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Fünftes Kapitel

In einem breiten Rohrstuhl behaglich auf der Terrasse des Hotel de Paris sitzend, ließ Tristan von Saint-Yrieix die Blicke über die herrliche, in goldenem Sonnenlicht blauende Bucht von Monaco schweifen. Es war die Mittagstunde: ein leichter Wind liebkoste das Laubwerk des vom Duft der Mimosen durchzogenen Gartens. Es war einer jener entzückenden Morgen, wo einem das Leben eine sehr angenehme Erfindung zu sein scheint; die von der Aprilsonne lind erwärmte Luft umhüllte den von wonniger Trägheit durchströmten Menschen wie ein laues Bad. Die Beine lang ausgestreckt, die Arme schlaff hängen lassend, den Kopf zurückgelehnt, rauchte Tristan in wohliger Mattigkeit seine Zigarette, ohne sich zu rühren, wunschlos und denkfaul. Er wartete ohne jegliche Ungeduld auf Frau von Préjean, die heute früh im Automobil nach der Condamine gefahren war, um Frau Trélaurier einen Besuch zu machen. Tauben, die den Schroten der Schützen entgangen waren, flatterten eilig um das Kasino, während dumpfes Geknatter von der unteren Terrasse her verriet, daß der Massenmord fortgesetzt wurde. Julius Harveys schwarz und goldene Jacht, die am Fuß des Schlosses in der Bucht vor Anker lag, begann aus ihren zwei gelben Schornsteinen Rauch zu speien, sie machte sich zu irgend einem Ausflug längs der Küste bereit. Eine ganze Schar von Musikern entströmte einer Seitentür des Theaters, wo die Konzertprobe zu Ende sein mußte, in allen Gasthäusern bimmelten die Glocken, die zum gemeinsamen zweiten Frühstück riefen, aber Tristan ließ sich nicht im Genuß der Ruhe und der Aussicht stören.

Die Reise von Paris nach Monaco mit Frau von Préjean im Automobil lag ihm noch in den Gliedern. Sie hatten den Weg in acht Tagen zurückgelegt, in Staubwolken eingehüllt, Kilometer verschlingend. Nachdem er die Freundin vergebens angefleht hatte, ihn mit der Eisenbahn reisen zu lassen, hatte sich Tristan drein ergeben müssen, von Paris nach Lyon, von Lyon nach Marseille, von Marseille nach Toulon, von Toulon nach Nizza seine fünfzig Kilometer die Stunde zu machen. Gestern abend waren sie von Antibes her angekommen, und um sich auszuruhen, hatte die rastlose Dame gleich in aller Gottesfrühe den Vorschlag gemacht, nach der Condamine zu sausen, um Frau Trélaurier in die Arme zu schließen. Tristan hatte sich indes entschieden geweigert, sowohl Nizza zu verlassen, als seine Cousine aufzusuchen.

»Meine Liebe, du als Frau kannst deinem Herzen folgen, das hat keine Konsequenzen, bei mir dagegen liegt der Fall anders, und wenn ich auch kein Tugendbold bin, so werde ich doch nicht den Fuß über ihre Schwelle setzen. Ich mag mich der Gefahr nicht aussetzen, Preigne bei ihr zu treffen, was mir höchst peinlich wäre. Auf der Straße, im Kasino, in einem andern Salon, kurz auf neutralem Gebiet würde ich nichts dabei finden, denn schließlich bin ich ja nicht als Sittenwächter aufgestellt. Daß ich mich mit dir in der Welt herumtreibe, ist Beweis genug ...«

Eine anmutige kleine Ohrfeige von Frau von Préjeans Hand unterbrach Tristans Betrachtungen, er setzte sie aber mit unerschüttertem Gleichmut fort.

»Ich weiß wohl, daß du in einer ganz andern Lage bist. Du bist Witwe ... wenn du etwas weniger umtriebig wärest, würde ich dich wahrscheinlich längst geheiratet haben ...«

Eine zweite Ohrfeige sollte Tristan für seine Ungezogenheit strafen, er war aber nicht einzuschüchtern.

»Die Leute, die uns immer beisammen sehen, die beobachten können, daß ich dein Opfer bin, sind natürlich überzeugt, daß wir verheiratet sein müssen, denn sonst könnte ich kein so gutes Schaf sein! Gehe du also nach der Condamine, wenn du Lust dazu hast, mich aber laß ausruhen. Vor vierzehn Tagen kriegst du mich nicht wieder in ein Auto hinein, das sage ich dir, und solltest du die unglückselige Idee haben, mich quälen zu wollen, so richte ich eine Bittschrift an den hochherzigen Fürsten, in dessen Staat du zu rasseln gedenkst, und flehe ihn um Schutz und Hilfe an. Ich kenne ihn, er wird mir seine ganze Schutzmannschaft zur Verfügung stellen und dich wie eine gewöhnliche Anarchistin des Landes verweisen. Erstens einmal sind ihm die Spieler ein Greuel, er liebt nur Künstler und Gelehrte, und du hast ja seit gestern abend nichts andres im Kopf, als die Bank zu sprengen!«

»Tristan, du wirst anzüglich ...«

»Nein, ich bin nur müde!«

»Das warst du von deiner Geburt an ...«

»Und werde es, dir sei's gedankt, bis zum letzten Atemzug sein müssen. Mein Gott! Wenn's nur auch Hängematten gibt in der Ewigkeit!«

»Du bist ein Taugenichts.«

»Wenn du das nur endlich in vollem Ernst glauben wolltest.«

Um ein Haar hätte Tristan die dritte Ohrfeige bekommen, aber Frau von Préjean war für Symmetrie und beschränkte sich auf das Paar, dagegen zwang sie Saint-Yrieix, mit ihr das Auto zu besteigen und nach Monte Carlo zu rollen, wo er sich nun, ihre Rückkehr erwartend, auf der Hotelterrasse gütlich tun durfte.


Seit Frau Trélaurier ihr Haus, ihre gesellschaftliche Stellung, den Gatten aufgebend, Paris verlassen hatte, um dem schönen André von Preigne zu folgen, war ein Jahr verflossen. Der Sommer, der Herbst waren verstrichen und allmählich war den Liebenden ihr Schlupfwinkel in Bellaggio an dem stillen, geheimnisvollen See traurig erschienen. Monatelang hatten sie in stiller Weltvergessenheit gelebt, die Liebe, die sie an diesem herrlichen Platz vereinigte, hatte sie mit Freuden überhäuft, eines schönen Morgens aber waren die Berge mit Schnee bedeckt gewesen, ein rauher Wind hatte den blauen Wasserspiegel gekräuselt und pfeifend in Rohr und Schilf gewühlt. Über André war jählings Schwermut gekommen und das Leben in dieser Einsamkeit hatte seinen Reiz für ihn verloren. Annina beunruhigte die deutlich wahrnehmbare Veränderung, sie hatte den Freund darüber befragt und erkannt, daß die Eintönigkeit ihres Glücks ihn zu ermüden begann. Voll Eifer, ihm alles zuliebe zu tun, hatte sie selbst den Vorschlag gemacht, Bellaggio zu verlassen, und an einem Novembertag hatten sie sich nach Florenz auf den Weg gemacht.

