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II.

Der Mord auf Crosbys Ranch machte den ganzen Winter viel von sich reden. Solche Bluttaten gehörten in den letzten Jahren zu den Seltenheiten, und gerade dieses County erfreute sich der größten Sicherheit. Außerdem genoß Tom Crosby als alter Pionier von Missouri überall die größte Achtung, obwohl seine Feinde alte Gerüchte über seine etwas zweifelhafte europäische Vergangenheit immer von neuem aufwärmten; doch damit nahm man es hierzulande nicht so genau. Auf neuem Boden ein neues Leben! Wer nur das Richtige anfängt und in diesem ein richtiger, brauchbarer Bürger wird.

Am meisten Teilnahme aber erregte bei dem blutigen Ereignisse die Tochter Crosbys, die vielumworbene Bessy, welche damit ihr ganzes Vermögen verlor und anstatt mit ihrem Vater, der gegen ihre dringende Vorstellung die Farm um einen allerdings sehr hohen Preis verkauft hatte, in die Großstadt zu ziehen, nun auf ihrem früheren Eigentum, wo sie die Herrin so vortrefflich zu spielen verstanden, dienen mußte.

Mac Taylor, ein Irländer, der neue Besitzer von Crosbys Ranch, machte ihr sofort großmütig den Antrag, als Wirtschafterin einzutreten, ihre Tüchtigkeit wohl kennend, und zur allgemeinen Verwunderung nahm sie den Antrag an, obwohl jeder wußte, daß sie erst kurz zuvor dem Sohne desselben Mannes, zum Verdrusse beider Väter, einen Korb gegeben. Man konnte sich das nur aus der übergroßen Anhänglichkeit Bessys an die alte Heimat erklären, wie hätte sie sonst die Demütigung ertragen, den abgewiesenen Freier zum Dienstherrn zu haben; ja, man vermutete fast, ihr Stolz sei durch das plötzliche Unglück völlig gebrochen, und sie hoffe, ihre übereilte Abweisung wieder gut machen und auf diese Weise wieder Herrin werden zu können auf Crosbys Ranch.

Sie änderte nichts in ihrem selbstbewußten, schroffen Wesen; wie zuvor sah man sie jede Woche zweimal zu Pferd oder zu Wagen nach Pèoria kommen, ihre Geschäfte, Ein- und Verkäufe, zu besorgen. Sie ließ sich nichts anmerken von ihrer Dienststellung, und die Leute wollten sie nicht kränken mit darauf bezüglichen Fragen, oder sie wagten es nicht, solche zu stellen. Beileidsbezeugungen, Ausdrücke des Mitleids über das unglückliche Ende des Vaters wies sie schroff ab. Jungen Männern, welche die stolze Bessy jetzt gefügiger glaubten und sich mit neuem Mut an sie heranwagten, ging es noch schlimmer, wie früher. Es war dies um so mehr zu verwundern, als der junge Taylor, ein roher, trunksüchtiger Mensch, öffentlich in allen Wirtshäusern erklärte, es fiele ihm gar nicht ein, dieses hochnäsige Bettelkind zu heiraten, zur Arbeit sei sie ja ganz recht, und es freue ihn, gerade ihr befehlen zu können.

Auf was wartete sie denn noch, daß ihr keiner gut genug war?

»Auf die fünfzigtausend Dollar, die ihr der Henry Smidt schickt, um Crosbys Ranch zurückzukaufen,« sagte ein Spottvogel.

Diese Worte machten die Runde im ganzen County, sie kamen auch Bessy wieder zu Ohren.

»Das ist viel eher möglich, als daß ich von diesen Einfaltspinseln einen zum Mann nehme,« erwiderte sie darauf. »Ich bin überzeugt, daß er den Vater nicht um des Geldes willen umgebracht hat. Weiß Gott, wie es zuging, er war oft recht hart mit ihm, der Vater.«

Ein Schuldbewußtsein klang aus diesen Worten, eine milde Auffassung, die von ihr doppelt überraschen mußte. »Sie ist verrückt geworden über all dem Unglück und hofft wirklich im stillen, was der Spottvogel erdacht,« war die allgemeine Ansicht.

*

Bernhard Weltz hatte kein Glück in seinem bisherigen Leben gehabt. Die Mutter starb früh, sein Vater, ein kleiner Kaufmann in einer deutschen Provinzstadt, machte Bankerott und schoß sich eine Kugel vor den Kopf, als Bernhard noch ein Kind war; Verwandte sorgten für ihn, so lange, bis er selbst kümmerlich etwas verdienen konnte.

Die Vergangenheit seines Vaters war ihm hinderlich, sein Name verfehmt in der Heimat; für solche Leute ist Amerika die einzige Zuflucht.

Drei Jahre schlug er sich mit seinen kräftigen Armen redlich durchs Leben, mehr Zufall als Neigung führte ihn zum Maschinenfach. Des Fabriklebens überdrüssig, war er vor wenigen Wochen als Maschinist auf der ›Columbia‹ eingetreten, die nun tief auf dem Meeresgrunde lag.

Die grauenvollen Stunden im Mars des Schiffes, die Beichte seines Unglücksgefährten und dessen letzter Auftrag versetzten ihn in einen sonderbaren, verworrenen Zustand. Er war sich, als er das Fischerhaus verließ, um den Dampfer nach Belfast zu besteigen, keinen Augenblick eines unredlichen Gedankens bewußt; unter dem frischen Eindruck der angstvollen Stunden, in welchen auch ihn der Tod gestreift, des qualvollen Bekenntnisses einer schuldbelasteten Seele, war er durchdrungen von dem Bewußtsein seiner eingegangenen Verpflichtung.

Noch immer schwebte ihm der durchdringende Blick des Sterbenden vor Augen, noch tönten ihm dessen letzte Worte im Ohr: ›Sie sind der Mitmörder, wenn Sie –‹ und doch verursachte ihm das Paket auf der Brust peinliche Unruhe.

Es war ein großes Vermögen, fünfzigtausend Dollar, und er nannte deren nicht einmal fünf sein eigen.

Er besann sich schon, ob er nicht irgendwo das Geld bei der Polizei hinterlegen sollte zur Uebermittlung an Bessy Crosby. Das wäre das einfachste gewesen, und er wäre die Unruhe los geworden. Weshalb mit der Reise Zeit verlieren, er wollte kein Trinkgeld, – am Ende wurde er gar noch in Unannehmlichkeiten verwickelt, hielt man ihn beteiligt an der blutigen Tat. Andererseits hatte er so wie so im Sinne, nach Missouri, seinem früheren Aufenthaltsort, zurückzukehren, um dort eine Stellung zu suchen, dann ging es ja in einem hin, und er konnte sich diese Bessy einmal ansehen, die ›schöne Bessy‹, wie sie der Mörder nannte; eine kleine Vergütung sprang doch vielleicht dabei heraus, und die hatte er auch verdient.

Als er in Belfast zum ersten Mal das Paket öffnete, – er hatte bis jetzt nicht einmal die Schnur zu lösen gewagt, – um den Betrag für seine Weiterreise zu entnehmen, befiel ihn ein nervöses Zittern beim Anblick der Banknoten; es waren hundert Stück zu fünfhundert Dollar, – er hatte nie so viel Geld gesehen.

Hätte er nur den Betrag der Reisekosten als Eigentum besessen, er hätte das Paket nicht berührt, es war ihm, als lege er mit Unrecht die Hand an das fremde Gut, aber er mußte es tun, denn übergab er es dem Gericht, hatte der Empfänger gewiß noch mehr Unkosten, sagte er sich selbst.

Er nahm nur das Notwendigste heraus und verrechnete im stillen jeden Cent, den er ausgab, um strenge Rechenschaft geben zu können.

Die Fahrt war lang, die Nächte verbrachte er schlaflos, er fürchtete für seinen Schatz.

Da kamen allerlei Gedanken über ihn in dem überfüllten Coupé. Wenn diese Leute um ihn wüßten, wie reich er war, in seinem Wollkittel, seiner verbrauchten Kleidung, – er! Er mußte lachen über diese Idee! – Wie sich das alles herumquält, landein, landaus, mit Hacke und Quersack, Weib und Kind, um das zu erhaschen, was er in der Tasche hatte. Ein großes Glück, wem es der Herrgott in den Schoß legt oder gar nimmt und dann wiedergibt, wie dieser Bessy Crosby!

Sie ist ihm nicht zu kleinem Dank verpflichtet; wenn der Unrechte mit Henry Smidt zusammengetroffen wäre im Mars der ›Columbia‹, hätte sie das Nachsehen gehabt, und es gibt viele solche Unrechte, die mit voller Sicherheit, nie entdeckt zu werden, 50 000 Dollar einstecken. –

Er drückte den Kopf in die Ecke, starrte auf die schwankende, brennende Oellampe an der gewölbten, niederen Decke, deren düsterer Schein über schnarchenden Männern in allen Stellungen, Weibern mit schreienden Säuglingen an der Brust, ärmlichem Gepäck gaukelte, – plötzlich sprang er auf und stampfte mit dem Fuße, er hatte sich auf einem unsauberen Gedankengang ertappt.

Ein Mann, der neben ihm schlief, erwachte von dem Geräusch und glotzte ihn mit dem gläsernen Blick eines ermatteten Reisenden an.

»Schon in Richmond?« fragte er, sich die Augen reibend.

»Steigen Sie auch aus?«

»Nein, Pèoria, Missouri,« entgegnete Bernhard.

»Gute Gegend! Besser wie hier. – Was heißt gut? Alles eins, man kommt nirgends auf einen grünen Zweig. Gut? Ja, wer Geld hat, aber unsereins, – alles eins, – Sklaverei!«

»Das kann man sich ja erwerben, das Geld, hierzulande, Tausenden ist es schon gelungen,« bemerkte Bernhard.

Der andere lachte. »Erwerben?« Er machte eine komische Diebesbewegung mit der rechten Hand.

Bernhard wurde feuerrot.

»Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß jeder –«

»Jeder gerade nicht,« unterbrach ihn sein Nachbar, »und es braucht ja auch nicht gerade so zu sein.« Er wiederholte die Bewegung. »Es gibt allerhand Arten und Namen dafür, schöne Namen sogar, aber es läuft alles auf dasselbe hinaus, – ein Narr, der nicht mittut. Es handelt sich ja bloß um die ersten Tausend, dann kann man zeitlebens den Ehrsamen spielen, und kein Mensch fragt danach. – Mein Gott, ja, – das erste Tausend, – um das handelt es sich.« Er machte es sich wieder in der Ecke bequem und schnarchte bald von neuem.

Bernhard überdachte seine Worte.

Die ersten Tausend! Da hatte jener ganz recht, aber warum sollte man diese nicht ehrlich verdienen können durch Arbeit? – Durch Arbeit! Das ging allerdings schwer ohne besonderen Glückszufall; – er arbeitete doch auch unverdrossen, aber seine Ersparnisse waren gleich Null. Durch eine glückliche Idee? Eine Erfindung? – Auch das ist schwer zu erreichen. – Durch, – eine Heirat? Die Amerikanerinnen wollen keinen armen Mann, sie wollen gut leben, sich putzen und keine Hand rühren. – In der Stadt, – aber auf dem Lande wird das auch anders sein! Und es könnte sich ja auch ein reiches Mädchen finden, das auf das Geld nicht Rücksicht zu nehmen braucht, – das aus Liebe, – aus, – aus, – aus was könnte man denn noch heiraten? – »Aus Dankbarkeit –« sagte er plötzlich laut vor sich hin. Und vor seinen geschlossenen Augen stand ein großes, schönes Mädchen, schwarzhaarig, schwarzäugig, wie es sein Ideal war, und er legte in ihre kleinen weißen Hände das Paket aus seiner Tasche. – Bessy Crosby!

Der Gedanke durchflutete plötzlich sein ganzes Innere, er dachte nicht daran, sich dagegen zu wehren, und spann ihn immer mehr aus. – Sie verdankte ihm ihre Zukunft, ohne ihn mußte sie dienen, Henry Smidt sagte es; er war ein hübscher junger Mann, der schon mancher den Kopf verrückt, – war da etwas Unrechtes dabei?

Was tut er denn, als die Gelegenheit, die ihm in den Schoß fällt, ausnützen! Zwingen kann er sie ja nicht, – ja, es kommt erst darauf an, ob sie ihm gefällt, verkaufen will er sich gar nicht.

Wenn es zuträfe, daß sie sich für einander eigneten, daß sie sich lieb gewännen, dann wäre es ja ganz gleich, ob die 50 000 Dollar sein oder ihr Eigentum wären, dann gehörten sie ja ihnen zusammen. – – Ein heftiger Ruck weckte ihn aus seinen sich immer üppiger entfaltenden Träumen. Der Eisenbahnzug stand still.

»Richmond!« rief der Beamte in den Wagen.

Bernhard weckte seinen Nachbar, der wohl noch immer von dem ersten Tausend träumte.

Der nahm den Sack, auf dem er lag, auf die Schulter und wankte schlaftrunken hinaus.

»Viel Glück zum Erwerben!« sagte er lachend und wiederholte seine Bewegung von vorhin.

Der Zug rollte wieder in die Nacht hinaus, an flammenden Hochöfen vorbei, deren Glut auf einen Augenblick das Coupé beleuchtete, an hell erleuchteten, ruhelosen Fabriken, endlosen Flächen, durch schweigende Wälder.

Bernhard entwarf einen Plan: Auf welche Weise wollte er ihr entgegentreten? – Darauf kam alles an. Wenn er sie zuerst beobachten würde? – Der Geschmack dieses Henry Smidt war für ihn nicht maßgebend. – Vielleicht war sie stolz und wollte mit einem armen, dahergelaufenen Teufel nichts zu tun haben! Das merkte man ja gleich. Zwar hat sie jetzt die Last der Armut selbst kennen gelernt, und mit dem Stolz wird es vorbei sein, aber wenn sie sich wieder im Besitz der 50 000 Dollar sieht, dann denkt sie wohl auch anders darüber, und dann ist es zu spät, – wozu? – Zum Werben! Also – – Wie wenn ein schwerer, bedrückender Traum ihn ängstigte, so war ihm zu Mute.

Erschlafft von der Reise, entschlußlos, verwirrt von den Gedanken, kam er nach drei Tagen in Pèoria an und stieg in einem Hotel niederster Klasse ab; er lebte ja von Bessys Gelde.

Das Gasthaus war angefüllt mit Leuten vom Lande, meist arbeitsuchendem Volke. An der Bar unten ging es lebhaft her, Whisky und Bier flossen in Strömen.

Bernhard ärgerte sich über seine abgerissene Kleidung. Für was werden ihn die Leute halten? Für einen Stromer. Er hätte sich zuerst ordentlich kleiden sollen, so konnte er doch mit seinen Absichten Bessy nicht entgegentreten. – Das wäre eine übertriebene Gewissenhaftigkeit.

Die guten Leute schienen sich indes nicht viel Gedanken darüber zu machen, sie sahen selbst alle ähnlich aus. Man bot ihm einen Trunk und zog ihn in die Unterhaltung, ohne ihn besonders auszufragen. Wer sollte er denn sein, als einer von den Tausenden, die jährlich den amerikanischen Boden düngen? – Zuerst war ihm das angenehm, dann stiegen plötzlich Bedenken in ihm auf, es könnte ihm später vielleicht peinlich sein, für einen solchen gehalten zu werden; warum, war ihm selbst nicht klar.

»Frisch von drüben wohl?« fragte ihn endlich einer.

»Sehe ich denn so grün aus? Schon drei Jahre im Lande,« entgegnete er; dann nach einer Pause, während ihn der Mann von oben bis unten musterte, sagte er: »Hab's jetzt satt, das Herumtreiben, und möchte einmal eigenen Boden unter meinen Füßen haben.« Er wußte selbst nicht, wie er zu dieser Lüge kam; es kam ihm so plötzlich, und um seine Verlegenheit zu verbergen, leerte er auf einen Zug das Whiskyglas vor sich.

»Ah was, ankaufen wollen Sie sich? So weit sind wir schon?«

Wieder traf ihn ein prüfender Blick. Sein Aeußeres schien so wenig im Einklang mit seinen Worten.

»Kugle schon vierzehn Tage auf der Eisenbahn herum, man kommt ganz herunter dabei, was soll man lang Gepäck mitschleppen?« entschuldigte er sich gewissermaßen; jetzt ging das Lügen schon besser.

Das Wort ›ankaufen‹ übte auf alle Umstehenden eine magnetische Wirkung aus. Ein neuer Zuwachs, neue Hände, vielleicht ein Nachbar, vielleicht ein Nachfolger, eine neue Konkurrenz. Die gemischtesten Gefühle regten sich.

Bernhard sah sich plötzlich zu seinem Schreck in die Mitte des allgemeinen Interesses gezogen; das wollte er nicht, – seine falsche Aussage mußte ja bald an den Tag kommen, was dann? –

Wie kam er nur dazu? – Das Paket in seiner Tasche war an allem schuld, es wirkte wie ein böser Zauber; er glaubte selbst nicht mehr daran, daß er arm war, ein völliger Habenichts. Es war höchste Zeit, daß er es angab, sonst vergiftete es ihn durch und durch.

Ein großer, blondbärtiger Mann mit aufgedunsenem Gesicht trat schwankenden Schrittes in das Lokal. Man stieß sich an, lachte.

»Es wird alle Tage besser, wie lange er's noch treibt?«

»So lang's die Bessy treibt!« erwiderte ein junger Bursche. »Und das ist nicht mehr lang, glaube ich, müßte auch dumm sein –«

Bernhard gab es einen Stich bei dem Namen.

Bessy! Der Name ist zwar geläufig hier zu Lande, er wagte nicht zu fragen.

Der blonde Mann trat mit roher Bewegung an die Bar.

»Schon fleißig, Patrik?« fragte ihn derselbe, welcher vorhin Bernhard angesprochen hatte.

»Geht's dich an?« war die barsche Antwort. »Wenn einen der Verdruß schon in aller Frühe aus dem Haus treibt! Der Alte ist ja verrückt mit dem Frauenzimmer, ich glaub', er heiratet sie selber noch!«

Allgemeines Gelächter erscholl.

»Na, seid ihr nicht selber alle vernarrt in die Person? Die schöne Bessy! Die kluge Bessy! Die Teufelsbessy, ja, das wäre das Richtige. Da wäre ich der Knecht und sie die Herrin, – Racker –.« Er stieß das Bierglas auf, daß es in Scherben sprang.

»Jedenfalls ist das keine Benennung für eine Dame, das tut kein Gentleman,« bemerkte Bernhard, der diesen Menschen instinktiv haßte.

Dieser sah ihn groß an, seine weiße Stirn ward blutrot.

»Was will denn der Kerl?« brüllte er, indem er Miene machte, aus ihn einzudringen, doch die übrigen verhinderten ihn daran. Bernhards mutiges Eintreten für das ihm ja offenbar unbekannte Mädchen erwarb ihm ihre Sympathie. Sie waren bei ihrer schwachen nationalen Seite gepackt, bei ihrem Gentlemantum; man beschimpft keine Lady hierzulande, unter keinen Umständen.

»Sei doch vernünftig, Patrik, old Boy! Der Herr ist ein Gentleman, du mußt es selbst zugeben, wenn du nüchtern bist. – Vielleicht machst du noch ein gutes Geschäft mit ihm, er will Land kaufen!«

»Der?« Patrik stand mit gespreizten Beinen und lachte höhnisch: »Der sieht danach aus! Müßte höchstens einen Crosby gefunden haben!«

Kaum war der verhängnisvolle Name über seinen Lippen, da traf ihn auch schon ein Faustschlag Bernhards mitten in das Gesicht.

Die Leute waren so erstaunt über die Wirkung dieses Namens auf einen Fremden, der zum ersten Mal hierher kam, und der Schlag erfolgte so rasch, daß ein Einspringen unmöglich war.

