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II. Aus den Vorarbeiten zu »Richard Wagner in Bayreuth«

(1875/76.)

 

357.

Es giebt vielleicht ein paar ganz unaufmerksame Leute, die jetzt noch gar Nichts von Bayreuth und den Dingen, welche sich jetzt an diesen Namen knüpfen, wissen: und dann zahllose, die viel Falsches davon wissen und erzählen. Aber auch das Wahre und Herrliche, was davon zu berichten bliebe, wie matt lebt es in den Empfindungen und Worten Derer, die ehrlich genug sind, es anzuerkennen: und wiederum, wie unaussprechbar muß es den Andern erscheinen, welche ganz von dem Feuer jenes Geistes durchglüht sind, der hier zum ersten Mal zu der Menschheit reden will. Zwischen den Schwachempfindenden und den Sprachlosen stehe ich selber in der Mitte: dies zu bekennen ist weder vermessen noch allzubescheiden, sondern nur schmerzlich: weshalb gerade Das, braucht Niemand zu wissen. Wohl aber entnehme ich aus meiner Mittenstellung ein Gefühl von Pflicht, zu reden und Einiges deutlicher zu sagen, als es bis jetzt in Bezug auf diese Ereignisse geschehen ist. Ich verzichte aus Noth darauf, die sehr verschiedenen Erwägungen, zu denen ich mich gedrängt fühle, in Form und Zusammenhang zu bringen: man könnte wohl den Eindruck eines Ganzen und Geschlossenen mit einiger Kunst der Täuschung hervorbringen: ich will ehrlich bleiben und sagen, daß ich es jetzt nicht besser machen kann, als ich es hier mache, ob ich es freilich schlecht genug mache.

 

358.

Ich wüßte nicht, auf welchem Wege ich je des reinsten sonnenhellen Glücks theilhaftig geworden wäre, als durch Wagner's Musik: und dies, obwohl sie durchaus nicht immer vom Glück redet, sondern von den furchtbaren und unheimlichen unterirdischen Kräften des Menschentreibens, von dem Leiden in allem Glücke und von der Endlichkeit unseres Glücks; es muß also in der Art, wie sie redet, das Glück liegen, das sie ausströmt. – Man rechne nur nach, woran Wagner seine eigentliche Lust und Wonne hat, an was für Scenen, Konflikten, Katastrophen – da begreift man, was er ist und was die Musik für ihn ist. Wotan's Verhältniß zu Siegfried ist etwas Wundervolles, wie es keine Poesie der Welt hat: die Liebe und die erzwungene Feindschaft und die Lust an der Vernichtung. Dies ist höchst symbolisch für Wagner's Wesen: Liebe für Das, wodurch man erlöst, gerichtet und vernichtet wird; aber ganz göttlich empfunden!

 

359.

– Diese Treue gegen sich selbst oder gegen ein höheres Selbst, eines weiblichen zu einem männlichen ist das innerste Problem Wagner's: von da aus versteht er die Welt. Man denke nur an die Überfülle von Talenten, die Alle für sich wollen! Die Treue ist bei Wagner sogar der universalere Begriff, unter den die Liebe fällt, die Geschlechts-, Geschwister-, Kindesliebe. Das ganze Thema der Treue ist bei ihm ausgeschöpft: das Herrlichste ist wohl Brünnhilde, die gegen den Befehl Wotan's Wotan Treue bewahrt und dadurch die Erlösung der Welt möglich macht – ein mythischer Gedanke vom höchsten Range und ganz ihm zu eigen. Da ist aber auch das Gefühl der erlittenen Untreue das Furchstbarste, was je ein Künstler erdacht hat: der Schwur »bei des Speeres Spitze« durch Brünnhilde das Herzzerschneidendste, was es giebt; wie mit Tigertatzen fällt uns da die Leidenschaft an. Die vielen tragischen Möglichkeiten, die in der Treue liegen, hat Wagner für die Kunst erst entdeckt.

 

360.

Die Liebe im Tristan ist nicht schopenhauerisch, sondern empedokleisch zu verstehen, es fehlt ganz das Sündliche, sie ist Anzeichen und Gewähr einer ewigen Einheit.