Es war Annina schwer geworden, die Villa am See zu verlassen. Dort war sie vollkommen glücklich gewesen, ohne daß irgend ein Druck auf ihr gelegen hätte. André gehörte ihr ungeteilt, er hatte nicht einen Gedanken, der ihr fremd geblieben wäre, und hatte sich ihr so liebenswürdig, sanft und natürlich gezeigt, wie sie ihn geträumt und wie ihn keine andre Frau vor ihr gekannt hatte. Es war in der Tat unterm Einfluß von Anninas Nähe eine Wandlung mit André vorgegangen. Vielleicht, daß er, der so viel Liebschaften gehabt, zum ersten Male liebte. Er gab sich ohne Vorbehalt, ohne Heuchelei rückhaltlos hin, empfand die Gefühle, denen er Worte gab, wirklich und war vom Reiz der jungen Frau so gefesselt, daß er an einem hübschen Mädchen, einer eleganten Ausländerin, die hier auf der Fahrt nach Italien ein paar Tage Aufenthalt nahm, vorübergehen konnte, ohne sie zu bemerken. Wer ihn gekannt hatte als den berufsmäßigen Verführer, der wie Don Juan immer ein Opfer mehr auf seiner Liste haben will, würde geschworen haben, daß er nicht derselbe Mensch sei.

Äußerlich hatte er sich wenig verändert, höchstens, daß er noch hübscher geworden war, denn die durch ein Übermaß von Lebensgenuß etwas erschlafften Züge hatten sich in der Ruhe erholt, und der Ausdruck jünglinghafter Reinheit, der seinem seinen Gesicht den besonderen Reiz verlieh, trat in erhöhtem Maß und noch anziehender hervor. Nie war er so berückend gewesen, als in den sechs Monaten, die er in Bellaggio verlebte, und die Ausrufe der Bewunderung, die Annina aus dem Munde des schlichten, unverdorbenen Landvolkes über ihn vernahm, ließen ihr nicht das Recht, an ihrem Triumph zu zweifeln. »Der muß eine Lippenfreude sein!« sagten die Frauen des Nestchens in ihrer Mundart bewundernd von André, und die Männer setzten kopfschüttelnd hinzu: »Lippenfreude macht oft Augen weinen!« Annina berauschte sich an dem Lobspruch, ohne die ahnungsvolle Warnung zu beachten. André liebte sie, dessen war sie gewiß, und das Schicksal hatte ihr bis hierher rechtgegeben.

In Florenz bezogen sie eine reizend gelegene Villa an der Via dei Colli, von deren Fenstern der Blick weithin über die Stadt und zu den Höhen von Fiesole hinauf schweifen konnte. Hier fing André wieder an auszugehen und Verkehr anzuknüpfen. Er hatte bei einem Spaziergang in den Cascinen einen Bekannten aus Paris getroffen, einen jungen englischen Baron, namens Francis Elphiston, der seiner Gesundheit halber den Winter in Florenz zubrachte und im adeligen Klub sehr hoch spielte. Keine Begegnung hätte für André unheilvoller sein können als diese. Der junge Engländer weckte gerade seine verwerflichsten Neigungen wieder in ihm auf. Er führte ihn im Klub ein, wo André in seiner Eigenschaft als Mitglied eines der großen Pariser Klubs sofort aufgenommen wurde. Anfangs sah er Zigaretten rauchend dem Spiel zu, dann beteiligte er sich auf Drängen des Freundes an dessen Spiel und hielt schließlich, vom Spielteufel erfaßt, selbst Bank, wobei er der Partie neuen Schwung und hohes Interesse zu verleihen wußte. Das Glück, das ihm zuerst günstig gewesen war, spielte ihm indes bald so übel mit, daß er rasch mit seinen Mitteln zu Rande kam.

Von heute auf morgen sah sich Annina, die dieser Umschwung in den Lebensgewohnheiten des Geliebten tief bekümmerte, zum ersten Male in die Lage versetzt, für die Bedürfnisse des täglichen Lebens sorgen zu müssen. In ihrer Reisetasche befand sich noch die ziemlich bedeutende Summe, die sie aus Paris mitgenommen hatte. Ohne ein Wort zu sagen, legte sie das Geld in die Schublade, wo André das seinige aufzuheben pflegte, doch schon nach einigen Wochen mußte sie die Wahrnehmung machen, daß diese Schublade leer war.

Das war der erste Augenblick innerer Beklommenheit. Mit schwerem Herzen stand sie in Gedanken versunken vor dem leeren Fach. Sie wußte, daß sie nur einige Tausendfrankenscheine aus der Brieftasche genommen hatte, um dann und wann eine Rechnung zu bezahlen, alles Übrige, mehr als hunderttausend Franken, mußte André verbraucht haben. Sie wollte sich indes über den Mangel an Feingefühl, der in dieser Besitzergreifung lag, hinwegtäuschen.

»Würde ich es nicht ebenso gemacht haben?« redete sie sich ein. »Ist nicht alles, was mein ist, auch sein? Hat er nicht seit unsrer Abreise, seit sechs Monaten, alle meine Bedürfnisse bestritten, so gut wie die seinigen?«

Aber trotz all der Entschuldigungen, die ihre Liebe erfand, zog eine dumpfe Bitterkeit in ihr Herz ein. Sie fühlte, daß sie an Andrés Stelle nie an dieses Geld gerührt, sich lieber alles versagt haben würde, als auf Kosten einer auch noch so leidenschaftlich hingebenden Frau zu leben. Aber die Tatsache bestand, und Annina mußte auf Mittel sinnen, die leere Schublade wieder zu füllen.

Das Einfachste und Nächstliegende war, einen Wechsel auf das Haus Trélaurier zu ziehen und damit zu einem der großen florentinischen Bankiers zu gehen. Nach zwölf Stunden, die man gebraucht hatte, um sich telegraphisch mit Paris zu verständigen, wurde Frau Trélaurier von Silvestri & Barante benachrichtigt, daß ihr auf Anweisung Herrn Vernauts, des Prokuristen der Trélaurierschen Bank, ein Kredit eröffnet sei. Wie hoch sich dieser Kredit belaufe, davon war nicht die Rede, und als Herr Barante am Tag darauf selbst in der Villa erschien, um Frau Trélaurier persönlich ein Scheckbuch zuzustellen, ging aus der respektvollen Haltung des Bankiers und aus seinen Bemerkungen über die Zuträglichkeit des Klimas von Florenz deutlich hervor, daß Vernaut seine Depesche schriftlich bestätigt und dabei Frau Trélauriers Aufenthalt in Florenz mit Gesundheitsrücksichten erklärt haben mußte. Es wurde Annina plötzlich sehr traurig zu Mut, als ihr wieder einmal die bewundernswerte Großherzigkeit und die edle Denkart des Mannes, den sie so schmählich verraten hatte, vor die Seele traten. Denn Vernaut, das wußte sie ja wohl, war Trélaurier, und der Brief des Prokuristen war gewiß von ihrem verlassenen Gatten diktiert.

