieb meine Weichen damit; und nun ergriff sie einen Büschel grüne Nesseln, und fieng an, bedächtlich alle Theile unter dem Nabel zu hauen.

Wie die Nesseln anfiengen, mich zu brennen, so lief ich davon. Die Alten liefen, so sehr sie konnten, mir nach, und ob sie gleich von Wein, und Geilheit taumelten, so kamen sie doch noch zu mir in die nämliche Strasse, und verfolgten mich noch durch einige andere Gassen, und schryen immer: »Haltet auf! ein Dieb! ein Räuber!« dennoch entwischt' ich ihnen; aber meine Fußzehen waren alle auf der Flucht blutig gestossen.

Wie ich nach Hauße kam, so warf ich mich ganz abgemattet in's Bette. Ich konnte aber nicht ein Auge zuthun, weil mir alles im Kopfe herum gieng, was mir begegnet war. Ich rief aus: »Niemand kann so viel besondre Zufälle erfahren haben, als du! Noch mußte mich auch das mißgünstige Glück mit der Liebe quälen. Ach! ich Unglückseeliger! Fortuna und Amor haben sich wider mich verschworen! Amor ist allezeit grausam gegen mich, ich mag lieben, oder geliebet werden, so quält er mich. – Nun liebt mich auch Chrysis auf das hefftigste, und verfolgt mich mit ihrer Liebe! Wie sie mich zu ihrer Frau bringen sollte, verachtete sie mich, als einen Sklaven, weil ich als Sklave gekleidet war – iezt will sie so gar mit Gefahr ihres Lebens dir folgen, wohin du willst! Sie, die zuerst deinen Zustand so sehr haßte! Innbrünstig schwört sie iezt, nicht von deiner Seite zu gehen! –

Aber Circe allein bezaubert mich, alle andere veracht' ich. Was ist reizender, als sie? Was hatte Ariadne oder Lede, das ihrer Schönheit gleich kam? Womit wollte sie Helene, womit Venus übertreffen? Paris, der Schiedsrichter der auf ihre Schönheit eyfersüchtigen Göttinnen, wenn er dieses zärtliche Liebäugeln in den Augen meiner Circe bey dem Wettstreite hätte schweben sehen – Helenen samt der Göttinnen hätt' er ihr geschenkt! – Ach! wär' es nur wenigstens erlaubt, ihren holdseeligen Mund zu küssen! Ach! ienen himmlischen und göttlichen Busen an meine Brust zu drücken! Vielleicht würde dieser Leib dann seine Kräffte wieder erhalten, und die Theile würden daran wieder aufleben, welche, wie ich nichts anders glauben kann, behext seyn müssen. An meine Beschimpfungen denk' ich nicht; daß ich geprügelt worden bin, weiß ich nicht, wenn ich nur wieder ihre Gnade erhalten könnte!«

Das Bild der reizenden Circe wurde darauf so lebendig in meiner Phantasie, daß es alle Lebensgeister in mir erhitzte. In der Wuth der Liebe ergriff ich mein Bett, und glaubte, meine Liebe in den Armen zu haben. Aber alles war vergeblich; es war ein leeres, todes Bild der Wollust. Ich zankte auf meinen feindseeligen Genius, und verglich mich mit den alten Heroen, welche auch von den Göttern waren verfolgt worden, und suchte mich dadurch zu trösten.