In Wagner sind gefährliche Neigungen: das Maaßlose (wie leicht hätte sein Genie sich zersplittern können! Aber es ist wie bei den Griechen, als Künstler ist er σὠφϱων, als Mensch nicht); die Neigung zu Pomp und Luxus (durch die fortwährende Entbehrung aufgestachelt, das Loos aller Künstler); das Eifersüchtige (er ist gezwungen zu einem Sich-messen an allen andern Kräften, namentlich Künstlern, um das Wagnerhafte, aber Embryonische an ihnen zu entdecken und so sich doch als nothwendig zu fühlen; wenn er aber der Entwicklung auf sich hin Notwendigkeit zumißt, so sieht er die andern Entwicklungen als Ab- und Nebenwege, auch Irrwege an, als entzogene Kräfte, als Vergeudung, und zürnt darüber; er zürnt auch dem Ruhme, der solchen Irrsteinen gefolgt ist, weil es seinem Wege den Sonnenschein und seinem Werke die Fruchtbarkeit nimmt); das Vielgewandte, Vielverstehende (das Lesen in fremden Individuen, das Überschauen läßt kaum einen recht menschlichen Verkehr zu, wie man auch mit einem Weisen nicht umgehen kann. Einzig naht ihm die Liebe, aber diese blind, während er sieht. So gewöhnt er sich, sich lieben zu lassen und dabei zu herrschen: er hilft Andern vor der Verzweiflung); List und Kunst der Täuschung (zahllose vorgeschobene Motive, Auswege, gleichsam Nothbehelfe im Drama seines Lebens, die er blitzschnell findet und anwendet); immer Recht haben (sein Unrecht bezieht sich höchstens auf die Form, den Grad, oder das gesammte Material war ihm nicht bekannt). – Alle diese Gefahren sind die Gefahren des Dramatikers, besonders gesteigert durch seinen Kampf, der um die Mittel nicht verlegen sein läßt. Er hat Etwas von seinen Helden, sie sündigen nicht. – Nun liegt die Religion der Musik um sein ganzes Wesen: er fühlt es, wie Verträge, Macht, Glanz, Kampf und Sieg nicht beseligt, wie alles mächtige Wollen ungerecht macht, und so nennt er die Liebe das Höchste. Die empedokleische. Er will ja helfen, nützen, erretten – und dies verurtheilt ihn zu einem solchen Leben der Leidenschaft und des Ungenügens.

 

361.

Es giebt nichts Hoffnungsloseres, als von solchen complicirten und seltenen Zuständen der Seele zu Anderen zu sprechen, wenn diese nicht selbst durch die Erinnerung an eigne ähnliche, wenn auch vielfach schwächere Zustände und durch ein beschauliches Suchen in ihrem Innern dem Sprechenden auf halbem Wege entgegenkommen; solche bereite Zuhörer aber vorausgesetzt, halte ich es allerdings für möglich, den ganz eigenen und einzigartigen Eindruck einer großen Begabung allmählich so deutlich für die Empfindung auszuprägen, daß wir von der entscheidenden Sicherheit dieses Eindrucks auf uns unwillkürlich auf jenen Zustand zurückschließen, in welchem der Künstler sich zum Schaffen gedrängt fühlt d. h. den Eindruck der Welt auf sich als einen Anruf seiner eigensten Kraft empfindet. Auf ein Mitwissen um diesen Zustand kommt aber Alles an, und jede Beschäftigung mit der Kunst kann nur dies Ziel haben, zuletzt einen Eingang zu jenen verborgenen Seelen-Mysterien zu entdecken, in denen das Kunstwerk geboren wird. Der Künstler ist gerade nur als Mittheilender über diese Mysterien Künstler, er will uns durch seine Art zu sprechen und sich mitzutheilen zu Miteingeweihten machen: er will mit seinem Werke auf Etwas hinweisen, was vor dem Werk, hinter dem Werk ist.

 

362.

Wagner's Kampf im Kunstwerk. –

Rienzi: Gegensatz zur »Ordnung«, der Reformator.

