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Die beiden Anderl

Jugendfreunde, Schul- und Schicksalsgenossen, gleichalterig, der eine auf einem verkommenen Bauernanwesen aufgewachsen, über dessen Besitzer die dunkelsten Gerüchte gingen, von Wilderei und anderem, die ihm den Namen »Gamsanderl« eingetragen, der andere ein Straßenarbeiterssohn, dessen Mutter den kargen Verdienst des Mannes zum großen Teil in Schnaps umsetzte, trotz alledem beide gesund, kräftig, ihres armseligen Lebens sich freuend, aus Not und Verwahrlosung ihr eigenes Lebensgesetz sich gestaltend, das auf rücksichtsloser Freibeuterei fußte, mußten sie gute Freunde werden; alle erdenklichen gemeinschaftlichen Zaun- und Straßenabenteuer und geheimen Raubzüge stärkten im Laufe der Jahre das Verhältnis.

Der alte Gams anderl hielt darauf, daß der Ton auf dem Anderl lag und rügte sofort, wenn einer etwa das Gams betonte.

»I bin der Gams anderl, den Gamsanderl kenn' i net, der muß erst komma,« pflegte er dann zu sagen, »so lang i da bin, wird er sich hübsch hart tun,« setzte er noch mit geheimer Drohung dazu.

Der alte Gams anderl hatte einen Narren gefressen an den zwei Buben, die waren ganz aus seinem Holz geschnitzt, als wenn sie beide sein Fleisch und Blut wären, ja, der Anderl von der Straßen fast noch mehr als sein eigener.

Da war es vor allem seine geheime Leidenschaft, die die beiden Buben magisch anzog, die Wilderei.

Sie schnupperten in dem alten verfallenen Haus förmlich herum nach dem Laster, das wie ein giftiger Pilz seit Jahrhunderten in dem alten Holzwerk nistete. Nichts entging ihnen, so gut er auch das Versteck wählte; die Gendarmen, die sein Haus schon unzähligemal durchwühlt, hatten ganz stumpfe Nasen gegen die zwei. Gamsschwarten, noch so sorgfältig versteckt, wurden von ihnen entdeckt, kein abgeschlagenes Geweih, keine Kruke entging ihnen, und Pulver und Schrot rochen sie durch alle Dielen durch.

Zuletzt hatte er, wie schon gesagt, seine Freude daran, die beiden Buben ganz nach seiner Theorie zu erziehen und für die Wildbahn förmlich zu präparieren.

Das sollte die Rache sein für die viele Belästigung der Polizei, für lange Fahre Zuchthaus, die er schon abgesessen, den Gams anderl könnens ja einmal niederschießen, aber für ihn sollen zwei andere da sein, die ihnen zu schaffen machen.

Er war ein ausgezeichneter Lehrer, mit allen Schlichen und Ränken der Wilderei bewandert, mit fünfzehn Jahren kannten die beiden Anderl jeden Wechsel im Revier und sprachen jede Fährte richtig an. Das Schlingenlegen war eine besondere Spezialität des Alten, kaum begonnen, standen die beiden ihrem Lehrmeister nicht nach.

Dann kam der Spionierdienst daran, das Auskundschaften des Jagdpersonals, wo der und der seinen Gang macht, oder in irgendeiner Kneipe festsitzt, bis endlich einer oder der andere Anderl an den geheimen Birschgängen selber teilnehmen durfte, woraus der Alte immer eine besondere Gnade machte.

Zuletzt bevorzugte er hierin sichtlich den Anderl von der Straße, zum großen Verdruß seines eigenen Sohnes. Da erlitt die alte Freundschaft den ersten Stoß. Der Alte, dem die doppelte Hilfe Vorteil bot, flickte sie rasch wieder mit einem Rehgeißl, zu dem er seinem Sohn verhalf.

Man arbeitete jetzt mit sichtlichem Glück, Jägerei und Gendarmerie wußten, daß der Gamsanderl wieder eifriger als je unterwegs war, aber zu fassen war er halt nicht; nur so viel brachte man heraus, daß er nicht allein war, an die beiden Buben dachte wohl kein Mensch.

Es war Oktober, die Hirsche traten in die Brunft, die ganze Jägerschaft hatte vollauf mit den Jagdkavalieren zu tun, die die einzelnen Brunftplätze besetzten.

Das war für den alten Anderl jährlich die beste Zeit zum Gamsjagern, ohne sich besonderer Gefahr auszusetzen. In diesem Jahre traf es den Anderl von der Straße, ihn auf dem ersten Gang zu begleiten.

Das Angerkar lag ganz verlassen, die Almen waren schon geleert, von den Jagdgehilfen sicher keiner unterwegs. Da hatte er volle freie Hand mit seinem Lehrling, der ihm bei einem etwaigen Zusammentreffen mit einem Jäger hätte gefährlich werden können.

Der Anderl fieberte vor Erwartung. Das Gams bildete in seiner jugendlichen Phantasie einen festen Punkt, der ihn geradezu schmerzte, sein Leben hätte er gegeben um so einen schwarzen Teufel, wie ihn Graßl, der Jäger, oft im Rucksack heimtrug.

Heute war der große Tag! Daß er selbst keine Büchse trug, änderte nichts an seinem Eifer. Nur sehen das Fabeltier und in die Felsen hineinklettern, wie ein richtiger Jäger. So schlich er seinem Lehrmeister getreulich wie ein Hund nach, verzog zu dessen Freude keine Miene, wenn es noch so gach herging, nur als ihn der Alte auf das erste Gamsrudel aufmerksam machte, das im Kar friedlich äste, da wurde er ganz blaß, und das Herz schlug ihm zum Zerspringen.

In den Wänden dicht ober dem Rudl stand ein kohlschwarzer Bock, er sah ihn noch vor dem Alten.

»Den hol' i!«

»Da bleibst und muckst dich net,« befahl der alte Anderl.

Da gab es keine Widerrede, so gern er auch mit dem Alten den kühnen Gang gemacht hätte. Mit den Zähnen schnatternd, ließ er sich hinter einem Latschenbuschen nieder und verfolgte seinen Meister mit gierigen Blicken, der, einen Katzenbuckel machend, jede Deckung benutzend, lautlos die schmalen Riesen der Wände entlang schlich.

Jetzt bewunderte er ihn, und ein heißes Drängen stieg in ihm auf. Nix Schöneres als die Jagerei, und wenn gleich 's Zuchthaus drauf steht! Was soll denn so ein armer Teufel machen, wenn's ihn einmal packt hat, die Leidenschaft.

Der Bock rührte sich nicht, im Anblick des Rudels unter ihm versunken. Der Anderl hatte nicht mehr weit, nur das Felseck mußte er noch passieren, dann war er auf Schußweite.

Er mußte in den alten Filzhut beißen vor Aufregung, so schwer ging ihm der Atem. – Jetzt – und jetzt! – Der Gemsbock warf den Grind auf, sprang einen Felsabsatz höher, blieb stehen und starrte gerade auf die Seite, von der der alte Anderl kommen mußte. Das war eine Qual und doch wieder eine Lust, wie er sein Lebtag noch nie empfunden – da ein Rauchwölkchen, ein Knall, der Gemsbock kugelte die Wand herab in den Kessel. Fast wäre ihm ein lauter Schrei entschlüpft, gerade noch zur rechten Zeit kam ihm die Warnung seines Meisters.

Der stieg bereits durch die Wand herab, die Beute zu holen, die dicht vor einer Latschendickung regungslos liegengeblieben.

Plötzlich blieb er in einer ganz verdrehten Stellung stehen, ließ sich förmlich zu Boden fallen und kroch hinter einen großen Stamm.

Was war das? Ein jähes Angstgefühl stieg in dem jungen Anderl auf. Er spähte mit seinen scharfen Augen umher, instinktiv Gefahr witternd.

Da kam er schon zwischen den Latschen herauf, Schritt für Schritt, sorgfältig sichtend, der Graßl, der Jagdgehilfe! Er kannte ihn gut, mochte ihn ganz gut leiden. Er war wahrhaftig kein Schlimmer nicht, Jäger halt und mußte seinen Dienst tun.

Offenbar ging er dem Schuß nach, und wenn er den Alten entdeckt – dann – dann – Ein Gedanke stieg in ihm auf, der ihn schwindeln machte.

Jetzt erblickte er den gestreckten Gamsbock und wagte sich sichtlich nicht aus den Latschen heraus. Der Anderl oben lag mäuschenstill hinter seinem Stamm.

Wie das hinausging – der Atem stockte ihm.

Der Graßl wollte sichtlich Ausblick gewinnen, er erklomm vorsichtig eine Felsennadel, die aus den Latschen sich erhob, drückte sich eng an das Gestein und spähte hervor.

Plötzlich gab es ihm einen Ruck, er zog langsam seine Büchse auf, sie war gerade auf den alten Anderl gerichtet.

»Halt! D' Büchs weg oder ich schieß'!« klang plötzlich sein Ruf.

Der junge Anderl wollte noch schreien, da verschlug ihm schon ein Schuß die Stimme.

Der Graßl ließ die Büchse fallen, klammerte sich mit seiner letzten Kraft an den Felsen, um dann den Kopf voraus die Stelle herabzurutschen und hinter den Latschen zu verschwinden.

Der Anderl oben hatte den Schuß abgegeben! Da faßte Grauen den Jungen und lähmte ihm jede Muskel, das Wort »Mörder« stieg auf seine Lippen, dann hörte er nur noch einen Warnungsruf von oben, den er nicht recht verstand. Das ganze Kar drehte sich um ihn, noch glaubte er den Anderl oben über die Schneid steigen zu sehen, und Steine kollerten herab – dann schwanden ihm die Sinne –

Als er wieder zur Besinnung kam, fielen schon tiefe Schatten in den Kessel. Sein erster Blick fiel auf den Gamsbock, der noch immer unter ihm auf der Sandreise lag, und mit dem Anblick kam das volle Gedächtnis.

Die Scham packte ihn von neuem, sein Blick bohrte sich in das kleine Latschenfeld, in dem das Furchtbare lag, der tote Graßl! Er sah ihn wieder stürzen, hörte wieder den harten Auffall, das schwere Ächzen, und es kam ihm jetzt vor, als ob er ihn selbst getötet. Der ganze Schauer der Schuld fiel auf seine Brust, und sie war noch zu schwach, sie zu tragen – fast daß ihm wieder die Besinnung schwand –

Da sah er unten eine Latsche sich bewegen, neues Entsetzen schüttelte ihn, gerade an dem Platz, wo der Graßl liegen mußte – noch stärker, als ob er ihn aufmerksam machen wollte – dann – dann rührte sich nichts mehr.

Die ganze Schwere der Tat wälzte sich auf seine Brust, die Wilderei erschien ihm jetzt plötzlich in ganz anderem Licht. Der Graßl handelte in seinem vollen Recht, und der Anderl war ein Mörder, ein niederträchtiger Mörder, und er war sein Genosse, er war der Mitmörder, tönte es in seiner Brust.

Da regte sich wieder die Latsche – da war er schon auf und stürzte nur so herab über das Gestein dem Unglücksplatze zu, ohne Besinnen, ohne Aufenthalt, an dem gestreckten Gamsbock vorbei. Er bog die Latschenzweige auseinander und stand vor dem blutigen Graßl. Der, wohl einen neuen Feind vermutend, tastete sichtlich nach der ihm entfallenen Büchse, um dann seinen großen Blick auf den jungen Anderl zu richten.

»Laß mich«, i lang schon, bist no z'jung – laß mich leb'n!« er streckte die Hände abwehrend aus.

