Benedikte Naubert
Die weiße Frau
Benedikte Naubert

Benedikte Naubert

Die weiße Frau

1792

Auf dem Schlosse Neuhaus in Böhmen lebte zu Ende des sechzehenden Jahrhunderts, oder zu Anfange des siebzehenden, ein alter reicher Baron, dermahlen einiger Besitzer der rosenbergischen Güter, in welche sich nach seinem Tode eine Menge von Enkeln und Urenkeln, Vettern und Schwägern theilen sollten, die zum Theil nicht sonders bemittelt waren. Dem ungeachtet rechnete ihrer keiner auf das Ableben des alten Herrn, denn der Baron liebte die ganze Sippschaft, als wenn sie alle seine Kinder gewesen wären, und ward hinwiederum von ihnen wie ein Vater geliebt. – Es war seit zwanzig Jahren, so lang er Wittwer war, Herkommens bey ihm, daß allemal um Osterzeit sich alle Neuhause und Rosenberge mit ihren Kindern auf seinem Schlosse versammelten, um daselbst drey bis vier fröhliche Wochen zu verleben und denn wohl beschenkt von dannen zu ziehn. Die alte Burg war weit genug sie zu fassen, und Baron Mathias reich genug sie zu bewirthen und zu begaben.

Herr Mathias war ein munterer jovialischer Herr, der noch in den achtzigen die Freude liebte, und sie gern an seinen Kindern sah, das wußten sie, und jedes fröhliche Fest, das in der Familie vorfiel, wurde auf die Osterzeit verspart, um zu Schloß Neuhaus, unter den Augen des gemeinschaftlichen Vaters gefeyert zu werden. Binnen dieser Zeit geborne Kinder wurden bey dem grossen Familienbesuch dem guten Greis zuerst vorgestellt. Jünglinge, die vom Heer kamen oder zum Heer zogen (– denn alles trug Waffen, was unter den Männern den Familiennamen führte) – wurden unter des Barons Augen feyerlich bewillkommt und entlassen, auch manche Verlobung und Hochzeitfest wurde gefeyert, denn unter den jungen Vettern und Muhmen gab es immer Liebesbündnisse, und viele derselben schrieben sich eben von dem Osterbesuch her, da oft Jünglinge und Mädchen von der Familie sich zu sehen bekamen, die einander sonst nirgend unter so günstigen Umständen getroffen haben würden.

Der alte Herr sah es ungemein gern, wenn die jungen Zweige seines Stammes sich wieder mit einander verflochten, doch war er auch kein Feind anderweitiger Verbindungen. Trug ein Männlein oder Fräulein seines Hauses Neigung zu einem würdigen Gegenstand, ausser den Gränzen der Familie, so war der fremde Einkömmling herzlich willkommen; er brauchte weder grosse Güter zu haben, noch hatte er eine allzustrenge Ahnenprobe auszustehen. Bey den Frauen war Sittsamkeit und Tugend, und bey den Männern Edelmuth und Tapferkeit hinlängliche Empfehlung in den Augen des Barons, und oft, gar oft wurde von dem Gericht der strengern Väter und Mütter an ihn appellirt, ein Schritt, der nie ohne gute Folgen war.

Ein junges Fräulein, Namens Bertha von Neuhaus, befand sich diesesmal in einem solchen Falle. Sie war dem alten Herrn nur im dritten Grade verwandt, aber ihm wohl so lieb als seine leiblichen Enkel und Urenkel. Nicht sowohl persönliche Vorzüge gaben der blonden Bertha diesen Vorzug, ungeachtet sie ein recht gutes schönes Mädchen war, sondern ein ganz kleiner Umstand, zu dem sie eigentlich nichts beygetragen, für welchen sie nur ihrem Glück zu danken hatte.

Ihre Mutter hatte vor siebzehn Jahren den klugen Einfall gehabt, ihr Wochenbette gerade um Osterzeit, in den Tagen des Familienbesuchs, zu Schloß Neuhaus aufzuschlagen. Ein solches Fest war in den Mauern des alten Herrn seit der Geburt seiner eigenen Kinder nicht erhört werden. Nichts war mit seiner Freude und Geschäftigkeit zu vergleichen, er setzte sich in seine bessern Jahre zurück, wollte, da er des Kindleins Vater nicht war, wenigstens seine Pathe werden und schwur, wenn es ein Knabe war, es den Kindern seiner Söhne gleich zu erziehen. – Leider war es nur ein Fräulein, und der vortheilhafte Schwur ging verloren, doch war auch sie ihm lieb und werth, das zeigte schon der Name Bertha, den er ihr gab; eine Benennung, die in dieser Familie von Alters her eine sonderbar heilige Deutung gehabt hatte.

Diese kleine Bertha, Baron Mathias' Pathe und Liebling, war jezt, wie gesagt, siebzehn Jahr, und wollte sich verheyrathen; ihre Wahl – doch ein Fräulein ohne Mittel und ohne mächtig hervorstechende Reize, hat nicht viel zu wählen, also, ihre Liebe war gefallen auf Herr Petern von Wock, einen ganz neuen Edelmann, der sich seinen Adel erst in dem kürzlich geendigten Religionskriege erkämpft hatte, und der von Seiten des Vermögens so sehr hinter den Wünschen der Eltern Berthens zurückstand, als von Seiten der Herkunft. Der junge Offizier, der seine Gewählte innig liebte, besaß nichts als ein kleines Gut an der böhmischen Gränze, das ihn allenfalls fähig machte, seine Bertha standesmäßig zu unterhalten, wenn sie ihre Wünsche so einschränkte, wie er die seinigen, und fortfuhr Wirthlichkeit und Stille zu lieben.

Sie mögen sich heyrathen, in Gottes Namen! sagte der alte Herr, als ihm die Sache von den zweifelnden Eltern zur Entscheidung vorgelegt wurde, sie mögen sich heyrathen, und künftige Ostern ist die Hochzeit auf meiner Burg.

Diese erwünschten Ostern waren erschienen. Fräulein Bertha und ihr Bräutigam hielten ihren Einzug auf dem Schlosse; der Vermählungstag ward auf übermorgen angesetzt, aber die erste Nacht, da der junge Held hier zur Ruhe ging, ward er von einer Krankheit befallen, die seinem Leben ein schnelles Ende machte. An eben dem Tage, der zur Vollendung seines Glücks angesetzt war, schloß er seine Augen auf ewig, und Bertha weinte verzweifelnd an seiner Baare. Sie verlor mit ihm alles; die Liebe ihrer Verwandten hatte sie durch ihre standswidrige Wahl verscherzt, und es war wenig Hofnung übrig, daß sie dieselbe, obgleich der unglückliche Gegenstand des Zwists nun nicht mehr war, wieder erlangen würde. Machte man ihr doch schon ihre Thränen um denn Verblichenen zur Sünde, und höhnete sie, daß sie sich als Braut in den Wittwenschleyer verhüllte.

Baron Mathias hatte Mitleid mit der unglücklichen Bertha, er sah, wie elend sie in Zukunft im Kreis ihrer Verwandten seyn würde, und beschloß, sie bey sich zu behalten. Ich werde alt, sagte er, Gäste sieht mein Schloß nicht immer, und brauche ich gleich keine Haushälterin, da mein Hauswesen gar wohl versorgt wird, so brauche ich doch eine gute Gesellschafterin, die mir die Zeit mit Gesprächen kürze, mir den Wein in meinen Becher schenke, mich in Krankheit pflege, und geht es mit mir zum Tode, mit mir bete und um mich weine; Bertha wird sich zu dem allen recht wohl schicken, und so sie will, bleibt sie bey mir.

Unter den Verwandtinnen des alten Herrn waren auf diese Äusserung wohl zwanzig, die sich zu den nehmlichen Diensten erboten, aber es blieb bey der Wahl, und Bertha blieb gern auf dem Schlosse; seine Einsamkeit war ihr lieb, ihr Kummer suchte Raum, sich in heilenden Thränen zu ergiessen, und wo hätte sie diesen besser finden können als hier, wo niemand ihre Klagen höhnte, wo Flur und Hain, Wald und Gebürg sie aufnahmen, wenn das melancholische Schloß ihr zu enge ward. Hier mußte sich, wenn alles den gewöhnlichen Gang ging, ihr Gram bald in jene süsse wohlthuende Schwermuth verwandeln, welche ein fühlendes Herz für keine Freude tauscht.

Als man sahe, wie wohl sich das Fräulein in den Wunsch des Barons schickte, so versammelten sich einige Basen und Schwägerinnen um sie, um ihr zum Abschied noch allerley – vielleicht Verhaltungsregeln für die Zukunft – ins Ohr zu raunen, aber der alte Herr hinderte das; – was sie nicht weiß, sagte er deutungsvoll, das ist ihr auch nicht noth zu wissen, vielleicht, daß sie nie, oder erst bey meinem Tode in den Fall kommt, es zu erfahren.

Bertha verstand oder hörte dieses nicht, und an spizfündiges Grübeln war bey ihrer frommen truglosen Seele nicht zu denken. Sie begann ihren einförmigen Lebenslauf, den sie größtentheils auf ihrem Zimmer führte, ausser des Mittags und des Abends, wenn sie an der Tafel des guten Barons präsidierte, und mit Hintansetzung ihres eigenen Kummers strebte, durch gute Laune seinen Wein zu würzen. – Um die Wirthschaft hatte sie sich nicht zu bekümmern, denn diese war, wie der Baron ja selbst sagte, gar wohl versorgt; sie kannte kaum die Hälfte seines Schloßgesindes, das sehr zahlreich war, und seine Besucher vollends gar nicht.

Es geschah zuweilen, daß der muntere Greis, der in den Achtzigen erst zu merken begann, daß er alt werde, grosse Gesellschaft bey sich sah. Er und seine Tafel waren sehr beliebt bey dem benachbarten Adel, auch machte der Stand und das Ansehen, das er im Königreich behauptete, daß er oft Besuch aus Prag erhielt, und daß wohl fürstliche Personen bey ihm einsprachen; aber denn hatte die sittsame Bertha allemahl Vergunst auf ihren Zimmern zu bleiben, wo der Spinnrocken und die Sticknadel, die wenigen Bücher, die damals ein Fräulein zu lesen pflegte, und ihre Laute ihr die Stunden geschwind genug vertrieben.

Bertha war eine Meisterin auf diesem Instrument, sie nützte es oft den bösen Geist zu vertreiben, wenn er in den Schmerzen des Podagras über den Baron kam, und eben so oft brauchte sie es zu ähnlichem Entzweck, wenn ihr in der Einsamkeit der Gram zu mächtig ward, und das Bild des verlornen Geliebten zu lebhaft vor ihrer Seele emporstieg. Eines Abends, als beym Baron wieder grosse Gesellschaft war, und Bertha auf ihrem einsamen Zimmer wechselsweise weinte und lautenirte, klopfte ein leiser Finger an die Thür; sie stand auf zu öffnen, und siehe, eine feine ältliche Frau stand draussen, die sie mit ihrer gewohnten Freundlichkeit hereinnöthigte; sie sahe sie heute nicht zum erstenmale, oft bey ihren einsamen Spaziergängen durch den Schloßgarten, oder wenn sie in den weiten Gallerien der Burg umher ging, war sie der Matrone begegnet, und hatte sie, wegen des reinlichen weißen Anzugs, und des grossen Bunds Schlüssel an der Seite, für die Oberaufseherin der wohlbestellten Wirthschaft des Barons gehalten; eine gegenseitige höfliche Verbeugung erfolgte denn allemal, aber gesprochen hatte man sich noch nie.

Die Matrone hatte in ihrem Gesicht für Berthen etwas gefälliges. Die Züge des Alters und einer sanften Schwermuth hatten Reste ehemaliger Schönheit nicht ganz verwischen können; ihre Kleidung war äußerst simpel, und, wie gesagt, ganz weiß, aber der Schnitt derselben, und die Art, womit sie getragen wurde, zeigte doch, ob beydes gleich ein wenig altmodisch war, nicht von gemeinem Stande, auch ließ es sich denken, daß ein Mann, wie der Baron, keine geringe Frau zur Haushofmeisterin würde gewählt haben, und dies mußte nach Berthens Vorstellung die Unbekannte nun einmal seyn, die jezt an ihrer Thür stand, und von ihr herein genöthigt wurde.

Die Fremde weigerte sich ein wenig, bis Bertha ihre Hand ergriff, und sie über die Schwelle zog.

O keine Umstände, rief sie, keine Umstände, liebe Frau wie nennt Ihr Euch? –

Bertha, Fräulein!

