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Siebentes Kapitel

Die Villa, die André von Preigne in Nizza gemietet hatte, lag an der Straße nach Villafranca, die sich in halber Höhe am Mont Bovon hinzieht.

Von der Terrasse der rosenfarben getünchten Villa, die unter dem Namen des »Englischen Hauses« bekannt war, hatte man einen Ausblick über den ganzen Golf von La Napoule bis zu den Höhenzügen der Maurischen Berge. Es war ein bezauberndes Bild und Annina konnte stundenlang in stille Betrachtung davor versinken. Sie ließ sich vom Wind umspielen, von der Sonne liebkosen, von der lauen Luft wonnig einlullen und führte ein köstlich hindämmerndes Leben. Wenn der Mistral blies, so stieg sie in die Kiefernwälder seitlich von der Straße hinauf, setzte sich ins Heidekraut und genoß unterm Brausen der gleich Äolsharfen tönenden Kiefernzweige die tiefe Ruhe der Einsamkeit. Von Zeit zu Zeit wurde durch eine Lichtung ein Wagen sichtbar, dessen Räder auf dem weichen Sand der Waldstraße kaum hörbar knirschten. Die Durchreisenden, die in der Regel diese Spazierfahrt machten, warfen dann wohl neugierige Blicke auf die schöne junge Frau, die so abseits im dunkeln Grün der Kiefern saß und ein Buch in der Hand hielt, das sie kaum durchblätterte, niemals las. Annina wunderte sich oft, wie rasch ihr die Zeit verflog. Schon war der April angebrochen und der Süden hüllte sich in Farben und Duft, überall hingen die Rosen in üppigen Girlanden herab, die Orangenbäume standen in Blüte, die Gärten hauchten, sobald der Abend hereinbracht berauschende Düfte aus, die ganze Natur prangte in verjüngter Kraft und strahlender Fruchtbarkeit.

André hatte in Nizza Freunde getroffen, die ihn in den Rivieraklub einführten. Er verbrachte dort täglich einige Stunden, wie er sich rühmte, sittsam gleich einem Philister, Billard spielend.

»Wenigstens hat man dabei nicht einzig und allein dem Zufall zu opfern,« bemerkte er, »und hat nicht nur die Wahl zwischen dem Trente-et-Quarante und der Roulette, die eins wie das andre ekelhafter Schwindel sind. Man kann eine anständige Partie machen und sein Geld rechtschaffen verteidigen, und dann ist's wirklich eine Freude, wieder Kameraden zu treffen; der Verkehr mit dem zusammengelaufenen fraglichen Publikum, unter dem wir uns jetzt fast ein Jahr herumtrieben, war mir allmählich unleidlich geworden. Du, Annina, du bist eine beschauliche Natur, Wälder, Blumen, Meer, die See, das genügt dir; du hängst deinen Gedanken nach und bist zufrieden. Mir aber fehlt's gänzlich an Phantasie, und wenn ich nichts vornehmen kann, bringt mich die Langeweile um! Ich kündige dir an, daß der Klub für Ende des Monats ein Fest vorbereitet, das reizend zu werden verspricht: eine Korsofahrt blumengeschmückter Automobile, Preise für die geschmackvollsten Dekorationen, abends Redoute im Kasino. Man kommt in Kostüm oder Domino. Wenn du Lust dazu hast ...«

»Ach! Das wäre so etwas für eine Frau, die seit einem Jahr früh zu Bett geht und gänzlich entwöhnt ist, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen!«

»Die Maske würde dich vor allen Neugierigen beschützen; du könntest sehen, ohne gesehen zu werden.«

»Was liegt mir daran? Nun, ich kann mir's ja noch überlegen. Wir wollen sehen ...«

Eines Tages mußte sie in die Stadt gehen, um sich Handschuhe und Schleierchen zu besorgen. Äußerst einfach gekleidet wagte sie sich zu Fuß in die Straßen, wo sie unbemerkt zu bleiben hoffte, aber vom Massenaplatz an wurde sie zu ihrer Überraschung von verschiedenen Bekannten, die einst in ihrem Haus in Paris verkehrt hatten, erkannt und gegrüßt. Niemand schien zu zögern, ihr Achtung und Wohlwollen zu zeigen, was sie erst in Erstaunen setzte und ihr dann recht wohl tat. Sie erinnerte sich, was ihr Vernaut von den Vorsichtsmaßregeln erzählt hatte, die Trélaurier zur Schonung ihres Rufs getroffen, und begriff, daß ihr die besonnene Fürsorge des Gatten zu gute kam. Das Gefühl, noch als eine Frau in regelrechten Verhältnissen behandelt zu werden, erfüllte sie mit Freude. Ohne Zweifel wußten die ihr Begegnenden die Wahrheit, aber die Haltung, die Trélaurier bewahrt hatte, legte ihnen Zwang auf und so erwiesen sie sich päpstlicher als der Papst. Nun hatte sie den Beweis, daß sie dank Trélauriers Willenskraft eine gewisse Unantastbarkeit genoß.

Als sie in der Bahnhofstraße aus einem Laden trat und sich eben nach einer Droschke zur Heimfahrt umsah, blieb eine Dame, die auf dem Fußsteig ging, stehen und stieß einen Ruf der Überraschung aus. Annina erkannte die Frau des Malers Valançon.

Die hübsche Geraldine, die sich der Künstler aus Liebe vom Théâtre français weggeholt hatte, wo sie mit großem Erfolg jugendliche Liebhaberinnen spielte, hatte den Ruf unerschütterlicher Tugendhaftigkeit, war aber dabei ein Original. Ihre Spezialität war, alles zu sagen, was ihr durch den Kopf fuhr, und zwar mit einem Mutterwitz, der ein Erbstück ihrer Familie war, denn alle Beauchamps waren sehr zungenfertig gewesen, von der Urahne Beauchamps der Ersten an, die unter der Schreckensherrschaft beinahe geköpft worden wäre, bis auf Geraldines Mutter, die unterm zweiten Kaiserreich mit Frau Plassy und dem unvergleichlichen Flavart das Repertoire getragen hatte. Das Erscheinen der blonden, strahlenden Künstlersfrau versetzte daher Annina in einige Unruhe, aber sie sollte nicht lang im Zweifel bleiben über deren Gefühle. Ohne sich um die Zuschauer zu kümmern, flog ihr Geraldine in die Arme.

»Das nenn' ich Glück haben! Was! Sie sind hier! Wie mich das freut! Wie sich Valançon freuen wird! Wo gehen Sie hin?«

»Nirgends ...« stotterte Annina immer noch bestürzt. »Das heißt, ich wollte nach Hause ...«

»Jetzt ist's vier Uhr und Sie haben nichts vor, folglich kommen Sie zu mir und trinken eine Tasse Tee! Ich habe Ihnen wahrhaftig viel zu erzählen, das dürfen Sie mir glauben!«

Anninas Blick verriet eine wahre Herzensangst.

»Fürchten Sie sich nur nicht vor mir!« rief Geraldine. »Sie sollten doch wissen, daß ich Ihnen nicht wehtun will, daß ich Sie viel zu lieb dazu habe. Ich vergesse es Ihnen nicht, daß Sie die erste waren, die mir nach meiner Verheiratung mit Valançon freundlich entgegenkam und mich einlud, als die Gesellschaft sich noch besann, ob man die ›Schauspielerin‹ aufnehmen könne oder nicht. Auf mich können Sie unbedingt zählen. Vorwärts, kommen Sie mit! Mein Mann wird sich auch sehr freuen, Sie zu sehen!«

Annina widerstand dieser Flut von Warmherzigkeit nicht länger und ließ sich gutwillig von Frau Valançon mit fortziehen. Nach wenigen Minuten standen sie vor dem Gartentörchen der kleinen Villa Carabacel, die, was in Nizza nicht allzuhäufig ist, ein ziemlich geräumiges Maleratelier enthält. Auf das Klingeln kamen mit wütendem Gebell, das sich alsbald in Freudengeheul verwandelte, ein paar Hunde herbei, und der Diener erschien in eiligem Lauf.