Anderl packte das Mitleid. »Ja, aber schau doch, Graßl, i bin's ja, der Anderl von der Straß' –«

Da hob sich der Graßl mühsam vom Boden. »Du hast g'tan? So jung – so jung –«

Das ertrug der Anderl nicht, das war ihm zuviel zugemutet. »Bei unserm Herrgott, i hab's net tan, Graßl, i hab's net tan, Graßl – i bin grad von der Alm – i – i hab' dich nur um Hilf' ruf'n hör'n – da – da bin i halt auffa g'stieg'n – aber das is ja jetzt – a Hilf muß i hol'n, a Wass'r –«

Der Graßl klammerte sich an die Latschen und versuchte sich aufzurichten. »So weit fehlt's noch net, grad 's Schulterblatt hat's derwischt. Hilf ma grad aufricht'n, nacher geht's schon wied'r.«

Die jugendliche Kraft Anderls reichte kaum hin, ihn zu stützen.

»Das war der Gams anderl, i hab' ihn wohl kennt. Da nimm dir ein Beispiel dran, wie weit man's bringen kann um so a lausig's Gams.«

Der Anderl konnte sich kaum mehr halten, bei Nennung des Namens. Und als ihn der Jäger fragte: »Wie kommst denn nacher du daher?« da hätte er ihm bald die volle Wahrheit gestanden, aber den Verwundeten befiel wieder eine solche Schwäche, daß er vorzog nicht zu antworten.

Mit arger Not ging's bis zur Alm, am Boden des Kars war es mit den Kräften des Anderls und des Graßls zu Ende. Anderl half dem Jäger noch in die Hütte und bettete ihn auf das Heulager des Senn. »In zwei Stunden bin i wieder da mit Hilfe,« und im rasenden Lauf abwärts über Stock und Stein ging's dem Dorfe zu.

Er lief schon, um nicht zur vollen Besinnung zu kommen, während der frische Luftzug ihn dann wieder munter hielt. Blutig vom unzähligen Stürzen im rauhen Gestein, triefend von Schweiß, im braunen wohlgeformten Antlitz noch das Entsetzen der letzten Stunden, kam er vor dem Forsthause an.

Nur kein langes Besinnen, was alles geschehen konnte, wie er sich selber aus der schlimmen Sache zog, jede Minute Verzögerung muß als ewiger Vorwurf auf ihn fallen. Die empörende Tat des alten Anderl stand in krassester Form vor ihm, anderseits widerte es ihn an, den Verräter an seinem Lehrmeister zu machen, an dem er wahrhaftig auch hing.

Er mußte einen gewaltsamen Anlauf nehmen, um einzutreten. Kommt's wie's kommt, der Anderl ist doch verloren, der Graßl hatte ihn ja selber erkannt.

Der Förster, ein massiver Wann, dem der schneeweiße buschige Schnurrbart den ganzen Wund verdeckte, ahnte schon nichts Gutes, als der Bursch in sichtlich höchster Erregung in das Bureau stürmte.

»Der Graßl – Herr Förster –«

»Was is mit dem Graßl?« Der Schnurrbart zitterte in Erregung, und die Augen blitzten auf in dem roten Antlitz.

»Auf der Karalm liegt er –« Der Anderl wagte sich kaum heraus.

»Was liegt er – wie liegt er – Nur heraus mit der Farbe, krank – oder tot –«

Die Augen drangen Anderl ins Innerste. »Schwer krank, Herr – g'schoss'n is er –« platzte er dann heraus.

»G'schoss'n?« Der Förster fuhr rasch auf, »von wem g'schoss'n – von an Lump'n natürlich – und du – du – wie kommst denn du auf die Karalm?«

Der Anderl erstarrte jetzt völlig unter dem Blick des Försters, um keinen Preis hätte er ein Wort herausgebracht.

»Aber jetzt is kein' Zeit dazu, i, kenn' den Lump'n schon, der Gams anderl is, kein andrer. Jetzt mach' dich durch – oder na – halt!« Er machte plötzlich einen rauhen Griff nach ihm, dem sich Anderl schlangenglatt entwandt, um zur Tür hinauszufliehen.

Jetzt zitterte das ganze Forsthaus unter der drohenden Stimme des Försters, als ob er das ganze Dorf zusammenrufen wollte. Was sollte er zuerst tun? Den Gams anderl verhaften, der wohl schon auf dem Sprung war, oder dem Graßl Hilfe schicken? Zuletzt entschloß er sich doch zu letzterem, gab dem Knecht den nötigen Auftrag, um selbst die Gendarmerie zu alarmieren. Kam der Anderl ihm zuvor mit einer Warnung, war alles umsonst, und zu trauen war dem Burschen nicht, samt seiner wackeren Tat, die er offenbar an dem Graßl getan.

Dem Anderl aber schlug das Herz zum Zerspringen. Seinen Lehrmeister darf er nicht verraten, so verächtlich ihm auch seine Tat erschien, das stand bei ihm fest, kein Wort weiter soll man aus ihm herausbringen; erhob der Graßl selber seine Anklage, so war das nicht mehr seine Sache.

Wie ein junger Fuchs schlich er von Zaun zu Zaun, von Stadl zu Stadl, bis er das Anwesen des Gams anderl erreichte. Dort legte er sich wohlgedeckt hinter einem Haselnußstrauch auf die Lauer.

Das Anwesen machte einen trübseligen Eindruck, das Strohdach windschief, die Laden ausgehängt, zerflickte Wäsche am Zaun, alles ein Zeichen des Verfalles. Jetzt machte er sich zum erstenmal Gedanken darüber. Ob das nicht alles anders wäre bei anderen kleinen Leuten, die ihre Sachen in guter Ordnung haben. Ob nicht die verfluchte Leidenschaft des Alten daran schuld sei, deren letzte Folge er heute zu seinem Entsetzen selber miterlebt. Und er tat sich im stillen einen feierlichen Schwur.

Da trat der Gams anderl aus der schiefhängenden Haustür. Er traute seinen Augen nicht. Er qualmte ganz gemütlich aus seiner Pfeife, setzte sich auf die Hausbank und blies die Rauchringe in die klare Luft.

Das war für Anderl etwas Ungeheuerliches! Er war sich selbst nicht klar, sollte er die Unerschrockenheit und Ruhe dieses Menschen bewundern, oder seine Gewissenlosigkeit verabscheuen; war es doch, als erblickte er das Blut des armen Graßl an seinen globigen Händen.

Sein Sohn, sein Spezi, war nicht zu sehen. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke, derselbe möge im Auftrage des Vaters das Späheramt vor dem Häusl auf der Straße besorgen, wie er hier das seinige.

Mit der Freundschaft war es für immer aus, im Gegenteil bildete sich eher ein Feindschaftsgefühl in ihm gegen den Sohn des gewissenlosen Mörders heraus.

Da erblickte er den Förster vom Dorf herkommend, und wie er um sich sah, zwei Gendarmen, die sich dem Hause von rückwärts näherten.

Der Gams anderl verzog keine Miene, obwohl er den Förster über den freien Anger herüberkommen sehen mußte, und qualmte wie traumverloren seine Pfeife.

Da stand schon der Förster vor ihm.

Lässig erstaunt sah der Gamsanderl auf, völlige Arglosigkeit im verschmitzten Gesicht. »Was g'fällig, Herr Förster?«

Der Anderl hinter dem Zaun hielt den Atem an. »A Lump bist, g'schoss'n hast heut früh auf der Karalm –«

»I – g'schoss'n – heut früh – auf der Karalm – Wer sagt das?«

»Wer das sagt? Der Graßl sagt's – gel, jetzt is aus mit dein Lüg'n –«

Der Wilderer verfärbte sich wirklich, und die Hand, die die Pfeife hielt, zitterte sichtlich. »Also wenn's der Graßl sagt, nacher nehmt's mich halt mit aufs G'richt', da wird sich die Sach' schon ausweis'n.«

Er machte Miene, ins Haus zu treten, da kam ihm schon ein Gendarm entgegen.

»A so is g'meint? Na nacher gehn ma halt.« Er reichte förmlich dem Gendarmen die Hand zur Fesselung und schritt festen Schrittes den Weg bergab. Da kam ihm gerade sein Sohn entgegen vom Dorfe her. Ein stämmiger Bursch, von arg verwildertem Aussehen, mit tückischem Blick.

Er stellte sich den Kommenden trotzig in den Weg. »Was hat's mit 'm Vater?«

»Das wirst nacher schon erfahr'«,« meinte der Förster, »sei froh, daß wir dich net auch gleich mitnehm'n.«

»Mich? Da werd's euch aber hart tun, i mach's net wie der Vater und laß mir zuschaun. Da hast's jetzt mit dein saubern Anderl,« wandte er sich dann an seinen Vater, ohne zu bedenken, wie er ihn dadurch belasten konnte. »Aber wart's nur ab, wir wachs'n schon no' z'samm, Anderl gegen Anderl –«

Ein verbrecherischer Blick kreuzte zwischen Vater und Sohn.

Der Anderl von der Straße hatte alles mitangesehen und kein Wort verloren, jetzt wußte er, wie er mit dem Anderl daran war, Todfeindschaft fürs ganze Leben, fast daß es ihm leid war, so wirkte die alte Gewohnheit nach. Dieses Gefühl gewann so sehr die Oberhand, daß er aufsprang und dem Anderl, der gerade den Hof betreten wollte, schweigend entgegenging, um sich wenigstens von dem schweren Vorwurf zu reinigen, den dieser eben auf ihn gewälzt.

Der Anderl vom Hof sah ihn nur haßerfüllt an und spuckte ihm vor die Füße. Er hatte wohl beobachtet, wie der Anderl schnurgerade vom Berg in das Forsthaus gerannt und dort seine Anzeige gemacht.

Weiter brauchte er nichts zu wissen. Wie das alles gekommen war, das wird er schon auf dem Gericht demnächst erfahren, vor das er doch gerufen werden wir; so schnitt er ihm kurz das Wort ab: »Merk' dir den Tag, Anderl, an schlimmren hast noch net erlebt.«

In dieser finsteren Drohung faßte er all den Haß, der aus seinen dunklen Augen leuchtete, und eine solche Kraft des Bösen lag darin, das dem Anderl von der Straß' jede Erwiderung abschnitt. Er sah noch den ehemaligen Freund und Genossen im Haus verschwinden, dann eilte er ins Dorf dem Graßl entgegen, den sie bald bringen mußten.

Ein Vorsatz stand in ihm felsenfest: der Wilderei auf immer zu entsagen und wenn ihm der Jagdteufel noch so arg zusetzt. Er hatte seine abstoßende Fratze wohl erkannt, die hinter all dem verführerischen Kram hervorblickte, von dem er sich blenden ließ, aus all den lustigen G'stanz'ln und kühnen Sprechereien auf den Bierbänken und Hütl mit der Feder rücken. – Ja, das Jagern auf dem Berg umanander, das war' freilich eine Lust sondersgleichen, wenn's rechtens g'scheh'n könnt'. Da tät er auch keine Kugel drum scheuen, wie sie der Graßl in die Schulter bekommen hat, den Tod selber net –

Der Graßl wohnte beim Peterbauern, seine Mutter stammte von dem Hof, und er galt dort als Familienangehöriger. Die Cens und die Loni, die beiden Töchter des Bauern, waren seine Lieblinge, die mehr an ihm als an dem eigenen Vater hingen.

Der Peterbauer konnte es nicht verwinden, daß ihm kein Erbe des Hofes geboren war, und ließ seinen Unmut darüber zur rechten Zeit an den unnützen Dirndln aus, so wenig ihm diese auch Veranlassung dazu gaben.