Liebe Frau Bertha, also! – Eure Hände sind kalt; hat mein Spiel, wie ich hoffe, Euch herbey gezogen, so müßt ihr es nicht vor der Thür, sondern in meinem Zimmer hören.

Wer klopft, begehrt Einlaß! antwortete sie lächelnd. Recht wohl! also ein zugedachter Besuch! Ihr seyd mir willkommen! Ich hoffe Euch öfter zu sehen, ich bin gern einsam, aber die Gesellschaft einer guten Matrone, wie Ihr, wird mir immer erwünscht seyn.

Frau Bertha lächelte, stellte sich hinter einen Stuhl, und deutete auf die Laute, welche das Fräulein von neuem ergriff und zu spielen begann, aber das Stück war noch nicht halb geendigt, so bewegte sich die Besucherin nach der Thür, machte gegen ihre junge Namensschwester eine verbindliche Bewegung mit der Hand, und verließ das Zimmer.

Dergleichen abgebrochene Besuche bekam das Fräulein sehr fleißig, aber zu ihrem größten Kummer wurde wenig, oft auch gar nichts dabey gesprochen, und die Laute, welche die Matrone gern zu hören schien, ob sie gleich selten ein ganzes Stück auswartete, mußte immer die Hauptrolle spielen. Die junge Bertha sprach gern, und hätte wohl der geglaubten Wirthschafterin ihres Verwandten etwas mehr Redseligkeit gewünscht; doch das geschäftige Klirren mit den Schlüsseln, das allemal ihre Ankunft verkündigte, und wenn sie schied, allemal noch lang hinter ihr hörbar war, überredete das Fräulein, sie habe zu viel zu thun, um die Geschwätzige zu machen, auch war es ja vielleicht möglich, daß der alte Herr, der auch seine Eigenheiten hatte, das Verkehr seiner Leute mit seiner Verwandtin nicht gern sah, und daß diese Besuche im eigentlichen Verstande nur heimlich abgestohlen wurden; eine Ursach, warum Bertha nie ein Wort von demselben gegen ihn oder irgend jemand erwehnte.

Die Matrone ward dem Fräulein nach und nach so lieb, daß sie sie oft mit ihrer Laute herbeyzulocken suchte, und mißmuthig ward, wenn sie, wie oft geschah, nicht erschien; kam sie denn und stellte sich hinter den Stuhl an der Wand – sie setzte sich nie – so unterbrach die junge Bertha ihr Spiel oft, um die oder jene Frage an sie zu thun, welche meistens blos durch Pantomime beantwortet wurden. Zum Beyspiel: Es ist doch artig, Frau Bertha, daß ich mit Euch einerley Namen führe.

Eine Bewegung mit der Hand, als wollte sie sagen, die Ähnlichkeit ist nach meinem Geschmack.

Eure Geschäfte sind groß! Ihr seht mich so selten.

Ein leises Klirren mit den Schlüsseln, als Bejahung der Sache.

Es läßt fast, als sollten Eure Besuche eine Heimlichkeit seyn? –

Der auf den Mund gelegte Zeigefinger, bejahte die Vermuthung. –

Ihr habt so eine schwermuthsvolle Miene, Eure Farbe ist so blaß, Ihr seyd wohl nicht glücklich!

Ein tiefer Seufzer, und ein Blick nach dem Himmel.

Einsmals fragte das Fräulein mehr, als sie bisher noch gethan hatte. Liebe Frau Bertha, sagte sie, Ihr habt einen so edeln Anstand, Ihr könnt unmöglich eine gemeine Person seyn.

Ich bin eine geborne von Rosenberg.

O, dies ahndete mein Herz! schrie Bertha feurig, erlaubt, daß ich meine Verwandtin umarme!

Die Matrone trat zurück.

O Ihr zürnt mit mir! Ihr entzieht euch meiner Vertraulichkeit, die ich nun, da ich Euch kenne, Euch so gern ganz schenken möchte! Wie viel hätte ich Euch zum Beyspiel nur zu fragen, da ich weiß, daß Ihr zu unserm Hause gehört? Die Geschichte der alten Herrn von Rosenberg soll so seltsam seyn, wie viel könnte ich durch Euch erfahren!

Frau Bertha zog sich hier nach der Thür, und winkte dem Fräulein, ihr zu folgen.

Der Weg ging durch eine Menge schallender Gallerien in einen Flügel des Schlosses, der der jungen Bertha ganz unbekannt war. Sie standen an einer grossen doppelten Flügelthür. Die Matrone suchte in dem Bund an ihrer Seite nach dem Schlüssel, der hier öfnen sollte; er war gefunden. Schon drehte er sich dreymal im Schloß, da schlug es zwölf Uhr, die Kerze in der Hand des Fräuleins verlosch, und es war rund um dicke Finsterniß.

Welcher verdrüßliche Zufall! rief sie, was sollen wir nun beginnen? Eure Hand, Frau von Rosenberg! ohne Zweifel seyd Ihr hier besser bekannt als ich! – Aber es streckte sich keine leitende Hand nach der Hand der armen Bertha aus, und das entfernte Klirren der Schlüssel sagte ihr, daß sich die Matrone entfernt habe.

Bertha war nicht ohne Unwissen gegen ihre Verwandtin, doch enthielt sie sich lauter Äusserung desselben. Unhöflich, sagte sie bey sich selbst, indem sie im Dunkeln nach dem Rückweg tappte, unhöflich ists doch in der That,mich in der Finsterniß zu verlassen; doch vielleicht ist sie nach Licht gegangen. Frau Bertha! Frau Bertha! soll ich hier Eurer warten?

Nichts antwortete als der Wiederhall! Das Fräulein harrte ein wenig, ließ noch einigemal den Namen der Matrone ertönen, ward denn ungeduldig, und half sich, weil sie ein kleiner Schauer überfiel, am Ende so gut sie vermochte, auf ihr Zimmer zurück. Es schlug Eins, da sie es endlich erreichte, die zurückgelassene Kerze war im Verlöschen, sie warf eilig ihre Kleider von sich und ging zu Bette.

Und was sie nur mit dem ganzen Spaziergange haben wollte? fragte sie sich nach einer Weile, als das Pochen ihres Herzens ein wenig nachließ. Doch halt! ich fragte nach den alten rosenbergischen Geschichten, ich habe viel von einer Bibliotheck, von einem Archiv im südlichen Flügel des Schlosses gehört, ohne Zweifel hat sie auch dazu den Schlüssel, und wenn der fatale Umstand mit dem verloschenen Licht nicht gewesen war, so könnte ich mich jezt in voller Befriedigung meiner Neugier befinden – Nun was heute nicht glückte, geschieht ein andermal. Wenn sie wiederkommt, werde ich meine Bitte erneuern, und ihr nichts von meinen Unwillen merken lassen, damit ich sie nicht erzürne.

Bertha schlief ein, und verträumte eine ganze Nacht unter Bildern von alten Manuscripten, und Vorstellungen von seltenen unerhörten Geschichten, davon sie eine besondere Freundin war. Des andern Tages harrte sie bis zur Abendstunde, da die Matrone immer zu erscheinen pflegte, sie nahm die Laute, sie sang, sie psalmodirte auf das künstlichste; kein leises Klopfen wurde gehört, kein Besuch ließ sich sehen.

Am andern und dritten Tage, und in sechs drauf folgenden, ward jeder Winkel des Gartens, jeder Theil des Schlosses durchstrichen, wo ihr sonst die rosenbergische Frau Muhme begegnet war; niemand ließ sich sehen, und sie würde gedacht haben, der Baron hätte seinem Hauswesen eine andere Aufseherin gegeben, wenn sie nicht gewußt hätte, daß dergleichen Änderungen hier nie gemacht wurden, und daß Herr und Diener auf Schloß Neuhaus sich nie anders, als durch den Tod trennten.

Auf einmal kam ihr der Gedanke, die Matrone könne wohl krank seyn, und wie gern hätte sie gefragt, wenn sie nur gewußt hätte, ob sie die Bekanntschaft mit einer Person dürfte merken lassen, deren Besuche, sie mochte sie beherzigen wie sie wollte, so viel Verstohlnes und Geheimnißvolles hatten. Sie begnügte sich am Ende mit der allgemeinen Frage, ob jemand auf der Burg krank sey, und fühlte sich durch die Antwort, Nein! befriedigt.

Ein anderer Wunsch beunruhigte sie jetzt mit gedoppelter Stärke, die Begierde nach dem Innersten jenes Saals, an dessen Thür sie die Matrone vor neun Nächten geführt hatte. Sie kommt nicht, sagte sie zu sich selbst, ihr angefangenes Werk auszuführen, und ich sehe nicht was mich abhält, die Befriedigung meines Verlangens vom Baron zu erbitten.

Mein Oheim, sagte sie Tags drauf zu ihm, als nach der Mahlzeit ihn der Wein fröhlich machte. Solltet Ihr wohl glauben, daß Eure Bertha zu Zeiten lange Weile hat?

Gar gern, mein Kind! In deinen Jahren keinen andern Zeitvertreib, als den Spinnrocken, die Nadel und einige Bücher? – Du bist ein Phönix, wenn du dich lang bey denselben erhalten kannst.

Ich werde es können; nur jetzt giebt es eine kleine Lücke in meinen Beschäftigungen. All mein Flachs ist versponnen, all meine Tapetenarbeit geendigt, all meine Bücher zum zehnten mahl hindurch gelesen –

Gedulde dich, es ist ein grosses Fest vor der Thür, bey welchem du diesmal nicht fehlen darfst, weil du, als die einige gegenwärtige Dame von unserm Hause, hier schlechterdings die Wirthin machen mußt! dies wird eine kleine Abänderung in die Einförmigkeit deines Lebens bringen, und –

Ach nein, mein Oheim, ich hasse die Gesellschaft, ich mag niemand sehen!

Die Gäste werden dir gefallen, es sind deine alten Freunde, die Armen!

Bertha wußte wohl, daß ihr ehrwürdiger Verwandter den Armen alle Jahr eine grosse Mahlzeit gab, bey welcher jedesmal eine rosenbergische Dame als Wirthin präsidirte; die Sache gefiel ihr, sie hatte sich immer diese Rolle gewünscht, und sie dankte ihrem Oheim mit einer tiefen Verbeugung für die zugedachte Ehre, aber dies war doch eigentlich der Punkt nicht, wohin sich ihre Gedanken jetzt am meisten lenkten. Sie wünschte zu Vertreibung der vorgeschützten Langeweile Zutritt in dem rosenbergischen Archiv, und wagte es endlich kühnlich, darum zu bitten, da es das Ansehen hatte, als wenn die Hüterin der Schlüssel sie, und die in ihr erregte Neugier ganz vergessen hätte.

Der Baron lachte ihres Begehrens. Schade, sagte er, daß du kein Knabe bist! ein Mönch ist an dir verdorben, weil du so gern in dem Staube von alten Manuscripten wühlest! Hier ist der Schlüssel, warum sollte ich dir die Freude versagen, das Haus zu kennen, aus dem du entsprossen bist! du wirst alles in einiger Verwirrung finden, weil ich das letzte mahl, da ich dort nach einigen Familiennachrichten suchte, durch ein kleines Schrecken aufgejagt wurde; könntest du den Geist der Ordnung, der dir eigen ist, in meine Pergamente übertragen, so würde ich dir danken; doch thue mir den Gefallen, und arbeite nie in der Mittagsstunde; du weißt, daß ich meine Mahlzeit nicht gern verschieben lasse, noch des Nachts; es ist wegen Feuersgefahr! Die übrigen Stunden sind sicher, thue in denselben was dir gefällt.

Bertha verstand nicht die Hälfte von dem, was ihr Oheim sagte, auch war es vermuthlich eben seine Meynung nicht, daß sie ihn ganz verstehen sollte, sonst würde er deutlicher gesprochen haben. Sie nahm den Schlüssel, küßte die Hand des Greises, und hüpfte davon.

Sachte, sachte, Bertha! rief er ihr nach, du wirst dich nicht zurecht finden, der Büchersaal ist in einer Gegend der Burg, da du noch gar nicht gewesen bist. Nimm einen von den Leuten mit dir, und noch eins, gehe nicht in das südliche Nebenkabinet, wenn ich nicht selbst dabey bin, ich will schon einmal Gelegenheit nehmen, dich bey deinen gelehrten Arbeiten zu besuchen.

