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I

Im Februar des Jahres 1580 schritt ein junger Mann über die Piazzetta in Venedig. Der Tag dämmerte. Seine Kleidung war in Unordnung und das federgeschmückte Barett tief in der Stirn. Mit großen Schritten ging er auf die Riva degli Schiavoni zu. Degen und Mantel schleppten hinter ihm her, und verächtlich schritt er über die Fischer, die am Boden ruhten. Am Ponte di Paglia blieb er stehen und sah sich um. Der Mond verbarg sich hinter der Giudecca. Erste Röte umgoldete den Dogenpalast. Ein naher Palazzo brannte. Von Zeit zu Zeit schlug dichter Rauch und helle Lohe hoch. Balken, Steine, gewaltige Marmorstücke, tausend Trümmer sperrten den Canale delle Prigioni. Das Patrizierhaus, rings von Wassern umgeben, ward rasch ein Raub der Flammen. Funkengarben stoben empor und beleuchteten grell einen Soldaten, der auf den Ruinen Wache hielt.

Den jungen Mann kümmerte das Schauspiel der Zerstörung nicht, auch nicht die Schönheit des Himmels, der sich mit jungen Farben schmückte. Er ließ den Blick über den Horizont gleiten, wie um das geblendete Auge abzulenken. Der klare Tag schien ihm nicht angenehm; denn er hüllte sich in seinen Mantel und beschleunigte seinen Schritt. Bald stand er vor dem Portal eines Palazzo. Er klopfte. Ein Diener mit einer Fackel öffnete ihm. Die Schwelle überschreitend, wandte er sich um, warf einen Blick zum Himmel und rief:

»Beim Bacchus! Der Karneval kostet mich viel.«

Er hieß Pomponio Filippo Vecellio. Er war Tizians zweiter Sohn, als Kind schon reich begabt und voller Phantasie und seinem Vater glückhafte Hoffnung. Die Spielleidenschaft aber zog ihn in ständige Wirren. Nur vier Jahre waren es her, daß fast zu gleicher Zeit der große Maler und sein ältester Sohn Orazio starben. Vier Jahre schon vergeudete der junge Pippo das ungeheure Vermögen, das ihm aus der Doppelerbschaft zugefallen war. Anstatt seine Begabung in die Höhe zu leiten und die Geschenke der Natur und des berühmten Namens zu sichern, verbrachte er die Tage mit Schlafen und die Nächte mit Spielen. Dann saß er bei einer gewissen Gräfin Orsini (schreiben wir lieber »Gräfin«), deren Gewerbe es war, die venezianische Jugend zu ruinieren. Dort fand sich jeden Abend eine zahlreiche Gesellschaft von Adligen und Kurtisanen zusammen, dort aßen und spielten sie, und da sie die Gelage nicht bezahlten, war es stillschweigende Pflicht der Würfel, die Hausherrin schadlos zu halten. Zechinen rollten, Zypernwein floß in Strömen, verliebte Blicke kreuzten sich, und die Opfer, zwiefach verführt, ließen Geld und Verstand.

Von dieser Spielhölle kam der Held unserer Erzählung soeben nach Hause. Er hatte viel verloren und seine Taschen beim Würfelspiel geleert. Aber noch etwas anderes drückte ihn. Das einzige Gemälde, das er je vollendet hatte und das die Kenner in den Himmel hoben, war mit dem Palazzo Dolfino verbrannt. Es war ein historischer Vorwurf, mit tizianischer Kraft und Farbenkühnheit ausgeführt. Ein reicher Senator hatte das Werk gekauft. Jetzt teilte es durch die Unvorsichtigkeit eines Dieners das Schicksal vieler anderer Kostbarkeiten und wurde ein Häuflein Asche. Doch das war Pippos geringste Sorge. Er dachte an das ärgerliche Pech, das mit ungewöhnlicher Hartnäckigkeit an ihm klebte und ihn immer wieder verlieren ließ.

Kaum war er zu Hause, so hob er die Decke von seinem Tisch und zählte das Geld in der Schublade. Schon wurde er wieder heiterer und sorglos, ließ sich ausziehen und setzte sich im Schlafrock ans Fenster. Als er den hellen Tag sah, überlegte er sich, ob er die Läden schließen und ins Bett gehen oder ob er, wie alle Welt, aufbleiben solle. Lange schon hatte er keinen Sonnenaufgang gesehen. Heute dünkte ihn der Himmel prächtiger als sonst. Er schwankte zwischen Wachen und Schlafen, kämpfte mit dem Schlummer und trank auf dem Balkon seine Schokolade. Wenn er die Augen schloß, sah er einen Tisch, erregte Hände, bleiche Gesichter, hörte den Fall der Würfel. »Welch unglaubliches Pech!« murmelte er; »unglaublich, mit fünfzehn zu verlieren!« Und er sah seinen alten Gegner, den ehrwürdigen Vespasanio Memmo, wie er achtzehn warf und die Goldstücke vom Tischtuch nahm. Rasch öffnete er die Augen, um von dem bösen Traum loszukommen, und schaute nach den Mädchen, die über den Kai gingen. Er glaubte in der Ferne eine maskierte Frau zu sehen. Das verwunderte ihn trotz des Karnevals; denn die Armen maskierten sich nicht; und es war befremdlich, zu dieser Stunde eine Dame der venezianischen Gesellschaft allein und zu Fuß zu sehen. Da erkannte er, daß die vermeintliche Maske das Gesicht einer Negerin war. Sie kam näher, und er fand sie gar nicht so übel. Sie schritt rasch geradeaus, ein Windstoß preßte ihr blumengemustertes Kleid fest an die Hüfte und ließ anmutige Formen ahnen. Pippo beugte sich über den Balkon und sah nicht ohne Überraschung, daß die Negerin an seinem Tore pochte.

Der Pförtner ließ sich mit dem öffnen Zeit.

»Was willst du?« rief der junge Mann hinunter. »Hast du an mich eine Bestellung, kleine Schwarze? Mein Name ist Vecellio, und da man dich warten läßt, komme ich selber, dir zu öffnen.«

Die Negerin hob den Kopf:

»Euer Name ist Pomponio Vecellio?«

»Ja, oder auch Pippo, wenn du es willst.«

»Ihr seid Tizians Sohn?«

»Dir zu dienen. Und was wünschst du?«

Die Negerin warf auf Pippo einen raschen, neugierigen Blick, trat ein paar Schritte zurück und schleuderte geschickt ein kleines, in Papier gewickeltes Kästchen auf den Balkon. Dann lief sie rasch weg, sich noch von Zeit zu Zeit umdrehend. Pippo hob das Kästchen auf, öffnete es und fand eine hübsche Börse, die in Watte gehüllt war. Er vermutete unter der Watte ein paar Zeilen, die ihm das Abenteuer erklären würden. Das Brieflein fand sich auch wirklich, aber es war nicht weniger geheimnisvoll als das übrige Geschehen; denn es enthielt nur diese Worte:

»Gib nicht zu leicht aus, was ich enthalte. Wenn du weggehst, leg in mich ein Goldstück. Das ist genug für einen Tag; und wenn du am Abend noch etwas übrig hast, sei es auch nur wenig, so findest du bald einen Armen, der dir dafür Dank sagen wird.«

Pippo drehte das Kästchen und die Börse hundertmal hin und her, sah wieder auf den Kai hinaus und wußte endlich, daß er nicht mehr herausbekommen könne.

Ein seltsames Geschenk, ich muß es gestehen, dachte er; aber es kommt leider zu ungelegener Zeit. Der Rat, den man mir gibt, ist gut. Doch es ist zu spät, vor dem Ertrinken zu warnen, wenn man schon auf dem Meeresgrund ruht. Wer zum Teufel mag mir das geschickt haben?

Pippo hatte ohne Schwierigkeit in der Schwarzen eine Dienerin erkannt, und er suchte nun in seinem Gedächtnis, welche Frau oder welcher Freund ihm die Sendung geschickt haben könnte; und da er nicht an Bescheidenheit litt, kam er zu dem Schluß, daß es eher eine Frau als ein Freund gewesen sein müsse. Die Börse war aus goldgesticktem Samt; sie schien ihm von zu ausgewählter Feinheit, um aus einem Laden zu stammen. So ließ er denn zuerst alle schönen Damen Venedigs vor seinem Geiste Revue passieren und dann die weniger schönen. Schon hielt er inne und fragte sich, wie er es wohl anstellen wolle, um den Ursprung der Börse zu erfahren. Er gab sich Träumen hin, die kühn und lieblich waren, und glaubte oft, das Richtige zu ahnen. Das Herz schlug ihm, wenn er sich mühte, die Schrift zu erkennen. Es gab eine Bolognesische Fürstin, die die großen Anfangsbuchstaben ebenso formte, und eine schöne Dame aus Brescia hatte fast dieselbe Handschrift.

Nichts ist peinlicher, als wenn ein unerquicklicher Gedanke mit einemmal mitten zwischen den Träumen steht. Das ist fast so, als wenn du, über eine Blumenwiese schreitend, auf eine Schlange trittst. Dieses Gefühl hatte Pippo, als er sich plötzlich jener Monna Bianchina erinnerte, die ihn seit kurzem sehr auffällig quälte. Er hatte mit dieser Frau ein kleines Abenteuer auf einem Maskenball gehabt. Sie war ganz hübsch, doch ohne großen Reiz für ihn. Monna Bianchina dagegen hatte sich leidenschaftlich in ihn verliebt und entdeckte Gegenliebe selbst da, wo nur Höflichkeit war. Sie hing sich an ihn, schrieb ihm viele Briefe und überhäufte ihn mit zarten Vorwürfen. Doch er schwor sich eines Tages, als er sie verließ, niemals wiederzukommen, und hatte sein Wort gewissenhaft gehalten. Sie, dachte er, wird mir wohl die Börse gestickt und zugesandt haben. Und dieser Verdacht nahm ihm seine freundlichen Illusionen. Je mehr er nachsann, desto wahrscheinlicher wurde es ihm. Schlecht gelaunt schloß er das Fenster und wollte schlafen.

Doch er vermochte es nicht. Trotz aller Wahrscheinlichkeit wollte er nicht jeden Zweifel missen, der seinem Stolz schmeichelte. Unwillkürlich träumte er seinen Traum weiter. Dann wieder wollte er die Börse überhaupt vergessen und nicht mehr an sie denken, oder er verleugnete Monna Bianchinas Existenz, um leichter weitersuchen zu können. Er hatte die Vorhänge zugezogen und sich mit dem Gesicht gegen die Wand in die Kissen gelegt, um den Tag nicht zu sehen. Plötzlich sprang er aus dem Bett und rief die Diener. Ihm war etwas ganz Einfaches eingefallen. Monna Bianchina war nicht reich und hatte nur eine Dienerin; und diese war keine Schwarze, sondern ein plumpes Mädchen aus Chioggia. Wie hätte sie sich zu diesem Zweck einer unbekannten Botin bedienen können, die er noch niemals in Venedig gesehen hatte? »Gesegnet sei dein schwarzes Gesicht«, rief er, »und die Sonne Afrikas, die dich färbte.« Und ohne sich länger aufzuhalten, rief er nach seinem Wams und ließ seine Gondel kommen.

 

II

Pippo hatte sich entschlossen, die Signora Dorotea, Gattin des Oberstaatsanwalts Pasqualigo, zu besuchen. Die ehrwürdige Dame gehörte zu den reichsten und geistreichsten Frauen der Republik. Sie war außerdem Pippos Patin, und da es in Venedig keine Person von Rang gab, die sie nicht kannte, hoffte er, sie könne ihm helfen, sein Geheimnis aufzuklären. Indes meinte er, es sei noch zu früh, um sich bei seiner Gönnerin einzufinden, und schlenderte langsam und müßig unter den Prokuratien.

Der Zufall wollte es, daß er dort gerade Monna Bianchina traf, die Stoffe kaufte. Er trat in den Laden und sagte ihr nach einigen gleichgültigen Worten, ohne recht zu wissen, warum: »Monna Bianchina, Ihr habt mir heute morgen ein hübsches Geschenk gesandt und einen klugen Rat gegeben. Ich sage Euch meinen freundlichen Dank.«

Er glaubte durch die Bestimmtheit seiner Worte den Zweifel, der auf ihm lastete, vielleicht mit einem Schlage beseitigen zu können; allein Monna Bianchina war zu schlau, um Erstaunen zu zeigen, ehe sie nicht wußte, ob es für sie vorteilhaft sei. Wenngleich sie dem jungen Mann wirklich nichts geschickt hatte, ahnte sie doch einen günstigen Moment für sich, wenn sie ihn irreführe. Sie entgegnete zwar, sie wisse nicht, wovon er spreche, aber wußte dabei so fein zu lächeln und bescheiden zu erröten, daß Pippo die Überzeugung gewann, die Börse sei (allen Zweifeln zum Trotz) von ihr. »Und seit wann«, fragte er sie, »habt Ihr die hübsche Negerin?«

Die Frage machte sie verlegen und sie wußte nicht, was sie antworten sollte. Sie zögerte einen Augenblick, lachte dann laut heraus und ließ ihn stehen. Der einigermaßen Verdutzte verzichtete auf den geplanten Besuch. Er ging heim, warf die Börse in eine Ecke und dachte nicht mehr an sie.