Mich Armen nicht allein verfolgt ein Gott mit Plagen
Und stürzt das Schicksal in Gefahr,
Vor mir hat Herkules den Himmel müssen tragen,
Weil luno seine Feindin war:
Und noch vor ihm ließ sie den Pelias erschlagen
Von seinen sanften Töchtern gar:
Laomedon erfuhr Neptunens wilde Rache,
Sein liebes, wunderschönes Kind,
Die Hesione sollt' auffressen gar ein Drache:
Wie grausam nicht auch Götter sind!
Den Telephus verfolgt sogar der Gott der Reben,
Den Ros' und Epheu stets umlaubt:
Ulysses mußte lang' auch vor Neptunen beben
Und iedes Schiff wurd' ihm geraubt. Die Geschichte dieser geplagten Männer kann man in iedem Fabelbuche lesen, ich glaube also, nicht nöthig zu haben, weitläufige Erzählungen davon zu machen.
Der Gott der Gärten und der Gott der schönen Damen
Verfolget mich zu Land und Meer!
Er raubet grausamlich mir meines Frühlings Saamen
Und – schickt mir schöne Circen her.

Ich brachte die ganze Nacht in dieser Unruhe zu; so bald es Tag wurde, kam Giton, welcher erfahren hatte, daß ich diese Nacht zu Hauße gewesen sey, vor mein Bett, hielt mir eine lange Rede über meine Ausschweifungen, und sagte mir endlich, daß sich die ganze Familie über mich beschwerte, weil ich niemals zu Hauße sey, und fügte endlich hinzu: »Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er zerbricht! das Ding wird noch einen traurigen Ausgang haben!« –

Ich merkte nun wohl, daß er etwas von mir mußte erfahren haben; erkundigte mich also bey ihm, ob lemand nach mir gefragt hätte. »Heute«, sagt' er, »Niemand; aber gestern kam ein artiges Mädchen zur Thür herein, unterhielt sich lange mit mir, und ermüdete mich ganz, indem es immer die Rede auf dich brachte. Endlich sagt' es, du habest einen schlimmen Streich gemacht, und du würdest gewiß die Sklavenstrafe ausstehen müssen, wenn der beleidigte Theil in seiner Klage beharrte.«

Die Nachricht gefiel mir gar nicht, und ich fieng wieder an, mich mit der Frau Fortuna zu zanken. Kaum hatt' ich angefangen, so kam Chrysis dazu, und fiel mir um den Nacken, als wenn sie mich aus lauter Liebe zu tod drücken wollte. »Nun hab' ich dich!« sagte sie, »wie ich dich wünschte! du mein Verlangen! du meine Wollust! Nie wirst du dieses Feuer auslöschen können, als mit deinen letzten Blutstropfen!«

Die Hitze dieses Mädchens verwirrte mich, ich bediente mich der Schmeicheleyen, um es wieder los zu werden. Ich befürchtete sogar, Eumolp möchte die hefftigen Ausrufungen der Liebe hören; und das Glück hatt' ihm die Miene eines Herrn gegeben. Ich wandt' daher alle Mühe an, um die Chrysis zu besänftigen. Ich machte den Verliebten, und sagt' ihr lauter süsse Wörtchen, so daß sie endlich glaubte, ich sey es wirklich. Darauf mahlt' ich ihr die Gefahr vor, in welcher wir beyde wären, wenn man uns beysammen erwischte und daß Eumolp deswegen toben und rasen würde. So bald sie das gehört hatte, verließ sie mich, und desto geschwinder, weil sie den Giton kommen sah, welcher kurz vorher weggieng, ehe sie herein trat.

Kaum war sie hinaus, so kam einer von den neuen Sklaven des Eumolp in aller Eile herbeygelaufen, und schwur hoch und theuer, daß der Herr sehr zornig auf mich sey, weil ich ihm seit zweenen Tagen nicht aufgewartet habe. Ich würde daher sehr wohl thun, wenn ich mich auf eine gute Ausflucht besonne; denn sein Zorn sey so hefftig, daß es ohne Prügel nicht vorbey gehen würde.

Ich sah den Giton so niedergeschlagen an, daß er sich nicht unterstand, mich wegen des Mädchens zu befragen. Er rieth mir, was den Eumolp beträfe, mehr mit ihm zu scherzen, als ernsthafft zu handeln; welches ich denn auch that.

