Max Nordau
Mahâ-Rôg
Max Nordau

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III.

Udschli wurde zu einer Art Schutzheiligen oder örtlichen Gottheit von Masrapur und ihr Grab zu einem wunderwirkenden Wallfahrtsorte. Da alle Welt von der hohen Tat sprach, kam sie auch dem englischen Residenten zu Ohren, der die eingeborene Regierung nötigte, eine Untersuchung einzuleiten. Es kam aber nichts dabei heraus, da niemand zum Verräter werden wollte, und das Verfahren hatte nur den Erfolg, daß das Ereignis im ganzen Lande Kutsch-Bihar und über seine Grenzen hinaus bis tief in Bengalen bekannt wurde und von vielen Tagereisen weit fromme Pilger herbeilockte. Über dem Grabe wurde ein kleiner Tempel errichtet, den kostbare Weihegeschenke der Gläubigen rasch zu einem der reichsten des Landes machten. In seinem Schatten ließen sich Fakire nieder, die immer wieder durch neu zuwandernde ersetzt wurden, als ein in der Gegend auftauchender menschenfressender Tiger sich einen nach dem andern wegholte. Zum höchsten Ruhme gelangte die Andachtstätte, als sich das seltene Wunder ereignete, daß man eines Morgens den Tiger vor den Stufen des Grabtempels an einem Cobrabisse verendet vorfand. Sein Fell wurde zubereitet, mit Purpurseide eingesäumt und über den niedrigen Grabhügel gebreitet. Mütter kamen mit ihren Kindern und ließen sie das Fell berühren, um die Gesunden vor feindlichem Zauber, bösem Blick und Krankheit zu behüten und die Kranken zu heilen.

Sie gingen auch die kleine Tschandni sehen, wenn ihnen das gegen eine besonders wertvolle Gabe gestattet wurde. Das war für erlesene Pilger die Ergänzung der Wallfahrt. Die Brahmanen, die durch ihr Heiligtum zu großem Ansehen und Wohlstand gelangten, sorgten auch für das Kind, die lebendige Vertreterin ihrer unter die Götter versetzten Mutter. Sie bestimmten Dasa, seine Hütte zu verlassen, und bauten ihm ein schönes Haus in der Nähe des Tempels. Er sah sich als einen Priester an, der sein eigenes Kind verehrte und bei ihm Tempeldienst verrichtete. Eine Schwester mit ihrem Manne wohnte bei ihm und zwei assamische Dienerinnen halfen ihr, das Kind zu pflegen.

Sie wuchs wie eine Königstochter auf, die nur unterwürfige Blicke und geneigte Stirnen um sich sieht. Sie war in silberdurchwirkten Musselin gekleidet, mit goldenem Geschmeide geschmückt und in der Mitte der Stirn mit dem gelben Tupf der Vornehmen ausgezeichnet. Sie war fast ganz weiß und entwickelte sich zu strahlender Schönheit. Die Dorffrauen sagten staunend unter sich, es geschehe, was sie nicht für möglich gehalten hatten: Tschandni werde noch schöner, als ihre Mutter Udschli gewesen. Um sie nicht einsam zu lassen, gab man ihr Altersgenossinnen, die täglich einige Stunden mit ihr spielen durften, doch wurden zu dieser Ehre nur Brahmanenkinder zugelassen.

Jedes andere Kind, das man derart verzogen hätte, wäre launisch und unausstehlich geworden; Tschandnis Charakter jedoch, so schien es, war nicht zu verderben. Sie war so gut wie schön und so klug wie gut. Die Brahmanen ließen sich ihre Geistesbildung angelegen sein. Früh besuchte sie die Dharmsala, die mit dem Tempel verbunden war und wo ein Pandit ihr liebevollen Unterricht in der Nagri- und Sanskrit-Schrift und Sprachlehre erteilte. Und als sie größer wurde, da urteilten die Brahmanen, daß es sich für sie nicht länger gezieme, in die öffentliche Schule zu gehen und mit den übrigen Dorfkindern, wenn auch von besserer Kaste, zusammen unterwiesen zu werden, und ihre weitere Ausbildung wurde einem alten Bhai anvertraut, der ihr in ihres Vaters Hause alle Schätze seines eigenen tiefen Wissens mitteilte.