Es geschah aber einige Tage später, daß er im Spiel eine große Summe auf Ehrenwort verlor. Als er seine Schuld begleichen ging, war es ihm bequem, sich der Börse zu bedienen, die groß war und am Gürtel gut aussah. Er nahm sie also, spielte am selben Abend von neuem und verlor wieder.

»Wollt Ihr weitermachen?« fragte ihn Ser Vespasiano, der alte Kanzleinotar, als Pippo kein Geld mehr hatte.

»Nein«, antwortete der, »ich mag nicht mehr auf Ehrenwort spielen.«

»Aber ich leihe Ihnen jede Summe«, rief die Gräfin Orsini. »Ich auch«, sagte Ser Vespasiano.

»Ich auch«, echote die sanfte dunkle Stimme einer der zahlreichen Nichten der Gräfin; »doch öffnet Eure Börse wieder, Signor Vecellio, da ist ja noch eine Zechine darin.«

Pippo lächelte und fand wirklich eine vergessene Zechine.

»Sei's drum«, sprach er, »spielen wir noch einmal, aber mehr setze ich nicht.« Er würfelte, gewann, verdoppelte den Einsatz und hatte nach einer Stunde den Verlust dieses und des vorhergehenden Abends wettgemacht. »Wollt Ihr weitermachen?« fragte er nun seinerseits Ser Vespasiano, der nichts mehr vor sich hatte.

»Nein! denn ich müßte ein großer Dummkopf sein, wollte ich mich von einem aufs Trockne setzen lassen, der nur eine Zechine gesetzt hat. Verfluchte Börse! Da steckt sicher der Satan drin.«

Wütend verließ er den Saal. Pippo wollte ihm folgen, als jene Glücksnichte ihm lachend sagte:

»Da ich es bin, der Ihr Euren Gewinn verdankt, so müßt Ihr mir die Zechine zum Geschenk machen.«

Die Zechine hatte ein kleines Zeichen, das sie kenntlich machte. Pippo suchte sie, fand sie und öffnete schon die Hand, um sie dem Mädchen zu geben; da rief er plötzlich:

»Meiner Treu, meine Schöne, Ihr bekommt sie nicht; aber damit Ihr nicht sagt, ich sei geizig, so nehmt hier bitte zehn andere. Denn diese hier will ich der Vorsehung opfern und damit einem Rat folgen, den man mir letzthin gegeben hat.«

Indem er dies sagte, warf er das Goldstück aus dem Fenster.

Sollte es wahr sein, dachte er, als er heimging, sollte es wahr sein, daß Monna Bianchinas Börse mir Glück bringt? Es wäre ein guter Witz des Schicksals, wenn mich ein Ding, das mir fast widerwärtig ist, glücklich machen sollte.

Und es war in der Tat so: Bediente er sich der Börse, dann gewann er. Tat er ein Goldstück hinein, so konnte er sich nicht des Aberglaubens erwehren, und er mußte fast unwillkürlich an die Wahrheit der Worte glauben, die er auf dem Boden des Kästchens gefunden hatte. »Eine Zechine ist eine Zechine, und es gibt viele Leute, die nicht jeden Tag eine haben«, sagte er sich; so wurde er weniger leichtsinnig und schränkte seine Ausgaben ein wenig ein.

Monna Bianchina hatte leider die Unterhaltung mit ihm unter den Prokuratien nicht vergessen. Um ihn in seinem Irrtum zu bestärken, sandte sie ihm von Zeit zu Zeit einen Blumenstrauß oder eine andere Kleinigkeit und schrieb ein paar Zeilen dazu. Er war ihrer Aufdringlichkeiten sehr müde und willens, nicht mehr darauf zu antworten.

Seine Kälte reizte sie aufs äußerste, und sie tat einen kecken Schritt, der ihn empörte. In seiner Abwesenheit begab sie sich zu ihm, bestach einen Diener und verbarg sich in der Wohnung. Heimkehrend fand er sie und mußte ihr ohne Umschweife sagen, daß er für sie nicht die geringste Liebe fühle und daß er sie bitte, ihn in Ruhe zu lassen.

Die Bianchina, hübsch wie sie war, geriet in höchste Wut. Sie überhäufte Pippo mit Vorwürfen, die alles andere als zärtlich waren. Er habe sie belogen, als er von Liebe sprach, er habe sie kompromittiert, und sie werde sich rächen. Pippo wurde nun auch böse, und um ihr zu zeigen, wie wenig er sie fürchte, zwang er sie, einen Blumenstrauß mitzunehmen, den sie ihm am Morgen geschickt hatte. Die Börse kam ihm unter die Hände. »Hier«, rief er, »nehmt auch das wieder, Sie hat mir Glück gebracht, aber wißt, daß ich nichts von Euch haben will.«

Im gleichen Augenblick bereute er seinen Zorn. Monna Bianchina hütete sich wohl, ihm ihre Lüge zu bekennen. Selbst in ihrer Wut spielte sie Komödie; sie nahm die Börse und ging, entschlossen, es ihn bereuen zu lassen, daß er sie so behandelte.

Abends spielte er wie gewöhnlich und verlor. An den folgenden Tagen war er nicht glücklicher. Ser Vespasiano hatte stets mehr Augen und gewann ihm beträchtliche Summen ab. Er empörte sich gegen sein Geschick und seinen Aberglauben, blieb hartnäckig und verlor noch mehr. Als er eines Tages von der Gräfin Orsini wegging, rief er auf der Treppe: »Gott verzeihe mir, ich glaube, der alte Esel hatte recht, meine Börse war wirklich behext, denn ich habe auch nicht einen anständigen Wurf getan, seitdem ich sie der Bianchina wiedergab.«

Im nächsten Augenblick bemerkte er ein geblümtes Kleid vor sich, aus dem zwei flinke, schlanke Beine schauten. Es war die geheimnisvolle Negerin. Er verdoppelte den Schritt, holte sie ein und fragte sie, wer sie sei und wem sie diene.

»Wer weiß es?« entgegnete sie und lächelte schalkhaft.

»Du, setze ich voraus. Bist du nicht Monna Bianchinas Dienerin?«

»Nein, wer ist das, Monna Bianchina?«

»Nun, mein Gott, jene doch, die dich neulich beauftragte, mir das Kästchen zu bringen! Du hast es doch so geschickt auf meinen Balkon geworfen.«

»Oh, hoher Herr, das stimmt nicht.«

»Ich weiß es, verstell dich nicht, sie selbst hat es mir gesagt.«

»Sie selbst hat es Euch gesagt ...«, sprach sie zögernd. Sie zuckte mit den Schultern und überlegte einen Augenblick. Dann schlug sie ihm leicht mit dem Fächer auf die Wange und rief ihm davoneilend zu:

»Mein hübscher Junge, da hast du dich gründlich narren lassen.«

Venedigs Straßen sind ein so verzwicktes Labyrinth, kreuzen sich so hundertfach, so launisch unbeständig und mutwillig, daß Pippo keine Aussicht hatte, sie wiederzufinden. Er blieb sehr verwirrt stehen, denn er hatte zwei Dummheiten begangen, einmal, daß er die Börse der Bianchina gab, und das andere Mal, als er die Negerin nicht zurückhielt. Auf gut Glück in der Stadt umherirrend, näherte er sich fast unwillkürlich dem Palast der Signora Dorotea, seiner Patin. Es reute ihn, sie damals nicht besucht zu haben. Denn es war seine Gewohnheit, in allem, was ihn beschäftigte, ihren Rat zu erfragen, und es geschah selten, daß er ohne einen Nutzen von ihr wegging.

Er fand sie allein im Garten, küßte ihr die Hand und sprach: »Bedenket die Dummheit, liebe Patin, die ich eben beging. Es ist noch nicht lange her, daß man mir eine Börse geschickt ...«

Schon lachte die Signora Dorotea. »Na«, meinte sie, »ist sie nicht hübsch? Findest du nicht, daß sich die Blumen auf dem roten Samt gut ausnehmen?«

»Wie!« rief er, »solltet Ihr wissen ...«

In diesem Augenblick betraten mehrere Senatoren den Garten. Die ehrwürdige Dame erhob sich, um sie zu empfangen, und gab Pippo, der in seinem Staunen nicht aufhörte, sie mit Fragen zu bestürmen, keine Antwort.

 

III

Auch als sich die Senatoren verabschiedet hatten, wollte Signora Dorotea trotz seiner flehentlichen Bitten ihm mit keinem Wort mehr helfen. Sie ärgerte sich über ihr heiteres Geständnis, das ihm verriet, sie wisse um das Geheimnis dieses Abenteuers; denn sie wollte sich nicht hineinmischen. Doch Pippo gab mit Drängen nicht nach.

»Liebes Kind«, sagte sie endlich zu ihm, »du magst recht haben, daß ich dir einen guten Dienst erweisen würde, sagte ich dir den Namen jener Frau: Denn ich versichere dir, sie gehört zu den edelsten und schönsten Venedigs. Das muß dir nun genug sein. So gern ich dir zu Gefallen wäre, ich muß schweigen. Ich will nichts verraten, was nur ich weiß. Hätte man es mir aufgetragen, sie dir zu nennen, dann würde ich es gern und ehrlich tun.«

»Gern und ehrlich, teuerste Patin? Aber Ihr könnt mir glauben, wenn Ihr es mir anvertraut, nur mir allein ...«

»Ich verstehe schon«, unterbrach sie ihn mit kleinem Spott, trotz ihrer Ehrwürdigkeit. »Du machst doch zuweilen Verse, warum dichtest du nicht ein Sonett darauf?«

Als er sah, er könne nichts erreichen, gab Pippo seine Mühen auf. Doch seine Neugier steigerte sich beträchtlich. Er blieb beim Oberstaatsanwalt Pasqualigo zum Essen, konnte sich nicht entschließen, nach Hause zu gehen, und hoffte immer, die schöne Unbekannte würde abends vielleicht noch kommen. Doch er sah nur Senatoren, Stadtherren und andere gewichtige Leute der Republik.

Als es dämmerte, trennte er sich von der Gesellschaft und setzte sich in einen kleinen Hain. Dort überlegte er, was er tun solle, und entschied sich zu zweierlei. Erstens wollte er von der Bianchina seine Börse wiederholen und zweitens Signora Doroteas lächelnden Rat befolgen, nämlich auf das Abenteuer ein Sonett dichten. Wenn es fertig wäre, würde er es dann der Patin bringen, die es unzweifelhaft an die geheimnisvolle Schöne weitergeben würde. Und ohne Zögern ging er an die Arbeit.

Er brachte seine Kleider in Ordnung, setzte sorgfältig das Barett auf ein Ohr und besah sich im Spiegel, ob er auch gut ausschaue: Denn sein erster Gedanke war, die Bianchina mit falschen Liebesbeteuerungen neuerlich zu betören und zärtlich zu überreden. Doch er verwarf den Plan, als er überlegte, daß er so die Leidenschaft der Frau wieder anfachen und sich neuen Angriffen aussetzen würde. Er beschloß das Gegenteil, lief zu ihr in großer Hast und als wäre er wütend wie noch nie. Er wollte ihr eine verzweifelte Szene machen und sie so erschrecken, daß er sie für immer los würde.

Monna Bianchina war eine jener blonden Venezianerinnen mit schwarzen Augen, deren Zorn herauszufordern zu allen Zeiten gefährlich gewesen ist. Seit Pippo sie so schlecht behandelt hatte, war von ihr keine Nachricht mehr zu ihm gelangt: sie bereitete also in der Stille ihre Rache vor. So mußte er denn den entscheidenden Schlag führen, selbst auf die Gefahr hin, die Lage noch zu verschlimmern. Als er ankam, wollte sie gerade fort. Er ließ sie auf der Treppe nicht weiter und zwang sie in ihr Zimmer zurück.

»Unglückliche«, rief er, »was habt Ihr getan! Alle meine Hoffnungen habt Ihr zerstört! Eure Rache ist vollständig!«

»Guter Gott! Was ist Euch geschehen?« fragte sie bestürzt.

