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Zweites Kapitel.

Das Schloß Badonviller, das drei Kilometer von Lehrange entfernt auf einer Anhöhe liegt, ist ein wundervoller Herrschaftsfitz im Stile Ludwigs XIII., umgeben von einem herrlichen Park, wo Tannenbestände mit Buchen und Eichen abwechseln. Das dazu gehörende Landgut besteht aus fünf bedeutenden Pachthöfen, sowie aus sechshundert Hektar Forst, der sich an den Hayewald anschließt und sehr reich an Hochwild ist. Wildschweine und Hirsche kommen aus den Waldungen der Hart bis in die Ardennen und frischen dadurch fortgesetzt den Wildstand von Badonviller auf. In den Ebenen wimmelt es von Hasen und Rebhühnern. Allein die Nähe der Grenze erschwert die Überwachung, so daß die vier Jagdaufseher stets Augen und Ohren offen haben müssen. Didelod ist zwar ein großer Freund der Jagd, allein seine vielerlei Beschäftigungen erlauben es ihm nicht, sich ihr viel zu widmen. Dafür werden dann im Herbst vier Treibjagden abgehalten, wozu Minister, Abgeordnete und einige wirklich gute Schützen – damit die nötige Anzahl Wild zur Strecke kommt – aus Paris nach Lehrange eingeladen werden. Moritz Didelod ist der einzige, der die Jagd von Badonviller in vollen Zügen genießt.

Dieser junge Mann von fünfundzwanzig Jahren, der dem Sport leidenschaftlich huldigt, scheint zum großen Kummer seines Vaters nicht dazu angetan, in industrieller Hinsicht die Dynastie der Didelods fortzupflanzen. Er sowohl als auch seine Schwester Laurence, die beide von einer religiösen, aus aristokratischer Familie stammenden Mutter erzogen worden sind, haben sich die radikalen Ideen des Abgeordneten von Lehrange durchaus nicht zu eigen gemacht. Mit der der neuen Generation eigenen Respektlosigkeit zieht Moritz die humanitären Schöpfungen seines Vaters gerne ins Lächerliche und scheut sich keineswegs, sie in dessen Gegenwart zu verspotten. Er ist Mitglied der drei reaktionärsten Klubs von Paris, dem der »Rue Royale«, der »Union« und des »Epatant«, und wartet geduldig, bis er einmal würdig sein wird, sich im »Jockey« zu präsentieren, wo man auch jetzt noch nicht wie der »Esel in die Mühle« hineinkommt. Bei besonderen Anlässen hat sich Moritz seinem Vater gegenüber eine Redensart angewöhnt, die diesen in helle Wut zu versetzen pflegt: »Papa, wenn du erst Präsident der Republik bist.« Jene besonderen Anlässe aber sind gewöhnlich die, wo ihm Didelod, der seinen Sohn ziemlich knapp hält, einen Betrag verweigert, den dieser zur Wiederherstellung seines finanziellen Gleichgewichts braucht.

Als gutmütiger Junge nimmt Moritz die väterlichen Verwarnungen mit Gleichmut auf und läßt das Unwetter vorüberziehen. Findet er aber, daß es zu lange anhält, dann führt er dessen Ende mit Hilfe seines berüchtigten Ausspruchs herbei: »Papa, wenn du einmal Präsident der Republik bist, dann kannst du es doch nicht zulassen, daß ich von Lieferanten gedrängt werde.« Sofort braust der Abgeordnete auf, und seinen Sohn wutentbrannt ansehend, ruft er aus: »Herrgott, ist dieser Junge albern! Eines schönen Tages sagt er das auch mal vor Fremden, und am nächsten Morgen steht es in den Zeitungen!« – »Dann gib mir, um was ich dich bitte.« Und Didelod bezahlt. Im Grunde aber ist der Großindustrielle stolz auf diesen hübschen jungen Mann, der in der großen Welt den Namen der Familie Didelod mit Glanz repräsentiert. Denn eigentlich findet er es ganz natürlich, daß die Didelods vom Vater auf den Sohn sich abgeplagt haben, damit der elegante Moritz ganz seinem Vergnügen leben könne. Einem seiner Kollegen in der Kammer, der mitleidigen Tons zu ihm sagte: »Na, wie steht's mit Ihrem Sohn? Tut der denn wirklich gar nichts? Das muß für einen solch tätigen Mann wie Sie ein rechter Kummer sein!« ... dem hatte er fast schroff entgegnet: »Ich bin nur auf meinen Vater gefolgt, mein Sohn aber folgt auf mich. Das ist etwas ganz andres!«

Immerhin aber stand die Tochter seinem Herzen weit näher. Erkannte er doch in diesem schlichten, praktischen, tätigen Mädchen sich selbst wieder: sie war eine echte Didelod. Von ihm hatte sie die blauen Augen und blonden Haare, sowie die etwas untersetzte, gedrungene Gestalt. In ihrer Kinderzeit hatte er sie »Ponychen« genannt. Später, als sie die Zwanzig erreicht hatte, bildete sie mit ihrer kleinen, aber kräftigen Gestalt sowohl in physischer wie in moralischer Hinsicht einen auffallenden Gegensatz zu dem großen, schlanken, brünetten Bruder. Sie hatte einen feinen künstlerischen Geschmack und übte die Malerei und Bildhauerkunst mit wirklichem Talent aus. Auch ihr Stil war reizend, so daß ihr Vater, während er in Badonviller war, es nie versäumte, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn er eine Rede vorzubereiten oder irgend eine wichtige schriftliche Arbeit zu machen hatte. Sie verstand es weit besser, auf seine Ideen einzugehen als sein Sekretär oder der Chefredakteur des »Echo«. Nur eines bedauerte er schmerzlich: Laurence teilte nämlich seine Ansichten über die soziale Evolution durchaus nicht, sondern hielt die Theorieen, die er im Einverständnis mit seiner Partei verfocht, für die reinste Utopie. Dies gab denn auch fortgesetzt Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Vater und Tochter, und mit lächelnder Festigkeit widerstand Laurence auch den begeistertsten Auseinandersetzungen über die Schönheit des Gleichheitsregimes.

Was nun Frau Didelod anbelangt, so war sie nicht besonders gern in Lehrange, da sie sich fern von Paris überhaupt wie in der Verbannung vorkam. Im übrigen herrschte vollkommene Harmonie in der Familie. Die Kinder hingen mit großer Liebe an den Eltern, zwischen denen das beste, herzlichste Verhältnis bestand. So bot das Haus Didelod, abgesehen von den kleinen persönlichen Schwächen der einzelnen Mitglieder, das Bild höchster Ehrenhaftigkeit. Es gehörte zu den einflußreichsten der Pariser Gesellschaft. Frau Didelod, die an allen von der Aristokratie ins Leben gerufenen Wohltätigkeitsveranstaltungen beteiligt war, zog durch ihr luxuriöses Haus und die glänzenden Feste, die sie zu geben verstand, die hochstehendsten Persönlichkeiten der vornehmen Welt in ihren Kreis, während Didelod durch seine industrielle und parlamentarische Stellung ihr die hervorragendsten Männer aus den finanziellen und politischen Kreisen zuführte.