Die Cens war geradezu ein Prachtexemplar des hiesigen Schlages, und mit ihren kräftigen Armen, ihrem resoluten Wesen, in früher Jugend schon zu allem taugsam, während die Loni etwas zarter ausgefallen und mit ihrem verträumten Wesen gar nicht recht hereinpaßte in einen Bauernhof.

Die blonde Loni hütete, mit einer Strickarbeit beschäftigt, die Kühe auf der Heimweid vor dem Hof, während die Cens im Gemüsgärtl mit kräftigem Schwung die Hacke führte.

Der Anderl näherte sich nach seiner Gewohnheit vorsichtig der Loni. Sie war noch Feiertagsschülerin und von Jugend auf seine Liebe, und zwar so, daß er selbst den allmählichen Übergang zu einer ernsten Neigung gar nicht merkte; selbst die ausgesprochene Eifersucht, die er auf seinen Namensvetter, den Hofanderl, nicht ohne Grund hatte, brachte ihn nicht darauf.

Es war ihm nur stets ein Rätsel, wie das harmlose Dirndl den wilden Anderl so bevorzugen konnte, der ihr auf Weg und Steg nachschlich! Ein bißl Verdacht hätte doch aufsteigen sollen in ihr, wie es um den Anderl stand, aber nix, gar nix, als wenn er ihr's antan hätt', und für ihn keinen Blick, kein Wort, als ob er der Schlechtere war' –

In diesem Augenblick stieg ihm ein häßlicher Gedanke auf: – Wenn sie's jetzt erfahret, von ihm erfahret, daß der alte Anderl den Graßl naufg'schoss'n hat, daß er sicher zum Mörder geworden wär', wenn er nicht gewesen wär', der Anderl von der Straß'! Was da wohl sagen tät, ob's ihm dann noch den Vorzug gab', dem Sohn des Zuchthäuslers?

Er war nicht dazu erzogen, der Niedrigkeit seines Beginnens bewußt zu werden.

»Alleweil fleißig, Loni?« trat er vor das Mädchen, die ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte, »Hast's vom Graßl schon g'hört?«

»I hör' überhaupt nix,« erwiderte Loni abweisend.

»Hab' g'meint, ihr habt's ihn so gern, den Graßl, ihr zwei –«

»Eben drum hör'n ma a nix, was d' Leut sag'n.«

»Ja, ja, nix Bös's, nur was rechts Arg's. Mir tut er selber leid – schau – gleich werd'ns ihn bringa.«

»Den Graßl –« rief jetzt die Cens, von ihrer Arbeit aufsehend. »Was is mit dem Graßl?« Sie trat mit der Hacke näher, »jetzt red'.«

»No naufg'schoss'n hat ihn halt ein'r – in der Karalm liegt er, heißt's –«

Die Cens stieß einen lauten Schrei aus. »Das hat der Gams anderl tan, der Lump – kein anderer –«

»Wie kann man so was Hart's sag'n,« wandte jetzt die Loni ein, die ganz blaß geworden war vor Schreck, »weil er arm is, gel?«

»Weil er a Lump is, a elendig'r – der arme gute Graßl –« Die Cens weinte helle Tränen, während die Augen Lonis völlig trocken blieben. »Aber jetzt heißt's naus mit dem G'sindl, mit dem Vater und dem Sohn, der is nm kein Haar net bess'r. Jawohl, das sag i dir ins G'sicht, Loni – a Schand' und a Spott is –«

Jetzt erst brach Loni in helle Tränen aus.

»Weißt du denn nacher was von ihm – vom Sohn – Red', Anderl,« wandte sie sich an den jungen Mann, »bist ja sein Freund. Kann er was für sein Vater, hat er was Unrechts tan, red', Anderl, wenn ich dich net veracht'n soll.«

Anderl schämte sich innerlich zu Tod. Sie hatte ja recht, war er denn um ein Zaar besser als er?

»Und wenn's sein Vater tan hat,« wandte sich Loni jetzt plötzlich, wie von einer ihr gar nicht zu Gesicht stehenden Entrüstung gepackt, »was is denn schuld dran, als die armselige Jagerei, derentwill's sie sich umbringa, um a lausig's Böckl oder was, und der Graßl macht's um kein Haar anders, wenn's drauf ankommt –«

»So–o,« höhnte jetzt die Cens, in einen Paroxysmus des Zornes versetzt. »Das is also all's gleich, ob er seine Pflicht als richtiger Jäger tut, oder ob er an Dieb, oder gar an richtig'« Mörd'r macht –«

»Das is mir all's gleich,« erwiderte in einer seltsamen Gelassenheit Loni. »Mir tut er so leid als dir, der Graßl. Von mir aus soll's keine Jager und keine Wildschütz'n geb'n, und die Gams und die Hirsch soll'« ihr Ruh' hab'n, is eh g'nug Leid in der Welt, braucht's net no extra eins einiz'trag'n.«

Die Worte gefielen wieder dem Anderl, und wenn er in das friedliche Gesichter! blickte, aus dem schon wieder jede Spur des schwesterlichen Streites gewichen, begriff er sie auch.

»Dir tut er also leid, der junge Anderl?« fragte er Loni.

»Besser wird er net werd'n, wenn's den Vater ins Zuchthaus führ'n, drum tut er mir leid,« war ihre klare Antwort, gegen die nichts einzuwenden war.

Stimmengewirr wurde laut.

»Den Graßl bringen's!« rief die Cens.

Vom Dorfe her näherte sich etwas. Zuerst erschien der Förster, weit ausschreitend, pustend vor sichtlicher Eile, hinterher trugen Holzknechte eine Bahre aus Fichtenboschen, der verwundete Graßl lag darauf, in respektvoller Entfernung, über deren Verletzung der Förster sorgfältig wachte, folgte, scheu sich drückend, das halbe Dorf, Männer, Weiber und Kinder.

Die Cens eilte dem alten Freunde entgegen, sie litt es nicht, daß man ihn an ihr vorbeitrug.

Der Jäger saß aufrecht, die linke Schulter in der Binde, todblaß, vom Transport erschöpft. Die Cens kniete sich zu ihm nieder und frug alles Erdenkliche, augenblicklich Zwecklose.

Der Jäger aber rückte plötzlich ein wenig auf und sah über sie hinweg. »Dort steht er ja, dem i no' allei' mein Leb'n verdank',« sagte er ächzend und wies mit der Rechten mühsam auf Anderl.

Der wußte erst nicht recht, was er von ihm zu erwarten hatte, Anklage oder Lob, und war jetzt beglückt von den Worten des Verwundeten. Ja, er schwor in diesem Augenblick ewige Freundschaft.

»Wenn der Anderl net komm'n wär',« fuhr der Graßl mühsam fort. »Da geh her, Anderl,« er streckte ihm eine blutige Hand entgegen. »Das war brav von dir, du mußt a Jaga werd'n.«

Diese letzten Worte durchzuckten Anderl wie ein Wetterstrahl. Er hätte die blutige Hand küssen mögen.

»Weit'r, weit'r,« mahnte der Förster. »Er muß zur Ruh' komm'n. Und du kommst zu mir in die Kanzlei,« donnerte er den Anderl an, »nacher red'n ma weit'r, saub'r bist net.«

Anderl wußte wieder nicht recht, sollte er fürchten oder hoffen.

»Zu mir kommst nacher, gel?« mahnte ihn noch der Graßl mit matter Stimme.

Die Worte klangen jetzt wie Himmelslaute. Jetzt konnte der Förster ihn herunterkanzeln wie er wollte, zu verheimlichen war ja ohnehin nichts mehr, der Graßl hatte jedenfalls schon gesprochen.

»Du mußt a Jaga werd'n!« – diese Worte brachte er nicht mehr aus dem Ohre. War das ein unverdientes Glück! Fast, daß er irre wurde an der göttlichen Gerechtigkeit, von der der Pfarrer immer predigte. Der Gams anderl wär' auch kein Wilderer g'word'n, und aufs Haar ein Mörd'r, wenn ihm das einer g'sagt hätt' in seiner Jugend – und er, er soll's am End' werd'n, weil er mit ihm ganga is. –

Da lag eine Ungerechtigkeit darin, die ihn heftig beunruhigte. Vom Förster erwartete er nichts Gutes, aber eine tüchtige Buße verdiente er schon, so war er ganz gefaßt.

Die Sache ließ sich schlecht an. Der Förster war wütend. Graßl hatte ihm wohl seine Vermutung betreffs seiner, wie er gerade zu der Zeit in das Kar gekommen, unumwunden mitgeteilt, und Anderl war starr, daß sie sich fast völlig mit der Wirklichkeit deckte.

So dachte er nicht ans Leugnen und bekannte alles haarklein.

»Also so weit hast's bracht, mit dem Gams anderl gehn! Pfui Teufl! Aber das macht die saubre Freundschaft mit sein'm Schandbub'n, der's wohl grad' so mach'n wird wie der Alte. Was soll i jetzt mach'n mit dir? Soll i dich anzeig'n, daß d' nacher no' schtecht'r wirst? Jaga werd'n, meint der Graßl, ja freilich, daß wir all's G'sindl herkrieg'n und kein ehrlicher Mensch mehr als Jaga dien'n will, mit der saubren Freundschaft noch dazu.«

»Der hätt' i schon abg'schwor'n, Herr Förster,« bemerkte bescheiden der Anderl.

»So? Natürlich! Kein Charakt'r hint' und vorn, wie's grad hergeht, und a paar Markerl tragt's und z'letzt stehlt's mitsamm' –«

»Wenn's Sie's halt probier'n tat'n, Zerr Förster,« wagte sich jetzt Anderl hervor, »kein Schlecht'r wär' i net –«

»Meint der Gams anderl, gel?« höhnte der Förster.

»Das mein' i schon selb'r, wenn man's halt amal so im G'müt hat und so was Schreckliches derlebt hat – i mein', das müßt erst den ganz Richtig'n geb'n.«

Der Förster sah ihn von oben bis unten prüfend an. »Hin, i mein', es müßt' dir jetzt graus'n vor der Wilderei –«

»Tut's a, Herr Förster.«

»Und kein G'meinschaft mit dem G'sindl da ob'n.«

»Kein G'meinschaft mehr, i schwör's, Herr Förster.«

»Na nacher – nacher werd' i dich halt als Jagdeleve meld'n, und wenn du dich gut führst – mach'n wird er's doch nimm'r lang, der Graßl – Das Weitre hörst schon, jetzt geh.«

Anderl empfand etwas wie Liebe eines Sohnes zu dem Alten, und mit Widerwillen setzte er den verschmitzten Schleicher, den Gams anderl, dagegen.

Er wußte kaum mehr, wie er zur Kanzlei hinauskam, so drehte sich alles um ihn im Glücksgefühl.

Zum Graßl! Das war jetzt sein einziger Gedanke. Er traf ihn hübsch matt geworden, stürmisch konnte er ihm noch danken für seine offenbare Fürsprache beim Förster, dann wies ihm der Arzt das Zimmer.

Er kam sich selber jetzt schon ganz verändert vor, er reckte sich ordentlich, und sein Antlitz bekam einen starken Ausdruck.

So trat er jetzt vor die Loni, die auf der Hausbank ihren Strumpf weiter strickte. »Hör', Loni, was sagst du dazu, a Jaga werd' i,« fragte er das Mädchen triumphierend.

»Da wirst was Recht's.« Wieder sprach die ihm unerklärliche Abneigung gegen diesen Stand aus ihr, die ihren Grund offenbar nur in ihrem Verhältnis zu dem Anderl vom Hof hatte. Das reizte ihn nur.

