Johann Nepomuk Nestroy
Häuptling Abendwind
Johann Nepomuk Nestroy

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Dritte Szene

ATALA; dazu ARTHUR

ATALA (allein, nach links in den Hintergrund sehend) War mir's doch, als hörte ich dort Schritte.

ARTHUR (tritt aus dem Hintergrunde links auf, ohne Atala zu bemerken. Er ist in eleganten Pariser Anzug gekleidet) Ah, das war ja ein greuliches Unwetter! Auf diesem Meere, welches auf allen Landkarten als »Stiller Ozean« verzeichnet ist, untersteht sich der Sturm, so unverschämt zu wüten! Solche Lügen streuen die Geographen aus! Verdammter »Stiller Ozean«, der du einen der ersten Friseurs der Residenz verschlingen wolltest! Verwünschtes Inselnest! Zwar »Nest« kann man eigentlich nicht sagen, denn beim wiederkehrenden Sonnenschein nimmt sieh das Ganze recht pittoresk, recht jardin-des-Plantes-artig aus. Auch scheint hier ein gewaltiger Luxus zu herrschen. Hier haben sie die Klippen von Korallen, und wir Europäer wissen recht gut, wie teuer die Korallen sind. Und diese Palmen, diese Lianen! Wahre Prachtexemplare! So was kostet ein Heidengeld!

ATALA (welche ihn bereits früher von der Seite neugierig gemustert) Ah, das ist spaßig!

ARTHUR (sie bemerkend, für sich) Eine Wilde –? Charmant!

ATALA (wie oben) Was ist denn das?

ARTHUR (für sich) Statt: »Wer ist denn der?« sagte sie: »Was ist denn das?« Hier müssen die Männer sachlichen Geschlechtes sein. (Sich galant ihr nähernd.) Mein Fräulein –

ATALA (sich artig verneigend) Mein Herr –?

ARTHUR (für sich) Scheint sehr gebildet zu sein, diese Wilde. (Sie genauer mit der Lorgnette betrachtend.) Interessante Insulanerin, das! Ganz karaibischer Typus, vermischt mit otahaitischer Rass', das Haar gehört aber dem malaiischen Stamme an.

ATALA Erlauben Sie, das Haar gehört mir.

ARTHUR Ganz recht; warum kultivieren Sie es aber nicht besser? Das ist alles so wirre, so wild.

ATALA Ich bin ja eine Wilde.

ARTHUR Bei uns verwenden oft die Wildesten die meiste Sorgfalt auf die Frisur. Es scheint, daß man hierzuland gar nicht weiß, was man mit einem schönen Haarwuchs macht.

ATALA O ja! Man nimmt das Skalpiermesser und schneidet denselben samt der Kopfhaut herunter – so machen's unsere Krieger und tragen die Skalpe als Siegestrophäen an den Gürteln.

ARTHUR Daß einer dem andern die Haut über die Ohren zieht, kommt auch bei uns vor, dafür haben wir ein Heer von Wucherern; ebenso wird auch bei uns kein gutes Haar am lieben Nächsten gelassen, aber auch dieses Geschäft wird bei uns nicht von den Kriegern, sondern von dem zarteren Geschlecht besorgt.

ATALA (erstaunt) Nicht möglich –!?

ARTHUR Häufig werden auch unsere Männer durch die Frauen dahingebracht, daß sie sich eigenhändig die Haare ausreißen.

ATALA Merkwürdig!

ARTHUR Noch häufiger aber gehen den Herren die Haare von selber aus.

ATALA Wunderbar!

ARTHUR Da erscheint dann der Friseur, um sie eine Zeitlang mit Haarwuchspomaden in jeder Beziehung anzuschmieren und dann mit den reizendsten Perücken zu versehen. Und gar das weibliche Geschlecht, was wäre das ohne uns! Mein Fräulein, Sie haben noch keinen Begriff von dem hohen Beruf eines Friseurs.

Couplet und Duett

ARTHUR
Es schmückt mein Haupt kein Kronenschimmer,
Und keinen Szepter schwingt die Hand,
Doch mir beugt jeder Kopf sich immer,
Und wär' sein Herr von höchstem Stand.
Vernimm's respektvoll, schöne Wilde,
Mein Adel stammt von Samson her,
Ich führe einen Kamm im Schilde,
Ich bin Friseur!

Mit Schönheit, Geist und Rang und Titel
Nimmt mancher Weiberherzen ein;
Doch ich verschmähe solche Mittel,
Sie sind zu alt und zu gemein.
Ich kann ein Herz im Flug erjagen,
Für mich ist so was gar nicht schwer,
Ich darf zur Stolzesten nur sagen:
Ich bin Friseur!

ATALA
Ach, mein Papa hat recht im Grimm,
Mit meinem Geist steht's wirklich schlimm;
Mein Herr, all das, was ich vernommen,
Ist mir wie spanisch vorgekommen.