Das im Faubourg Saint-Honoré gelegene Palais Didelod hatte einen auf die Avenue Gabriel gehenden wundervollen Garten. Dort im Schatten der alten Bäume Pflegte Frau Didelod jedes Frühjahr ihren Bekannten glänzende Gartenfeste zu geben, die in allen Tagesblättern eingehend geschildert wurden. Reich, geachtet, gesund und einträchtig miteinander lebend, besaßen Didelods eigentlich all das, was eine gewisse Garantie fürs Glücklichsein bietet, und hätten sie diese Vorzüge nicht so bescheiden genossen, würden sie leicht den heftigsten Neid ihrer Bekannten erregt haben. Tatsächlich fühlten sie sich auch vollständig glücklich. Übrigens hatten sie in ihrem lothringischen Exil, wie Frau Didelod ihren Landsitz Badonviller nannte, immerhin etwas Ansprache durch den Verkehr mit den großen Gutsbesitzern des Bezirks; und mit Frau von Berlier verband Frau Didelod sogar eine alte Jugendfreundschaft. Das von dem Marquis und der Marquise von Verlier bewohnte Schloß Fleurance war nur durch ebenes Land von Badonviller getrennt, und in ihrer ganzen Länge stießen die beiden Besitzungen aneinander. Herr von Berlier war nicht Jäger, und sein Sohn Maxime, der als Leutnant bei einem Dragonerregiment stand, kam natürlich nur vorübergehend nach Fleurance. Somit stand die ganze Berliersche Jagd den beiden Didelods zur Verfügung. Der Wildstand in Wald und Feld wurde immer reicher und bot Moritz, sowie den Gästen seines Vaters ein ideales Jagdrevier. Die Bewohner von Badonviller und Fleurance befanden sich denn auch in ununterbrochenem Verkehr und vertrugen sich, solange nicht von Politik die Rede war, vortrefflich.

Didelod hatte es indes vermöge seines Einflusses beim Kriegsminister erreicht, daß die Dragonerbrigade, die in Lehrange stand, mit einer andern in Lille vertauscht wurde. Einem der Regimenter der Liller Brigade gehörte nun aber der Leutnant Maxime von Berlier an, und so kam es, daß die Marquise ihren Sohn jetzt während des ganzen Sommers in ihrer Nähe hatte. Die Anregung zu diesem Garnisonwechsel war indes von Laurence Didelod ausgegangen. Das junge Mädchen war mit Maxime von Berlier, dem Kindheitsgespielen ihres Bruders, aufgewachsen, und nicht nur um der Marquise, sondern ebenso sehr um ihrer selbst willen hatte sie ihren Vater bestimmt, um die Verlegung der beiden Brigaden zu bitten. Didelod, der sich freute, Frau von Berlier einen Gefallen tun zu können, würde es vielleicht weniger eilig gehabt haben, den Wunsch seiner Tochter zu erfüllen, wenn er die geheimen Beweggründe geahnt hätte, die sie veranlaßten, das Regiment, bei dem Maxime diente, in die Nähe von Badonviller zu bringen. Allein er hatte keinerlei Verdacht geschöpft, und Laurence war es wieder einmal gelungen, den Abgeordneten von Lehrange an der Nase herumzuführen.

An demselben Tage, wo Didelod gleich nach dem Gabelfrühstück zum Rathaus gefahren war, um Tournemarie die phantastischen Streikideen auszutreiben, schleuderten Laurence und Maxime gegen zwei Uhr nachmittags lebhaft plaudernd in dem schönen Garten à la française auf und ab, der die Terrasse des Schlosses Badonviller von dem dichten Gehölz des Parkes trennte. Moritz war nach dem Pachthof Ronceux geritten, wo er auf den von der Verveille bespülten Wiesen einige Pferde züchtete. Frau Didelod schrieb in ihrem kleinen Salon, mochte vielleicht auch am Schreibtisch vor ihrem Briefbogen ein Nickerchen machen. Gemächlichen Schrittes gingen der junge Offizier und Laurence auf und ab.

»Ich finde, daß Ihr Vater ganz anders ist als bei seinem letzten Aufenthalt hier,« sagte Maxime.

»Wieso ganz anders – gegen Sie?«

»Ja; mir macht es den Eindruck, als hätten sich während der letzten Session in Paris seine Gesinnungen gegen mich verändert. Früher schien er mich ganz gern zu haben. Heute möchte ich darauf schwören, daß er irgend ein Vorurteil gegen mich gefaßt hat.«

»Hat er etwas Unfreundliches zu Ihnen gesagt?«

»Nein, nein, keine Rede. Er ist ganz liebenswürdig, aber doch anders als sonst. Man fühlt, daß seine Freundlichkeit nur Schein ist, und daß er im Grunde ...«

»Was für Hirngespenste! Machen Sie doch keine psychologischen Studien. Sie sind ja, gottlob, kein Romanschreiber.«

»Nein, Dragonerleutnant bin ich, und ich frage mich, ob an diesem jähen Sturz von der Leiter seiner Gefühle nicht meine Uniform die Schuld trägt. Die Armee steht im Hause Ihres Vaters nicht auf der Tagesordnung.«

»Wenn das wirklich der Fall wäre, so müßten Sie jedenfalls einige mildernde Umstände gelten lassen, denn wo mein Vater hier geht und steht, sieht er nichts als Soldaten. In Lehrange hält das sechste Korps mit seiner Infanterie und Kavallerie seine Übungen ab, von der Artillerie gar nicht zu reden. In Steingel wimmelt es von den Eskadronen, Bataillonen und Batterieen des deutschen Korps. Man muß gerecht sein. Für jemand, der nicht gerade Vollblutmilitär ist, hat diese Umgebung nichts besonders Erfreuliches. Und Sie wissen ja doch, daß Papa ein leidenschaftlicher Anhänger der Abrüstung und des Friedenskongresses im Haag ist. Nun, da verdrießt es ihn eben ein wenig, in seinem eigenen Garten eine Dragoneruniform neben einem hellen Kleide, wie seine Tochter sie zu tragen pflegt, einhergehen zu sehen. Sie dürfen sich nicht allzu sehr darüber wundern.«

»Wie aber denkt das weiße Kleid von der Dragoneruniform?«

»O, mit der Uniform ist es eine eigene Sache. Man geht mit ihr spazieren, und das ist schon etwas.«

»Findet man aber auch ein klein wenig Vergnügen daran?«

»Wenn es nicht so wäre, würde man es nicht tun.«

Maxime von Berlier ergriff Fräulein Didelods Hand.