»Ihr fragt noch! Wo ist die Börse, die von Euch sein soll? Wagt Ihr es immer noch, mich zu belügen?«

»Was schert es mich, ob ich log oder nicht? Ich weiß nicht, wo die Börse hingekommen ist.«

»Du stirbst oder gibst sie mir wieder!« schrie er und warf sich auf sie; ohne Rücksicht auf das schöne neue Gewand riß er der Ärmsten rauh den Schleier zurück, der die Brust verhüllte, und bedrohte sie mit dem Dolch.

Die Bianchina glaubte ihr Ende nahe und schrie um Hilfe; doch Pippo stopfte ihr ein Taschentuch in den Mund und zwang ihr, ohne daß sie einen Laut von sich geben konnte, die Börse ab, die sie glücklicherweise aufbewahrt hatte. »Du hast das Unglück einer mächtigen Familie auf dem Gewissen«, sprach er dann zu ihr. »Du hast fast den Untergang eines der erhabensten Häuser Venedigs heraufbeschworen! Zittere! Dieses gefürchtete Geschlecht wacht über dich. Nicht du noch dein Mann, keiner von euch kann einen Schritt tun, ohne daß man euch beobachtet. Die Männer der Nacht haben deinen Namen auf ihrer Liste. Denk an die unterirdischen Verließe im Dogenpalast! Ein Wort über das schreckliche Geheimnis, das deine Bosheit dich hat ahnen lassen, wird deine Familie vernichten.«

Dann ging er. Jedermann weiß, daß man in Venedig Schrecklicheres nicht sagen konnte. Die erbarmungslosen und geheimnisvollen Verhaftungen der »Corte maggiore« verbreiteten einen solchen Schrecken, daß jeder sich dem Tode nahe wußte, der auch nur verdächtigt war. Als die Bianchina Ser Orio, ihrem Gatten, so ungefähr wenigstens Pippos Drohung erzählte, überkam ihn Todesfurcht. Sie kannte zwar die Ursache nicht, und selbst Pippo kannte sie nicht, da ja die ganze Geschichte ein Märchen war. Allein Ser Orio war klug und meinte, es sei gar nicht nötig zu wissen, aus welchen Gründen man sich den Zorn des höchsten Gerichtshofes zugezogen habe. Ihm zu entgehen schien viel wichtiger. Er stammte nicht aus Venedig, seine Eltern bewohnten das Festland. Dorthin schiffte er sich schon am folgenden Tage mit seiner Frau ein, und von beiden ward nichts mehr gehört. So also wurde Pippo die Bianchina los und vergalt ihr mit Zinseszins das Böse, das sie ihm angetan hatte. Sie glaubte ihr ganzes Leben lang, es sei wirklich ein Staatsgeheimnis mit der entwendeten Börse verbunden gewesen, und da an dem wunderlichen Geschehen alles für sie ein Geheimnis war, kam sie über Vermutungen nicht hinaus. Ser Orios Eltern bauten auf den Mutmaßungen eine plausible Geschichte auf. Eine große Dame, sagten sie, sei in den Tizianello verliebt gewesen, der wiederum Monna Bianchina liebte und sich, wohl verstanden, vergeblich um sie mühte. Diese große Dame, die eigenhändig die Börse für den Tizianello gestickt hatte, sei keine andere gewesen als die Gattin des Dogen in Person. Man könne sich ja ihren Zorn vorstellen, als sie erfuhr, der Tizianello habe ihr Liebesgeschenk der Bianchina geopfert. Das wurde Familienchronik, und mit leiser Stimme erzählte man sie in Ser Orios kleinem Hause zu Padua.

Der Erfolg seiner ersten Unternehmung hatte unseren Helden befriedigt; nun dachte er an die zweite. Er mußte für seine schöne Unbekannte ein Sonett dichten. Von der Komödie, die er hatte spielen müssen, mehr erregt, als er dachte, warf er hastig ein paar Verse auf das Papier, die einen gewissen Schwung hatten. Hoffnung, Liebe, heimliches Glück, alle Ausdrücke der Leidenschaft, die den Dichtern geläufig sind, boten sich ihm in Menge an. Aber, bedachte er, die Patin sagte mir, ich hätte es mit einer der edelsten und schönsten Damen Venedigs zu tun; ich muß also den Ton wahren und mich ihr mit mehr Hochachtung nähern.

Er strich das Geschriebene durch, fiel von einer Übertreibung in die andere und brachte ein paar tönende Reime zusammen, zwang Gedanken in sie hinein, die ihm seiner Dame würdig schienen. Die schönsten und erhabensten also, die er finden konnte. Für Hoffnung, die ihm zu kühn schien, setzte er zagen Zweifel und für heimliche Liebe Hochachtung und Dankbarkeit. Da er schließlich nicht die Reize einer Frau feiern konnte, die er niemals gesehen hatte, bediente er sich möglichst zarter und unbestimmter Ausdrücke, die man auf alle Gesichter beziehen konnte. Nach zwei Stunden Überlegung und Arbeit endlich hatte er ein Dutzend passabler Verse fertig, die von leidlicher Harmonie waren und sehr wenig sagten.

Er schrieb sie ins reine auf ein schönes Pergament und malte auf den Rand in sorgfältig ausgewählten Farben Blumen und Vögel. Doch kaum war das Werk getan und die Verse noch einmal überlesen, als er sie aus dem Fenster warf und in den Kanal, der an seinem Hause vorbeifloß. »Was mache ich denn da?« fragte er sich. »Zu was soll ich dieses Abenteuer verfolgen, wenn mein Herz nicht mitspricht?«

Er nahm seine Mandoline und ging im Zimmer auf und ab, sang und spielte eine alte Melodie auf ein Sonett Petrarcas. Nach einer Viertelstunde hielt er inne, der Puls klopfte. Er dachte nicht mehr an Konvention, nicht mehr an den Eindruck, den er hervorrufen wollte, Die Börse, die er der Bianchina entrissen und wie eine Siegesbeute nach Hause getragen hatte, lag auf dem Tisch. Er betrachtete sie.

»Die Frau«, sagte er sich, »die das für mich tat, muß mich lieben und zu lieben wissen. Eine solche Arbeit ist langwierig und schwierig, die feinen Fäden und lebhaften Farben erfordern Zeit, und während sie arbeitete, dachte sie an mich. Die wenigen Worte, die die Börse begleiteten, sagen freundschaftlichen Rat und kein doppelsinniges Wort. Es ist eine Herausforderung zur Liebe, gesandt von einer beherzten Frau; und hätte sie auch nur einen Tag an mich gedacht, so will ich mutig den Handschuh aufnehmen.«

Er machte sich wieder ans Werk, und als er die Feder zur Hand nahm, rührten Furcht und Hoffnung stärker an ihm als jemals beim Würfeln um die größten Summen. Er überlegte nicht und stockte nicht und schrieb mit Hast dieses Sonett:

Vom Ruhm Petrarcas, den ich las als Knabe,
Hab einen Teil ich einst für mich erfleht,
Er sang von Liebe, liebte als Poet,
Und er besaß der Dichtkunst Gottesgabe.

Nur ihm gehorcht, berührt vom Zauberstabe,
Der Schlag des Herzens, – er allein versteht,
Wie man ein Lächeln, das im Nu vergeht,
Mit goldnem Griffel auf Demanten grabe.

Ein freundlich Wort hast du an mich gewandt,
Und flüchtig mag's, wie du es schriebst, entschweben –
O wisse dann, daß ich's mit Dank empfand.

Der Geist Petrarcas ward mir nicht gegeben,
Vielleicht sein Herz – dem Grüßenden die Hand,
Doch die mich liebt, der geb ich hin mein Leben.

Am nächsten Tage begab er sich zu Signora Dorotea. Kaum allein mit ihr, legte er ihr das Sonett in den Schoß. »Dies hier für Eure Freundin.« Die Signora zeigte sich zuerst überrascht, las dann die Verse und schwor, sie würde sie niemandem zeigen. Pippo aber lachte nur, weil er vom Gegenteil überzeugt war, und verließ sie, ihr versichernd, daß das seine geringste Sorge sei.

 

IV

Die folgende Woche sah ihn in großer Erregung, die aber nicht ohne Reiz war. Er ging nicht aus und wagte kaum, sich zu rühren, wie um sein Glück ganz unbehindert zu sich einzulassen. Er handelte klüger als für gewöhnlich Fünfundzwanzigjährige zu handeln versucht sind, und vermied jugendliches Ungestüm, das den Allzustürmischen häufig am Ziel vorbeischießen läßt. Fortuna will, daß man sich selbst hilft und sie im rechten Augenblick ergreift. Fortuna ist ein Weib, sagte Napoleon; und darum gewährt sie scheinbar freiwillig, was man ihr entreißt. Man muß ihr nur Zeit lassen, die Hände zu öffnen.

Am Abend des neunten Tages endlich klopfte die launische Göttin an seine Tür und nicht umsonst, wie man sehen wird. Er stieg hinunter und öffnete selbst. Die Negerin stand auf der Schwelle und hielt in der Hand eine Rose, die sie an seine Lippen führte.

»Küßt die Blume«, sprach sie zu ihm; »sie trägt einen Kuß meiner Herrin. Kann sie ohne Gefahr zu Euch kommen?«

»Am hellichten Tage zu kommen, wäre unklug«, meinte er; »Die Bediensteten würden sie zweifellos sehen. Ginge es nicht in der Nacht?«

»Nein, wie sollte sie es wagen? Sie kann weder des Nachts weggehen noch Euch bei sich empfangen.«

»Dann müßte sie sich entschließen, sich mit mir an einem dritten Ort zu treffen.«

»Nein, sie will hierher kommen. Seid eben vorsichtig.«

Pippo überlegte einige Augenblicke.

»Könnte deine Herrin zu früher Stunde aufstehen?«

»Mit der Sonne.«

»Gut denn! Höre. Ich stehe für gewöhnlich sehr spät auf, und infolgedessen schläft das ganze Haus bis in den Tag hinein. Könnte deine Herrin mit Tagesanbruch kommen, so würde ich sie einlassen, ohne daß sie jemand sieht. Daß sie ungehindert wieder fortgehen kann, dafür verbürge ich mich, vorausgesetzt, daß sie bis zur Dämmerung bleibt.«

»Das dürfte möglich sein. Beliebt es Euch morgen?«

»Gewiß doch. Morgen in lichter Frühe!« Er ließ eine Handvoll Zechinen unter ihre Halskrause gleiten und ging, ohne mehr zu fragen, in sein Zimmer zurück, schloß sich dort ein und wollte bis zur Frühe warten. Er ließ sich ausziehen, damit man glaube, er gehe zu Bett. Als er allein war, zündete er ein gutes Feuer an, wählte ein goldgesticktes Hemd, einen duftenden Halskragen und ein Wams von weißem Samt mit Ärmeln aus chinesischer Seide. Dann setzte er sich ans Fenster und bedachte sein Abenteuer.

Er urteilte nicht so hart, wie man es nach dem raschen Gewähren der Dame hätte meinen können. Wir dürfen nicht vergessen, daß diese Geschichte im sechzehnten Jahrhundert geschah, daß zu dieser Zeit die Liebschaften schneller kamen und gingen als heutzutage. Verbürgte Berichte bezeugen es, daß Aufrichtigkeit damals das war, was wir Mangel an Zartgefühl nennen, und daß unsere Tugend für jene nur Heuchelei gewesen wäre. Wie es auch sei, eine verliebte Frau gab sich einem hübschen Jungen ohne viel Reden, und er nahm sie und hatte darum keine weniger gute Meinung von ihr. Niemand errötete vor dem, was ihm natürlich schien. Das war die Zeit, da ein französischer Hofherr statt eines Federbusches den Seidenstrumpf seiner Mätresse am Hut trug. Und da sich einige darüber verwundern wollten, als sie ihn im Louvre in solchem Aufzug sahen, antwortete er ihnen ohne Umschweife, es sei der Strumpf einer Frau, die ihn vor Liebe vergehen lasse.

So auch war Pippo. Und wäre er in unserem Jahrhundert geboren, so hätte er vielleicht nicht einmal seine Ansicht gewechselt. So verlottert und keck er auch war und so oft er auch andere hinters Licht führte, wenn es sein mußte: Sich selber belog er nie. Er liebte den Wert der Dinge und nicht ihren Schein; konnte sich auch wohl verstellen, aber nur, wenn seine List ihm großer Sehnsucht Erfüllung brachte. Vielleicht hätte er jenes Geschenk für eine Laune halten können, niemals aber für die Laune einer Koketten. Als Gründe habe ich schon die Sorgfalt und Feinheit genannt, mit der die Börse gestickt, und die lange Zeit, die zu ihrer Anfertigung nötig gewesen war.