Holländer: das Mythische gegen das Historische.

Tannhäuser, Lohengrin: das Katholische gegen das Protestantische (das Romantische gegen die Aufklärung).

Meistersinger: Gegensatz zur Civilisation, das Deutsche gegen das Französische.

Tristan: Gegensatz zur Erscheinung, das Metaphysische gegen das Leben.

Nibelungen: freiwilliges Verzichten der bisherigen Weltmächte, Gegensätze von Weltperioden – mit Umwandlung der Richtung und der Ziele.

So erscheint er fast als restaurativer Typus? – Logische Trägheit. Fühlen, Ahnen. Die Unbewußtheit, Instinktivität. – Aber alles Dies ist nur als Schein zu nehmen: sein Charakter ist progressiv.

 

363.

Die Zukunft der Kunst (wenn die Menschheit ihr Ende begreift). Ich könnte mir auch eine vorwärtsblickende Kunst denken, die ihre Bilder in der Zukunft sucht. Warum giebt es solche nicht? Die Kunst knüpft an die Pietät an.

 

364.

Wenn Wagner bald den christlich-germanischen Mythus, bald Schiffahrer-Legenden, bald buddhaistische, bald heidnisch-deutsche Mythen nimmt, bald protestantisches Bürgerthum, so ist deutlich, daß er über der religiösen Bedeutung dieser Mythen frei steht und dies auch von seinem Zuhörer verlangt; so wie die griechischen Dramatiker darüber frei standen, und schon Homer. Auch Äschylus wechselte nach Belieben seine Vorstellungen, selbst von Zeus. Fromm ist ein Dichter niemals. Es giebt keinen Cultus, keine Furcht, Angst und Schmeichelei vor den Göttern, man glaubt nicht an sie. Der Grieche, der im Bühnenhelden in abergläubischer Weise den Gott sah, war nicht der Zuschauer, den Äschylus wollte. Die Religiosität der Götzen und Fetische muß vorüber sein, wenn Jemand so frei in Vorgängen denken soll, als Dichter. Wagner fand einen ungeheuren Zeitpunkt vor, wo alle Religion aller früheren Zeiten in ihrer dogmatischen Götzen- und Fetischwirkung wankt: er ist der tragische Dichter am Schluß aller Religion, der »Götterdämmerung«. So hat er die ganze Geschichte sich dienstbar gemacht, er nimmt die Historie als sein Denkbereich in Anspruch: so ungemein ist sein Schaffen, daß er durch alles Gewordene nicht erdrückt wird, sondern nur in ihm sich auszusprechen vermag. – In welchem Lichte sieht er nun alles Gewordene und Vergangene? – Die wunderbare Bedeutung des Todes ist hier voranzustellen: der Tod ist das Gericht, aber das frei gewählte, das ersehnte Gericht, voll schauerlichen Liebreizes, als ob es mehr sei als eine Pforte zum Nichts. Der Tod ist das Siegel auf jede große Leidenschaft und Heldenschaft, ohne ihn ist das Dasein Nichts werth. Für ihn reif sein ist das Höchste, was erreicht werden kann, aber auch das Schwierigste und durch heroisches Kämpfen und Leiden Erworbene. Jeder solche Tod ist ein Evangelium der Liebe, und die ganze Musik ist eine Art Metaphysik der Liebe; sie ist ein Streben und Wollen in einem Reich, welches dem gewöhnlichen Blick wie das Reich des Nichtwollens erscheint, ein sich Baden im Meere der Vergessenheit, ein rührendes Schattenspiel vergangener Leidenschaft.

 

365.