ARTHUR
Wie? Was? Mein Lied prallt ab
An edler Dummheit Schilde?
Ein Mittel ich noch hab',
Das macht mir zahm die Wilde.
Versuchen wir's rasch mit der Kunst,
Gewiß erring' ich ihre Gunst.
Als ich – noch Kind – der Heimat mußt' entschweben,
Hat für mich unbekannten Vaters Hand
Die Spieluhr hier samt Kette mitgegeben
Dem, der mich führte aus dem Vaterland.

(Er zieht eine Uhr aus der Tasche.)

Die Sänge meiner Kindheit gibt sie wieder –
So sagt man mir – der Heimat süße Lieder.

(Er drückt an der Uhr, welche zu spielen beginnt.)

Ensemble

ATALA
Welch Melodie,
Welch herrlicher Klang!
Der Heimat Gesang,
Voll Harmonie!

ARTHUR
Ja, die Melodie,
Der uralte Sang,
Das helle Klingklang
Gewinnt mir sie!

(Arthur drückt aufs neue die Feder, läßt die Uhr spielen und tanzt nach deren Weise.)

ATALA (nach beendigter Musik) Ja, aber so schön das alles ist, gibt es mir doch noch immer keinen Aufschluß über Sie und den Zweck Ihres Herkommens.

ARTHUR Vielleicht mögen Sie dies folgender biographischer Skizze entnehmen: Mein Geburtsort sowie meine erste Wickelkindheit sind mir unbekannt. Meine Erinnerung geht wie bei allen ultragescheiten Kindern bis auf ein Alter von zwei Jahren zurück; da befand ich mich in einem Städtlein bei einem Manne, den ich lange für meinen Vater hielt und der, wenn er kein Mann gewesen wäre, für meine Amme hätte gelten können. Später, als ich acht Jahre alt war, schickte mich dieser zur Ausbildung in die Residenz. Spezielle Hinneigung zum Höheren und Feineren ließ mich Haarkünstler werden, und schon als Lehrling wie später als Gehilfe wirkte ich erfolgreich in dieser Sphäre. Da, vor mehreren Wochen, kam meine männliche Bonne wieder und gab mir nebst dieser Familienuhr den mysteriösen Befehl, ich habe mich binnen drei Tagen reisefertig zu machen, Hafenstadt und Dampfschiff wurden mir nominell bezeichnet, ebenso die Inselgruppe in der Südsee, wo ich landen und alsbald nach meiner Hinkunft Auskunft über meine Herkunft erhalten sollte. Ich bin somit zur Mutmaßung berechtigt, daß mein geheimer Vater ein weitläufiger Farmer oder ein bedeutender Hinterwäldler oder ein verschlagener Schiffskapitän sei. Bereits in der Zone der Südseeinseln angelangt, überraschte uns heute vor Tagesanbruch ein Sturm, dessen mehrstündiges Wüten zum Resultat eines Schiffbruches führte. Dampfschiffe sollten doch wohl von so störenden Zufällen ausgenommen sein, wenigstens der »erste Platz«; aber nein – es ist zu indiskret! Kurz, der Schiffbruch ward gebrochen, und ich, als er brach, durch den Bruch so betäubt, daß ich mich nicht einmal bei der Welle bedanken konnte, die so freundlich war, mich ans Land zu werfen, während das Schiff mit Mann und Maus – eigentlich mit Männern und Mäusen, denn es waren beide Korporationen zahlreich vertreten – unterging. Das Schicksal, von welchem man sagt, daß es manchmal, wenn es gut aufgelegt ist, alles zum Besten leitet, ließ mich so lange bewußtlos in der Sonne liegen, bis ich gehörig getrocknet war, um anständig vor den hiesigen Bewohnern – respektive Bewohnerinnen – erscheinen zu können und ihnen Gelegenheit zu geben, die Pflichten der Gastfreundschaft aufs brillanteste zu üben.

ATALA Ach, das ist drollig! Sie gefallen mir.

ARTHUR Ist das Ihr Ernst? – (Für sich). Diese Wilde hat ein prächtiges Haar, dessen Urwüchsigkeit sich noch nie durch trügerische, falsche Zopfismen kompromittierte, und einen Teint von achtunggebietender Klarheit. – (Laut.) Mein wildes Fräulein, sollte meine Erzählung Eindruck auf Ihr Herz –? (Innehaltend und horchend.) Ha – was ist das –? Ist dies das Tiktak meiner Uhr oder kommt dies Tiktak aus meinem Herzen –? Ich höre und fühle offenbar zwei Tiktäke –!

ATALA Auch mir ist so, als wenn – ist es, weil ich zum erstenmal einen Friseur sehe, oder – bei mir kann es unmöglich Ihre Uhr sein, folglich verursacht mein Herz dieses Tiktak.

ARTHUR Wie!? Also dürft' ich mir mit insulanischen Hoffnungen schmeicheln? Kontinent, ich schreibe dir den Scheidebrief und bleibe hier!

ATALA Im Gegenteil! Gerade deshalb müssen Sie schleunigst fort. Sie kennen unser schreckliches Gesetz nicht! Wir haben viele schreckliche Gesetze, aber das ist das ärgste.

