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I

Als im Jahre 1756 Ludwig XV., müde der Auseinandersetzungen zwischen Magistrat und Großem Rat, wegen der Zwei-Sous-Steuer seines königlichen Richteramtes walten wollte, legten die Parlamentsmitglieder ihr Amt nieder. Sechzehn Demissionen wurden angenommen und ebenso viele Verbannungen ausgesprochen. »Aber könnten Sie«, sagte Frau von Pompadour zu einem der Präsidenten, »könnten Sie kaltblütig zusehen, wie eine Handvoll Menschen sich gegen die Autorität des Königs von Frankreich stemmt? Sind Sie darüber nicht empört? Legen Sie Ihr Amtsmäntelchen ab, Herr Präsident, und Sie werden alles sehen, wie ich es sehe.«

Aber nicht nur die Verbannten trugen die Strafe ihrer Auflehnung, auch ihre Verwandten und ihre Freunde. Das »Entsiegeln« amüsierte den König. Um sich von seinen Vergnügungen zu erholen, ließ er sich von seiner Favoritin alles vorlesen, was es Interessantes in der Post gab. Er sagte, er wolle seine eigene Geheimpolizei sein, und freute sich an den tausend Intrigen, die ihm unter die Augen kamen. Doch wer auch nur im geringsten zu den Führern der gegnerischen Gruppen hielt, war so gut wie verloren. Denn man weiß, Ludwig XV. hatte, so schwach er sonst war, eine einzige Stärke: seine Unerbittlichkeit.

Eines Abends saß er am Feuer, die Füße auf dem Kaminsims, melancholisch wie immer. Die Marquise überflog ein Paket Briefe. Plötzlich hob sie lachend die Schultern. Der König fragte, was es gebe.

»Hier ist ein ziemlich unvernünftiger, aber sehr rührender und mitleiderregender Brief«, antwortete sie.

»Welche Unterschrift?«

»Keine. Es ist ein Liebesbrief.«

»Und welche Anrede?«

»Das eben ist das Spaßige. Er ist an Fräulein d'Annebault adressiert, an die Nichte meiner guten Freundin, der Frau d'Estrades. Man hat ihn wohl eigens, damit ich ihn sehe, unter die Papiere gemischt.«

»Und was steht drin?« fragte der König weiter.

»Aber ich sagte ja: Liebe. Dann ist noch von Vauvert und Neauflette die Rede. Gibt es denn dort einen Edelmann? Kennen Eure Majestät die Gegend?«

Der König tat sich etwas darauf zugute, ganz Frankreich im Kopf zu haben; das heißt den Adel. Die Etikette seines Hofes – er hatte sie studiert – war ihm ebenso geläufig wie die Wappen seines Reiches. Eine etwas beschränkte Wissenschaft. Alles andere zählte nicht. Das war seine Eitelkeit, und die Hierarchie stand vor seinen Augen wie die Marmortreppe seines Palastes. Hier wollte er Meister sein. Er sann eine kurze Zeit, runzelte die Brauen wie bei mißlichem Erinnern, hieß dann die Marquise lesen und warf sich in einen Sessel. Lächelnd sagte er:

»Nur zu, das Mädchen ist hübsch.«

Frau von Pompadour las also mit sanftestem Spott einen langen Brief voller Liebestiraden:

»›Lesen Sie ein wenig‹, schrieb der Absender, ›wie mich das Schicksal verfolgt. Meine Wünsche schienen mir erfüllt, und Sie ließen mich das Glück erhoffen. Und doch verweigert es sich jetzt mir, wegen eines Fehlers, den ich nicht begangen habe. Ist es nicht unsäglich grausam, mich den Himmel sehen zu lassen und dann in den Abgrund zu stürzen? Nur ein Barbar kann vor den Augen des Unseligen, der sterben muß, das Schöne erstehen lassen, das er liebt und das ihm das Leben lebenswert macht. So ist mein Schicksal. Ich habe keine andere Zuflucht und keine andere Hoffnung mehr als das Grab; denn da ich unglücklich bin, darf ich nicht mehr an Sie denken. Als mir das Glück freundlich war, konnten Sie meine große Hoffnung sein. Jetzt bin ich arm und schaudere bei jedem Gedanken an Sie. Ich, vor Liebe sterbend, darf Ihnen nicht mehr Glück geben und verbiete Ihnen, mich zu lieben ...‹«

Die Marquise lächelte.

»Madame«, sagte der König, »das ist ein Ehrenmann. Aber was hindert ihn denn, die Geliebte zu heiraten?«

»Erlauben Eure Majestät, daß ich fortfahre:

›Diese Ungerechtigkeit, die mich bedrückt, überrascht mich von seiten des besten aller Könige. Sie wissen, mein Vater erbat für mich die Stelle eines Fähnrichs oder Fahnenjunkers. Diese Stellung entschied über mein Leben; denn sie gab mir das Recht, um Sie zu werben. Der Herzog von Biron hatte mich vorgeschlagen. Doch der König hat mich verworfen; so ungnädig, daß ich nur mit Bitterkeit daran denke. Denn wenn mein Vater seine eigene Art zu sehen hat (ich weiß, es ist ein Fehler), darf ich doch dafür nicht gestraft werden. Meine Ergebenheit für den König ist so wahr und aufrichtig wie meine Liebe für Sie. Ich könnte es beweisen, wäre es mir erlaubt, den Degen zu ziehen. Zum Verzweifeln, daß man mein Gesuch zurückwies. Aber daß ich ohne gültigen Grund in Ungnade gefallen bin, das verträgt sich nicht mit des Königs wohlbekannter Großmut ...‹«

»Das da interessiert mich«, sprach der König.

»›Wenn Sie wüßten, wie traurig wir sind! Oh, meine Freundin, dieses Neauflette, dieses Landhaus von Vauvert, dieser Park! Einsam wandere ich hier den ganzen Tag. Ich verbot, daß geharkt würde. Gestern kam der widerwärtige Gärtner mit seinem eisernen Besenstiel und wollte den Sand anrühren ... Die Spur Ihres Schrittes, leichter als der Wind, war noch nicht ausgelöscht. Noch trug die Allee den Druck Ihrer Füße und weißen Absätze. Sie schienen vor mir zu schreiten, und ich folgte Ihrem schönen Bilde. Das anmutige Traumbild belebte sich für ein paar Augenblicke und schien der flüchtigen Spur zu folgen. Hier war es, an diesem Beet, daß ich Sie kennenlernte und Sie zu lieben begann. Ich betete einen Engel an, Königinnenwürde und Nymphenanmut, Gedanken eines Leibniz, würdig und schlicht gesprochen; Platos Biene auf Dianas Lippen ... Die geliebten Blumen blühten rings um uns. Ich atmete sie und lauschte Ihnen. In ihrem Duft lebten Sie. Jetzt neigen sie die Köpfe und zeigen mir das Sterben ...‹«

»Das ist schlechter Jean-Jacques«, sagte der König. »Warum lest Ihr mir das vor?«

»Weil es mir Eure Majestät aufgetragen hat, um Fräulein d'Annebaults schöner Augen willen.«