»Ist der Herr zu Hause?« fragte Frau Valançon rasch.

»Nein, er ist eben ausgegangen.«

»Aha, die Sonne geht und er ihr nach,« bemerkte Geraldine lachend. »Treten wir ein.«

Sie führte Frau Trélaurier in ein kleines Wohnzimmer, wo der Teetisch schon bereit stand.

»Legen Sie den Kragen ab und weg mit dem Schirm und den Päckchen! Ach, liebes Herz, ich bin ganz selig, Sie wiederzusehen! Sie sind noch schöner geworden, ich gebe Ihnen mein Wort. ... Wie haben Sie das nur angefangen? Wird sich Valançon wundern, wenn er Sie sieht! Sie sind viel schöner als Ihr Bildnis von ihm ... und doch ...«

Unterm Plaudern hatte Geraldine den Hut abgenommen, ihr köstliches Blondhaar geordnet, die Schildpattnadeln frisch eingesteckt und den Samowar angezündet. Frau Trélaurier mußte sich dicht neben sie setzen, die leuchtenden blauen Augen mit dem lebendigen Blick bohrten sich förmlich in sie ein, und dann fragte sie mit zärtlicher Vertraulichkeit! »Nun, Sie entzückende, unvernünftige Abenteuerin, sind Sie denn zufrieden mit Ihrem Los?«

»Gewiß,« versetzte Annina.

»Um so besser! Das ist ja die einzige Erklärung für einen so tollen Streich wie der Ihrige! Wenn ich dran denke, daß wir uns zum letzten Male bei dem Maskenball sahen, wo wir in Waldmanns Privatzimmer so fröhlich zu Nacht speisten! Erinnern Sie sich noch? Gott, was waren Sie schön an dem Abend! Das Ungeheuer war in seinem Kostüm Karls I. freilich auch eine Sehenswürdigkeit, aber ob ein Mann, mag er noch so schön sein, je den Ruf, das Leben einer Frau wert ist, weiß ich denn doch nicht. Sie gibt ihm viel, meine Liebe, sehr viel!«

Eine Stille trat ein. Géraldine hatte Frau Trélauriers Hand ergriffen und drückte sie innig. Annina fühlte sich jählings zurückversetzt in die Welt, der sie vor einem Jahr den Rücken gekehrt hatte, fühlte, daß sie dieser Frau unbedingt vertrauen konnte, und so ließ sie sich hinreißen, Fragen zu stellen.

»Seien Sie ehrlich,« begann sie, entschlossenen Tons die Brauen zusammenziehend, »was wurde über meine Abreise gesprochen?«

»Ach, zuerst war jedermann wie vor den Kopf geschlagen! Das können Sie sich denken! Sie, die allgemein Beliebte! Wie hatte nur so etwas geschehen können? Jeder andern Frau würde man ja eine derartige Geschichte eher zugetraut haben als gerade Ihnen! Ich muß sagen, daß Trélaurier sich tadellos gehalten hat – der Wahrheit die Ehre! Er hat die öffentliche Meinung mit einer Bestimmtheit, einem Takt, einer Besonnenheit sondergleichen im Schach gehalten und allen Klatsch kurz abgeschnitten. Überall zeigte er sich und widerlegte durch seine Gelassenheit und Kaltblütigkeit sämtliche Gerüchte. Seine Freunde verfolgten dasselbe Ziel. Valançon und Vernaut hatten die verschiedenen Klubs auf sich genommen und nach acht Tagen war alles niedergeschlagen. Die Zeitungen brachten nichts über die Geschichte. Ob man sie gekauft oder eingeschüchtert hatte, weiß ich nicht, kurz sie schwiegen, und das war alles, was man von ihnen wollte. Daraufhin wagte man nur im vertraulichen Kreise, Sie zu tadeln oder zu beklagen, namentlich das letztere! Ich kann Ihnen wirklich sagen, daß alle Welt ehrlich betrübt war! Auch wer Sie schuldig fand, war ebenso traurig darüber, als wer mildernde Umstände gelten ließ, und worin alle übereinstimmten, das war die Entrüstung über den Vicomte! Auf ihn, den hübschen Bengel, haben alle miteinander tüchtig losgedroschen und er hat's auch wahrhaftig nicht besser verdient! So cynisch führt man sich nicht auf!« »Géraldine!«

»Ja, meine Liebe, da können Sie nun nichts machen! Ich lege meine Worte nicht auf die Goldwage und nehme kein Blatt vor den Mund! Es gibt gar keinen Ausdruck für ein solches Herrchen, das sich zum Mitschuldigen Ihrer Tollheit macht! Mich hätte das allein schon kuriert, der Mensch wäre mir von heute auf morgen unausstehlich geworden!«

»Ich war es ja, die unsre Abreise forderte,« wandte Annina ein. »Ihm war diese gewaltsame Lösung gar nicht willkommen, aber ich fand die Stellung zwischen meinem Gatten und dem Mann meiner Liebe so verabscheuungswürdig, daß ich mich um jeden Preis daraus befreien wollte.«

»Alle Achtung! Aber, meine Liebe, wozu ist denn, wie der andre sagt, die Ehe da, wenn sie einem nicht die Vorteile des Ehebruchs einträgt?«

»Sie, Géraldine, Sie könnten Ihren Mann, könnten Valançon ruhig und regelrecht hintergehen? Sie würden ihn nicht lieber verlassen?«

Frau Valançon dachte ein Weilchen nach.

»Wenn man Valançon die Frage vorlegte, so bin ich überzeugt, daß es ihm lieber wäre, hintergangen, als verlassen zu werden, vorausgesetzt natürlich, daß er nichts davon wüßte. Was mich betrifft, so habe ich, Gott sei's gedankt, so wenig Temperament, daß ich mich frage, was für blendende, phantastische, leuchtende Eigenschaften ein Mann haben müßte, bis ich auf die Idee käme, meinen Gatten mit ihm zu hintergehen. Ach mein Gott! Mich opfern, um einem Verführer Vergnügen zu bereiten, während ich doch im voraus weiß, daß er mir herzlich wenig Vergnügen machen würde! Ich begreife nicht einmal, wie eine Frau auf so etwas kommen kann! Und doch kann es geschehen, ich habe ja ein Beispiel dafür vor Augen, und zwar in der Person der anbetungswürdigsten, der besten aller Freundinnen, die ich so schmerzlich vermißt habe.«

Sie umfaßte Annina und küßte sie mit ihren frischen roten Lippen auf beide Wangen.

»Sie bereuen also nichts?« fragte sie, wieder ernst werdend.

