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Vision

(1930)

Der Satan streift durch die Welt. Nicht wie einst umschauend und beobachtend auf den Straßen, Wegen und Stegen, auf Märkten und in den Häusern, in den verschiedenen Verkleidungen als Bettler, Händler, Musikant, oder wie es ihm sonst gefiel. Rasch und geschäftig durchrast er die Welt mit allen Mitteln der Fortbewegung, die er die Menschen zu bauen gelehrt hatte. Er hält sich nicht wie vor Zeiten bei kleinen einzelnen Siedlungen auf, sondern sein Ziel und seine Freude sind die großen Werke und Fabriken, wo die Menschen arbeiten und schuften bis aufs Blut, Männer, Frauen und Kinder. Aber auch das zu sehen, ist der Satan nicht zufrieden – nein, grinsend belehrt er die Fabrikherren, wie sie durch eine teuflische Verbindung von Hitze, Kälte, Stahl und Strom und allerlei ausgeklügelte Kunstgriffe und Kunststücke die gequälten Menschen entbehrlich machen und ausschalten können. Da strömen die Arbeiter und Arbeiterinnen ein letztes Mal zu den Fabriktoren hinaus, und jetzt erst hat der Satan den rechten höllischen Spaß, den er braucht, um vergnügt zu sein. Er stellt sich an den Eingang des Geländes und verteilt an die entbehrlichen Menschen Handzettel. Die Arbeiter und Arbeiterinnen nehmen sie gerne an und wissen nicht recht, was ihnen geschieht.

Sie wurden still und hungerten bald, weil sie keine Arbeit und keinen Lohn mehr hatten. Einige suchten in der Küchenschublade nach Brot, und da fanden sie des Satans Handzettel auf denen ganz sonderbare aber sehr interessante Sachen standen. »Zur Aufklärung«, Sätze, Worte und Zahlen, die erst ganz ohne Zusammenhang schienen: wie viel Menschen leben, wie viele Frauen, wie viele Männer, wie viele verheiratet und wie viele ledig, wieviel Kinder geboren wurden; wieviel Menschen arbeiten, nach Tagen und Stunden, wieviel Lohn sie hatten, so lange sie unentbehrlich waren, und wie der Lohn weniger wurde, weil die Maschinen so teuflisch verbessert wurden, daß keine Hand, kein Fuß, kein Griff, kein Gehirn der Leistungsfähigkeit dieser Konstruktionen gleichkommen konnte. Auf der Rückseite des Zettels stand noch der Hinweis auf Methoden und Rezepte, wie der Mensch ohne Arbeit und Lohn sein bißchen Geld genußreich strecken kann. Rauchzeug und Alkohol müssen billig gehalten werden, um den Hunger zu betäuben. Ungeborene Kinder müssen getötet werden, um die Konkurrenz zu mildern, die Löhne zu erhöhen und aus den vielen Entbehrlichen wenige Unentbehrliche zu machen. Die Frauen sollten zum Teufel gehn, die sich der natürlichen, sinnlichen Triebhaftigkeit des Mannes nicht fügen, und die ihr den verantwortlichen Urtrieb des Weibes zur Mutterschaft entgegensetzen wollten.

Bald lebten die Leute nach den Rezepten des Satans, aber sie fühlten dabei ihre beste Kraft schwinden, und nur in rohen, wilden Ausbrüchen konnten sie noch toben und wüten. Der edle Strom des Lebens war ihnen abgegraben.

Wie der Satan so mit einer höchst qualifizierten Maschine durch das Land sauste, sah er auch, daß nicht mehr der Mensch, dem göttlichen gesegneten Fluch gehorchend, im Schweiße seines Angesichte die goldnen Ähren schnitt und hochbeladene Wagen in die Scheuer führte, sondern wie nach teuflisch verfluchtem Segen Maschine und Traktoren über die Felder keuchten, um auch hier die Menschen entbehrlich zu machen, daß sie Räuber und Stehler wurden, nur um ihr schales nacktes Leben zu fristen. – Da lachte der Satan, so, daß ihm das Steuer seiner Maschine entglitt; er prallte gegen einen Meilenstein und fiel in den Straßengraben.

Rasch stand er wieder auf seinem Hinkebein. Da sah er eine Gestalt neben sich, die Sense geschultert; hager und knochig steckte sie in. einem weiten Mantel. Den Sensenmann erkennend, rief der Satan: »Ei, Gevatter, an mir kannst Du keinen Schnitt machen, aber, komm mit mir in meinen Wagen und bedanke Dich bei mir für die Ernte, die Dir mein rationalisiertes Vorgehen unter den dummen Menschen bereitet.«

»Pfui Teufel«, sagte der Sensenmann, »was schwatzest du ungefüges Zeug! Ich weiß es besser, ich bin von eh und je Konsument, und weil ich rationeller denke als du, will ich mich eben zu dem Herrn der Welt begeben und mich über dich beklagen.«