»Das stimmt, sie hat schöne Augen.«

»›Und wenn ich von solchen Spaziergängen heimkehre, finde ich den einsamen Vater im großen Salon. Er sitzt gebückt im Schein einer Kerze. Um ihn das geblichene Gold des wurmstichigen Getäfels. Voller Qual sieht er mich an ... mein Leid drängt sich in seines ... Athénaïs! Hier in diesem Zimmer am Fenster steht das Klavier, über das Ihre sanften Finger glitten. Mein Mund berührte sie nur einmal, während sich der Ihre zu den Klängen der süßesten Musik sanft öffnete. Schon waren Ihre Lieder nichts als Lächeln. Wie glücklich ist Rameau, ist Lulli, Duni und die vielen andern! Ja, ja, Sie lieben sie, Sie denken an sie. Ihr Hauch ging über Ihre Lippen. Ich setze mich ans Klavier, will diese Lieder spielen; doch sie dünken mich kalt, eintönig. Ich lasse sie und höre sie verklingen. Ihr Echo zerschlägt sich an der traurigen Decke. Mein Vater wendet sich um und sieht meine Verzweiflung. Was kann er tun? Irgendeine Ränke, eine Vorzimmerintrige hat uns gesellschaftlich isoliert. Ich bin jung, von Leben brennend und möchte der Welt etwas sein. Er ist mein Vater und kann nicht helfen ...‹«

»Der tut so, als tötete man ihm auf der Jagd den Falken von der Faust weg«, sagte der König. »Was hat er denn nur?«

»›Wohl ist es wahr‹«, fuhr die Marquise mit leiserer Stimme im Lesen fort, »›wir sind nahe Nachbarn des Abbé Chauvelin, und entfernt mit ihm verwandt ...‹«

»Da haben wir es ja«, sagte Ludwig XV. und gähnte. »Wieder irgend so ein Parlamentsneffe. Die Herren mißbrauchen meine Güte und haben viel zuviel Familie.«

»Aber wenn er doch nur ein entfernter Verwandter ist!«

»Gut, aber die ganze Gesellschaft taugt nichts. Dieser Abbé Chauvelin ist ein Jansenist, ein guter Teufel, aber er hat sein Amt niedergelegt. Werft den Brief ins Feuer und sprecht mir nicht mehr davon.«

 

II

Des Königs letzte Worte waren kein Todesurteil, aber immerhin lebenshemmend. Was konnte um 1756 ein vermögensloser junger Mensch beginnen, von dem der König nichts hören wollte? Kommis werden oder Philosoph, Dichter vielleicht, doch protektionslos. Und in dem Falle brachte der Beruf nichts ein.

So stand es um den Chevalier von Vauvert, der den Brief mit Tränen schrieb und den König amüsierte. Er und sein Vater waren allein im alten Schloß Neauflette. Traurig und gereizt ging er im Zimmer auf und ab.

»Ich will nach Versailles«, rief er.

»Und was willst du dort?«

»Ich weiß es nicht; aber was will ich hier?«

»Mir Gesellschaft leisten. Gewiß, das ist nicht sehr vergnüglich für dich, und ich halte dich ja auch nicht. Aber hast du vergessen, daß deine Mutter tot ist?«

»Nein, ich versprach es ihr, Euch das Leben zu weihen, das Ihr mir gegeben habt. Ich komme ja wieder; aber jetzt muß ich fort. Ich kann nicht mehr zwischen diesen Wänden bleiben.«

»Wie kommt das?«

»Ich liebe. Ich liebe unsäglich das Fräulein d'Annebault.«

»Du weißt doch, das ist umsonst. Nur bei Molière gibt es Heiraten ohne Mitgift. Vergißt du auch, daß ich in Ungnade bin?«

»Ach Gott, Eure Ungnade! Bei allem Respekt laßt mich fragen, was können wir dafür? Wir gehören nicht zum Parlament. Wir bezahlen die Steuer, aber dekretieren sie nicht. Wenn das Parlament des Königs Einkünfte kürzt, ist es seine Sache, nicht die unsere. Warum zieht uns der Herr Abbé Chauvelin in sein Unglück?«

»Der Herr Abbé Chauvelin handelt als Ehrenmann. Er verweigert die Zehnt-Steuer, weil er über die höfische Verschwendung empört ist. So etwas hätte es zur Zeit der Frau von Châteauroux nicht gegeben. Und sie war wenigstens schön, kostete nichts, ja, gab selber freigebig. Sie war Mätresse und Herrscherin und sagte, sie sei zufrieden, wenn der König sie nicht im Kerker verkommen ließe, falls er seine Gnade von ihr nehmen würde. Aber diese Étioles, diese Le Normand, diese unersättliche Poisson.«

»Und was tut es?«

»Was es tut, fragst du? Mehr, als du meinst. Der König saugt uns aus, und dabei ist das Vermögen seiner Grisette unermeßlich. Weißt du das? Sie hatte sich anfangs einhundertachtzigtausend Pfund Rente auszahlen lassen; doch das war nur eine Bagatelle, das zählt jetzt nicht mehr. Man macht sich keine Vorstellung von den ungeheuren Summen, die ihr der König nachwirft. Es vergehen nicht drei Monate im Jahr, daß sie nicht wie im Fluge, zufällig gleichsam, fünf- oder sechshunderttausend Pfund auffängt. Gestern auf Salz, heute auf die Mehreinnahmen der Marstallkasse. Zusätzlich zu ihren Wohnungen in allen Schlössern kauft sie sich La Selle, Cressy, Aulnay, Brimborion, Marigny, Saint-Remi, Bellevue und noch viele andere Güter, Paläste in Paris, Fontainebleau, Versailles, Compiègne, das Vermögen gar nicht gerechnet, das sie heimlich bei allen Banken aller europäischen Länder angelegt hat; für den Fall der Ungnade oder des Todes des Königs. Und wer zahlt das alles, bitte sehr?«

»Ich weiß es nicht, ich jedenfalls nicht.«

»Doch du, jedermann, Frankreich, das Volk, das Blut und Wasser schwitzt, das auf den Straßen schreit und Pigalles Denkmal beschimpft. Und das Parlament will es nicht mehr. Es will keine neuen Steuern mehr. Als es um die Kosten des Krieges ging, war unser letzter Pfennig bereit. Wir mochten nicht feilschen. Der siegreiche König hat die Liebe seines Volkes sehen können, und der sterbenskranke fühlte sie noch größer; da gab es keinen Zwiespalt mehr, keine Partei, keinen Groll. Ganz Frankreich kniete vor dem Bett des Königs und betete für ihn. Wir bezahlen, ohne zu rechnen, seine Soldaten oder seine Ärzte, aber wir wollen nicht seine Mätressen bezahlen und haben anderes zu tun, als Frau von Pompadour auszuhalten.«

»Ich will sie nicht verteidigen, und ich mag ihr weder recht noch unrecht geben; denn ich sah sie nie.«

»Gewiß; und du würdest gar nicht böse sein, sie zu sehen und dann eine Meinung zu haben, nicht wahr? In deinem Alter urteilt der Kopf durch die Augen. So versuche es doch, wenn es dir gut scheint; aber das Vergnügen wird dir versagt werden.«

»Warum?«

»Weil es eine Dummheit ist. Die Marquise thront in ihren kleinen Salons zu Brimborion ebenso unsichtbar wie der Sultan im Serail. Alle Türen werden sich dir vor der Nase schließen. Was willst du dann tun? Unmögliches versuchen! Dem Glück nachjagen wie ein Abenteurer!«