»Doch, ich bereue, meinem Gatten wehgetan zu haben.«

»Ja, das war unter den gegebenen Umständen unvermeidlich! Aber Ihr André ... erzählen Sie mir doch etwas von dem jungen Kavalier! Ich kann nichts dafür, aber ich vermag mir ihn nicht mehr anders vorzustellen als im Kostüm Karls I.!«

»Er ist mir gegenüber von größter Liebenswürdigkeit.«

»Das ist immerhin etwas! Aber schließlich könnt ihr doch nicht eure ganze Zeit damit hinbringen, euch Zärtlichkeiten zu sagen! Womit beschäftigt er sich? Und Sie selbst? Das Leben ist sehr lang, wenn man's so ohne Zweck hinschleppt. Und sich zu lieben, ist doch schließlich nur eine Beigabe. Ich weiß von mir selbst, daß, wenn Valançon nicht zehn Stunden vom Tag in seiner Werkstatt zubrächte, unser Zusammenleben sehr leiden würde, und er ist weiß Gott ein Mensch, mit dem leicht auszukommen ist.«

»Wir sind einander alles und sind dessen noch nicht müde geworden.«

»Bewundernswürdig! Ich bin auf dem besten Weg, neidisch zu werden. In der Leidenschaft muß demnach ein wunderbarer Nährstoff stecken, den gewöhnliche Leute nicht kennen lernen? Das wäre eine Erklärung für manche Entschlüsse, die sonst unbegreiflich erscheinen würden! Diese Art von Liebe ist so mächtig, daß sie unentbehrlich zum Leben zu sein scheint. Daher bei denen, die sie kennen, die von ihr durchdrungen sind, die wilde Verzweiflung, die wahnsinnigen Zustände, Mord und Selbstmord! Das bringen die Moralisten nicht in Rechnung, wenn sie den Begriff der Pflicht feststellen und die Forderung erheben, daß man nicht davon abweiche. Eine schöne Geschichte! Die Pflicht ist nur bequem, wenn sie mit unsern persönlichen Neigungen zusammenfällt oder wenn uns eine liebenswürdige Gleichgültigkeit die Erfüllung natürlich macht. Stellt aber die Pflicht der Leidenschaft gegenüber, so werdet ihr sehen, wie die menschlichen Wesen sofort mit gleichen Füßen über die Schranken setzen, um auf verbotenem Platz herumzutollen, und dabei haben sie ebenso köstliche als ungewöhnliche Empfindungen, das ist alles ganz klar. Die ganze Frage besteht nur darin, ob man vorzieht, mit der friedlichen Herde leidenschaftsloser Menschen weiterzugrasen, oder in der feurigen Schar der von Leidenschaft Trunkenen davon zu galoppieren.«

Sie stand auf, löschte das Feuer im Samowar, der zu singen angefangen hatte, goß eine Tasse Tee ein und fragte, sie Annina hinbietend, mit der größten Seelenruhe: »Nehmen Sie einen Tropfen Rahm?«

Dann bediente sie sich selbst und ließ, wie in Zerstreuung, das Gespräch fallen, das sie vorhin so weit getrieben hatte.

»Valançon arbeitet ungeheuer viel, seit wir hier sind,« erzählte sie, sich neben die Freundin setzend. »Er hat Eroberungen gemacht unter den hiesigen Amerikanern, die alle ihre Porträts von ihm haben wollen. Es sind reizende junge Damen darunter – ich werde Ihnen nachher sein Atelier zeigen.«

Im selben Augenblick ging die Türe auf und ein blondlockiger Knabe von drei Jahren im Matrosenanzug kam, sein Strohhütchen in der Hand, lächelnd herein. Beim Anblick des Gastes geriet er in Verlegenheit und sagte mit schüchternem Gesichtchen: »Ich bin nach Hause gekommen, Mama ...«

»War der Spaziergang schön? Wo wart ihr denn?«

»Bis am Wasserschloß, Mama.«

»Sage Frau Trélaurier guten Tag.«

Der Knabe bot Annina seine sonngebräunten frischen Wangen zum Kuß und Frau Valançon sagte: »Mein Herr Sohn ... willst du Kuchen haben, Peter?«

»Ich habe schon Vieruhrbrot gehabt, Mama.«

»Gut, dann geh in den Garten und sei recht artig ...«

Das Kind hüpfte hinaus. Géraldine sah ihm nach und sagte dann ernsthaft: »Das Kind ist's, worin die Erklärung für viele Verzichte liegt. Sie, meine Liebe, haben keines, das hat Ihr Leben anders bestimmt. Wenn Sie einen solchen kleinen Schlingel hätten zurücklassen müssen, wären Sie gewiß nicht abgereist. ... Solch ein Kind bildet ein merkwürdig starkes Gegengewicht gegen phantastische Anwandlungen.«

Anninas Augen standen voll Tränen.

»Sie sind eine glückliche Mutter und eine gute Gattin, Géraldine. Genießen Sie Ihr Glück und lassen Sie andre Ihre Güte genießen.«

»Ach!« rief Géraldine ungestüm, »Sie ergeben sich also endlich! Seit wir beisammen sind, haben Sie mir nicht ein wahres Wort gesagt, aber Sie täuschen mich doch nicht. Ich lese in Ihrem Herzen: aus Stolz wollen Sie die Glückliche spielen!«

»Nein! Nein!« versicherte Annina mit lächelnder Bestimmtheit. »Da sind Sie nun im Irrtum, Liebste. Der Anblick des schönen Kinds, um das alle Frauen Sie beneiden müßten, hat mich weich gestimmt, eine andre Bedeutung dürfen Sie meinen Worten nicht unterschieben. Ich nehme nichts zurück, was ich Ihnen gesagt, und Sie dürfen sich nicht einbilden, daß es anders um mich stehe.«

Sie erhob sich nun, legte ihren Kragen um und band ihren Schleier fest, wobei Géraldine sie scharf beobachtend ansah.

»Ich freue mich sehr, Sie getroffen zu haben. Es hat mir wohlgetan, ein Stündchen von alten Zeiten plaudern zu können. Ich werde wiederkommen ...«

»Jetzt ist's an mir, Sie zu besuchen. Wo wohnen Sie?«

»An der Straße nach Villafranca, man nennt die Villa das ›Englische Haus‹ ....«

»Mir wohl bekannt! Wann trifft man Sie?«

»Den ganzen Tag. Wenn ich ausgehe, so mache ich nur einen Spaziergang in den Wald, dessen Kiefern und Olivenbäume unser Haus wie ein Park umgeben und wo Sie mich leicht finden können ...«

»Und wenn ich Valançon mitbrächte?«

»So wird er mir willkommen sein!«

»Auf baldiges Wiedersehen, also!«

Als André abends zu Tisch kam, sagte Annina beiläufig: »Ich war heute in der Stadt, um Besorgungen zu machen, und da stieß ich auf Frau Valançon. ... Wußtest du, daß Valançon hier ist?«

André wurde etwas verlegen.

»Ja ... vor ein paar Tagen habe ich davon gehört ... er spielt eine Hauptrolle bei der Anordnung des Blumenfestes, wovon ich dir sprach. Ich weiß nicht recht, wie's kam, daß ich dir nichts davon erzählt habe. Wenn du dich übrigens entschlossen hättest, dem Fest beizuwohnen, so wäre ein Zusammentreffen mit den einstigen Freunden unvermeidlich gewesen. Wie hat sich denn Frau Valançon verhalten?«

»Überaus liebevoll.«

»Wirklich? Das ist ja gut.«

»Was hast du denn gefürchtet?«

»Da Valançon als Zeuge des Herrn Trélaurier bei mir erschienen ist, hätte es wohl sein können, daß er und seine Frau gegen dich Partei genommen hätten ... es ist mir sehr angenehm zu hören, daß dem nicht so ist. Frau Valançon ist übrigens eine Klatschbase schlimmster Sorte, und da man ihr den Mund doch nicht verschließen kann, ist es angenehmer, ihre Sympathie zu besitzen. Was Valançon betrifft, so ist er ein sehr anständiger Mensch, ich glaube aber nicht, daß er für mich viel übrig hat. ... Was liegt mir daran? Wenn er nur dir gut gesinnt ist ...«

»Ich glaube, daß er mich mit seiner Frau besuchen wird ...«

André verzog den Mund und sagte mit etwas gezwungener Liebenswürdigkeit: »Du bist die Herrin des Hauses, all deine Freunde können auf freundliche Aufnahme rechnen ...«

Dann stellte er sich, als ob das Nizzaer Tageblatt und die Fremdenliste darin seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nähmen, und tat den Mund nicht mehr auf. Annina konnte nicht daran zweifeln, daß Valançons und seiner Frau Auftauchen in ihrem neuen Leben bei André eine plötzliche Verstimmung hervorgerufen hatte, und das bekümmerte sie sehr. Was konnte er denn fürchten, da er ihrer doch wahrlich sicher war? War es unbewußte Eifersucht auf die Gefährten des früheren Daseins? Fürchtete er, daß weiblicher Einfluß auf die Dauer seine unbedingte Herrschaft erschüttern könnte? Jedenfalls war nicht zu leugnen, daß André die Nachricht von Valançons Aufenthalt in Nizza mit Mißvergnügen aufgenommen, ja daß er Annina die Anwesenheit des Malers verschwiegen hatte. Er war ja genötigt gewesen, einzugestehen, daß er von Valançons Beteiligung an dem bevorstehenden Fest wußte.