Da lernte sie sämtliche Schastras, die ganze Gelehrsamkeit, die den Geist eines Hindus von vornehmster Kaste schmückt: Sanskrit-Sprachlehre, Dichtkunst, Rhetorik, die Puranas (klassischen Dichtungen), die Itihas (alte Geschichte), Yotisch (Astronomie und Astrologie) und zuletzt selbst Vedanta und Nyaya (Philosophie und Logik), Mantra, Tantra und Pudscha Path (Religionswissenschaft), deren Studium den niedrigen Kasten streng untersagt ist. Schon als halbwüchsiges Mädchen war sie so gelehrt, daß die Brahmanen sie zu ihren Schastrarth-Mubahisas oder Vedantisten-Disputationen im Tempel zuließen, und als sie fünfzehn Jahre alt war, schrieb sie Sanskrit-Gedichte, die sich rasch durch das ganze Land verbreiteten.

Auch ihre hohe Bildung und Begabung machte sie weder pedantisch noch hochmütig, sie blieb so anmutig und lieblich wie das einfachste Mädchen ihres Alters und gegen ihren Lehrer und Vater so rührend bescheiden, daß beide sie wahrhaft abgöttisch verehrten.

Daß das Grab im Tempel die Ruhestätte ihrer Mutter war, das wußte sie seit dem Erwachen ihres Bewußtseins und es konnte ihr deshalb auch nicht entgehen, daß man der Mutter göttliche Ehren erwies. Als ihr Geist zum Nachdenken nach dem Grunde der Erscheinungen heranreifte, fragte sie denn auch häufig und immer häufiger, weshalb das Andenken ihrer Mutter von solcher Weihe umgeben sei, und die Sache beschäftigte sie schließlich so lebhaft und unausgesetzt, daß sie nicht abließ, bis der Bhai, der ihr ohnehin nichts abschlagen konnte, ihr eines Tages im Einverständnis mit den Brahmanen die Wahrheit offenbarte. Er tat es schonend und zartfühlend, wie man es von einem großen Pandit erwarten durfte. In einer Puranastunde, zwischen einem Mahâbhârata-Gesang und einem Mrikschakatika-Auftritt, sprach er ihr ein Gedicht von einer aussätzigen Mutter, die das Opfer ihres Lebens bringt, um den Mahâ-Rôg von ihrem kleinen Mädchen an der Brust abzuwenden und ihm Gesundheit und Schönheit zu sichern. Tschandni war davon so tief ergriffen, daß sie laut weinte und um die Wiederholung des Gedichtes bat, damit sie es auswendig lernte. Und als der Bhai ihrem Wunsche willfahrt hatte und Tschandni die Verse mit bewegter Stimme aus ihrem Gedächtnisse nachzusprechen begann, da faßte der Lehrer ihre Hand und fragte: »Meine Tochter, was würdest du sagen, wenn dieses Gedicht von deiner eigenen Mutter handelte?« Sie blickte ihn mit weit offenen Augen an und ihr Atem stockte. Sie hatte ihn sofort verstanden. Für sie also war ihre Mutter in den grausigsten Tod gegangen. Sie war das Kind des Opfers und des Wunders. In diesem Grabe also, an dem auch sie täglich zu beten und zu opfern gewohnt war, wurzelte ihre Schönheit und Herrlichkeit. Das Leben gewann von da ab ein ganz anderes Ansehen für sie. Es lag etwas wie Geheimnis und Dämmer darüber. Daß sie schön war, hatte sie, der jedermann mit Anbetung nahte, natürlich früh gewußt. Ihre Schönheit schien ihr jetzt eine unmittelbare Gabe der Götter, ein Geschenk, das dem Himmel durch heilige Heldentat abgeschmeichelt worden war, ein Vermächtnis, das die Hand der Mutter ihr aus dem Grabe reichte, und in ihrem mit den mystischen Schriften ihres Volkes genährten Mädchengeiste setzten sich eigentümliche Begriffe von Pflichten fest, die sie gegen ihre eigene Schönheit, gegen sich, die Mutter, die Welt und die Götter zu erfüllen habe.