»Nein, aber wie ein Verliebter. Ich habe durchaus nicht vor zu betteln, ich will nur gegen das Unrecht protestieren. Ich hatte wohlbegründete Hoffnung, fast schon eine Zusage des Herrn von Biron. Fast schon war die Geliebte mein. Und meine Liebe war nichts Unbilliges. Ihr selbst habt zugestimmt. Dann müßt Ihr es auch dulden, daß ich mein Recht verteidige. Was weiß ich, ob ich es mit dem König oder der Frau Pompadour zu tun bekomme, aber ich will hin.«

»Du weißt ja gar nicht, was das ist: der Hof. Und du willst dich vorstellen!«

»Gott, vielleicht habe ich es darum leichter, weil man mich nicht kennt.«

»Weil man dich nicht kennt? Wo denkst du hin? Mit deinem Namen! Wir sind alter Adel. Man wird dich schon kennen.«

»Also gut, dann wird mir der König Gehör schenken!«

»Er wird dich nicht einmal anhören. Du träumst von Versailles und meinst, du bist da, wenn die Postkutsche anhält. Nehmen wir an, du gelangtest bis ins Vorzimmer, bis in die Galerie, ja selbst bis ins ›Œil-de-Bœuf‹; und wäre zwischen dem König und dir nichts als eine Türflügel, so bliebe doch zwischen euch ein Abgrund. Du wirst umkehren und nach einem Ausweg, nach Protektion suchen. Umsonst. Wir sind mit Herrn von Chauvelin verwandt. Weißt du, wie sich der König rächt? Durch die Folter an Damiens, durch die Verbannung am Parlament und an uns anderen durch ein Wort, schlimmer noch: durch Schweigen. Weißt du, was es heißt, wenn der König schweigt? Er geht mit verschlossenem Blick vorüber, antwortet nicht, sieht dich scharf an und vernichtet dich. Diese Strafe ist nur dem Schein nach weniger grausam als die Grève und die Bastille, aber sie wirkt nicht viel anders als die Hand des Henkers. Wohl bleibt der Verurteilte frei, aber er darf keiner Frau zu nahe kommen, keinem Höfling, keinem Salon, keiner Abtei, keiner Kaserne. Vor ihm schließen sich alle Türen, und er lebt in einem unsichtbaren Gefängnis.«

»Ich werde mich schon rühren, daß ich wieder herauskomme.«

»Nicht mehr als ein anderer. Der Sohn des Herrn von Meynières war nicht schuldiger als du. Er hatte wie du Zusagen und begründete Hoffnungen. Sein Vater war der ergebenste Diener Seiner Majestät und der ehrenwerteste Mann im Reich. Als er vom König verstoßen war, ging er mit seinen grauen Haaren zu der Grisette. Er wollte nicht bitten, nur überzeugen. Weißt du, was sie geantwortet hat? Das sind ihre eigenen Worte; er schrieb sie mir: ›Der König ist Herr. Er geruht nicht, Euch sein Mißfallen persönlich zu zeigen. Er begnügt sich, es Euch dadurch wissen zu lassen, daß er Eurem Herrn Sohn ein Amt verweigert. Euch anders zu bestrafen, würde den Prozeß bedeuten. Das will er nicht. Seine Wünsche sind zu respektieren. Ich bedaure Euch indes und fühle Euren Kummer; denn ich bin Mutter gewesen. Ich weiß, was es für Euch bedeutet, Euren Sohn ohne Amt zu wissen.‹ Das ist der Stil jener Kreatur. Und ihr willst du dich zu Füßen werfen!«

»Man sagt, sie seien reizend.«

»Zum Teufel, ja. Sie ist nicht hübsch, und der König liebt sie nicht. Man weiß es. Aber er tut, was sie will, und unterwirft sich dieser Frau. Daß sie ihren absonderlichen Einfluß behält, muß an irgend etwas anderem liegen als an ihrem Dickschädel.«

»Man sagt, sie habe soviel Geist!«

»Und gar kein Herz. Eine schöne Tugend!«

»Gar kein Herz! Sie deklamiert Verse Voltaires, singt Lieder von Rousseau, spielt Alzire und Colette! Das ist unmöglich, das glaube ich niemals!«

»Also geh hin und sieh sie dir an. Ich sage nicht ja und nicht nein, doch du wirst schon auf deine Reisekosten kommen. Du liebst also dieses Fräulein d'Annebault so sehr?«

»Mehr als mein Leben.«

»Also geh.«

 

III

Reisen soll der Liebe schaden, weil es zerstreut. Andere sagen wieder, daß es sie stärke, weil es Zeit zum Träumen läßt. Der Chevalier war für solche wissenschaftlichen Unterscheidungen zu jung und hatte, des Wagens müde, unterwegs ein Postpferd bestiegen. Gegen fünf Uhr abends kam er am »Gasthof zur Sonne« an, dessen altmodisches Wahrzeichen noch aus der Zeit Ludwigs XIV. stammte.

In Versailles lebte ein alter Priester, der Pfarrer nahe bei Neauflette gewesen war. Der Chevalier kannte und liebte ihn. Dieser einfache arme Pfarrer hatte einen Neffen, der eine Pfründe innehatte, Geistlicher am Hofe war und nützlich sein konnte. Unser Held ging zu ihm, der aus seinem Beffchen heraus sehr würdig den Ankömmling empfing und es nicht für unter seiner Würde hielt, ihn anzuhören.

»Donnerwetter«, meinte er, »Sie kommen gerade recht. Heute abend gibt es eine Oper bei Hof oder irgend so ein Fest. Ich gehe nicht hin, weil ich mit der Marquise schmolle, um etwas Bestimmtes zu erreichen. Aber hier hätte ich gerade ein paar Worte vom Herrn Herzog d'Aumont, die ich für irgend jemanden, ich weiß nicht wen, erbeten habe. Gehen Sie damit hin. Zwar sind Sie noch nicht vorgestellt, aber für die Oper ist es nicht nötig. Seien Sie möglichst im kleinen Foyer, wenn der König vorbeigeht. Ein Blick, und Ihr Glück ist gemacht.«

Der Chevalier dankte ihm. Müde von der schlecht durchschlafenen Nacht und vom Ritt des Tages, machte er in der Herberge vor dem Spiegel Toilette: so nachlässig, wie es Verliebten so gut steht. Ein wenig geschicktes Dienstmädchen half ihm nach Kräften und puderte auch seinen mit Flitter besetzten Anzug. So ging er hin, um das Glück zu suchen; denn er war zwanzig Jahre.

Es war Nacht, als er ans Schloß kam. Schüchtern trat er ans Gitter und fragte die Wache nach dem Weg. Man zeigte ihm die große Treppe. Der Schweizer dort sagte ihm, die Oper habe gerade angefangen und der König, das will besagen: die ganze Gesellschaft, sei im Saal.

»Wenn der Herr Marquis (im Zweifelsfall war man hier Marquis) den Hof überschreiten wollen, ist der Herr Marquis in einer Sekunde da. Wenn der Herr aber lieber durch die Gemächer ...«

Der Chevalier kannte das Palais noch gar nicht. Die Neugierde hieß ihn antworten, er wolle durch die Gemächer. Als ein Lakai ihn führen wollte, tat er hochmütig und meinte, daß Begleitung nicht nötig sei. Er ging allein und war ziemlich aufgeregt.