Als der florentinische Bankier sich empfohlen hatte, vergoß sie die ersten Tränen, und zwar Tränen der Rührung und des Mitgefühls. Es ging ihr durch den Sinn, an Vernaut zu schreiben, ihm zu danken und ihn um Nachricht von ihrem Mann zu bitten, aber ein falsches Schamgefühl hielt sie davon ab. Hätte Annina dieser Regung der Dankbarkeit gehorcht und geschrieben, so hätte sie damit vielleicht Trélaurier die ersehnte Möglichkeit geboten, einzuschreiten und sie noch zu retten selbst gegen ihren Willen. Allein noch hatte sie nicht gelitten, noch war ihr Liebestaumel nicht verrauscht. Sie fürchtete, daß ihr Brief den Gatten berechtigen könnte, an diesem Glück zu zweifeln, und schrieb nicht. Aber sie beging die Unvorsichtigkeit, dem Vicomte das Scheckbuch zu zeigen, wodurch sie die erste Mißhelligkeit zwischen ihm und ihr herbeiführte.

Als er erfuhr, daß sie sich an das Haus Trélaurier um Geld gewendet hatte, wurde er blaß vor Wut und fragte mit einer Schärfe, die sie noch nicht an ihm kannte, ob sie denn glaube, daß er das Geld ihres Gatten nötig habe, um sie zu erhalten. Er sprach dabei in so gröblich beleidigenden Ausdrücken von Trélaurier, daß Annina, um nicht den Gatten gegen den Geliebten verteidigen zu müssen, entsetzt hinausstürzte und sich in ihr Zimmer flüchtete. Von dort hörte sie André fürchterlich fluchen und Möbelstücke umherstoßen, wie er wohl einen Menschen hätte herumstoßen mögen. Allerdings kam er, nachdem er nicht bei Tisch erschienen war, gegen drei Uhr morgens beruhigt und heiter, voll Zärtlichkeit nach Hause, hatte aber hundertzwanzigtausend Franken verloren, die am selben Tag an die Klubkasse bezahlt werden mußten.

Annina bezahlte, und nun, nachdem der erste Schritt getan war, schrieb sie, um André bei guter Laune zu erhalten, einen Scheck so oft es eben nötig war, und die Herren Silvestri & Barante zahlten aufs bereitwilligste aus, was Frau Trélaurier auf sie zog. So wenig Annina sich je mit Geschäften befaßt hatte, fragte sie sich doch endlich, wie viel sie wohl von ihrem in der Trélaurierschen Bank angelegten elterlichen Vermögen, das sie seit der Ankunft in Florenz so toll vergeudete, verbraucht haben könne. Wenn sie hätte ahnen können, daß sie in Wirklichkeit das Geld ihres Gatten zum Fenster hinauswarf, würde sie sich dagegen aufgelehnt haben, gleichviel, welche Folgen diese Äußerung ihres Ehrgefühls für sie nach sich gezogen hätte. Sie glaubte sich zu erinnern, daß die Erbschaft von ihren Eltern zwölfhunderttausend Franken betragen hatte, aber Zahlen waren ihr immer höchst gleichgültig gewesen, denn Trélaurier hatte ihr stets Geld gegeben, ohne zu rechnen, und sie mit Geschenken überhäuft. Sie war wirklich schlecht vorbereitet, ihre Geschäfte zu führen, und zerbrach sich oft mit dumpfem Unbehagen den Kopf darüber.

Endlich aber wollte sie Klarheit haben, so peinlich es ihr war, an Herrn Barante Fragen über diesen Punkt zu richten. Sie bat ihn um eine Unterredung, und als er sofort ihrem Ruf folgte, fragte sie ihn, bis zu welchem Betrag sie Kredit bei ihm habe. Barantes Antwort setzte Annina sehr in Erstaunen – Vernaut hatte gar keine Summe festgesetzt, Frau Trélaurier konnte einfach durch sein Haus beziehen, was sie nötig hatte. Sollte es sich um allzu hohe Summen handeln, so würden Silvestri & Barante vorher in Paris anfragen, das war aber nur eine Formsache. Sie hatten den Auftrag, Frau Trélaurier unumschränkt zur Verfügung zu stehen.

Diese Mitteilung verdüsterte Anninas Stimmung. Sie erkannte in der Handlungsweise des Gatten die deutliche Absicht, sie durch seine Großmut zu demütigen. Wenn sie ihre eigene Handlungsweise mit der seinigen verglich, mußte sie sich eingestehen, daß die Trélauriers die bedeutend edlere war. Mittlerweile hatte André davon gesprochen, daß er Florenz verlassen möchte, und Annina glaubte, daß es günstig sein werde, wenn er diesem Klub fern wäre, wo der Geliebte so leicht gefährliche Gewohnheiten angenommen und so viel Mißgeschick erlebt hatte. Sie ging also gern auf den Gedanken ein, und als der Winter sich zu Ende neigte, fuhren sie der Küste entlang über Genua und San Remo Frankreich zu, aber auf ihrem Weg lag Monte Carlo.


Tristan saß noch immer in friedliche Träumereien versunken, als Frau von Préjeans Auto schnaubend, rasselnd und klingelnd auf den Platz einlief. Die junge, in einen grauen Staubmantel gehüllte Dame stoppte die Maschine und sprang, ihren Mechaniker auf dem Rücksitz lassend, leichtfüßig ab. Mit ausgestreckten Händen kam sie auf Saint-Yrieix zu.

»Nun, wie geht's? Erholt von der Anstrengung?«

»Es war mir etwas wohler geworden, aber schon der Anblick deiner Beweglichkeit wirkt wieder ermüdend. Ich bitte, setze dich, wenn du plaudern willst.«

»Ich will vor allen Dingen frühstücken, wenn du nichts dagegen hast,« sagte Frau von Préjean belustigt. »Weißt du, daß es schon halb ein Uhr ist?«

»Ich weiß nichts, als daß die Sonne köstlich warm scheint, dieser Stuhl sehr bequem ist und daß ich ein paar Stunden lang meines Lebens froh geworden bin.«

»Weil du allein warst? Zu liebenswürdig.«

»Ach Teuerste, nur keine Wortklauberei: ich meine nur, was ich sage.«

»Und das genügt! Du wirst aus lauter Elendigkeit ungehobelt!«

»Und du nicht einmal durch deine Rastlosigkeit unerträglich!«

»Das klingt schon anders! Du machst dich! Sei artig, Tristan, bemühe dich auf deine Füße und laß uns in den Speisesaal gehen. Ich bin am Hungertod. Erst wenn ich etwas zu essen habe, kann ich dir erzählen.«

Saint-Yrieix erhob sich schwerfällig aus seinem tiefen Sitz.