Diese Wahrnehmung tat Annina weh. Zum ersten Male seit einem Jahr hatte sie das Gefühl, nicht alle Gedanken Andrés zu kennen und zu teilen, die Ahnung, daß er in einem dunkeln Winkel seiner Seele Entschlüsse faßte, Pläne ausheckte, die ihr sorgfältig verborgen wurden. Das versetzte sie in innere Bedrängnis. Sie hatte sich so rückhaltlos hingegeben, daß der Gedanke, André habe sie mit Vorbehalt hingenommen, unerträglich war. Noch kam ihr auch nicht im entferntesten die Vorstellung, daß der Geliebte sich je von ihr lösen könnte, denn die Zärtlichkeit, womit er sie in ehrlicher Glut überschüttete, war zu lebendig, als daß irgend eine Angst in ihr hätte aufsteigen können, aber trotzdem war er nicht ganz offen, er hatte Vorurteile, die er ihr nicht erklärte, Besorgnisse, woran er sie nicht teilnehmen ließ. Sie war viel zu taktvoll, um ihm Vorwürfe zu machen, aber sie beschloß, von nun an auf ihrer Hut zu sein und sich nicht mehr in die vertrauende Sicherheit glücklicher Liebe einwiegen zu lassen.

Gleich am nächsten Tag sollte ein alltäglicher Zwischenfall sie noch mehr zum Nachdenken veranlassen. Annina war gegen zwei Uhr, wie sie immer tat, durch die kleine Gartentüre hinausgegangen in den Wald, doch nach ein paar Minuten fiel ihr ein, daß sie ihr Buch vergessen hatte. Sie kehrte deshalb um, ging wieder durch den Garten, nahm das Buch vom Tisch in ihrem Wohnzimmer und wollte sich schon entfernen, als ein heftiges Gezänke zwischen ihrer Jungfer Zoë und Andrés Kammerdiener im Nebenzimmer ihr Ohr erreichte, so daß sie erschrocken stehen blieb.

»Ich hab's satt, all meine Ersparnisse in den Kaffeehäusern verplempern zu lassen, wo du den ganzen Tag herumlungerst,« kreischte das Mädchen. »Wenn man jung und hübsch ist, wie ich, und seinen Schatz zahlen soll, das ist doch zu dumm! Wenn ich wollte, könnte ich genug Liebhaber haben, die mir was gäben und obendrein liebenswürdiger wären!«

Artur würdigte diese Vorwürfe und diese Drohung keiner Antwort, aber eine schallende Ohrfeige zeugte von der Festigkeit seiner Grundsätze im Punkt der Ritterlichkeit.

»So, da hast du eins!« rief er mit wuterstickter Stimme. »Jetzt kannst du doch nicht mehr sagen, ich gäbe dir nichts!«

Das Getöse wuchs an, Möbel wurden hin und her gestoßen, wütende Fußtritte erschütterten das ganze Haus.

»Canaille du! Warte nur!« schrie die Kleine.

»Sieh mal, die Kröte!« knirschte Artur. »Das Weibsbild will mir wohl die Augen auskratzen!«

»Meinst du mit mir fertig zu werden durch Dreinschlagen? Ich fürchte mich nicht vor dir, hörst du? Ich bin kein solches Schaf wie die Gnädige, die ihrem Vicomte Hab und Gut überläßt. Du hast mich jetzt genug geschröpft, mein Lieber, damit hat's nun ein Ende! Und dabei hintergehst du mich mit all den Dirnen vom Alten Markt, diesen Greueln von Unsauberkeit, die sich nur jeden Schalttag einmal waschen und nach Knoblauch stinken, daß man umfällt! Geh doch zu deinen orangegelben Schätzchen und laß dir von denen das Geld geben zum Kartenspiel! Nein, mir ist die Geschichte über! Die saubern Manieren lernst du wohl von deinem Herrn?«

»Der Herr Vicomte ist ein Mann, der so hoch über einer Schlange wie du steht, daß du gar nicht im stande bist, ihn zu begreifen,« sagte der Kammerdiener von oben herab. »Mein Herr ist ein überwältigender Mensch, wie man ihrer nicht viele trifft, daher auch seine Erfolge, deshalb haben die Frauen sich ihn von je streitig gemacht. Wenn du mich zu beleidigen glaubst, indem du sagst, ich ahme ihm nach, so täuschst du dich gründlich, Kleine. Ganz gewiß versuche ich, es ihm gleichzutun, aber nur von ferne, mit schwachen Mitteln. Ich muß in meiner Sphäre bei den geringen Mädchen bleiben, er aber treibt's nur mit vornehmen Damen!«

Jetzt trat Stille ein. Annina, der das Herz bei diesen schmutzigen Reden bis in den Hals schlug, zitterte derart, daß sie sich auf den Tisch stützen mußte, um nicht zu fallen. Dann setzte Zoë etwas beruhigtere Stimme wieder ein.

»Du hast allerdings besondern Schick,« sagte sie mit einem Hohn, der die innere Befriedigung durchklingen ließ, »aber trotzdem bist du im Grund eine Canaille ...«

»Laß mich ungeschoren mit deinen albernen Vorurteilen,« versetzte der andere, durch Zoës unterdrückte Bewunderung gehoben. »Wenn man mit den Weibern so viel Umstände machen müßte, das wäre mir was Rechtes! Im Herzensspiel gewinnt immer der Schlaueste, und wer verliert, wird noch ausgelacht! Denk doch nur an den Ehemann deiner Gnädigen, wie hat man's dem gemacht! Und dabei gibt's keinen besseren Mann als ihn, und mein Schwerenöter von Vicomte kann's wahrhaftig an Herz nicht mit ihm aufnehmen. Aber siehst du, wie's geht? Man ist beleibt, schwerfällig, wird grau, bekommt Blutandrang, weil man den ganzen Tag im Geschäft sitzt, um Hunderte und Tausende zusammenzuraffen für die Pracht des Haushalts, und mittlerweile schwänzelt ein hübsches junges Kerlchen mit blondem Haar und einer Wespentaille, das auf der Welt nichts zu tun weiß, als spielen – wobei es nebenbei ein schlechtes System hat – um die Frau herum, Räder schlagend wie ein Pfau. Er ist hübsch, dieser Vicomte, er ist unternehmend, ist unwiderstehlich. Und dann hat er riesige Bedürfnisse und keinen Heller; er braucht eine Frau, die Geld hat, deshalb wagt er den Angriff auf die Bankiersgattin, haarklein wissend, wohin das führen wird. Entweder wird die Gnädige sich alle Tage heimlich aus dem Staub machen, um von fünf bis sieben Uhr mit ihm zu schäkern, während er sich mit dem Gatten anfreunden und mit der Zeit an den Finanzoperationen des Hauses Anteil gewinnen wird, wodurch er sich reichlich bezahlt machen kann für alle Liebesdienste, oder die Gnädige läßt alles liegen und stehen, setzt alle Rücksichten beiseite, dann kann man sein Leben in den Badestädten genießen, denn sie bringt ja das Geld dazu mit! Nur heraus mit dem Scheckbuch! Siehst du, mein Seelchen, so macht man's, wenn man nicht von den Weibern gefoppt werden will: man foppt sie selbst! Wunderst du dich etwa noch, daß ich selbst nach den Grundsätzen handle, die ich dir wie ein Rechenexempel klargelegt habe? Hältst du mich für einen Tugendfatzke? Nein! So ist's recht! Komm, gib deinem Schatz einen Kuß und rücke mit den fünfzig Franken heraus, die er nötig hat, um dir Ehre zu machen!«

»Nein, was du für ein nichtsnutziger Kerl bist!« sagte Zoë, noch etwas schmollend.

