Johann Nestroy
Freiheit in Krähwinkel
Johann Nestroy

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Achtzehnte Szene

Klaus, Cäcilie, Sigmund (kommen von links).

(Cäcilie hat einen Strohhut mit grünem Schleier auf und hält den Schleier, sorgfältig ihr Gesicht verbergend, fest.)

Klaus (Cäcilie am Arme führend). Nein, das Zittern und Herzklopfen, das is ja, als wie wenn a Uhrwerk in Ihnen wär'.

Sigmund. Die Arme fürchtet sich so.

Klaus (zu Cäcilie). Haben Ihnen vielleicht die Steinhaufen ängstlich g'macht, über die wir haben kraxeln müssen?

Sigmund. Ach nein! Sie fürchtet nichts als ihren Vater. –

Klaus. Na, jetzt, der soll uns nicht gar zu viel Mäus machen. Meine Begleitung macht die Sache so anständig, daß gar kein Mensch einen Anstand dran finden kann. (Für sich.) Die zwei Leut' g'fallen mir mit ihrem G'heimnis, als ob ich nicht trotz dem Schleier doch wüßt', daß es die Nachtwachterische Walperl is –

Sigmund (welcher leise ein paar Worte mit Cäcilie gewechselt). Sie frägt mich eben, warum wir diesen Umweg machen?

Klaus. Das hat einen wichtigen Grund. Ich hab' müssen bei mein' Haus vorbei. Wissen S', es gehen heut' allerhand Leut' herum in der Stadt, daß ei'm völlig angst und bang wird, wenn man s' sieht, und da hab' ich in einem Wiener Blatt etwas g'lesen von einem Zauberspruch, der weit mehr als Schloß und Riegel wirkt. Wir werd'n gleich fertig sein. (Zieht ein Stück Kreide aus der Tasche und schreibt an das Haustor.)

Cäcilie (leise zu Sigmund). Ich hab' Todesängsten –

Sigmund. Nicht doch, beruhige dich!

Klaus. So, das wär' in der Ordnung –! (Hat auf die Türe die Worte: »Heilig sei das Eigentum!« geschrieben.)

Neunzehnte Szene

Vorige. Ultra.

Ultra (als Arbeiter gekleidet, mit einer Spitzhacke in der Hand, von Seite rechts kommend). Ah, mir g'schieht ordentlich leicht, seit ich wieder einem rechtschaffenen Menschen gleichseh'.

Klaus (Ultra bemerkend). Aha –! (Zu Sigmund.) Da ist schon so ein verdächtiges Individuum. (Zu Ultra.) Da, Freund, lies Er's nur, was auf der Türe steht.

Ultra. »Heilig sei das Eigentum!« O, ihr Kapitalisten, wie albern seid ihr!

Klaus. Ah, mein Geld hab' ich nicht z' Haus liegen, so g'scheit bin ich schon. Aber man hat auch noch andere Sachen, in die man hohen Wert setzt.

Ultra. Sie sind ein – ich mag nicht sagen, was, denn es betreffet zu viele. »Heilig sei das Eigentum!« Wenn diese Worte den Arbeitern nicht ins Herz g'schrieben wären, was nutzet denn auf alle Türen das Geschmier'?

Klaus (zu Sigmund und Cäcilie). Der wird noch grob –! (Zu Cäcilie.) Ich bring' Ihnen an den Ort Ihrer Bestimmung, und wenn sich Ihr Vater gar nicht überreden lassen will so sag' ich ihm's franchement ins G'sicht, daß er ein dummer Kerl is. (Geht mit Cäcilien, welcher er den Arm gibt, und mit Sigmund Seite rechts ab.)

Zwanzigste Szene

Ultra (allein).

Ultra. Auf was gibt denn der gar so acht da drin, auf d' Letzt' –? Neugierig bin ich etwas – na, und warum – 's Anläuten verletzt ja das Eigentum noch nicht. – (Läutet am Hause des Klaus.)

Einundzwanzigste Szene

Emerenzia. Der Vorige.

Emerenzia (von innen). Was is's –? (Die Haustüre halb öffnend.) Was will der Herr?

Ultra. Is d' Frau allein zu Haus? Gar niemand sonst?

Emerenzia (ängstlich werdend). Allein bin i – mutterseelenallein – (mit steigender Angst) um alls in der Welt –

Ultra. Jetzt hat die Ängsten! Mach' d' Frau 's Türl zu!

Emerenzia. Gott steh' mir bei! (Verschließt sich wieder in ihr Haus.)

Zweiundzwanzigste Szene

Ultra (allein).