»Alleweil noch mehr, wie dein saubrer Schatz –«

»Alleweil noch saubrer wie du, Hinterruckser, heut' a so, morg'n a so.«

Anderl fühlte einen nicht ganz ungerechten Vorwurf heraus. Als Jäger gewann er sie sicher nicht, und wenn er sie ansah, so war es ihm, als müsse er um sie darauf verzichten, so lieb hatte er sie trotz ihres abweisenden Wesens, erst recht darum.

Loni ließ ihn stehen und ging ins Haus.

Wenn jetzt der Förster net wär' – halt, dann wär' er erst ganz verlassen. Gegen den Anderl vom Hof aber regte sich etwas wie Haß, und in seinem Hirn formte sich ein ähnliches blutiges Bild, wie er heute im Kar selbst vor Augen gehabt, nur lag der Anderl in den Latschen, anstatt der Graßl.

Zwei Jahre waren darüber ins Land gezogen. Ein volles Jahr hatte Graßl nach seiner Genesung den Jagdeleven Anderl in der Lehr'. Und er war zufrieden damit, die Grundlage war gut, wenn er sie sich auch beim Gams anderl erworben. Das war nichts Neues bei der Jägerei, und Graßl war in seiner Jugend auch nicht sauber.

Anderl bildete sich zum gewissenhaften Jäger aus. Die Stelle im Kar, vor dem seine Dienstwege ihn oft vorbeiführten, war ihm eine ständige Mahnung, was aus ihm hätte werden können.

Aber der Graßl hatte doch seinen Treff weg – nach einem Jahr mußte er um seine Pension eingeben, die ihm auch in Anbetracht der Umstände gern gewährt wurde.

Der Anderl kam auf Empfehlung des Försters an seine Stelle, eine Karriere, wie sie der Anderl von der Straß' gar nicht besser erwarten konnte. Er war jetzt zum jungen Mann herangereift, die Autorität des fest angestellten Jägers übertrug sich auf sein Äußeres. Der Anderl von der Straß' barfuß, mit zerrissenem Janker und ungekämmtem Haar war verschwunden, die schmucke Jägertracht, so einfach sie war, gab ihm erst Form und gewissen Anstand.

Jetzt konnte er sich schon sehen lassen, und die Mädels sahen ihm ganz anders nach als früher. Nur eine nicht, und zwar die einzige, an der ihm was gelegen war, die Loni vom Peterbauern. Der Bauer selbst, der, sich seiner Würde bewußt, den Anderl von der Straß' stets wie einen Betteljungen behandelte, war jetzt ganz respektvoll gegen den Jagdgehilfen, der seinen alten, an den Lehnstuhl gefesselten Freund Graßl nicht vergaß. Auch die hochmütige Cens ließ sich jetzt herab zu ihm und buhlte um seinen Blick, nur die Loni tat nicht dergleichen, und der Grund war ein sehr einfacher: der Anderl vom Hof, der vom Vater nicht nur das Wildererblut, sondern sogar den Namen geerbt hatte, den Gams anderl, jetzt der Sohn des Zuchthäuslers, ließ ihr keinen Frieden, und die Loni machte auch gar kein Hehl aus ihrer seltsamen Leidenschaft, die ihrem Vater Leid und Kummer genug bereitete.

Redete man ihr darüber ins Gewissen, so ein verkommener Mensch, der Sohn eines Zuchthäuslers, selbst dazu reif, sei doch kein Verhältnis für eine richtige Bauerntochter, so meinte sie nur: »Ihr kennt den Menschen ja alle net und was in ihm steckt, der Sohn vom Gams anderl is er halt, so was kann man net gleich wegwasch'n wie an Fleck. Wart's doch ab, er richt't sich schon noch, grab a bißt a Geld wenn er hätt', der Hof war' net schlecht und leicht wieder in die Höh' z'bringen.«

Der Peterbauer lachte nur dazu. »Eh'r schon gleich in See werf'n, als dem Lump an Groschen geb'n.« Daß der junge Gams anderl, wie er jetzt hieß, getreulich in die Spuren des Alten trat, war längst kein Geheimnis mehr im ganzen Dorf. Nur daß er noch verschmitzter war als der alte. Da half keine Hausuntersuchung, kein Passen bei Tag und Nacht, und doch wurden immer Schüsse aus dem Revier gemeldet und angeschossenes Wild gefunden. Das Schlimmste aber war der Förster, der den Anderl jeden Tag aufs neue zusammenputzte, ja noch mehr, er ließ den Verdacht durchblicken, Anderl scheue seinen Jugendfreund und drohte, wenn nicht bald Ordnung geschafft würde, direkt mit Entlassung.

Das war denn doch zuviel, der Anderl muß her, er opferte Tag und Nacht. – Alles umsonst.

Da auf einmal winkte der sichere Erfolg. Der junge Gams anderl arbeitete seit einer Woche auf dem Holzschlag des Peterbauern, der dicht unter dem besten Gemsrevier lag. Für den Anderl war es kein Zweifel, daß die Arbeit für den Menschen nur der Deckmantel zu neuen Wildereien bildete.

So umschlich er das Gebiet Tag und Nacht, aber der Gams anderl war zu seinem Verdruß unermüdlich in der Arbeit und entfernte sich, den Erkundigungen nach, die er bei den Holzern vorsichtig einzog, auch keine der Nächte von dem Rindenkobel.

So ging es also nicht, der Gams anderl schöpfte unbedingt Verdacht und sah sich scharf beobachtet, er mußte ihm Luft lassen.

Er mied jetzt absichtlich das gefährdete Gebiet und ließ von seinem vermeintlichen Helfer, einem Tiroler Holzknecht, der mit dem Ander! arbeitete und als sein Freund galt, das Gerücht aussprengen, er habe vom Förster einen andern Revierteil zur Aufsicht überkommen, und verlegte sich unterdes mehr auf die Beobachtungen des Hofes, all der geheimen, ihm von früher her wohlbekannten Wege.

Der Gamsanderl ging allem Anschein nach wirklich auf den Leim. Der Tiroler berichtete dem Jäger eines Tages mit allen Nebenumständen, der Gams anderl habe heute morgen einen Gamsbock in der sogenannten »Gumpen« geschossen und käme sicher bei anbrechender Nacht mit seiner Beute auf den Hof. Er wüßte es aus dem eigenen Munde des Unvorsichtigen.

So seltsam ihm der Bericht auch vorkam, bei der ihm bekannten Durchtriebenheit seines früheren Freundes, der Eifer, die Wut raubten ihm jede weitere Überlegung.

Er paßte den Abend wohlverborgen, niemand konnte sich dem Hofe nähern, ohne daß er es sehen mußte.

Niemand kam, nichts rührte sich, und schon schlug es auf der Kirchenuhr die Mitternacht. Wieder nichts – und unterdes ist der Gamsbock längst anderswo untergebracht. Da war das »Gasthaus zur Post« im höchsten Grad verdächtig, welches schon die Stammkneipe des Alten war. Einfach hinunter, war der Ander! da, dann hatte es seine Nichtigkeit, und morgen früh Hausuntersuchung beim Wirt.

Es hielt ihn nicht länger in seinem Versteck. Alle Fenster der »Post« waren noch erleuchtet, offenbar hatte sich eine lustige Gesellschaft festgesetzt, Gelächter, Gesang, die Töne eines Fotzhobels drangen heraus. Eher wie nicht war er da!

Er schlich sich vorsichtig näher, um dann mit einem jähen Ruck die Türe zum Gastlokal aufzureißen. Die Fülle von Licht, die ihm entgegendrang, blendete ihn erst. Eine sichtliche Überraschung zeigte sich auf dem vollbesetzten Ofentisch. Im nächsten Augenblick sah er aber schon klar – und was er sah, ließ ihn förmlich erstarren.

Inmitten einer Schar junger Burschen saß breit und sicher, aus einer Pfeife qualmend, der Anderl, und aus dem bis zum Sprengen voll gefüllten Rucksack sah ein Gamsgrind, mit einer martialischen Krücke, während vier starke Läufe über seinen Kopf ragten.

Das war was Ungeheuerliches, Schreckhaftes, Verwirrendes, der durchtriebene Anderl, mit einem gewilderten Bock im Rucksack, inmitten der Dorfgenossen!

Das ging über seine Begriffe, er ahnte zwar irgendeinen Betrug, aber die Tatsache stand doch klar vor ihm. Als aber der Gams anderl auch noch lachend den Krug erhob und den Zutrunk reichte, da wich seine Erstarrung, und ungeahnte Wut erfaßte ihn.

Mit einem Sprung fuhr er ihm an die Gurgel und zerrte ihn auf, als ob er ihm überhaupt entrinnen könne.

»Nur net so hitzig, Ändert,« rief der Angegriffene, die Faust abschüttelnd, »mit deinem wild'n Einitapp'n fängst du kein'n, das mußt dir schon merk'n.«

»Leugn'n willst a noch, mit dem Gamsbock am Buckel?« Anderl schäumte vor Wut.

»Wer hat mir 'hn denn aufg'schnallt auf dem Buckl, den Gamsbock? Weißt du das? Nix weißt. Der Förster selber.«

»Das is a faustdicke Lug,« polterte Ander! heraus.

»Net halb so groß, als du meinst,« erwiderte der andere. »Mir hat er 'hn allerdings net aufg'schnallt, des stimmt, aber dem Vincenz, kennst 'hn ja so viel gut, dem Tiroler. In der Früh hat er 'hn g'schoss'n in der ›Gumpen‹, und weil's so heiß g'macht hat, hätt' 'hn der Vincenz runter bring'n soll'n, no und der Vincenz war grad net extra beianand und hat 'hn mir geb'n zum Bring'n – und jetzt bin i damit da. Kannst 'hn gleich mitnehma ins Forsthaus.« Er stand auf und schnallte seinen Rucksack ab. »I hab' nix mehr z' tun damit – i hilf dir gern –«

Im Nu war der Rucksack auf dem Rücken des Anderls, und schallendes Gelächter erhob sich.

»Schau, jetzt is er der Gamsanderl,« erhob sich plötzlich eine Stimme, und alles fiel lachend ein und wiederholte den Namen mit scharfer Betonung des ersten Wortes.

»Alle zwei soll'n's leb'n, der Gamsanderl und Gams anderl,« riefen jetzt alle und hoben die Krüge. »Was kümmert uns die ganze Jagerei! Setzt's euch z'samm, wart's ja die best'n Spezln frühern Zeit'n.«

Jetzt war der Haß fertig, die letzte weichere Erinnerung an der Jugendfreundschaft für immer getilgt, die Brüder Anderl standen sich als Todfeinde gegenüber, und ihr Blick weissagte nichts Gutes.

Der Jäger taumelte, den Gamsbock am Rücken, zur Stube hinaus, und hinter ihm her ertönte der höhnende Ruf: Gamsanderl! Gamsanderl!

Er konnte nicht daran Zweifeln, daß der Unmensch die volle Wahrheit gesagt habe, er brauchte den Förster gar nicht dazu. Die ganze Sache war offenbar zwischen ihm und dem Tiroler abgehandelt, um ihn womöglich öffentlich zu verhöhnen.

Mit seiner ganzen Reputation als Jäger war es zu, Ende – bis er – bis er – Ein blutiges Bild stieg vor ihm auf in der Nacht, an dem er jetzt mit wahrer Begierde hing.