Da lachte der Satan wohlwollend: »Steig ein, alter Sensenmann, ich fahre Dich gern vor den Herrn der Welt, dem ich meine Lust danke, wie du die Deine.« Der Sensenmann stieg in das Gefährt, und fort ging's zeitlos bis an den Vorhof des Herrn der Welt. Sonderbar und laut ging es da zu. Eine unübersehbare Menge der entbehrlich gewordenen Menschen, Männer und Frauen, wogte grollend, schreiend, Klage führend durch den weiten Raum. Einer Anzahl liebevoller Engel, Diener des Herrn der Welt, gelang es nicht, die Aufregung einzudämmen. Der Satan und der Sensenmann schlenderten unerkannt Arm in Arm durch die Gruppen der Unzufriedenen. Da erschien plötzlich ein besonderer Abgesandter des Herrn der Welt und sprach:

»Was macht Euch unruhig und unzufrieden, Ihr Menschen? Ihr sollt es dem Herrn der Welt verkünden.«

Drauf schwang sich ein hagerer bleicher Mann, dessen Lippen wohl das Lachen verlernt haben mochten, auf die Schultern von zwei seiner Genossen, daß er sie alle überragte und schrie:

»Tod und Teufel, das ist kein Leben mehr, das die Menschen fuhren. Wir haben's in wildem Weh zu Ende gekostet, aber elend und freudlos, ohne Lebensziel kriecht die Menschheit auf dem Planeten Erde. Durch ein Rezept des Satans ist dreiviertel der Menschheit überflüssig geworden. Was der Rest sachlich und rationell zu Schmach und Schande produziert, wird nicht gebraucht, wird nicht verbraucht, – nicht Stoffliches, nicht Geistiges. Bis in das Tiefste hat sich die törichte Verachtung der Menschenkraft gegenüber der Mechanisierung eingefressen. Der Mensch, der Entbehrliche, hat die Übung seiner Kraft, seines Willens, das Ziel seines Lebens verloren. Unfruchtbar sind wir geworden! Kein Aufstieg, keine Spannung, kein Gelingen, keine Freude, keine Erwartung, keine Erfüllung, keine Hoffnung, keine Liebe! Sag's dem Herrn der Welt, es ist kein Leben und kein Tod mehr auf Erden; kein Tod, weil kein Leben mehr wird.« –

Zustimmend heulte die Menge. Tod und Teufel wandten sich langsam durch den Knäuel der Schreienden und blieben in der Nähe des Redners und einer Reihe von Engeln stehen, die den Zugang zu der Stätte des Herrn der Welt bewachten. Da sagte der besondere Bote des Herrn der Welt: »Euere Rede klingt beweglich und berechtigt. Aber Ihr könnt nicht allesamt vor dem Stuhl des hohen Richters erscheinen. Wählt Abgesandte, die die Klage der Menschheit vor ihn bringen.«

Neues Stimmengewoge, aus dem sich nach und nach die Rufe abhoben: »Chawa soll gehen! Chawa soll für die Menschheit reden! Chawa! Chawa!« Da teilte sich die schreiende Menge, und es zeigte sich eine Frau, vergrämt, edel von Angesicht, zusammengesunken in sich selbst. Ein weites dunkles Schleiertuch umhüllte ihr Haupt und herabfallend ihren Körper. In den Falten dieses Mantels lehnte ein kleines Mädchen, fest an die Mutter geschmiegt, neben ihr stand mit vorgestreckter Hand ein Knabe; auf dem Arme trug sie ein kleines Kind. Alle bleich, bewegungslos, schienen sie in einem Zustande todesähnlichen Schlafes. Wieder und wieder rief es Chawa. Die Frau bewegte sich, richtete sich zu gespannter Höhe auf und schlug abwehrend und schützend die Falten ihres Schleiertuches fester um die Kinder.

»Chawa, du sollst zu dem Herrn der Welt gehn und ihm sagen, was uns betroffen hat, was die anderen bedroht. Du kannst es, Niemand besser. Du hast das ganze Schicksal erlebt und ertragen: Liebe, Hunger und Tod.«

Da öffnete die Frau die Augen, die ins Weltweite zu blicken schienen, und während sie die Kinder in ruhiger Selbstverständlichkeit an sich zog und sie wie eins mit sich werden ließ, schritt sie durch die Menge, die ihr ehrfürchtig Raum gab, zu dem Abgesandten des Herrn der Welt. Alle merkten an den schwellenden Formen der im Totenschlaf Wandelnden, daß sie noch eine Hoffnung getragen hatte. Aus der Ferne tönte eine Stimme, deren Echo im Räume wiederklang. Alles schauderte.

Der Herr rief.

Die mütterliche Frau schritt langsam weiter und verschwand. Stille bebte durch den Raum. Der Satan war bei dem Klang der Stimme des Herrn hingesunken. Der Tod blieb unbeirrt stehn. Es rauschte und brauste durch den Raum. Niemand konnte die Zeit ermessen. Und es geschah, daß die Frau wieder erschien mit ihren Kindern. In atemloser Spannung blickten die Menschengestalten ihr entgegen.

»Hast du zu dem Herrn geredet?«

»Ich habe geredet. Ich habe ihn an seinen Schöpferwillen gemahnt, und daran, daß er Arbeit und Liebe der Welt gegeben und den Trieb zum Guten und zum Leben zu seiner Ehre. Und wie ich mit meinen Kindern bebend stand, erklang eine Stimme voll furchtbaren Wohlklangs und sagte: »Sei gesegnet du, Mutter mit allen Müttern, daß kein Mensch mehr entbehrlich werde in Arbeit und Liebe.«

Stille ward es. Alles verschwand. Die leuchtenden Lichter versanken in tönendem Dunkel.


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