Es sind Elemente da in Wagner, die reaktionär erscheinen: das Mittelalterlich-christliche, die Fürstenstellung, das Buddhaistische, das Wunderhafte. Von hier aus mag er manchen Anhänger gewonnen haben. Es sind seine Mittel sich auszudrücken, die Sprache, die noch verstanden wird, aber einen neuen Inhalt bekommen hat. Diese Dinge sind bei dem Künstler künstlerisch, nicht dogmatisch zu nehmen. Auch das National-Deutsche gehört hierzu. Er sucht für das Kommende im Gewesenen die Analogien, so erscheint ihm das Deutsche Luther's, Beethoven's und seiner selbst, das Deutsche und seine großen Fürsten als Bürgschaften, daß etwas Analoges von Dem, was er für nöthig in der Zukunft hält, einmal da war; Tapferkeit, Treue, Schlichtheit, Güte, Aufopferung, wie er alles Dies in der herrlichen Symbolik seines »Kaisermarsches« zusammen gesagt hat – das ist sein Deutschthum. Er sucht den Beitrag, den die Deutschen der kommenden Cultur geben werden [Das ist freilich nicht der »Historismus« der Gelehrten Deutschlands, wie Hillebrand meint. Denn das ist wirklich Reaktion und Lügengeist und Optimismus]. Sondern in dem großen unbefriedigten Herzen, das weit größer ist als eine Nation – das nennt er deutsch: man nennt es vulgärer Weise das Kosmopolitische des Deutschen, das ist aber nur die Carrikatur. Die Deutschen sind nicht national, aber auch nicht kosmopolitisch, die größten Deutschen; nur ihre Feinde haben ihnen den dummen Wahn, man müsse beschränkt sein, eingeimpft. Um die Erbschaft der Vergangenheit antreten zu können, müssen wir uns auch verpflichtet fühlen, ihre Schulden zu bezahlen. Man muß gut machen, was sie versäumt und verbrochen hat: das ist der billige Dank dafür, daß wir an Dem Theil haben dürfen, was sie gewonnen und errungen hat.

 

366.

Jetzt freilich hat der widerliche Betrieb unserer gebildeten Musikanstalten jenen größten Skandal nicht verhindert, welchen die Deutschen in der Kunst begangen haben – daß ein großer Krieg eine »Volksweise« als seinen musikalischen Ausdruck fand wie »die Wacht am Rhein«; ein so süßliches und gemeines Ding, daß jeder Landsknecht eines deutschen Heeres davor ausgespuckt hätte. Und dann die Pflege des Männergesanges, wo man das glacirte Volkslied, mit zuckriger Harmonie und Tempokünsten einlernt! und deutsche Sängerfeste feiert, unserer großen Musik in's Gesicht lachend!

 

367.

Daß die Kunst nicht die Frucht des Luxus von Klassen oder Einzelnen ist, sondern gerade einer vom Luxus befreiten Gesellschaft zugehört und seine Entstehung zu verdanken hat, ist der neue Gedanke. Wie eine solche Gesellschaft beschaffen sein müsse, zeigt im mythischen Bilde Wagner in den Nibelungen: wo die Götter vernichtet, die Macht und das Geld seine fluchbeladene Bahn zu Ende gelaufen ist, wo der Geist der Treue, Liebe unter den Menschen herrscht. Die bisherige Kunst ist die Frucht des Luxus (doch nicht die kirchliche); auch die Musik hat einen Antheil daran gehabt und einen spielerischen Charakter erhalten, bis sie durch Beethoven zur Besinnung kam und von Wagner gereinigt wurde. Denn er ist der kathartische Mensch für die Kunst. Es sind wirklich die Armen und Schlechtbegüterten, auch die Wenig-Unterrichteten, an denen Wagners Kunst ihren festesten Schutz hat. – Wagner hat ganz Recht: wo die Politiker und die Weisen aufhören, da fängt der Künstler an, als Seher und Ahner der neuen Gedanken. Die nächste ungeheure Sphäre, die zu erobern ist, ist die Erziehung: und erst wenn eine genügende Masse Menschen so im Widerspruche zu allen bestehenden Mächten sich fühlen, werden sie auch die Schulter gegen das Gebälk stemmen. Es ist eine sektirerische Kunst und wird eine sektirerische Erziehung sein: aber mit dem höchsten Streben, über die Sekte hinauszukommen. Es liegt in ihrem Wesen, nicht eine Grenze, eine Klasse abzusondern, nur durch äußere Gewalt kann sie eine Zeit Sekte sein. So lange es noch Menschen giebt, die nicht neu erzogen sind, haben die Neu-Erzogenen zu leiden.