Die ständige Gegenwart des schwer leidenden Graßl im Peterbauernhof wirkte mit der Zeit doch stark auf die Loni. Unzähligemal hatte sie von ihm die Schilderung seines Unglückstages vernommen und daraus die ganze Verwerflichkeit der Tat ersehen, auch dem Unterschied zwischen Jäger und Wilderer, den ihr Gratzl klar machte, konnte sie sich nicht mehr verschließen.

Die gute Bauernnatur rang sich wieder durch, der strenge Begriff von Ehrenhaftigkeit, in dem sie aufgewachsen. Zuletzt war die ganze Wilderei doch ein glatter Diebstahl: nicht um die Leidenschaft handelte es sich, sondern um den glatten Gewinn, um ein Biergeld, wie der junge Gams anderl ihr gegenüber selbst einst bemerkte.

Und dieser ging dieselben Wege, und wenn es darauf ankommt, wird er es genau so machen, wie einst der Alte, der doch nun im Zuchthaus saß.

Ihre Mahnungen in dieser Beziehung wurden von ihm hohnlachend abgewiesen. Kannst ja mit dem Gamsanderl anbinden, sobald dir a Jager mit der Kron' am Hut bess'r paßt.

Das ganze Dorf nannte den Jäger nicht mehr anders, wie er sich auch dagegen wehren mochte; von neuem wurden die beiden Anderl in enge Beziehung gebracht, selbst im Peterbauernhof nannte man den Jäger nicht mehr anders.

Da war es die Loni, die sich plötzlich seiner annahm, den Spott habe der Anderl doch wahrlich nicht verdient, nachdem er an dem Graßl so schön gehandelt, ihr nehmt's ihm ja noch sein Brot, mit dem ewigen Spott, den der Förster auch net länger mit ansehn kann.

Dem Anderl blieb die Fürsprache Lonis nicht lange verborgen, dafür sorgte schon der Graßl, der sich seine eigenen Gedanken machte.

Jetzt war es ganz aus, jetzt schlug die Liebe zu Loni in hellen Flammen aus. Wenn jetzt der Anderl vom Hof nicht gewesen wäre, der sein trutziges Werben um Loni trotz alledem nicht ließ, hätte er schnurgerade gewagt, beim Peterbauern um ihre Hand anzuhalten. Für einen königlichen Jagdgehilfen stand die beste Bauerntochter, seiner Ansicht nach, nicht zu hoch.

Kam noch das Rachegefühl dazu für die an dem Menschen erlittene Schmach, der verhaßte Spitzname, den er nur ihm zu verdanken hatte, der geradezu seine Stellung gefährdete, der fortgesetzte Vorwurf des Försters über Erfolglosigkeit, und der Haß gegen den Gams anderl stand in vollen Flammen.

Er hatte die letzte Zeit wiederholt Schüsse gehört, natürlich immer in der entgegengesetzten Richtung seines Revierganges. Er hatte Drahtschlingen gefunden, deren Herkunft er aus seiner Zeit sehr wohl kannte.

Er opferte Nächte mit dem Passen – alles umsonst. Der Mensch hatte die ganze Findigkeit des Vaters geerbt.

Da kam doch der langersehnte Tag. Der Gamsanderl war im Revier, das wurde ihm von einer Seite verraten, der er doch trotz all seinem Wißtrauen glauben mußte, auch die Unruhe des Gemswildes in der »Gumpen« verriet es ihm, und ein Zehnerhirsch brach in hohen Fluchten, mitten am Tag, ganz grundlos unter ihm durch.

Jetzt handelte es sich nur um das Erwischen, dann machte er kurzen Prozeß, das schwor er sich.

Seltsam! Es trug ihn förmlich in die Wände des Kars, dicht ober dem verhängnisvollen Platz, den er nie in seinem Leben vergessen wird.

Es ging schon gegen Abend. Ein Gemsrudl äste in dem großen Laner in voller Ruhe. Er ärgerte sich fast über die Ruhe des Wildes. Da war er gewiß wieder auf dem falschen Platz.

Die alte Erinnerung stieg wieder in ihm auf – allerhand Gedanken. Wenn es sich jetzt geradeso abspielen tat, der Anderl oben herabstieg', tät er ihn lang anrufen – dann geht er einfach durch, und er hat wieder das Nachsehen. Oder gleich ihn niederschießen – den Jugendgenossen? – Unsinn – Jugendgenossen – dann hat ja der Förster recht mit seinen Vorwürfen, und verdient hat er's redlich.

Dann war's aus mit dem Gams ändert, kein Mensch wird es mehr wagen, ihn so Zu nennen, und mit dem Gams anderl erst recht.

Es dämmerte bereits, und die Schatten krochen im Kar die Wände herauf. Plötzlich gab es ihm einen Ruck. Eine alte Kitzgeiß schreckte jäh zusammen und stieß den Warnungsruf aus. Die ganze Scharl sprang gerade auf ihn zu, hoffte wieder sichtlich ob der nahenden Gefahr.

Irgend etwas war unterwegs, vielleicht ein Hochwild, ein Tourist. Der Ändert glaubte schon nicht mehr an einen Erfolg.

Da rieselte es ganz leise in den Wänden. Gerade dort, wo ein schmales Steigl hindurchführte, dicht unter Anderl, nicht weiter als fünfzig Schritte, stand ein vierjähriges Böckl und äugte starr hinauf.

Anderl stieg es wie ein Kork auf in der Kehle. Er faßte die Büchse fester, leise rieselte oben auf dem Steig der Sand unter sichtlich vorsichtigen Schritten.

Jetzt erschien ein Mensch, an die Felsen gedrückt, und verschwand wieder hinter einem Vorsprung.

Anderl richtete sein Fernrohr auf den Punkt; er unterschied deutlich wie sich ein Ellbogen vorschob, ein Büchsenlauf, dann sah er einen Schuß aufblitzen. Rauch trübte das Bild, unter ihm sauste die Gemsschar über die Reise, nur der Vierjährige verschwand dicht unter ihm – es kam ihm vor, als ob er angeschossen sei.

Doch dafür war jetzt nicht Zeit. Der Mensch oben untersuchte das Terrain mit einem kleinen Gucker. Anderl erschien dieser wohlbekannt, er hatte ihn schon in den Händen seines früheren Lehrmeisters gesehen, übrigens war für ihn dieses Kennzeichen ganz überflüssig, er hatte auf den ersten Blick den Anderl erkannt.

Offenbar sah er den angeschossenen Bock irgendwo stehen oder liegen, denn er trachtete kerzengerade herab, die kurze Abschraubbüchse unter dem Arm, die der Anderl so gut kannte, gerade auf seinen Platz zu.

Jetzt stand er vor der Entscheidung, Ausweg gab es nicht mehr, weder für ihn, noch für den andern. Wenn er ihn jetzt nicht faßte, dann nie mehr, dann war er wirklich die Leimlatt'n, wie ihn der Förster immer nannte.

Er mußte ihn ganz herlassen und dann – dann – Wenn er ihn anrief, war der gewandte Mensch mit einem Sprung aus seinem Gesichtsfeld – oder er machte es ihm genau so, wie damals der Vater dem Graßl – Also nicht anrufen und einfach –

Immer näher kam er. Der Anderl sah jetzt jeden Zug im Gesicht des ehemaligen Genossen, den er so gut leiden konnte.

Da stand er dicht unter ihm, keine vierzig Schritt, im nächsten Augenblick konnte er ihn nicht mehr sehen. Er hob die Büchse, hielt sie mitten auf seine Brust, nur ein Zucken mit dem Finger, und es war geschehen. Da war es, als ob er ihm gerade fest ins Auge sähe, und der Anderl konnte den Finger nicht krümmen.

»Halt! Büchs weg, oder du bist hin!« kam es ganz rauh aus seiner Kehle.

Der Angerufene war sichtlich völlig überrascht, er verlor den sicheren Halt, die Büchse kollerte den Abhang hinab. Mit einem kühnen Sprung stand der Anderl dicht vor ihm, daß die Mündung seiner Büchse fast die Brust des Wilderers berührte; jeder Widerstand war ausgeschlossen, sie sahen sich fest in die Augen.

»Derschieß' mich, Jagersknecht!« rief der Gams anderl, dem Jäger förmlich seine Brust bietend.

Dieser rührte sich nicht. » Gamsanderl, hörst mich net?« höhnte der andere, »i mag nix g'schenkt von dir.«

Der absolute Sieg stimmte den Jäger etwas milder. »I bin kein Mörder, Anderl, schwör' mir die Wilderei ab in meinem Revier, und i lass' dich lauf'n.«

»Du mich lauf'n –« Der Wilderer traute sichtlich den Worten nicht.

»Am unserer alt'n Freundschaft z'lieb, aber schwör'n mußt, und derschieß'n tue i dich wie a Wildkatz, wenn i dich irgendwo triff. Schwör' – oder i –« Er richtete von neuem die Büchs auf die Brust seines Gegners. »I muß, so hart mir's ankommt, du kommst nimm'r weg von dem Platz.«

Es gab keinen Ausweg mehr.

»I schwör', daß i dir mein Lebtag nimm'r ins Revier gehn will,« erklärte er.

Der Anderl glaubte noch etwas anderes herauszuhören, als den Zwang.

»Und weil du so richtig g'handelt hast an mir,« setzte er in einem trutzigen Tone hinzu, als ob er sich seiner besseren Stimmung schämte, »so rechn' i die Loni a zu dein' Revier.« Mit einem Sprung nach abwärts war er verschwunden.

Der Anderl stand noch lange, die Büchs krampfhaft vor sich haltend, da. Jetzt erst wurde er sich seines Verhaltens bewußt. Hatte er denn ein Recht dazu, diesen Menschen laufen zu lassen, als ob dem an einem Schwur was läge. – Und die Loni rechnete er auch zu seinem Revier! – Das heißt so viel, als – Und zuletzt war das alles doch eine herbe Pflichtverletzung, die Folge der alten unglückseligen Freundschaft, und der Förster hatte ganz recht mit seinem Verdacht, der ihn so kränkte.

Der schwierigste Punkt am ganzen Fall war die Loni, so viel war ihm klar, wenn der Gamsanderl seinen Schwur hielt – dann war er ein Schuft, wenn er ihn anzeigte –, und wenn er ihn nicht anzeigte, dann mußte er seine Entlassung als Jäger nehmen, wenn er selber ein richtiger Mensch sein wollte.

Es ließ ihm die ganze Nacht keine Ruhe. In aller Frühe war er schon beim Graßl, wobei er einer Begegnung mit Loni sorgfältig auswich.

Er erzählte ihm alles haarklein, wie es sich begeben, daß es ihm nicht möglich war, seinen alten Fugendfreund über den Haufen zu schießen, von dem Schwur, den dieser geleistet, und das mit der Loni kam ihm schwer heraus, dem Graßl aber, der das ganze Bekenntnis fast teilnahmlos mit angehört, schien es gerade das wichtigste zu sein.

Er horchte auf, und neues Leben kam in den zusammengesunkenen Körper. »Mensch, das war' a Glück, um das du noch zwei Lump'n laufen lass'n kannst – und zuletzt den Jager dazu. Gar heiß is nimm'r die Loni, i hab' ihr a zug'redt, und wenn der andre nimm'r nachdruckt, nacher is die Sach' g'macht. Den Bauern überlaß nur mir. Herrschaft, das war' noch a Stückl für mich.« Ein Freudenschimmer leuchtete aus dem gefurchten Antlitz. »Jetzt geh und tu deinen Dienst, als ob nix g'scheh'n war'. Der härteste Stein springt ausanander, wenn d' 'hn am recht'n Fleck! triffst. Den Anderl brauchst net z'scheuch'n, i kenn' meine Leut'.«

Anderl war selig über diesen Ausgang, eine Zentnerlast war ihm vom Herzen. Jetzt konnte er es sich nicht versagen, sich nach der Loni umzusehen.