Er empfieng mich sehr freundlich, und scherzte mit mir darüber, daß mir Venus so gnädig sey, und lobte meine Gestalt und meine Reize, und versicherte mich, daß alle Damen nach mir sähen. »O!« sagt' er, »ich weiß sehr wohl, daß du von der schönsten in der ganzen Stadt geliebt wirst! Lieber Enkolp, das kann uns noch einmahl zu etwas nützen! Spiele du nur die Rolle eines Liebhabers gut, meine angefangene will ich schon fortspielen.« –

Er hatte noch nicht ausgeredt, so trat eine von den frömmsten vornehmen Damen herein, mit Namen Philumena, welche offt in ihrer Jugend mit der frischen Blüthe ihres Alters Erbschafften heraus gelockt hatte, und nun, da die Blüthe längst verschwunden war, ihren Sohn und ihre Tochter den verwaisten Alten aufdrang, um ihre Kunst durch ihre Nachkömmlinge ausüben zu lassen.

Sie kam also auch zum Eumolp, empfahl ihre Kinder seiner Klugheit, und vertraute seiner Gütigkeit sich und alle ihre Hoffnungen. Er sey der einzige auf dem ganzen Erdenkreise, welcher mit heilsamen Lehren die Jugend täglich unterrichten könne. Kurz! sie hinterließ ihre Kinder im Hauße des Eumolp, damit sie ihn nur möchten reden hören; das sey die beste Erbschafft, die man der Jugend geben könne.

Wie gesagt, so gethan. Sie hinterließ die schönste Tochter mit ihrem sehr schönen Brüderchen in dem Schlafzimmer, und gab vor, in den Tempel zu gehen, um ein Gelübde für sein Wohlseyn zu thun.

Eumolp, welcher so massig war, daß auch ich ihm noch Knabe zu seyn schien, verschob nicht, das Mädchen zu Lesbischen Geheimnissen einzuladen. Aber er hatte sich für einen Podagristen, und Lendenlahmen ausgegeben, und wenn er nicht die ganze Verstellung beybehielt, so mußt' er befürchten, daß die ganze Komödie ihr Ende erreichen könnte. Damit also das nicht geschehen möchte, bat er das Mädchen, auf seiner Gütigkeit zu sitzen. Seinem Sklaven Korax aber befahl er, daß er unter das Bett, worinn er lag, knien sollte, die Hände auf die Erde, und den Hintern an's Bett. Er gehorchte, und machte die Kunst des Mädchens von oben unterm Bette nach. Wie das Ding zu seinem Ausbruch kommen wollte, so rief Eumolp mit heller Stimme: »Korax geschwinder! noch einmahl so geschwind!« Der Alte lag so artig zwischen seiner Freundin und seinem Sklaven, daß man es für ein Spiel gehalten hätte, wenn es Kinder gewesen wären.

Eumolp fieng das Spiel noch einmahl von vorne an, wie es vorbey war, und lachte aus Leibeskräfften, so, wie wir alle. Ich selbst, damit ich nichts verlernen möchte, gieng zu dem Brüderchen der Schwester, welcher sie durch den Spalt, wie eine lebendige Maschiene betrachtete, und versuchte, ob etwas mit ihm anzufangen sey. Dieser war gleich bereitwillig und in seiner Kunst vollkommen; aber auch bey ihm verfolgte mich meine feindseelige Gottheit.

Doch schmerzte mich diese Ohnmacht nicht so sehr, als die vorigen, denn kurz darauf erhielt ich meine Nerven wieder, und empfand mich plötzlich in meinem alten gesunden Zustande.