Patrik brüllte wie ein getroffener Stier und griff nach seinem Gürtel; zum Glück war er leer. Da traf ihn der zweite Schlag, der ernüchterte ihn; von der Gewalt des Anpralles taumelte Bernhard gegen die Eingangstüre zurück. Ein vielversprechender Fight begann, jetzt war es so weit, daß man sich nach Landessitte nicht mehr darein mischte, sondern mit Vergnügen zusah, wie in der Boxer-Arena.

Was Bernhard an Stärke fehlte, ersetzte er durch Gewandtheit, außerdem schien ihn ein unbegreiflicher Haß zu beseelen gegen seinen Gegner, dem der Whisky ein schlechter Helfer war.

Plötzlich unterlief er ihn, hob ihn vom Boden und warf ihn zur offenen Türe hinaus.

Der Mann kollerte mit einem dumpfen Wutschrei dicht vor die Hufe eines eben dort haltenden Pferdes, die Reiterin parierte dasselbe gerade zur rechten Zeit. Unter der offenen Türe stand Bernhard noch im Zorn des Kampfes, sein blondes Haar fiel ihm zerzaust in die blutende Stirne. Patrik erhob sich, die Reiterin, eine hohe, schlanke Erscheinung – das dichte Schwarzhaar aufgebunden unter einem hellgrauen Hut, wie ihn die Cowboys zu tragen pflegen, – lachte hell auf, indem sie sich aus dem Sattel schwang.

Patrik wurde purpurrot, wischte sich den Schmutz von den Kleidern und zog, die Fäuste drohend gegen Bernhard schwingend, ab.

Der sah ihn nicht mehr, sein Auge ruhte auf der Reiterin, die ihm eben aus ihren großen dunklen Augen einen Blick zuwarf, in dem fast eine Billigung seiner Tat lag, deren er sich im Angesicht einer Lady eigentlich hätte schämen müssen; nahm er sich doch aus wie ein wüster Raufbold.

Als sie auflachte, ging es ihm blitzartig durch das Hirn: – Bessy Crosby! Und er griff unwillkürlich nach seiner Brust, – dann befiel ihn eine qualvolle Angst, so plötzlich hatte er sich das Zusammentreffen nicht gedacht, – was nun tun? – In keinem Falle sich jetzt schon zu erkennen geben, das wäre auch gar nicht der Platz dazu, sie würde das später selbst begreiflich finden. Alles lachte hinter ihm zu dem sonderbaren Zusammentreffen. – ›Der Racker‹, er rächte sich bitter.

Die Reiterin trat ein, dicht an Bernhard vorbei; wieder traf ihn der dankbare Blick; heiß stieg es ihm gegen den Kopf. War es wirklich Bessy, wie er vermutete, so hatte Henry Smidt nicht zu viel gesagt, sie war eine Schönheit, und ihr Auftreten, die Ehrfurcht, mit welcher diese sonst nicht verlegenen Leute alle sie grüßten – wie sie den Gruß entgegennahm! Sie ging auf den Wirt zu, sie hatte ein Geschäft mit ihm und beide zogen sich an einen Ecktisch zurück.

Man flüsterte nun an der Bar und drückte Bernhard die Hand. – Das hatte er gut gemacht! Woher er denn die Crosbygeschichte kenne? Er schützte vor, auf der Fahrt zufällig davon gehört zu haben.

»Nun, was war denn mit dem Patrik?« fragte jetzt die Dame, zu den Männern tretend. Sie wollte offenbar von Bernhard Antwort haben, denn sie wendete sich direkt an ihn.

»Er äußerte sich sehr unverschämt über eine Lady –«

»Ueber Sie, Miß Bessy Crosby!« verbesserte ihn einer.

Bernhard wechselte die Farbe; trotz seiner Vorahnung bewegte ihn die Gewißheit, vor ihr zu stehen, doch tief.

»Gegen eine Ihnen unbekannte Lady?« erwiderte sie, »Sie sind ein Gentleman.« Sie reichte ihm die Hand. »Ich danke Ihnen; er war wohl betrunken, der Mensch, und der ist mein Herr, Sie können sich nun einen Begriff machen, in welch' angenehmer Lage ich mich befinde.«

»In der Sie hoffentlich nicht mehr lange bleiben werden,« entgegnete mit auffallender Wärme Bernhard. »Das ist ja einfach unmöglich! –«

»Mein Gott, was will man machen; vor einem Jahre hielt ich so etwas auch für unmöglich.«

»Der Herr will sich ankaufen in unserer Gegend,« sagte der Wirt, welchem das Interesse nicht entging, das die beiden an einander nahmen.

Bernhard war tief beschämt, seine gute Natur regte sich mit Gewalt; er hatte es schon bereut, diese Leute angelogen zu haben; aber dieses Mädchen, das er jetzt schon verehrte, gleich beim ersten Zusammentreffen zu belügen, das war ihm entsetzlich, dazu war es ihm, als ob ihr durchdringendes Auge gerade auf der Stelle ruhe, wo das verhängnisvolle Paket sich befand.

Ehe er ausweichend eine Antwort zusammensuchte, sagte sie plötzlich: »Kaufen Sie Crosby Ranch!«

Eine allgemeine Bewegung entstand, so daß Bessy selbst errötete.

»Ich meinte nur, der Besitzer, der Vater dieses Mannes, den sie eben hier hinausbefördert, hat jetzt schon keine Freude mehr an dem Grundstück, er fürchtet, mit seinem Patrik werde es hier immer schlimmer, er habe keinen Sinn für die Landwirtschaft und verlege sich aufs Trinken –« erklärte sie.

»Ja, Crosby Ranch, das wäre freilich so etwas, der Boden und die Weide und das schöne Holz, – alles im besten Stande; – ja wenn man's hätt'! – nicht wahr?« meinten die Leute.

»Nun, ich weiß nur, daß er die Ranch um denselben Preis würde losschlagen, den er meinem armen Vater bezahlte,« wandte sich das Mädchen wieder an Bernhard.

»Um fünfzigtausend Dollar?« fragte er.

Sie nickte stumm, sichtlich in trüben Gedanken verloren.

Bernhard kannte diese Gedanken, und es war ihm, als müsse er jetzt vor sie hintreten und ihr das Paket mit den Worten überreichen: ›Hier, Miß, ist Ihr Eigentum, kaufen Sie Ihr altes Heim zurück!‹

Doch das ging ja nicht so, hier vor allen Leuten, es gehörte ja schon ihr, alles, das Paket mit dem Greenbacks und das Herz, auf dem es ruhte, darüber war er sich bereits klar. – Sie wird wiederkommen dieser Tage, er wird sie allein sprechen können und ihr alles gestehen.

»Ich meine ja nur« – fuhr sie fort, – »Sie werden begreifen, daß ich Crosby Ranch nicht in den Händen eines solchen Menschen, wie dieser Patrik einer ist, sehen will; – doch, wie ungeschickt, Sie werden das nicht begreifen, wenn ich Ihnen nicht erzähle, daß ich dort zu Hause, daß ich dort die Herrin war bis vor kurzer Zeit, – daß ich förmlich hingebannt bin. Es ist ungeschickt, kindisch vielleicht, aber, mein Gott, ich bin einmal so –«

»Das ist nicht kindisch, das ist brav, Miß Bessy,« erwiderte er, vergeblich seine immer mehr wachsende Leidenschaft zügelnd: »Und wenn ich die Mittel dazu hätte, dann, – kaufte ich Crosby Ranch ungesehen hier, nur Ihnen zu Liebe, Miß Bessy, ich dächte, wir kämen ganz gut aus miteinander.«

Die Männer lachten und betrachteten mit Wohlgefallen das schöne Paar.

Bessy hatte ihre gewohnte Sicherheit völlig verloren, sie schwieg, strich sich die wirren Haare hinter die kleinen Ohren und erhob sich von ihrem Sitz.

»Nun, vielleicht sehen Sie sich das Land einmal an, man braucht ja nicht gleich zu kaufen, und wegen des Patrik brauchen Sie sich nicht genieren, der Alte gibt nichts darauf. Kommen Sie nur, wird uns freuen, mein tapferer Beschützer.«

Sie reichte ihm die Hand und zeigte lachend ihre kleinen, schneeweißen Zähne.

»Ein Prachtmädel! Wäre mir lieber, als die ganze Crosby Ranch,« sagte einer der Gäste, als sie gegangen war.

»Na, hätt' ich nur die, da wär' mir um die Bessy nicht bange,« entgegnete ein junger Mann.

»Ich glaube selbst, sie könnte nicht ›nein‹ sagen, so vernarrt ist sie in das Land,« bemerkte ein anderer.

»Das wäre so ein Fang für Sie! Heute hier angekommen, morgen eine Farm und ein Mädel dazu,« wandte er sich an Bernhard, »was man doch alles nur um das verdammte Geld haben kann, und ohne dies nichts, – gar nichts. – Auslachen tät sie einen.«

»Miß Bessy? Das glaube ich nicht; wenn sie einen Mann wirklich liebt, ich glaube, sie nähme keine Rücksicht auf Geld,« entgegnete Bernhard.

»Ah bah! Da ist eine wie die andere, ich möcht's nicht probieren.«

»Na, jetzt ging's vielleicht,« erwiderte der Farmer, »aber wie sie noch des reichen Crosby Tochter war, hatte sie den Teufel im Leib, da war ihr keiner gut genug, und es wär' auch keiner zu beneiden gewesen. Offen gesagt, mir wär' sie lieber ohne, als mit den fünfzigtausend Dollar.«

»Wenn man selber fünfzigtausend Dollar hätte, da stimme ich bei, ich glaube, es wäre für beide Teile besser,« bestätigte der andere.