»Sie, Laurence, sind also nicht anders geworden? Wie Sie im Januar gedacht haben, so denken Sie auch im Juli noch?«

»Ja, Maxime, so denke ich immer noch.«

»Sie raten mir also, mich zu gedulden und zu bleiben?«

»Wieso bleiben? Hatten Sie denn im Sinn fortzugehen?«

»Ja, ich gebe es zu. Gestern abend habe ich mir die Sache allen Ernstes überlegt und dann den Entschluß gefaßt, mit Ihnen zu reden, wie ich es soeben getan habe. Wenn Sie sich nicht so bestimmt ausgesprochen hätten, würde ich eine Versetzung, die mir angeboten worden ist, angenommen haben und wäre nach Algier gegangen.«

»Das hätte Ihrer Mutter aber schweren Kummer bereitet.«

»Ja, für meine Mutter wäre es schmerzlich gewesen, für mich aber noch viel mehr. Denn wissen Sie, in der traurigen, unsicheren Lage, in der wir Soldaten uns befinden, brauchen wir notwendig eine moralische Stütze. Sonst ist es besser, man nimmt seinen Abschied und zieht sich ins Privatleben zurück. Bedenken Sie nur, was es für einen Gemütsmenschen, der all seine Kräfte, all sein Denken dem Vaterland widmet, heißen will, sich sagen zu müssen, daß man gerade bei denen, die einen ermutigen und unterstützen sollten, auf Mißtrauen stößt? Ja, so weit ist es mit uns in der Armee gekommen, daß wir von einer Regierung, die wir zu verteidigen berufen sind, im Stich gelassen werden. Alles was man uns Schönes sagt, klingt unaufrichtig, alles, was man für uns tut, erweckt Mißtrauen. Kommt eine hohe Persönlichkeit vom Ministerium zu uns, um unsre Arsenale, unsre Exerzierplätze und unsre Kasernen zu besichtigen, so merken wir an ihrem ganzen Verhalten, daß der Zweck ihres Kommens nur darin besteht, irgend etwas Ungehöriges zu entdecken. Mit inquisitorischer Miene tritt der Betreffende auf, als wolle er sagen: ›Wehe euch, wenn ihr auf frischer Tat ertappt werdet!‹ Aber er ertappt uns niemals, weil es bei uns eben nichts zu ertappen gibt. Wir tun einfach unfern Dienst so gut und so gewissenhaft als möglich. Das hindert aber nicht, daß die Herren von der Regierung heimlich gemeinsame Sache mit den Umstürzlern machen, gegen die wir sie doch beschützen, so daß bei einem Straßenkrawall, wo wir mit Steinen bombardiert werden, gegen die wir uns nicht wehren dürfen, wir Rasenden gegenüberstehen, die sagen: ›Ach was, ohne diese verfluchten Soldaten würden wir der Regierung bald den Garaus machen!‹ Und hinter uns murmelt die Regierung: ›O, diese rohen Säbelraßler! Wenn wir ihnen nicht Arme und Beine festbänden, würden sie die armen Aufwiegler, die eben doch unsre Wähler sind, zu Brei zermalmen!‹«

Fräulein Didelod schüttelte den Kopf.

»Sie übertreiben, aber etwas Wahres liegt allerdings in dem, was Sie da sagen. Die schwierige Lage, in der Sie sich befinden, rührt von dem Konflikt zwischen der Tendenz der gegenwärtigen Regierung, die revolutionären Ursprungs ist, und zwischen der zwingenden Notwendigkeit einer Autorität, die die Ordnung aufrecht erhält, her. Ordnung wird aber nur durch Macht, das heißt durch das Militär aufrecht erhalten. Daher die Widersprüche zwischen Handlungen und Worten. Die Regierung muß eigentlich ein Doppelspiel treiben, denn mit dem Wort ist sie gegen, und mit der Tat für die Aufwiegler.«

»Wie scharfsinnig Sie die Sache durchschauen!« rief Maxime lachend.

»Ach, ich höre ja nichts andres von früh bis spät! Es ist der ewige Streit zwischen den Eltern. Mama, die reaktionär ist, und Papa, der ...« Sie hielt inne, machte eine etwas respektwidrige Gebärde und fuhr dann fort: »Aber, welche politische Richtung kann man im Grunde wohl haben mit Papas Vermögen, seiner Bildung und der festen Absicht, die Majorität für sich zu haben, um Minister, Ministerpräsident, Kammerpräsident und, wie mein Bruder sagt, wenn er Papa steigen lassen will, Präsident der Republik zu werden.«

»Das heißt den Mund vollnehmen!« rief Maxime.

»Na, die Bahn ist ja frei. Ein Handicap ist es, und zwar ein etwas gemischtes.«

»Ach, Laurence, Sie rauben mir ja alle Hoffnung!« rief der junge Mann. »Wie könnte ich in meiner Lage wohl erwarten, von Ihrer Familie günstig ausgenommen zu werden?«

»Sorgen Sie sich nicht darum. Mama ist auf unsrer Seite, ebenso Moritz ...«

»Aber Ihr Vater?«

»Papa? Das ist gleichsam meine Regierung, die ich, wenn nötig, interpellieren werde. Sie wird sich rechtfertigen, wenn sie kann. Dann wird abgestimmt, und wenn die Vertrauensfrage gestellt wird, stürzt man sie.« Sie lachte gutmütig, und Maxime die Hand reichend, fügte sie hinzu: »Beunruhigen Sie sich nicht. Tun Sie Ihren Dienst, trachten Sie danach, bald Rittmeister zu werden, und verlassen Sie sich im übrigen auf mich.«

Als die beiden nun wieder dem Schlosse zugingen, sahen sie von der Terrasse aus auf der Straße von Lehrange einen Wagen in scharfem Tempo heranfahren.

»Was hat denn das zu bedeuten? Es ist erst zwei Uhr, und Papa kommt schon nach Hause? Er ist übrigens nicht allein. Wer nur bei ihm sein mag? – Herr Neumans ist es – etwas ganz Abnormes. Kommen Sie, wir wollen den Herren entgegen gehen.«

Die jungen Leute hatten inzwischen den großen Schloßhof erreicht und blieben nun oben auf der Freitreppe stehen, während Didelod ausstieg und von Neumans begleitet mit auffallender Hast die Stufen Hinaufstieg. Der Abgeordnete sah den jungen Offizier kaum an, sondern reichte ihm nur mit einem zerstreuten: »Guten Tag, Maxime«, flüchtig die Hand und sagte dann, sich an den Möbelfabrikanten wendend: »Kommen Sie, Herr Neumans, wir wollen in mein Arbeitszimmer gehen.«

»Hast du keinen Wunsch, Papa?« fragte Laurence.

»Laß, bitte, Bier hinaufbringen. Es ist heiß, und Herr Neumans und ich haben miteinander zu reden ... vielleicht sogar lange.«

Und Herrn Neumans, der Fräulein Didelod aufs ehrerbietigste begrüßte, den Vortritt lassend, ging der Abgeordnete durch das große, mit hohen Wandteppichen geschmückte und mit pompösen Louis-Quatorze-Fauteuils möblierte Vestibül in sein Arbeitszimmer. Dort forderte er den Möbelfabrikanten auf, Platz zu nehmen, und sich neben ihn setzend, sagte er: »So, Herr Neumans, jetzt, da wir ungestört sind, wollen wir mal von unsern geschäftlichen Angelegenheiten reden. Ich habe Tournemarie gesprochen.«

»Das ist eine Ehre, die Sie vor mir voraus haben, Herr Abgeordneter. Ich verkehre nämlich nicht mehr mit ihm, und habe deshalb auch auf seine Mitarbeit verzichtet.«

»Sind Sie da nicht am Ende etwas schroff vorgegangen?«

»Es war eine Frage der Disziplin, Herr Didelod. Hätte ich nicht ein Exempel statuiert, so wäre der Betrieb meiner Fabrik sofort zurückgegangen. Die Arbeiter lauerten darauf, was ich tun würde, und hätte ich klein beigegeben, so wäre mir das als Schwäche ausgelegt worden. Ich habe eine Menge Pariser in meiner Fabrik, die zwar außerordentlich intelligent und geschickt, aber auch rechte Hitzköpfe sind. Hätte ich ihnen nicht sofort einen Riegel vorgeschoben, so wären sie mir in meinen Werkstätten nur zu bald über den Kopf gewachsen. Das aber dulde ich nicht, werde ich niemals dulden.«