»Da man ja doch tun muß, was du haben willst, ist's besser, gar nicht erst zu kämpfen,« sagte er lächelnd. »Man erspart sich wenigstens einen Kraftaufwand.«

Sie ging voran, und sie suchten sich in dem prachtvollen Saal ein kleines durch einen Wandschirm geschütztes Tischchen aus, an dem sie sich niederließen und ihre Mahlzeit bestellten.

»Nun also ... ich war bei Annina,«

»Das schließe ich aus deiner Aufgeregtheit. Wie geht's ihr?«

»Ach,« seufzte Frau von Préjean, »körperlich ausgezeichnet. Sie ist hübscher als je! Trélaurier würde verrückt werden, wenn er sie sähe! Unglaublich, wie die Liebe eine Frau verschönt!«

»Das sieht man ja an dir.«

»Still. Solche Ungezogenheit! Ich wollte nur, daß ihr Gemüt sich ebenso wohl befände! Aber sie mag noch so große Heiterkeit zur Schau tragen, ich glaub's nicht, daß sie glücklich ist.«

»Wie könnte sie es sein!«

»Ach! Und du, du wolltest sie an diesen Preigne verheiraten! Glaubst du denn, daß er ein besserer Ehemann geworden wäre, als er ein Geliebter ist?«

»Wenn sie seine Frau wäre, hätte sie wenigstens den Trost, ihn verlassen zu können, während sie, so wie ich sie kenne, viel zu viel Selbstgefühl hat, um ihren Fehler zu bekennen, und lieber alles ertragen wird, als eingestehen, daß sie sich getäuscht hat,«

»Das scheint mir in der Tat ihre Gemütsverfassung zu sein. Alles, was ich zu sehen und zu hören bekam, machte mir einen üblen Eindruck ... und bei einem so häßlichen Kerl wie dieser André, kann man sich ja nicht damit trösten, daß es mit der Zeit besser kommen werde. Gerade ein Jahr ist's jetzt her, daß Annina Paris, ihr Haus, ihren Gesellschaftskreis, ihre Freunde verlassen hat, und ich glaube, sie ist sich heute klar darüber, daß es eine Dummheit erster Güte war!«

»Liebt sie ihn noch? Darauf kommt's an! Wenn sie ihn noch liebt, wird sie alles aushalten und ihr Schicksal dem ungetrübtesten Glück vorziehen. ...«

»Ich glaube, daß sie ihn liebt, aber ich möchte Gewißheit haben, ob Preigne ihr Gefühl wirklich erwidert. Leider kann ich ihm keine Beichte abnehmen...«

»Mit andern Worten, du wünschest, daß ich's tue?«

»Ja, ich will kein Hehl daraus machen!«

»Und wie soll ich das anstellen, wenn ich bitten darf?«

»Ach! Das wird ja nicht schwierig sein bei einem Kameraden, mit dem man alle Freuden geteilt hat! Ihr zwei habt zu viel schlimme Streiche miteinander gemacht, als daß er sich Zwang auferlegen sollte! Fange zum Beispiel damit an, mich schlecht zu machen, und er wird dein Vertrauen belohnen, indem er sein Herz über Annina ausschüttet! Wir wissen ja recht gut, wie cynisch Männer untereinander von den Frauen reden!«

»Schön! Du forderst mich also auf, dich zu verleumden, um André zum Reden zu bringen?«

»Verleumden? Ist nicht einmal nötig,« erwiderte Frau von Préjean lachend, »sage ganz einfach, was du denkst ... daß du mich unerträglich findest mit meiner Rasselmaschine, lasse durchblicken, daß du es satt habest, alle Landstraßen der Welt mit mir zu befahren, kurz, sprich frei von der Leber weg! Ich gestatte es feierlich ... der Zweck heiligt die Mittel!«

»Ach, du bist wirklich ermüdend, Liebste,« seufzte Saint-Yrieix mit einem Ausdruck der Erschöpfung. »Was für eine verdammte Geschichte führst du jetzt wieder im Schild!«

»Das ist meine Sache, du hast nur zu gehorchen. Zur Belohnung werde ich dich acht Tage lang ruhig im Hotel bleiben lassen.«

»Das läßt sich hören! Und wo treffe ich ihn, den unwiderstehlichen André?«

»Wo denn anders als im Kasino? Er verbringt ja sein Leben am grünen Tisch, und scheint dabei ganz unerhörtes Pech zu haben.«

»Gut. Heute nachmittag werde ich hingehen.«

Das Kasino von Monte Carlo ist ein Prunkbau, auf dessen Eingang sämtliche Straßen des Fürstentums münden. Es gleicht einer Riesenspinne, die in der Mitte ihres Netzes lauert, und der alle Fliegen, von einem unabwendbaren Verhängnis getrieben, ins Garn gehen. Die Pracht der Säle, wo das Gold von den Decken, den Säulen, den Möbeln glitzert, ist darauf berechnet, die Gier nach Gold zu erregen. Um die Spieltische, die in großer Zahl aufgestellt sind und auf deren Tafeln Tag und Nacht die Goldstücke klirren, drängt sich eine Menschenmenge, deren einzige Beschäftigung das Spiel ist. Hier zeigt sich das Laster wenigstens in unverhüllter Häßlichkeit. Alt und jung, arm und reich, Frauen, deren Haar von den Aufregungen der Roulette gebleicht ist, und die mit dürren Fingern bedächtig kleine Summen setzen, blühende, elegante Damen, die aufs Geratewohl Goldstücke auf eine Nummer werfen, alles steht dicht aneinander gedrängt, die Gleichheit vor dem Schicksal hebt alle Unterschiede auf. In der Erregung des Spiels unterhalten sich vornehme Damen mit Dirnen, denen sie auf der Straße keinen Blick gönnen würden. Alte Weiber, denen die Kupplerin an der Stirn geschrieben steht, verkehren eine Stunde lang vertraulich mit sittenstrengen Frauen. Die Leidenschaft spült alles weg, was sonst Menschen trennt, aller Nerven zittern gemeinsam, und das Rollen der Kugel, der eintönige Ruf des Croupiers, die guten oder schlechten Aussichten, die Freuden- oder Jammerlaute sind die Elemente, woraus diese ungewöhnliche Verbrüderung entsteht. Man kann einen Rundgang durch die Säle machen, ohne etwas anderes zu vernehmen, als Prophezeiungen von Gewinn oder Verlust, nichts ist vorhanden als das Spiel in diesem Königreich des Zufalls, diesem Tempel des Verhängnisses.