Ultra. Und da schreibt der Kerl: »Heilig sei das Eigentum!« Ah, diese Kreidenverschwendung, das ist zu stark! – Wer hätt' sich aber jemals dieses regsame, bewegte Leben in dem friedlichen Krähwinkel als möglich gedacht? Wir haben jetzt halt überall die zweite Auflag' von der vor vierzehn Jahrhunderten erschienenen Völkerwanderung. Nur mit dem Unterschied, daß jetzt die Völker nicht wandern, sich aber desto stärker in ihren stabilen Wohnsitzen bewegen. Natürlich, so was wirkt nach allen Seiten hin, gärt und muß sich abbeißen und kann folglich nicht so g'schwind vorübergehn.

Lied
1.
                                    In Sizilien beiden
            Wär'n d' Menschen z' beneiden,
            Herumspazier'n immer
            In ein' herrlichen Klima,
            In d' Politik nix pantschen,
            Schön fressen Pomerantschen,
            Singen Lieder der Minne
            Zur Mandldoline,
            Selbst vesuvischem Brande
            Ruhig zuschaun vom Strande;
So hätt's Leben in Neapel recht a friedliches G'sicht,
Aber d' Weltgeschicht' sagt: justament nicht!
            Nach Freiheit hab'n s' g'rungen,
            's is ihnen gelungen –
            Da denkt sich der Köni:
            »Da wär' i ja z' weni.
            's Volk schreit mordionisch:
            ›Nur nix mehr bourbonisch!‹
            Die G'schicht' ändern kann i,
            I zahl' d' Lazzaroni,
            Den Gusto soll'n s' büßen,
            Ich lass' s' halt zsamm'schießen –«
                Sie, das is kurios,
                Aber 's gibt noch ein' Stoß,
                Die Gärung is z' groß,
                Es geht überall los.
2.
            In England wär's herrli,
            So find't man's wohl schwerli,
            's Geld nach Pfund, nit nach Kreuzer,
            Chesterkäs statt an Schweizer,
            Diese Beefsteaks, das Porter,
            Die gelehrten Oxforder,
            Und trotz daß 's Volk herrscht allmächti,
            Geht's der Königin doch prächti;
            Der Prinz Albert, nix weiter
            Als »Viktoria!« schreit er;
So hätt's Leben in London recht a friedliches G'sicht,
Aber d' Weltgeschicht' sagt: justament nicht!
            Betracht'n wir's politisch,
            Steht's in England sehr kritisch,
            So viel Millionen Gulden
            Hat gar kein Staat Schulden.
            In dem Reich der drei Inseln
            Tut auch z'viel Armut winseln,
            Aufgeklärt O'Conellisch,
            Wird Irland rebellisch,
            Denn der Hung'r psychologisch
            Is rein demagogisch.
                O, ich bin drauf kurios,
                Na, da gibt's noch ein' Stoß,
                Denn die Gärung is z' groß,
                Es geht überall los.
3.
            Frankreich denkt sich: »Was tu' i,
            Es prellt uns der Louis
            Um d' Freiheit allmählich
            Durch d' Minister gar schmählich;
            's tut's nicht mehr Orleanisch,
            Wer'n wir republikanisch!« –
            's kommt zur Realisierung
            D' Proletarier-Regierung.
            In ein' Tag waren s' auf Rosen
            Gebettet, d' Franzosen;
So hätt's Leben in Frankreich recht a friedliches G'sicht,
Aber d' Weltgeschicht' sagt: justament nicht!
            Es woll'n d' Republiken
            In Europa nicht glücken,
            Selbst für die von die Schweizer
            Geb' ich keine fünf Kreuzer –
            Von d' Pariser nicht wenig'
            Woll'n schon wieder ein' König –
            Woher nehm'n und nicht stehlen!
            Viele krieg'rische Seelen
            Ein' Napoleon verlangen;
            Da wer'n sie's erst fangen.
                O, i bin drauf kurios,
                Na, da gibt's noch ein' Stoß,
                's is d' Gärung zu groß,
                Es geht überall los.
4.
            Anders tut sich Östreich machen,
            Da gehn um'kehrt die Sachen;
            Zwar is d' Aufgab' ka kleine,
            Da z' kommen ins reine,
            's soll ein Zirkel Völkerschaften
            An ein' Mittelpunkt haften;
            Unsere Stellung war schwierig,
            Und viele hab'n schon gierig
            G'wart't auf unsre Auflösung.
            (Niest.) Atzi! Zur Genesung!
Sie hab'n schon glaubt, daß alles feindlich in Teile zerbricht –
Aber d' Weltgeschicht' sagt: justament nicht!
            Eine Freiheit vereint uns,
            So wie a Sonn' nur bescheint uns;
            G'schehn auch Umtrieb' von Ischl
            Oder von Leitomischl,
            Wir kommen zur Klarheit,
            G'sunder Sinn find't schon d' Wahrheit;
            Und trotz die Diff'renzen
            Wird Östreich hoch glänzen
            Fortan durch Jahrhundert',
            Gepriesen, bewundert –
                Wir stehn da ganz famos
                Und wir fürchten kein' Stoß,
                Is die Gärung auch groß,
                Bei uns geht nix mehr los! –
                (Rechts ab.)