»Du möchtest vielleicht, daß ich ein Spießer wäre, der Heiratsgedanken im Kopfe hat? Würde nicht lang dauern, hättest du mir Hörner aufgesetzt! Komm, hab' doch den Mut deines Geschmacks! So einer, wie ich bin, das ist dein Fall! Du bist nicht dumm und begnügst dich nicht mit dem Alltäglichen! Du hast's dick hinter den Ohren! Nun, dann benimm dich auch wie eine Dame!«

»Nun, meinetwegen ... aber dies ist entschieden das letzte Mal! Vor allen Dingen weil ich nichts mehr habe ...«

»Ach, das sagst du immer und hast doch immer wieder Geld! Leb wohl, Schätzchen. ... Jetzt gib deinem Herzallerliebsten noch einen schönen Kuß. Und nun will ich den Rappen tüchtig laufen lassen.«

Annina hörte das Geräusch eines Kusses. Mit zitternden Knieen und benommenem Kopf eilte sie, um nicht als Lauscherin ertappt zu werden, in den Garten und vom Garten an ein einsames Plätzchen in ihrem Wald. Dort setzte sie sich nieder und suchte ihre Gedanken zu ordnen. Was sie an dem belauschten Gespräch am meisten verblüffte, war, daß die Leute ihr eigenes ekelhaftes Verhältnis offenbar ganz auf eine Stufe mit dem ihrigen zu André stellten. Als sie sich der erniedrigenden Aussprüche erinnerte, die sie mitangehört hatte, stieg eine Übelkeit in ihr auf, als ob sie am Rand einer Kloake säße. Dann drängte sich ihr die sehr ernste, sehr schmerzliche Gewißheit auf, sie müsse aus diesen Enthüllungen eine Lehre ziehen. So niedrig die Gesinnung dieser Menschen auch war, so verworfen diejenigen, die sie ausgesprochen hatten, es war nichtsdestoweniger ein Urteil gefällt worden und dieses Urteil hatte, der gemeinen Form entkleidet, einen Wert, womit man rechnen mußte, denn es konnte auch das Urteil vieler andern sein, die in gemäßigterer Form doch das nämliche denken mochten.

Zum ersten Male, seit Annina mit den Gesetzen der Gesellschaft gebrochen hatte, trat unmittelbar an sie heran, »was die Leute sagen«. Sie hatte den Mut, diese Meinung ergründen zu wollen, um sich nicht nur über ihre gegenwärtige Lage Rechenschaft zu geben, sondern auch ins Auge zu fassen, wie ihr Leben sich künftig gestalten möchte. In dieser Hinsicht waren Arturs Auslassungen über den Charakter seines Herrn wertvoll, und wenn das Sprichwort Gültigkeit hat, daß keiner für seinen Kammerdiener ein Held ist, so hatte Annina, nachdem sie Artur hatte reden hören, allen Grund, zu zittern.

Im Heidekraut sitzend, vom würzigen Harzduft der Kiefern umweht, hing sie ihren Gedanken nach. Etwas Tröstliches, für sie das Allerwichtigste, ließ sich ja aus diesen Äußerungen entnehmen: André hinterging sie nicht. Zoë hatte von der Untreue des Dieners, nicht von der des Herrn gesprochen. Gewiß würde sie nicht verfehlt haben, ihm auch die Streiche seines Herrn an den Kopf zu werfen, wenn dieser solche begangen hätte, die ihr sicher nicht verborgen geblieben wären. Sie hatte nur die Geldfrage berührt, das war also die einzige, die für sie vorhanden war. Aber wie ernst und wie grausam lehrreich wurde diese durch die schmutzigen Erläuterungen, womit der Bediente sie verbrämt hatte! Die Käuflichkeit der Liebe wurde unverblümt als Grundsatz aufgestellt: der arme Liebhaber braucht die reiche Frau. Anninas Herz zog sich schmerzlich zusammen, als sie sich selbst eingestehen mußte, daß André von Preigne dieses ganze Jahr auf ihre Kosten gelebt hatte, daß er sich große Summen angeeignet hatte, indem er sie darauf vertröstete, daß ihm nächstens ein bedeutender Gewinn zufallen müsse. Aber dieser bedeutende Gewinn diente ihm, wenn er je eintrat, nur dazu, höhere Einsätze zu wagen, und Annina sah das Geld, das einmal hinausgeflattert war, niemals in ihre Schublade zurückkehren.

An sich war ihr dies ganz gleichgültig, aber die sittliche Schwäche, die sich in dieser Handlungsweise offenbarte, machte ihr Kummer. Sie wußte jetzt, daß ihre Hilfsquellen erschöpft waren, und er konnte darüber auch nicht im Zweifel sein, da sie ihm ja vor der Abreise aus La Condamine ihre Verhältnisse deutlich auseinandergesetzt hatte. Wenn André, wie sein Kammerdiener richtig sagte, nur die reiche Frau an ihr begehrt hatte, was sollte dann aus ihr werden, wenn sie arm würde?

Und sie war es. Sie war fest entschlossen, Trélauriers Geld nicht mehr anzunehmen, aber was würde dann geschehen? Würde André sie lieb genug haben, um in beschränkten Verhältnissen bei ihr auszuharren? Oder würde er sich, wie sein Kammerdiener so fest behauptete, als der Don Juan entpuppen, der von den Weibern lebt und der Geliebten den Laufpaß gibt, deren einziger Reichtum eben die Liebe ist?

Die Worte, die ihr Gatte bei dem entsetzlichen Auftritt vor ihrer Reise gesprochen hatte, kamen ihr wieder in den Sinn. Sie sah Trélaurier vor sich, wie er sie mit schmerzentstellten Zügen beschwor, sich nicht zu Grunde zu richten, und, um sie vor der Gefahr zu schützen, die er deutlich voraussah, nur ihr eigenes Interesse geltend machte.

»Du sollst klar darüber sein, daß er vom Spiel und den Frauen lebt!« hörte sie ihn mit gebrochener Stimme rufen. »Er ist ein gewerbsmäßiger Verführer! Dieser Mann, meine arme Annina, würde dich unwiderruflich zu Grunde richten!«

Mit welch angstvollen Blicken, in welch schmerzlichen Tönen hatte der unglückliche Trélaurier sie nicht angefleht, und mit welcher unbeugsamen, eisigen Gleichgültigkeit hatte sie ihn angehört! Die glühenden Zornesworte, die er gesprochen, die gleich Peitschenhieben auf André niedergesaust waren, die Verzweiflungslaute, womit er sie angefleht, sich ihrer selbst zu erbarmen, die Innigkeit, womit er sie beschworen hatte, zur Besinnung zu kommen, seine Bereitwilligkeit, zu vergeben, zu vergessen, wenn sie sich nur nicht dem Unglück der Enttäuschung, der Verlassenheit aussetzen wollte, alles war an ihr abgeglitten. Weder die Beschimpfung ihres Geliebten, noch die an sie gerichteten Bitten hatten sie zu rühren vermocht, die qualvolle Seelenpein des Mannes, der sie vergötterte, der vor Jammer schluchzte und mehr um sie als seiner selbst willen litt, hatte sie vollständig kalt gelassen.