»Ich glaube, wenn Sie sich mit Tournemarie einigten, wäre bald alles wieder im reinen.«

»Und in einigen Monaten würde der Tanz von vorn anfangen, Herr Abgeordneter. Jedes erreichte Zugeständnis wird den Arbeitern zum Ausgangspunkt für eine neue Forderung dienen. Sie wissen, wie die Industrie hier in dieser Gegend betrieben wird, und wie sehr wir auf das materielle Wohl der Arbeiter bedacht sind. Aber all das ist jetzt vergessen. Nur noch davon ist die Rede, was weiter erreicht werden könnte. Mit einem undankbaren Pack haben wir es zu tun.«

»Nein, mit Leuten, die nicht glücklich sind.«

»Ach was, nicht glücklich! Ich bin in meiner Jugend selbst auch Arbeiter gewesen und kann ihre Lage an der abmessen, mit der ich mich einst abgefunden habe. Was für ein Unterschied! Die Löhne haben sich verdoppelt.«

»Das Leben ist aber auch teurer geworden ...«

»Nicht im gleichen Verhältnis, ganz abgesehen von den Wohltätigkeitsanstalten, die Sie gegründet haben. Und überhaupt, das ist Nebensache! Es handelt sich gar nicht um eine Lohnfrage, denn meine Arbeiter hier sind ganz zufrieden. Sie streiken nur, um einem ausgegebenen Losungswort zu gehorchen.«

»Wissen Sie das gewiß?«

»Ja, ganz gewiß. Sie können sich wohl denken, daß nicht alle meine Arbeiter gerne die Fabrik verlassen haben. Im Gegenteil. Mit Ausnahme von etwa zwanzig Hitzköpfen, die es mit Tournemarie halten, sind meine Arbeiter nur gezwungen ausständig geworden. Einige, die ich gesprochen habe, sagten zu mir: ›Herr Neumans, es tut uns leid, aber die Solidarität verlangt es.‹ Da haben Sie es. Aus Solidarität streiken sie. Und nur unter der Bedingung wollen sie die Arbeit aufnehmen, daß ich Tournemarie wieder anstelle, diesen Kerl, der sie zum Ausstand verleitet hat und der mir Trotz bietet.«

»Aber ich bitte Sie, Herr Neumans, Sie können es diesen Leuten doch nicht als Verbrechen anrechnen, wenn sie ihre Kameraden nicht im Stich lassen wollen. Es ist sogar eine recht anständige Gesinnung, die sich da äußert. Um so mehr, als die meisten kaum zwanzig Franken in ihrer Schublade haben und in acht Tagen am Hungertuch nagen werden.«

»O nein, denn noch am Abend vor Ausbruch des Streiks sind ihnen aus der allgemeinen Streikkasse zwölfhundert Franken ausbezahlt worden. Offenbar legt man der in Lehrange ausgebrochenen Bewegung große Bedeutung bei.«

»Aus welchem Grunde? Weiß man denn nicht, wer ich bin?«

Neumans' Lippen verzog ein Lächeln, das dem Abgeordneten das Blut ins Gesicht trieb.

»Jawohl,« wiederholte dieser mit Nachdruck, indem er sich hoch aufrichtete, »weiß man denn nicht, was für einen Einfluß ich auf die Arbeiter dieses Bezirks ausübe?«

»Herr Didelod,« entgegnete der Möbelfabrikant bescheiden, »vorläufig handelt es sich ja bloß um mich.«

»Wieso vorläufig?« rief der Abgeordnete. »Halten Sie es denn für möglich, daß die Streikbewegung sich weiter ausdehnen könnte? Wissen Sie auch, Herr Neumans, daß im ganzen Bezirk Lehrange seit dreißig Jahren nicht ein einziges Mal der Versuch gemacht worden ist, die Arbeit einzustellen?«

»O ja, das weiß ich recht gut, und ich weiß auch, daß durch die besondere Lage Ihrer Werke, die es Ihnen ermöglicht, Ihre Bestellungen den Steingelschen Werken zu übergeben, falls in Lehrange die Arbeit eingestellt werden sollte, Ihren Arbeitern ein Streik sehr erschwert würde. Aber ich gebe mich keiner Täuschung darüber hin, wieweit von den Leuten, die durch Sie und mich ihren Lebensunterhalt verdienen, Rücksicht oder Dankbarkeit zu erwarten ist.«

»Die Arbeiter, Herr Neumans, sind uns nichts schuldig,« entgegnete der Abgeordnete in fast schroffem Tone. »Sie geben uns ihre Arbeit, wir ihnen unser Geld. Damit sind wir quitt. Aber diese Gleichstellung entbindet uns nicht von den Verpflichtungen, die wir der Masse gegenüber eben dadurch auf uns genommen haben, daß wir sozial höher stehen. Uns kommt es zu, die Klügeren, die Geduldigeren und die Großmütigeren zu sein. Und dazu ermahne ich Sie jetzt im allgemeinen Interesse, aber auch in Ihrem eigenen. Der Haß ist eine böse Sache, Herr Neumans; man darf ihn nicht Wurzel fassen lassen. Er gleicht einer Feuersbrunst, die man im Keim ersticken muß, damit sie nicht um sich greift. Sie haben das Recht auf Ihrer Seite, ein Grund mehr für Sie, Zugeständnisse zu machen.«

»Mit solchen Theorieen könnte man weit kommen!«

»Ich würde sie vorkommenden Falles sicherlich anwenden.«

»Herr Didelod, der Wunsch, Sie möchten Gelegenheit dazu haben, wäre Torheit, denn ein Streik bei Ihnen würde furchtbare Komplikationen herbeiführen. Aber es bliebe abzuwarten, was aus Ihren Theorieen würde, wenn Sie mit den Umstürzlern zu tun bekämen. Glauben Sie mir, die Bewegung, die sich heute zeigt, hat nichts mit den hiesigen Arbeitsverhältnissen zu tun. Es handelt sich nicht darum, das Los der Arbeiter zu verbessern, sondern einen Chef unterzukriegen. Die Kundgebung ist nicht korporativ, sondern politisch. Die Leute, die handeln, sind in Lehrange, die, die befehlen, in Paris.«

»Wie, Sie glauben, die Strömung gehe von der Allgemeinen Arbeitergenossenschaft aus? Darüber will ich schon ins reine kommen, und zwar sofort. Ich stehe ja mit dem ganzen Stab der Arbeitersyndikate in Verbindung. Die Parteiführer sind meine politischen Gesinnungsgenossen und meine Freunde.«