 

368.

Die sich Zurückhaltenden, aus Desperation wie Jakob Burckhardt.

 

369.

Die gewohnte Leichtfertigkeit – oder ist es gar die thörichte Überhebung der modernen Menschen? – bringt es mit sich, daß den tief spürenden, der reichsten Erfahrung nachgehenden Einreden Plato's gegen die Kunst jetzt kein Gehör mehr geschenkt wird; wer aber noch belehrbar ist, muß sehr bestimmt einsehen, daß das Walten einer mächtigen Kunst auch eine Menge Gefahren mit sich führt, und daß gerade die größten Künstler eine Nachwirkung gehabt haben, welche den besorgtern Denkern fast bei jedem neuen Erscheinen solcher Mächte Furcht einflößen muß. Allzu leicht erscheint es so, als ob die Kunst die Ziele des thätigen Lebens selber hinzustellen hätte, und mit gefährlichstem Mißverstande wird dann der Künstler als unmittelbarer Erzieher verstanden. Wird dagegen seine wundervolle Aufgabe mit Recht so begriffen, daß er für das kämpfende und zielesetzende Leben einzuweihen hat, so ist man ebenso im Recht, ihn sich auf das Schärfste vom Leben selber abgetrennt zu denken und seinen Nachwirkungen ein Strombett anzuweisen, welches nicht den Gang des Lebens durchkreuzt und bestimmt. Man würde Plato's Meinung treffen, wenn man mit einiger Härte darauf bestünde, daß es gleichgültig sei, was ein Künstler in socialer und politischer Hinsicht denke: daß es zum Beispiel für die Athener ohne Gewicht sein mußte, ob Äschylus sich für oder gegen die Beschränkung des Areopag erklärte; ja ich glaube sogar, erst dadurch, daß man in dem Künstler gerade etwas Überzeitliches verehrt, wird man sich gegen das Gefährliche, das in seiner direkten Wirkung auf die Zeit liegt, einigermaaßen schützen können. Ich will in diesem Zusammenhange darauf aufmerksam machen, daß es überaus nahe liegt, und deshalb gefährlich ist, Wagner nicht als Künstler zu verstehen, oder anders ausgedrückt: aus seinen Kunstwerken bestimmte Winke über die Gestaltung des Lebens entnehmen zu wollen. Es liegt das so nahe, weil Wagner selber in verschiedenen Perioden den Versuch gemacht hat, bestimmte Antworten auf die Frage nach dem Zusammenhang seiner Kunst mit dem Leben zu finden. Es giebt Aufsätze von ihm, die ganz von dem magischen Lichte eines seiner Kunstwerke überströmt sind – und jedes Kunstwerk hat ein ihm eigentümlich gefärbtes Licht.

 

370.