Bertha, die stehen geblieben war, antwortete mit noch einer Verbeugung und verschwand. Von den Leuten nahm sie niemand mit sich, sie konnte sich schon allein an dem Ort zurecht finden, den sie nicht, wie ihr Oheim meynte, heute zum erstenmal betrat.

Ein wenig wunderte sie sich, als sie die äussersten Thüren zu den Sälen und Gallerien, durch die man gehen mußte, und die in jener Nacht alle offen waren, verschlossen fand; doch der Schlüssel eröfnete jedes Schloß, und jetzt stand sie vor der doppelten Flügelthür, wo vor neun Tagen beym zwölften Glockenschall die Kerze verlosch, die rosenbergische Matrone ihr von Händen kam, und ihre Neugier getäuscht ward.

Sie schloß auf; ein grosser Saal öfnete sich ihr, viel zu geräumig für die kleine Anzahl Bücher, die an den Wänden aufgestellt waren, und ihm den Namen der Bibliothek, oder sich des Ausdrucks jener Zeiten zu bedienen, der Librarey gaben; doch einige hundert Bände waren in den damaligen Zeiten schon eine grosse Sammlung für einen Edelmann, mancher Abt würde damit zufrieden gewesen seyn. Die neugierige Bertha warf jetzt ihre Augen nicht auf diese Vehikel der Weisheit und Thorheit ihres Jahrhunderts, sondern eilte nach dem grossen Tisch von Eibenholz mit gedrehten Säulen, der in der Mitte stand, und auf welchem sie, wie ihr der Baron gesagt hatte, alles aufgethürmt finden sollte, was zur Familienkunde gehörte, und was sie, das war der Wille des Greises, fein ordentlich wieder in das vergoldete Wandschränkgen legen sollte, dessen beyde Thüren offen standen, und aus welchen es genommen war.

Der Oheim muß sehr eilig gewesen seyn, als er dieses Zimmer zuletzt verließ, sagte Bertha, indem sie einen grossen silbernen Leuchter von der Erde aufhob, über den sie bald gefallen war. Welche Unordnung! welcher Staub! hier scheint in Jahren niemand gewesen zu seyn! Und die Haushälterin hatte doch den Schlüssel, und er ging ihr so leicht in dem Schlosse herum, da ich es vor Rost kaum zu öfnen vermochte!

Bertha begann in den Pergamenten zu wühlen; eine endlose Arbeit, die ihr noch dazu wenig Vergnügen gewährte, denn sie stieß zu Anfangs auf nichts als alte Stammbäume, Schenkungsbriefe, Verträge, Kontrakte, und eine Menge andre Dinge, die zwar sichere Belege von dem Reichthum und dem Adel ihres Hauses waren, sie aber nicht sonderlich interessirten. Nahrung für ihre Neugier suchte sie, sie hatte schon auf dem Schoos ihrer Amme so viel von den sonderbaren Geschichten der alten Herrn von Rosenberg gehört, daß sie gern hier mehr erfahren hätte; sie sah sich getäuscht, und hätte vielleicht das ihr übertragene Amt, als rosenbergische Archivarin augenblicklich aufgegeben, wenn sie sich nicht des vor ihrem Oheim, der ohne dem ihres Einfalls spottete, geschämt hätte. – Sie faßte endlich den Entschluß, alles Stück vor Stück zu mustern und zu ordnen, und ging rüstig ans Werk. Sieben Tage dauerte die Arbeit, denn sie übernahm sich nicht in derselben; der Baron war sicher, daß keine der verbotenen Stunden sie in seiner Librarey fand. Sie fand zu wenig von dem, was sie suchte, als daß sie hätte emsig seyn sollen. Der Baron fragte oft nach dem Fortgang ihrer Geschäfte, und lachte herzlich, wenn er ihre Unzufriedenheit merkte.

Für den achten Tag war es aufbehalten, ihr bessere Genüge zu leisten. Sie hatte den ganzen Vormittag gearbeitet, um endlich der verdrüßlichen Arbeit quitt zu werden. Das goldene Wandschränkgen füllte sich mit wohlgeordneten Urkunden, der Tisch ward leer, da stieß sie auf einige dicht beschriebene Blätter, die nichts minders enthielten, als jene berufene Mähr, die vor kurzem der heutigen Welt unter dem Namen einer Geschichte der Grafen von Rosenberg ist ans Licht gestellt worden; sie erzählten umständlich die Abentheuer eines alten Familienschlosses im Böhmerwalde, und fesselten die aufgeregte Phantasie des Fräuleins so sehr, daß sie zum erstenmal vergaß, daß es Mittag war, und man bey der Tafel auf sie wartete.

Es schlug zwölf, die Thür, durch welche sie hereingekommen war, ging auf, die emsige Geschichtforscherin sah in die Höhe, die rosenbergische Haushälterin, welche eben eingetreten war, strich eilig durch den Saal bey ihr vorbey nach dem südlichen Kabinet.

O Frau Bertha! schrie das Fräulein, indem sie aufsprang, auf sie zuzugehen, sehe ich endlich Euch wieder? Fürwahr ich glaubte –

Die Matrone ließ sie nicht ausreden. Es hat zwölf geschlagen! sagte sie, indem sie auf die Thüre deutete. Es war so etwas gebietendes in dem Winke, daß die junge Bertha augenblicklich gehorchte; sie machte eine Verbeugung, und ging in dem nehmlichen Augenblick zur äussern Thür hinaus, da die Frau Base durch die innere verschwand. Ein Zugwind pfiff ihr nach, der ihr die Thür aus den Händen riß, und sie krachend zuschloß.

Ein wenig bestürzt, sie wußte selbst nicht warum, langte sie im Tafelzimmer an. Der Baron, der bereits hinter seinem Stuhl stand, und den dampfenden Schüsseln entgegen sah, drohte mit aufgehobenem Finger, und sagte, sie habe lang auf sich warten lassen. Ist dir niemand von den Leuten begegnet? fuhr er fort, ich hatte bereits nach dir geschickt.

Ich sah niemand als die Haushälterin, mein Oheim!

Die Haushälterin? was meynst du?

Die ansehnliche ehrbare Frau mit den Schlüsseln, sie soll, glaub' ich, eine von Rosenberg seyn.

Der Baron ward bleich, und klirrte mit dem Löffel auf den Teller.

Eine so nahe Base! fuhr das Fräulein fort, und nichts weiter, als Ausgeberin! Es bekümmerte mich heute ordentlich, an die Tafel zu gehen, wo ihr so wohl eine Stelle als mir gebührte!

Bertha, hast du noch nicht gehört, daß man von Dingen nicht urtheilen muß, die man nicht versteht?

Bertha schwieg und erröthete – auch der Baron sprach die ganze Mahlzeit über kein Wort, er war still und nachdenkend. Als man sich erhub, forderte er von dem Fräulein den Schlüssel zur Bibliothek zurück.

Nur noch einige Tage, mein Oheim, bat sie, und ich hoffe ganz fertig zu seyn!

Mädchen! Mädchen! erwiederte er, du wirst das Ding noch so lang treiben, bis dir etwas begegnet, das ich dir nicht gönnen wollte! Hüte dich vor allen vor der Nacht! Du kannst dir ja, was deine Neugier so lebhaft reizt, auf dein Zimmer nehmen. Bertha gehorchte. Sie nahm die furchtbare Geschichte von dem abenteuerlichen Schlosse mit sich in den Garten, und las den ganzen Nachmittag bis zur Abendmahlzeit, die sie diesesmahl, weil Gäste vorhanden waren, auf ihrem Zimmer hielt. Als auch der Rest geendigt war, machte sie sich auf, das Manuscript wieder an Ort und Stelle zu bringen.

Es war zur Zeit der schönsten und längsten Tage, das Licht in ihrer Hand war ihr bey der hellen Dämmerung fast unnöthig, dennoch ließ sie es brennen, setzte es auf den grossen Tisch in der Bibliothek, und nützte es, als sie unter dem Hin- und Herwerfen der übrigen Papiere noch etwas fand, das sie aufmerksam machte, die beyden grossen Wachskerzen, deren eine sie beym ersten Eintritt in diesen Saal auf dem Boden gefunden hatte, anzuzünden; und sich bey der zunehmenden Finsterniß helleres Licht zu machen.

Das was sie jetzt vor sich hatte, fesselte ihre Aufmerksamkeit ganz; erst hatte sie stehend gelesen, mit dem Entschluß, sich gleich nach Endigung des nächsten Abschnitts zu entfernen, jetzt machte sie sich es bequem, setzte sich in den grossen Armstuhl, schnäutzte die sämmtlichen Kerzen, und las und las ohne Aufhören, bis ein Gestirn nach dem andern über den Horizont herauf kam, und die Nähe der Mitternacht verkündigte. Bertha fand hier mehr Nahrung für den Geist als in der Fabel, mit welcher sie sich diesen Nachmittag beschäftigt hatte. Sie hatte von Kindheit auf, ihrem abergläubigen Zeitalter zum Trotz, nicht viel von Mährchen gehört, daher ihre gänzliche Unbekanntschaft mit der Ideenwelt, daher ihre gänzliche Furchtlosigkeit bey Ereignissen, die sie schon belebt hatte, und die einer andern als ihr, wohl einiges Nachdenken, wohl einigen Schauer hätten erregen können.

Was zu sehr das Gepräg der Fabel trug, das behagte ihr nicht ganz, wenn es auch ihre Phantasie auf einige Stunden fesseln konnte. Hier fand sie Wahrheit. Die Blätter, die sie vor sich hatte, enthielten die Geschichte eines alten Herrn von Rosenberg, welche wir genöthigt sind, dem Leser um der Folge willen hier in nuce mitzutheilen, freylich nicht in der kraftvollen Sprache des Chronikons, das die junge Bertha vor sich hatte; aber würden wir auch in unsern Zeiten im Stande seyn, sie zu verstehen, oder ihre Schönheiten so zu schätzen, wie das Fräulein sie schätzte, die einmal über das andere zu sich selbst sagte, wie sie nie etwas körnigteres und rührenderes gelesen habe als diese Seiten.

Wilhelm Ulrich von Rosenberg, war laut der Legende, zu Zeiten Kaiser Wenzels, Ruprechts und Siegmunds, ein Mann, der im Königreich Böhmen Aufsehen machte, sein Reichthum, seine Weisheit, und seine Tapferkeit machte ihn all diesen dreyen Beherrschern des deutschen Reichs zum lieben Diener. Dem ersten schenkte und borgte er so viel er wollte, dem zweyten half er die Gerechtigkeit reformiren, und mit dem dritten zog er mehr als einmal wider den Erbfeind, den Türken. Herr Ulrich war ein wackerer, weidlicher Mann, er gefiel durch seine schöne Aussenseite den Damen seiner Zeit so wohl, als den Männern durch sein tadelloses Innres. Die schönsten und vornehmsten Jungfrauen hingen an seinen Blicken, und hoften von ihm gewählt zu werden, ob gleich eine jede bey dem Wunsch, Frau von Rosenberg zu heissen, ein kleines Zittern fühlte, denn Ulrichen waren viel Gemahlinnen geweissagt worden, und keine von seinen Bewunderinnen trug sonderliches Verlangen, die erste zu seyn.

Wilhelm Ulrich war durch seinen hohen Adel, und durch den fürstlichen Reichthum, den er besaß, ein wenig stolz, und durch Fürstengunst und Kriegsglück ziemlich kühn gemacht worden. Er dachte nicht seine Augen auf eine gemeine Person zu werfen; ausgezeichnete Schönheit war ihm nicht genug, ihn zur Liebe zu wecken; Hoheit und fürstlicher Rang waren es, was er an seiner künftigen Gemahlin wünschte, und so geschahe es, daß er nach und nach der Gemahl von vier Prinzessinnen ward. Die Liebe der schönen Oligarde von Braunschweig, seiner ersten Gemahlin, das Glück, das er an ihrer Seite genossen hatte, berechtigte ihn nach ihrem Tode, der in wenig Jahren erfolgte, nicht niedriger zu wählen. Ein Brandenburgisches, ein Baadensches und ein Bernstädtisches Fräulein waren ihre Nachfolgerinnen, denn der Tod brach die lieblichen Blumen alle frisch nach einander hinweg, und Herr Ulrich ward des Weibernehmens endlich so gewohnt, daß ihm die Wahl einer neuen Gemahlin schier nicht mehr Sorge machte, als die Wahl einer neuen Rüstung.