Bernhard hörte dem Gespräche aufmerksam zu; sonderbar, jedes Wort klang wie absichtlich auf ihn gemünzt. Die Charakteristik Bessys, die er hier zu hören bekam, beunruhigte ihn heftig. Der Eindruck, den die Erscheinung des Mädchens auf ihn bei dieser ersten Begegnung gemacht, übertraf weit seine Erwartung, und die Bilder, welche sich seine Phantasie während der Reise von ihr gemacht, verblaßten vor der Wirklichkeit. Der Plan, die durch einen absonderlichen Zufall ihm gebotene Gelegenheit auszunützen, um eine vorteilhafte Heirat zu machen und damit seine Existenz mit einem Schlage zu begründen, trat jetzt in den Hintergrund, er schämte sich fast desselben. Eine wirkliche Neigung, ein heftiges Verlangen nach dem Mädchen erfüllte ihn bereits.

Bessy gehörte zu den weiblichen Wesen, die in ihrer individuellen Eigenart den Mann entweder sofort abstoßen oder magnetisch anziehen; bei Bernhard war das letztere der Fall. Ihr Reichtum spielte dabei keine Rolle; er freute sich dieses Bewußtseins, das ihn reinigte von den eigensüchtigen, habsüchtigen Gedanken, die er noch vor kurzem gehegt. Auch ihm ging es, wie dem Mann dort, sie wäre ihm lieber gewesen ohne die 50 0000, als mit denselben. Wenn er vor sie, die Arme, Unglückliche hintreten könnte, die im Dienste eines Trunkenboldes stand, er als ein reicher Mann, und ihr sagen könnte: ›Hier, Bessy, nimm alles, was ich habe, es ist dein, ich will nichts dafür, als deine Liebe, als dich.‹ –

»Kannst du das nicht?« Eine klare, laute Stimme rief es in seinem Innern, daß er erschreckt aus seinem Sinnen auffuhr. Oder hatte einer aus der Gesellschaft zufällig diese Worte gesprochen? Bernhard verlangte, auf sein Zimmer geführt zu werden. Der Wirt begleitete ihn, vom Lobe Bessys und Crosbys überfließend.

»Sollten sich doch wirklich ansehen, Mister, – nun, wie darf ich Sie nennen?«

»Weltz.«

»Mister Weltz, haben ja auch vortreffliche Banker hier, Geld ist eben nicht teuer. – Soll ich Ihr Gepäck von der Bahn holen lassen?«

»Danke, habe überhaupt nicht viel bei mir. – Sie wundern sich wohl über mein Aussehen? Nun, es sind nicht immer die besten, die gut gekleidet sind, das müssen Sie ja selbst wissen,« entgegnete Bernhard ärgerlich.

»Ganz recht, gewiß, wo denken Sie denn hin, Mister Weltz, kenne einen Gentleman auf tausend Schritt, kann anhaben, was er will. Miß Crosby kommt fast alle Tage zu uns, ich nehme alles Fleisch und Gemüse von Crosby Ranch.«

Mit der allerdings sehr kräftigen Empfehlung seines Hauses empfahl sich der Wirt.

»Kannst du das nicht?« Da tönte sie wieder, die Stimme; aus Bernhards Innern kam sie, wie eben unten an der Bar. Er riß das Paket aus der Tasche und warf es in jähem Zorne auf den Tisch. »Nein, du kannst es nicht, wenn du nicht ein Schurke sein willst, der – Mitmörder.«

Er sah das brechende Auge Henry Smidts auf sich gerichtet.

Wahnsinn! Denke ich daran, das Geld mir anzueignen? Es soll ja ihr gehören, nur ihr; wenn ich Crosby Ranch damit kaufe und ihr zu eigen gebe, so ist das etwas anderes; würde sie nicht auch um das Geld das ihr so teuere Land zurückkaufen? Ich will ja nur sie selbst damit gewinnen, um sie auf Händen zu tragen, um sie glücklich zu machen; nie will ich mich als den Herrn des Gutes betrachten. – Ist das ein Verbrechen? – Aber ihre freie Wahl bestimme ich dadurch zu meinen Gunsten, und wenn sie mich wirklich liebt, wird sie auch dem armen Mann, der ihr noch dazu eine so große Wohltat erweist, die Hand reichen. Wenn sie mich aber nicht liebt, dann ist es ja besser, ich ziehe als armer, aber ehrlicher Teufel wieder ab. ›Wenn sie noch des reichen Crosby Tochter wäre, da wär' ihr keiner gut genug,‹ sagte der Mann eben; sie war also stolz, eigenmächtig, ja, sie wird auch den geliebten Mann immer fühlen lassen, daß sie die Besitzerin ist, und das wird zu ihrem beiderseitigen Glück nicht beitragen, während, – alles Unsinn, nichts als listige Ausreden!

Es gab für ihn nur eines, wenn er nicht vor sich selbst erröten wollte: das Vermächtnis Henry Smidts wortwörtlich zu erfüllen und das übrige abzuwarten. Der Entschluß stand in ihm fest: Morgen, wenn Bessy kommt, sage ich ihr alles, übergebe ich ihr Eigentum, dann, – dann, – was dann? – Ihr seine Liebe gestehen? – Liebte er sie denn schon? – Sie gefiel ihm, sie zog ihn wohl an, – aber Liebe? Daran wird sie noch nicht glauben, sie wird vorsichtig sein dem Unbekannten gegenüber, also warten! Und von was leben? Von einem Trinkgelde Bessys? – Erbärmlich! Arbeit suchen in der Stadt. – Und die Leute, denen er all' das dumme Zeug vorgeschwätzt? – Sie werden ihn auslachen, für einen Schwindler halten. – Und ob Bessy einen einfachen Arbeiter heiraten würde? Gott, hätte ich doch den Auftrag nie übernommen, die 50 000 Dollar ruhten jetzt sicher auf dem Grunde des Meeres.

Er trat an das Fenster, das rege Straßenleben lenkte seine Gedanken ab. Gegenüber befand sich ein großer Kleiderstore (Laden). Er hielt gerne etwas auf sich, und so abgerissen, wie jetzt, infolge des Schiffbruches, war er schon lange nicht mehr gewesen. Er wird morgen auf Bessy einen schlechten Eindruck machen, heute entschuldigte ihn noch die Reise. Ein flotter Herrenanzug in der Auslage zog seine Blicke an, der konnte etwas aus einem machen, und die Mädchen geben doch einmal auf das Aeußere, Bessy wird keine Ausnahme machen. Aber er besaß ja nichts, die Reisekosten konnte er mit gutem Gewissen von der Summe abrechnen, aber weiter nichts. So wird er die dazu nötige Summe abverdienen! – Der Anzug lockte ihn, es war seine Lieblingsfarbe, grau meliert, ganz für seine Größe passend. Er hatte noch fünfzig Dollar gewechseltes Geld in der Tasche, er brauchte das Paket nicht von neuem zu öffnen, das hätte er um keinen Preis getan. Die Jacke, welche er dem Fischer aus Kap Sable abgehandelt, hatte einen altmodischen Schnitt und war ausgewaschen und zerfressen vom Salzwasser. Mit dem Entschlusse, den Anzug zu kaufen, ging er hinüber. Er probierte ihn in einem Nebenraum, er saß wie angegossen, mit Wohlgefallen betrachtete er sich im Spiegel. Bessy würde ihn nicht mehr erkennen. Um keinen Preis hätte er jetzt noch die Fischerjacke angezogen, die meergrünlich schillernd auf dem Stuhle lag. Doch der Händler meinte, zu solchem Anzuge eines Gentlemen paßten nicht die derben, defekten Stiefel, die fadenscheinige Wollmütze. Bernhard mußte das einsehen, es gab alles in dem Laden.

Wohl equipiert verließ er ihn, einen englischen Hut auf dem Kopfe, aber nur mehr zehn Dollar in der Tasche.

Der Wirt lächelte erstaunt, als er seinen Gast so Vorbeigehen sah. Des Tages über bummelte er in der Stadt umher, er fürchtete sich vor seinem einsamen Zimmer, den Abend brachte er im Barroom des Hotels zu und ließ sich vom Wirte den Mord von Crosby Ranch des näheren erzählen.

Niemand zweifelte in der ganzen Gegend an der Täterschaft Henry Smidts. Miß Crosby sei der Ansicht, derselbe habe mehr aus Haß gegen den alten Crosby, der ihn als Werber um seine Tochter stets verhöhnte, umgebracht, als des Geldes halber, das er dann natürlich nicht liegen ließ. Man habe keine Spur von ihm aufgefunden, er sei wohl schon außer Landes, im Süden, oder gar in Europa.

»Natürlich, der Kerl liebte Miß Bessy, und darüber kommt keine hinaus; sie kann es ihm nicht vergessen, wenn er auch ihren Vater umgebracht. Sie glauben wohl nicht daran, an den Mord aus Haß, was?« fragte der Wirt Bernhard.

Dieser war betroffen von den Aeußerungen, ebenso wie von der milden Auffassung Bessys. Er hatte es dem Sterbenden nicht recht glauben können und hielt die Erklärung desselben über das Motiv der Tat für eine verzeihliche Beschönigung derselben. Es verdroß ihn, er hätte lieber gehört, daß sie von Haß erfüllt sei gegen den Vernichter ihres Glückes, den Mörder ihres Vaters. War es wirklich so, wie der Wirt sagte, konnte sie es ihm nicht vergessen, wie er sich ausdrückte, dann mußte sie, wenn er seinen Auftrag erfüllte, tief gerührt sein, dann blieb für die Tat Smidts wirklich kein anderes Motiv mehr, als der Schmerz, die Wut über die erlittene Kränkung und Zurückweisung. Das schmeichelte ihr am Ende trotz alles Grauens, – o, diese Weiber, sie sind unergründlich in ihrer Liebe und in ihrem Hasse.

Dieser Mensch gewinnt am Ende erst dadurch an Interesse bei ihr. Was liegt daran, er ist ja tot, und selbst wenn er lebte, was ja fast ausgeschlossen ist, wird er sich hüten, sich bei ihr sehen zu lassen. Aber gleichviel, auch der Tote, der Verschollene verdient nicht das Interesse einer Bessy; Bernhard war jetzt schon eifersüchtig auf jenen. »Nein, ich glaube nicht daran,« sagte er fest auf die Frage des Wirtes. »Warum führte ihn sein Zorn gerade in dieser Stunde so weit, wo dieser Crosby fünfzigtausend Dollar in der Tasche hatte? Er liebte sie also wirklich und gestand ihr diese Liebe, dieser Mensch?« fragte er dann plötzlich in auffallend erregtem Tone.