Wer sich in dem weitläufigen Bauwerk auskennt, weiß, daß die ersten Säle, wo die Roulettetische stehen, keine Beachtung verdienen. Dort spielen kleine Leute zu ihrem Vergnügen, erst wenn man weiter geht in die Säle des Trente-et-Quarante, steht man an der Stelle, wo die großen Schlachten geliefert werden, die der Bank zum Verderben oder zum Segen gereichen. Dort herrscht ein beinahe andächtiges Schweigen, man fühlt, wie wichtig alles ist, was hier vorgeht. Dem furchtbaren Anprall des Spielers, der den Anlauf zur Eroberung eines Vermögens nimmt, hält die Bank unerschütterlich stand. Im Hintergrund hat sie unerschöpfliche Reserven, die in die Bresche treten müssen, wenn es schief geht. Ihrer selbst gewiß, unberührt von Verlust oder Gewinn kennt sie weder Erregung noch Entmutigung, denn zuletzt ist sie doch unbesiegbar, und wenn's der Zufall will, daß sie einmal eine Niederlage erleidet, so weiß sie zum voraus, daß am nächsten Tag der Sieg wieder auf ihrer Seite sein, daß sich das Mißgeschick reichlich ausgleichen wird durch die Beute, die sie den Siegern von heute abnimmt. Der Kampf zwischen den Spielern und der Bank ist, sobald er fortdauert, ein ungleicher. Nie hat ein Spieler wirklich gewonnen, der an den Spieltisch zurückkehrt, einzig die klugen Leute, die mit ihrem Gewinn sofort in die Eisenbahn steigen, tragen etwas davon, die andern bringen's tags darauf zurück und ihr sonstiges Geld dazu. Die Verwaltung weiß das so genau, daß man verlorene Summen als Geld bezeichnet, das »auswärts übernachtet«.

In diesen Kartentempel begab sich Saint-Yrieix gegen drei Uhr, nachdem Frau von Préjean allein in ihrem Auto nach San Remo abgedampft war. Er betrat ihn mit seinem gewohnten lässigen Schritt, ging ins Sekretariat, um seinen Namen und seine Eigenschaft als Ausländer anzugeben und die Eintrittskarte zu erlangen, die er den Türhütern vorweisen mußte. Mit gleichgültigem Blick überflog er die ersten Roulettetische, blieb einen Augenblick, mehr aus Faulheit als aus Neugier stehen, setzte einen Hundertfrankenschein auf die ersten zwölf Nummern, einen zweiten auf Rot. Rot kam heraus und Nummer sieben wurde verkündigt. Er raffte seine sechshundert Franken zusammen und wartete, um zu sehen, was jetzt geschehen werde. Schwarz kam heraus und neun. Dann kam abermals Schwarz und die Nummer vierzehn. Tristan setzte die vierhundert Franken, die er gewonnen hatte, auf Rot, und Rot kam heraus. Eine alte Dame, hinter der Saint-Yrieix stand, die sorgfältig auf einem Kärtchen die herauskommenden Nummern markierte, fuhr so ärgerlich herum, als ob er sie bestohlen hätte. Ungerührt steckte der junge Mann die Scheine in die Westentasche und ging befriedigt, daß seine Vermutung eingetroffen war, in den nächsten Saal. Auch hier drehte sich die Roulette, und Tristan ging, ohne sich aufzuhalten, weiter in den Saal der Trente-et-Quarante. Dort bildeten die Männer die Mehrheit. Sie standen dicht um die Tische gedrängt, und Saint-Yrieix entdeckte unter den Anwesenden manches bekannte Gesicht, regelmäßige Besucher der Rennen, des Theaters, der Kunstausstellungen, Leute, mit denen man nie gesprochen hat, die aber wie angestellte Statisten immer dabei sein müssen, wo in der Gesellschaft »etwas los« ist. Ein berühmter Schauspieler, der nach Monte Carlo gekommen war, um in einem neuen Stück aufzutreten, verlor ganz die gewohnte Vornehmheit in verbissenem Kampf gegen eine Serie von Schwarz, die eben bei den Gegenspielern Verheerungen angerichtet hatte; die schöne Mariette von Fontenoy setzte mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit einen Tausender nach dem andern; sie hatte ein ganzes Bündel gewonnener Scheine vor sich liegen. Liverdun, der Sportsmann, spielte sehr vorsichtig, hatte sich bei Verlusten bewundernswert in der Hand und lauerte angestrengt auf eine glückliche Wendung, wahrend Julius Harvey, den der Gewinn kalt ließ, der aber dankbar war für eine Stunde der Zerstreuung, jedesmal das Maximum von zwölftausend Franken auf den Tisch legte. Neben dem Bankhalter, der ernsthaft und mit müdem Ausdruck wie ein Mensch, der eine Amtspflicht erledigt, das Spiel leitete, saß André von Preigne. Er klammerte sich ebenso eigensinnig an Schwarz, wie der Schauspieler, der nur ein vorübergehender Gast war, schob aber die Päckchen blauer Scheine ohne alle theatralischen Gebärden, ohne sich das Ansehen zu geben, als ob er das Schicksal herausfordere, hin und her. Der Mißerfolg blieb sich standhaft gleich.

» Messierus, faites votre jeu...«

Der Schauspieler setzte mit weit ausholender Armbewegung zwei Goldstücke auf Rot, Mariette von Fontenoy zweitausend Franken auf Schwarz, André spielte das Maximum auf Rot.

»Les jeux sont faits. – Rien ne va plus,« leierte der Bankhalter.

Und dann, nachdem er die Karten abgezogen hatte: »Rouge perd et couleur.«

Der Croupier raffte mit seiner Harke das Geld des Schauspielers, die zwölf Tausender des Vicomte ein und schob Mariette zweitausend Franken hin.

»Zum vierzehnten Male Schwarz!« sagte der Schauspieler mit bitterem Lächeln.

»Zum fünfzehnten Male, mein Herr, Sie haben sich verzählt,« bemerkte André gelassen, indem er aufstand.

In diesem Augenblick wurde er Tristans gewahr, der ihn schon lange beobachtet hatte. Er lächelte ihm harmlos zu und streckte ihm die Hand hin.

»Ich hoffte dich heute noch zu sehen! Für den Fall, daß ich dich hier nicht treffen würde, nahm ich mir vor, dich in deinem Hotel aufzustöbern. Du spielst nicht? Du hast ganz recht.«

»Ach! Ich habe nur im Vorübergehen an der Roulette achthundert Franken eingeheimst.«

»Ja, achthundert Franken gewinnt man immer,« sagte André. »Erst, wenn man die festhalten oder vermehren will, fängt die Schwierigkeit an. Soll ich dir einen guten Rat geben? Geh in irgend ein Geschäft in Monaco, mache für achthundert Franken Einkäufe und setze keinen Fuß mehr hier herein.«

»Und du? Weshalb machst du nicht selbst Gebrauch von deiner Weisheit?«

»Ach, ich! Ich! Ich bin nun einmal ein Spieler! Ich kann mir das Leben gar nicht denken ohne Spiel! Es ist das Einzige, was mich noch daran interessiert. Was soll aus einem werden ohne Spiel? Die Leute, die nicht mehr spielen, bringen sich um. Ehrlich gesagt, der Spieler ist eben nichts als Spieler!«

Tristan betrachtete ihn ernsthaft.