Seine letzte Wahl war die kühnste und glücklichste von allen. Fräulein Mathilde von Bernstädt, war eine Enkelin Kaiser Siegmunds, ein Engel an Schönheit und Tugend, und dabey für den alternden Herrn von Rosenberg fast zu jung. Sie trat an ihrem Hochzeitstage das siebzehnte Jahr an, und man konnte freylich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit muthmaßen, daß sie die letzte seyn würde, die Herrn Ulrichen zum Altar begleitete, daß sie einst als Wittwe an seinem Grabe weinen würde.

Die Wahrscheinlichkeit täuschte; nach einem vierjährigen nicht ganz glücklichen Ehestande ward sie ein Opfer des Todes, sie starb, indem sie einer Tochter das Leben gab, die durch ihren Verlust, den sie noch nicht fühlen konnte, doppelt verwaist wurde. Der Herr von Rosenberg hielt es nicht für gut, zum fünftenmale zu freyen, aber ewiger Trauer um seine reizvolle Gemahlin ergab er sich darum nicht. Ehrgeiz nicht Liebe war es gewesen, was ihn an sie verband, das zerrissene Band schmerzte ihn nur aus einer Ursach: Die kaiserliche Verwandtschaft hatte ihm Hofnung gemacht, sich zum Fürstenstand empor zu schwingen, sie war nun abgestorben, und er mußte sich mit der Ehre begnügen, kaiserlicher Feldherr und Oberburggraf von Böhmen zu seyn und zu bleiben. Unmuth, daß er in der Mitte seiner Laufbahn stehen bleiben solle, ward von nun an der Satansengel, der nicht allein ihn, sondern alle, die um ihn waren, mit Scorpionen geisselte. Seine Burg ward ihm zur Hölle, er mußte hinaus ins Feld, um unter dem Geräusch der Waffen seine gescheiterten Entwürfe, und sich selbst zu vergessen. Die kleine Bertha, Mathildens trauriges Vermächtniß, hielt ihn nicht in seinen Landen zurück; er liebte sie so wenig als er ihre Mutter geliebt hatte. Er hätte das zarte Fräulein ohne Bedenken den Händen seines Burgvoigts überlassen, und es dem Gerathewohl anheim gestellt, was unter vernachläßigter Zucht aus ihr werden würde, wenn nicht ihre ältern Geschwister, die schier ihre Väter und Mütter hätten seyn können, es über sich genommen hätten, die hülflose Waise in Schutz zu nehmen. Eine vermählte Schwester von ihr, und Herr Heinrich von Rosenberg, ihr ältester Bruder, theilten die Sorge um sie, und unter ihrem Schutz wuchs sie zu der Vollkommenheit heran, mit welcher sie in der Folge jedermanns Bewunderung auf sich zog, so wie ihr unglückliches Schicksal sie bald zum Gegenstand des allgemeinen Mitleids machte.

So weit hatte Fräulein Bertha gelesen, als sie inne wurde, daß die Schrift sich änderte, und die Erzählung in der ersten Person fortgesetzt ward. Die Schriftzüge waren schön, aber ungemein klein, sie schnäutzte die Lichter, um heller zu sehen. Da sie umher schaute, ward sie gewahr, daß draussen die dickste Nacht den Rabenfittig ausgebreitet hatte, die Schloßuhr schlug halb eilf, ein Gedanke an die Warnung des Barons, hier nicht zu übernachten, flog ihr durch den Sinn, aber sie faßte die Deutung nicht ganz, dachte blos auf Feuersgefahr, und traf alle nöthige Vorkehrung, um selbst auf den Fall, daß sie über dem Lesen entschlummern könnte, nichts zu besorgen zu haben. Doch war für sie wohl an Schlaf zu denken, da die Heldin einer Geschichte, die sie so sehr interessirte, jetzt selbst die Feder ergriff, und in dem rührendsten Ton von Leiden sprach, die sie einst erduldete, die nun seit mehr als einem Jahrhundert überstanden waren, und der stillen Denkerin Stoff zu Gefühlen und Betrachtungen gaben, die sich nicht beschreiben lassen? Was der Schwärmerin Bertha vor fast zweyhundert Jahren rührend vorkam, was ihr gefühlvolle Thränen entlockte, gleitet vielleicht in veränderten Ausdrücken über das Herz des heutigen Lesers, wie kühlendes Wasser dahin; es sey so! Die Ansprüche des Mährchenerzählers sind zu klein, als daß ihn dieses befremden dürfte!

Die Tochter des Oberburggrafen von Böhmen knüpfte den Faden ihrer Erzählung folgendermaßen an die Stelle an, wo ihr Vorgänger geendigt hatte.

Ein Gegenstand des Mitleidens? – Trauriger Vorzug für die, welche nach der Anlage, die das Glück bey ihrer Geburt gemacht hatte, hätte hoffen können, ganz entgegengesetzte Empfindungen zu erregen. Die Urenkelin eines Kaisers, die Tochter solcher Eltern, die Schwester solcher Geschwister als die meinigen, hatte Aussichten vor sich, wie sie wenige haben, und wenige wurden getäuscht wie ich getäuscht ward. Mein Vater fiel vor dem Feinde, ehe ich nur ein mahl das Glück gehabt hatte, seine Knie zu umarmen. Die Kinder, welche er hinterließ, waren zahlreich, das Vermögen, das auf uns fiel, nach Verhältniß unsers Standes nur mittelmäßig; die zahlreichen fürstlichen Heyrathen, der Aufwand bey Hofe und im Felde hatte es geschwächt. Mein Eltervater der Kaiser war tod, meine andern mütterlichen Verwandten, nie mit der rosenbergischen Heyrath zufrieden, achteten mich nicht, so ward ich statt der Stelle bey Hofe, die mir gebührt hätte, auf die Dunkelheit eines düstern Waldschlosses eingeschränkt, wo man mir täglich vorsagte, ich sey ein armes Fräulein, und habe keine Wahl als das Kloster.

Ich muß in meinen Frühlingstagen schön gewesen seyn, erst jetzt, in den Jahren, da diese traurigen Reste ehemaliger Reize mir gleichgültig sind, erst jetzt werde ich es gewahr. Anlagen zu hohem Muth und Frohsinn waren in meiner Seele wohl auch vorhanden; all diese Vorzüge verheerte die Hand des Unglücks, ehe sie zu voller Blüthe kamen. Der Trübsinn derer, die mich umgaben, das traurige Licht, in welchem man mir unabläßig mein Schicksal vorstellt, raubte mir den Hang zu jeder Freude, und machte mich zur schwermüthigen Träumerin. Mich von meinem Gram loszureissen, beschäftigte ich mich mit Studien, die für mein Geschlecht nicht gemacht sind, die finstere Mystick, die Erlernung der todten Sprachen, waren der Zeitvertreib meiner Einsamkeit, und brachten mich vollends ganz von meiner Bestimmung ab. Ich taugte zu nichts als zum Kloster, und war würklich im Begriff, den Schleyer zu nehmen, als man mich wider meinen Dank und Willen zur Gemahlin des Freyherrn von Lichtenstein machte. Er war ein reicher Herr, den meine hohe Abkunft, und vielleicht einiger Schimmer von Schönheit, den ich wirklich in meinem sechs und zwanzigsten Jahr noch besaß, zu seiner Wahl bestimmt hatte. Eine glänzende Sphäre öfnete sich mir, deren Vorzüge und Freuden zu geniessen, ich nicht mehr fähig war. Ich wär glücklich gewesen, hätte mir das Glück, das mir jetzt begegnete, um zehn Jahre eher betroffen, oder hätte man mich in der Erwartung erzogen, daß ich einst ein solches machen könnte. O Gott! ich hätte noch vielleicht glücklich seyn können, hätte ich den klösterlichen Eigensinn, den ich mir in der Einsamkeit angewöhnt hatte, abzulegen vermocht. Mein Gemahl war liebenswürdig, warum liebte ich ihn nicht? oder vielmehr, warum nahm ich meiner Zuneigung für ihn, die er sich endlich ersiegte, nicht die düstre Hülle, welche alles umgab, was mich anging?

Was ich hätte thun können, um ihn und mich glücklich zu machen, das leuchtete mir erst denn ein, als es zu spät war! Er verließ mich und liebte andre. Ich zürnte, zürnte so unversöhnlich, daß, als er wiederkehrte, als er zu meinen Füssen um Vergebung flehte, ich ihn stolz verließ, und Zuflucht in den Armen meines Bruders suchte. – O Gott! Richter zwischen ihm und mir! wie wirst du richten?

Er starb! mein Gemahl starb! die ganze Welt fluchte seinem Andenken, weil er sich an mir vergangen hatte. Ich fluchte ihm nicht! ich wußte, wie weit ich schuldig an seinen Vergehungen war! Reue, die bittersten Selbstvorwürfe, halbe Verzweiflung war mein Loos von seinem Tode an, bis an den Tag des meinigen.

Die Leserin ward hier von ihren Thränen übermocht, sie vermochte die kleine Schrift nicht mehr zu lesen, und richtete sich auf, die Lichter heller brennen zu machen.

Da stand ihr gegenüber die rosenbergische Matrone mit in einander geschlagenen Armen, und starr auf sie geheftetem Blick. Das Fräulein, ohne Schrecken sich auf einmal in ihrer Gesellschaft zu sehen, streckte den Arm aus, ihre Hand zu fassen, und schluchzte:

Ach meine Base! Was lese ich hier für Dinge!

Was ist dein Urtheil? antwortete sie.

Mein Urtheil? – Ach, diese Geschichte ist mir nicht neu, ich weiß sie viel anders, als sie hier die unschuldigste Büsserin, die es je gegeben, hat aufgezeichnet. Lichtenberg war ein Böswicht, Bertha von Rosenberg eine duldende Heilige, ihr, nicht ihm, fliessen meine Thränen.Die nehmlichen Worte, welche die Sage der rosenbergischen Matrone nur in lateinischer Sprache, in den Mund legt, in welcher sie geübter gewesen seyn soll, als in der Sprache ihres Landes.

Mit einem unaussprechlichen Blick schlug die Matrone die Augen gen Himmel. Du wirst kommen, sagte sie leise, du wirst kommen, die Todten und die Lebendigen zu richten, auch weiß ich, daß mir noch ein Gericht bevorsteht!

Ein gnädiges Gericht, sagte Bertha, wenn Ihr so gut und schuldlos seyd, als Eure und meine Namensschwester, deren Geschichte ich lese. Laßt mich sie laut vollenden, der Worte sind noch wenig, ich denke, sie werden Euch so wichtig seyn als mir!

Es erfolgte keine Antwort, die Leserin fuhr fort. –

Was bleibt einem gebeugten von Gewissensbissen zernagten Herzen für Linderung übrig, als Wohlthun? Ich war jetzt reich, ich konnte jenem Hang zu geben und zu beglücken, dem ich immer Fesseln anlegen mußte, freyen Lauf lassen! Doch dem Herzen, das keine Reichthümer achtet, ist Geben allzu leicht; ich fühlte es, daß ich schwerere Pflichten auf mir hatte. Die unmündigen Kinder meiner Schwester wurden von mir erzogen; ihr schönes Heranwachsen zu Tugend und Glück, war die erste, die einzige Freude, die ich in meinem thränenvollen Leben hatte. Ich baute ihnen dieses Schloß. Die Umwohner, meine Unterthanen, dienten mir gern, bey dem schweren Bau, denn sie liebten mich; ich denke, ich habe sie nicht gedrückt, bin ihnen nie hart gewesen. An dem Feste, das ich ihnen zum Andenken der geendeten Arbeit stiftete, und das ihre Nachkommen von den meinigen auf ewige Zeiten zu geniessen haben sollen, hörte ich keinen Fluch über mich, hörte ich nur Seegen aus ihrem Munde ertönen. Die guten Leute baten, ich sollte mich zum Andenken dieses Tages so abbilden lassen, wie ich in meiner halben Wittwentracht, die meine beständige Kleidung ist, unter ihnen umherging, und ihnen das Brod austheilte. Ich habe ihnen gewillfahrt, ich hoffe, es ist keine Eitelkeit darin; irrte ich, so wird auch diese Spreu von dem Waizen gesondert werden. – Mein Bild findet sich auf dem grossen südlichen Saal an der Morgenseite.

Ihr Bild? schrie hier Bertha. Wie? ihr Bild? – und ich habe es noch nicht gesehen? O, meine Base, ohne Zweifel könnt Ihr mir sagen – Aber wie? ich bin allein? Wie konnte sich meine Zuhörerin so leise entfernen.