»Es heißt so, dabei war ich ja nicht,« erwiderte der Wirt. »So viel ist gewiß, daß er beim Alten um sie anhielt.«

»Aber da mußte er doch Aussichten, einen Schein von Berechtigung dazu haben.«

Der Wirt zuckte die Achseln.

»Er war kein übler Mensch, und Miß Bessy vertrug sich ganz gut mit ihm. Sie fuhren jeden Tag zusammen in die Stadt; sie trieb wohl ihren Scherz mit ihm, und er verstand es falsch, so wird es wohl gewesen sein. Man kennt sie ja nicht mehr seit dem Unglück, sie war ein Teufelchen, sage ich Ihnen, das einem den Kopf schon verrücken konnte.«

Bernhard nagte an seiner Unterlippe und trommelte mit den Fingern erregt auf dem Tische.

»Aber er war kein Mann für –«

»Kannten Sie ihn denn?« fragte erstaunt der Wirt.

Bernhard fuhr auf. »Wie sollte ich? – Ich meine, ein Mensch, der so etwas begehen kann, ist doch kein Mann für Miß Bessy, auch nicht zum Scherzen –«

»Ah was, Mädchen sind Mädchen, wenn sie noch so stolz sind,« meinte der Wirt. »Unberechenbar, man hat seine Erfahrungen.«

Bernhard ging bald zur Ruhe, er wußte jetzt mehr, als er zu hören verlangt hatte. Unberechenbar!

Ich gebe ihr die fünfzigtausend Dollar, ›Henry Smidt,‹ sage ich ihr, ›schickt Ihnen durch mich seinen letzten Gruß, er bereut tief seine Tat, sie geschah nur aus Verzweiflung über seine verschmähte Liebe. Zum Beweise dessen erstattet er den Raub zurück durch mich, den Ueberbringer.‹ – Sie nimmt das Geld, dankt herzlich, gibt mir ein Trinkgeld und den Abschied, und Henry Smidt, der Unglückliche, durch sie unglückliche Henry, lebt fort in ihr. Der Tote tritt an meine Stelle, ich bin weiter nichts als der Vermittler.

Das ist ja eine schreiende Ungerechtigkeit, das ist ja noch Lohn für den Mord. Ich will noch einmal darüber schlafen, über Nacht kommt Rat.

Im Traume stand Bernhard wieder in dem Mars der ›Columbia‹, von den Wogen umtost, er rang verzweifelt mit dem Gefährten um ein kleines Paket, dann warf er ihn über die Brüstung, er verschwand in den Wogen. ›Mitmörder!‹ klang es herauf.

Er griff neugierig nach dem Paket, es war zentnerschwer, er konnte es kaum heben, endlich hatte er es auf der Schulter, wie eine schwere Last. Er sprang damit in das Meer, sie drückte ihn unter das Wasser, der Atem ging ihm aus, und Henry Smidt hing sich an sein Bein, zog ihn pfeilschnell abwärts, unter scheußliche Fratzengestalten, Fische und allerlei schlangenartiges Gewürm. Ein rundes Ungetüm mit riesigen Glotzaugen stand jetzt dicht über ihm, er wachte auf mit einem lauten Schrei.

Der schwarze Portier grinste ihn lachend an.

»Stehen Sie auf, Sir,« schnarrte er, »Miß Bessy ist eben gekommen!«

»Hast du einen Auftrag, mir das zu melden?« fragte Bernhard.

»Nein, Sir, aber ich dachte ... Er lachte breit und spitzbübisch.

Also das ganze Haus wußte schon davon, brachte ihn schon in Verbindung mit Bessy, nannte ihn wohl schon den Käufer von Crosby Ranch, und in einer Stunde war er ein Bettler.

Ein Entschluß mußte gefaßt werden. Sagt er jetzt nicht Bessy alles, so wird es später schwer sein, einen Grund für sein Zögern zu finden. Aber er darf sie doch prüfen, ob sie ihn auch liebt ohne die Wohltat, die er ihr erweist. Er will nicht aus Dankbarkeit geliebt werden; das ist auch ein Entschuldigungsgrund für die Verzögerung. Prüfen, dabei bleibt's, das Recht steht ihm doch zu für all das Leid, das er erlitten, für all die inneren Kämpfe, die diese Sendung in ihm heraufbeschworen.

Mit dieser Selbsttäuschung ging er hinab, klopfenden Herzens, nachdem er sorgfältig Toilette gemacht. Bessy war noch da, ihr Wagen, bepackt mit Geflügel und allerlei Gemüse, stand vor der Türe. Sie war im Arbeitskleid, einem kurzen, gestreiften Rock, unter welchem derbe, beschmutzte Schaftstiefel hervorsahen, eine übergeworfene zottige Jacke schützte sie vor der Kälte des Morgens; das Gesicht war von einem schiefgesetzten Sombrero beschattet, eine kurze Pfeife in der Hand vervollständigte diesen mannweiblichen Eindruck. Bernhard entging nicht ihr etwas spöttisches Lächeln, als er in seinem neuen Anzug eintrat. Dieser übte offenbar nicht die gewünschte Wirkung, aber wie hätte Bernhard das ahnen können; gestern saß sie wie eine vornehme Lady zu Pferde.

»Was haben Sie denn heute vor?« fragte sie. »Sie wollen doch nicht aufs Land hinaus? Einen Meter Schmutz, sage ich Ihnen; sehen Sie nur!«

Sie streckte ihm einen ihrer Stiefel hin. Der kleine, trotz des groben Leders und der derben Machart zierliche Schuh gab ihr in den Augen Bernhards rasch alle Weiblichkeit zurück, die er einen Augenblick an ihr vermißt hatte.

»Die lange Reise, Miß, – mein Gepäck, – ich sah wirklich aus wie ein Vagabund,« entschuldigte er sich verlegen.

»Daraus sehe ich, daß Sie nicht als Landwirt aufgewachsen sind, hab' ich nicht recht?«

Diesen scharfen Augen gegenüber mußte er sich in acht nehmen mit seinen Lügen, das fühlte er. So gab er ihre Vermutung zu, er sei seines Faches ein Techniker, fühle aber schon lange eine Neigung zum Landleben und sei des städtischen Getriebes überdrüssig.

»O, das ist auch herrlich, herrlich, das heißt natürlich, wenn man sein eigener Herr sein kann, frei, – wie Sie, dienen denk ich mir überall gleich hart.«

»Besonders, wenn man in der Freiheit geboren, wie Sie, Miß Bessy,« entgegnete Bernhard.

Sie seufzte schwer aus. »Vorbei.«

»Und wenn man seine Freiheit noch dazu durch eine solche Schandtat verloren hat, wie Sie, durch einen elenden Schurken.«

Er sprach in voller Entrüstung.

»Ja, das ist eine traurige, dunkle Geschichte.«

»Dunkel? Sehr klar, meine ich, ein Raubmörder, weiter nichts.«

»Wenn es das nur wäre!« Ihr Antlitz zeigte einen traurigen Ausdruck.

»Wie?« fragte Bernhard in einem vorwurfsvollen Ton.

»Ja, wenn es das nur wäre,« wiederholte Bessy, »dann träfe mich wenigstens keine Schuld.«

»Sie, eine Schuld an dem Mord Ihres Vaters?«

Bernhard zitterte vor Erregung.

»Ja, an dem Mord meines Vaters. Es war kein Raubmord.«

Bernhard lachte ungläubig.

»Es war ein Mord aus Rachsucht, aus Haß, aus Verzweiflung vielleicht,« fügte sie hinzu.

»Ah so, ja, ich hörte die Geschichte gestern, der saubere Bursche erfrechte sich, Ihnen sich aufzudrängen, sogar um Ihre Hand anzuhalten; Sie und der Vater wiesen ihn ab, wie ihm gebührte, da rächte er sich an dem Vater, der zufällig fünfzigtausend Dollar in der Tasche hatte, und nahm das Geld bei der Gelegenheit mit.« Er lachte wieder ungläubig.

»Hätten Sie den Menschen gekannt, Sie urteilten vielleicht anders,« sagte Bessy, nicht ohne einen Anflug von Mißtrauen. »Er war nicht schlecht, mehr jähzornig, sicher hat der Vater ihn arg gereizt.«

»Ich glaube auch die Fünfzigtausend.«

»Natürlich, Sie werden sagen, hätte es nicht dem Gelde gegolten, hätte er es ja zurücksenden können an mich. Das ist richtig, das sage ich mir selbst, und sehen Sie, ich habe – es mag ja kindisch klingen – aber ich habe noch immer die Hoffnung, daß er sie zurücksendet und ich damit Crosby Ranch zurück erwerbe. Angst vor Entdeckung – vielleicht will er eine Zeit abwarten, um sich an mir empfindlich zu rächen – Unentschlossenheit, weiß Gott, was ihn noch abhält, aber ich weiß selbst nicht, jeden Tag meine ich, er müsse kommen.«

Bernhard fühlte einen Schwindel, er mußte sich setzen. Sie hoffte darauf in ihrem unerklärlichen Glauben an diesen Henry Smidt, es würde sie gar nicht überraschen, wenn er spräche, sie werde den Uebermittler ganz übersehen und nur an jenen denken, seine blutige Tat würde bei diesem sonderbaren Mädchen ganz verschwinden vor diesem Edelmut. Jetzt war er fest entschlossen, vor der Hand, für heute wenigstens, zu schweigen.

»Und Sie werden ihm den Mord Ihres Vaters wohl vergeben, wenn er Ihre Hoffnung rechtfertigt?« fragte er, um ganz sicher zu sein, daß er richtig geschlossen.