»Dann sollten die Spieler sich eben mit dem Spiel begnügen, dessen gewaltigem Nervenreiz sie alles opfern, denn sie können ja, von der Gemütseite betrachtet, weder gute Freunde, noch brave Ehemänner, noch treu in der Liebe sein.«

»Da hast du sehr recht! Ein wahreres Wort ist noch nie gesprochen worden.«

»Und es veranlaßt dich nicht zum Nachdenken?«

»O doch, aber was ist da zu machen?«

Sie verließen das Kasino und gingen auf der herrlichen Terrasse über dem Meer auf und ab. Saint-Yrieix, der den Vicomte zu weiteren Auslassungen treiben wollte, blieb an die steinerne Brüstung gelehnt stehen und zwang den Freund, der einige Ungeduld verriet, auch innezuhalten.

»Höre einmal, André, es wäre gut, wenn du deine Gedanken etwas genauer ausdrücken wolltest. Du hast mir da einen erschreckenden Einblick eröffnet in das Leben, das du führst, und das die arme Annina mit dir führen muß ... Was? Das Opfer, das dir diese reizende Frau gebracht, dieses große, unumschränkte Opfer hat dich nicht vermocht, alles aufzubieten, um ihr das Glück zu sichern, das sie erhoffte, als sie alles hinter sich ließ, um dir zu folgen! Du hast damit doch eine große Verantwortung auf dich genommen, ernsthafte Verpflichtungen. Ich will ja glauben, daß du nicht der Mann bist, dich ihnen zu entziehen. Als du zugabst, daß Frau Trélaurier ihr Leben für dich in die Schanze schlug, so mußtest du doch überzeugt sein, daß deine Liebe ausreiche, um sie für alles zu entschädigen. Und da wirfst du denn ein paar Worte hin, aus denen ich nichts andres heraushöre, als daß für dich alles im Leben zurücktrete vor einer Leidenschaft, der verhängnisvollsten von allen, dem Spiel. Ja, was wird denn dabei aus der armen Frau? Was für ein Los bereitest du ihr? In was für ein Abenteuer hast du sie denn mit unglaublicher Leichtfertigkeit und Herzlosigkeit gelockt?«

André lehnte sich nicht auf gegen den harten Vorwurf, sondern versetzte, den Kopf traurig senkend: »Ich war ehrlich, Tristan, als ich's zuließ, daß Annina sich ganz mir schenkte, und ich bin es noch, wenn ich dir sage, daß ich sie liebe, soweit ich überhaupt zu lieben fähig bin. Aber ich kann mich vor dir nicht als sentimentalen Jüngling aufspielen und dir gegenüber nicht beteuern, was nicht vorhanden ist, ich zeige mich wie ich bin, ohne Heuchelei und Selbstbeschönigung. Jedes Wort ist ehrlich gemeint. Ich liebe Annina, wie ich nie zuvor ein Weib geliebt habe, ob das aber genügt, sie glücklich zu machen? Ich wünsche es von ganzem Herzen!«

»Ein nettes Los hat die Frau gezogen!« rief Saint-Yrieix, die Arme schlaff herabsinken lassend. »Sie setzt ihr ganzes Vertrauen in einen hübschen Jungen, der ihr ein Paradies versprach, und ihr besten Falls ein Fegefeuer, wenn nicht die Hölle bereitet! Eine nette Entdeckungsreise hat sie gemacht! Da kann man wirklich sagen, sie hat die Beute fahren lassen um des Schattens willen. Sie hatte einen vortrefflichen Gatten und läßt ihn im Stich, um einem erbärmlichen Liebhaber nachzulaufen! Liebhaber sind ja stets erbärmlich. Es geht im Leben nichts über die Regelmäßigkeit, und wenn man vom geraden Weg abbiegt, gelangt man immer an den Abgrund.«

»Nun, und du?« fragte André spöttisch.

Ich? Bei mir ist's ein ganz andrer Fall! Vor allen Dingen kann man sich kein Verhältnis denken, das aller Leidenschaft so bar wäre, als das zwischen Frau von Préjean und mir, wir kämpfen einfach gemeinsam gegen die Langeweile. Ferner ist sie sehr reich, und ich bin es auch, das sichert jedem unbedingte Selbständigkeit, weshalb es uns auch nie in den Sinn kommt, uns zu trennen. Des weiteren bin ich einer jener Alltagsmenschen, die niemand eine Enttäuschung bereiten, und dabei harmlos wie ein Kind. Von einem Laster nicht die Spur! Vorausgesetzt, daß man mir gestattet, das Dasein in Ruhe zu genießen, mache ich keine weiteren Ansprüche. Bemerke, mein lieber André, daß ich das Ideal des Ehemanns in seiner modernsten Gestalt darbiete, das heißt der gute Kerl bin, der nichts verlangt als gegenseitige Kameradschaft. Das sichert mir den Frieden; Frau von Préjean fände auf der Welt keinen besseren als mich, und das weiß sie auch. Ach, wenn du Annina ebenso genügen würdest! Hab' ich mich in der Frau getäuscht! Ich hielt sie für das nüchternste, hausbackenste Geschöpf, und als sie Frau Trélaurier geworden war, hatte ich geschworen, daß sie geschaffen sei, das Haus zu bewahren und Wolle zu spinnen. Um dieses Temperament aufzuwühlen, diesen Gletscher in einen Vulkan zu verwandeln, mußte aber auch ein Halunke wie du ihr in den Weg laufen. Nun ist's aber geschehen, und du hast die Sache auf dich genommen. Ob du indes immer sehr entzückt davon sein wirst, möchte ich denn doch bezweifeln. Die Last einer Frau ist nicht leicht, namentlich nicht für einen jungen Mann, der keine sicheren Hilfsquellen hat, wie du.«

»Annina wird sich nie einschränken müssen, sie ist selbst reich.«

Jetzt hatte Saint-Yrieix den Punkt erreicht, wohin er das Gespräch auf Umwegen hatte lenken wollen.

»Reich?« fragte er mit gemachtem Erstaunen. »Wer hat dir das gesagt?«

»Ja, sie hat doch seit einem Jahr ganz bedeutende Summen zu ihrer Verfügung ...«

»So? Da wird ihr Trélaurier wohl ihr väterliches Vermögen ausbezahlt haben, das übrigens keineswegs unerschöpflich ist, ihr dürft aber ja nicht die Kasse des Bankiers mit derjenigen Anninas verwechseln. Ich weiß nicht, ob sie rechnen kann, aber ich rate dir jedenfalls, dich nicht in eine Sicherheit einzulullen, die leicht trügerisch sein könnte,«

Diese Andeutung erschütterte den Vicomte sichtlich.

»Wenn's sein muß, werde ich für alles aufkommen,« rief er aufgeregt.

»Ach! Wenn du in der Weise, wie ich's vorhin sah, vom Glück geneckt wirst, so wird deine Börse nicht weit reichen, und der Haushalt, der auf deinen Spielgewinn angewiesen ist, tut mir im voraus leid.«

»Ich hatte anfangs viel Glück ...«

»Ihr lebt auf großem Fuß,« fuhr Tristan fort, ohne diesen Einwurf zu beachten.