Und doch hatte er recht, aber vom Schwindel erfaßt, war sie unfähig, es zu begreifen; der Liebeswahn hatte ihr Augen und Ohren verschlossen. Sie war nur noch ein Wesen, das der Naturtrieb fortreißt zu den trunkenen Wonnen einer Liebe, die sie sich ewig und göttlich schön gedacht hatte. Dem hatte sie ihre Ehre, ihre Sicherheit, das Lebensglück des Gatten geopfert, aus dem strahlenden, sicher gegründeten, verheißungsvollen Aufbau ihres Lebens hatte sie einen Trümmerhaufen gemacht.

Was war das Ergebnis? Grauen davor schüttelte sie jetzt. Ein einziges Jahr hatte genügt, die vernichtenden Prophezeiungen zu bestätigen, die Trélaurier ausgesprochen hatte, als er sie unter Tränen beschwor, nicht von ihm zu gehen.

Aber Annina sah ihrem Schicksal ins Antlitz, ohne zusammenzubrechen. Sie entwickelte so viel Tapferkeit im Ertragen der Folgen, als sie Verwegenheit entwickelt hatte, um das Recht ihres Handelns zu erobern. Sie hatte bewußt, freiwillig gehandelt, sie mußte also den daraus entstandenen Widerwärtigkeiten die Stirne bieten, sie zu überwinden trachten. Aber ihre Lage war sehr ernst, das wurde ihr immer klarer, und ihr überreiztes Hirn, von dem plötzlich die Dumpfheit gewichen war, machte sich rasch ans Werk, die möglichen Lösungen zu prüfen und zu einem Entschluß zu gelangen. Mit Bestürzung mußte sie erkennen, daß sie sich ohne jede Bürgschaft, ohne jede Sicherheit, wie eine Wahnwitzige in das Abenteuer ihrer Liebe gestürzt hatte. Zwischen ihr und André hatte nie, in keinem Augenblick ein Gleichgewicht der Gefahren bestanden: sie gab alles hin, er fast nichts. Als sie ihm die Abreise angeboten hatte, war sie dem Verhängnis entgegengeeilt, und als er darauf einging, sie zu begleiten, bedeutete das für ihn nicht mehr als eine Vergnügungsreise mit einer hübschen Frau, in die er verliebt war. Er konnte diese Vergnügungsreise ausdehnen oder abkürzen, je nachdem sie ihm Annehmlichkeiten und Vorteile bot, sie aber ...!

In einem Augenblick ermaß sie den Abstand, der zwischen ihrer und seiner Verantwortlichkeit, ihren und seinen Verpflichtungen lag. Sie begriff die ganze Gefährlichkeit ihrer Lage. Wenn André sie weniger lieben, sie gar zu lieben aufhören würde, war sie verloren, wurde sie gesellschaftliches Strandgut. Die Notwendigkeit, den Geliebten festzuhalten, sich mit aller Gewalt an ihn zu klammern, wurde ihr klar, aber als sie in ihren Gedanken an diesen Punkt gekommen war, ließ sie mutlos den Kopf sinken. Sich anklammern an den Mann, den sie liebte, war das nicht das sicherste Mittel, ihn sich zu entfremden? Würde ihm ihre Treue nicht lästig werden, wenn er ihrer einmal überdrüssig war?

Entsetzen ergriff sie, es flimmerte ihr vor den Augen und sauste in ihren Ohren, und ihr war, als ob das Meer, das unabsehbar wie eine Türkisenschale vor ihr lag, heraufsteige bis an ihre Füße, um sie zu verschlingen. Vor ihrem inneren Blick tauchte das Bild entehrender Streitigkeiten, harter Forderungen, grauenvoller Hilflosigkeit auf, und sie hatte die bestimmte Empfindung, daß es weit besser wäre, in dieser blau schimmernden Unendlichkeit klaren Wassers friedlich den letzten Schlaf zu schlummern, als verbissen um ein Herz zu kämpfen, das sich ihrer Treue entziehen, ihrer Zärtlichkeit verschließen würde.

Allein das Schreckensgesicht entschwand, Annina beruhigte sich in dem Gedanken, daß ihre Angst gegenwärtig noch unbegründet, daß von allem, was sie zu fürchten hatte, noch nichts eingetreten sei. Schließlich hatte sie ja nur eine Warnung erhalten, die sie hellsehend gemacht hatte, fähig, sich zu verteidigen. Um so zu erschrecken, mußte sie doch warten, bis sie angegriffen wurde. André war ja noch immer voll Zärtlichkeit, voll Leidenschaft. Ein Verschwender, ein Mensch, dem alles Geld durch die Finger rann, das war er freilich, aber es war noch nicht bewiesen, daß die Rücksicht auf Annina seine Verschwendung nicht im Zügel halten, daß seine Neigung nicht ausreichen würde, ihn zur Beschränkung seiner Ansprüche zu veranlassen. Sie stand auf, dehnte, um des schmerzlichen Eindrucks Herr zu werden, ihren Spaziergang bis in die Nähe des auf dem Mont Bovon erbauten Forts aus und kehrte dann auf stillen Waldwegen zur Villa zurück.

Wenn sie in den wirklichen Gemütszustand des Mannes, der jetzt ihr einziges Interesse im Leben bildete, einen Einblick hätte gewinnen können, so würde sie sowohl befriedigt als beunruhigt gewesen sein. Dieser war nicht leicht zu entwirren. Der Vicomte liebte Annina unbedingt, ja, wenn er darüber nachdachte, kam es ihm selbst unbegreiflich vor, daß nach Verlauf eines Jahres sein Verlangen nach ihr noch so lebhaft war als am ersten Tag. Noch nie hatte sein Herz derartige Beständigkeit gezeigt. Der junge Lebemann wunderte sich selbst darüber, ja es beunruhigte ihn sogar, und er fragte sich, ob diese unnatürliche Dauer seiner Gefühle nicht einige Genußmüdigkeit verrate. Daß seine schöne, wechselvoll auflodernde Glut vergangen war, bedeutete am Ende ein Zeichen des Verfalls? Sollte er schon alt werden? Das wollte er nicht zugeben, und so räumte er Annina die Ehre ein, seine Gewohnheiten gewandelt zu haben.

In Wirklichkeit liebte er sie, wie er nie zuvor geliebt hatte. Die stolze Entsagung der jungen Frau, das vollkommene Geschenk ihrer selbst, rührten ihn, so hart und selbstsüchtig er sonst war. Die sieghafte Macht ihrer Schönheit, die überall, wo sie hinkamen, derart Aufsehen erregte, daß sie sich fast verkriechen mußte, um nicht unbescheidene Neugier und leidenschaftliche Huldigungen hervorzurufen, schmeichelte André. Er hatte die Genugtuung, die ihm diese Triumphe bereiteten, noch nicht erschöpft, und er konnte auch die großherzige Freigebigkeit nicht verkennen, womit Annina sich für ihn beraubte. Obwohl es ihm unbequem war, seine Gedanken auf materielle Fragen zu heften, bewahrte er doch der Geliebten eine gewisse Dankbarkeit für die Vorteile, die sie ihm verschaffte.