Bertha rief noch einige mahl den Nahmen ihrer Namensschwester, und erhub sich denn, als keine Antwort erfolgte, mit dem einen Lichte, die andern waren bereits ausgegangen, um sich nach dem umzusehen, was jetzt ihre ganze Neugier rege machte, nach dem Kontrefey ihrer Heiligen. Wenn dieses der große südliche Saal ist, sagte sie zu sich selbst, so muß ich es hier finden. Der Tag bricht bereits durch die Fenster! Hinweg mit der Kerze, sie nützt mir nicht!

Die Zeit, wenn Tag und Nacht sich scheiden, ist, laut alter Sagen, Geistererscheinungen so günstig als die schwarze Mitternachtstunde. Die furchtlose Bertha, die sich in jener Nacht nicht gescheut hatte, fühlte auch kein Grauen in dieser, und wie hätte sie auch gesollt, da in ihrer Phantasie keine Gespensterideen einheimisch waren, und sie zur Zeit noch nichts erfahren zu haben glaubte, das die gemeinen Sagen von solchen Dingen begünstigen könnte.

Bertha mochte die Fenstergardinen zurückziehen wie sie wollte, mochte im röthlichen Morgenlichte die Wände des Saals noch so genau betrachten, sie sah nichts, das einem Bilde ähnlich war, sie stand jetzt an der Thür des südlichen Kabinets, und ohne Rückerinnerung, daß ihr der Eintritt in dasselbe von ihrem Oheim verboten war, öfnete sie es, und ging hinein. Ein schnell umher geworfner Blick zeigte ihr, wie sie meynte, in der Tiefe des Zimmers ihre gute Freundin, die Matrone.

Freudig auf sie zueilen, und im Näherkommen sich durch ein Bild in Lebensgrösse, das Frau Berthens volle Ähnlichkeit trug, getäuscht sehen war eins. Das Fräulein fühlte, sie wußte noch nicht ganz warum, bey diesem Anblick einen kleinen Schauer. Es giebt Augenblicke, da uns nach langer Unwissenheit die Wahrheit auf einmal mit vollem Lichte in die Seele strahlt; der gegenwärtige war einer von diesen. Berthens Zittern vermehrte sich von Sekunde zu Sekunde, doch hatte sie noch Muth, dem grossen Bilde der weißen Frau, das man noch zu Schloß Neuhaus sehen kann, zu nähern. Vielleicht war alles, was sie jetzt empfand, für ein so vorurtheilfreyes Gemüth, als das ihrige, durch ein klein wenig Fassung, oder durch Vorstellung von allerley Möglichkeiten schnell hinweg zu hauchen gewesen, aber als jetzt Frau Bertha in Person, doch schattenartiger als je vor ihr überglitt, als eine hohle unartikulirte Geisterstimme ihr zutönte: Bertha, kennst du mich nun? da mußten wohl alle Zweifel schwinden, sie sah auf einmal hell, wogegen sie so lang blind gewesen war. Das schreckensvollste Gefühl, das sich denken läßt, übermochte sie, sie sank empfindungslos vor dem Bilde der weißen Frau zu Boden.

Die Sonne ging völlig herauf, der Mittag kam heran, das Fräulein ward im Schlosse vermißt. Der Baron ward äusserst unruhig, denn er liebte die sanfte Bertha vollkommen, so sehr als sie verdiente. Man sagte ihm, man habe bereits alles nach ihr durchsucht, um ihn durch die Nachricht von ihrem Verlust nicht zu zeitig zu schrecken. Was sollte man denken? Flucht oder Entführung aufs Tapet zu bringen, würde Unsinn gewesen seyn, wer sollte die eingezogene Bertha, die fast niemand kannte, entführen? und warum hätte sie aus den Armen ihres Vaters fliehen sollen?

Hastig fragte der alte Herr, ob man in der Librarey gewesen sey? – Wie konnte man? Der heilig bewahrte Schlüssel zu diesem Orte war in seinen Händen, auch wagte sich niemand von dem Schloßgesinde, dem bekannt war, daß die weiße Frau dort hauptsächlich ihren Aus- und Eingang zu haben pflegte, gern in diese Gegend!

Dem Baron stellte sich auf einmal die schreckensvolle Möglichkeit vor, das Fräulein könne sich des Verbots ungeachtet dort verspätigt haben, es könne ihr dort irgend etwas zugestossen seyn, das hier schon mehrern den Tod gebracht hatte. Daß sie das Schloßgespenst gesehen habe, ohne es zu kennen, konnte er schon aus ihren gestrigen Reden muthmassen, und was konnte dieses für Folgen gehabt haben? – Mehrere die hier der ätherischen Dame unversehens begegneten, und aus Unwissenheit oder Muthwillen das geringste gegen sie versahen, hatten bereits ihre Rache empfunden. Herr Peter von Wocken, Berthens verblichener Bräutigam, sollte, das wußte das ganze Schloß, obgleich niemand ihr davon sagte, von einem Anblick der weißen Frau, den Tod genommen haben; war es nicht möglich, daß seiner Hinterlassenen das nehmliche begegnet sey?

Der alte Herr rang die Hände, und weinte wie ein Kind ob dem muthmaßlichen Schicksal seiner liebenswürdigen Nichte. Sich Gewißheit zu verschaffen, oder der Verunglückten vielleicht noch Hülfe zu leisten, brauchte man nur, sich an den verdächtigen Ort zu verfügen, aber wie viel Überwindung gehörte hiezu! Das Schloßgesinde schauderte vor dem blossen Gedanken zurück, und fürwahr, der Herr fühlte eben so wenig Lust, den Ort noch einmal zu sehen, wohin er vor einigen Jahren, weil er in seinem ganzen Leben das Schloßgespenst noch nie gesehen hatte, sich muthig verfügte, und wo ihn der unvermuthete Anblick desselben mit einem Schrecken und einer Eil zurück scheuchte, davon Bertha noch die Spuren gesehen hatte.

Liebe zu dem guten Fräulein überwand indessen jede Bedenklichkeit. Der Schloßkappellan mit dem Kreuz trat vor, ihm folgte der Baron, und nach ihm ging die ganze Dienerschaft mit allerley Wehr und Waffen auf besorglichen Angriff versehen.

Ach hätten sie sie dahinten gelassen! Frau Bertha war jetzt auf einer Laune, da sich wenig von ihr befürchten ließ. Weit nöthiger als Weihwedel und Reliquien wären den Nachsuchern der armen Bertha einige Flaschen mit starkriechenden Essenzen, einige angebrannte Federn, oder die Lanzette des Wundarztes gewesen, sie wieder ins Leben zurück zu rufen!

Man fand sie in einem Zustande, der sie mehr einer Todten als einer Ohnmächtigen ähnlich machte, vor dem furchtbaren Bilde ausgestreckt. Man denke, wie lang sie hier ohne Hülfe gelegen hatte! – Ob sie sich in Zwischenräumen erholt haben mochte, um wieder in ihre schreckliche Bewußtlosigkeit zurück zu sinken, weiß ich nicht; gnug, man brachte sie ohne alles Zeichen des Lebens auf ihr Zimmer und es war ziemlich spät gegen den Abend, da die Kunst der Ärzte und Wundärzte sie so weit gebracht hatte, daß der Baron sich ein wenig beruhigen konnte. – Sie war jetzt würklich wieder bey sich selbst, aber zu matt zu sprechen, oder die mindeste Bewegung zu machen. Dieser Schwäche folgten Anfälle von Phantasien, in welchen sie mehr von den Vorgängen vergangener Nacht ausredete, als sich vielleicht mit der hergebrachten Sitte der Geisterseher vertrug; doch was man in der Hitze thut, wird einem nicht zugerechnet, und dieser Fehler ging also der in solchen Dingen ganz unerfahrnen Bertha auch ungestraft hin.

Der Oheim saß an ihrem Bette, und bewachte jeden Anschein von Besserung mit der zärtlichsten Ängstlichkeit, aber auch denn, als sie schon völlig gerettet hieß, hütete er sich wohl, kühne Fragen an sie zu thun, oder ähnliche, die er von ihr gewärtig war, zu begünstigen.

In der ersten Nacht, da Bertha die Rechte einer Wiedergenesenen, unbewacht zu schlafen, genoß, hatte sie ein Gesicht, davon die neben ihr schlummernde Zofe, deren Gesellschaft sie jetzt für nöthig hielt, nichts vernahm, und das sie erst nach vielen Jahren ihren Freunden mittheilte –

Die rosenbergische Matrone stand vor ihr, ganz so, wie sie sie gesehen hatte, als sie sie noch für eine Sterbliche hielt. Bertha, sagte sie, ich habe dich geschreckt, das wollte ich nicht! Wie wars möglich, daß du, bereits so vertraut mit mir, dergestalt durch meine völlige Kenntniß erschüttert wurdest? Doch du bist eine Sterbliche, und ich verzeihe dir. Du wirst mich wachend nie wieder sehen; ich liebe dich zu sehr, als daß ich durch meinen Anblick dein Leben in Gefahr setzen sollte; aber um dich zu seyn, und für dich zu wachen, werde ich nie aufhören. Vielleicht hast du einst durch mich dein Liebstes verloren; wohl gut, ich bin dir Vergütung schuldig, und du sollst sie haben! Feyre jetzt mein nahbevorstehendes Gedächtnißfest, die Stiftung des süssen Brey's, mit der Würde, die einer rosenbergischen Dame und meiner Namensschwester zukommt, zähle von demselben funfzehn Tage, und du wirst den zu sehen bekommen, der dir den Verlust deines Bräutigams ersetzen soll. Bertha erwachte, und fühlte sich merklich gestärkt, besonders durch das Versprechen der weißen Frau, ihr nie wieder wachend zu erscheinen. Der blosse Gedanke ein übermenschliches Wesen, mit welchem sie sich so gemein gemacht hatte, als ob es ihres Gleichen war, wieder zu sehen, hatte ihr bisher ein Grauen verursacht und ihre Genesung verzögert, sie sah sich als eine unglückseelige Person an, die sich unter ihren Zeitgenossen bald durch den Namen einer Träumerin auszeichnen, bald dahin gebracht werden könnte, bey gehäuften Abentheuern aus der Geisterwelt, an ihrem eigenen Verstande zu zweifeln, oder ihn würklich zu verlieren. Jetzt war sie durch das Ehrenwort der gespenstischen Dame gesichert; sie konnte ruhig in die Zukunft blicken, riß sich mit Gewalt von dem Andenken ans Vergangene los, und genas zusehens.

Mit Entzücken schloß sie ihr Oheim wieder frisch und blühend in die Arme, machte mit doppelter Munterkeit die gewöhnlichen Anstalten zu dem alten rosenbergischen Stiftungsfeste und Bertha ihrer Seits, rüstete sich auch, die ihr bey demselben übertragene Ehrenrolle mit Anstand zu spielen. Wir haben dem Leser schon etwas von der Entstehungsart dieses Festes gesagt, nun auch ein Wort von seiner Benennung, wiewohl es uns schier Unmöglichkeit dünkt, daß ein Mährchenfreund deutscher Nation die Mahlzeit des süssen Breyes nicht so gut zu beschreiben wissen sollte als wir.

Die rosenbergische Dame, welche ihr Schicksal, oder irgend eine ungebüßte Schuld nach ihrem Tode zum Gespenst machte, hatte den Armen, die ihr bey Erbauung des Schlosses Neuhaus geholfen hatten, am Ende zur Ergötzung ein Gastmahl geordnet, in welchem die Hauptschüssel ein süsser Milchbrey war. Ein Gericht gute Fische. Ein Laib Brod mit Honig, ein Krüglein Wein, und ein Silbergroschen machten die übrigen Theile der köstlichen Bewirthung aus, deren Wiederholung in der Folgezeit für die Enkel der weißen Frau keine so kleine Sache war, als sie zu ihren Zeiten geglaubt haben mochte; die Zahl der Armen nahm mit jedem Jahre zu, und man mußte so reich und so großmüthig seyn, als Baron Mathias, die Stiftung eher zu vermehren als zu schmälern.

Der Genesung der geliebten Bertha zu Ehren wurde das Fest diesesmal verschwenderischer gefeyert als je. Das Fräulein ging wie ein Engel unter ihren Gästen umher, die sich auf der grünen Matte vor der Burg gelagert hatten, und theilte ihnen das Bestimmte aus, das sie, von der Freygebigkeit des Barons bereichert, auch durch manche heimliche Gabe vermehrte. Ihr tönten laute Seegenswünsche, aber um die Verfertigung ihres Konterfeys sprach sie doch niemand an, ungeachtet der Nachwelt mit demselben mehr gedient gewesen seyn würde, als mit dem Bilde der weißgeschleyerten rosenbergischen Wittfrau in deren Anblick wohl niemand etwas gefälliges finden konnte, als eine gutherzige Bertha, die Mitleid für Wohlbehagen annahm.