»Durchaus nicht. Die Miete der Villa will nicht viel heißen, und wir haben an Dienerschaft nur unsre Leute aus Paris. Hier zu Lande könnte man wirklich Ersparnisse machen, und überdies haben wir seit unsrer Abreise immer in größter Zurückgezogenheit gelebt.«

»Ja, wohin kommen denn dann die bedeutenden Summen, von denen du sagst, daß Annina sie zu ihrer Verfügung habe?«

»Vermutlich sind sie in ihren Händen ...«

»Schön,« versetzte Saint-Yrieix mit gläubiger Miene, »dann bin ich ja über das Schicksal des lieben Kindes beruhigt. Mit Geld wickelt man sich immer wieder heraus. Außerdem weiß sie, daß sie auf mich rechnen kann, und ich bitte dich auch, sie gegebenen Falls daran zu erinnern.«

»Ja, wirst du sie nicht besuchen?«

»Ich fürchte, daß es ihr peinlich wäre. Solange sie mich nicht dazu auffordert, werde ich mich lieber fernhalten. Übrigens werden wir auch bald weiterreisen, Frau von Préjean und ich: wir wollen nach Genua.«

»Ach, ihr seid frei! Ihr lebt nicht in steter Angst vor dem Gerede der Welt. Annina hat nicht den Mut, sich irgendwo zu zeigen, denn sie betrachtet sich immer als eine Art von Paria, was das Leben außerordentlich schwierig macht.«

»Gewiß! Gewiß!« warf Saint-Yrieix ausweichend hin, »Dafür wird euch die ausschließliche, alles beherrschende Liebe zu teil, die große Trunkenheit der Leidenschaft, und das ist auch etwas! Das gelingt nicht jedem! Alle schwärmerischen Seelen seufzen nach diesen Wonnen.«

»Der Teufel hole die schwärmerischen Seelen!« rief der Vicomte mit einer Gereiztheit, die er nicht mehr beherrschen konnte. »Kein Mensch ahnt, zu wieviel Dummheiten der romantische Hang führt!«

»Ich nehme an, daß du nicht von persönlichen Erfahrungen sprichst?« sagte Tristan mit strengem Blick. »Wenn ich vermuten müßte, daß dir deine freiwillig gewählte Lage lästig sei, so würde ich Annina ohne Zögern darüber aufklären, gleichviel was daraus entstünde ...«

»Nein! Nein!« entgegnete der Vicomte lachend. »Es war nur eine allgemeine Bemerkung, und es steht fest, daß Annina und ich die bewundernswerte Ausnahme von der Regel bilden! Laß dir ja nicht einfallen, Unsinn zu schwatzen, ich mühte dich sonst ernstlich zur Rechenschaft ziehen.«

»Ich werde mich hüten, übrigens bin ich auch sehr befriedigt über alles, was ich von dir höre. Schließlich bin ich doch dein Freund und Anninas Vetter, gegen Trélaurier aber habe ich nicht die geringste Verpflichtung. Seid glücklich miteinander, mehr verlange ich nicht.«

Sie setzten nun ihren Spaziergang fort. Die Sonne versank hinter dem Schloß und mit der Dämmerung kam eine plötzliche Kühle.

»Ein herrliches Land,« bemerkte Tristan, »und wie schön es sein muß, gerade hier Herz an Herz zu leben.« »Ach, das wird stark übertrieben!« rief André. »Die Orangenbäume, die Rosen und der indigoblaue Himmel auf den Plakaten der Dampfschiffahrtsgesellschaften sehen ja recht verlockend aus, aber im Grunde macht einem die kosmopolitische Menschheit das Land unleidlich. Das Ganze ist nichts als eine luxuriöse und kostspielige Herberge, worin jedermann dem Spiel frönt. Kein Vergleich mit der lebendigen, anregenden Herrlichkeit unsers Paris! Diese Küste ist schön, das kann man nicht bestreiten, aber ihre Schönheit ist eintönig, gleichsam erstarrt, das Klima ist mild, aber wie arm an Reiz im Vergleich mit dem wechselvollen unsrer Champs Elysées! Ach, ich sage dir, fern von all dieser Bläue in einem kräftigen Platzregen mit aufgespanntem Schirm und aufgekrempelter Hose durch die Rue Royale in den Klub gehen und all den kleinen Dämchen begegnen, die sich hoch schürzen, um ihr hübsches Unterzeug zu zeigen, das ist Glückseligkeit!«

»Und dieser Glückseligkeit hast Du für immer den Rücken gekehrt, mein armer Junge!«

»Weshalb denn? Meinst du nicht, daß ich mit Annina nach Paris zurückkehren könnte?«

»Um öffentlich miteinander zu leben?«

»Ach, natürlich mit allen möglichen Rücksichten! Jedes in einer eigenen Wohnung! Kannst du dir das nicht denken?«

»Namentlich du scheinst es dir nicht denken zu können!«

»Ja, Annina wird sich nie dazu entschließen. In einer Situation, die an Korrektheit allerdings zu wünschen übrig läßt, hat sie sich trotzdem ein sehr seines Gefühl für das Dekorum bewahrt, und sie ist weit entfernt, sich gehen zu lassen, wozu ihre gegenwärtige Stellung die günstigste Gelegenheit bieten würde. Sie ist wirklich ganz und gar nicht für ein ungebundenes Leben geschaffen!«

»Ganz meine Meinung! Freut mich, sie durch dich bestätigt zu hören. Annina ist eine Frau, die über der Liebe ihre Pflicht vergessen konnte, aber ihr übriges Leben damit ausfüllen wird, es zu bereuen.«

Mit dieser psychologischen Erklärung drückte Tristan dem Vicomte die Hand. Sie hatten noch ein Zusammentreffen für den morgigen Tag verabredet, für heute aber trennten sie sich, und Tristan kehrte ins Hotel zurück. Nun war er über den Gemütszustand des Liebespaares so genau unterrichtet, als er nur wünschen konnte. Wunderlicherweise war der Vicomte also der Teil, der die Gesellschaft vermißte und den die Vereinsamung bedrückte, während die Frau in ihrer Liebe Genüge gefunden hätte. Aber wurde sie denn noch geliebt? Sie mußte auf den verschiedenen Stationen des durchlaufenen Wegs viele der Illusionen zurückgelassen haben, die sie mit so unwiderstehlicher Gewalt dahin getrieben hatten. Höchst wahrscheinlich war sie es, die ohne Andrés Wissen – vielleicht wußte er es aber auch – große Geldopfer brachte, um die Bedürfnisse des gemeinsamen Lebens zu bestreiten. Woraus bestanden diese Bedürfnisse? Wenn sie nur für eine behagliche und elegante Wohnung und Lebensführung zu sorgen hatte, ging es ja noch an, wenn aber auch noch Andrés persönliche Ausgaben ihr Budget belasteten, so war die Lage bedenklich.