Versailles war ein Lichtermeer. Bis zum Dach brannten alle Kronleuchter und Kandelaber. Die goldenen Möbel und der Marmor glänzten. Die Flügeltüren standen weit offen, nur nicht zu den Gemächern der Königin. Staunen und Bewunderung drängten sich dem Schreitenden auf. Es war nicht allein das Wunderbare, auch nicht das Schöne ringsum, das sich seinem Blick gab und ihn erfüllte: Es war die große Einsamkeit, in der er durch das Zauberhafte schritt.

Es ist absonderlich und voller Geheimnis, sich in der weiten Leere eines Tempels, eines Klosters oder eines Schlosses zu wissen. Der Bau lastet auf den Menschen. Die Mauern glotzen ihn an, das Echo lauscht ihm nach; seine Schritte werden in der großen Stille so laut, daß ihm unwillkürlich Angst kommt und er scheu und verhalten weitergeht.

So ging es zunächst auch dem Chevalier; doch bald siegte die Neugierde und zog ihn fort. Die Kandelaber der Spiegelgalerie warfen ihre Feuer tausendfach zurück. Tausende von Amoretten, Nymphen und Schäferinnen tummelten sich auf dem Getäfel, flogen unter den Decken hin und schienen eine einzige Girlande weit um den Palast herum zu flechten. Dann kamen weite Säle mit samtenen und goldverbrämten Baldachinen und mit Paradesesseln, die noch die steife Majestät des großen Königs wahrten. Ottomanen, Hocker, unordentlich um einen Spieltisch. Dann wieder eine unendliche Flucht einsamer Salons, um so prächtiger wirkend, als sie unnütz schienen. Von Zeit zu Zeit Geheimtüren, die sich unabsehbaren Gängen öffneten. Tausend Treppen und Passagen, labyrinthisch sich kreuzend. Riesenhafte Säulen und Estraden. Boudoirs, heimlich wie Kinderverstecke. Ein riesiges Gemälde von Vanloo neben einem Kamin aus Porphyr. Ein vergessenes Kästchen mit Schönheitspflästerchen und daneben ein chinesisches Porzellanäffchen. Hier erdrückende Hoheit, dort verweichlichte Anmut; und über allem Luxus, aller Verschwendung und Weichheit tausend betäubende Düfte, seltsam und zahllos, Düfte von Blumen und von Frauen, erregende Lauheit, Hauch der Wollust.

Hier in diesen Wundern der Zwanzigjährige, ganz allein und geblendet. Er ging auf gut Glück weiter, wie in einem Traum.

»Ein wahres Feenschloß!« murmelte er. Es war, als verwirkliche sich eines jener Märchen, in denen verirrte Prinzen verwunschene Schlösser entdecken.

Wohnten hier Sterbliche? Waren es irdische Frauen, die eben noch auf diesen Sesseln saßen und deren zarte Konturen die Kissen noch zeigten? Wer weiß? Vielleicht würde hinter diesen schweren Vorhängen in einer weiten und leuchtenden Halle eine Königstochter erscheinen, die seit hundert Jahren schlief, eine Fee in Reifröcken, eine Armida in goldgewirktem Gewand? Oder eine höfische Baumnymphe würde hinter einer Marmorsäule oder aus dem Goldgetäfel hervortreten.

Schwindlig fast von seinen Phantasien warf sich der Chevalier auf ein Sofa, um besser träumen zu können. Er hätte vielleicht lange dort gesessen, hätte er nicht an seine Liebe gedacht. Was tat jetzt wohl das Fräulein d'Annebault, die Heißgeliebte, ganz allein in einem alten Schloß?

»Athénaïs!« rief er mit einemmale, »was vertue ich hier meine Zeit? Habe ich den Verstand verloren? Wo bin ich denn, großer Gott, und was geht in mir vor?«

Er stand auf, ging weiter in das unbekannte Neue hinein und verlief sich selbstverständlich. Jetzt sah er zwei oder drei flüsternde Lakaien in einer Galerie. Er ging zu ihnen hin und sagte ihnen, daß er zur Aufführung wolle.

Wenn der Herr Marquis (auch hier dasselbe Rezept) sich die Mühe machen wolle, diese Treppe hinabzusteigen und der Galerie zur Rechten zu folgen, so hätte er am Ende drei Stufen in die Höhe zu steigen. Er werde sich dann nach links wenden, den Diana-Saal, den Apollo-Saal, den Musen-Saal, den Frühlings-Saal durchschreiten und dann wieder sechs Stufen hinuntersteigen, den Garde-Saal rechts liegen lassen und in die Richtung auf die Ministertreppe zugehen. Dort werde er andere Lakaien finden, die ihm den Weg weisen werden.

»Sehr verbunden«, sagte der Chevalier, »wenn ich mich nach so guten Anweisungen nicht zurechtfinde, ist es nur meine Schuld.«

Mutig ging er weiter, blieb wohl auch hin und wieder stehen und sah hierhin und dorthin; doch dann erinnerte er sich wieder seiner Liebe und fand nach einer guten Viertelstunde die angekündigten neuen Lakaien.

»Der Herr Marquis hat sich geirrt«, sagten jene ihm. »Er hätte durch den andern Schloßflügel gehen müssen; aber nichts ist leichter, als zu ihm zu gelangen. Der Herr braucht nur diese Treppe hinuntersteigen, dann das Nymphenzimmer, das Sommerzimmer, das ...«

»Danke schön«, sagte der Chevalier und dachte: Ich bin schon ein rechter Dummkopf, diese Leute wie ein Maulaffe auszufragen. Ich mache mich ja nur lächerlich und jene sich einen Spaß. Was sollen mir ihre Nomenklatur und die pompösen Titel ihrer Zimmer, von denen ich ja doch keines kenne?

Er nahm sich vor, möglichst geradeaus zu gehen; denn er sagte sich: »Gewiß, der Palast ist sehr schön und auch sehr groß, aber er muß doch einmal ein Ende haben, und sei er dreimal so groß wie unser Gehege.«

Doch ist es nicht leicht, in Versailles lange Zeit geradeaus zu gehen. Und vielleicht hatte der bäuerliche Vergleich des königlichen Schlosses mit einem Gehege den Nymphen arg mißfallen; denn sie leiteten den armen Verliebten nach Kräften in die Irre und vergnügten sich, zweifellos um ihn zu bestrafen, ihn hin und her zu gängeln und im Kreise herum an den alten Platz zu bringen. Gleich dem verirrten Bäuerlein im Hagebuchengang verstrickten sie ihn in ihrem römischen Labyrinth aus Gold und Marmor.

In den »Römischen Altertümern« des Piranesi gibt es eine Anzahl Stiche, die der Künstler seine »Träume« nennt und die die Erinnerung an seine eigenen Visionen während eines Fieberdeliriums darstellen. Sie zeigen weite gotische Säle. Auf den Fliesen sind alle möglichen Winden und Maschinen, Räder, Taue, Hebel, Katapulte und anderes, Ausdruck unsäglich tätiger Macht und furchtbaren Widerstandes. Die Mauern entlang sieht man eine Treppe, und auf ihr steigt Piranesi selbst mühselig in die Höhe. Die Stufen, aufsteigend, enden plötzlich vor einem Abgrund. Man ahnt den Künstler am Ende seines Werkes; denn er kann keinen Schritt mehr weiter, ohne abzustürzen. Doch hebt die Augen, und ihr seht eine zweite Treppe, die sich in die Luft spreizt, und wieder steht hier Piranesi vor dem neuerlichen Abgrund. Seht höher, wieder eine Treppe, noch weiter im Luftmeer, wieder Piranesi auf seiner Himmelfahrt, und so gesteigert, bis die unendliche Treppe und Piranesi in den Wolken verschwinden: am Rahmen der Zeichnung.