Während er in seinem Geist das Glück, das ihm werden sollte, zu ahnen versuchte, kam ihm eine türkische Hochzeit in den Sinn, von der man ihm einmal erzählt hatte. Wenn die Orientalen sich ein Weib nehmen, sehen sie das Antlitz der Verlobten erst nach der Hochzeit; solange bleibt sie verschleiert, für ihn und für alle Welt. Er vertraut auf das Wort der Eltern und heiratet auf Treu und Glauben. Erst wenn die Zeremonie beendet ist, zeigt die junge Frau sich dem Gatten, der es dann mit sich selbst abmachen muß, ob der Kauf gut oder schlecht war; denn um den Handel rückgängig zu machen, ist es zu spät. Ihm bleibt nur die Wahl, ja und amen zu sagen. Diese Verbindungen sollen nicht unglücklicher sein als andere.

Pippo war in der Lage eines verlobten Türken. Gewiß, er vermutete nicht, in der Unbekannten eine Jungfrau zu bekommen, aber das machte ihm wenig Sorge. Außerdem hatte er den Vorteil, daß der zu schließende Bund weder zeremoniell noch unwiderruflich war. Er konnte sich ohne Unbequemlichkeiten dem Reiz der Erwartung und Überraschung hingeben, und das schien ihm alles mögliche Unerfreuliche auszugleichen. Er stellte sich vor, diese Nacht solle wirklich seine Brautnacht sein. Ist es verwunderlich, daß der Gedanke seiner Jugend große Wonnen brachte?

Vielleicht ist für eine lebhafte Phantasie die Brautnacht wirklich das größte Glück auf Erden; denn ihr geht keine Mühe voraus. Die Philosophen meinen zwar, Mühe sei die Würze des Genusses, aber Pippo behauptete, eine schlechte Tunke mache den Fisch nicht frischer. Er liebte leicht errungene Vergnüglichkeiten, aber sie durften nicht roher Art sein. Leider ist es ein unumstößliches Gesetz, das man außergewöhnliche Genüsse teuer bezahlen muß. Nur die Brautnacht ist eine Ausnahme und das einzige Ereignis im Leben, das dem Mann die beiden liebsten Neigungen gleichzeitig befriedigt: die Trägheit und die Begehrlichkeit. Die Brautnacht führt eine junge, blumengeschmückte Frau in sein Zimmer, die nichts von Liebe weiß und deren Mutter sich durch fünfzehn Jahre hin mühte, ihr die Seele zu adeln und den Geist zu bilden. Er hätte vielleicht ein Jahr lang um einen Blick von ihr betteln müssen, jetzt braucht er nur die Arme zu öffnen, und er besitzt Köstliches. Die Mutter geht, Gott selbst gestattet es. Wüßte man sich nicht, aus dem schönen Traum erwachend, verheiratet, man täte es alle Abende.

Pippo bedauerte es nicht, die Negerin nicht mehr gefragt zu haben; denn eine Dienerin hätte in solchem Falle ihre Herrin engelschön gesprochen, und wäre sie auch häßlich wie die Sünde. Signora Doroteas wenige Worte genügten ihm. Er hätte nur gern gewußt, ob seine Unbekannte braun oder blond sei. Wollen wir uns eine Frau, von der wir wissen, daß sie schön ist, vorstellen, so ist nichts notwendiger, als ihre Haarfarbe zu kennen. Pippo schwankte lange zwischen braun oder blond. Endlich entschied er sich, um sich zu beruhigen, für kastanienbraunes Haar.

Aber dann drängte sich ihm das Problem der Augen auf. Er vermutete sie schwarz, wenn sie brünett war, und blau für eine Blonde. Er stellt sie sich blau vor, nicht von dem unbestimmten Blau, das einmal grau und einmal grünlich ist, nein, azurn wie der Himmel, Augen, die die Leidenschaft verdunkeln kann und nachtschwarz färbt wie Rabenflügel.

Er sah dieser Augen zärtlichen Blick und über ihnen eine schneeweiße Stirn und Wangen, rosenzarte, wie Sonnenstrahlen auf Alpengipfeln. Und zwischen ihnen, den pfirsichweichen, eine Nase, schmal wie bei einem griechischen Eros. Und der Mund, rote Lippen, nicht zu groß und nicht zu klein, und zwischen zwei Perlenreihen der frische und lustvolle Atem. Das Kinn wohlgeformt und leicht gerundet, die Züge offen und ein klein wenig hochmütig. Auf dem langen mattweißen Hals, der ohne Falte war, wiegte sich leicht das Haupt, anmutig und liebreich wie eine Blume. Das Bild seiner Phantasie war schön, und es brauchte nur noch wirklich zu sein. Sie wird kommen, dachte er, sie wird hier sein, wenn der Tag dämmert. Seltsam, wie sein Traum die Wahrheit sprach und ihm das Bild der nahenden Geliebten zeigte.

Als die Staatsfregatte, die den Eingang zum Hafen bewachte, den Schuß abfeuerte, um die sechste Stunde anzuzeigen, sah Pippo das Licht seiner Lampe rötlich werden und einen blassen blauen Schimmer auf den Fensterscheiben. Er trat ans Fenster. Diesmal blickte er nicht mit halbgeschlossenen Augen. Er hatte die Nacht nicht geschlafen und fühlte sich doch so frisch und frei wie noch nie. Es wurde Tag. Allein Venedig schlief noch. Die träge Stadt des Vergnügens erwachte nicht so früh. Zur Stunde, da sich bei uns die Läden öffnen, die Passanten eilen, Wagen rollen, spielten über den öden Lagunen die Nebel und deckten ihre Schleier über die schweigenden Paläste. Der Wind kräuselte kaum das Wasser. Von Fusina her näherten sich ein paar Segel und trugen zur Königin des Meeres den Vorrat für den Tag. Einsam ragte der Engel des Campanile von San Marco aus der schlafenden Stadt, aus dem Nebeldämmer glänzend und die ersten Sonnenstrahlen auf den goldenen Flügeln.

Venedigs zahllose Kirchen läuteten tönend den Angelus. Die Tauben der Republik, von den Glockentönen angezogen und bewunderungswürdig die Schläge zählend, glitten scharenweise über die Riva degli Schiavoni auf den großen Platz und suchten nach den Körnern, die ihnen stets zu dieser Stunde gestreut wurden. Langsam hoben sich die Nebel. Die Sonne kam. Ein paar Fischer warfen die Mäntel ab und schickten sich an, ihre Barken zu reinigen. Einer von ihnen begann mit klarer, reiner Stimme ein Volkslied. Irgendwo von einem Handelsschiff her antwortete ihm ein Baß. Eine andere Stimme, weit entfernt, sang mit. Bald war es wie ein Chor, jeder sang beim Arbeiten, und ihr schönes Lied grüßte die Klarheit des jungen Tages.

Pippos Haus lag an der Riva degli Schiavoni nicht weit vom Palazzo Nani im Winkel eines kleinen Kanals. In diesem Augenblick blitzte in seiner Tiefe der Schnabel einer Gondel auf. Ein einsamer Gondoliere stand auf dem Heck, und das leichte Fahrzeug teilte blitzschnell die Wellen und schien über einen unbeweglichen Spiegel zu gleiten. Das flache Ruder senkte sich gleichmäßig in das Wasser. An der Brücke, die den Kanal von der großen Lagune trennt, hielt die Gondel. Eine maskierte Frau von edlem, schlankem Wuchs verließ sie und wandte sich dem Kai zu. Pippo eilte hinunter und zu ihr. »Seid Ihr es?« fragte er sie leise. Statt aller Antwort nahm sie seine Hand und folgte ihm. Noch war kein Diener auf. Wortlos und auf Zehenspitzen durchschritten sie die untere Galerie, in der der Pförtner schlief. In seinen Räumen setzte sie sich auf ein Sofa und blieb einige Zeit nachdenklich. Dann nahm sie die Maske ab. Pippo sah, daß ihn Signora Dorotea nicht getäuscht hatte. Vor ihm saß wirklich eine der edelsten und schönsten Venezianerinnen, Erbin zweier edler Häuser, Beatrice Loredano, die Witwe des Prokurators Donato.

 

V

Unmöglich zu sagen ist es, wie schön sie war, als sie mit enthülltem Gesicht aufblickte. Sie war erst vierundzwanzig Jahre alt und schon achtzehn Monate Witwe. Der Schritt, den sie tat, mag dem Leser kühn erscheinen, und sie wagte ihn in ihrem Leben das erstemal. Bis dahin hatte sie nur ihren Mann geliebt. Unterwegs noch kämpfte sie, und es kostete sie alle Energie, nicht umzukehren. Ihre Augen waren schwer von Liebe, Mut und Scham.

Pippo betrachtete sie und war von Bewunderung so erfüllt, daß er nicht sprechen konnte. Vollkommene Schönheit erzwingt stets Staunen und Ehrfurcht. Er hatte sie oft auf der Promenade getroffen und bei Festlichkeiten. Er hatte hundert Schmeicheleien über ihre Schönheit gesagt und sagen hören. Sie war die Tochter Pietro Loredans, der zum Rate der Zehn gehörte, und die Urenkelin jenes berühmten Loredan, der im Prozeß des Giacomo Foscari eine so große Rolle spielte. Der Stolz dieser Familie war in Venedig nur zu gut bekannt, und Beatrice galt allgemein als würdigste Erbin von ihrer Ahnen Hochmut. Man hatte sie sehr jung mit dem Prokurator Marco Donato verheiratet; sein Tod ließ sie frei werden und großen Reichtum besitzen. Die Ersten von Venedigs Edlen hofften auf ihre Hand; doch alle ihre Mühen erreichten nichts als verächtliche Gleichgültigkeit. Der Hochmut ihres Charakters, zuweilen fast schroff, war schon sprichwörtlich geworden. So wurde es für Pippo ein doppeltes Erstaunen; denn er hätte niemals zu ahnen gewagt, daß Beatrice Donato seine geheimnisvolle Dame war, und es dünkte ihn, wenn er sie betrachtete, als sähe er sie zum erstenmal, so verändert erschien sie ihm. Die Liebe, die dem gewöhnlichsten Gesicht einen Reiz gibt, zeigte hier die ganze Größe ihrer Macht und steigerte die Schönheit eines Meisterwerkes der Natur.

Nach einigen Augenblicken des Schweigens näherte er sich ihr und ergriff ihre Hand. Er stammelte ihr sein Erstaunen und den Dank für das Glück. Sie aber antwortete nicht, schien nicht zu hören, blieb unbeweglich und wie in einem Traum. Er sprach lange zu ihr, ohne daß sie sich rührte. Dann legte er den Arm um sie und setzte sich neben sie.

»Gestern schicktet Ihr mir einen Kuß auf einer Rose. Laßt ihn mich einer Blume wiedergeben, die schöner ist und köstlicher.«

Er küßte sie auf die Lippen. Sie tat nichts, um ihn zu hindern; nur ihr Blick, der eben weit umherirrte, hing an ihm. Sie drängte ihn sanft zurück, schüttelte den Kopf und sprach anmutig und traurig:

»Ihr liebt mich nicht, es wird nur eine Laune sein, aber ich liebe Euch. Laßt mich knien vor Euch.«

Sie kniete vor ihm. Er wehrte vergebens ab und flehte sie an, sich zu erheben. Sie glitt aus seinen Armen auf das Parkett.

Es geschieht nicht häufig, und es ist zu sehen eine Pein, wenn sich eine Frau so erniedrigt. Sei es auch ein Beweis von Liebe, so scheint es doch allein dem Mann anzustehen. Es ist eine Haltung der Qual; sie ergreift den, der sie sieht, und hat bisweilen schon Richter bewegt, einem Schuldigen Gnade zu gewähren. Pippo betrachtete mit wachsendem Erstaunen das wundervolle Bild. Er hatte Ehrfurcht gefühlt, als er sie erkannte; sie steigerte sich ins Unermeßliche, da er sie zu seinen Füßen sah. Donatos Witwe, Loredans Tochter zu seinen Füßen! Ihr samtenes Gewand, mit Silberblumen übersät, bedeckte die Dielen. Der Schleier war gefallen, und die Haare fielen aufgelöst zur Erde. Aus dem schönen Rahmen wuchsen weiße Schultern, die gefalteten Hände hoben sich zu ihm, und ihre Augen waren feucht. Der Ergriffene ging einige Schritte rückwärts im Taumel. Er war nicht von Adel, und der Stolz des Patriziers, den sie abtat, leuchtete wie ein Blitz in seine Seele,

Der Rausch aber verflüchtete; das Geschehene mußte mehr geben als einen eitlen Augenblick. Wenn wir uns über eine Quelle beugen, malt sich dort unser Bild, und unsere Nähe läßt einen Bruder sehen, der uns aus den Wassern heraufgrüßt. So ruft in der Menschenseele Liebe nach Liebe und läßt sie durch einen Blick aufblühen. Auch Pippo warf sich auf die Knie. So blieben sie, voreinander geneigt, und gewährten sich die ersten Küsse.