Trotz alledem gärte eine gewisse dumpfe Mißstimmung in ihm. Seit Annina ihm erklärt hatte, daß sie entschlossen sei, sich nicht mehr an Trélauriers Kasse zu wenden, war das Geld knapp geworden im Hause. Die Kassette, worin Annina ihre Kassenscheine zu verwahren pflegte, war mit einem Male leer, wie eine versiegte Quelle, sie enthielt nichts mehr als das Scheckbuch des Hauses Barante, aber Annina hatte ja erklärt, sie würde sich dessen nicht mehr bedienen, und somit waren die Blätter ungefähr gerade so viel wert, wie das dürre Laub, worein sich die Goldklumpen im Märchen verwandeln. André hatte mehr als einmal die Kassette geöffnet und das Scheckbuch durchgeblättert, aber das weiße Papier war nur mit Frau Trélauriers Unterschrift in Geld zu verwandeln, und diese Unterschrift wollte Annina, wie sie bestimmt gesagt hatte, nicht mehr geben. Wozu also dieses Bündel weißer Blätter mit dem blauen Druck, der feinen Vignette an der Abreißstelle und der verführerischen leeren Stelle, wo man die Zahlen hinzuschreiben hatte? Gut für ... Man brauchte nur hunderttausend hinzusetzen und es war gutes Geld, lebendiges, klingendes, das so gern über den grünen Tisch gerollt wäre, und das der Kassierer einer beliebigen Bank ausbezahlt haben würde, ohne eine Miene zu verziehen.

Damit war es zu Ende. Dieser Scheckblock, der so viel Kredit und Macht enthielt, schlief, ohne daß André ihm einen noch so bescheidenen Vorschuß hätte entlocken können, und in seiner Kasse war eine solche Ebbe, daß ihn seine Machtlosigkeit dem Schatz gegenüber, der gegen all seine Gelüste unerbittlich blieb, geradezu außer sich brachte. Er war überzeugt, daß, wenn er eine bedeutende Summe zur Verfügung gehabt hätte, gerade jetzt das so lang erwartete Glück eingekehrt wäre. Seit acht Tagen war im Rivieraklub eine ungeheure Partie im Gang, ein Kampf zwischen sämtlichen Spielern und einem österreichischen Adeligen, einem Grafen Czethiani, der Bank hielt und mit unverschämtem Glück gewann. André wurde aufgefordert, an dem Angriff teilzunehmen, den die ganze Gesellschaft von Spielern gegen den fabelhaften Glückspilz ausführen wollte, er hatte es aber abgelehnt, obwohl ihm sein Instinkt sagte, daß das Glück drauf und dran sei, sich von dem Bankhalter abzukehren, und daß sich eine einzigartige Gelegenheit biete, mit einem Schlag so viele Verluste hereinzubringen. Er hatte eben nur einige armselige Tausender zur Verfügung und war ein zu erfahrener Spieler, um nicht zu wissen, daß wer sich an einem hohen Spiel beteiligt, ohne die Mittel, auch im Falle des Verlusts eine Nacht hindurch fortmachen zu können, dem Feldherrn gleicht, der ohne Reserven sich in eine Schlacht einläßt. Er enthielt sich also des Spiels, war aber wütend. Ohne spielen zu können, ging er lieber gar nicht in den Klub, und so kam es, daß er sich bei Lady Brandon einführen ließ.

Diese einstige amerikanische Sängerin, die von einem englischen Pair geheiratet wurde, besitzt am Carabacel eine prachtvolle Villa, deren grünender Park mit Marmorstatuen geschmückt ist. Auf dem höchsten Punkt des hügeligen Geländes erhebt sich in leuchtendem Weiß ein Tempel mit kannelierten Säulen, den die dankbare Diva der Musik errichtet hat. Lady Brandon, die jetzt eine Fünfzigerin ist, besaß einst die schönste Stimme, die man je gehört hat. Ihre Triumphzüge durch die ganze Welt hatten ihr Millionen eingetragen, und zum Überfluß hatte sie noch einen steinreichen englischen Lord, einen leidenschaftlichen Musikfreund, derart fanatisiert, daß er ihr seinen Namen gab, worauf sie von der Bühne zurücktrat. Die Villa Brandon ist während der Nizzaer Fremdenzeit der Sammelpunkt aller berühmten Künstler, die an der Riviera reisen, und die dort stattfindenden Konzerte, die zur Freude des Hausherrn alle berühmten Virtuosennamen aufweisen, haben einen bedeutenden Ruf.

Als der Vicomte von Preigne bei Lady Brandon eingeführt wurde, war der französische Meister Vignot Gast des Hauses. Er hatte den großen Tenor Villedeuil mitgebracht, und von Italien her war eben die Cortazzi angekommen, die rotblonde Venezianerin, die in Verdis Othello Tamagnos Erfolg fast verdunkelte und die für die größte und zugleich exzentrischste Künstlerin der Sängerwelt gilt. Sie ist sehr schön, wenn auch nicht mehr ganz jung, und von einer Leichtfertigkeit der Sitten, die es verbieten würde, sie in guter Gesellschaft zu empfangen, wenn ihr ungeheures Talent nicht ein mildernder Umstand wäre. Sie war in voriger Woche unversehens bei Lady Brandon eingetroffen, schmerzverstört, schwarz verschleiert, voll Todessehnsucht, weil der junge Maëstro Varderella ihr eine Komödiantin niedrigster Gattung vorgezogen hat.

Vignot hatte die verzweifelte Stimmung der Cortazzi benützt, um sie in kleinem Kreis die Arie der Dido aus den Trojanern singen zu lassen, und Lord Brandon erklärte der schönen Verlassenen im Überschwang der Kunstbegeisterung kalt lächelnd, daß er ganz glücklich sei über ihr Herzeleid, weil sie dadurch die Schmerzen von Berlioz' Heldin so unvergleichlich vortrage. Diese Lobsprüche hatten die Stimmung der Künstlerin ein wenig gehoben, und sie hatte sich bewegen lassen, von Schwarz zu Perlgrau überzugehen. Am Tag nach dieser Gesangsaufführung wurde André von Preigne durch seinen Freund Robert Chelmsford bei Lady Brandon eingeführt. Er trug einen einfarbigen grauen Anzug mit einem Strohhut, worin er nicht älter als zwanzigjährig aussah. Bei seinem Erscheinen wurden die Augen der Venezianerin starr, eine seltsame Arbeit schien sich in ihrem Geist zu vollziehen. Sie kam aus der dunklen Ecke hervor, worin sie ihrem Liebeskummer nachgehangen hatte, und trat zu der Gruppe, der sich der junge Pariser mit lächelnder Anmut beigesellt hatte. Man erzählte Anekdoten aus der Stadt, Klubklatsch und lachte fröhlich, als sich plötzlich die Cortazzi in den Kreis drängte. Das Spitzentuch, das ihr wundervolles rotblondes Haar verborgen hatte, war auf die Schultern heruntergefallen, neues Leben färbte ihre Wangen und der Lippen strenger Bogen hatte sich gelöst; sie zeigte sich teilnehmend, anmutig, und alle hatten den Eindruck, daß niemand als der Vicomte von Preigne diese Umwandlung hervorgebracht hatte. Er allein beachtete sie nicht und schien sehr überrascht zu sein, als Chelmsford auf dem Heimweg lächelnd zu ihm sagte: »Nun, Teuerster, Sie haben Ihre Zeit nicht verloren! Die Cortazzi ist auf dem Sprung, Romeo und Julie mit Ihnen zu singen.«

»Machen Sie doch keine faulen Witze!«

»Fällt mir gar nicht ein! Lady Brandon, die diese Cortazzi genau kennt, sagte, indem sie mir die Teetasse hinbot: ›Sehr nett von Ihnen, daß Sie uns den Vicomte gebracht haben, nun können wir mit Helena – so heißt die Cortazzi – machen, was wir wollen, vorausgesetzt, daß der hübsche junge Mensch dabei ist!‹«