Das Improvisatorische. Wagner hat zur Erklärung Shakespeare's darauf hingewiesen, wie er als improvisirender Schauspieler zu denken sei, der die Besonnenheit habe, seine Improvisationen zu fixiren; und ähnlich bezeichnet er sich als Musiker. »Selbstentäußerung« als Wesen dieser Kunst – Eingehen in fremde Seelen, Lust an dieser Vertauschung; ein solcher Seelenwechsel bei dem Musiker ist nun ein Phänomen höchster Art: das Nicht-Subjektive des Musikers etwas ganz Neues. So stellt Wagner die Meistersinger neben den Tristan: von einer solchen Möglichkeit hatten die älteren Musiker gar keine Vorstellung: wenn diese nicht ihre Stimmung, ihre Leidenschaft aussprechen wollten, waren sie steif oder spielten mit den überkommenen melodischen Typen. Besonders muß man Acht geben, wie mitunter die Musik entschieden im Gegensatz zu Wagner's persönlicher Stimmung steht: so ist Hagen als Hochzeitrufer eine der verwegensten Selbstentäußerungen Wagner's. Es versuche nur Einer das nachzumachen, nachdem er erst mit der Seele Partei ergriffen hat! Das Höchste ist vielleicht Mime. Und dann sehe man, wenn es Wunderthaten giebt, wie sehr da die Musik an diese Wunder glaubt: zum Beispiel wenn Siegfried sein Schwert schmiedet, wozu eine Kraft der Entäußerung von der Zeit gehört, wovon unsre »Dichter« auch keine Ahnung haben. Wenn Diese Wunder vorbringen, so schwindeln sie; wie unsre Philosophaster schwindeln, wenn sie sich in »Mystik« tauchen. Das ist aber der Fluch der jetzigen Philosophirer, daß sie sich mit ihrem phantasieleeren, nüchternen und zugleich verworrenen Kopfe anstellen, als seien sie zur Mystik überhaupt befähigt; weshalb zu rathen ist, Jedem, der mystische Wendungen macht, als einem unehrlichen Gesellen sechs Schritt fern zu bleiben. Am wenigsten bedenklich ist es, wenn es nur Verlegenheits-Mystik ist, dort wo der Verstand unsicher wird, das Auge sich trübt, und der Besonnene sich zurückzieht; fast jeder Denker streift an solche Grenzen an. Wagner taucht in fremde Köpfe, Sinne, Zeiten hinein und hinab und macht uns Nichts vor. Ein Riese, ein Höhlenwurm, Rheintöchter – das wäre Alles für unsre »Dichter« Lügnerei und läppische Tändelei: sie haben den Zauber nicht im Leibe, um die Natur zu beseelen und das Belebte in der Welt zu mehren! Es sei nur auf einen Augenblick – aber er war diesen Augenblick verwandelt, und trug den Eindruck davon: man höre, wie die Kröte kriecht!

 

371.

Wie Wagner es versteht, abzuschließen, zeigt seine Beschäftigung mit der deutschen Mythologie. Alle Gelehrten haben nur für ihn gearbeitet; jetzt nachdem das Werk der Wiederauferstehung des deutschen Mythus vollendet ist, ist jene Gelehrten-Gattung überflüssig geworden. Und so sollen sich Gelehrte überflüssig machen lassen! Nur im Hinblick auf solche endgültige Beseitigung ihrer Gattung durch einen Genius arbeiten sie ja! Als Solche, die auf Erlösung hoffen, verzaubert zur unterirdischen, sonnenlosen, mühsamen Arbeit! – Wer hätte jetzt noch viel über Äschylus und Sophokles zu sagen! Das Größere ist da, der Inbegriff auch ihrer Kunst, zugleich die höchste Rechtfertigung der Verehrung, welche sie genossen haben, fast auf Treu und Glauben hin. Ebenso ist die Religionsgeschichte an einen Wendepunkt gestellt, ebenso die Kunstgeschichte: eine ungeheure Summe von Wissen kann man jetzt wegwerfen, nachdem das erlösende Wort gesprochen ist; ein guter Theil von Gelehrsamkeit und Geschichte (Ästhetik namentlich) ist veraltet, zum Trödel geworden. – Wie es Andere verstehn, nicht abzuschließen, zeigt z. B. die Beschäftigung mit dem deutschen Märchen, das war durch Gelehrte wieder entdeckt und den alten Weibern und Kindern abgelauscht worden. Statt nun den hohen Grad von Erniedrigung zu empfinden, der in der Verwandlung des Männer-Mythus zum Alt-Weiber-Märchen liegt, und diesen Bann zu brechen, beschäftigte man sich mit alberner Kindlichkeit mit künstlerischer Verarbeitung des Märchens, wie z. B. Schwind: und unsre blasirten Großstädter thaten kindlich! Die ganze deutsche Romantik war eine Gelehrten-Bewegung, man wollte gern in's Naive zurück, und wußte, daß man's so gar nicht war. Wer jetzt nicht heldenhaft ist, kann nicht in's Einfache und Naive hindurch; aber Jene meinten, durch Verweichlichung, Vergreisung, Altjungferhaftes und eine Art von absichtlicher »zweiter Kindheit« dahin zu kommen. Man muß dem Volksliede nicht nachsingen, sondern vorsingen können, um ein volksthümlicher Sänger zu sein. Und das versteht Wagner, er ist volksthümlich in jeder Faser.

 

372.