»Ihr grossen Götter im Himmel«, rief ich aus, »habt mich wieder ganz gemacht! du Merkur der du die Geister in die Hölle führst, und wieder auf diese Oberwelt zurücke bringest, hast mir wiedergegeben, was mir eine feindseelige Hand geraubt hatte! – Wisse Eumolp, daß ich mehr sey, als Protesilas Protesilas wurde so sehr von der Laodamia geliebt, daß sie in seiner Abwesenheit sein Ebenbild mit in's Bett nahm, und es küßte und umarmte. Wie er gestorben war, so bat sie sich von den Göttern nur noch diese einzige Wohlthat aus, daß sie ihr den Protesilas nur auf einen Tag, oder wenigstens nur auf drey Stunden wieder lebendig geben möchten. Enkolp schließet also hieraus, daß er ein grosser Held müsse gewesen seyn. und irgend ein Held des Alterthums!«

Wie ich dieses gesagt hatte, hob ich den Rock auf, und zeigte mich in meiner ganzen Stärke dem Eumolp. Er erstaunte darüber, und damit er sich gänzlich von der Wirklichkeit davon überzeugen möge, befühlt' er das Geschenk der Götter mit beyden Händen.

Diese unaussprechliche Wohlthat gab mir meine vorige Freude wieder. Wir lachten über die List der Philumene und die Geschicklichkeit ihrer Kinder, und bedaureten, daß wir ihnen nichts nützen würden; denn um zu erben hatte sie Mädchen und Knaben in unsere Hände geliefert.

Diese Art, verwaiste Alten zu fangen, gab mir Gelegenheit, über unsere Lage Betrachtungen anzustellen. Ich rieth dem Eumolp, auf seiner Huth zu seyn, indem wir leicht könnten gefangen werden. »Bey allen unsern Handlungen«, sagt' ich, »müssen wir sehr klüglich zu Werke gehen. Sokrates, der weiseste Sterbliche, nach dem Urtheile der Menschen und Götter, pflegte sich zu rühmen, daß er weder ein Wirthshauß, noch eine unruhige Menge Volkes seines Anblickes gewürdiget habe. Nichts ist behaglicher, als wenn man immer nach den Regeln der Weisheit handelt. Alles das ist wahr. Keine Art von Menschen geräth aber ehr in's Unglück, als welche ihres Nächsten Gut begehren. Woher aber sollten die Herumstreicher, woher die Spitzbuben nehmen, wovon sie leben könnten, wenn sie nicht Beutelchen oder Säckchen, die von Erzte, wie von Golde klingen, wie Hamen unter das Volk aushiengen? Wie die stummen Thiere vom Köder gefangen werden, so würden die Menschen auch nicht durch die Hoffnung allein gefangen, wenn sie nicht etwas zu beissen vor sich sähen.

Weswegen haben uns die Grotoniaten bis iezt so prächtig aufgenommen? Sie erwarteten das Schiff aus Afrika, wie du versprochen hattest, mit deinem Gelde und mit deiner Familie. Aber es kömmt nicht. Schon sind sie erschöpft und ihre Freygebigkeit vermindert sich. Das Glück, wo ich mich nicht irre, wird uns nun bald wieder für die empfangene Wohlthaten büssen lassen!« –

»Ich habe«, sagte Eumolp, »eine Art von Mittel ausgedacht, wie wir unsere Erschleicher hintergehen können«, und zugleich zog er sein Testament aus der Tasche und las folgendes daraus her.

»Alle, welche in meinem Testamente Vermächtnisse erhalten, ausser meinen Freygelassenen, empfangen sie mit dieser Bedingung: daß sie meinen Leib in Theile zerschneiden und vor dem Volk' aufessen. Sie dürfen sich deswegen nicht so sehr entsetzen; denn es giebt gewisse Völker, Einige von den Scythen und Massageten. welche das Gesetz haben, daß sie ihre Verwanden nach ihrem Tode aufessen müssen; sogar zanken sich diese mit den Kranken, daß sie so lange zubringen und dadurch ihr Fleisch verschlimmern. Ich bitte meine Freunde, daß sie sich dessen nicht weigern. Mit eben denen Empfindungen, mit welchen sie für meinen Geist bitten, mögen sie auch meinen Leib verzehren.« –