Sie erreichte das sechzehnte Lebensjahr, nach indischer Anschauung das Alter der vollen Reife für ein junges Mädchen, und man mußte sich nun ernstlich mit ihrer Zukunft beschäftigen. Die Brahmanen gedachten, sie mit dem Sohne des angesehensten von ihnen zu verheiraten. Dasa, der um seine Meinung nicht gefragt wurde, sondern dem man nur den Beschluß mitteilte, verneigte sich tief und dankte für die fast erdrückende Ehre, die seiner Familie und Kaste erwiesen wurde. Als man aber Tschandni selbst eröffnete, welches Los man ihr zugedacht habe, da begnügte sie sich damit, schweigend ihre Tagstube zu verlassen und sich in das innere Gemach zu ihrer Muhme und ihren Dienerinnen zurückzuziehen, wo man sie mit ihrer süßen, schwermütigen Stimme das Lied singen hörte:

»Asan apna tscharkha Katna
Due da munh nahin tschatna
Kyun due de karan roiye,
Bhed apne dil da khoiye?

Asan apne ghare de Radscha
Due kane kudschh nahin kadscha?
Kyun dschag manas khusch karna?
Parna Malik dia tscharna.«

»Ich spinne von früh bis spät meinen Rocken und gebe weder noch verlange ich Küsse. Weshalb sollte ich mich nach einem andern sehnen, weshalb ein Herzensgeheimnis hüten?«

»In meinem eigenen Hause bin ich die Königin; weshalb sollte ich mich in das Haus eines andern wünschen? Weshalb einen Mann als Herrn über mich erkennen? Vor meinem Gott allein neige ich mich.«

Die Brahmanen des Tempels hatten sie viel zu lieb, um sie zu bedrängen, ihr Ältester fragte sie aber dennoch nach einiger Zeit, wie sie sich ihr Leben einzurichten gedenke, wenn sie vor der Ehe Abneigung habe? Da enthüllte sie den Herzenswunsch, mit dem sie sich trug, seit ihr das Lied von der Selbstopferung der Mutter Tag und Nacht im Kopfe sang: sie wollte auch noch die den Frauen in der Regel untersagte höchste Stufe der Sanskrit-Gelehrsamkeit erklimmen, sie wollte Vaidik, die einheimische Heilkunde, studieren und ihren Hinduschwestern als Ärztin ihr Leben widmen.

Das war ein erschreckend kühner Gedanke. Er wich vom geheiligten Herkommen weit ab. Wer konnte jedoch daran denken, der holden Tschandni eine Bitte zu verweigern? Die Brahmanen bestellten also nach kurzem Widerstand den besten Arzt, den es im Lande gab, obschon er nicht einmal ein Pandit war und im Gegensatz zu einem solchen, der für seinen Unterricht niemals einen Lohn annimmt, hoch bezahlt werden mußte, und Tschandni begann tatsächlich von diesem Meister in die Geheimnisse des Scham Radsch und Susruta, des Tscharaka und Madhana Nidan, eingeführt zu werden.

Sie gelangte indes in ihrem Studium nicht weit, denn das Schicksal fügte, daß in ihrem Leben eine plötzliche Wendung eintrat.