Saint-Yrieix wußte genau, zu welchen Torheiten die Spielwut den Vicomte hinreißen konnte, auch die stolze Unkenntnis des Begriffs von Mein und Dein, die den Freund auszeichnete, war ihm genau bekannt. Hatte er eines Abends gründlich Pech, so war er der Mann, Geld zu nehmen, woher immer es kommen mochte, in der Selbsttäuschung, ja fast der Gewißheit, es am nächsten Tag mit Zinseszinsen zurückerstatten zu können. War er bei Annina schon dahin gekommen? Das war der dunkle Punkt, und es eilte Tristan nicht, Klarheit darüber zu erlangen. Die Enthüllungen, die er mittelbar und unmittelbar erlangt hatte, genügten, ihn in trübe Stimmung zu versetzen. Er sah Anninas Zukunft düster vor sich, denn sein Gefühl sagte ihm, daß die arme Frau das fragliche Glück, dem sie alles geopfert hatte, teuer bezahlen werde.

Als Frau von Préjean von Kap Martin zurückkam, fand sie den Freund trübselig in dem Wohnzimmer sitzend, das ihre Gemächer trennte. Sie kam, vom Wind gepeitscht, von der Bewegung erfrischt, in rosiger Stimmung an, aber schon bei Saint-Yrieix' ersten Worten legte sich ihr Übermut. Sie setzte sich zu ihm und ließ sich alles ernsthaft erklären. Er wiederholte Wort für Wort, was André ihm anvertraut hatte, und zog aus seiner Kenntnis von dessen Charakter weitere Schlüsse. Frau von Préjean schoß mit den ihrigen in gewohnter Schnelligkeit übers Ziel und hielt Tristans Befürchtungen schon für erwiesene Tatsachen.

»Die arme Annina ist verloren!« rief sie verzweifelt aus. »Dieses Ungeheuer wird sie zu Grunde richten und dann im Stich lassen.«

»Sachte, sachte! Laß deiner Phantasie nicht die Zügel schießen! Noch ist die Sache nicht unwiderruflich verpfuscht, und ich hoffe, daß noch alles gut werden kann ...«

»Aber wie denn?«

Tristan dachte eine Weile nach.

»Wenn das Glück doch nur wollte, daß Preigne auf der Stelle täte, was er deiner Meinung nach später doch tun wird! Wenn er Annina verließe ...«

»Sie würde daran sterben.«

»Das fragt sich!«

»Du stellst dir vor, daß eine Frau, die alles aufgegeben hat, um einem Mann zu folgen, die Gleichgültigkeit dieses Mannes überleben könne?«

»Das kann ich mir sehr wohl vorstellen.«

»Frauen haben weder die scheußliche Gefühllosigkeit, noch die häßliche Selbstsucht der Männer.«

»Angenommen, daß die Männer verabscheuungswürdig sind, so ist das nur ein Grund mehr, nicht an der Trennung von ihnen zu sterben.«

»Nicht der Verlust des Mannes, der Verlust unsrer Illusionen bricht uns das Herz!«

»Mein Gott! Wie verkehrt von den Frauen, sich solche Illusionen über den Mann zu machen! Man sollte sich alle Mühe geben, über nichts Illusionen zu haben!«

»Gegen alles gleichgültig sein und nur sein eigenes Ich anbeten, nicht wahr? Auch da blühen Enttäuschungen schwerster Art. Denn hat man sich eingebildet, ein erhabenes Wesen zu sein, einzig in seiner Art und ungemein wertvoll, so wird man meist eines Tags innewerden, daß man auch nur ein beschränkter Mensch ist ohne höhere Gnade, eines von den Millionen von Exemplaren, die zusammen das Heer der Dummen bilden!« »Glücklich die Dummen! Ihnen macht die Galle nicht zu schaffen, sie haben keine verzehrende Einbildungskraft, die ihnen gestattet, die unheilvollen Folgen von Ereignissen, die vielleicht gar nicht eintreten, greifbar vor sich zu sehen und über eingebildetes Unglück in Verzweiflung zu geraten.«

»Das gilt wohl mir?«

»Allerdings, meine Liebe, es gilt dir und auch mir selbst. Du bist die beklagenswerte Schlüssezieherin, ich der glückliche Dummkopf, der sich nicht aufregt.«

»Saint-Yrieix, du wirst mit deiner Rücksichtslosigkeit nachgerade unausstehlich.«

»Rücksichtslosigkeit ist nun einmal meine Spezialität.«

»Wir werden uns entzweien ...«

»Das wäre nicht das erste Mal.«

»Ich werde dich einfach sitzen lassen!«

»Das würdest du zu sehr bereuen!«

»Machst du dich über mich lustig?«

»Ja.«

Er bekam einen Backenstreich, doch gelassen bot er die andre Wange hin.

»Wenn das dein Herz erleichtert, nur zu! Und da behauptet man, die Männer schlügen die Frauen. Willst du mich jetzt ruhig anhören?«

»Du bringst ja nur Abgeschmacktheiten vor!«

»Nun, so höre auch die noch an, das ist alles, was ich verlange. Wenn das Glück wollte, daß Preigne Annina morgen verließe, so wäre es nur zu ihrem Heil. Du sagtest doch, sie sei nie hübscher gewesen als jetzt?«

»Eine lebendige Blume!«

»Nun gut. Ich für mein Teil bin überzeugt, daß Trélaurier niemals verliebter war als jetzt ... Man würde es so einrichten, daß sie sich sprechen, sie würden André vergessen und die Rettung wäre vollbracht.«

»Du glaubst, daß ein Mann wie Trélaurier über den Schimpf hinwegkäme, der ihm angetan worden ist?«

»Das hängt von den Umständen ab, unter denen sich die Gelegenheit zum Verzeihen darbietet. Würde sich die Schuldige im Triumph ihrer sieghaften Schönheit sonnen, so müßte man ihn ja für einen Schwachkopf halten, wenn er sich über die Kränkung hinwegsetzte, ist sie aber ein gedemütigtes, armes, verschmähtes Opfer, so gewinnt er nur, wenn er' sich barmherzig zeigt. Im Leben kommt alles auf die Nuancen an. Eine Sünderin in Himmelblau ist unerträglich, in Braun oder Perlgrau wirkt sie rührend.«

»Tristan, du bist ein Ungeheuer.«

»Wirklich? Ich dachte, ich sei der strohdumme Egoist?«

»Möglich, daß du beides vereinigst. So dumm, wie ich sagte, bist du freilich nicht.«

»Ob du es sagst, gilt gleich, wenn du's nur nicht glaubst.«

»Nun, und was kann ich tun, um zu dieser Rückkehr in die Heimat beizutragen?«

»Den Mund halten und automobilfahren, aber wohlgemerkt ohne mich! Das wirst du ja einsehen, daß ich nicht zu gleicher Zeit deine Freundin retten und mich auf der Landstraße herumtreiben kann.«

»Und wenn es dir nicht gelingt, sie zu retten?«

»So habe ich wenigstens meine Ruhe gewonnen.«

»Da kommt der Egoist wieder zum Durchbruch.«

Die Tischglocke ertönte. Die beiden zogen sich in ihre Zimmer zurück, um sich zur Tafel umzukleiden.

Schluß des ersten Bandes.


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