Sie machte es ihm nicht schwer, indem aus dem Stall ihre helle Stimme drang, aber reden konnte er kein Wort, als er vor dem Barren stand, den die Loni mit duftigem Grummet füllte.

»No, Herr Jäger, wo fehlt's?« begann sie ganz schnippisch. »Hast an gut'n Gamsbock g'schoss'n, oder an Hirsch'n, weil du so lachst mit 'm ganz'n G'sicht?«

»Desweg'n g'wiß net – 's Leb'n freut mich halt – schau – dich net?«

»Mein Gott, mich?« sie seufzte schwer auf, »kümmert sich kein Mensch drum – um mich.«

»Wer sagt denn nacher das? Der Gams anderl g'wiß net.«

»Mit dein'm Gamsanderl alleweil.« Sie schleuderte mit kräftigem Arm einen neuen Haufen Grummet in den Barren. »Der will erst recht nix von mir wiss'n. Seid's schon so, ihr Mannsleut'.«

»Seit wann denn nacher?« fragte der Ander!, seine Erregung sorgfältig verbergend.

»Willst das genau wiss'n?« Loni stemmte die runden Arme in die Seite und sah dem Ander! gerade in das Gesicht. »Seltsam, daß du grad' die Zeit derrat'n hast. In aller Früh war er schon da, um mir's z'sag'n, als ob er kaum drüb'r hätt' schlaf'n konna, der narrete Bua. Loni, sagte er, i taug' nix für dich und du net für mich, i brauchet a Scharfe, nacher gang' vielleicht noch was mit mir – i hab' ihm ins G'sicht g'lacht, dem dumma Buab'n. Will i denn was von dir, hab' i g'sagt, 's Mitleid hat mich halt packt mit dir, weit'r nix.«

Anderl, der sich von seinem Staunen langsam erholt, kam ihre Stimme jetzt ganz weinerlich vor, und ihre runden Backen färbten sich feuerrrot. »Und jetzt mach' dich durch, hab' i g'sagt, sonst hol' i den Vater.« Jetzt rannen ihr die dicken Tränen über die Backen.

»Aber Loni, was hast denn?« meinte tröstend und im Innersten doch frohlockend der Anderl, »hast mich alleweil ang'feind't weg'n dem Mensch'«, und jetzt weinst drum –«

Da kam er gut an. »I wein' ja net, red' net so dumm daher, wein' i denn?« Dabei schluchzte sie und fuhr sich mit der Schürze über die Augen.

Das war zu viel für Anderl in seiner gehobenen Stimmung. »Loni,« sagte er weich und legte seine Hand auf ihre Schulter, »kannst mich denn gar net a biß! lieb hab'n?«

Sie vergoß helle Tränen und schüttelte sie nicht ab. Anderl war zu wenig geschult, um diese Flut begreifen zu können, er mußte sie auf Konto des Gamsanderl rechnen. Aber das änderte nichts an seinem ersehnten Glück. Das Köpferl war jetzt ganz auf seine Schulter gesunken.

Fleck, der junge Stier, schnaubte und zerrte an der Kette, ein heißer Dunst stieg auf in dem niederen Stall.

Da fiel ein Schatten über das Paar. Loni entriß sich jäh dem Arm Anderls, so daß sie auf den Haufen fiel, der am Boden lag. Fleck, der Stier, brüllte dumpf und senkte die lockige Stirne. »Luad'r, wenn du gar net parier'n willst!« rief die Loni und riß an der Kette.

Der Bauer stand vor ihr und dem Jäger. »Er wird halt den Jaga in der Nas'n hab'n,« meinte der Bauer, »so rasch wie bei dir geht halt net 's G'wöhna. Warst du denn net grab beim Graßl?« fragte er mißtrauisch den Jäger.

»Freilich – davon komm' i her.«

»Seltsam, wie du auf amal rührig word'n bist, hast eppa gar den Gamsanderl g'fangt?«

Anderl erschrak nicht wenig, der Blick des Bauern gefiel ihm nicht, anderseits hatte er keinen Grund, an Graßls Schweigsamkeit zu zweifeln.

Zum Glück wartete der Bauer seine Antwort gar nicht ab, er zog die Schnupftabaksdose und hob sie warnend gegen sein Kind. »Loni! Loni!« sagte er und verließ den Stall.

Er schüttelte bedenklich den Kopf. »Das Dirndl muß i bald unterbringa, sonst spukt's,« murmelte er vor sich hin.

Eine seltsame Wandlung hatte sich im Gamsanderl vollzogen.

Erst packte ihn die Großtat des Jägers, der ihn gelassen über den Haufen hätte schießen können, wie der Vater einst den Graßl, und nicht einmal verdenken hätte er es ihm können, auf das hinauf, was er ihm schon alles getan.

Da, wie er so die Nacht ins Tal hinabstieg, da kam auf einmal was ganz Eigenes über ihn, wie von weither, ihm selber ganz unverständlich, etwas wie Neue über vergangenes Tun und Lassen.

Was hat der Vater erreicht mit dem verdammten Wildern, den Hof, den er vor vier Fahren als guter Bauernsohn übernommen hat, auf den Bettel gebracht, er selber hat sich wie eine Wildkatz herumgetrieben sein ganzes Leben, zwischen Eing'sperrt- und Derschoss'nwerden, verachtet von allen Leut'n, kümmerlicher Erwerb, ein g'flicktes Dach übern Kopf, der Stall leer, der Grund verkommen –

Könnt' das nicht alles anders werden, in der rechten Hand, die Valehm wieder ein Bauernhof und a richtige Bäuerin hinein – die Loni! – Da stockte sein Gedanke.

Na, die Loni war auf keinen Fall die richtige Frau für ihn, sie war viel zu weich, und er brauchte eine harte und strenge, wenn er zu was kommen wollte. Und außerdem hatte er es ja geschworen, die Loni – und viel leichter kam es ihm vor, diesen Schwur zu halten, als den andern, den vom ganzen Revier.

Daß wenn er z'sammbrächt, die ganze Wilderei verschwör'n, dann könnt's sein, daß er noch einmal aufbaut die Valehm. – Und er muß es zusammenbringen, Herrgott! Er ballte die Fäuste, wie zu einem unabänderlich festen Schluß, das werd' i a noch z'sammbringa!

Seine Phantasie beschäftigte sich mit verführerischen Bildern, mit der aufgerichteten Valehm, einem Stall voll Vieh, und der Vater kommt zurück aus dem Zuchthaus und derleid's vielleicht gar net in ein'm richtigen Haus, setzte er, sich selbst verhöhnend, hinzu – und eine rechte Bäuerin dazu, die ordentlich zugreift –

Das Bild ließ ihn gar nicht mehr los. Es nahm die verschiedensten Gestalten an. Gegen das der Loni wehrte er sich mit aller Kraft, dann kamen andere frei erfundene, dann aber plötzlich ein wohlbekanntes – ganz seltsam – es blieb am längsten – Die Cens vom Peterhof!

Er hatte fast nie mit ihr gesprochen, zuwider war ihm eher die stolze Dirn, die auf den verkommenen Bauernhof herabsah – und doch – doch – wenn er sie sich richtig vorstellte, das Unrechte wär's net – und er wär' ja dann auch ein anderer.

Die Schwester der Loni! Das ging net her, die Cens g'hört nimmer zum Anderl sein'm Revier.

So kam er, den Kopf voll Gedanken und Pläne, in die Valehm. In der Nacht klärte sich das alles. Um's Tag werden stand er schon, die Stirn gerunzelt, vor seinem verfallenen Haus und überlegte, was damit noch anzufangen wär'.

Das ganze Dorf stand am Kopf über den Valehmerhof, der jetzt dem Gams anderl gehörte. Kaum daß man ihm noch den Namen geben wollte, der an den Vater im Zuchthaus erinnerte. Er verdiente ihn wahrhaftig nicht mehr, so ein fremder Geist war in den Menschen gefahren, grab' als wenn er ausgewechselt worden wär'.

Er verkaufte ein kleines Holzteil, das der Vater längst abgetrieben, um ein schönes Geld an einen Stadtherrn, der sich darauf ein Landhaus bauen wollte. Das wird er bald versoffen hab'n, war die allgemeine Meinung. Aber das war ein grober Irrtum. In einem Jahr war die »Valehm«, wie der Hof hieß, nicht mehr zu erkennen, ein steinerner Oberbau ersetzte das alte verfaulte Holzgeraffel, ein Ziegeldach blitzte herab, und ein neuer Stall schloß sich an das Wohnhaus.

Das Gerücht ging, der Verkauf des Holzschlages hätte das alles nicht allein gemacht, ein anderer hätte noch nachgeholfen, und der andere soll kein anderer sein als der Peterbauer! Daran schloß sich die zweite Spekulation. Der Peterbauer sucht einen Mann für die Loni, die ein bißl arg verliebter Natur war, da wird er sich doch entschließen, sie dem Valehmer zu geben, der ihr doch schon lange überall nachsteigt, um was Ärgeres zu verhüten.

Allerdings a g'wagt, und der Vater im Zuchthaus, aber, wie sich der Anderl vom Hof jetzt anließ war darüber zu reden.

Das war einfach zum Staunen, was der Mensch in kurzer Zeit aus dem lausigen Gütl machte!

Vier Stück Vieh stand in dem neuen Stall, auf die Wiesen kam der beste Dung, daß man erst erkannte, was das für gute Gründe waren, und er selbst! Das windige Hütl mit dem Gamsbart darauf war einem breitrandigen Miesbacher gewichen, wie ihn halt die guten Bauern zu tragen pflegen, das ganze Gewand sauber, und nix Iagerisches, schon gar nix, und alleweil bei der Arbeit und alles allein, ohne Dirn und Knecht.

Dabei kann ein Mensch unmöglich der Wilderei nachgehen, das gibt's nicht. Blieb nur die Verwunderung, wie dieser Umschwung gekommen –

Da riet man hin und her.

Die meisten meinten, der Peterbauer und die Loni seien daran schuld, der Alte werde seine Einwilligung zur Ehe nur unter der Bedingung gemacht haben, daß er das Wildern lasse.

Andere meinten, er traue dem Gamsanderl, dem Jäger nicht, der ihm den Tod geschworen habe, zuletzt freute man sich über die glückliche Wandlung, die sich vollzogen, wovon das ganze Dorf nur Gewinn haben könne, für das die alte Valehm immer ein Schandfleck war.

Auffallend war nur, daß man ihn nie bei der Loni sah, überhaupt nicht mehr in der Nähe des Peterbauernhofes.

Wird ihn halt doch der Graßl schrecken, mit dem 's immer mehr bergab ging, ganz wird er sich den Haß doch net aus 'm G'müt schlag'n könna.

Die Wahrheit aber brachte niemand heraus, die blieb das Geheimnis des Kars, das wohl noch mehr in seinen steinernen Schlünden bewahrte.

Aber das half alles nichts. Der Peterbauer wird sich jetzt nicht mehr lange besinnen mit seiner Loni, die's ja nebenbei längst mit dem Jäger, dem Anderl, hat, a recht a lieb's G'wachs, von Rechts weg'n soll man's eigentlich dem arm'n Mensch'n stecka.

Wer weiß, ob es nicht geschehen wäre, wenn nicht ein anderes Ereignis eingetreten, was den Valehmer weniger begehrenswert erscheinen ließ.