Tschandnis Ruf erfüllte das ganze Land. Das Lied von ihrer Mutter war in aller Munde, von ihrer eigenen, fast überirdischen Schönheit und Klugheit, Anmut und Gelehrsamkeit erzählte das Volk sich in Tempeln und Bazaren, und man erfuhr schließlich auch im Palaste des Radschas davon. Der Radscha hatte eines Tages die Laune, das lebende Wunder von Masrapur sehen zu wollen, um sie zu besitzen, wenn sie wirklich so bezaubernd war, wie der Volksmund sie schilderte. Er schickte deshalb seinen vertrautesten Kämmerer mit einem Gefolge von zwölf Sipais nach dem Dorfe, um Tschandni zu holen.

Als man im Orte den Auftrag des Höflings und der Bewaffneten erfuhr, da lief die ganze Bevölkerung, Männer und ältere Frauen, vor Dasas Hause zusammen und nahm eine so drohende Haltung an, daß der Abgesandte des Radschas es für klüger hielt, mit seinen Soldaten wieder abzuziehen. Er hatte aber Tschandni erblicken können und meldete seinem Herrn: »Du bist mir Vater und Mutter. Herr, nimm meinen Kopf, wenn es dir so gefällt, ich habe deinen Befehl nicht ausführen können. Ich fand das Mädchen von einem ganzen Volk umgeben, das sich bereit erklärte, sich lieber in Stücke hacken zu lassen, als ihre Entführung zuzugeben. Ich begreife es. Denn das Mädchen scheint mir eher eine junge Göttin als eine Sterbliche.«

Die Worte seines Vertrauten reizten den Radscha derart, daß er einem ganzen Regiment seines Heeres den Befehl erteilte, in einem Nachtmarsch nach Masrapur zu eilen und das Dorf eng zu umzingeln, um zu verhindern, daß man das Mädchen über die nicht allzuferne Grenze nach Bengalen schaffe.

Am nächsten Morgen aber begab er sich selbst in großem Aufzuge nach dem Orte, wo man sich seinem Befehle zu widersetzen wagte.

Er fand alle Einwohner in höchster Erregung um den Tempel und Dasas Haus zusammengedrängt. Wohl berührten sie den Staub mit der Stirne, als sie des Herrn ansichtig wurden, doch rührten sie sich nicht vom Fleck, auf die Gefahr hin, von seinen Elefanten zerstampft oder von seinen Sipais niedergemetzelt zu werden. Trotz ihrer gewohnten Demut schienen sie zum äußersten entschlossen. Ehe es jedoch zu einem Zusammenstoße kam, traten die Brahmanen in voller Zahl, elf Männer verschiedenen Alters, aus dem Tempel, drängten sich zwischen das Volk und die Soldaten, und der älteste, ein hochgewachsener, langbärtiger Greis, sprach laut: »Willkommen sei der Herrscher, der ein Beschützer der Gerechtigkeit ist.«

Der Radscha blickte ihn finster an, stieg vom reichen Hauda seines Elefanten herab und fragte, die Hand am rubinbesetzten Säbelgriffe: »Wo ist Tschandni?«

»Was willst du mit Tschandni?« lautete die Gegenfrage der Brahmanen.

»Wer wagt es, seinen Herrn zu befragen?« rief der Radscha heftig.

Der Greis antwortete unerschrocken: »Ein Diener der Götter und Bewahrer der Väterweisheit.«

»Jagt den Schwätzer fort!« befahl der Radscha, zum Führer seiner Leibwache gewendet.

Das Volk erhob ein ungeheures Geschrei, die Sipais zögerten, der Radscha wurde dunkelrot im Gesicht und machte eine Bewegung, um blank zu ziehen. – Da verstummte plötzlich das Volksgeschrei, der Haufe wich ehrerbietig zurück und auf der Schwelle von Dasas Hause wurde Tschandni sichtbar. Sie war ganz weiß gekleidet, ihr Antlitz war sehr bleich, aber sie schien ruhig. Sie trat langsam vor, blieb drei Schritte vom Radscha stehen, neigte das Haupt und fragte sanft: »Erlauchter Herr, du hast meinen Namen gerufen. Was befiehlst du?«

Bei ihrem Anblick war der Radscha ganz starr und fassungslos geworden. Er ließ sein Auge lang in stumme Bewunderung verloren auf der herrlichen Gestalt ruhen, dann stammelte er: »Tschandni, du bist schön wie der Tag. Schöneres hat mein Auge nie gesehen.«

Tschandni blieb stumm und blickte mit hoch errötendem Angesicht zu Boden.