Beatrice war Loredans Tochter, aber auch Bianca Contarinis, ihrer Mutter, sanftes Blut floß in ihr. Jene war eine der herrlichsten Frauen Venedigs gewesen. Stets glücklich und fröhlich lebte sie ihr schönes Leben im Frieden und nur für das Vaterland im Krieg. Sie schien ihrer Töchter ältere Schwester. Sie starb jung und war noch im Tode schön.

Sie war es, die Beatrice die Künste lieben lehrte und die Malerei vor allem. Das will nicht sagen, daß Beatrice voller Kenntnisse war; sie kannte Rom und Florenz; Michelangelos Meisterwerke hatten ihr nicht mehr als Neugierde eingeflößt. Als Römerin hätte sie nur für Raffael geschwärmt, aber sie war ein Kind der Adria und liebte Tizian. Während sich alle Welt um sie herum mit Hofintrigen und der Politik der Republik beschäftigte, interessierte sie sich nur für Bilder und das Schicksal ihrer Lieblingskunst nach des alten Vecellio Tod. Sie hatte im Palazzo Dolfino jenes einzige Gemälde des Tizianello gesehen, das verbrannte. Sie bewunderte das Bild und liebte ihn, den sie bei der Signora Dorotea traf, mit unsäglicher Leidenschaft.

Die Malerei war zu Julius II. und Leos X. Zeiten kein Handwerk wie heute, sie war den Künstlern Religion, erleuchtete Kultur den Edlen, Ruhm für Italien und die Leidenschaft der Frau. Wenn ein Papst den Vatikan verließ, um Buonarotti zu besuchen, dann durfte es eine venezianische Edle ohne Schande wagen, den Tizianello zu lieben. Aber Beatrice hatte einen Plan gefaßt, der ihre Leidenschaft adelte und in Mut wandelte. Sie wollte Pippo zu mehr als zu einem Liebhaber, sie wollte ihn zu einem großen Künstler machen. Sie wußte von seinem unregelmäßigen Leben und war entschlossen, ihn herauszureißen. Sie wußte, daß in dem Verlotterten das heilige Feuer der Kunst noch nicht erloschen war und unter der Asche glühte. Sie hoffte, die Liebe würde ihm göttlicher Funke sein. Ein ganzes Jahr lang hatte sie gezögert. Sie sah Pippo von Zeit zu Zeit, blickte zu seinen Fenstern, wenn sie am Kai vorbeiging, und kam ihrem heimlichen Gedanken immer näher. Eine Laune riß sie hin, sie hatte der Versuchung nicht widerstehen können, für ihn die Börse zu sticken und sie ihm zuzusenden. Zwar schwor sie sich, niemals weiter zu gehen und mehr zu wagen, aber als ihr Signora Dorotea die Verse zeigte, die er für sie geschrieben hatte, weinte sie vor Freude. Sie wußte es wohl, daß es für sie Gefahr bedeutete, wollte sie den Traum verwirklichen, aber es war der Traum einer Frau, und als sie von Hause wegging, sprach sie zu sich: »Frauenwille – Gotteswille«.

Dieser Gedanke hatte sie geführt, Liebe und Freimut sie gestützt, und sie fühlte sich frei von Furcht. Als sie vor Pippo kniete, betete sie das erstemal zu Eros, und schon verlangte der ungeduldige Gott ein neues Opfer. Sie zögerte nicht mehr, seine Geliebte zu werden, als wäre sie seine Frau. Sie nahm ihren Schleier ab und tat ihn über eine Statue der Venus, die im Zimmer war. Dann, wie die Marmorgöttin schön und bleich, gab sie sich ihrem Schicksal.

Sie blieb den Tag über bei ihm, wie es verabredet war. Als die Sonne sank, kam die Gondel, die sie gebracht hatte. Sie ging ebenso unbemerkt, wie sie gekommen war. Die Diener wurden unter verschiedenen Vorwänden weggeschickt, und nur der Pförtner blieb im Haus. An die Lebensgewohnheiten seines Herrn gewöhnt, verwunderte es ihn nicht, eine maskierte Dame mit ihm die Treppe hinuntersteigen zu sehen; aber als er bemerkte, daß sie an der Tür die Maske hob und ihm einen Abschiedskuß gab, beugte er sich geräuschlos vor und spitzte die Ohren.

»Hast du mich niemals beachtet?« fragte Beatrice lustig.

»Doch«, antwortete Pippo, »aber ich kannte nicht dein Gesicht. Und du selbst, sei dessen sicher, weißt nicht, wie schön du bist.«

»Und auch du weißt nicht, daß du schön bist wie der Tag, tausendmal schöner, als ich es glaubte. Wirst du mich lieben?«

»Ja, lange.«

»Und ich dich immer.«

Sie trennten sich. Pippo blieb an der Schwelle stehen und folgte mit den Augen der Gondel, die Beatrice Donato entführte.

 

VI

Es vergingen vierzehn Tage, und Beatrice hatte noch nicht von ihrem Plan gesprochen. Sie vergaß es fast. Erste Liebestage gleichen den Fahrten jener Spanier, die die neue Welt entdeckten. Als sie sich einschifften, versprachen sie der Regierung, genau ihren Instruktionen zu folgen, Karten zu zeichnen und Amerika zu zivilisieren. Doch kaum angekommen, verloren sie unter unbekannten Himmeln vor jungfräulichen Wäldern, vor einer Mine Goldes oder Silbers das Gedächtnis. Sie liefen hinter dem Neuen her und vergaßen Versprechungen und Europa, aber sie durften Schätze finden. So zuweilen tun es Liebende.

Eine andere Ursache noch konnte Beatrice entschuldigen. Während dieser vierzehn Tage hatte Pippo nicht gespielt und war nicht einmal zur Gräfin Orsini gegangen. Der Anfang schien ihr gut, ich weiß nicht, ob mit Recht oder Unrecht. Pippo lebte des Tages eine Hälfte mit seiner Geliebten und die andere Hälfte im Angesicht des Meeres in einer Schenke am Lido und vor einer Flasche Samoswein. Seine Freunde sahen ihn nicht mehr. Er hatte mit allen Gewohnheiten gebrochen und sorgte sich nicht um Zeit und Stunde und nicht um das, was er tat. Er sank in den Rausch vollkommenen Vergessens, den die ersten Küsse eines schönen Weibes stets hervorrufen. Wer wollte urteilen, ob es klug oder töricht war?

Pippo und Beatrice waren wie füreinander geschaffen. Sie ahnten es am ersten Tag und fühlten, daß ein Monat nicht zuviel war, um es gültig zu erfahren. Vier Wochen verrannen also, ohne daß das Malen auch nur erwähnt wurde. Dafür aber sprachen sie viel von Liebe, von Musik auf den Wassern und Spaziergängen in die Ferne. Die großen Damen lieben zuweilen einen heimlichen Ausflug in die Vorstadtwirtshäuser mehr als ein kleines Souper im Boudoir. Und auch Beatrice hätte selbst der Dogentafel einen wohlzubereiteten Fisch vorgezogen, den sie mit Pippo unter den Laubengängen von Quintavalle verzehrte. Danach bestiegen sie eine Gondel und fuhren um die Isola degli Armeni. Sie liegt zwischen der Stadt und dem Lido, zwischen Himmel und Meer, und ich rate dem Leser, hinzugehen und beim Mondenschein das Glück zu genießen, das Venedig gibt.

So verging ein Monat. Eines Tages war Beatrice heimlich zu Pippo gekommen und fand ihn fröhlicher als sonst. Er hatte gerade gefrühstückt und ging singend umher. Die Sonne schien ins Zimmer und glänzte auf einer Silberschale voller Zechinen, die auf dem Tisch stand. Er hatte am Abend vorher gespielt und Ser Vespasiano fünfzehnhundert Piaster abgenommen. Davon hatte er einen chinesischen Fächer, wohlriechende Handschuhe und eine Goldkette von bewunderungswürdiger venezianischer Arbeit gekauft. Das alles tat er in ein Zedernholzkästchen, das mit Perlmutter ausgelegt war, und überreichte es Beatrice.

Sie nahm das Geschenk mit vieler Freude; doch als sie erfuhr, er habe das Geld im Spiel gewonnen, wollte sie es nicht haben. Sie freute sich nicht mit ihm und wurde nachdenklich. Vielleicht, sann sie, liebt er mich nicht mehr so, da er zu seinen alten Vergnügungen zurückkehrt. Wie dem auch sei, sie meinte, sie müsse jetzt sprechen und ihn dazu bewegen, sein ungeordnetes Leben aufzugeben.

Es war kein leichtes Beginnen. In dem einen Monat hatte sie ihn begriffen. Gewiß, er war von unglaublicher Gleichgültigkeit gegen die Dinge des täglichen Lebens und nutzte das far niente mit vielen Freuden; und darum eben war es nicht leicht, ihn in Wichtigerem zu beeinflussen; denn wollte einer ihn in irgend etwas bestimmen, so stritt und disputierte er nicht, sondern ließ ihn ruhig und ohne jeden Einwand reden. Um also zum Ziel zu gelangen, nahm sie einen Umweg und fragte ihn, ob er sie porträtieren wolle.

Er sagte sofort ja. Am nächsten Tag kaufte er eine Leinwand und ließ in sein Zimmer eine schöne Staffelei aus geschnitztem Eichenholz bringen, die seinem Vater gehört hatte. Beatrice kam des Morgens in einem weiten braunen Gewand, das sie abtat, als Pippo sich an die Arbeit machte. Sie erschien dann vor ihm in einem Kostüm, jenem fast gleich, das Paris Bordone seiner »Gekrönten Venus« gab. Ihre Haare, über der Stirn in einem Knoten und perlengeschmückt, fielen über Arme und Schultern in langen Wellen. Perlen, die bis zum Gürtel reichten und auf der Brust von einer goldenen Spange gehalten wurden, folgten anmutig den reinen Konturen ihrer nackten Brüste. Ihr Gewand von blau- und rosaschillerndem Taft war über dem Knie geschürzt und durch eine Rubinagraffe über dem Bein gerafft, das marmorschön sichtbar wurde. Dazu trug sie einen reichen Armschmuck und scharlachrote goldverzierte Sandalen.

Wie man weiß, ist die Venus des Bordone das Porträt einer venezianischen Dame. Man weiß auch, daß der Künstler, ein Schüler Tizians, großen Ruf in Italien genoß. Aber Beatrice, die vielleicht das Modell dieses Gemäldes kannte, wußte sehr wohl, daß sie schöner war. Sie wollte Pippo zur Nacheiferung reizen, mehr noch, sie wollte ihm zeigen, daß er den Bordone überflügeln könne. »Beim Blut der Diana«, rief Tizians Sohn, als er sie einige Zeit betrachtet hatte, »die ›Gekrönte Venus‹ ist nichts weiter als eine Austernhändlerin vom Arsenal, die sich als Göttin vermummte. Hier vor mir steht Amors Mutter und des Kriegsgottes Geliebte.«

siehe Bildunterschrift

»So galt seine erste Sorge, als er sein schönes Modell betrachtete, begreiflicherweise nicht der Malerei.«

So galt seine erste Sorge, als er sein schönes Modell betrachtete, begreiflicherweise nicht der Malerei. Schon fürchtete Beatrice, zu schön zu sein und für ihre Pläne das ungeeignetste Mittel gewählt zu haben. Das Bild zwar wurde begonnen, aber die Hand blieb flüchtig. Als Pippo zufällig einmal seinen Pinsel fallen ließ, hob sie ihn auf und reichte ihn dem Geliebten. »Deines Vaters Pinsel«, sagte sie, »fiel eines Tages gleichermaßen aus seiner Hand. Ihn hob Karl V. auf. Ich tue wie der Kaiser und bin nicht einmal eine Kaiserin.«

Pippo liebte und bewunderte seinen Vater grenzenlos und sprach von ihm nur mit großer Ehrfurcht. Ihre Worte wurden ihm Erinnerung. Er stand auf und öffnete einen Schrank: »Hier ist der Pinsel, von dem du sprichst. Mein armer Vater bewahrte ihn wie eine Reliquie, seitdem ihn der Herr der halben Welt berührte.«