ARTHUR Ich bin eben angekommen –

ATALA Jede Insulanerin – das geht mich an – die einen Fremdling liebt – das geht Sie an – muß mit ihm zugleich und allsogleich sterben – das geht uns beide an.

ARTHUR (lächelnd) Nun ja! Meine Empfehlung an die Legislative, und es ist schon gut.

ATALA Wie? Sie sagen das so gelassen?

ARTHUR Derlei Gesetze kommen zu häufig in Komödien und Romanen vor und werden – wie meistens die schrecklichen Gesetze – schrecklich lau vollstreckt.

ATALA Bei uns stirbt man im Ernst, wenn man sterben muß.

ARTHUR Wäre ich ein Berliner, so würde ich sagen: »Bange machen jilt nicht!« Aber – (erblickt die Hängematte) halt –! Was seh' ich –!? Das sieht ja fast aus wie das, was man bei uns ein kleines Kind nennt.

ATALA Das ist mein Kind.

ARTHUR Also auch diese soziale Eventualität kommt nachgeäffterweise hier zum Vorschein?!

ATALA Es ist eine Puppe von Pappendeckl und lackiert, wie gewöhnlich die Puppen sind.

ARTHUR (aufatmend) Ah, das ändert die Sache! Entschuldigen Sie, wenn mich ein wilder Verdacht zu indianischen Mutmaßungen verleitete; der Pappendeckl gibt dem Ganzen die unschuldvollste Basis. (Beiseite.) Man sollte nicht glauben, wie beruhigend der Pappendeckl auf das Gemüt wirkt.

ATALA Nun aber bitt' ich Sie, verbergen Sie sich, bis ich wieder Gelegenheit finde –

ARTHUR Die muß sich bald finden, denn der Sturm, das Inselklima – ich habe greulichen Appetit.

ATALA Was soll ich Ihnen zur Erquickung bringen?

ARTHUR Kakaobohnen wachsen wohl in dieser Zone?

ATALA O, im Überfluß!

ARTHUR Dann werdet ihr auch Schokolade haben? Bringen Sie mir solche, (zärtlich) mit Nachguß! Die Quantität soll mir zum Maßstab deiner Liebe dienen.

ATALA Wir bereiten sie mit Kokosmilch –

ARTHUR Gute, echte, kuhwarme Kokosmilch – charmant! Und was habt ihr zum Eintunken? Kipfeln, Stollen, Strizzeln?

ATALA Wir haben geröstete Frucht vom Brotbaum, auch Bananen.

ARTHUR Pfui, Bananen! Das muß schmecken, als ob man Erdäpfel in Kaffee eintunkte. Wie wär' es denn mit einem karaibischen Guglhupf?

ATALA (befremdet) Guglhupf –?

ARTHUR Ich habe in einem Strauch hier Weinberln entdeckt, welche mich meine Phantasie allsogleich, verschwistert mit Zibeben, im Innern eines Guglhupfs erblicken ließ.

ATALA Ich will keine rechtschaffene Wilde sein, wenn ich ein Wort verstehe. (Ängstlich.) Aber verbergen Sie sich, es ist die höchste Zeit!

ARTHUR Aber wo?

ATALA Gleich dort – (nach links im Vordergrunde zeigend) der Kaktus, die Lianen, die Calcedonia odorifera semperflorens mit ihren breiten Blättern decken Sie vollständig.

ARTHUR Also geht das hier auch, daß man sich hinter die Blätter steckt?

ATALA (nach rechts horchend) Horch –! Götter, es ist mein Vater –! Schnell fort!

ARTHUR Du willst's, ich füge mich, doch nur auf kurze Zeit. (Geht links im Vordergrunde ab.)

Vierte Szene

ATALA; dazu ABENDWIND

ABENDWIND (von rechts auftretend) Ach, so ein Malör war noch nicht da, solang die südliche Hemisphäre existiert! Meine Haus- und Hofehre kriegt einen Stoß, die politischen Folgen sind unausbleiblich!

ATALA Du bist ja ganz außer dir, Papa, was ist denn geschehn?

ABENDWIND Das Jagdglück hat uns den Rücken gekehrt; es muß einer ein' Frosch im Sack haben, wir sind verkibitzt, rein verhext! Nicht ein Bissen z' kriegen, von dem man sagen könnt', daß er ein Leckerbissen is! Nix haben wir, kein Wildbret, kein' Fisch (mehr für sich, indem er lamentierend sich unwillkürlich von Atala entfernt, so daß sie das Folgende nicht hört) und nicht einen einzigen Gefangenen außer einem politischen; den kann ich nicht abstechen lassen, weil er so politisch war und ist echappiert.

ATALA 's ist wohl fatal, wenn man einen Gast erwartet und –

ABENDWIND Wenn er ankommt, der große Biberhahn, mein hocherlauchter Gleichgestellter, mit was wart' ich ihm auf?! Der wird sagen: »Das is a sauberer König, lad't ein' ein, und man kriegt nix.« Die Gastfreundschaft der Groß-Luluerer wird zum Bonmot, und die Allianz mit die Papatutuaner geht in die Brüch'.


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