Der Radscha näherte sich ihr und sagte mit erregter Stimme: »Mädchen, ich nehme dich mit, mein Palast ist öde ohne dich.«

Tschandni wich rasch zurück, ehe er ihre Hand ergreifen konnte, und erhob ihre leuchtenden Augen zu ihm: »Erlauchter Herr, wenn du mich kennst, so kennst du auch die Geschichte meiner Mutter. Ihr Grab ist hier und sie hört dich und mich. Unser aller Leben ist in deiner Gewalt. Aber dein Spielzeug darf ich nicht sein.«

Ein Murmeln der Bewunderung ging durch das Volk. Wütend wandte der Radscha sich um. »Jagt das Gesindel weg!« schrie er seinen Soldaten zu. Inmitten des folgenden großen Geschreis und Tumults führten einige Brahmanen Tschandni rasch in ihr Haus zurück, der älteste aber bat den Radscha: »Erlauchter Herr, möge es dir belieben, in den Tempel einzutreten. Das ist eine würdigere Stätte für Zwiegespräche als der offene Dorfplatz.«

Der Radscha folgte finster der Aufforderung. Im Innern des Tempels angelangt, erhob der Brahmane mit größerem Selbstbewußtsein die Stimme: »Herrscher, gibst du den Göttern in den Himmeln Ehre?«

»Ich gebe den Göttern in den Himmeln Ehre, wie ich auf Erden für mich Ehre fordere.«

»Sehr wohl, Herr, dann wirst du an der Karmadêvata, die hier unter dem Tigerfell ruht, nicht freveln wollen.« Und er erinnerte ihn in kurzen Worten an Udschlis Selbstopferung, an die Verehrung, der sie im ganzen Lande genoß, an die unzähligen Wunder, die sie fortwährend wirkte und deren Zeugen die an allen Wänden hängenden Weihgeschenke waren.

Die Rede des Brahmanen blieb nicht ohne Eindruck auf den abergläubischen Mann. Mit einem scheuen Blick auf den geschmückten flachen Grabhügel und die Spenden der Gläubigen murmelte er: »Ich bin der Herr des Landes und euer Gebieter. Tschandni ist mein und ich will sie bei mir haben.«

»Erlauchter Herr, wenn du sie bei dir haben willst, so mußt du sie heiraten.«

»Was unterstehst du dich?« fuhr der Radscha auf.

Der Greis ließ sich nicht einschüchtern. »Das Mädchen ist aus guter Kaste, eine Vaischia, also eine Zweimalgeborene.«›Zweimalgeborene‹ nennt man in Indien die Angehörigen der drei obersten Kasten, der Brahmina, Kschatlia und Vaischia.

»Ich bin ein Kschatria und Träger des Schwertes!« rief der Radscha dazwischen.

»Tschandni ist durch die Tat ihrer Mutter und durch die eigene Gelehrsamkeit doppelt eine Arya. Sie ist einem Kschatria und Herrscher ebenbürtig.«

»Die Tochter eines Rayat!«

»Es liegt in deiner Hand, ihn zu erhöhen.«

»Es liegt auch in meiner Hand, das Mädchen mitzunehmen.«

»Du wirst Gewalt anwenden müssen und viel Blut vergießen. Ein Sturm wird durch das Land gehen. Der Engländer wird sich einmischen. Und du wirst deinen Willen vielleicht doch nicht durchsetzen.«