Die Geschichte von dem Abentheuer des Fräuleins hatte sich, obgleich wenige die rechte Beschaffenheit desselben vollkommen wußten, doch weit ausgebreitet, und die junge Person, welche die Hauptrolle in derselben spielte, war ein allgemeiner Gegenstand der Neugier und Bewunderung geworden. Es gab einige rosenbergische Vettern, welche die schöne Muhme noch gar nicht kannten, oder sie bisher auf dem österlichen Familienbesuch unter den schönern und reichergekleideten Basen und Bäslein gern übersehen hatten; einer oder zwey derselben konnten der Osterzeit, die ohnedem noch fern war, nicht erwarten, um das Fräulein nach Bequemlichkeit auf dem Schlosse des alten Oheims beäugeln zu können, sondern sie faßten lieber den romantischen Entschluß, sich unter die Armen zu mischen, die Berthens Milde speisen sollte, und daselbst die erste Gabe aus ihren Händen zu erhalten.

Bertha ging unbefangen in ihrer Unschuld zwischen den dichten Reihen ihrer Gäste einher, theilte rechts und links aus, ohne drauf acht zu haben, dass hier und da ein vollwangichter krauslockichter Bube, das lebendige Gegenbild der Dürftigkeit sich zu ihrer Milde drängte. Einer von ihnen war kühn genug, die weiße wohlthätige Hand, die ihm das Laiblein Brod darreichte, zu fassen und sie an seine Lippen zu ziehen. Das Fräulein ward nicht beleidigt; der Armuth konnte sie wohl eine Freyheit verzeihen, die sie nach damaliger strenger Jungfernsitte, keinem Fürsten würde gestattet haben.

Was fehlt Euch, guter Mann? fragte sie mit mitleidigem Blick, ohne zu bedenken, daß dem Inhaber dieses Gesichts gar nichts fehlen konnte, Ihr habt wohl ein besonderes Anliegen?

O ja, gnädiges Fräulein! rief der unbekannte Vetter, dem Bertha in diesem Augenblick durch Tugendübung verschönert, wie ein Engel vorkam, o ja, und ich wollte die Welt drum geben, es Euch entdecken zu dürfen.

Ihr seht wohl, antwortete sie freundlich, daß ich mich jetzt nicht lang bey Euch aufhalten kann, aber sucht Gelegenheit, mich auf dem Schlosse zu sprechen, und so ich das, was Ihr begehrt, durch Vorbitte bey meinem Oheim erhalten kann, so solls Euch werden. Drauf zog sie ein ziemliches Silberstück aus dem Seckel und gab es ihm, der von seinen lauschenden Gesellen ob der milden Gabe wacker gehöhnt, und den ganzen Tag der Jungfernsöldner genennt wurde.

Spottet wie ihr wollt, sagte er, die erste Spende der liebenswürdigen Bertha ist mir Unterpfand noch weit grösserer Milde, und die Bestellung aufs Schloß? Das Erbieten zur Vorbitte bey dem Oheim? – Was sagt ihr dazu? – kann wohl ein Liebhaber sich bey dem ersten Gespräch grösserer Gunst von seiner Dame rühmen, als ich? Die Sache ward belacht und commentirt; man weiß wie junge Gesellen es machen, dieses Geschlecht war sich in allen Jahrhunderten gleich. Aber der Begabte, dem würklich das Fräulein im Herzen Wohlgefallen hatte, nahm die Sache ernstlicher als die andern, und bekannte ihnen frey daß er Eil habe, die schöne Bertha wieder zu sehen und mit ihr zur Richtigkeit zu kommen; aber, fuhr er fort, wie ist das zu machen? Die österliche Besuchzeit bey dem Baron ist noch fern, zudem haben wir uns unter dem andern Haufen von Vettern und Muhmen so selten bey ihm eingefunden, daß er uns kaum kennen, daß er uns vielleicht als Fremde behandeln würde, wenn wir es wagten, ihn ausser der Zeit heimzusuchen. Das Fräulein bekommt man übrigens, wie ich höre, kaum zu sehen, wenn man bey ihm einspricht; sagt selbst, welcher Mann wird wichtig genug seyn, uns freundliche Aufnahme, und Berthens Anblick zu verschaffen?

Es ward viel Rath über diese Dinge gepflogen, und daß die Jünglinge zum Besten ihres verliebten Gefärthen, endlich einen Ausweg fanden, das wird man ihrem Scharfsinn, denke ich, wohl zutrauen.

Das Fest des süssen Breys war noch nicht vierzehn Tage vorüber, so erhielt Baron Mathias Botschaft von dem Prinzen von B ... der so wie mehrere Fürsten seinem Hause verwandt war, so es ihm gefällig war, wollte er mit einem kleinen Gefolge in den nächsten Tagen auf seiner Burg einsprechen.

Das Fräulein nahm dies als Losung an, sich wieder auf ihr Zimmer zurück zu ziehen, und der Einsamkeit zu pflegen, die sie so ungestört, wie immer, bey solchen Gelegenheiten zu geniessen hoffte. – Hätte sie dem, was ihr die weiße Frau bey der letzten Erscheinung sagte, mehr Aufmerksamkeit geliehen, hätte sie nachgerechnet, daß es gerade der funfzehende Tag nach der rosenbergischen Spende war, da die fremden Herrn auf der Burg einritten, so würde sie vielleicht gemuthmaßt haben, daß sie dieses mahl wohl auch mit zur Gesellschaft gehören mußte, wenn sie heute den sehen sollte, der bestimmt war, ihr die Stelle ihres verblichenen Bräutigams zu ersetzen.

Bertha beweinte ihren ersten Geliebten noch zu redlich, um einen solchen Ersatz nur zu wünschen, auch schien sie diesen Theil ihres Traumgesichts ganz vergessen zu haben, wie sie denn überhaupt gern ihre Gedanken von allem losriß, was Beziehung auf die gespenstische Matrone hatte.

Sie machte diesesmal ihre Toilette so nachläßig als möglich, und setzte sich an ihren Spinnrocken, den sie bis zur Mittagszeit ohne Ruhe umtrieb, da die Dirne, die ihr zu Tische diente, hereintrat, und indem sie die Tafel bereitete, viel Erzählens von dem lieben jungen schönen Prinzen von B... und den drey wackern Rittern machte, die ihn begleiteten.

Bertha antwortete hierauf wenig, und wollte sich eben von ihrer Arbeit zu Tische sezzen, als sie den podagrischen Schritt des Barons auf der Gallerie hörte, und ihn bald darauf hereintreten sah.

Heilige Maria, mein Oheim! schrie Bertha, indem sie ihm entgegen trat, was kann Euch bewegen, jetzt Eure Gäste zu verlassen?

Die höchste Nothwendigkeit, mein Kind! Du mußt dich entschliessen, unten bey der Tafel zu erscheinen; ich wollte dir es selbst ankündigen; denn mir, denke ich, wirst du doch keine abschlägige Antwort geben!

Aber Himmel, mein Anzug! rief Bertha, indem sie in den Spiegel sah. Dieses weiße häusliche Gewand! Diese ungeflochtenen Locken!

Ließ sich das nicht in der Eil ändern?

Unmöglich, mein Oheim! Dies brauchte wenigstens eine Viertelstunde Zeit, indessen erkaltet das erste Gericht!

Nun so komm wie du bist! Du findest lauter Familie, der Prinz von B... ist unser Verwandter, und seine Begleiter, drey Herrn von Rosenberg, sind auch unsre Vettern. Aber mein Gott! welch eine Forderung!

Komm nur, sie baten so sehr um Vergunst, ihre Muhme zu sehen, ich konnte unmöglich Nein sagen!

Glühend vor Scham über die vernachläßigte Toilette, und unaussprechlich liebenswürdig in ihrer Verlegenheit, trat Bertha an der Seite ihres Oheims in das Tafelzimmer; vielleicht würde sie durch den vollkommensten Modeputz ihrer Zeit kaum so sehr verschönert worden seyn, als durch die kunstlose Tracht, in welcher sie sich den Augen ihrer Vettern darstellte. Die Mode ihres Jahrzehends war ein wenig steif, auch giebt es Gesichter, die im höchsten Staate nie zu ihrem Vortheil erscheinen, zu welcher Klasse Berthens unschuldige wenig hervorstechende Züge gehörten.

Man bewillkommte sich nach damaliger Sitte, man setzte sich zur Tafel, Bertha war Wirthin; sie sprach wenig, aber das wenige gut. Ihr Auge war überall, daß nichts zum Wohlseyn der Gäste vernachläßigt wurde, und sie bemerkte bey dieser Beschäftigung nicht, daß diese Gäste, besonders der Eine, keine Augen hatten, als für sie.

Nach der Tafel ging man spazieren. Bertha mußte bey dieser Gesellschaft bleiben, und einer der vier Vettern war immer an ihrer Seite, daher sich unter dem Schloßgesinde, dem das etwas ungewohntes war, die Sage erhub: Der Brautkranz schwebe über dem Haupte des Fräuleins, und einer der vier Ritter werde sie sicher heimführen; welcher? das war eine grosse Frage, doch weil jedermann der guten Bertha das höchste Glück, die höchste Ehre gönnte, so fiel die Stimme einhellig auf den Prinzen.

Es war nicht ohne Grund der Wahrheit, daß die stille Bertha an diesem Tage mehr von Liebe hörte, als vielleicht in ihrem ganzen Leben. Denn der verblichene Bräutigam, Herr Peter von Wocken, war zu seiner Zeit ein schlichter geradsinniger Kempe, der seyn Liebchen von Herzen meynte, ohne es ihm in jeder Minute auf zehnerley Art zu verstehen zu geben. Die Höflinge, mit welchen Berthen das Glück, oder ihre gespenstische Namensschwester heute in Gesellschaft gebracht hatte, wußten die Kunst der Minne auf gar feinere Art zu treiben, und das Herz des jungen Fräuleins wär verloren gewesen, wenn es zu den gewöhnlichen Alltagsherzen gehört hätte, an welche man nur anklopfen darf um eingelassen zu werden.

Berthens Herzensthür hatte an dem Andenken des verstorbenen Geliebten einen Hüter, der nicht so leicht zu bestechen war, sie verschloß sich um so fester, je heftiger man sie bestürmte. – Der Abend kam heran, und das Fräulein war froh, daß die Gäste, von denen sie sich solcher Überlast nicht versehen hatte, ihren Abschied nahmen, und sie sich in ihr Kämmerlein zurückziehen konnte. Doch hatte sie, ehe dieses geschehen durfte, noch eine ernste Vorhaltung von ihrem Oheim auszuhalten, wegen ihrer Hartherzigkeit, in welcher erwiesen wurde, daß man die Toden vergessen, und auf das Glück der Lebendigen denken müsse.

Wer von den vier Vettern, der Prinz oder einer seiner Ritter, den Baron dergestalt in seinen Vortheil gezogen hatte, wußte zur Zeit noch niemand als die dabey interessirten Personen, wir aber können es dem Leser wohl ins Ohr sagen, daß es der ältere Herr von Rosenberg war, ein stattlicher Ritter, der die Welt gesehen, und sich durchs Schwerd schon viel Ruhm und Ehre erworben hatte, also auf alle Weise ein liebens- und wählenswürdigerer Gegenstand, als der blonde fünfzehnjährige Fürstensohn, ein junger Herr, bey welchem zur Zeit noch jugendlicher Leichtsinn die Hauptrolle spielte, indeß alles übrige, das Gute und das Böse, nur Anlage war.

Dieser Jüngling hätte sich zu der ernsten stillen Bertha geschickt, wie ein Trinklied zur hohen Messe, auch dachte er nicht an sie; er hatte den Besuch bey seinem alten Vetter, nur seinem Freunde, Herrn Heinrichen von Rosenberg, zu liebe veranstaltet, um ihm Gelegenheit zu dem Rendezvous zu geben, zu welchem er von der unschuldigen Bertha beym Feste des süssen Breyes beschieden worden war, und davon sie nun, da er sich ihr entdeckt hatte, so wenig als von der versprochenen Vorbitte beym Oheim etwas hören wollte.