Wie durch Wagner die ästhetischen Gegensätze: subjektiv, objektiv, romantisch, classisch, naiv, sentimentalisch ganz aufgehoben sind; sie passen nicht.

 

373.

Die lange C dur-Symphonie von Schubert ist langweilig, weil die einzelnen Sätze nur scheinbar im Ganzen, in Wahrheit nur im Kleinen, Einzelnen ihre Berechtigung haben. Das Einzige, was diese Musiker gewirkt haben, ist, daß sie eine Menge von Ausdrucksformen zugänglicher, verbreiteter gemacht haben, besonders auch im Liede.

 

374.

... Beispiel an der neunten Symphonie Beethoven's; hier giebt der erste Satz den Gesammtton und -Wurf der Leidenschaft und ihres Ganges. Das braust immer fort, die Reise durch Wälder, Klüfte, Ungeheuer: da braust in der Ferne der Wasserfall, da stürzt er in mächtigen Sprüngen hinab, mit einem ungeheuren Rhythmus in seinem Donner. Ruhe auf der Reise, ist der zweite Satz ( Selbstbesinnung der Leidenschaft und Selbstgericht), mit Vision einer ewigen Ruhe, welche über alles Wandern und Jagen wehmüthig-selig niederlächelt. Der dritte Satz ist ein Moment aus der höchsten Flugbahn der Leidenschaft: unter den Sternen ist ihr Lauf, unruhig, kometenhaft, irrlichthaft, gespenstisch-unmenschlich, eine Art von Abirrung, die Rastlosigkeit, inneres flackerndes Feuer, ermüdend, quälendes Vorwärtsziehen, ohne Hoffen und Lieben: höhnisch derb mitunter, wie ein nie Ruhe findender Geist herumschweift, auf Gräbern. Und nun der vierte Satz: herzzerschmetternder Aufschrei: die Seele trägt ihre Last nicht mehr, sie hält den ruhelosen Taumel nicht aus, sie wirft selbst die Vision ewiger Ruhe von sich, die in ihr auftaucht, sie knirscht, sie leidet schrecklich. Da erkennt sie ihren Fluch: ihr Alleinsein, ihr Losgelöstsein, selbst die Ewigkeit des Individuums ist ihr nur Fluch. Da hört sie, die einsame Seele, eine Menschenstimme, die zu ihr wie zu allen Einzelnen redet, und zwar als zu Freunden und zur Freude der Vielsamkeit auffordert. Das ist ihr Lied. Und nun stürmt das Lied von der Leidenschaft für das Menschliche überhaupt herein mit seinem eignen Gange und Fluge: der aber nie so hoch gewesen wäre, wenn nicht die Leidenschaft des nächtlich fortstürmenden einzelnen Vereinsamten so groß gewesen wäre. Es knüpft sich die Mitleidenschaft an die Leidenschaft des Einzelnen an, nicht als Contrast, sondern als Wirkung aus jener Ursache. –

 

375.

Wagner's Musik macht den Eindruck erhabener Arbeit, im Vergleich zu der flacheren Manier der Älteren.

 

376.