»Drohst du mir, Alter?«

»Erlauchter Herr, ich warne dich nur, wie mein Alter es mir gestattet.«

Der Radscha, ein Spielzeug jäher Launen, doch kein starker Charakter, versank in Nachsinnen. Er sah im Geiste Tschandni und er sah hinter ihr schattenhaft den Political. Die eine bezauberte, der andere erschreckte ihn. Nach einem langen innern Kampfe sagte er schließlich: »Alter, wenn du versicherst, daß Tschandni eine Arya ist, so muß ich mich wohl dem Gesetze fügen. Ich will denn eine Gandhârvâ VivâhaGandhârvâ Vivâha, wörtlich: Hochzeit mit Musikbegleitung, eine Alt weltlicher Eheschließung ohne Priestersegen. mit ihr eingehen und sie zu diesem Zwecke gleich mitnehmen.«

»Nein, Herr, das wäre ungeziemend. Wir werden sie dir zuführen, wie es der Brauch fordert.«

»Du stellst mich auf harte Proben, Alter!« rief der Radscha ungeduldig. »Ich will aber bis zuletzt nachgeben. Ich erwarte, daß ihr sie morgen nach Kutsch führt.«

»Dein Befehl ist Gesetz, erlauchter Herr.«

»Und jetzt will ich meine Braut in Ruhe sehen,« sprach der Radscha und verließ rasch den Tempel.

Man konnte ihn nicht verhindern, in Dasas Haus und bis in das Frauengemach einzudringen, wo Tschandni, von ihren Angehörigen und Dienerinnen umgeben, auf dem Diwan saß und weinte.

»Stille deine Tränen, Tschandni,« rief er, während die Frauen erschrocken auseinanderstoben und sich in die Ecken drückten. »Ich habe beschlossen, dich zu meiner Gattin zu machen, denn ich kann ohne dich nicht leben. Blicke mich freundlich an, meine Teure, meine Königin.«

»Ist das dein Ernst, erlauchter Herr?« fragte Tschandni, ihre Tränen trocknend und zu ihm aufblickend.

»Ein Königswort ist immer ernst, Herrin.«

Da faßte Tschandni den Saum seines goldbrokatenen Rockes und verneigte sich bis auf den Boden vor ihm, er aber hob sie auf und schloß die Erbebende in seine Arme.

Er schmückte ihr Armgelenk mit seinem eigenen Rubinen- und Diamantenarmband, beschenkte Dasa und die Brahmanen reichlich und nahm von Tschandni nach einiger Zeit zärtlichen Abschied. Als er an der Spitze seiner Truppen den Ort verließ, fiel die ganze Bevölkerung vor ihm in den Staub und stieß Freudenschreie aus, die ihm weithin nachhallten. Tschandni aber ging in den Tempel und kniete am Grabe der Mutter nieder. Ihre Stirne berührte den darübergebreiteten Teppich und ihre Tränen flossen auf ihn hinab. Von ihren Lippen strömten heiße Dankesworte an die Heilige, die da unten schlief, an die treue Mutter, die mit ihrem Leben dem Kinde Schönheit und Erhöhung erkauft hatte. Sie weihte der Mutter ihren ganzen Mädchenschmuck und behielt als einziges Geschmeide nur das Geschenk des königlichen Freiers.

Ein Elefant des Radschas holte am nächsten Tage Tschandni, die, in die ihr gesandten kostbaren Gewänder gehüllt, sich nochmals vom Grabe der Mutter verabschiedete und dann im vergoldeten Hauda Platz nahm.

Sie hatte sich ausgebeten, Dasa, ihre assamischen Dienerinnen und ihren Bhai mitnehmen zu dürfen.

Die ganze Dorfschaft geleitete sie eine Strecke Weges und die Rüstigsten kehrten erst um, als sie sie, am Stadttor von dem Radscha und seinem Gefolge empfangen, in den Palast hatten einziehen sehen. Obschon die Hochzeit nur eine Gandhârvâ Vivâha war, feierte Masrapur sie doch wie ein großes Fest.


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