»Warst du dabei«, fragte sie, »und kannst du es mir erzählen?«

»Ich war noch sehr jung, aber ich erinnere mich wohl daran. Es geschah in Bologna. Zwischen dem Papst und dem Kaiser hatte dort eine Unterredung stattgefunden. Es handelte sich um Florenz oder besser gesagt um das Schicksal Italiens. Man hatte Paul III. und Karl V. zusammen auf einer Terrasse im Gespräch gesehen. Die ganze Stadt schwieg, während sie redeten. Nach einer Stunde war alles entschieden. Menschen und Pferde durchlärmten die Stille. Man wußte nicht, was sich ereignen würde, und jeder mühte sich, es zu erfahren. Allein tiefste Verschwiegenheit war anbefohlen. Die Einwohner begafften mit Scheu und Furcht die kleinsten Offiziere der beiden Höfe. Man sprach von einer Teilung Italiens, von Verbannungsstrafen und neuen Fürstentümern. Mein Vater arbeitete an einem großen Gemälde und stand oben auf seiner Leiter, als lanzentragende Hellebardiere die Tür aufrissen und sich an der Wand aufstellten. Ein Page trat ein und rief mit lauter Stimme: ›Der Kaiser!‹ Wenige Augenblicke später erschien Karl V., straff im Wams und ein Lächeln um seinen roten Bart. Mein Vater, von dem unerwarteten Besuch überrascht und begeistert, stieg, so schnell er konnte, die Leiter hinab. Er war schon alt. Als er sich auf das Geländer stützte, entfiel ihm der Pinsel. Alle standen unbeweglich; die Gegenwart des Kaisers hatte uns zu Bildsäulen erstarren lassen. Mein Vater war verwirrt über seine Langsamkeit und Ungeschicklichkeit; allein er fürchtete, Schaden zu nehmen, wenn er hastete. Karl V. tat einige Schritte nach vorn, bückte sich langsam und hob den Pinsel auf. ›Ein Tizian ist würdig, daß ihn ein Kaiser bediene‹, sprach er klaren und majestätischen Tones, und mit unvergleichlicher Würde überreichte er den Pinsel meinem Vater, der ein Knie beugte, um ihn zu empfangen.«

Pippo erzählte nicht ohne Bewegtheit. Beatrice sprach kein Wort, senkte das Haupt und schien abwesend; er fragte sie, woran sie denke.

»Ich denke«, antwortete sie, »daß Karl V. jetzt tot und sein Sohn Spaniens König ist. Was würde die Geschichte von Philipp II. sagen, wenn er nicht das Schwert seines Vaters trüge, sondern es im Winkel rosten ließe?«

Pippo lächelte. Er verstand wohl der Worte Sinn, aber er fragte sie doch, was sie damit meine.

»Ich will damit sagen, daß auch du der Erbe eines Königs bist. Bordone, Moretto, Romanino sind treffliche Maler. Tintoretto und Giorgione waren große Künstler. Tizian aber war ein König, und wer trägt jetzt sein Zepter?«

»Lebte mein Bruder Orazio«, entgegnete Pippo, »so wäre er ein großer Maler geworden.«

»Zweifellos«, meinte Beatrice, »und man wird von Tizians Söhnen sagen: ›Der eine wäre groß gewesen, wenn er gelebt, und der andere, wenn er gewollt hätte.‹«

»Glaubst du das?« lachte Pippo. »Gut denn! Und man wird noch sagen: Aber er zog es vor, mit Beatrice Donato in der Gondel zu fahren.«

Das war eine andere Antwort, als sie erhofft hatte, und sie fühlte Enttäuschung. Doch sie verlor den Mut nicht und sprach ernst:

»Hör mich an und spotte nicht. Das einzige Werk, das du schufest, ist bewundert worden. Es gibt keinen, der seinen Verlust nicht bedauert. Doch das Leben, das du führst, ist schlimmer als die Feuersbrunst im Palazzo Dolfin; denn es verzehrt dich selbst. Du denkst nur an dein Vergnügen und überlegst nicht, daß das, was für andere eine Verirrung wäre, für dich Schande ist. Der Sohn eines reichgewordenen Kaufmannes darf mit Würfeln spielen, nicht aber der Tizianello. Was nützt es, daß du soviel kannst wie unsere ältesten Maler, und daß du die Jugend hast, die ihnen fehlt? Du brauchst nur einen Versuch machen, um Erfolg zu haben; aber du machst ihn nicht. Deine Freunde belügen dich; ich aber tue meine Pflicht, wenn ich dir sage, daß du das Andenken deines Vaters schändest. Wer sollte es dir denn sagen, wenn nicht ich? Solange du reich bist, wirst du Leute finden, die dir helfen, dich zu ruinieren. Solange du schön bist, werden dich die Frauen lieben. Aber was soll geschehen, wenn man dir nicht die Wahrheit sagt, solange du jung bist? Ich bin deine Geliebte, Teurer, aber ich will auch deine Freundin sein. Wollte Gott, du wärest arm geboren! Wenn du mich liebst, so arbeite. Ich habe in einem entfernten Viertel der Stadt ein kleines stilles Haus gefunden, das nur ein Stockwerk hat. Wir werden es ganz nach unserem Geschmack einrichten, wenn du es willst, und zwei Schlüssel dazu haben, einen für dich und den anderen für mich. Dort brauchen wir niemanden zu fürchten, dort sind wir frei. Dorthin wirst du deine Staffelei bringen lassen. Und wenn du mir versprichst, täglich auch nur zwei Stunden zu arbeiten, werde ich jeden Tag zu dir kommen. Wirst du soviel Geduld haben? Wenn du es annimmst, dann wirst du mich wahrscheinlich in einem Jahre nicht mehr lieben, aber du wirst gelernt haben zu arbeiten, und es wird einen großen Namen mehr geben in Italien. Verweigerst du es mir, so kann ich dich nicht weniger lieben; aber ich weiß dann, daß du mich nicht liebst.«

Sie zitterte bei ihren Worten. Sie fürchtete, den Geliebten zu verletzen, und mußte doch ohne Umschweife alles sagen. Angst und der Wunsch zu gefallen strahlten aus ihren Augen. Sie glich nicht mehr der Venus, sie war wie eine Muse. Pippo antwortete nicht sogleich. Er fand sie so schön in ihrer Unruhe, daß er sie einige Zeit ohne Antwort ließ. Und er hatte in Wahrheit weniger auf ihre Worte gehört als auf den Klang ihrer Stimme, die ihn bezauberte. Beatrice hatte mit ganzer Seele gesprochen und in reinem Toskanisch, mit venezianischem Wohllaut. Wenn ein hübsches Lied aus einem schönen Mund ertönt, achten wir nicht sehr auf die Worte, und zuweilen ist es lieblicher, nicht ihren Sinn zu erfassen und uns nur von der Melodie wiegen zu lassen. Nicht viel anders ging es Pippo. Ohne sonderlich an ihre Bitte zu denken, kam er zu ihr, küßte sie auf die Stirn und sprach:

»Alles, was du willst. Schön wie ein Engel bist du.«

Es wurde also vereinbart, daß Pippo von diesem Tag an regelmäßig arbeiten sollte. Beatrice verlangte eine schriftliche Erklärung. Sie zog ihr Schreibtäfelchen heraus und sagte, während sie ihm mit stolzer Liebe einige Zeilen darauf schrieb:

»Du weißt, wir Loredans führen genau Rechnung. Ich schreibe dich als meinen Schuldner an für zwei Arbeitsstunden täglich während eines Jahres. Unterzeichne und zahle pünktlich, damit ich weiß, daß du mich liebst.«

Pippo unterzeichnete bereitwillig. »Doch wohl verstanden, ich beginne mit deinem Porträt.«

Beatrice umarmte ihn und flüsterte ihm ins Ohr:

»Und auch ich will ein Bild schaffen, ein schönes Bild von dir, kein totes, ein lebendiges.«

 

VII

Ihre Liebe war wie eine Quelle, die der Erde entspringt und dann wie ein Bach, der sich allmählich seinen Weg bahnt und breiter wird. Wäre Pippo von Adel gewesen, so hätte er sie gewiß geheiratet, denn je länger sie sich kannten, desto mehr liebten sie sich. Aber wenn auch die Vecelli einer guten Familie aus Cadore im Friaul entstammten, so war doch ihre Vereinigung unmöglich. Nicht nur Beatrices nahe Verwandte hätten sich dem widersetzt: Alles, was in Venedig einen alten Namen trug, wäre empört gewesen. Jene, die sehr verständnisvoll jede Liebesgeschichte beurteilten und nichts daran fanden, wenn sich eine Adlige einem Maler zur Geliebten gab, hätten es niemals verziehen, wenn sie ihn geheiratet hätte. So wollten es die Vorurteile jener Zeit, die trotzdem besser war als die unsere.

Das kleine Haus wurde eingerichtet. Pippo hielt Wort und ging alle Tage hin. Er arbeitete nicht gerade dort, aber er gab sich den Anschein, oder vielmehr, er glaubte zu arbeiten. Beatrice tat mehr, als sie versprochen hatte. Sie kam jeden Tag als erste. Das Bild war entworfen und schritt sehr langsam vorwärts. Immerhin aber stand es auf der Staffelei; und wenn er auch die meiste Zeit nichts daran tat, so blieb es doch immer Ursache, sich neuer Liebe zu versichern und die Trägheit zu entschuldigen.

Beatrice schickte dem Geliebten durch die Negerin alle Morgen einen Blumenstrauß, damit er sich ans Frühaufstehen gewöhne. »Ein Maler muß mit der Morgenröte auf sein«, sagte sie. »Sonne ist ihm Leben und das eigentliche Element seiner Kunst. Ohne sie kann er nichts schaffen.«

Dem stimmte Pippo durchaus bei. Nur die Ausführung schien ihm schwierig. Es kam oft vor, daß er den Blumenstrauß von der Schwarzen nahm, ihn in das Glas mit Zuckerwasser stellte, das auf dem Nachttisch stand, und dann wieder einschlief. Und wenn er auf dem Weg zu dem kleinen Haus an den Fenstern der Gräfin Orsini vorbeikam, meinte er, das Geld würde in der Tasche lebendig. Eines Tages traf er auch Ser Vespasiano auf der Promenade. Der fragte ihn, warum man ihn nicht mehr sehe.

»Ich schwor, keinen Würfel und keine Karten mehr anzurühren«, antwortete er, »indes, weil Ihr nun mal da seid, können wir mit dem Geld, das ich bei mir habe, Kopf oder Schrift spielen.«

Ser Vespasiano war trotz seines Alters und seiner Notarswürde ein nicht weniger leidenschaftlicher Spieler und konnte zu Pippos Vorschlag nicht nein sagen. Er warf einen Piaster in die Luft, verlor dreißig Zechinen und ging sehr unbefriedigt seines Weges. Wie schade, dachte Pippo, daß ich jetzt nicht weiterspiele. Ich bin sicher, Beatrices Börse würde mir weiterhin Glück bringen und mich in acht Tagen den Verlust zweier Jahre zurückgewinnen lassen.

Und doch war er mit vielen Freuden der Geliebten zu Willen. Sein kleines Atelier bot einen freundlichen und ruhigen Anblick. Er war dort wie in einer neuen Welt, von der ihm doch so etwas wie Erinnerung geblieben war; denn Leinwand und Staffelei gaben ihm die Kindheit wieder. Dinge, die uns einst vertraut gewesen sind, werden es uns leicht wieder, und wenn wir freundlich und ohne Mühe ihrer gedenken können, bleiben sie uns lieb, ohne daß wir wissen, warum. Sooft Pippo an einem schönen Morgen zur Palette griff und auf ihr leuchtende Farben rieb, sie geordnet nebeneinander sah und bereit, von seiner Hand gemischt zu werden, dann glaubte er hinter sich des Vaters rauhe Stimme zu hören: »Vorwärts, Faulpelz, was träumst du wieder, nur lustig an die Arbeit!« Er wandte den Kopf. Allein nicht Tizians strenges Gesicht, Beatrice sah er mit nackten Armen und Brüsten, die Stirn perlengeschmückt. Sie war ihm zu stehen bereit und sprach lächelnd: »Wann beliebt es Euch, hoher Herr?«

Man darf nicht glauben, er wäre gegen ihre Ratschläge gleichgültig geblieben; und sie sparte nicht mit ihnen. Oft sprach sie ihm von den venezianischen Meistern und von dem ruhmvollen Platz, den sie unter den italienischen Schulen eingenommen hatten. Sie schilderte ihm, zu welcher Größe sich die Kunst erhoben hatte, und zeigte ihm dann ihren Niedergang. Sie hatte nur zu recht; denn Venedig tat dasselbe wie einst Florenz. Es verlor mit seinem Ruhm auch die Ehrfurcht vor dem Ruhm. Michelangelo und Tizian hatten fast ein Jahrhundert lang gelebt und ihre Kunst dem Vaterland geweiht. Sie hatten gegen den Verfall so lange gekämpft, wie es menschliche Kraft vermochte. Aber die beiden ehrwürdigen Säulen waren schließlich geborsten. Man hob unbekannte Neuerer in den Himmel und vergaß die Meister, die noch kaum begraben waren. Brescia und Cremona eröffneten neue Schulen und verkündeten sie als erhaben über die alten. Selbst in Venedig maßte sich der Sohn eines Tizianschülers den Namen an, der Pippo gebührte, nannte sich den Tizianello und füllte mit den Werken seines schlechten Geschmacks die patriarchalische Kirche.