Kaum hatt' er dieses hergelesen, so traten einige von den Vertrautesten des Eumolp in sein Schlafzimmer, und wie sie sein Testament in seinen Händen erblickten, so baten sie ihn innständig, daß er ihnen was daraus vorlesen möchte. Gleich erfüllt' er ihren Willen und las es ihnen vom Anfange bis zu Ende:

So bald sie die Bedingung gehört hatten, waren sie sehr traurig; aber der grosse Ruf, in welchem Eumolp stand, verblendete ihre Augen und Seelen; und sie waren so demüthig in seiner Gegenwart, daß sich keiner unter ihnen unterstand, sich darüber zu beklagen. Aber einer davon, mit Namen Gorgias, war bereit, alles zu erfüllen, wenn er nur nicht länger warten dürfe. Eumolp antwortete ihm: »Ich befürchte nicht, daß sich dein Magen davor ekeln werde. Er wird dir gehorchen, wenn du ihm für eine Stunde Ekel so viele Güter versprichst. Mache nur die Augen auf, und stelle dir vor, nicht einen Leichnam, sondern hundert tausend Thaler zu sehen! dazu kömmt noch, daß ihr allerley Gewürze habt, mit welchen ihr den Geschmack verändern könnet. Keine Art von Fleisch schmeckt für sich gut, sondern es muß durch eine Kunst verwandelt und dem ekelhafften Magen gefällig gemacht werden. Mit vielen Beyspielen kann ich euch das beweisen.

Die Saguntiner, wie sie von Hannibal belagert wurden, assen Menschenfleisch, Sie schlugen ihre Alten tod und kochten und aßen sie. und erwarteten keine Erbschafft. Die Perusier thaten eben das in der größten Hungersnoth; und alles, was sie zu dieser Speise antrieb, war der Hunger. Wie Numantia vom Scipio eingenommen wurde, so fand man Mütter, welche ihre halbaufgegessenen Kinder noch im Schoose hatten. Uebrigens da nur die Einbildung uns einen Ekel dabey verursacht, so überwindet euch damit, daß ihr nur an die ungeheuren Vermächtnisse denkt, welche ihr von mir empfanget!« –

Eumolp trug diese abscheulichen Neuigkeiten mit so wenig Ordnung vor, daß die Erschleicher anfiengen, ein Mißtrauen in ihn zu setzen. Sie untersuchten gleich alle unsere Reden und Handlungen genauer; ihr Verdacht wurde vergrössert und sie hielten uns nun für nichts anders, als für Herumstreicher und Spitzbuben. Dazu kam noch, daß uns einige Fremden daselbst erkannt hatten. Sie beschlossen also alle einmüthiglich, sich an uns, wegen ihres grossen Aufwandes zu rächen.

Chrysis, welche dieses alles erfuhr, erzählte mir es wieder. Wie ich es hörte, so erschrack ich so hefftig darüber, daß ich den Augenblick mit ihr und dem Giton davon flöhe, und den Eumolp seinem feindlichen Schicksal überließ.

Wenige Tage darauf erhielt ich die Nachricht, daß die Crolonialen, unwillig darüber, daß sie den alten Spitzbuben so lange auf gemeinschafftliche Unkosten auf das prächtigste ernährt hatten, ihn wie Massilienser behandelt. Bey diesen war zu den Zeiten der Pestilenz der Gebrauch, daß einer von den Armen freiwillig sich zum Opfer anbot, wenn sie ihn ein ganzes Jahr lang mit den ausgesuchtesten Speisen ernähren würden. Dieser wurde dann mit Eisenkraut bekränzt, mit heiligen Kleidern angethan und durch die ganze Stadt mit Verwünschungen geführt, daß auf ihn alles Unglück der Stadt fallen möchte; und darauf von einem Felsen gestürzt.

Ende.


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