»Ja, ich würde ihm vergeben,« erwiderte sie ohne Bedenken. »Nicht aus Freude über das Geld. Könnte ich damit das Leben des Vaters erkaufen, ich würde es sofort tun, aber weil es dann kein gemeiner Mord mehr ist, und ich begreifen kann, daß man töten kann aus Haß, aus gekränkter Liebe, gekränktem Stolz.«

Die schwarzen Augen flammten, die Wangen röteten sich. ›Auch ich kann es und würde es vielleicht in gleichem Falle tun,‹ war darin zu lesen.

»Doch ich spreche da mit Ihnen Dinge, –« sie sah sich im Lokal um, der Wirt war verschwunden, sie waren allein.

»Die mich lebhaft interessieren. Miß Bessy Crosby,« entgegnete Bernhard; er holte tief Atem und strich sich über die feuchte Stirne.

Jetzt galt's, jetzt oder nie! Es brauste in seinen Ohren, Wie damals im Sturme auf dem Mars der ›Columbia‹. Auch dem Mädchen entging nicht sein erregtes Wesen. Sie war ein schönes, begehrenswertes Weib, auch er war ihr nicht gleichgültig, er merkte es aus den Blicken, die ihn trafen.

»Wenn Sie Crosby Ranch nicht auf andere Weise zurückbekommen, ist die Farm für Sie verloren,« sagte er plötzlich mit einem Ausdruck, der Bessy stutzen machte.

»Ich wüßte keine andere,« erwiderte sie in fragend erstauntem Tone.

Bernhard schwebte die Antwort auf den Lippen, doch in den Blicken Bessys lag etwas, was ihn daran hinderte. Er war zu weit gegangen, er hatte sich den Rückzug abgeschnitten, das verwirrte ihn.

»Fahren Sie nach Hause? – Kann ich mitfahren? Ich möchte die Farm sehen; Sie sagten ja gestern, – doch möchte ich diesem Patrik nicht begegnen.«

»Da können Sie beruhigt sein; er ist längst wieder hier in einer Schnapsbude. Fahren Sie nur mit,« lud ihn Bessy ein, »es wird Ihnen gefallen.«

Der Wirt lachte verschmitzt, als er Bernhard den Wagen besteigen sah.

Bessy kutschierte; nachdem sie noch einige Geschäfte in der Stadt besorgt, ging es auf grundlosen Wegen Crosby Ranch zu.

Der Lärm des Wagens war zu groß, man konnte kein Gespräch führen. Bernhard war froh darüber, so konnte er noch einmal überlegen. Er war bereits so weit in seiner Sophistik, daß er nur ein Bedenken mehr hatte: wenn Bessy seine ihr angebotene Hand zurückwiese, trotz seines Besitzes von Crosby Ranch – bei diesem eigenwilligen Geschöpf war alles denkbar, was dann?

Rasch fand er auch dafür einen Ausweg. ›Dann,‹ sagte er sich, ›bleibt dir immer noch übrig, einfach abzureisen und das Geld unter irgend einem Namen der Behörde zu übergeben zur Ablieferung an Bessy.‹

Der Gedanke war ihm eine Erlösung, jetzt fühlte er sich, zum ersten Male seit Wochen, wieder frei, und neben ihm saß Bessy, sein Glück, seine Zukunft. Er liebte sie wirklich, ehrlich, nicht weil die Umstände ihn darauf hinwiesen, er hätte sie auch ohne das geliebt und alles daran gesetzt, sie sein eigen zu nennen.

Eine tolle, lustige Laune ergriff ihn. Er überschrie jetzt das lärmende Fuhrwerk, das durch wogende Maisfelder dahinrollte, deren Kolben ihre Gesichter streiften.

Bessy war seine plötzlich rege Heiterkeit offenbar verdächtig, sie ahnte dahinter etwas und war verlegener als sonst, sprach viel mit den Pferden und machte absichtlich Lärm, indem sie die schlechtesten Stellen des Weges aussuchte. Bernhard dagegen hatte das sichere Gefühl, daß er nur offen zu sprechen brauche, um an das Ziel seiner Wünsche zu gelangen, doch hielt er sich weislich zurück. Die Sache war für ihn zu wichtig; irrte er sich nicht, so wuchs die einmal entfachte Neigung in diesem leidenschaftlichen Mädchen von Tag zu Tag, irrte er sich aber, so konnte mit einem verfrühten Geständnisse alles verdorben sein.

So schwatzte er von allem möglichen. Bessy lachte hell auf, ihre weißen, ebenmäßigen Zähne zeigend. Er achtete nicht auf den Stand der Saaten, auf die Bodenverhältnisse, er tat keine Frage nach der Farm, nach den Nachbarn, an deren Höfen sie vorüberfuhren, und das alles hätte ihn doch interessieren sollen, wenn er nur ein bißchen Landwirt war oder gar auf Crosby Ranch Absichten hatte, dachte Bessy. Was wollte er denn nur mit dem Mitfahren? Sie wurde mißtrauisch, sein ganzes Wesen kam ihr so geheimnisvoll vor.

Da hielten sie vor der Farm, einem für diese Gegend stattlichen, schneeweiß angestrichenen Holzhause, an welches sich weitläufige Stallungen und Scheunen anschlossen; auf einer waldigen Anhöhe liegend, bot es eine weite Aussicht über das fruchtbare Tal des Illinois. Hinter einer Umzäunung tummelte sich eine Pferdeschar, welche laut wiehernd sich an dieselbe drängte, wie um die Ankömmlinge zu begrüßen. Eine Herde schwarzer Schweine schnüffelte und grunzte in dem Hofe umher, ein Pfau erhob sein klägliches Geschrei, und eine Wolke von Tauben erhob sich, Bessy umflatternd. Bernhard hatte seine ganze Jugend in der Stadt, die letzten zehn Jahre in den Maschinenwerkstätten verbracht; dieser blühende Wohlstand, der ihm gleich bei seinem Eintritt von allen Seiten entgegentrat, behagte ihm; das müßte ein seliges Leben sein hier als Herr an der Seite Bessys.

»Da kommt der Alte,« flüsterte ihm diese zu.

Eine breite, hohe, aber etwas gebückte Gestalt trat aus dem Hofe hervor, das starkknochige Antlitz, von einem langen, weißen, an der Oberlippe ausrasierten Barte umwallt, hatte einen feindseligen Ausdruck.

»Machen Sie sich nichts aus seinem Gepolter,« bemerkte noch Bessy.

Da ging es schon los in irischem Englisch. »Wo bleibst du denn so lang? Der Teufel hole den William, der dich immer so lange aufhält. Patrik nicht gesehen?«

Bessy schüttelte schweigend den Kopf und schirrte die Pferde aus.

Ein feindseliger Blick von der Seite traf jetzt Bernhard, der allerdings in seinem unglückseligen modischen Anzuge gar nicht in die Umgebung paßte und besonders mit dem in grobes, blaues Leinen gekleideten Alten arg kontrastierte.

»Was wünschen Sie hier?« fragte dieser.

»Der Gentleman will sich die Farm ansehen,« antwortete Bessy für Bernhard.

»Farm ansehen?« brummte der Alte. »Wie, was Farm ansehen! – Crosby Ranch ist nicht zum Ansehen –«

»Aber zum Verkaufen, und da muß man sie doch zuerst ansehen,« sagte Bessy ebenso energisch.

»Wer sagt dir das? Sie wär' nicht zu verkaufen, wenn der Patrik ein andrer Mensch wäre,« fuhr der Alte auf.

»Er ist aber kein andrer Mensch; erst gestern war er wieder betrunken bei Williams und bekam eine ordentliche Tracht Schläge,« sagte Bessy mit sichtlicher Freude, einen dankbaren Blick auf Bernhard werfend, »und darum wird Crosby Ranch verkauft.«

»Ja, das freut dich wohl, Katze; weil's dir krumm gegangen ist, soll's allen Leuten krumm gehen.«

»Freuen? Mir kann's gleich sein, meine Zeit ist um hier.«

»So, ist das der Dank, daß ich dich nach dem Tod deines Vaters aufgenommen habe wie ein Kind? Was hättest du denn angefangen?«

Bessy nahm eine drohende Stellung an, ihr Auge flammte, ihr Gesicht hatte einen verächtlichen Ausdruck, sie lachte höhnisch und führte die Pferde in den Stall.

»Wenn ich Ihnen lästig bin,« sagte Bernhard, »dann kann ich wieder gehen.«

»Das nicht, das nicht, aber ich halte Sie nicht für den, der Crosby Ranch kauft.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Na, man hat so seinen Blick.«

»Der hat Sie diesmal bös im Stiche gelassen,« entgegnete Bernhard.

»Ich bin der, der Crosby Ranch kauft, wenn die Farm überhaupt verkäuflich ist, ohne anzusehen kauft, mit barem Gelde.«

Jetzt war die Ueberraschung an dem Alten. Ohne anzusehen in barem Gelde! Er war fest entschlossen zu verkaufen; mit seinem Sohne war ein Weiterwirtschaften unmöglich von dem Augenblick an, wo Bessy ihn verließ, und der war, wie sie ja selbst eben sagte, nicht mehr weit. Da war ja das sein Mann, was kümmerte ihn sein Aussehen! Er wurde auf einmal zutunlicher.

»Na, nichts für ungut, junger Mann, aber so wie Sie da sind, können Sie mir's nicht übelnehmen, wenn ich Ihnen auf den ersten Blick mißtraute. Kommen Sie! Ansehen müssen Sie die Farm doch zuerst, ehe wir weiter sprechen, das will ich selbst nicht anders.«

Bernhard war selbst erstaunt über seinen plötzlichen Entschluß, aber der Zweifel des Alten verletzte ihn; er fühlte das Paket in seiner Tasche, gekauft wurde die Farm auf alle Fälle, von ihm oder von Bessy, im äußersten Falle war es ein Scherz, über den Bessy, wenn sie alles erfuhr, gewiß nicht böse war.

Er folgte dem Alten. Die Stallungen waren leer, das Vieh auf der Weide. Der Alte gab die Stückzahl Hornvieh auf dreihundert, die der Schafe auf sechshundert an und erklärte sich bereit, im Falle eines Kaufes genaue Zählung zu halten.