Da die weiße Frau Wort hielt, und sich nicht wieder vor Berthens Augen sehen ließ, auch ihr im Traume nichts von ihrer Meynung über diese Dinge zuflüsterte, so können wir nicht genau sagen, welches dieselbe war, und müssen uns begnügen, dem Leser das mitzutheilen, was die Sage ihr zur Last legte, ungeachtet wir es mit dem Vorurtheil, das wir zu ihrer Klugheit und Gutmüthigkeit haben, nicht recht zusammen zu räumen wissen.

Die rosenbergische Matrone, so lautet die Tradition, hatte Fräulein Bertha von Neuhaus dermaßen in Affektion genommen, daß sie wünschte, sie aus ihrer Niedrigkeit auf die höchste ihr allenfalls erreichbare Staffel der Ehre zu erheben. Eine fürstliche Heyrath war ihr nicht zu hoch für ihre Favorittin, und sie dachte in allem Ernste darauf, ihr den jungen Prinzen von B ... zum Gemahl zu geben. Die bejahrten Heyrathsstifterinnen ziehen selten den Geschmack ober das wahre Wohl beyder Theile, immer nur ihren wahnvollen Eigensinn zu Rathe, so auch hier: Bertha und der fürstliche Jüngling paßten nicht für einander, und keinem kam ein Gedanke von Liebe in den Sinn, welches letztere die geschäftige Frau Base bald gewahr ward, es sehr hoch empfand, aber es doch nur an einem Theile zu rächen trachtete. Bertha war der Liebling der gespenstischen Matrone, sie sollte leer ausgehen, denn die weiße Frau, der Sitte ihres Geschlechts noch so ziemlich kundig, urtheilte weislich, daß ein Fräulein nicht lieben kann, wenn sie nicht zur Liebe aufgefordert wird, und daß die Verschmähte sehr billig Kaltsinn mit Kaltsinn belohnt.

Ein desto strengeres Gericht erging über den armen Prinzen. Warnende Träume machten den Anfang, um ihn zu dem anzumahnen, was man ihm aufbürden wollte. Sinnbildlich waren sie und für ihn schwer zu deuten. Prinz Erdmann verstand nicht, warum ihn der Traumgott unaufhörlich nach Schloß Neuhaus versetzte, und ihm aus der Hand seiner Muhme Bertha bald Kränze bald Ringe nehmen ließ. Er fand das junge Fräulein recht schön und liebenswürdig, aber wie er dazu kam, sie jede Nacht im Traume zu sehen, das konnte er nicht begreifen; wachend dachte er wenig an sie, als wenn der Herr von Rosenberg ihm etwa von dem schläfrigen Fortgang seiner Liebe unterhielt. Diese Lamenten hörte er noch dazu höchst ungern, weil er noch schlechterdings gar nichts von dem zarten Minnetrieb erfahren hatte, und also auch unmöglich Mitleiden mit einem verliebten Dulder haben konnte. Ritter, sagte er eines Tages zu dem traurenden Jünglinge, zur Linderung Eurer Quaal wollte ich Euch wohl meine Träume gönnen; sie mahlen mir jede Nacht Eure Bertha so schön und freundlich, als ich wünschen wollte, daß sie Euch erschien. Ach, mein Prinz, antwortete Herr Heinrich von Rosenberg, daß nur nicht etwa meine Gefühle in Eure Brust übergehen! Welch einen gefährlichen Mitbuhler würde ich an Euch haben!

Der übermütige Jüngling beantwortete dies mit Lachen, und eilte zu seinen Pferden, die, nebst der Jagd, vor der Hand noch das einzige waren, was er mit Leidenschaft und Beständigkeit liebte. Berthens ungebetene Versprecherin sahe, daß sie dem Widerspenstischen näher treten mußte, sie hatte ohnedem die Art kleinstädtischer Frau Basen, welche den kleinsten Grad von Verwandschaft zum Vorwand machen, sich in grossen Häusern zuzudringen. Brandenburg, Baaden, Hanover und andere ihrer Familie verwandte Häuser, genossen schon längst der Ehre, sie zuweilen zu sehen, und dem Hause von B... ward jetzt diese Erscheinung öfter als je zu Theil. Sie rumorte auf den Vorratsböden, strich mit ihrem Schlüsselbund durch die weiten Säle und ließ sich oft so gar bis zu dem Pferdestall herab. Am öftersten ließ sie sich in dem Zimmer des Prinzen sehn, zwar für ihn noch immer unsichtbar, aber desto fürchterlicher für seine Kammerbedienten, welche oft nicht wußten, wie sie sich geberden sollten, um die Äusserungen von Furcht und Entsetzen mit der Hofetikette zu vereinigen.

Das Anregen zur Reise nach Neuhaus, um die schöne Bertha zu sehen, ward immer deutlicher. Voll Unmuth riß sich der gequälte Jüngling einst um Mitternacht aus solchen Träumen empor, und eilte ans Fenster, da sah er ganz deutlich die weiße Frau, wie sie ihm oft beschrieben worden war, sein Leibroß aus dem Stalle, in den mondbeglänzten Hof leiten, bis sie in einer Ecke verschwand, da denn das zaum- und zügellose Thier mit unerhörtem Toben den Rückweg nach dem Stalle nahm.

Der Prinz weckte seine Leute, sie fanden den Stall verschlossen, aber das Pferd sehr unruhig. Die Klügsten unter ihnen schüttelten den Kopf und meynten, die Sache sey nicht auf die leichte Achsel zu nehmen, es sey hier ohne Zweifel ein Unglück im Anzug. Die Erscheinung der weißen Frau, die sich jetzt so oft blicken lasse, deute nie auf etwas gutes, und es werde dem Prinzen zu rathen seyn, den morgenden Tag nicht auszugehen, noch weniger das Roß zu besteigen, das bey dem nächtlichen Abentheuer irgend etwas von dem Gifte könnte bekommen haben, das ein böser Geist schon mehrmals den Rossen unter den Hafer gesprützt, und dadurch das Verderben ihrer Herrn bewürkt hätte.

Das Schrecken des Prinzen über den Anblick des Schloßgespensts war noch zu neu, als daß er wider das, was seine Diener sagten, etwas hätte einwenden sollen; er legte sich mit dem Entschluß, ihrem Rathe Folge zu leisten, wieder zu Bette, wo ihn bald der Schlaf überfiel; ein fester traumleerer Schlaf, der alle Schreckbilder verwischte, die sich seiner Seele eingeprägt hatten. Sie dünkten ihm, da er erwachte, nur ein Nachtgespenst zu seyn, und er erhub sich nach Gewohnheit, um auszureiten. Man stellte ihm vor, was er diese Nacht selbst gesehen und stillschweigend eingestanden hatte; umsonst, er bestand auf seinem Sinne. Er bestieg das Roß, das sich vor wenig Stunden an der Hand der weißen Frau gebäumt hatte, und das nun geduldig wie ein Lamm dastand; aber so bald es die Schloßbrücke hinter sich hatte, nicht mehr zu zähmen war, und mit verhängtem Zügel einen Weg nahm, dahin der Prinz gar nicht gedachte.

Es ist der Weg nach Schloß Neuhaus, sagte der muthwillige Reuter, als sein Gefärthe Herr Heinrich von Rosenberg ihm endlich behülflich war, das unbändige Thier ein wenig zur Räson zu bringen. Es ist der Weg zu deiner Bertha; setze dich auf, mein Freund, die weiße Frau hat diesem Rosse diese Nacht ein Wort ins Ohr gesagt, das seinen Reuter in wenig Minuten nach dem Orte bringen wird, wo ich nichts zu thun habe.

Der Herr von Rosenberg antwortete hierauf nichts, sondern rieth dem jungen Übermüthigen, für heute lieber den Rückweg nach Hause zu nehmen, da ja ohnedem heute das Wetter weder Jagd noch Spazierritt begünstigte. – Der Vorwand that seine Würkung; unter einem andern würde der störrige Jüngling schwerlich zum Heimzuge zu bereden gewesen seyn.

Man sagt, kein feindseliges Wesen habe Macht an dem Menschen, so lange er sich nicht durch irgend einen Frevel des schirmenden Schilds seines Schutzengels beraubt habe. Prinz Erdmann hatte schon manches gesagt und gethan, das sich vor dem strengen Gericht der Geister nicht ganz entschuldigen ließ, und ehe eine Stunde verging, sollte er sich noch mehr vergangen, und dadurch seinen Untergang unvermeidlich gemacht haben.

In dem fürstlichen Hause von B... lebte die alte Markgräfin von ... eine venerable Matrone von drey und neunzig Jahren, Grosmutter oder Grostante des damals lebenden Geschlechts; sie war noch munter für ihr hohes Alter, und dasbey so gut und gefällig, daß nur ein junger Hitzkopf, wie ihr Urenkel, mehr besagter Prinz, ihr Liebe und Achtung versagen, und sich dann und wann durch ihre Weisungen beleidigt finden konnte.

Als er diesesmahl mit dem Herrn von Rosenberg von dem kurzen Spazierritt zurück kam, war es eben Zeit zum Frühstück, und die jungen Ritter gingen, so wie sie von den Pferden stiegen, in den grossen Gesellschaftssaal, wo die sämmtlichen Damen des Hauses bey der Morgensuppe versammelt waren. O, mein Kind! rief die alte Dame dem Prinzen entgegen, Gott sey Dank, daß wir dich wieder sehen! Todesangst haben wir deinetwegen ausgestanden. Ein Unglück steht unserm Hause bevor! wir werden nächsten Tages eine Leiche sehen! Würde ich es ausgehalten haben, deinen Tod erleben zu müssen?

Und warum den meinigen, gnädige Frau? fragte der Jüngling ziemlich übereilt.

Du meynst, erwiederte die Matrone, die, welche dich warnt, sey zum Sterben reifer als du? – O, mein Kind, wenn wirst du lernen, daß das Alter im Lehnstuhl sicherer vor dem Tode ist, als die unvorsichtige Jugend auf ihren Lustwegen? – Wilder Pferdebändiger!! dein Rasen kann dir über kurz oder lang den Untergang bringen!

Kann ich erfahren, fragte der Prinz eine seiner Schwestern leise, wie ich zu dieser Predigt komme?

Das Fräulein weinte. Unserm Hause, schluchzte sie endlich, steht allerdings ein Unglück bevor. Jener Mann im schwarzen Rocke bringt Post, daß der Tod weissagende Leichenstein unsers Uranherrn, in der Kirche zu stark geschwitzt habe! Du weißt, was dieses zu bedeuten hat.

Nun, erwiederte der Tollkühne, so will ich hin, will ein Tuch mit diesem vordeutenden Todesschweiße netzen, und es der Markgräfin bringen, daß sie sterben lerne.

Kaum hatte er ausgeredet, so verschwand er aus dem Zimmer, flog die Stiege hinab, und warf sich auf das noch gesattelte Roß, das man im Hofe auf und abführte, damit es sich von der vorigen Erhitzung erholen möchte: Es dampfte und lechzte noch, der Stallmeister bat, des schönen Thiers zu schonen, aber es war, als wenn der nehmliche Dämon, der in voriger Nacht dem Rosse Gift in den Hafer gesprützt haben sollte, auch das Hirn seines Eigenthümers ein wenig verrückt hätte! Er nahm keine Warnung an, und wie ein Pfeil von der Sehne, flog er auf dem Thiere, das mit ihm gleichen Trieb zum Verderben fühlte, davon, nach der zwey kleine Meilen entlegenen Kirche, wo sich bereits die ganze Gegend versammelt hatte, um den fürstlichen Leichenstein schwitzen zu sehen, und die Deutung dieses Wunders auf die alte Markgräfin zu machen.

Der Herr von Rosenberg war dem Prinzen so eilig als möglich gefolgt; das Verlangen der fürstlichen Damen, und seine eigenen Besorgnisse um den jungen Unvorsichtigen nöthigten ihn, denselben seinem Schicksale nicht allein zu überlassen; er langte wenig Minuten nach ihm an, stieg ab, und fand ihn unter dem dichten Haufen, bey dem schwarzen marmornen Denkmahl stehen. Ein Gelehrter aus der nahgelegenen grossen Stadt, den das Gerücht von dem Mirakel auch herbey gezogen hatte, hatte sich zu ihm gesellt, und erklärte ihm weitläuftig, daß die Feuchtigkeit, welche von den weinenden Steinen herabtroff, keinesweges etwas Übernatürliches sey, und sich sehr leicht aus diesen und diesen Ursachen herleiten lasse.