»Nun denn, Herr Didelod, Sie werden Gelegenheit genug finden, den Wert Ihrer Freunde kennen zu lernen,« entgegnete der Möbelfabrikant kalt. »Zwischen diesen frechen Strebern und Ihnen kann es nichts Gemeinsames geben. Die wollen Ihnen einfach Ihren Sitz im Abgeordnetenhaus, Ihre Fabrik und Ihr Vermögen nehmen. Wenn Sie Rücksichten von denen erwarten, so sind Sie gewaltig auf dem Holzweg. Diese Leute werden Sie einfach dazu benützen, um selbst zu Macht zu gelangen, und die erste Anwendung dieser Macht wird darin bestehen, Ihnen das Fell abzuziehen. Noch vor mir wird es Ihnen an den Kragen gehen, weil ich im Vergleich zu Ihnen nur ein armer Teufel bin, Sie aber ein mächtiger Herr sind. Diesen Kerls fällt es doch nicht ein, deshalb eine Ausnahme zu Ihren Gunsten zu machen, weil Sie mit ihnen getafelt und schöne Reden ausgetauscht haben! Sie sind Kapitalist, das genügt. Und alle Kapitalisten vom größten bis zum kleinsten sind ›Diebe‹, denen man den Raub wieder abjagen muß. Glauben Sie ja nicht, daß Ihre Freunde, die Kollektivisten, Sie schonen würden! Ach, Herr Didelod, es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen solche Dinge habe sagen müssen, allein es war absolut notwendig. Seien Sie aber trotzdem meiner hohen Verehrung und meiner aufrichtigsten Ergebenheit versichert.«

Der Abgeordnete war zuerst ganz verblüfft gewesen über die Kühnheit des Möbelfabrikanten. Dann aber hatte ihn dessen rückhaltloses Urteil über seine Person gründlich geärgert. Die ehrerbietigen, vertrauensvollen Worte, womit Neumans seinen Herzenserguß schloß, besänftigten ihn indes wieder etwas. Immerhin aber antwortete er mit geringschätziger Miene: »Sie sind ganz schlecht unterrichtet über diese Sache, Herr Neumans. Die Programme der sozialistischen Redner sind nur politischer Art; auch darf man deren Aussprüche nicht buchstäblich nehmen. Selbst der Himmel läßt sich auf Kompromisse ein. Wollen Sie mir erlauben, daß ich statt Ihrer mit Ihren Arbeitern verhandle?«

»O, recht gerne, Herr Abgeordneter, aber unter der Bedingung, daß die zu treffende Entscheidung mir überlassen bleibt.«

»Selbstverständlich. Ich werde mich also mit dem Arbeitersyndikat in Verbindung setzen, da es ein solches Syndikat gibt und Sie über den Gang der Verhandlungen auf dem laufenden halten.«

»Ich danke Ihnen sehr.«

»Na, Herr Neumans, nehmen Sie die Sache nur nicht gar so tragisch. Man muß doch auch ein bißchen Optimismus haben. Die Arbeiter sind nicht schlimm, sondern große Kinder, die man lenken kann, wie man will. Man muß sie nur zu nehmen wissen. Sie werden schon sehen. Ich verstehe es nämlich, mit diesen Leuten umzugehen.«

Zugleich führte er Neumans zu dem Tisch, wo volle Biergläser schäumten.

»Auf Ihr Wohl, Herr Neumans, und daß Sie bald all Ihre Sorgen los sein möchten!«

»Tausend Dank, Herr Abgeordneter, und möchten Sie sie nie kennen lernen!«

*

Während bei Didelod diese bedeutungsvollen Worte ausgetauscht wurden, stattete Tournemarie im »Tannenzapfen« den Kameraden Bericht ab über sein Gespräch mit dem Bürgermeister. In einer Hinterstube des Wirtshauses waren sechs Männer um einen mit Flaschen und Gläsern beladenen Tisch versammelt. Sie unterhielten sich ruhig, ohne die Stimme zu erheben, und machten viel eher den Eindruck von Leuten, die eine geschäftliche Angelegenheit besprechen, als von Aufrührern, die über brennende soziale Fragen verhandeln. Große Aufmerksamkeit wurde von den Anwesenden den Auseinandersetzungen eines Mannes geschenkt, der in den Vierzigerjahren stehen mochte und dessen Anzug sogar einen gewissen Anspruch auf Eleganz machte. Er hatte schwarze Haare, einen starken Schnurrbart und tiefliegende Augen unter dichten, gewölbten Brauen, was ihm einen bösartigen Ausdruck gab. Seine Stimme war klangvoll, nahm aber, wenn er ins Feuer kam, eine beängstigende Schärfe an. An Rednergabe fehlte es ihm offenbar nicht. Gerade jetzt sprach er jedoch in familiärem Tone.

»Es unterliegt keinem Zweifel, daß Didelods Anwesenheit in dieser Gegend unsrer Bewegung eine ganz besondere Wichtigkeit verleihen wird. Sie wissen ja alle, daß der Abgeordnete von Lehrange sich mit Überzeugung auf den Sozialisten spielt. Man muß also darauf gefaßt sein, daß er vermittelnd einschreiten wird. Er könnte uns ernste Schwierigkeit bereiten, denn ein Mann in seiner Stellung wird von der Regierung jegliche gewünschte Unterstützung erhalten, und ich brauche Ihnen wohl nicht näher auseinanderzusetzen, was das zu bedeuten hat.«

»Selbstverständlich. Aufbieten der Polizeimacht, Heranziehen von Militär und Unterdrückung des Streiks durch die herkömmlichen Mittel.«

»Nein, das befürchte ich nicht von Herrn Didelod, denn er wird doch nicht seine ganze Vergangenheit Lügen strafen wollen. Zu Gewaltmaßregeln würde er höchstens dann greifen, wenn die Ereignisse ihn dazu zwängen. Aber es stehen ihm ja noch viele andere Mittel zu Gebot. Die ganze Bureaukratie ist ihm blind ergeben. Nicht einen einzigen Beamten gibt es bis herab zu den allerniedrigsten, der ihn nicht brauchte, entweder um eine Stelle zu erhalten, oder um vorzurücken. Und was die Wahlen betrifft, so ist sein Mandat hier unbedingt gesichert. Überdies kann er mit seinem Riesenvermögen auch viel durch Bestechung machen.«

»Oho!«

»Widersprechen Sie nicht. Wir wissen bekanntlich, wie man die Arbeiter am Gängelband führt, nicht wahr? Denn unser Handwerk ist es ja, sie zu lenken. Nun, und ein Mann, der ins Unbegrenzte den Leuten Geld zum Trinken geben kann, hat in einem Lande, wo der Alkohol seine Herrschaft ausübt, alle Aussicht, Recht zu bekommen.«

»Er ist aber doch durch seine politischen Verpflichtungen gebunden, denn in der Kammer sitzt er auf der Seite der Sozialisten.«

»Gewiß. Da handelt es sich eben um parlamentarische Taktik. Bringen Sie ihn einmal in Zwiespalt mit seinen unmittelbaren persönlichen Interessen, und Sie werden schon sehen, was dann geschieht. Es ist nämlich noch niemals vorgekommen, daß ein Politiker in einem solchen Fall seinen Prinzipien treu geblieben wäre. Man läßt es natürlich nicht an versöhnlichen Vorschlägen, an schönen Redensarten und Auseinandersetzungen fehlen, schließlich wird aber doch gehandelt, und zwar gegen die Arbeiterklasse.«

»Er hat vorhin zu mir gesagt, er wisse nichts von einer Arbeiterklasse,« warf Tournemarie mit spöttischem Lachen ein.

»Sehen Sie wohl! Nun, man wird schon dafür sorgen, daß er sie kennen lernt!«

Stille trat ein. Mit dem letzten drohenden Ausspruch des Mannes, der bei Tournemarie und dessen Genossen das Wort geführt hatte, schien die Unterredung zu Ende zu sein. Nun wurden die Gläser gefüllt und die Zigaretten angezündet.