Um seines Vaterlandes Schande hätte sich Pippo kaum gesorgt; dieser Skandal aber traf ihn persönlich. Wenn man ihm ein schlechtes Bild rühmte oder wenn er in einer Kirche mitten unter den Meisterwerken seines Vaters ein jämmerliches Bild hängen sah, dann hatte er ein Gefühl wie ein Patrizier, der im goldenen Buch den Namen eines Bastards findet. Beatrice begriff sein Empfinden. Alle Frauen haben mehr oder weniger einen Delila-Instinkt und wissen gelegentlich sehr wohl um das Geheimnis der Simson-Haare. So gab sie sich Mühe – die geheiligten Namen immer respektierend –, von Zeit zu Zeit irgendeinen mittelmäßigen Maler mit Achtung zu nennen. Es war schwer, sich nicht zu widersprechen, aber sie sagte ihre falschen Anerkennungen mit viel Geschick und einem Hauch von Wahrscheinlichkeit. Dadurch gelang es ihr oft, Pippo in schlechte Laune zu versetzen; denn sie hatte bemerkt, daß er sich in diesen Momenten mit ganz außerordentlichem Eifer an die Arbeit machte. Dann fühlte der Unduldsame und Erregte meisterlichen Schwung. Doch bald wieder siegte Lässigkeit. Mit einemmal warf er den Pinsel hin. »Wir wollen ein Glas Zypernwein trinken und nicht mehr von diesen Dummheiten sprechen.«

Sein unbeständiger Geist hätte vielleicht eine andere als Beatrice entmutigt. Allein wir haben in der Geschichte viele Beispiele ausdauernden Hasses. Warum sollte es also verwunderlich sein, daß Liebe Beharrlichkeit gibt? Und dann war Beatrice von dem Grundsatz überzeugt: Die Gewohnheit kann alles. Sie hatte ihren Vater gesehen, einen ungemein reichen und kränklichen Mann, wie er sich als Greis den ermüdenden Beschwerden trockener Rechnungen aussetzte, damit er sein ungeheures Vermögen um einige Zechinen vermehrte. Sie hatte ihn oft gebeten, sich zu schonen, aber er gab hartnäckig immer die gleiche Antwort: »Was von Kindheit an Gewohnheit ist, wird lebensnotwendig und wird mich erhalten, solange ich atme.« An dieses Beispiel hielt sie sich und wollte nicht eher urteilen, als bis sich Pippo an regelmäßige Arbeit gewöhnt hatte. Sie sagte sich, daß die Liebe zum Ruhm eine edle Leidenschaft sei und nicht weniger stark als die Habsucht.

Sie täuschte sich nicht. Schwer war nur, seine schlechten Gewohnheiten um der guten willen auszumerzen. Es gibt vieles Unkraut, das sich ohne Mühe herausreißen läßt; der Spielteufel aber ist zäh. Vielleicht ist das Spiel die einzige Leidenschaft, die der Liebe widerstehen kann. Ehrgeizige, Wüstlinge und Bigotte hören auf die Wünsche einer Frau, Spieler aber selten. Wie das gemünzte Metall die Möglichkeit fast aller Genüsse in sich birgt, so umfaßt das Spiel fast alle Leidenschaften. Jede Karte und jeder Würfelwurf bedeutet Gewinn oder Verlust einer bestimmten Menge Goldes oder Silbers, und jedes Geldstück wiederum bedeutet unbestimmten Genuß. Der Gewinner fühlt eine Vielfalt von Wünschen, und weil er weiß, daß er sie befriedigen kann, sucht er immer nach neuen. Darum auch die Verzweiflung des Verlierers, der sich mit einemmal seiner eigenen Handlungsunfähigkeit gegenübersieht und eben noch ungeheure Summen hatte. Diese Erregungen wiederholen sich immer wieder und foltern das Hirn, werden dem Menschen wie ein Fieber. Die gewöhnlichen Empfindungen sind schwach gegen sie und kommen zu langsam und zu allmählich. Der Spieler will die Konzentration aller Leidenschaften und hat, an sie gewöhnt, für Minderes kein Interesse.

Zum Glück für Pippo hinterließ ihm sein Vater ein so großes Vermögen, daß Gewinn oder Verlust auf ihn keinen verhängnisvollen Einfluß haben konnten. Nicht so sehr Lasterhaftigkeit als Nichtstun hatten ihn zum Spielen gebracht. Auch war er zu jung, um ihm rettungslos zu verfallen. Die Unbeständigkeit seines Wesens selber hütete ihn davor. Daß er sich änderte, war also nicht unmöglich, aufmerksame Beobachtung vorausgesetzt. Daß dies eine Notwendigkeit sei, hatte Beatrice eingesehen; sie sorgte sich nicht im geringsten um ihren Ruf und verbrachte fast alle Tage bei ihm. Damit ihn aber die Gewohnheit nicht ihrer überdrüssig mache, ließ sie alle Künste weiblicher Koketterie spielen. Fortwährend änderte sie ihre Haartracht, den Schmuck, die Sprache selbst und trug jeden Tag ein anderes Gewand, fürchtend, Pippo könne ihrer müde werden. Pippo merkte wohl ihre kleine Strategie, aber er war nicht so dumm, sich darüber zu ärgern; im Gegenteil; machte er es doch in seiner Art auch so. Er wechselte Launen und Benehmen ebensooft wie die Halskrause. Aber er hatte es nicht nötig, sich darauf vorzubereiten. Es war bei ihm Natur, und oft sagte er lachend: »Der Gründling ist ein kleiner Fisch und die Laune eine kleine Leidenschaft.«

So lebten sie beide, liebten sich und das Vergnügen und verstanden sich trefflich. Etwas nur beunruhigte Beatrice. Sooft sie ihm von den Plänen sprach, die sie für die Zukunft hatte, beschränkte er sich auf die Antwort: »Machen wir erst einmal dein Bild fertig.«

»Ich verlange nicht mehr«, sagte sie. »Darüber sind wir uns ja lange einig. Aber was willst du dann arbeiten? Das Porträt kann nicht der Öffentlichkeit gezeigt werden, und wenn es fertig ist, mußt du daran denken, dich bekannt zu machen. Hast du schon irgendeinen Vorwurf im Kopf? Wird es ein Kirchengemälde oder ein historisches Bild?«

Wenn sie sich mit solchen Fragen an ihn wandte, fand er immer irgend etwas, das ihn vom Zuhören ablenkte. Er hob ihr Taschentuch auf, brachte einen Knopf am Anzug in Ordnung oder beschäftigte sich mit einer anderen Kleinigkeit. Sie hatte anfangs gemeint, es handle sich um ein Künstlergeheimnis, und er wolle ihr seine Pläne nicht verraten. Aber niemand war offener und vertrauensvoller als er, zumindest mit seiner Geliebten, denn es gibt keine Liebe ohne Vertrauen. »Sollte er mich doch täuschen?« fragte sich Beatrice. »Sollte seine Gefälligkeit nichts anderes sein als Spiel, und denkt er nicht daran, sein Wort zu halten?«

Sooft ihr dieser Zweifel kam, wurde sie ernst und fast ein wenig hochmütig. »Ich habe dein Wort«, sprach sie dann, »du hast dich für ein Jahr verpflichtet, und ich werde sehen, ob du ein Ehrenmann bist.« Doch kaum war der Satz zu Ende, hatte Pippo sie schon zärtlich geküßt. »Machen wir erst dein Bild fertig«, sagte er wieder und wieder. Und dann verstand er es, von anderen Dingen zu sprechen.

Daß sie ungeduldig war, das Bild vollendet zu sehen, läßt sich denken. Endlich, nach sechs Wochen, war es so weit. Als sie ihm das letztemal Modell saß, war sie so lustig, daß sie kaum auf ihrem Platz bleiben konnte. Immer wieder ging sie von ihrem Sessel zum Bild und jauchzte vor Bewunderung und Vergnügen. Pippo arbeitete langsam und schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf. Plötzlich runzelte er die Brauen und fuhr brüsk mit dem Stück Leinen, das ihm zur Reinigung des Pinsels diente, über das Bild. Beatrice lief sofort hin und sah, daß er Mund und Augen ausgewischt hatte. Sie weinte vor Bestürzung. Pippo aber legte ruhig die Farben in den Kasten. »Blick und Lächeln sind schwer wiederzugeben, man muß dazu aufgelegt sein. Meine Hand ist heute nicht sicher genug, und wer weiß, ob sie es je sein wird.«

Das Porträt blieb also unvollendet, und sooft Beatrice diesen Kopf ohne Mund und Augen sah, fühlte sie ihre Sorge stärker und stärker werden.

 

VIII

Pippo liebte griechischen Wein, und wenn auch die Weine aus dem Orient nicht die Zunge lösen, so freute ihn doch nach einem guten Essen freundliches Geplauder. Beatrice wußte immer das Gespräch auf die Malerei zu bringen; doch sooft sie auch das Problem besprach: Er sagte entweder kein Wort und setzte ein bestimmtes Lächeln auf, das sie an ihm nicht liebte, oder er sprach von der Kunst mit einer fast verächtlichen Gleichgültigkeit. Immer wieder äußerte er dann einen wunderlichen Gedanken.

»Es gäbe ein schönes Gemälde zu schaffen. Es müßte den Campo Vaccino in Rom bei sinkender Sonne darstellen. Der Horizont weit, der Platz vereinsamt, im Vordergrunde spielen Kinder auf Ruinen. In der Mitte sieht man einen jungen Mann, in seinen Mantel gehüllt. Sein Gesicht ist bleich und die durchgeistigten Züge vom Leid aufgewühlt. Man ahnt, daß er sterben wird. In der einen Hand hält er Palette und Pinsel, mit der andern stützt er sich auf ein junges, starkes Weib, das lächelnd den Kopf wendet. Um die Szene zu erklären, müßte man darunter ein Datum setzen, den Karfreitag des Jahres 1520.«

Beatrice verstand sehr wohl des Rätsels Sinn. Am Karfreitag des Jahres 1520 starb Raffael in Rom, und er starb in den Armen der Geliebten. Man hatte diese Gewißheit zu vertuschen gesucht. Das Gemälde, das Pippo plante, hätte den Großen wenige Augenblicke vor seinem Ende gezeigt, und es wäre, von einem wahrhaften Künstler schlicht erschaffen, wahrscheinlich schön geworden. Aber Beatrice wußte, was es mit dem Plan für eine Bewandtnis hatte. Sie las es in seinen Augen.

Während ganz Italien die Umstände von Raffaels Tod beklagte, pries sie Pippo oft und sagte, so groß Raffaels Genie gewesen sei, sein Tod sei schöner als sein Leben. Solches empörte Beatrice, nicht ohne daß sie leise lächeln mußte. Denn seine Worte sagten: Liebe triumphiert über Ruhm. Der Gedanke kann eine Frau zürnen lassen, aber sie niemals beleidigen. Hätte Pippo ein anderes Beispiel gewählt, so wäre sie vielleicht mit ihm einverstanden gewesen. »Doch warum«, sagte sie, »Dinge gegeneinander ausspielen, die so gut miteinander harmonieren? Liebe und Ruhm sind Geschwister, warum willst du sie trennen?«

»Man kann nicht zwei Dinge auf einmal tun«, versetzte Pippo. »Du wirst einem Handelsmann nicht raten, zugleich mit seinen Rechnungen Verse zu machen, und nicht einem Poeten, Leinen abzumessen, wenn er Reime sucht. Warum also willst du mich malen heißen, während ich verliebt bin?«

Beatrice wußte nicht recht, was sie antworten sollte; denn sie wagte nicht zu sagen, daß Liebe keine Beschäftigung sei.