Das ist die Fieber-Allegorie auf die Qual des Nutzlosen und die Höllenpein der Ungeduld. Der Chevalier, immerfort von einem Salon in den andern und von einer Galerie in die andere laufend, wurde zornig:

»Sakrament, das ist ja nicht auszuhalten! Erst war ich so entzückt, so hingerissen, so begeistert von diesem verdammten Palast (weiß Gott, kein Feenschloß mehr), und jetzt kann ich nicht mehr heraus! Die Pest hole den blöden Gedanken, hier hineinzumarschieren wie der Prinz Fanfarinet mit seinen massiv goldenen Stiefeln, anstatt sich an den ersten besten Lakai zu wenden und sich von ihm höchst einfach und glatt in den Theatersaal führen zu lassen!«

Seine Reue kam etwas spät. Jetzt stand er, wie Piranesi, mitten auf einem Treppenabsatz und zwischen drei Türen. Hinter der mittleren hörte er es wie ein Flüstern, so süß, leise und wollüstig, daß er hinhören mußte. Doch in dem Augenblick, als er sich zage vorneigte, wurden die beiden Flügel der Türen aufgerissen. Tausenderlei Parfüms drangen auf ihn ein, stürzendes Licht ließ die Spiegelgalerie verblassen. Er wich ein paar Schritte zurück.

»Wünscht der Herr Marquis einzutreten?« fragte der Torhüter.

»Ich wollte zur Komödie.«

»Die ist gerade zu Ende.«

Und zugleich auch traten sehr schöne Damen, mit Weiß und Karmin zart geschminkt, aus dem Theatersaal. Nicht gaben sie den Arm, nicht die Hand, nein, nur die Fingerspitzen den alten und jungen Herren. Sie bemühten sich, seitlich zu schreiten, um die Reifröcke nicht zu drücken. Die ganze glänzende Gesellschaft sprach nur mit halber Stimme und verhaltener Fröhlichkeit, halb Furcht und halb Ehrerbietung.

»Was gibt es denn?« fragte der Chevalier und ahnte nicht, daß ihn der Zufall gerade ins kleine Foyer geführt hatte.

»Der König kommt vorbei«, antwortete der Türhüter.

Es gibt eine Art Unerschrockenheit, die vor nichts zurückweicht; und sie ist allzu einfach, denn sie ist der Mut des Unerzogenen. Unser junger Provinzler dagegen, so rechtschaffen mutig er sonst war, hatte diese Gabe nicht. Die vier Worte: »Der König kommt vorbei«, machten ihn vor Schreck ganz starr.

Ludwig XV., der zu Pferde jagend ein Dutzend Meilen im Handumdrehen erledigte, war, wie man weiß, von königlicher Lässigkeit. Er rühmte sich nicht ohne Grund, Frankreichs erster Edelmann zu sein, und seine Mätressen sagten ihm, nicht ohne Grund, er sei auch der vollkommenste und schönste unter ihnen. Es war wert, ihn zu sehen, wie er von seinem Sessel aufstand und einherschritt. Als er durch das Foyer ging, den einen Arm auf der Schulter des Herrn d'Argenson, während sein roter Hacken über das Parkett glitt (er hatte diesen trägen Gang zur Mode gemacht), hörte alles Flüstern auf. Die Höflinge senkten den Kopf und wagten kaum zu grüßen. Die schönsten Damen neigten sich sanft über ihre feuerfarbenen Strumpfbänder in der Tiefe ihrer reichen Kleider und versuchten sich an jenem koketten Gruß, den unsere Großmütter einen Hofknicks nannten und den unsere Zeit durch das brutale »Shakehands« der Engländer ersetzt hat.

Doch der König kümmerte sich um nichts und sah nur, was ihm gefiel. Vielleicht war gerade Alfieri da, der in seinen Memoiren seine Vorstellung in Versailles folgendermaßen erzählt:

»Ich wußte, daß der König niemals mit Fremden sprach, die nicht hervorstachen. Ich konnte mich jedoch nicht an seine teilnahmslose und unnahbare Haltung gewöhnen. Er maß den, der ihm vorgestellt wurde, vom Kopf bis zu den Füßen, und es schien, daß er überhaupt keinen Eindruck von ihm hatte. Würde man zu einem Riesen sagen ›Hier stelle ich Ihnen eine Ameise vor‹, so würde er doch wenigstens lächeln, wenn er sie ansieht, oder vielleicht sagen ›Ach, was für ein nettes kleines Tier!‹«

Der schweigsame Monarch schritt zwischen Blumen und schönen Frauen hin, schritt durch den ganzen Hof und wahrte seine Einsamkeit. Es brauchte für den Chevalier keine langen Überlegungen, um zu wissen, daß von diesem König nichts zu hoffen war und daß die Geschichte seiner Liebe hier nicht rührte.

Wie bin ich unglücklich! dachte er. Wie hatte mein Vater recht, als er sagte, selbst zwei Schritte vom König entfernt bliebe der Abgrund zwischen ihm und mir. Wäre ich selbst so kühn, um eine Audienz zu bitten: Wer sollte mich protegieren? Wer mich vorstellen? Dort geht er, der Herr über alles, der mit einem Wort mein Schicksal ändern, mein Glück besiegeln, alle meine Wünsche erfüllen kann. Dort steht er, vor mir. Wenn ich die Hand ausstrecke, könnte ich sein Gewand berühren. Und doch bin ich weiter von ihm entfernt als je in meiner Provinz! Wie ihn sprechen? Wie ihn anreden? Wer wird mir zu Hilfe kommen?

Jetzt sah er eine junge, recht hübsche Dame eintreten, voller Anmut und Feinheit. Sie war sehr einfach weiß gekleidet, ohne Diamanten und Spitzen, nur mit einer Rose am Ohr. Sie gab einem Höfling die Hand, der »ganz in Ambra« war, wie Voltaire sagt, und flüsterte zu ihm hinter ihrem Fächer. Der Zufall wollte es, daß ihr beim Plaudern, Lachen und Gestikulieren der Fächer aus der Hand glitt und unter einen Stuhl fiel, – gerade vor dem Chevalier. Rasch hob er ihn auf und hatte ein Knie gebeugt, um ihn zu ergreifen. Die junge Dame indes dünkte ihn so schön, daß er ihn ihr reichte, ohne aufzustehn. Sie verharrte einen Augenblick, lächelte, ging und hatte mit einem leichten Kopfnicken gedankt. Doch der Blick, mit dem sie ihn ansah, ließ sein Herz schlagen. Er wußte nicht, warum. – Er hatte recht. Diese junge Dame war die kleine d'Étioles, wie sie die Mißgünstigen noch immer nannten. Die andern aber hießen sie »die Marquise«, und sie sprachen es wie »die Königin«.