Der rhythmische Sinn im Großen. Die Anlage jedes Wagner'schen Dramas ist von einer Einfachheit, welche noch größer ist als die der antiken Tragödie; und dabei ist die dramatische Spannung die höchste. Dies liegt in der Wirkung der großen Formen, ihrer Gegensätze, ihrer einfachen Bindungen, das ist das Antike an dem Bau dieser Dramen. – Man durchdenke die Einleitungen der drei einzelnen Akte, das Verhältniß der drei Akte zu einander: hier zeigt sich eine schlichte Größe des Baumeisters, welche in der neueren Dichtung überhaupt nicht ihres Gleichen hat. Die Spannung beruht auf den Höhenverhältnissen der Leidenschaften, niemals auf dem Effekt des neuen und überraschenden Schauspiels. Ich wünschte mir den Grad von rhythmischer Augen-Begabung, um über das ganze Nibelungenwerk in gleicher Weise hinschauen zu können, wie es in einzelnen Werken mir mitunter gelingt: aber ich ahne da noch eine besondere Gattung rhythmischer Freuden des höchsten Grades. Die Rheintöchterscene mit Siegfried im vorletzten Akt des letzten Dramas und die Rheintöchterscene mit Alberich im ersten Akt des ersten Dramas; der Liebesjubel der sich Findenden, Siegfried's und Brünnhildens, im letzten Akt des Siegfried und der Abschiedsjubel der sich Trennenden im ersten Akt der Götterdämmerung u. s. w. Dann wieder die Nornenscene im Anfange des ersten Akts (Vorspiels) der Götterdämmerung. Im Tristan Liebessehnsucht im zweiten Akt, Todessehnsucht im dritten Akt. Im einzelnen Akt ist der Schluß oftmals (Tristan 1, Walküre 1, Siegfried 1) ein Sichstürzen eines Stromes mit immer schnellerem Rauschen, die zunehmende Breite und zugleich Schnelligkeit der Empfindung, mit der höchsten Sicherheit. Andere Akte haben eine Katastrophe und darauf eine Erschütterung und Stillstehen der Empfindung über das Ungeheure, was geschehen: so Marke im zweiten Akt des Tristan, der Zug der Mannen mit Siegfried's Leiche.

 

377.

Das Überflüssige in der Kunst: selbst das Gute einer bestimmten Art soll einmal da sein. Der Reichthum der Kunst in der Mannigfaltigkeit der Formen und Wiederholungen hat den Nachtheil, die Form zu verbrauchen, abzustumpfen. Weshalb man sehr streng gegen Nachahmer sein soll. Die griechische Tragödie war vorbei, als die Dilettanten darüber herfielen. –

Das Schönste ist die Unnachahmbarkeit Shakespeare's und Wagner's. Das heißt: in vielen Dingen, Mitteln der Wirkung, werden sie sofort massenhaft nachgeahmt, und es giebt jetzt keinen begabten Componisten, der nicht bereits wagnerisches Gepräge hätte, in den Melismen, der Harmonik, der freien langen Melodie u. s. w. Die Gefahr von solcher Nachahmung ist sogar sehr groß, wie bei Michel Angelo. Um so stärker muß man sich von der Zusammengehörigkeit der wagnerischen Mittel und Zwecke überzeugen, um es fast mit Ekel zu empfinden, wenn dann die Mittel isolirt zu ganz andern und kleinen Zwecken verwendet werden. Wagner muß auf Musiker die Wirkung haben, daß er diese zu Virtuosen der Ausübung und zu strengen Lehrmeistern macht; aber das wahnsinnige Componiren sollte er ihnen verleiden.

Besonders ist die Gefahr des Naturalismus groß, nach Wagner. Das Erschreckende, Berauschende u. s. w. seiner selbst wegen erstrebt. Eine ungeheure Fülle von Mitteln ist ja da.

 

378.

Wenn die heutigen Musiker, die Gegner Wagner's sind, die große Form affektiren, sind sie nicht mehr ehrlich, sondern wollen täuschen. Besten Falls sind sie fleißig und lernen Das, was von der Musik zu lernen ist: im Vertrauen darauf, daß die »Gebildeten« den schwierigen Unterschied zwischen Original und Copie, zwischen Erlernbarem und Unlernbarem nicht merken, schaffen sie darauf los. Ihnen Allen sei, wenn sie durchaus componiren wollen, die kleinste Form anempfohlen, Etwas was ich mit freiem Ausdrucke das musikalische Epigramm nennen möchte, dafür reicht vielleicht der Witz und die Gestaltungskraft, und sie können ehrlich sein; dabei kann noch Herrliches entstehn, wie bei den Griechen, die sich auch auf die kleinste Form warfen, als die großen vorweggenommen waren.

 

379.

Zukunft von dem Bayreuther Sommer: Vereinigung aller wirklich lebendigen Menschen: Künstler bringen ihre Kunst heran, Schriftsteller ihre Werke zum Vortrage, Reformatoren ihre neuen Ideen. Ein allgemeines Bad der Seelen soll es sein: dort erwacht der neue Genius, dort entfaltet sich ein Reich der Güte.


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