»Entschuldigen Sie, zur Anregung von Sängerinnen habe ich den Besuch nicht gemacht!«

»Reden Sie nicht so leichthin von der Cortazzi! Seit der Patti hat kein Stern so hell gestrahlt. ... Einer solchen Künstlerin zu gefallen, ist nur schmeichelhaft!«

»In der ersten Jugend scheint mir die Dame nicht mehr zu stehen, nicht einmal in der zweiten ...«

»Hören Sie Ihre Stimme! Dann werden Sie ihr höchstens zwanzig Jahre geben!«

»Ich habe nie viel Geschmack an den Damen vom Theater finden können und die Musik ist mir ein Greuel ...«

»Sagen Sie das nicht!«

»Gewiß sage ich das und wiederhole es mit tiefster Überzeugung! Diese fette Paduaner Henne mit dem roten Schopf hat gar nichts Verlockendes für mich, und wenn man sie überdies noch singen hören muß, so mache ich mich aus dem Staub.«

»Ketzer!«

Die beiden Freunde verabschiedeten sich, und André ging nach Hause, wo er Annina in ungewöhnlich ernster Stimmung vorfand. Sie hörte mit zerstreuter Miene an, was er ihr von seinem Besuch bei Lady Brandon erzählte, wobei er mit weibischer Eitelkeit den Eindruck schilderte, den er auf die Sängerin gemacht hatte. Er beschrieb indes deren Persönlichkeit in so spaßhafter Weise, daß Annina endlich lächelte. Zur Eifersucht neigte sie nicht, und sie hielt André nicht für fähig, sie zu hintergehen. Er hätte es ja so leicht gehabt, sich von ihr zu trennen, daß ihr der Gedanke, es könnte den Geliebten reizen, ihr eine Nebenbuhlerin zu geben, gar nicht in den Sinn kam.

»Wenn deine Anwesenheit bei Lady Brandon genügt, die Sängerin anzuregen, daß sie Wunder tut,« sagte sie, »so wäre es sehr unliebenswürdig, den vielen Gästen, die in der Villa Carabacel Kunstgenüsse suchen, diesen Dienst zu versagen.«

»Du bist eine seltsame Frau, Annina,« versetzte der Vicomte mit einem Anflug von Gereiztheit. »Ich sage dir doch, daß diese Komödiantin sich mir schamlos an den Hals wirft?«

»Du hast doch wohl nicht zu befürchten, daß sie dich bis hieher verfolgt? Du sollst sie ja nur zum Singen bringen!«

»Und wenn sie, nachdem sie gesungen hat und alle andern vergnügt sind, zu mir sagt: ›So, nun will ich meinen Lohn.‹ Was soll ich dann für ein Gesicht machen?«

»Ach, lieber André, wenn sie die alte Dame ist, die du mir schilderst, wirst du dich schon aus der Schlinge zu ziehen wissen,« warf Annina etwas boshaft hin. »Vielleicht daß ich dich gar nicht zu dieser Gefälligkeit gegen Lady Brandon ermuntert hätte, wenn die Sängerin jung und hübsch wäre! Aber du weißt es ja, daß ich blindlings an dich glaube.«

Anninas Sicherheit verdroß den Vicomte; er war es nicht gewöhnt, für harmlos angesehen zu werden.

»Ein solches Vertrauen hast du zu mir?« fragte er,

Anninas Augen flammten, und ihre Stimme zitterte, als sie ihm zur Antwort gab: »Was sollte aus mir werden, wenn ich nicht mehr vertrauen könnte, wo ich mich ganz und gar hingegeben habe? Mein Leben ist nur möglich unter der Voraussetzung, nicht an dir zu zweifeln. Wenn ich nur den Schatten eines Mißtrauens gegen die Aufrichtigkeit deines Gefühls für mich hätte, glaube mir, daß ich eine so furchtbare Unsicherheit nicht ertragen könnte und unverweilt ein Ende machen würde.«

»Und auf welche Weise, wenn ich bitten darf?« fragte er mit dem Lächeln eines seiner selbst gewissen Menschen.

»Indem ich fortginge, ohne einen Blick nach rückwärts zu werfen, mich für immer von dir trennte.«

»Das vermöchtest du?«

»Ich würde daran sterben, aber Verrat ertrüge ich nicht. Von allem Unrecht, das du gegen mich begehen könntest, würde es für diese Schuld allein keine Verzeihung geben.«

»Was, Annina, du würdest mich verlassen?« sagte André mit seinem bezauberndsten Lächeln.

»Ja, mein Freund, ohne Zögern, ohne Erwägen, ohne inneren Zwiespalt. So groß ist mein Grauen vor Lüge und Falschheit.«

Sie sah eine Weile nachdenklich vor sich hin, dann setzte sie hinzu: »Wenn ich mein Haus verlassen habe, um der Schmach einer Zweiteilung zu entgehen, gegen die sich meine Natur empörte, so werde ich wohl nicht ertragen, daß der Mann, der mich liebt, mir Nebenbuhlerinnen gibt!« Der Vicomte, dem diese Wendung des Gesprächs etwas unheimlich vorkam, brach es ab, und da es zehn Uhr war und er sich bei Annina nicht sehr behaglich fühlte, nahm er Hut und Überrock und ging in den Klub. Nachdem er sich eine Weile in den Sälen herumgetrieben, trat er in das Zimmer, wo Baccarat gespielt wurde, und wo der österreichische Graf mit geradezu verletzender Verbindlichkeit fortwährend den Gegnern ihr Geld abnahm. Chelmsford, dem das Blut stark zu Kopf gestiegen war, rief, André bemerkend: »Sie, mein Lieber, sollten uns helfen, dies unerhörte Glück zu brechen. Da ist ein Einsatz von zwölf und einer von neun auf der andern Seite ...«

Als ob dem Vicomte eine innere Stimme zuriefe: »Tu's!« wandte er sich ohne Zögern an den Klubdiener: »Bringen Sie mir tausend Louis.«

Zum ersten Male, seit er in Nizza war, am Spieltisch Platz nehmend, begann er, die Bank mit Einsätzen von hundert Louisdor anzugreifen, und als ob das Glück nur seine Ankunft abgewartet hätte, um wetterwendisch zu werden, verließ den Bankhalter sein Stern. In Zeit von zwei Stunden mußte der Graf Czethiani zweihundertzwanzigtausend Franken herausrücken, wovon André achtzigtausend zufielen. Um ein Uhr morgens kam er, ganz von seinem Triumph erfüllt, in zärtlicher Stimmung nach Hause. Endlich fühlte er wieder festen Grund unter den Füßen. Das Glück hatte aufgehört, ihm zu grollen, jetzt war er wieder er selbst und in seiner vom Erfolg beflügelten Phantasie stand die Cortazzi wieder mit allen Vorzügen da, die seine mürrische Laune ihr streitig gemacht hatte. Ja, der Aberglaube des Spielers führte dahin, daß er dem plötzlichen Interesse, das die Italienerin ihm zugewendet hatte, den Umschlag seines Mißgeschicks zuschrieb, wofür er im geheimen seit sechs Monaten Annina verantwortlich machte. Die Sängerin gewann für diesen Fetischanbeter die Bedeutung eines Glückbringers, und als er sich am andern Morgen, eine Melodie summend, in seinem Ankleidezimmer fertigmachte, dachte André: »Wenn mich diese Cortazzi mit ihren wundervollen schwarzen Augen – daß sie schöne Augen hat, ist nicht zu leugnen – jeden Tag ansähe, wie sie mich gestern ansah, wäre ich bald aus der Klemme.«


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