 

IV

»Sie wird mir helfen! Sie wird mir nützen! Wie recht hatte der Abbé, als er mir sagte, ein Blick könne über mein Leben entscheiden! Ja, diese milden und zarten Augen, dieser kleine Mund, der spöttisch sein kann und lieblich, dieser kleine Fuß, der in Flitter badet ... Sie ist meine gute Fee!«

Mit diesen Gedanken – er sprach sie zuweilen ganz laut – kehrte der Chevalier in seine Herberge zurück. Woher diese plötzliche Hoffnung? Redete nur seine Jugend oder hatten die Augen der Marquise gesprochen?

Doch noch blieb die Schwierigkeit die gleiche. Wenn er auch nicht mehr daran dachte, dem König vorgestellt zu werden: Wer sollte ihn der Marquise vorstellen?

Fast die ganze Nacht schrieb er an das Fräulein d'Annebault einen Brief, nicht viel anders als jenen, den Frau von Pompadour gelesen hatte.

Den Brief wiederzugeben hat keinen Wert. Narren und verliebte Leute finden sich immer originell und wiederholen sich alle Tage.

Am nächsten Morgen ging der Chevalier aus und spazierte sinnend durch die Straßen. Er dachte gar nicht daran, sich wieder an seinen Gönner, den Abbé, zu wenden. Es wäre nicht ganz leicht zu sagen, warum er es nicht tat. Es war ein wenig Furcht und ein wenig Kühnheit, auch falsche Scham und Sinn für das Romanhafte. Und was hätte ihm auch der Abbé auf sein abendliches Erlebnis antworten sollen? »Sie haben einen Fächer aufheben können. Nutzten Sie es aus? Was antworteten Sie der Marquise?« »Nichts.« »Sie hätten zu ihr sprechen müssen.« »Ich war so verwirrt, ich verlor den Kopf.« »Das ist schade. Sie hätten die Gelegenheit beim Schopf nehmen sollen; aber das läßt sich wieder gutmachen. Soll ich Sie dem Herrn Soundso vorstellen; er ist ein Freund von mir. Oder der Frau Soundso? Das wäre noch nützlicher. Wir müssen versuchen, Sie bis zur Marquise, die Ihnen solche Furcht einjagte, heranzubringen, und diesmal« usw. usw.

Nein, daran dachte der Chevalier nicht. Es dünkte ihn Entweihung, erzählte er sein Abenteuer. Er sagte sich, der Zufall habe für ihn Unerhörtes und Unglaubliches getan. Jetzt walte ein Geheimnis zwischen ihm und dem Glück. Es dem ersten besten zu verraten, hieße es wertlos machen und sich unwürdig zeigen. Ich bin allein zum Schloß von Versailles gegangen, dachte er, ich werde auch allein zum Trianon gehen. Dort wohnte gerade die Favoritin.

Rechnerischen Köpfen, die nichts außer acht lassen und auch nicht das Kleinste dem Zufall preisgeben, muß solche Logik extravagant scheinen. Aber auch die kältesten Menschen haben, wenn sie nur einmal jung gewesen sind (nicht alle Menschen waren es, selbst nicht in der Jugend), – das wunderliche Empfinden gekannt, das schwache, kühne, gefährliche, verführerische Gefühl, das uns in unser Schicksal zieht. Wir sind wie blind, und wir wollen es sein. Wir wissen nicht den Weg, und wir marschieren. Das eben ist der Reiz: sorglos zu sein und nichts zu wissen. Das ist die Lust des träumenden Künstlers und des Liebenden, der die Nacht unter den Fenstern der Geliebten steht. Das auch ist der Instinkt des Soldaten und vor allem des Spielers.

Fast ohne es zu wollen, ging der Chevalier den Weg zum Trianon. Er war nicht gerade sehr herausgeputzt, doch er hatte Eleganz und Haltung genug, daß nicht jeder Lakai ihn fragte, wohin er wolle. Er hatte sich in der Herberge nach dem Weg erkundigt und fand ohne Mühe die Gitter des Schlosses, wenn man so dieses marmorne Schatzkästchen nennen kann, das einst soviel Freude und soviel Kummer gesehen hat. Leider war das Gitter geschlossen und ein dicker Schweizer, in einfachem Überrock, die Hände auf dem Rücken, ging drinnen in der Auffahrt auf und ab, wie einer, der niemanden erwartet.

»Der König ist da!« sagte sich der Chevalier, »oder die Marquise ist nicht da. Wenn die Tore geschlossen sind und das Gesinde spazierengeht, dann ist die Herrschaft entweder nicht zu sprechen oder ausgegangen.«

Was tun? Eben noch ganz Mut und Zuversicht, jetzt mit einemmale ratlos und enttäuscht. Der eine Gedanke: »Der König ist da!« erschreckte ihn noch mehr als am Abend zuvor die vier Worte: »Der König kommt vorbei!« Denn gestern verwirrte ihn die Überraschung, jetzt aber kannte er den kalten Blick und die strenge Majestät.

»O guter Gott! Was für ein Gesicht würde ich machen, wenn ich leichtsinnig in den Garten dränge und mich plötzlich Auge in Auge mit dem großen König sähe, der gerade am Bach seinen Kaffee trinkt!«

Schon ahnte der arme Verliebte die düstere Silhouette der Bastille. Er sah nicht mehr das anmutige Bild der lächelnden Marquise, er sah Türme, Verliese, Wasser und Brot. Er kannte die Geschichte von Latude. Er sann sich immer tiefer in diese Vorstellungen hinein und immer weiter von seiner Zuversicht hinweg.

»Und doch«, sagte er sich dann, »ich tue ja nichts Schlechtes, und der König auch nicht. Ich will mich ja nur gegen eine Ungerechtigkeit auflehnen. Ich habe ja keinem etwas zuleide getan. Man hat mich gestern in Versailles so gut empfangen, und die Lakaien waren so höflich. Was soll ich fürchten? Daß ich eine Dummheit mache. Aber ich werde noch andere begehen, die diese dann wieder ausgleichen.«

Er ging an das Gitter und drückte mit dem Finger dagegen. Es war nicht zugesperrt. Er öffnete es und trat resolut ein. Der Schweizer drehte sich ärgerlich um:

»Was wünschen Sie denn? Wo wollen Sie hin?«

»Ich will zu Frau von Pompadour.«

»Haben Sie eine Audienz?«

»Ja.«

»Wo ist Ihr Schreiben?«

Das war durchaus nicht das Marquisat vom Vorabend. Jetzt gab es auch keinen Herzog d'Aumont. Der Chevalier senkte traurig die Augen und bemerkte, daß seine weißen Strümpfe und seine mit Bergkristall besetzten Schnallen staubbedeckt waren. Er hatte den Fehler begangen, in einem Land zu Fuß zu gehen, wo man nicht zu Fuß ging. Der Schweizer senkte die Augen ebenfalls und maß ihn nicht von Kopf bis Fuß, sondern von Fuß bis Kopf. Der Anzug schien ihm sauber, aber der Hut saß ein wenig schief, und das Haar war nicht gut gepudert.

»Sie haben kein Schreiben. Was wollen Sie dann?«

»Ich will Frau von Pompadour sprechen.«

»Wirklich? Und Sie glauben, daß das so mir nichts dir nichts geht?«

»Das weiß ich nicht. Ist der König hier?«

»Vielleicht. Gehen Sie hinaus, und lassen Sie mich in Ruhe!«

Der Chevalier hatte nicht zornig werden wollen, aber diese Unverschämtheit ließ ihn bleich werden:

»Ich habe schon oft einem Lakai gesagt, daß er gehen solle, aber ein Lakai hat es mir noch nie gesagt.«

»Lakai! Ich? Ein Lakai!« schrie wütend der Schweizer.