»Vor Ihrer Abreise sollten Sie aber doch noch mit dem Lehrer Grangel sprechen, Bürger Stylb,« sagte Tournemarie – den Mann, den er in die Versammlung eingeführt hatte, zum ersten Mal beim Namen nennend – »es wäre deshalb jetzt wohl an der Zeit, die Genossen zu verlassen und ins Schulhaus hinüberzugehen.«

»Nun also, Bürger, auf Wiedersehen in den allernächsten Tagen! Ich gehe jetzt nach Paris, um neue Verhaltungsmaßregeln zu holen, und kehre dann zu Ihnen zurück, um die Ereignisse hier zu beobachten.«

Man schüttelte sich die Hände, worauf Stylb unter Tournemaries Führung das Wirtshaus verließ. Die Straße war öde und leer. Eiligen Schrittes gingen die beiden Männer auf das Schulgebäude zu, das vor einer am Ufer des Flusses sich hinziehenden, von Linden beschatteten Wiese lag. Der Aufwand, der von Didelod beim Bau dieser Schule gemacht worden war, bekundete dessen warmes Interesse für die konfessionslose Schule. Das aus Backsteinen mit Sandsteingliederungen errichtete Gebäude war mit runden Schieferplatten gedeckt, was dem Dach das Aussehen eines Schuppenpanzers gab. Schöne eiserne Gitter friedigten die mit Bäumen bestandenen Spielplätze ein. An beide Seiten des Hauptgebäudes schlossen sich zwei kleine Flügel an, die zwei Lehrern und zwei Lehrerinnen als Wohnung dienten. Gaudin wohnte über Fräulein Morard, und Grangel unter Frau Devilliers. Der Klassenunterricht war soeben beendet. Unter fröhlichem Lärm und ausgelassenen Balgereien auf dem Rasen verließen die Kinder die Schule.

»Gehen wir lieber den Seitenweg,« sagte Tournemarie, »dann können wir unauffällig den Hinteren Eingang benützen.«

Er und Stylb bogen also in diesen zwischen Gärten sich hinziehenden Weg ein, wo die Zweige schwerbeladener Obstbäume über die Zäune herabhingen. Dem Schulhofe entlang lief eine Weißdornhecke, auf der Tischtücher und Servietten, die im nahen Fluß gewaschen worden waren, zum Trocknen ausgebreitet lagen. Tournemarie drehte den Knopf einer Tür und bat seinen Begleiter einzutreten. Auf einer Bank an der Mauer des kleinen Wirtschaftshofes saß neben einem Holzschuppen, seine Pfeife rauchend, der Lehrer Grangel. Beim Anblick der beiden Männer erhob er sich und reichte dem Arbeiter die Hand.

»Herr Grangel,« sagte Tournemarie, »hier bringe ich Ihnen den Bürger Stylb.«

»Freut mich,« antwortete der Lehrer, einen raschen Blick über die beiden Flügel des Gebäudes werfend. »Kommen Sie, bitte, zu mir ins Haus, dort sind wir vor Neugierigen geschützt. Hier außen könnte Gaudin, dieser Jesuit, uns belauschen. Und Sie wissen ja, daß der dem Bürgermeister blind ergeben ist.«

»Ist man mit Didelod denn auch nicht zufrieden?« fragte Stylb, sobald er sich im Zimmer des Lehrers niedergelassen hatte.

Dieser lächelte.

»Wie könnte man mit dem wohl zufrieden sein?« antwortete er. »Der gehört zu der schlimmsten Sorte von Bourgeois trotz seines sozialistischen Getues. Und wie wäre das auch anders möglich? Ein Mann, der das, was eigentlich unter zwanzig- bis dreißigtausend Bürger verteilt sein sollte, allein in Händen hat! Seine Fabriken tragen ihm jährlich Millionen ein, während seine Arbeiter sich um fünf Franken täglich abrackern müssen. Und dabei bildet er sich auch noch ein, wir ließen uns durch sein politisches Glaubensbekenntnis täuschen! Er ist nicht nur ein Blutsauger, wie die andern, sondern auch ein Heuchler! Der ist mir viel verächtlicher als Neumans, gegen den Sie sich auflehnen, Tournemarie. Neumans ist früher auch Arbeiter gewesen und hat sich seine jetzige Stellung durch Fleiß und Sparsamkeit erworben. Wenn persönlicher Besitz überhaupt zulässig wäre, so würde es dieser sein. Aber Didelods Vermögen? Wie viel Tränen und Blut kleben an diesem Haufen Gold!«

»Ja, ja,« warf der Bürger Stylb mit einer lässig abwehrenden Gebärde ein, »das wissen wir ja alles längst! Verschwenden wir unsre Kraft nicht an Worte. Auf welche Weise das Kapital auch entstanden sein mag, jedenfalls muß es verschwinden. Das ist die Hauptsache. Und um dies zu ermöglichen, ist es notwendig, daß die öffentliche Meinung darauf vorbereitet wird. Sowohl in den Schulen als in den Kasernen muß darauf hingearbeitet werden. Junge Leute, die sich gegen das Arbeitgebertum auflehnen, und eine Armee, die einer solchen Auflehnung keinen Widerstand entgegensetzt, das brauchen wir. Alles andere ist vorläufig nebensächlich. Wie steht es hier in dieser Beziehung?«

»Wir kommen nur langsam vorwärts. Die Grenzstädte sind von Chauvinismus durchseucht, die Armee wird von den Vorgesetzten in strenger Zucht gehalten und die Arbeiterbevölkerung neigt durch die von den Didelods gegründeten Stiftungen zur Energielosigkeit. Die Leute hier fühlen sich eben zu wohl, und da hält es schwer, Aufwiegler aus ihnen zu machen.«

»Die Philanthropie ist ein Krebsschaden für den Sozialismus,« sagte der Bürger Stylb mißmutig. »Obwohl die vorhandenen Wohltätigkeitsanstalten ganz ungenügend sind, so sollte man sie doch aufheben, denn die Armenpflege ruft nur eine gewisse Resignation hervor, und mit resignierten Leuten läßt sich nichts anfangen.«

»Sie können aber doch unmöglich,« warf Tournemarie mit einer gewissen Gutmütigkeit ein, »im Interesse der Revolution eine Hungersnot herbeiwünschen?«

»Warum denn nicht?« rief der Lehrer roh.