Bernhard verzichtete im voraus darauf.

Er ärgerte sich, daß Bessy sich nicht mehr sehen ließ, sie mußte ja doch das meiste Interesse an dem Verkauf von Crosby Ranch haben. Dann ging es zu den Pferden. Mac Taylor sprach über die Zucht, die der selige Crosby eingeführt.

Bernhard verstand von all dem nichts, stellte zerstreute Fragen, über welche der Alte höhnisch lachte. Da war ihm ein schöner Tölpel ins Eisen gegangen! Es regte sich aber in ihm auch Mißtrauen. Wie kam dieser Mann, der von Landwirtschaft keine Ahnung hatte, auf den Gedanken, ein so großes Gut zu kaufen! Auch machte er ihm nicht den Eindruck eines Mannes, der schon lange im Besitze einer so bedeutenden Geldsumme ist, als nötig war, um an einen Kauf von Crosby Ranch zu denken.

Doch was kümmerte das am Ende ihn, jener sprach ja von Barzahlung; er beschloß in seinem Innern, bei dieser Unkenntnis der Verhältnisse um zehntausend Dollar höher zu gehen in seiner Forderung. Bis jetzt wäre er froh gewesen, wenn er die Farm, welche er unbedingt um einen zu hohen Preis von Crosby gekauft, ohne Schaden hätte losschlagen können.

Bessy war noch immer nicht zu sehen und doch wäre ihr Anblick Bernhard lieber gewesen als alle Pferde und Maschinen, all das fruchtbare Land ringsumher, das ihm Taylor von einer Anhöhe aus zeigte.

Ja, er bedurfte ihres Anblickes, er sollte ihm Mut machen zu dem entscheidenden Schritt, den er jetzt tun mußte. Wäre sie dabei gewesen, wie er gehofft, so hätte er sich nur als ihren Sachwalter gefühlt und hätte ihr den Kauf förmlich in den Mund gelegt. Das hatte er sich alles schon ausgedacht, nichts wollte er versäumen, was seine Tat nur irgendwie vor ihm selbst rechtfertigen, die warnende Stimme in seinem Innern scheinbar beruhigen konnte.

Einmal glaubte er sie hinter einer Türe verschwinden zu sehen, sie beobachtete ihn wohl ungesehen.

»Ich kaufe die Farm, nennen Sie Ihren Preis, –« sagte er plötzlich, eine lange Erklärung über Anbauverhältnisse Taylors unterbrechend.

Sie standen eben im Hofe. Bei einem zufälligen Aufwärtsblicken erkannte er deutlich Bessys Antlitz hinter den Jalousieen des Getreidebodens. Rasch zog sie sich zurück; dieser eine Augenblick gab die Entscheidung.

Taylor war betroffen, so sah er noch nie ein Gut wie Crosby Ranch kaufen, er hatte es entweder mit einem Esel oder einem Schurken zu tun, der das Geld irgendwo gestohlen hatte, eine andere Erklärung gab es für ihn nicht. Doch war er entschlossen, so oder so Nutzen daraus zu ziehen.

»Siebzigtausend Dollar, keinen Cent weniger,« sagte er.

Bernhard erschrak, Mac Taylor machte ihm den Eindruck, als ob er wirklich von seinem Preis nicht abging, dann war alles aus. Ohne Crosby Ranch war Bessy für ihn verloren, die fünfzigtausend Dollar in Barem zurückbehalten als sein Eigentum und sie als Köder zu benützen für Bessy, dazu hätte er sich nie entschließen können.

»Das kann ich nicht zahlen,« erwiderte er gedrückt. »Ich verfüge nur über fünfzigtausend Dollar in bar.«

Mac Taylor lachte für sich. Der ist ein Esel, kein Schurke, dachte er, und da ihm das bedeutend lieber war, indem im zweiten Falle sich doch Verdrießlichkeiten hätten ergeben können, so wurde er milder gesinnt.

»Na, das wäre das wenigste,« meinte er, »man könnte ja eine Hypothek darauf errichten, zu was gibt es denn Bankiers in Pèoria! Mit fünfzigtaufend Dollars kauft man alles heutzutage. Wissen Sie was? Vierzigtausend Dollar in bar, dreißigtausend Dollar bleiben darauf stehen zu fünf Prozent und Crosby Ranch ist Ihr Eigentum.«

Bernhard schämte sich, so wenig Geschäftskenntnis zu verraten und schlug im Gefühl seiner Unsicherheit ein.

Das Gut war sein, das heißt Bessy, wie er sich immer wieder einredete. Morgen wollte er in Pèoria den Handel abschließen.

Der Alte wurde jetzt gesprächig, er war sichtlich sehr erfreut über das rasche, für ihn vorteilhafte Uebereinkommen.

Da trat Bessy aus dem Gebäude, er rief sie mit lauter Stimme.

»Hier stelle ich Ihnen den künftigen Herrn von Crosby Ranch vor. Miß Crosby,« sagte er in etwas spöttischem Tone. »Vielleicht werden Sie sich mit dem Herrn besser vertragen als mit mir und Patrik. Ich kann Ihnen Miß Bessy als Wirtschafterin nur empfehlen, Mister, sie kennt das Gut durch und durch, es ist ja eigentlich Ihre Heimat, – die böse Geschichte werden Sie ja schon gehört haben – durchaus empfehlen, Mister, wenigstens bis Sie einmal selbst eine Wirtschafterin heimführen.«

Er lachte wohlwollend.

»Sie sind ja doch Junggeselle?«

Bernhard beobachtete Bessy scharf. Bei der Nachricht des Kaufes verriet sich in ihrem Antlitze kein solches Interesse, als bei der letzten Frage Taylors. Er zögerte mit der Antwort, er glaubte mit heller Freude eine angstvolle Erwartung in ihren Zügen zu lesen.

»Noch bin ich es,« sagte er dann mit einem Blick auf Bessy, der offenbar zu deutlich war; sie wendete mit einem leisen, stolzen Schürzen der Oberlippe ihr Gesicht ab.

»Nun, gratulieren Sie mir denn gar nicht zu dem Kauf?« fragte er, dem Mädchen seine Verlegenheit verbergend.

»Gewiß, von ganzem Herzen, – wie ich jedem gratulieren würde, der dieses schöne Gut erwirbt,« setzte sie mit scharfem Ton hinzu.

Taylor lud Bernhard zum Lunch ein, nachmittags sollte ihn Bessy zur Stadt zurückfahren. Bernhards Befürchtung war, Taylors Sohn könne zurückkommen, in ihm seinen Züchtiger erkennen und den Kauf rückgängig machen; doch auch darüber beruhigte ihn der Alte, indem derselbe in einer Weise über seinen Sohn sich äußerte, die jeden Einfluß von dieser Seite völlig ausschloß.

Bessy saß mit am Tische, den sie mit Sauberkeit und einem Geschick gedeckt hatte, die den jeder Häuslichkeit ungewohnten Bernhard entzückten.

Wieder kam die Rede auf den Tod des unglücklichen Crosby, so sehr auch Bernhard bestrebt war, das Gespräch abzulenken. Taylor schimpfte über den Knecht Smidt, der zweifellos der Täter sei, er habe den alten Crosby oft gewarnt vor dem Kerl, der ihm von Anfang an einen verdächtigen Eindruck machte, während Bessy unwillkürlich immer wieder seine Partei ergriff, das Motiv der Tat in einem Streit suchte, der wohl zwischen den beiden Männern im Walde stattgefunden. Taylor lachte über diese milde Auffassung, besonders als Bessy auch jetzt wieder ihre Hoffnung betreffs des geraubten Geldes aussprach.

Da müßte der Kerl schon verdammt in der Klemme sein, meinte er, am Totenbett seien solche Dinge übrigens schon vorgekommen. Die Angst, das Gewissen, – aber dazu habe es ja bei dem jungen Mann noch lange Zeit, und bis dahin sei wohl von dem Gelde überhaupt nichts mehr vorhanden.

Bernhard hielt sich auffallend zurück bei diesem Gespräche.

»Sie waren nicht klug, Miß Crosby, mich auf Crosby Ranch aufmerksam zu machen,« bemerkte er dann. »Wenn jetzt dieser Smidt wirklich das Geld zurücksendet, werden Sie sich am Ende mit mir härter tun betreffs des Rückkaufes Ihrer Heimat, als mit Mister Taylor. Haben Sie sich das schon überlegt?«

Bessy errötete tief.

»Da haben Sie ganz recht, ich weiß nicht, wie ich dazu kam, aber ich wußte eben, daß Mister Taylor nicht bleibt, und der Fleck Erde liegt mir einmal am Herzen. Es ist mir nicht gleichgültig, wer ihn bekommt, – und, – nun, Sie wissen ja, was sich ereignete, – ich glaubte Ihnen dankbar sein zu müssen, – ja, Mister Taylor, dieser Gentleman war es, der mich gegen Ihren Herrn Sohn in Schutz nahm.«

Sie erzählte das offenbar in ihrer Verwirrung, ohne die möglichen Folgen zu berechnen, Bernhard erschrak. Mac Taylors Blicke schweiften mit spöttischem Ausdruck über die beiden.

»So? Sie waren es? Hm, nehmen Sie sich in acht vor Patrik, er vergißt so etwas nicht leicht. Was mich anbetrifft, ich gönn's ihm von Herzen. So, Sie waren es?«

Er nickte verständnisinnig mit dem Kopfe.

Seine beiden Gäste fühlten unter seinem Blick die Kette der Ereignisse, welche sich immer fester um sie schlang.

Man brach später auf, als man beabsichtigt hatte, es gab doch noch viel zu besehen und zu besprechen. Der Abend senkte sich schon herab, als Bernhard zu Bessy auf den Wagen stieg.

»Miß Bessy wird Ihnen das übrige auf dem Wege erklären, besser als ich es vermag,« sagte der Alte beim Abschied, und wieder spielte das Bernhard so verhaßte Lächeln um seinen bartlosen Mund, »sie ist ja selbst ein Stück von Crosby Ranch.«

Die Pferde bäumten sich unter einem scharfen Hieb, und der Wagen flog davon über Stock und Stein.