»Lakai, Portier, Kammerdiener, Gesinde, das ist mir ganz gleichgültig und kümmert mich sehr wenig.«

Der Schweizer ging mit geballter Faust und rotem Gesicht auf den Chevalier zu. Jener, durch die Drohung wieder zu sich selbst gebracht, legte leicht die Hand an den Degen:

»Nehmen Sie sich in acht«, sprach er; »ich bin Edelmann, und es kostet mich nur sechsunddreißig Pfund, wenn ich einen Tölpel wie Sie zu Boden strecke.«

»Wenn Sie Edelmann sind, Herr, so gehöre ich dem König. Ich tue nur meine Pflicht. Glauben Sie ja nicht ...«

Da schmetterte eine Trompete vom Bois de Sartory her und verklang in der Ferne. Der Chevalier stieß den Degen in die Scheide und hatte den Zank schon vergessen.

»Donnerwetter!« meinte er, »das ist der König, der auf die Jagd geht. Warum haben Sie es mir nicht gleich gesagt?«

»Das geht mich nichts an und Sie auch nichts.«

»Also hören Sie mal zu, lieber Freund. Der König ist nicht da, ich habe kein Schreiben und auch keine Audienz. Da haben Sie ein Trinkgeld, und nun lassen Sie mich hinein.«

Er zog ein paar Goldstücke aus der Tasche. Der Schweizer maß ihn wieder mit souveräner Verachtung.

»Was soll denn das heißen?« fragte er herablassend. »Versucht man so, in ein königliches Haus zu dringen? Nehmen Sie sich in acht, daß ich Sie nicht einsperre, anstatt Sie hinauszuwerfen.«

»Du Oberlump!« schrie der Chevalier wieder in Wut und die Hand am Degen.

»Ja, ich«, entgegnete der Dicke. Aber während dieser Unterhaltung, in der der Historiker zu seinem Bedauern den Helden kompromittieren muß, hatten dunkle Wolken den Himmel überzogen. Ein Gewitter war im Anzug. Ein greller Blitz zuckte auf, und ein gewaltiger Donnerschlag folgte. Schwere Tropfen fielen. Der Chevalier, der immer noch sein Geld hielt, sah einen talergroßen Regentropfen auf dem bestaubten Schuh.

»Zum Teufel! Suchen wir ein Obdach. Ich will nicht naß werden.«

Flink schlüpfte er in die Höhle des Zerberus oder, wenn man so will, in das Haus des Pförtners. Dort warf er sich ungeniert in den Lehnstuhl des Schweizers und meinte:

»Gott, wie Sie einen langweilen und wie ich unglücklich bin! Sie halten mich für einen Verschwörer und begreifen nicht, daß ich eine Bittschrift an Seine Majestät in der Tasche habe! Ich bin Provinzler, aber Sie sind ein Dummkopf.«

Statt aller Antwort holte der Schweizer aus einer Ecke seine Hellebarde und pflanzte sich mit der Waffe in der Faust vor ihm auf.

»Wann werden Sie sich endlich trollen?« rief er mit Stentorstimme.

Der Streit, abwechselnd vergessen und wieder aufgenommen, schien diesmal ernst zu werden. Schon zitterten die beiden dicken Schweizerhände befremdlich mit der Pike. Was wäre geschehen? Ich weiß nicht. Aber plötzlich wandte der Chevalier den Kopf und fragte: »Wer kommt denn da?«

Ein junger Page auf einem wundervollen Pferd (es war kein englisches; denn zu jener Zeit waren die mageren Beine noch nicht modern) kam mit verhängten Zügeln herangaloppiert. Der Weg war durch den Regen aufgeweicht, das Gitter nur halb offen. Das gab eine Stockung. Der Schweizer lief vor und öffnete. Der Page gab die Sporen; das Pferd, einen Augenblick angehalten, wollte weiter, stolperte, glitt auf dem feuchten Boden aus und fiel.

Es ist sehr unbequem und fast gefährlich, ein gefallenes Pferd wieder auf die Beine zu bringen. Da hilft keine Reitpeitsche. Wenn das Tier in seiner Anstrengung mit den Beinen ausschlägt, kann es recht unangenehm werden, vornehmlich für den, der noch auf einem Bein unter dem Sattel liegt.

Der Chevalier eilte sofort herbei und dachte nicht an diese bösen Möglichkeiten. Er hantierte so geschickt, daß in kurzer Zeit das Pferd aufgerichtet und der Reiter befreit war. Doch der war mit Schmutz bedeckt und konnte nur humpelnd gehen. Man transportierte ihn mehr schlecht als recht in das Haus des Schweizers und setzte ihn in den Großvaterstuhl.

»Mein Herr«, sagte er zum Chevalier, »Sie sind sicherlich Aristokrat. Sie erweisen mir einen großen Dienst, aber Sie können mir einen noch größeren tun. Hier ist eine Botschaft des Königs für die Frau Marquise, und diese Botschaft eilt sehr, wie Sie sehen, zumal mein Pferd und ich uns, um schneller zu sein, fast den Hals gebrochen haben. Sie begreifen, daß ich so, wie ich bin, und mit meinem Hinkebein nicht das Papier hinbringen kann. Da müßte man mich ja selber hinbringen. Wollen Sie es für mich tun?«

Er zog einen großen Umschlag aus der Tasche mit goldenen Arabesken und dem königlichen Siegel.

»Sehr gerne, mein Herr«, entgegnete der Chevalier und nahm das Papier. Flink und leicht wie eine Feder schnellte er auf den Fußspitzen fort.

 

V

Vor dem Säulengang des Schlosses war wieder ein Schweizer.

»Königliche Order«, sagte der junge Mann und ließ sich diesmal nicht von der Hellebarde einschüchtern. Er zeigte sein Schreiben und schritt fröhlich mitten durch das halbe Dutzend Lakaien.

Im Vestibül war ein großer Türhüter aufgepflanzt, der sich tief verneigte wie ein Pappelbaum im Wind, als er das königliche Siegel sah. Dann drückte er lächelnd mit seinen knochigen Fingern an eine Holzverkleidung.

Wie von selber sprang eine kleine Tapetentür auf. Der knochige Mann nickte auffordernd, der Chevalier trat ein, und die Tür fiel weich hinter ihm ins Schloß.

Ein schweigsamer Kammerdiener führte ihn in einen Salon, dann in einen Korridor, an dem sich zwei oder drei kleine Kabinette öffneten, und endlich in einen zweiten Salon. Dort bat er ihn, einen Augenblick zu warten.