Der alte Gamsanderl war aus dem Zuchthaus zurückgekehrt. Das stand dem neuen Hof wahrhaftig nicht schön an. An einem strahlenden Frühlingsmorgen holte ihn sein Sohn von der Bahnstation ab.

Er erschrak bei dem ersten Anblick des Vaters. Keine Spur mehr des Gamsanderl, ein gekrümmtes, scheu um sich blickendes, kahlköpfiges Wandert, das vor dem Blick der Neugierigen, die ihn umdrängten, am liebsten zu Boden gesunken wäre.

Bald wäre der alte Haß gegen Staat und Behörde wieder in dem Jungen aufgestiegen, gewaltsam mußte er ihn hinunterschlucken, freute er sich doch seit Monaten auf den einen Augenblick, der jetzt kommen mußte.

Dazu konnte er keine Zuschauer brauchen, so trieb er die Neugierigen mit drohender Miene zurück, nahm den Alten, d'er sich mühsam auf dem Stocke dahinschleppte, am Arm und führte ihn zwischen den Zecken der Höhe zu.

Da tauchte der Valehmerhof auf, das rote Dach blitzte herab im Sonnenschein, die weiße Front mit den grünen Läden.

Der Gamsanderl hielt die Hand schützend vor die Sonne, und ein leises Beben lief durch den alten Körper.

»Das is er net,« rief der Alte, sich auf den Stock stützend, »das kann er net sein –« Eine arge Beängstigung sprach aus seiner Stimme.

»Er is 's schon, verlaß dich drauf, grad' a biß! anders schaut er aus. G'fallt er dir net?«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Und da soll i wohna, der Gams anderl? Das wird sich net macha, das halt i nimm'r aus.«

»Komm nur erst auffa,« meinte der Anderl, nicht wenig betroffen von der Rede des Vaters, »nacher wirst schon anders denk'n.«

Der Gams anderl stieg wortlos hinauf, und immer wieder blieb er stehen und schüttelte den Kopf. »Anderl, da wird mir angst drinn, i derleid's nimm'r, du wirst es sehn.«

»Also das alte G'raffl möcht'st lieber da stehhab'n?«

»Das alte G'raffl war meine Heimat von Jugend auf, das Haus da ob'n kann's nimm'r werd'n. Ja, wer hat dir denn das Geld – oder hast g'heirat, das Wildern zahlt doch das net –«

»G'wiß net,« erklärte der Ändert, »drum hab' i's gründlich aufgeb'n.«

Da gab es dem Alten einen ordentlichen Riß, und er sah mit starrem Erstaunen auf seinen Sohn. »Du – hast's – aufg'steckt – der Anderl – ja Mensch, sag' mir grab' – i – i begreif' ja das all's nimm'r.« Er ließ sich auf die Bank vor dem Haus nieder, als scheue er sich einzutreten.

Anderl erklärte ihm, wie alles gekommen, wie er den Holzplatz gut verkauft und das Geld zum Bauen verwendet, und wie zuletzt der Peterbauer ihm ein bißl untern Arm griffen hat, und zwar auf die Verwendung des alten Graßl.

Bei dem Namen gab es dem Alten einen Riß. »Der Graßl lebt noch?«

»Gott sei Dank, hübsch schlecht is er wohl beiannand, aber leben tut er noch.«

»Und der Graßl hat für dich – g'sproch'n?« Der Alte griff sich an die Stirne, das verwirrte ihn alles. »O, jetzt lass' mich, mehr kann i jetzt nimm'r hör'n – mir – mir geht all's rundum. Führ' mich eini.«

Der Anderl führte ihn in die Stube. An Stelle des zerrissenen Kanapees, aus dem die Wolle überall heraussah, stand ein neues, ganz herrisches, von den Fenstern hingen schlohweiße Vorhänge, der verfaulte Fußboden, unter dem die Ratten ihre Wohnung aufgeschlagen, war frisch gedielt, und vom Stall herein drang das Brüllen der Rinder.

Der Gamsanderl sank auf das Kissen, er sah jetzt ganz verfallen aus, der geschorene Schädel leuchtete wie ein Totenkopf, und von seinem Gewand ging ein wahrer Moderduft aus, es war dasselbe, in dem er vor fünf Jahren verhaftet worden.

»Der Graßl lebt noch,« flüsterte er dann mit ganz gebrochener Stimme, dabei preßte er seine Brust und atmete hoch auf. »Anderl!«

»Was denn, Vater? wart's nur ab, es wird sich all's mach'n –«

»Anderl – den – den Graßl muß i sehn, der dir g'holf'n hat –«

»Das läßt sich leicht mach'n – heut noch, wenn d' magst –«

»Heut geht's nimm'r – i lang schon – grad' noch ein's, unser – unser – der Anderl von der Straß' –?«

»Der is jetzt seit drei Jahr'n königlicher Jäger –«

Da lief es über das alte verfallene Gesicht wie ein Licht, und ein Lächeln verzog den eingekniffenen Mund. »Also a Jaga – der Anderl – das hab i–«

Weiter kam er nicht. Das war zu viel für den fünf Jahr im Zuchthaus Begrabenen, die Besinnung schwand ihm über all' die Wunder, die er eben erfahren.

Den andern Tag ging es hinunter zum Graßl. Der Gamsanderl, meinte er, würde sich dann eher da heroben gewöhnen. Das Licht aus den hohen Fenstern war ihm zu grell. »In so einer Latern',« meint er, »hätt' i mein Lebtag net leb'n könn'n. Da hast ja kein Winkel, wo dir die Sonn' net einischaut.« Dabei machte er ein Gesicht wie ein Dachs, den man ins grelle Licht gezerrt.

In aller Frühe gingen Vater und Sohn zum Peterbauer. Der Alte wartete heraus, bis der Sohn ihn bei dem Graßl angemeldet. Wer weiß, ob er ihn überhaupt sehen will, seinen ehemaligen Todfeind.

Die Cens kam des Weges. Nach seiner Zuchthausgewohnheit sprang er demütig auf und bot ihr den Gruß.

Die sah ihn groß an. »Ja, das is ja der Gams anderl

»So hab' i amal g'heiß'n und du – du bist die Cens – gel? D' Frau Cens wohl schon lang!«

»Hat kein' so Eil' g'habt, und hat noch keine.«

»Bis der Rechte kommt, dann geht's schleuni,« meinte der Gamsanderl, dem das stramme Weibel arg gefiel.

»Es kommt aber nia der Rechte, schau, Anderl.«

In dem Augenblick rief der junge Valehmer aus dem Haus heraus nach dem Vater, der Graßl sei bereit für seinen Besuch. Da bemerkte er erst die Cens, neben ihrer kraftvollen Jugend nahm sich der Vater noch armseliger aus.

Er war nicht nur als Begleiter des Vaters gekommen, sondern mit einem Entschluß im Herzen, den der Graßl eben noch mit seiner Zuversicht bestärkte. Jetzt war er wieder dahin, der ganze Mut.

»Wartst bess'r da heraus'«, bis die Zwei ausg'redt hab'n mitanander, so was vertragt kein Dritt'«,« meinte die Cens, »i leist' dir schon G'sellschaft.«

Das klang ja ganz anweigerisch, er nahm dankend Platz.

Der Alte trat allein in die Stube des Graßl. Der hatte sich den Lehnstuhl an das Fenster stellen lassen, zu dem die ganze Frühjahrspracht hereinblickte. Er war jetzt völlig ergraut, der Bart, lang und struppig, umrahmte das ganze Gesicht, nur das scharfe Auge blickte noch voll Leben, gegen den Eintretenden war er immer noch ein Held.

Sie sahen sich beide in die Augen. Aber der Gamsanderl hielt es nicht lange aus, im Zuchthaus geht man nur mit gesenktem Blick, er drehte seinen Hut verlegen in seiner Hand und fand die Worte nicht, die er sich die ganze Nacht über vorgenommen.

Der Jäger weidete sich einen Augenblick an dem Schuldgebeugten, dann aber kam's ihm anders, er hatte in der langen Zeit längst vergeben gelernt.

»Ander!, scheuch' dich net, wir sind alle zwei g'schlagene Mensch'n, und was dir bestimmt is, dem kommst net aus mehr, das is mein Glaub'n. An weit'n Weg hab'n wir zwei nimm'r, so mein' i, wir soll'n ihn im Fried'n gehn – magst?« Er reichte dem Anderl die zitternde Hand, die dieser mit einer nervösen Hast ergriff und nicht mehr los ließ.

»Graßl, das dank' dir unser Herrgott. Jetzt kann's wahrhaftig sei'n, daß i wied'r leb'n könnt' in der Valehnt.«

Graßl war nicht wenig erstaunt über die Worte. »Ja, warum nacher net leb'n konna, erst recht leb'n in dem schön' Haus –«

Da schüttelte der Anderl das graue Haupt, dann setzte er sich auf die Ofenbank und klagte dem Graßl sein Leid.

Unterdes leistete die Cens dem jungen Anderl Gesellschaft auf der Hausbank.

»Allen Respekt, wie du dein Haus z'sammg'richt't hast,« begann die Cens, »sag' mir nur grad, wie denn das komma is?«

Anderl lachte das Herz über dieses unverhohlene Lob, das ihm kein Mensch noch so unumwunden gespendet.

»Mein Gott, was kannst da sag'n, über den Mensch'n kommt dann und wann so a seltsam's Einsehn, schau, das is halt a über mich komma, konnst a richtige Frau heirat'n, halt a ein'r sein –«

»Ah, also die Loni is an all'm schuld, no warum net, der Vater wird jetzt die Sach' ganz anders anschaun –«

Da ward der Anderl arg verlegen und zupfte und entblätterte langsam die Reseda auf seinem Hut. »I weiß net, mit der Loni –« er stockte, »a lieb's Ding is ja, aber schau – i brauchet a andre, a Reschre, a Strenge, sonst könnt's gleich sein, daß mich der alte Teufl packt – a richtige Bäuerin halt, die die Valehm wied'r in d' Höh' bringt.«

»Na, nacher hol' dir halt a solche, a richtige, a resche Bäuerin.«

»Wein Gott, i – schau mein Vatern an, s' Zuchthausg'wand hängt ihm an. Das paßt a net jeder – und i selb'r – weißt schon –«

»Gar nix weiß i, als daß viel schwer'r sein muß, aus so ein', wie du einer warst, no was Richtiges z'mach'n, als für an andern, der anders aufg'wachs'n is – und weg'n dein'm Vater, was kannst denn du für den, das müßt schon a recht a Dumme sein.«

Anderl horchte hoch auf, jetzt kam die alte Schneid über ihn, er sah die Cens mit großen hellen Augen an, und sie hielt seinen Blick nicht aus.

»Ja, nacher – wie du das so vorbringst, nacher wär's wohl noch möglich, daß i noch zu einer Richtig'n kam – glaubst das wirklich?« Er ergriff ihre Hand und sah ihr ins Gesicht.

»Warum denn net –« sagte sie mit einer ihr sonst völlig ungewohnten Schüchternheit.

»Ja, dann – dann – sollst amal was z'seh'n krieg'n, Cens.« Er jauchzte die Worte förmlich heraus. »Der schönste Hof weit und breit soll ob'n stehn, und arbeit'n will i wie noch amal a Knecht – und die Bäuerin soll 's schönste Leb'n hab'n auf der Valehm, und Buab'n wollt' i aufzügeln – Cens, sag' –« Es sprach eine Innigkeit, eine wilde Glut aus seinen Worten, und die Cens hörte eine Liebeserklärung heraus, die ihr lieber war wie alle, von denen sie schon gehört und gelesen.