»Na, hören Sie mal, dafür danke ich!« entgegnete der Tischler. »Sie, Herr Grangel, Sie haben Ihre freie Wohnung, freie Heizung und Beleuchtung und Ihr Gehalt, Sie sind vom Staat angestellt und setzen sich keiner Gefahr aus. Wir Arbeiter aber, wenn wir streiken, so müssen wir uns den Leibriemen fester schnallen.«

»Um der guten Sache willen muß man auch Opfer bringen können.«

»Ganz richtig, aber ich habe Kinder.«

»Sie werden ja Hilfsgelder bekommen,« warf hier Stylb, den das Gespräch der beiden Männer zu ärgern schien, dazwischen. »Ihnen, Tournemarie, wird als Delegierter Ihr voller Tageslohn ausbezahlt.«

»Na, dann ist's was andres. Es lebe der Streik!«

»Wir beide haben uns also vorläufig weiter nichts mehr zu sagen. Gehen Sie jetzt nur nach Hause. Ich habe noch mit dem Bürger Grangel zu reden.«

Der Tischler gab seinen beiden Gefährten die Hand, zündete eine Zigarette an und rief dann noch von der Türschwelle aus: »Ich warte also auf Ihre Weisungen, Bürger Stylb, und werde sie dann pünktlich befolgen.«

Kaum war er verschwunden, so sagte der Lehrer voll Bitterkeit: »Das sind also die Leute, mit denen wir zu tun haben! Und der da ist noch einer von den Brauchbarsten. Ach ja, die Arbeitermasse ist schwer zu überzeugen!«

»Es handelt sich ja auch gar nicht darum, sie zu überzeugen, sondern sie mit sich zu reißen. Sie sehen die Sache vom pädagogischen Standpunkt an, Bürger Grangel. Eine Armee hat ja auch keine Ahnung von dem Ziele, dem sie zugeführt wird. Wir treiben das Proletariat zur Revolution, und wenn nur wir, die Führer, wissen, was wir wollen, so genügt das. Der große Haufen braucht nur zu folgen  ...«

»Die ›Internationale‹ zu singen und alles kurz und klein zu schlagen,« vollendete der Lehrer höhnisch.

»Man muß den armen Teufeln doch auch ein Vergnügen verschaffen. Und wenn sie nichts zerschlagen, wie sollten sie dann den Eindruck bekommen, als hätten sie etwas an der gesellschaftlichen Ordnung geändert!«

»Und Sie, Stylb, glauben wirklich an eine Änderung der gesellschaftlichen Ordnung?«

»Nein; eine solche Änderung ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Reichen wird man zu Grunde richten, die Armen jedoch nicht reich machen. Wir aber werden auf unsre Kosten kommen. Und wenn wir erst die Macht in Händen haben, werden wir das Proletariat organisieren.«

»Wird es dann glücklicher sein?«

»Ja, wenn es sich dazu herbeiläßt, in uns seine Herren zu sehen.«

»Und wenn es sich nicht dazu herbeiläßt?«

»Dann werden wir verjagt, und wir haben die Diktatur.«

»Kurz, die Autokratie, sie mag nun so oder anders gehandhabt werden.«

»Glauben Sie, die Anarchie sei etwas andres, als der Traum eines Intellektuellen? Eine Nation von vierzig Millionen Menschen kann doch nicht leben ohne Vorschriften, ohne Gesetze und ohne Zwang, um das Kind beim rechten Namen zu nennen. Die Anarchie besteht höchstens für den Einzelnen. Von dem Augenblick an aber, wo zwei Menschen beieinander sind, ist es unvermeidlich, daß der eine über den andern herrscht, weil die beiden sich niemals über alle Punkte einigen werden, und weil sich aus dem ersten Zwiespalt die Tyrannei des Stärkeren und Kühneren entwickeln wird.«

»So werden wir also das Reich der Harmonie, wo vollständige Freiheit und Gleichheit herrschen soll, niemals kennen lernen?«

»Es ist das ›Salente‹ von Fénélon oder das ›Ikarien‹ von Cabet,« antwortete Stylb mit einem Lächeln – »eine romanhafte Idee, ein trügerisches Hirngespinst. Oder glauben Sie etwa, Sie könnten die Menschheit tugendhaft machen?«

»Nein,« antwortete der Lehrer. »Nachdem die Religion erfolglos geblieben ist, wird es auch der Philosophie nicht gelingen. Das Gesetz der Moral, das ein weltliches Dogma ist, kann nur bei auserwählten Geistern in Frage kommen. Verstand und Bildung sind keine Garantie für Sittenreinheit. Je gebildeter der Mensch ist, desto verdorbener ist er. Der Materialismus ist eine entwürdigende Lehre, die Egoismus, Feigheit und Heuchelei erzeugt. Ein Mensch ohne Ideale ist nur niederträchtiger Handlungen fähig. Wie könnte der Aufopferungsgedanke in einem Geiste Wurzel fassen, der nur an ein irdisches Leben glaubt? Robespierre wußte wohl, was er tat, als er den Kultus eines höheren Wesens vorschrieb. Wenn wir vernünftig wären, würden wir, nachdem wir die Kirche abgeschafft haben, die uns politisch ein Hindernis war, jene Lehre wieder aufnehmen und sie zu unsern Zwecken ausnützen. Wir wollen die weltlichen Priester einer sozialen Religion sein, dem Volke aber darf man das Ideal nicht rauben, denn sonst würde es zum Tier herabsinken und den schlimmsten Ausschreitungen anheimfallen. Es muß an etwas Unsichtbares glauben, andernfalls erhebt es einen Menschen zu seinem Götzen, und Sie wissen, was ein solcher Götze für ein Volk bedeutet – es ist der Cäsar.«

»Kein Zweifel, die Stunde ist ernst. Wenn wir uns in sozialer Hinsicht nicht entwickeln, dann werden wir bankrott. Aber auch die Entwicklung kann uns zu Katastrophen führen. Sie sind Antimilitarist, Grangel, nicht wahr?«

»Bis auf die Knochen.«

»Nun denn, mein Lieber, der Antimilitarismus hat seine zwei Seiten. Ist das Heer erst gelockert, so wird es uns allerdings unbedingt die Gesellschaft der Kapitalisten ausliefern, deren einzigen Schutz es bildet. Zugleich werden wir aber auch Deutschland preisgegeben, das unsre Wehrlosigkeit benützen und uns überfallen wird. Ihr beklagt euch über die Tyrannei der Bourgeoisie und strebt danach, sie zu brechen. Was aber würdet ihr zum preußischen Joch sagen? Der Teutone würde euch mit Fußtritten traktieren, und nur zu bald würdet ihr euch nach Frankreichs mildem Regiment zurücksehnen. Der Kaiser würde euch knechten, und ihr müßtet euch nur dazu abschinden, die ungeheuren Kriegskontributionen aufzubringen, die euch von dem Fremden auferlegt würden. Natürlich möchtet ihr den Eindringling dann gerne wieder über die Grenze jagen, und dazu müßtet ihr euch an die Soldaten wenden, denen ihr den Internationalismus gepredigt habt. Diese werden euch dann antworten, die Deutschen seien ja doch ihre Brüder, ihr selbst hättet ihnen das gesagt. Also hüten Sie sich vor dem Antimilitarismus, Grangel. Er führt zum Invasionskrieg und zur Knechtschaft.«

Stylb mit kaltem Blicke musternd, entgegnete der Lehrer in schneidendem Tone: »Nur keine Angst! Die Bourgeoisie muß dann bezahlen, um uns vom Feinde zu befreien.«

»Falls sie nicht gemeinsame Sache mit ihm macht,« rief Stylb höhnisch, »um euch dann um so sicherer unter dem Daumen zu haben.«

Der Lehrer wurde blaß vor Zorn.

»Dann wird die Bourgeoisie uns also ein zweites Mal zum Narren haben?« Und nach einer bedeutungsvollen Pause fügte er hinzu: »Glauben Sie wirklich, daß sie von einer solch schamlosen Niederträchtigkeit wäre, mit dem Feinde zu paktieren?«

Stylb brach in Lachen aus.

»Ihr habt ihr ja dann keine andre Wahl gelassen! Und die Klasse der Kapitalisten wird sich immer noch lieber einer wohlorganisierten, starken Regierung unterordnen, als den wechselnden, unsicheren und verderblichen Launen des Proletariats.«

»Ah, Sie kennen die Leute, die Sie anführen, ja recht genau!« rief Grangel voll Bitterkeit.