»Willst du also sterben wie Raffael?« fragte sie, »und wenn du es willst, warum beginnst du nicht wie er?«

»Im Gegenteil«, antwortete er, »ich will nicht sterben wie Raffael, und darum eben will ich nicht handeln wie er. Entweder hatte Raffael unrecht, sich zu verlieben, während er malte, oder zu malen, während er verliebt war. Darum eben ist er mit siebenunddreißig Jahren gestorben, ruhmgekrönt zwar: Allein tot ist tot. Hätte er fünfzig Meisterwerke weniger geschaffen, so wäre es für den Papst, der seine Kapellen dann von einem andern hätte ausschmücken lassen müssen, ein Unglück gewesen. Aber die Fornarina hätte fünfzig Küsse mehr bekommen, und Raffael hätte den Geruch der Ölfarben vermieden, der nicht sonderlich gesund ist.«

»Willst du aus mir eine Fornarina machen?« rief Beatrice. »Du hängst nicht am Ruhm und nicht am Leben! Soll ich dich am Ende noch begraben?«

»Nein, wahrhaftig, nein«, entgegnete er und hob das Glas an die Lippen. »Wenn ich dich verwandeln könnte, dann würde ich aus dir eine Staphyle machen.«

Er scherzte nicht, wenn er auch leichthin sprach. Unter seinen Spöttereien verbarg sich eine Meinung, die vernünftig war. Man hat oft in der Geschichte der Kunst von der Leichtigkeit gesprochen, mit der große Künstler ihre Werke schufen. Man hat viele genannt, die mit ihrer Arbeit Lotterleben und Nichtstun zu verbinden wußten. Doch es gibt keinen größeren Irrtum. Es ist nicht unmöglich, daß ein geübter Maler, seiner Hand und seines Rufes sicher, mitten in Zerstreuung und Vergnügen hinein eine schöne Skizze zeichnen kann. Leonardo da Vinci malte zuweilen, sagt man, in der einen Hand den Pinsel und in der anderen die Lyra; doch das berühmte Bild der Mona Lisa blieb vier Jahre auf der Staffelei. Gewiß gibt es Kraftproben, die selten sind und im allgemeinen zu sehr gerühmt werden; sicher aber ist, daß das wahrhaft Schöne nur ein Werk der Zeit und gesammelter Andacht sein kann und daß es ohne Geduld kein wahres Genie gibt.

Pippo war davon überzeugt, und das Beispiel seines Vaters hatte ihn nur bestärken können. Es gab wohl niemals einen Maler von der Kühnheit Tizians, es sei denn sein Schüler Rubens. Allein nur Tizians Hand war stürmisch, sein Denken beharrte. In den neunundneunzig Jahren seines Lebens beschäftigte er sich ständig mit seiner Kunst. Er hatte mit einer gleichsam ängstlichen Genauigkeit zu malen angefangen, Werke von einer fast trocknen Art, die den gotischen Gemälden Albrecht Dürers ähneln. Es war wie das Ergebnis harten Arbeitens, daß er sich erlaubte, seinem Genie zu folgen und dem Pinsel nachzugeben. Auch da noch mußte er es zuweilen bereuen. So geschah es, daß Michelangelo vor einem Werk Tizians sagen konnte, es sei betrüblich, wie sehr man in Venedig die wichtigsten Zeichenregeln außer acht lasse.

Zu der Zeit meiner Geschichte herrschte in Venedig – stets das erste Zeichen beginnenden Verfalls – eine beklagenswerte Oberflächlichkeit. Pippo hätte mit dem Namen, den er trug, mit ein wenig Frechheit und der Schulung, die ihm zuteil geworden war, sicher und leicht zum Glanz gelangen können; aber das eben wollte er nicht. Es dünkte ihn etwas Jämmerliches, von der Unwissenheit der Menge zu profitieren. Er sagte sich mit Recht, der Sohn eines Architekten dürfe nicht die Bauten des Vaters demolieren und der Sohn eines Tizian müsse sich dem Verfall der Malerei entgegenstemmen.

Aber ein solches Ziel erforderte die Hingabe eines ganzen Lebens. Und würde er es erreichen? Das war ungewiß. Der einzelne hat sehr wenig Kräfte, wenn ein ganzes Zeitalter gegen ihn kämpft. Er wird von der Menge fortgerissen, wie der Schwimmer vom Wirbel. Und was würde dann sein? Pippo war gegen sich nicht blind, er sah voraus, daß ihm über kurz oder lang der Mut fehlen und die alten Lüste ihn von neuem beherrschen würden. Er lief Gefahr, sich nutzlos zu opfern. Gäbe er sich ganz oder halb: welche Früchte würden ihm bleiben? Er war jung, reich, von gutem Wuchs und hatte eine schöne Geliebte. Um glücklich zu leben, ohne Vorwürfe, brauchte er nur die Sonne auf- und untergehen zu lassen. Sollte man um eines zweifelhaften und schließlich doch nur flüchtigen Ruhmes willen auf so vieles Gute verzichten?

Das alles ließ ihn sich eine Gleichgültigkeit beilegen, die ihm allmählich Natur wurde. »Würde ich auch noch zwanzig Jahre studieren und versuchen, meinen Vater nachzuahmen, ich würde vor tauben Ohren singen. Und wenn meine Kraft versagt, schände ich meinen Namen.« Lustig wie immer brach er das Gespräch ab: »Zum Teufel mit der Malerei, das Leben ist so kurz!«

Während alledem blieb das Porträt unvollendet. Eines Tages trat Pippo zufällig in das Serviten-Kloster. In der Kapelle stand auf einem Gerüst jener Sohn des Marco Vecellio, der sich auch Tizianello nannte. Er war ein entfernter Verwandter Tizians und hieß mit Taufnamen Tito; daraus hatte er Tizian und aus Tizian Tizianello gemacht. So war es ihm gelungen, die venezianischen Müßiggänger glauben zu machen, er sei der Erbe des großen Malergenies. Man geriet also vor seinen Fresken in Verzückung. Pippo hatte sich niemals um dieses lächerlichen Betrugs willen beunruhigt. In diesem Augenblick aber war es ihm vielleicht unangenehm, sich dem Menschen gegenüber zu wissen; vielleicht auch fühlte er seinen eigenen Wert mehr als sonst: – Kurz, er ging an das Gerüst heran, das mit dünnen Balken schlecht gestützt war, und gab ihm einen Fußtritt, so daß eine der Streben umfiel. Zum Glück stürzte nicht das ganze Gerüst zusammen, sondern schwankte nur derart hin und her, daß der Pseudo-Tizianello wie betrunken taumelte und dann mitsamt seinen Farben, die ihn absonderlich scheckig färbten, das Gleichgewicht verlor.

Wütend kroch er aus dem Gerüst heraus und stürzte sich schimpfend auf Pippo. Ein Priester warf sich zwischen beide und trennte sie, als sie in dem geweihten Raum die Degen ziehen wollten. Die Andächtigen flohen erschreckt davon und schlugen das Kreuz. Neugierige liefen eilig zusammen. Tito schrie, man habe ihn ermorden wollen und er verlange die Bestrafung dieses Verbrechens. Die umgestürzten Balken seien Beweis. Die Umstehenden begannen zu murmeln, und einer von ihnen, kecker als die anderen, wollte Pippo am Kragen packen. Pippo, der nur aus Übermut gehandelt hatte und ein lachender Zuschauer der Szene war, sah, wie man ihn ins Gefängnis bringen und als Mörder behandeln wollte. Da wurde auch er zornig. Er stieß den, der ihn festnehmen wollte, kräftig zurück und rannte gegen Tito.

»Dich sollte man packen«, schrie er und faßte ihn derb an. »Dich sollte man packen und auf dem Markusplatz als Dieb aufhängen. Weißt du, mit wem du sprichst, Namensschänder du? Ich heiße Pomponio Vecellio, ich bin Tizians Sohn. Ich habe deiner wurmstichigen Baracke nur einen Fußtritt gegeben; aber mein Vater an meiner Stelle hätte es dir anders beigebracht, den Namen Tizianello zu führen. Dessen sei sicher. Er hätte dich so von deinem Stamm geschüttelt, daß du wie ein fauler Apfel herabgefallen wärest. Aber dabei wäre es nicht geblieben, er hätte dich bei den Ohren genommen, unverschämter Lehrbub du, und dich wieder ins Atelier gesteckt, aus dem du entwischt bist, ohne zu wissen, wie man einen Kopf zeichnet. Mit welchem Recht beschmutzest du diese Klostermauern und zeichnest jene jämmerliche Freske mit meinem Namen? Lerne zuerst einmal Anatomie und kopiere zehn Jahre lang Muskelfiguren, wie ich es bei meinem Vater tat, dann werden wir sehen, wer du bist und ob du eine Signatur haben darfst, aber bis dahin unterstehe dich nicht mehr, dir meinen Namen anzumaßen, sonst werfe ich dich in den Kanal und taufe dich ein für allemal!«

Mit diesen Worten verließ Pippo die Kirche. Kaum hatte die Menge seinen Namen gehört, so war sie auch schon beruhigt. Sie teilte sich, um ihn durchzulassen, und schaute ihm neugierig nach. Er ging zu seinem kleinen Haus, wo er Beatrice fand, die auf ihn wartete. Ohne mit der Schilderung seines Abenteuers Zeit zu verlieren, griff er zur Palette und arbeitete, noch zornerregt, am Porträt weiter.

In weniger als einer Stunde war es fertig. Er hatte es beträchtlich geändert, mehrere allzu pedantische Einzelheiten gemildert, den Faltenwurf freier geordnet, den Hintergrund und das Beiwerk – für die venezianische Malerei sehr wichtige Momente – bearbeitet. Dann war er zum Mund und zu den Augen gekommen und hatte mit einigen Pinselstrichen den vollendeten Ausdruck erreicht. Der Blick war sanft und stolz, die Lippen, von leichtem Flaum überhaucht, halb geöffnet. Die Zähne schimmerten wie Perlen, und der Mund war, als wollte er sprechen.

»Du sollst nicht die gekrönte Venus heißen«, sprach er, als er zu Ende war, »nein, die liebende Venus.«

Beatrices Freude war grenzenlos. Während Pippo arbeitete, hatte sie kaum zu atmen gewagt. Jetzt küßte sie ihn und dankte ihm hundertmal. Sie wolle ihn künftighin nicht mehr Tizianello nennen, sondern Tizian. Während des ganzen Tages sprach sie nur von den zahllosen Schönheiten, die sie mit jedem Augenblick an dem Bild entdeckte. Sie war traurig, daß es nicht ausgestellt werden konnte, und nahe daran, ihn darum zu bitten. Den Abend verbrachten sie in Quintavalle. Niemals waren die beiden Liebenden fröhlicher und glücklicher gewesen. Pippo schien lustig wie ein Kind, und sehr spät erst entschloß sie sich unter tausend Küssen, sich für ein paar Stunden von ihm zu trennen.

Diese Nacht schlief sie nicht. Lachende Zukunft und süßes Hoffen hielten sie wach. Schon sah sie ihre Träume erfüllt, den Geliebten von ganz Italien geehrt und gerühmt und Venedig in neuem Glanz. Am nächsten Tag war sie wie immer die erste in dem kleinen Haus und vertiefte sich wieder in das teure Bild, ihn erwartend. Der Hintergrund war eine Landschaft, im Vordergrund ragte ein Felsen. Auf ihm fand sie einige Zeilen mit Zinnober geschrieben. Unruhig beugte sie sich herab, um zu lesen. Es war ein Sonett in zierlichen gotischen Lettern:

Beatrice Donato war ihr süßer Namen.
Dies ist das Bildnis ihrer Göttlichkeit,
Und dieser Körper war der Liebe Kleid
Und aller Gaben wundervoller Rahmen.

Des Tizians Sohn will ihr Unsterblichkeit
Mit diesem Bilde geben; denn es kamen
Ihm Farben nur aus dieser Liebeszeit,
Und seine Kunst läßt ihn mit diesem Amen.

Wandrer, wer du auch seist, sieh die Geliebte
Und sage, Liebender, und zürn mir nie:
Ist wohl die deine auch so schön wie sie?

Wisse, wie klein der Ruhm ist, der uns alle trübte:
Denn dieses schöne Antlitz, das ihr alle ehrt,
Ist nicht des Urbilds kleinsten Kusses wert.

Wie sehr sich auch Beatrice in der Folgezeit mühte, sie erreichte es niemals mehr, daß er von neuem zu arbeiten begann. Er blieb zu allen ihren Bitten taub, und drängte sie ihn gar zu sehr, dann zitierte er das Sonett. So blieb er bis zu seinem Ende seiner Faulheit treu und Beatrice, sagt man, ihrer Liebe. Sie lebten lange wie verheiratet, und es ist schade, daß der Hochmut der Loredans, verletzt durch die fast öffentliche Verbindung, Beatrices Bild zerstörte, so wie das Schicksal des Tizianello erstes Werk.

 


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