»Ein unangenehmer Patron, dieser Taylor,« begann Bernhard das Gespräch. »Ich bedaure Sie herzlich. Drei Monate unter solchem Regiment!«

»Und doch war ich froh darum, ich war doch wenigstens in meiner Heimat,« entgegnete bitter das Mädchen.

»Und werden Sie das bei mir nicht sein? – in Ihrer Heimat?« fragte Bernhard mit einer Wärme in dem Ton seiner Stimme, welche Bessy nicht entging.

»Nein!« erwiderte sie entschieden. – »Wie können Sie nur so ungeschickt fragen, oder glauben Sie vielleicht, weil ich Ihnen mehr entgegengekommen bin, als es sich für eine Dame schickt, haben Sie die Berechtigung dazu? –« Sie riß zornig an den Zügeln. »Dann täuschen Sie sich gewaltig.«

Sie sprach das ruhig und kalt.

Mit diesem Mädchen war kein Spiel zu wagen, es mußte im Sturm gewonnen werden oder ward nimmer sein, nicht um alle Reichtümer der Welt; sie war jetzt in ihrer jungfräulichen Herbheit ein Schatz, vor dem der in seiner Tasche in nichts zusammenschwand, er wollte diesen gar nicht, wenn er nicht damit jenen gewinnen konnte.

»Die Frage ist nicht so ungeschickt, als Sie glauben,« entgegnete er, im Augenblick das alles überdenkend, »und ich habe eine Berechtigung zu derselben, weil –«

Er faßte nach ihrer Hand.

Sie sah ihn erstaunt an, fast zornig.

»Weil ich Crosby Ranch nur kaufte unter der Bedingung, daß Sie bleiben –«

Sie hielt mit einem Ruck die Pferde an. Der Wagen hielt auf einem engen Feldwege, weithin flüsterten die wallenden Maisfelder im violetten Dämmerlichte.

»Dann werde ich Mister Taylor sagen, er soll sich morgen nicht nach Pèoria bemühen,« sagte sie kurz.

»Wenn ich aber dazu setze, als Herrin bleiben, als alleinige Besitzerin, als, – Bessy, ahnen Sie noch nicht, als was noch?«

Er umfaßte ihre Taille, sein Antlitz glühte, er stand vor der Erfüllung seines Traumes.

Er achtete nicht ihres Sträubens.

»Als mein Weib, als mein geliebtes Weib!« rief er frohlockend auf.

Bessy war jetzt bleich geworden, ihr dunkles Auge war mit einem sonderbaren, starren Ausdruck auf Bernhard gerichtet.

»Sie erlauben sich doch keinen Scherz mit einem armen Mädchen?«

Ihre Worte klangen mehr drohend als schmerzlich.

»Ein armes Mädchen, Sie, Bessy?«

Das Wort ›arm‹ rüttelte sein Gewissen wach. Es drängte ihn, sich zu vernichten, sie zu erheben, in Worten ihr das zu geben, was er ihr in der Tat raubte.

»Ich bin arm, unendlich arm, ein Bettler, der Sie um Mitleid anfleht, und Sie sind reich! Mit einem Worte können Sie mich glücklich machen. Ich liebe Sie, Bessy, vom ersten Augenblick an, wo ich Sie gesehen. Ich besitze nichts mehr, mich selbst nicht mehr, alles gehört Ihnen und nur von Ihnen will ich es wieder als Geschenk empfangen, mit Ihnen oder gar nicht, es ist wertlos für mich ohne Sie.«

Es war ihm, als kämen diese Worte aus seiner tiefsten Seele, und die heiße Glut, die sie in seinem Innern entfachten, ließ ihn die eigentlichen Beweggründe dieser Selbstopferung ganz vergessen. Auch eine Bessy war solchem Ansturm nicht gewachsen, dieser Mann hatte ihr beim ersten Anblick gefallen, seine ritterliche Verteidigung ihrer Ehre mehrte ihre Sympathie, jetzt betäubte er sie förmlich mit der Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches.

Sie mußte ihren ganzen Stolz zu Hilfe rufen, um ihm nicht widerstandslos in die Arme zu sinken als ihrem Retter und Befreier; zur rechten Zeit kam noch ein Bedenken, welches ihr die Fassung zurückgab. Sie kannte diesen Mann doch erst seit kurzem, und gerade seine unüberlegte, rasch auswallende Leidenschaft gebot ihr Vorsicht.

Die Pferde, ohne Führung langsam vorwärts schreitend, ließen sich die gute Gelegenheit nicht entgehen, ungehindert links und rechts die saftigen, jungen Kolben abzubeißen.

»Was Sie da alles sagen, wäre hübsch genug, mir den Kopf zu verrücken, und ich glaube Ihnen auch, daß Sie das alles für den Augenblick wenigstens ehrlich meinen, aber es bleibt doch so. Sie sind wohlhabend und ich bin arm, völlig besitzlos, dabei aber, ich sage es offen, so stolz und eigenmächtig, wie ich es früher war, als eines reichen Vaters Tochter und Erbin. Das paßt aber nicht zusammen. Die Leute werden sagen, er hat sie mit Crosby Ranch gekauft, doch was kümmern mich am Ende die Leute! Das wäre kein Grund, aber Sie selbst werden vielleicht einmal so denken oder gar danach handeln – oder ich würde mich so benehmen, als ob ich Ihnen alles Gut zugebracht, – oder, mein Gott, ich kann das nicht so sagen, aber ich fühle es ganz deutlich, Sie sind mir zu wert, als daß ich Ihr, – Ihr, – o mein Gott! Es ist so hart, ich bin ganz verwirrt –« Die Tränen traten ihr in die Augen.

»Ihr Unglück wollte,« endete sie mit einem schweren Seufzer.

Bernhard war erschüttert von diesem ehrlichen, offenen Geständnis, ihm gegenüber nahm sich sein Lügengewebe doppelt häßlich aus; er faßte einen plötzlichen, in seinen Augen großherzigen Entschluß.

»Hier, Miß Crosby,« sagte er, in die Tasche greifend und derselben das Geldpaket entnehmend.

»Nehmen Sie, es ist der Kaufpreis von Crosby Ranch, – nehmen Sie ihn. Sagen Sie, Henry Smidt habe Ihnen wirklich das Geld zurückgesandt, und kaufen Sie selbst das Gut. Ich schwöre Ihnen, niemand etwas davon zu sagen und dann, – dann nehmen Sie mich als armen Jungen, der sich mit Mister Taylor einen unschuldigen Scherz erlaubt, zum Mann. Dann sind Sie die alleinige Herrin von Crosby Ranch vor der ganzen Welt und alle Ihre Bedenken hören auf. Ich bitte Sie darum, nehmen Sie.«

Er drückte ihr das Paket in die Hand.

Bessy nahm es nicht. Jetzt war es an ihr, sich ihres Mißtrauens, ihres Argwohns zu schämen. Ihre letzte schwache Schutzwehr fiel, ihr Trotz, ihr Stolz waren besiegt, nach so viel Leid und Erniedrigung kam das Glück, die Erfüllung ihrer Wünsche zu plötzlich; das weiche, selige Gefühl, das sie durchdrang bei den leidenschaftlichen Worten dieses jungen Mannes, denen nachzugeben sie sich scheute, schwoll jetzt an zur Leidenschaft. Bernhard sah frohlockend seinen Sieg, er preßte sie an sich und drückte den ersten Kuß auf ihre Lippen.

»Meine Bessy!« stammelte er trunken.

»Dein,« flüsterte sie.

»Nimm« Er drängte ihr das Paket auf.

»Um keinen Preis. Ich habe dir wehe getan, verzeih'!« Eine Tränenflut brach sich Bahn, sie barg ihr Haupt an seiner breiten Brust.

Bernhard blickte siegesfreudig umher, das Herz der Geliebten pochte an seiner Brust.

»Errungen!« schrie es auf in seinem Innern.

Fester drückte er die Geliebte an sich und trieb die Pferde zu stärkerem Lauf. Vor ihm lohten schon die Feuer der Hochöfen Pèorias zum Nachthimmel empor.

Auf ihr dringendes Verlangen stieg er vor der Stadt ab, er wollte allen Fragen ausweichen, die nicht ausbleiben konnten, wenn er mit Bessy vor dem Hotel bei anbrechender Nacht ankam.

Nochmals stiegen heiße Schwüre zum Himmel empor. Bessy war jetzt ganz verwandelt, ein seliges, liebebeglücktes Weib und so doppelt begehrenswert.

Bernhard blickte lange dem Gefährt nach, bis das letzte Geräusch verhallt war. Dann blieb sein Blick plötzlich starr in einer Richtung haften. Violette Dämmerung lag über den wogenden endlosen Maisfeldern, in denen der Abendwind wühlte. Mitten aus den grünen, sich rings um ihn ergießenden Wellen ragte, vom Schleier der Nacht schon umwoben, ein kreuzartiges Gerüst hervor, ein dunkler, breiter Gegenstand schien in seiner Mitte zu schwanken, es sah genau aus, wie der Mars der ›Columbia‹, als er zurückblickte von dem Felsenriff aus. Je länger er hinblickte, desto deutlicher war die Vision; es regte sich etwas darauf, und aus dem Geflüster der Felder tönte es deutlich herüber ›Mitmörder!‹

Da säumte das Abendrot den sonderbaren Gegenstand mit seinem letzten verglimmenden Lichte, und er erkannte denselben als einen der in dieser Gegend gebräuchlichen, durch ein Windrad auf hohem Gerüste getriebenen Pumpbrunnen. Er ärgerte sich über seine kindische Einbildung, die nur eine Folge seiner inneren Unruhe war, und das jetzt, wo er eben Bessy das Geld freiwillig angeboten als ihr Eigentum. Er wird es ihr morgen, wenn sie ruhiger geworden, nochmals anbieten, – dann muß er schweigen, dieser verhaßte Henri Smidt auf dem Meeresgrund!


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