Demonstrationen dieser Art, sagt der erste Erzähler dieses Mährchens, sind der ungläubigen Jugend jederzeit willkommen. Der Prinz horchte, und lachte dazwischen über die Hirngespinste, die sich seine Urahnfrau machte. Auch der Herr von Rosenberg war unaufmerksam, doch enthielt er sich jeder unvorsichtiger Äusserung, wie er denn überhaupt ein edler bescheidner Mann war, der auch aus diesem Grunde die Hand der stillen Bertha verdiente. Als der Demonstrator nichts mehr zu sagen hatte, und man doch hier nichts weiter sah, als eine gaffende Menge und herabfallende Tropfen eines feuchten Gewölbes, da entschloß man sich zurück zu reuten. Herr Heinrich schlug dem Prinzen vor, die Pferde zu wechseln, aber dieser nahm das als Beschimpfung an. Er gestand ein, daß ihm das tolle Thier im Herüberreuten viel Noth gemacht und mehrmals mit dem Sturze bedroht habe, aber daß die starken nervigten Arme des Ritters Rosenberg es besser würden zu regieren wissen als die seinigen, das wollte er nicht erkennen. Er ließ sein Taschentuch ein gutes Theil von dem sogenannten Todesschweiß des Leichensteins einfangen, und steckte es zu obgemeldeten Vorhaben zu sich, verließ dann mit seinem Gefärthen die Kirche, und schwang sich auf das Roß, das bisher geduldig unter der Hut einiger Bauern vor der Pforte gestanden hatte, aber nun, so wie es seine Last fühlte, sein Rasen von neuem begann, so daß dem, der es sahe, wie vielmehr dem Reuter, die Haare zu Berge standen, und jedem der Sturz unvermeidlich schien.

Der Herr von Rosenberg verlor den unglücklichen Jüngling, so schnell er ihm auch folgte, bald aus den Augen. Mit Gefahr selbst zu stürzen, stieß er sein eignes Roß unaufhörlich an, um dem unsinnigen Fluge so nah als möglich zu bleiben. Auf Augenblicke sahe er den Prinzen in der Ferne wieder, der immer im nächsten wieder am Horizonte verschwand. – Die fürstliche Burg war jetzt nahe, Rosenberg sah den Prinzen nicht mehr, eine Viertelstunde vor ihm, war er bereits bügellos in den Schloßhof gejagt gekommen, der Zügel war nicht mehr in seinen Händen: er hielt sich nur noch an der Mähne fest. Man sah seine Gefahr und eilte ihm zu Hülfe zu kommen, aber ach, zu spät! Ehe man sich ihm nur zu nähern vermochte, hatte ihn schon das Unglücksroß, das bald darauf zu Boden fiel, und den letzten Hauch ausbließ, abgeworfen: Der Unfall geschahe dicht an der grossen Stiege. Man hub den armen Jüngling auf, der, so erschüttert er auch war, doch noch begehrte hinauf geleitet zu werden. Es war Unmöglichkeit; ein Strom von Blut stürzte aus seinem Munde. Rosenberg kam zu diesem kläglichen Schauspiele. Er faßte seinen fürstlichen Freund in seine Arme, der sich schwächlich an ihn lehnte, und ihn versicherte, es habe nichts zu bedeuten, und werde bald vorüber seyn. Leite mich nur hinauf, setzte er lallend hinzu, denn ich werde nicht sterben, man soll nicht sagen, daß der Schweiß des Leichensteines auf mich gedeutet habe!

Man sagt, der unglückliche junge Prinz habe würklich noch Kraft gehabt, diesen Weg an Rosenbergs Arme zurückzulegen, aber Kraft die vereinten Folgen von tödlicher Erhitzung und dem gewaltsamen Sturz zu überstehen, hatte er nicht. Er starb noch am nehmlichen Tage in den Armen einer verzweifelnden Familie, die den jungen Wüstling liebte wie er war, und mit ihm alles verloren zu haben glaubte.

Dieses war die tragische Geschichte, die man, ob sie gleich vielleicht blos die Folge jugendlicher Unbesonnenheit war, auf die Rechnung der rosenbergischen Matrone schrieb; was pflegt man nicht alles herbeyzuziehen, um die Fehler der Fürsten zu entschuldigen! In wie weit Berthens Name mit hinein verflochten war, das war damals niemand bekannt als dem Herrn von Rosenberg, dem der verstorbene Prinz zuweilen etwas von seinen Träumen gesagt hatte; erst lang nachher ist diese Sage ausgekommen, und man hat sie genutzt, der weißen Frau, unter andern gehäßigen Namen, den Namen einer unglücklichen Heyrathsstifterin zu geben. Wir unsers Theils, die diese Dame am liebsten nach ihren eigenen schriftlich von sich hinterlassenen Zeugnissen, die wir dem Leser mitgetheilt haben, zu beurtheilen pflegen, erklären, daß wir sie solcher Tücke für unfähig halten, und wenden uns wieder zu ihrer Favorittin, dem Fräulein von Neuhaus, das auf dem Schlosse des alten Barons das gewohnte stille Leben fortsetzte, ohne sich durch etwas beunruhigen zu lassen, als durch die daurenden Liebesverfolgungen des Herrn von Rosenberg, der sich bald schriftlich bald durch den Mund des Oheims an sie wandte, um sie von der endlosen Trauer um den Verblichenen, zu einer neuen Verbindung zu bereden.

Es war in der That schon bald jährig, daß sie ihren Geliebten verlor, und der Ausdruck, endlose Trauer war also würklich recht wohl angebracht. Ach, die treue Bertha würde ihren Bräutigam wohl bis ans Ende ihres Lebens beweint haben, hätte man ihr Freyheit dazu gönnen wollen, und hätte sich nicht das Schicksal eingemischt und ihrem Herzen anfangs Mitleid, und denn bald eine noch zärtlichere Empfindung aufgenöthigt, die so gern aus inniger Theilnehmung an des Andern Kummer erwächst.

Der Prinz von B ... war tod, und wurde als ein vornehmer Verwandter, wie sichs geziemt, von dem rosenbergischen Hause betrauert; aber es ließ sich an, als sollte man bald noch eine Trauer bekommen. Herr Heinrich von Rosenberg hatte in den beyden forcirten Märschen, die er wenig Stunden hinter einander, seinem fürstlichen Freunde zu Liebe unternahm, seine eigene Gesundheit wenig in acht genommen. Die Ritter konnten damals schon weniger ausstehen, als die Helden einiger frühern Jahrhunderte und Rosenberg lag sehr gefährlich an den Folgen der tödlichen Erhitzung. Fräulein Bertha erhielt die Nachricht von seiner Krankheit, aber die Ursachen derselben erfuhr sie nicht; da sie nun kurz zuvor, ein höchst lamentables Schreiben von ihm erhalten hatte, in welchem die Worte, Grab und Tod, nicht gespart waren, so glaubte sie aufrichtig – wie denn die Mädchen in solchen Stücken starkgläubig sind, – sollte Herr Heinrich sterben, so sey sie seine Mörderin. In dem Schmerz und den Gewissensbissen, die ihr dieser Wahn verursachte, that sie das Gelübde auf den Fall seiner Genesung, die sie inbrünstig vom Himmel erflehte, nicht ferner die Grausame zu spielen, sondern zu dem, was er wünschte, und der Oheim befahl, ja zu sagen. –

Sie hatte dieses Gelübde so laut gethan, daß man sie beym Worte halten konnte, und es war um die Zeit des österlichen Familienbesuchs, da Herr Heinrich von Rosenberg, völlig wiederhergestellt, eintraf, ihre Hand aus der Hand des Barons zu empfangen.

Das fehlte noch, sie der alten Einwohnerin dieser Mauern, der weißen Frau, lieb und theuer zu machen! Auf Schloß Neuhaus war sie geboren, hier hatte sie den deutungsvollen Namen Bertha empfangen, hier hatte sie den größten Verlust eines zärtlichen Mädchens, den Verlust ihres Bräutigams erlitten, das wichtigste Jahr ihres jungfräulichen Lebens verlebt, nun sollte sie auch hier ein Bündniß treffen, das – es mochte nun mit dem Prinzen von B ... auch Bewandnisse gehabt haben, welche es wollte – doch wenigstens jetzt mit dem vollen Beyfall ihrer geistigen Patronin beehrt ward.

Sie gab sichtliche Zeichen ihres Wohlgefallens von sich. Es ist bekannt, daß dieses gute hauswirthliche Gespenst, seine Geschäftigkeit nicht blos bey bevorstehenden Trauerfällen zeigt, um etwa die Leichentücher aus den verschlossenen Truhen zu holen, oder die Lichter beym Sarge im Voraus zu ordnen; nein, ist in den ihnen verwandten Häusern Hochzeit oder Kindtaufen vor der Thür, so giebt es den nehmlichen Lärmen mit Schlössern und Schlüsseln. Die fleissige Hausfrau hat mächtig zu thun, das silberne Tafelgeschirr herauszugeben, und das köstliche Leinengeräth auszubreiten. Findet sich denn etwa eine vorwitzige Wirthschafterin im Schlosse, die für die ihrer Hut anbefohlnen Kostbarkeiten unnöthig besorgt, der rosenbergischen Matrone Hinderniß in ihre Geschäfte bringen will, so kommt es nicht selten zu Thätigkeiten, da freylich die Sterbliche allemal die Schwächere ist, und wohl gar mit dem Leben bezahlen muß.

Wie Frau Bertha es allemal zu treiben pflegt, wenn Hochzeit in der Familie ist, so auch hier; nur machte sie das Ding so arg, daß man fast keinen Schritt auf Treppen oder Sälen thun konnte, ohne Furcht ihr zu begegnen. Nur der jungen Braut begegnete sie nie; das war die Folge ihres gethanen Versprechens dem sie als eine wahre Edeldame treu blieb. Es gab Personen, welche dem Fräulein rathen wollten, ihr gutwillig zu gefallen zu gehen, und dieses aus folgender Ursach:

Ausser den bekannten goldnen und silbernen Pokalen, Schüsseln und Kannen des Schlosses, sahe man auch oft, daß sie sich mit Gefässen von ungeheurer Grosse und seltner Kostbarkeit trug, die niemand je zuvor gesehen hatte, und deren einige sogar mit alten Thalern gefüllt waren bis oben an; man urtheilte nicht uneben, dies könnten Hochzeitgeschenke für die Braut seyn, wenn sie nur gleich bey der Hand war, sie aus den Händen ihrer Patronin zu empfangen; aber Bertha hätte nicht aller Welt Gut um den Preis genommen, ihre ehemahlige Gesellschafterin nur noch einmal zu sehen, auch war ihr Bräutigam, der so wenig als sie einen Hang zum Geitz hatte, sehr wider eine solche Wagniß um schnöden Gewinsts willen. Indessen schreibt sich von diesen Zeiten noch die Sage von einem grossen Schatze her, der zu Schloß Neuhaus dem glücklichen Finder aufbehalten wird, und dessen Hüterin die weiße Frau ist. Wer sie in der Abend- und Morgendämmerung auf den verfallenen Thürmen der alten Burg, wie ein wachsendes Gespenst hervorkommen sieht, und Muth genug hat, hineinzugehen, und ihr auf den morschen Treppen nachzusteigen, der wird mit einigen möglichen Bedingungen die Schätze heben, die damals vielleicht der geliebten Bertha zugedacht waren.

Sie erhielt nichts davon, weil sie nicht so viel Herz besaß, es aus der Hand der gespenstischen Matrone zu nehmen; nicht einmal ein Pathengeschenk bekam sie, als sie auf Schloß Neuhaus, wo sie mit ihrem Gemahl dem alten Baron zu liebe ein ganzes Jahr haußte, ihr erstes Herrlein gebar. Aber sehr geschäftig war die weiße Frau in der Wochenstube, wenn die Kindbetterin schlief. – Den kleinen Peter von Rosenberg – so nannte ihn Bertha nach ihrem ersten Geliebten, – sahe man mehrmal auf ihren Armen, auch wußte sie das Recht der Verwandschaft an das Kind sehr nachdrücklich zu vertheidigen, als ihr einst die Wärterin dasselbe kühnlich entreissen wollte; doch fühlte sie sich durch diese Unhöflichkeit so beleidigt, daß sie nachher nicht wieder erschien, und sich begnügte, ihre Geliebten unsichtbarer Weise in Obacht zu halten. Heut zu Tage sind obbenannte neuhausischen Thürme, das Schloß zu Hanover, und die Zimmer des königlichen Schlosses hinter dem Rittersaal die Hauptgegenden, wo sie sich eignet; die Verbindungen mit andern Häusern sind nach und nach zu zahlreich geworden, als daß sie sich, so wie sie sonst gewohnt war, überall zeigen könnte, wo sie verschwägert ist.