»Bin ich hier wieder im Versailler Schloß?« fragte sich der Chevalier. »Beginnt hier wieder das Blinde-Kuh-Spiel?«

Das Trianon war zu jener Zeit weder so, wie es jetzt ist, noch wie es vorher gewesen war. Man sagte, die Maintenon habe aus Versailles eine Betstube gemacht, die Pompadour ein Boudoir. Trianon, das »Schlößchen aus Porzellan«, sei, so hieß es auch, das Boudoir der Frau von Montespan. Wie dem auch sei, es scheint, daß Ludwig XV. überall Boudoirs einrichtete. Eine Galerie, durch die ein Ahnherr majestätisch geschritten war, wurde hier auf merkwürdige Art in eine Unzahl kleiner Gemächer abgeteilt. Und alle Farben gab es. Wie ein Schmetterling glitt der König durch diese Haine aus Seide und Samt. »Finden Sie meine Gemächer nicht geschmackvoll?« fragte er eines Tages die schöne Gräfin von Seran. »Nein«, antwortete sie, »ich hätte sie lieber in Blau.« Da Blau die Farbe des Königs war, schmeichelte ihm die Antwort. Beim zweiten Rendezvous fand Frau von Seran den Salon blau möbliert, wie sie es gewünscht hatte.

Das Gemach, in dem der Chevalier jetzt stand, war nicht blau, nicht weiß, nicht rosa, sondern hatte überall Spiegel. Eine hübsche Frau von hübschem Wuchs gewinnt bekanntlich sehr, wenn sie ihr Bild tausendfach reflektieren läßt. Sie blendet den, dem sie gefallen will, sie hüllt ihn fast mit sich ein. Er sieht sie, wohin er auch blickt. Wie sollte er es auch vermeiden? Es bleibt ihm nur Flucht oder Unterwerfung.

Der Chevalier sah in den Garten. Hinter den Hagebuchengängen und Irrgärten, Statuen und Marmorvasen spürte man schon den Schäfergeschmack, den die Marquise in Mode brachte und den später Frau Dubarry und die Königin Marie-Antoinette zur höchsten Vollendung steigerten. Schon ahnte man die ländlichen Träume, in die sich blasierte Laune hineinflüchtete. Schon sahen aufgeblasene Tritone, ernste Göttinnen, weise Nymphen und die Büsten mit den großen Perücken schreckensstarr aus ihren Laubnischen einen englischen Garten mitten unter den erstaunten Taxushecken aufgehen. Rasenplätzchen, Bächlein, Brücklein sollten bald den Olymp entthronen und ihn durch eine Molkerei ersetzen. Eine befremdliche Parodie auf die Natur, die die Engländer kopierten, ohne sie zu verstehen. Ein Kinderspiel, mit dem sich dann ein gleichgültiger Herr die Zeit vertrieb, weil er nicht wußte, wie er sich in Versailles nicht von Versailles langweilen lassen sollte.

Doch der Chevalier war so voller Freude, da sein zu dürfen, daß er kaum an irgendeine Kritik dachte. Im Gegenteil, er war bereit, alles zu bewundern, und staunte auch ehrlich, das Schreiben in den Händen drehend wie der Provinzler seinen Hut. Da öffnete ein hübsches Zöfchen die Tür und sagte anmutig:

»Kommen Sie, mein Herr!«

Er folgte ihr, passierte von neuem etliche mehr oder weniger geheimnisvolle Korridore und trat dann in ein großes Zimmer, dessen Läden halb geschlossen waren. Dort blieb das Mädchen stehen und schien zu horchen.

»Immer noch Blinde-Kuh«, sagte sich der Chevalier.

Doch nach wenigen Augenblicken öffnete sich wieder eine Tür, eine andere Kammerzofe, nicht weniger hübsch als die erste, sagte die gleichen Worte:

»Kommen Sie, mein Herr.«

War er in Versailles bewegt gewesen, so war er es jetzt noch mehr, denn er begriff, daß er auf der Schwelle des Tempels stand, in dem die Gottheit wohnte. Er ging klopfenden Herzens. Sanftes Licht, durch die leichten Gazevorhänge kaum gedämpft, verdrängte die Dunkelheit. Köstliches Parfüm schwang kaum merklich durch die Luft. Die Zofe schlug zaghaft einen seidenen Türvorhang zurück. In einem großen Gemach von elegantester Einfachheit sah er die Dame mit dem Fächer, die allmächtige Marquise.

Sie saß im Morgenrock an einem Tisch, den Kopf in der Hand, und schien sehr besorgt. Als der Chevalier eintrat, erhob sie sich mit schneller Bewegung und wie gezwungen:

»Sie kommen vom König?«

Der Chevalier hätte antworten können; doch er verneigte sich nur tief und reichte ihr den Brief. Sie griff nach ihm sehr lebhaft. Während sie ihn entsiegelte, zitterten ihre Hände.

Das Handschreiben des Königs war ziemlich lang. Sie überflog es erst mit einem Blick und las es dann mit tiefer Aufmerksamkeit, die Brauen gerunzelt und die Lippen aufeinander gepreßt. Jetzt war sie nicht schön und glich kaum der zauberhaften Erscheinung im kleinen Foyer. Als sie mit dem Lesen fertig war, schien sie zu überlegen. Das bleiche Gesicht färbte sich leicht (sie war zu dieser Stunde nicht geschminkt). Ihre Anmut kam wieder, und Schönheit glitt über die zarten Züge. Man hätte ihre Wangen für zwei Rosenblätter halten können. Sie seufzte leicht, ließ den Brief auf den Tisch fallen und wandte sich lächelnd an den Chevalier:

»Ich habe Sie warten lassen, mein Herr; aber ich war noch nicht aufgestanden, ich bin es ja jetzt auch noch nicht. Deshalb mußte ich Sie auch so heimlich hereinschlüpfen lassen; denn ich bin hier fast so belagert wie bei mir zu Hause. Ich möchte dem König ein Wort antworten. Verdrießt es Sie, den Gang für mich zu tun?«

Jetzt mußte er sprechen. Er hatte Zeit genug gehabt, Mut zu sammeln.

»Ach, gnädige Frau«, sprach er niedergeschlagen, »Sie sind sehr gütig. Aber leider kann ich es nicht tun.«

»Warum nicht?«

»Ich habe nicht die Ehre, zu Seiner Majestät zu gehören.«

»Wie sind Sie dann hierher gekommen?«

»Durch Zufall. Ich traf unterwegs einen Pagen, der stürzte und mich bat ...«

»Was, stürzte ...!« wiederholte die Marquise und lachte. (Sie schien so glücklich in diesem Augenblick, daß sie schon lustig wurde).

»Ja, gnädige Frau, am Gitter stürzte er mit dem Pferd. Ich war glücklicherweise gerade da und konnte ihm aufhelfen. Doch da sein Anzug sehr beschmutzt war, bat er mich, seinen Auftrag zu übernehmen.«

»Wieso waren Sie zufällig dabei?«

»Ich habe Seiner Majestät ein Bittgesuch zu unterbreiten, gnädige Frau.«

»Seine Majestät wohnt in Versailles.«

»Gewiß, aber Sie wohnen hier.«

»Allerdings! Das heißt also, Sie wollen mir einen Auftrag geben.«

»Gnädige Frau, ich flehe Sie an, glauben Sie mir ...«

»Erschrecken Sie nicht, Sie sind nicht der erste. Doch weswegen wenden Sie sich an mich? Ich bin nur eine Frau ... wie jede andere.«

Sie sprach die Worte spöttisch und sah triumphierend auf den Brief.

»Gnädige Frau«, entgegnete der Chevalier, »ich habe mir immer sagen lassen: Der Mann hat die Macht und die Frau ...«

»Gebraucht sie, nicht wahr? Doch, mein Herr, es gibt eine Königin von Frankreich.«

 


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