Verwandlung

Die Bühne stellt den Teil des Hauptplatzes in Krähwinkel dar, wo derselbe in eine etwas bergauf gehende Gasse einmündet. Am Eingang der Straße in der Tiefe der zweiten Kulisse ist eine Barrikade erbaut, weiter im Hintergrunde eine zweite, ganz im Hintergrunde eine dritte. Am Horizont sieht man Vollmond, alle Fenster sind erleuchtet. Vor den Barrikaden stehen Arbeiter mit ihren Werkzeugen, darunter Willibald, Sigmund und der Nachtwächter, auf den Barrikaden Krähwinkler, darunter Mädchen, in Studentenuniform gekleidet, hinter ihnen Bürger mit Hellebarden, Pemperl und Schabenfellner. Unter den auf der vordersten Barrikade befindlichen, als Studenten verkleideten Frauenzimmern sieht man Frau von Frankenfrey als Akademiker mit der Offiziersschärpe, dann Walpurga, Cäcilie, Babette, Adele als Akademiker.

Dreiundzwanzigste Szene

Alle obbenannten Personen.

(Mit der Verwandlung wird mit Orchesterbegleitung eine Strophe von dem Liede »Das deutsche Vaterland« gesungen. Mit Ende der Strophe schweigt die Musik. Die als Studenten gekleideten Frauenzimmer treten hinter die Barrikaden.)

Vierundzwanzigste Szene

Bürgermeister. Klaus. Zwei Wächter. Die Vorigen.

Bürgermeister (wütend mit Klaus und den Wächtern von Seite links auftretend). Kühnheit ohnegleichen! Man errichtet Barrikaden –!?

Klaus. Das ist noch nicht dagewesen!

Bürgermeister. Und in fünf Stunden erfrecht man sich fertig zu sein!?

Klaus. Der Magistrat hätt' vier Monat' dran gebaut.

Frau von Frankenfrey (mit den übrigen als Studenten gekleideten Frauenzimmern plötzlich auf den Barrikaden erscheinend). Was soll's? – Wir sind bereit zum Kampf auf Tod und Leben! –

Bürgermeister (wie vom Donner gerührt). Himmel – Studenten!

Klaus (perplex). Studenten –!

Frau von Frankenfrey. Seht ihr die Totenköpfe auf unsern Kalabresern? Sie sind euch ein warnendes Bild; so werden in kurzem eure hohlen Schädel ausschaun, wenn's euch zum Kampfe mit uns gelüstet!

Bürgermeister (vernichtet). Studenten! Klaus, hier ist nichts mehr zu tun. (Zu den zwei Wächtern.) Sprengt zurück zu Rummelpuff, ich lass' ihm sagen, es ist nichts mit der Reaktion. (Zu den übrigen.) Und du, widerspenstiges Krähwinkel, suche dir einen andern Bürgermeister, ich geh' nach London.

Alle. Vivat!

Klaus (dem Bürgermeister nachrufend). Bei so viele gestürzte Große hat auch ein gestürzter Dicker Platz.

Fünfundzwanzigste Szene

Ultra. Die Vorigen ohne Bürgermeister.

Ultra (von Seite rechts auftretend, mit einer Fahne in der Hand, zu Frau von Frankenfrey). Darf ich Sie nun an Ihre ersten Worte zu mir erinnern, allwelche lauteten: »Sie Sind mein Mann«?

Frau von Frankenfrey. Von den Trophäen der Freiheit, von den Barrikaden herab reich' ich Ihnen meine Hand.

Willibald (zu Walpurga). So wie du mir die deinige –

Nachtwächter. Mit Nachtwachtersegen.

Sigmund (zu Cäcilie). Und du, Cäcilie?! –

Klaus (aufs höchste betroffen). Was – was ist das? – Himmel, meine Tochter is ein Student –!?

Sigmund (zu Klaus). Sie selbst haben sie zu Frau von Frankenfrey geführt, um sie mit mir zu vereinen.

Klaus. Ein Student is meine Tochter! Meintwegen, aber das sag' ich euch, vor der ersten Kindstauf' sieht mich kein Mensch in Krähwinkel! (Läuft ab.)

Ultra. Also, wie's im großen war, so haben wir's hier im kleinen g'habt, die Reaktion ist ein Gespenst, aber G'spenster gibt es bekanntlich nur für den Furchtsamen; drum sich nicht fürchten davor, dann gibt's gar keine Reaktion! (Alles singt die erste Strophe der Volkshymne: »Was ist des Deutschen Vaterland?«, Marsch von Strauß jun., während welchem ein Fackelzug über die Bühne geht, unter Jubelgeschrei fällt der Vorhang.)

Ende


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