»So red' halt, bist ja sonst net so verlegen,« meinte die Cens.

In dem Augenblick kam der Alte heraus, die Augen waren ihm noch feucht. »Wir san in Ordnung, der Graßl und i –« Jetzt erblickte er erst das Paar auf der Bank. Er hielt die flache Hand vor die Augen. »Is das net die Cens? Herrschaft! Hast du dich ausg'wachs'n.« Sein Blick konnte sich nicht losmachen von dem Paar. »Wenn jetzt i net wär', wer weiß wie's gang – gel, was man Dumm's daherredt, wenn man fünf Jahr –« Er wischte sich die Augen und machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. »Weit'r! Weit'r! Gehn ma heim, jetzt derleid i 's schon eh'r die Valehm.«

Da sprang der Anderl auf. »Vater, noch hab' i a klein's G'schäft mit 'm Bauern,« er sah dabei die Cens an, »kannst gleich wart'n drauf, i mein, es macht' si g'schwind.« Da war er schon auf und im Hof.

Die Cens ließ den Alten neben sich Platz nehmen und erzählte ihm von seinem Sohn, der sich die Achtung des ganzen Dorfes erworben, »und komm'n is, wie a Wund'r die Besserung, und weißt, wo's über ihn komma is? Wie i ihn amal g'fragt hab' – verstand'n hab' is net, bis heut noch net, wie's war, im Kar hat er g'sagt –«

Da fuhr der Alte jäh zusammen. »Im Kar sagst, woi – woi – Wenn das wahr is, Cens – nacher glaub' i z'letzt selb'r an an Herrgott –«

»Das dürft' dein Schad'n net sein,« erwiderte die Cens in ihrer Trockenheit.

Aber die Wiese her kam ein Jägersmann mit einem Hund an der Leine.

»Juckst dich net, wenn d' so ein'n siechst mit der Büchs?« fragte lachend die Cens, des ernsten Tones satt.

Der Alte spähte mit halb geschlossenen Augen nach dem Kommenden. »Was is das nacher für ein'r?«

»Einer, den du gut kennst. – Kennst 'hn wirklich nimm'r? Der Ander! von der Straß', jetzt königlich –«

Da hob es den Alten förmlich von der Bank. »Der Ander!! Der Ander! wahrhaftig.« Jetzt rollten ihm die hellen Tränen über die weißen Bartstoppeln. »Was hab' i den Buab'n gern g'habt, lieb'r wie mein eignen, und jetzt is er a richtig'r Jaga.«

Der Anderl wollte sichtlich ausweichen, natürlich zu Loni. Der Cens war das Verhältnis beider längst nicht entgangen.

»Da komm her, Anderl,« rief sie ihm zu, »a alter Bekannt'r von dir is da.«

Der Jäger näherte sich sichtlich widerstrebend. »I hätt' grab' mit 'n Bauern was z'red'n,« rief er von weitem.

»Der hat jetzt g'wiß kein' Zeit für dich.«

Der Jäger trat hinzu.

»Kennst mich nimm'r?« fragte der Alte mit bewegter Stimme, »dein alter Lehrmeist'r, den Gams anderl! Schau nimm'r gut her, gel? Aber i denk, wenn mir der Graßl d' Hand geb'n hat, kannst du's a tun.« Er streckte die zitternde Rechte aus – und der Jäger ergriff sie.

»I hab net z'recht'n mit dir, Anderl, und büßt hast a g'nu, was i so seh'.«

»Cens! Cens! Hörst denn net,« brüllt jetzt der Peterbauer unsichtbar, irgendwoher. »Eina kommst, aber gleich – i hab' mit dir z'red'n.«

Jetzt stockte der Cens der Atem vor Beklemmung, sie ahnte alles, der Anderl hielt um ihre Hand an, der hitzige Bua. Dabei lachte ihr das Herz vor Freude über seine Schneid, sie vergaß auf den Alten, auf den Jäger und eilte ins Haus.

Der Hund beschnupperte den Alten von oben bis unten und ruhte nicht mit seinem leisen Knurren. »Schmeckst den Gams anderl,« meint der Alte, »riecht alleweil noch bess'r wie das Zuchthausg'wand. jetzt setz' dich zu mir, i laß dich net eher, bis d' mir net all's erzählt hast.« Er hielt den Anderl beim Rockärmel fest und zerrte ihn auf die Bank.

Und der Ändert erzählte vom Kar, wo ihn das Grauen gepackt hat vor der blutigen Tat, wie er den Graßl fort'gschafft und der Wilderei abg'schworen hat für alle Zeit'n und ein ganz anderer Mensch geworden ist aus ihm.

»Im Kar sagst – gel –« wiederholte der Alte, wie in Erinnerung versunken. »A seltsam'r Platz, das Kar, a ganz seltsam'r, denk dir grad', mein Anderl sagt das gleiche. Wie is denn nacher komma, dein' seltsame Umkehr, frag' i – im Kar, sagt er. is komma, weiter sag i nix als – im Kar – Wie denkst du dir denn jetzt das?« fragte der Alte den Jäger.

Der zögerte lange, aber der Alte, der merkte, daß er alles weiß, ließ nicht mehr ab von ihm. So erzählte der Anderl ihm alles haarklein, wie es sich zwischen ihm und seinem Sohn begeben. »Und das muß i sag'n« schloß er seine Erzählung, die den Alten mächtig zu bewegen schien, »g'halt'n hat er sein' Schwur, wie kein Zweit'r net, mein Revier hat er nimm'r betret'n, es hat noch mehr dazu g'hört, als du dir denk'n kannst, aber Respekt, er hat mir a das frei lass'n. Du weißt schon, was i mein', gel, denk a bißl nach.«

Der Alte strengte sein Hirn sichtlich an. »Die Loni meinst gar –«

Der Jäger nickte. »Wenn i jetzt da bin, um mir den Revierteil zu hol'n vom Bauern.«

»Teufl! Teufl!« Der Alte verschob seine Mütze und kratzte sich hinter dem Ohr. »Wie's nur so auftreffen kann! Wenn's ihm nur net z'viel wird auf amal, dem Peterbauern.«

»Was heißt das – wie meinst das?« fragte der Jäger sichtlich besorgt.

In diesem Augenblick trat der junge Valehmer mit der Cens an der Hand aus dem Hof, und beide Hände in der Hosentasche, behäbig schmunzelnd, folgte der Bauer, die Zigarre schief im Wund; sein verschmitztes Gesicht drückte ein gutes Geschäft aus, das er eben gemacht.

Der Jäger machte große Augen, die Haltung der beiden ließ keinen Zweifel mehr aufkommen. Fetzt begriff er alles, er hatte das Opfer des Gamsanderl bald überschätzt, doch er kam nicht dazu, diesen Gedanken auszudenken, so rasch kam dieser mit der Cens auf ihn zu.

»Anderl, da steht mein Bäuerin! Daß du der erst' bist, dem i's sag'n kann, is mir a gute Bedeutung.« Er schüttelte ihm herzhaft die Hand, »jetzt schleun' dich aber, jetzt is er grab' heiß, der Bauer –«

Der Anderl ließ sich das nicht zweimal sagen. Der Peterbauer stand vor der Tür, als ob er auf was warten wollte. Da trat schon der Jäger auf ihn zu.

»Grad' a bißl hätt' i mit dir z'red'n, Bauer,« meinte er schüchtern.

Der Bauer hielt die Zigarre noch weiter nach oben und maß den Jäger von oben bis unten mit einem selbstbewußten Blick. »No in Gott's Nam'n komm halt eina, nacher werd's doch amal a End' nehma.«

Die beiden traten in das Haus.

Die Unterredung dauerte länger als man erwartete.

»Es handelt sich halt um sein Hof, das braucht schon ausred'n, auf den g'hört a richtig's Mannsbild,« meinte die Cens, »i g'hor ja eh' nimm'r her – gel Anderl, als Valehmerin!« Sie drückte sich an den jungen Mann, »jetzt werd'n ma sehn, wer der Beßre ist von den zwei Anderln!«

»Und was is denn nacher mit mir?« meinte jetzt der Alte, in dem der alte Humor erwachte. »Z'letzt war's doch i, der's aufganga hat die zwei. Ja, ja, sagt's was wollt's, die Jägerei hat a ihr Gut's. Mannsbild'r wachs'n doch her dabei, so oder so, grad z'viel is ung'sund, des derbeißt dich.«

Endlich kam der Jäger heraus, ganz allein und auch sein Gesichtsausdruck hatte nicht das rechte.

»Sakra, nacher muh i mit 'n Alt'n red'n,« meinte der junge Valehmer in seiner Hitz.

»Wenn's net aussa geht, weil du da bist, sie schämt sich so viel – meint's.«

»Da is ja nix z'schama, weg'n so a biß! a G'spusi war net aus,« und schon war er im Haus und kam mit der Loni zurück, die ihr Gesicht hinter der Schürze verbarg, und führte sie augenscheinlich dem Jäger zu. Ehrlicher wurde noch kein Schwur gehalten.

Der alte Valehmer und der Peterbauer sahen lachend auf die beiden Paare.

»Und was is nacher mit uns zwei? meinte der Bauer, »hinter'n Ofen, das paßt mir nur halb.«

»Mein Gott, i –« der Alte beugte das Haupt, »i hab abbüßt g'nu, was i an der Valehm versündigt, und du Bauer wirst den Lohn schon find'n für all's was aufbaust hast in dein Leb'n, so weit i den Anderl kenn'. San wir z'fried'n mit unsern Herrgott, so weit wird's net g'fehlt sein.«

Die beiden Väter drückten sich die Hände.

Da geschah etwas ganz Besonderes. Unter der Haustür stand der Graßl, der seit einem Jahre den Stuhl nicht verlassen, auf zwei Stöcke gestützt.

»Jetzt weiß i all's,« meinte er, »unser Herrgott geb' sein Seg'n! Schau, a biß! was war er doch noch was nutz' der Graßl. Ja, die Weg – die Weg! Bald wie a Landstraß'n, so grab und eb'n, bald wie a Birschsteigl auf und abi, wo'st froh sein mußt, wenn du dir net alle Knoch'n brichst – und nacher red'n die Leut', nacher red'n die Leut'.«

Die Paare kamen zu ihm und drückten seine Hand, und der Graßl stand da, mit seinem jetzt langen, schneeweißen Bart, wie ein alter Patriarch, der weiter hinaus war über menschliches Irren und Hassen.

Aber das Kar, das man vom Peterhof genau sah, zog eben ein scharfes Gewitter, und Blitze erhellten die Nebelmassen, die darüber lagen, und gewährten immer wieder einen Blick auf die Schroffen und Wände.

»Da schaugt's nauf« – der Graßl wies mit seinem Stock dahin – »ös zwei Anderl!«

Lange blickten alle auf das ewig erhabene Schauspiels bis es Wolken versteckten.

Die beiden Anderl, die an einem Tag Hochzeit hielten mit den Peterbauerntöchtern, sind heute noch die angesehensten Bauern im Dorf, grad' a bißl a Jagdl könn'ns net entbehr'n, zu der sie von dem Förster zu rechter Zeit g'lad'n werd'n.

Der Gams anderl aber und Gamsanderl existieren längst nicht mehr. Die Jungen haben sie überhaupt nie gekannt, und die Alten denken nicht mehr daran, den Namen auszusprechen.

Nur als dunkle Sage geht immer noch die seltsame Kargeschichte um, die ich mit der Erzählung aus der Vergangenheit ziehen wollte, der Erkenntnis der verschiedenen Wege zuliebe, von denen der alte Graßl damals gesprochen.


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