Stylb aber richtete sich jetzt hoch auf, und mit einer stolzen, drohenden Gebärde sagte er: »Mein Lieber, nur nicht naiv sein und sich keinen Illusionen über die äußerst beschränkte Kraft der revolutionären Mittel hingeben! Unser ganzer Plan läßt sich kurz in das bekannte Wort zusammenfassen: Geh, und mach mir Platz! Das müssen wir uns gegenseitig im geheimen eingestehen. Alles andre sind nur Flausen, die sich im Munde der Schönredner in der Kammer ja ganz gut machen. Allein eben diese Schwätzer sind gleichsam nur die Hornisten und Trommler der sozialistischen Partei – die Musik! Das Kommando aber, das werden wir führen.«

Den nachdenklichen Blick an die Zimmerdecke geheftet, schwieg Grangel eine Weile, dann sagte er mit dumpfer Stimme: »Also so viele Anstrengungen für ein solch erbärmliches Resultat! Ich hatte von etwas Schönerem geträumt.«

»Das weiß ich. Sie hatten humanitäre Reformpläne gemacht. Sie sind ein Utopist! Hat denn der Bürgerstand im Jahr 1789, als er das Königtum stürzte und den Adel und den Klerus vertrieb, nach etwas andrem als nach Macht und Herrschaft getrachtet? Heute sind wir daran, sie ihm zu entreißen. Und unser Mittel ist der Generalstreik. Davor haben die Bourgeois eine Heidenangst. Stellt einmal nur eine Woche lang den Eisenbahnbetrieb ein und schneidet dadurch die Zufuhr nach Paris ab, hüllt Paris in Dunkelheit, indem ihr die Gas- und Elektrizitätswerke zerstört, und ihr werdet schon sehen, was aus der toll gewordenen Großstadt wird.«

»Das toll gewordene Paris kann sich ebensogut auch gegen euch erheben, euch niedermetzeln.«

»Ich habe niemals behauptet, daß wir uns keiner Gefahr aussetzten.«

»Ach, Stylb, es ist nicht gut, mir die Eitelkeit meiner Hoffnungen beweisen zu wollen! Denn ich muß an eine bessere Zukunft glauben können, an ein glücklicheres Dasein des Volkes, an die Aufrichtung eines Kultus der Vernunft, an den Sieg einer Religion der Humanität, um hier die Arbeit ausführen zu können, die man mir übertragen hat. Wenn ich im Geiste meiner Schüler den alten Glauben zerstören und ihn durch unsre neuen Ideen ersetzen soll, so muß ich wenigstens die Überzeugung haben, daß diese gesund und nutzbringend sind. Andernfalls würde ich zu einem Unheilstifter, zu einem Menschen, der das Volk mit Bewußtsein vergiftet. Einen Händler, der durch den Verkauf gefälschter Lebensmittel seine Kunden krank macht, steckt man ins Gefängnis. Mir aber sind Kinderseelen anvertraut, bedenken Sie das wohl, Stylb! Unschuldige Seelen, die sich nicht wehren können. Und wenn ich sie nun moralisch zu Grunde richtete?«

Stylb lachte.

»Sie sind ein rechtschaffener, aber ein etwas überängstlicher Mann, Grangel. Beruhigen Sie nur Ihr Gewissen und schlafen Sie fest wie eine Ratte. Jetzt aber lassen Sie uns von praktischen Dingen reden. Wie weit sind Sie mit der Propaganda in den Kasernen?«

»Sie macht keine großen Fortschritte, denn die Vorgesetzten haben ihre Leute hier sehr in der Hand, und die Nähe der Grenze übt einen ganz besondern Einfluß auf die Truppen aus.«

»Und wenn es nun einen Krawall gäbe?«

»So würden die Soldaten ohne Zögern losschlagen.«

»Was ist der General für ein Mann?«

»Überzeugter Republikaner, Junggeselle.«

»Und die beiden Regimentskommandeure?«

»Der eine, der Marquis von Tonnereins, ein noch junger, eleganter Offizier, kümmert sich nicht um Politik. Der andre, namens Duval, ist mit Leib und Seele Soldat und führt ein tadelloses Leben. Beide sind verheiratet und Familienväter, die Frauen religiös, aber ohne Bigotterie und von unantastbarem Rufe.«

»Nun, wenn die Konduite dieser Leute so lautet, dann ist sie ja recht nett.«

»Man müßte lügen, wenn man eine andre ausgeben wollte.«

»Haben Sie selbst diese Angaben eingereicht?«

»Ja.«

»Einen solchen Spitzel lasse ich mir gefallen!«

Der Lehrer errötete.

»Diese Späherdienste ekeln mich an, ich leugne es nicht. Man hat verlangt, daß ich Erkundigungen einziehe, ich habe es getan und sie weitergegeben.«

»Weil sie gut waren?«

»Vielleicht.«

»Ach, Sie sind ein armer Fanatiker, Grangel. Sobald man übrigens einmal anfängt, ein Dogma zu bezweifeln, so ist man nicht mehr weit davon entfernt, ihm untreu zu werden.«

»Und was soll dann aus der vielgepriesenen freien Forschung werden, Stylb?« fragte der Lehrer bitter.

»Die freie Forschung ist eine Waffe der Opposition, die man als gefährlich wegwirft, wenn man zur Macht gelangt. Sind wir erst die Herren, dann haben wir mit der freien Forschung nichts mehr zu tun.«

»Das ist ja die reinste jakobinische Lehre.«

»Es gibt keine andre für jemand, der seinen Zweck erreichen will.«

»Von Robespierre geht sie aus, um bei Napoleon zu enden! Nehmen Sie sich in acht!«

»Wir haben nichts zu befürchten. Ein General wird nur dann populär, wenn er siegreiche Schlachten schlägt. Krieg gibt es aber keinen. Wir sind ja so friedlich gesinnt!«

»Und wenn man uns angreift? Dann müssen wir uns doch verteidigen!«

»Das ganze Volk wird sich erheben.«

»Ach, Stylb, bringen Sie diese Faseleien meinetwegen in den öffentlichen Versammlungen vor, mich aber verschonen Sie damit! Wie Staub würde das Volk weggefegt, wenn es sich erhöbe, was übrigens noch höchst zweifelhaft ist. Schlachten wie die von Valmy und Jemappes schlagen sich nicht so leicht gegen eine organisierte Militärmacht, wie Deutschland eine ist. Dazu braucht man ein Berufsheer, das die gesündesten, kräftigsten Elemente des Volkes in sich schließt und durch eine eiserne Disziplin zusammengehalten wird. Wir aber, Stylb, wir zerstören Tag für Tag diese unentbehrliche Macht, um der Revolution den Sieg zu sichern. Es ist unklug von Ihnen, mir Gelegenheit zu geben, über all diese Dinge nachzudenken. Blindlings muß ich vorgehen, sonst bleibe ich mitten drin stehen.«

»Ei, wer wird so überempfindlich sein!« rief der Umstürzler mit einem mitleidigen Lächeln. »Schütteln Sie Ihre Bedenken ab, und auf Wiedersehen! Ich gehe jetzt nach Paris zurück, um beim Komitee über meine Rundreise zu berichten. Wenn es Zeit zum Handeln ist, werde ich wieder hier sein!«

 


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