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Queretaro

Es war einer jener wundervollen Februartage, die in Mexiko die ganze Annehmlichkeit des Frühlings mit dem Glanz und der Farbenpracht des Sommers vereinigen, als eine kleine Schar von Reitern einen steilen und nackten Felsen hinaufritt, zu dem jedes einzelne Pferd sich eine Straße bahnen mußte.

Es waren im ganzen sieben Personen; fünf schienen Offiziere zu sein, wenigstens verrieten das die roten Streifen an ihren Beinkleidern. Ob sie Uniform-Röcke trugen, ließ sich nicht erkennen, da sie sämtlich mit leichten und hellfarbigen Sommer-Ueberziehern und Käppis bekleidet waren, denen der österreichischen Soldaten ähnlich. Zwei weiter zurückreitende Männer schienen Diener zu sein. Blickte man schärfer über den ausgedehnten Felsen-Abhang, so bemerkte man in einiger Entfernung eine größere Abteilung Reiter, vielleicht achtzig Mann, die bereits an einer etwas niederigen Stelle den Rücken des Gebirgszuges erreicht hatten und dort hielten. Man erriet also leicht, daß die einzelnen Reiter Offiziere waren, die sich, um zu rekognoszieren, von ihren Truppen getrennt hatten.

Ihre Gesichter waren sehr verschieden. Drei von den Reitern schienen Mexikaner oder wenigstens aus dem Süden zu sein, denn ihre Gesichter zeigten jene gelbliche, selbst ins grünliche spielende Farbe, die man nur bei den Eingeborenen jener Länder findet. Die Farbe der beiden anderen waren heller. Einer von ihnen, der Aeltere, trug einen Vollbart und sah sehr ernst und gedankenvoll aus. Der Jüngere trug einen Schnurr- und Backenbart nach englischer Art. Sein eigentümliches Gesicht war etwas blaß, als ob er eine Krankheit überstanden oder geistige Leiden zu erdulden hätte. Dennoch ließ sich ein Zug von Sorglosigkeit in seiner Miene erkennen. Es schien, als ob eine schwere Zeit hinter ihm liege, und als ob er sich jetzt eines neuen und besseren Daseins erfreue.

»Aber nicht weiter, als bis auf jene Spitze, Majestät!« sagte einer von den Offizieren. »Ich bitte Sie darum.«

»Nein, nein, nicht weiter, Mejia,« antwortete der Herr mit der sorglosen Miene lächelnd. »Sie sind auch gar zu ängstlich. Wir wissen ja, daß die Herren Republikaner noch wenigstens 10 Tagemärsche von hier entfernt sind.«

»Das würde eine einzelne Schar nicht hindern, sich vorzuwagen,« sagte Mejia.

»Nun, der können wir wohl die Spitze bieten!« rief der Kaiser.

»Ja, aber wenn wir bedenken, daß eine einzelne Kugel zufällig grade Sie treffen könne ...«

»Daran muß man nicht denken,« erwiderte der mit »Kaiser« Angeredete etwas ernster. »Ich habe längst mein Testament gemacht, mein lieber Mejia, und bin Soldat, wie Sie, weiter nichts.«

»Für uns doch mehr!« antwortete Mejia. »Wir könnten manchen General entbehren, aber nicht einen Kaiser.«

Die Schwierigkeiten des Weges unterbrachen jetzt das Gespräch. Der Gipfel des Bergrückens war nicht leicht zu erreichen; die Pferde mußten sorgfältig beobachtet werden. Schweigend ritten sie weiter.

Es war der junge Kaiser Maximilian, den Louis Napoleon nach Mexiko gesendet und dann ohne jede Stütze dort gelassen hatte, der hier mit einigen deiner Ober-Offiziere auf eine Rekognoszierung ausritt. In dem Glauben, daß die spanischen Eingeborenen von Mexiko als Abkömmlinge der alten Spanier den Prinzen aus dem Hause Austria mit Freuden empfangen würden, war er nach Mexiko gekommen, auf den Wunsch des Volkes, wie es hieß – aber eines Volkes, daß durch französische Bajonette dressiert worden war. Jetzt war er sich klar darüber, daß man ihn getäuscht hatte. Nicht mit Jubel, sondern mit Mißtrauen hatte man ihn empfangen. Im Lande fehlte ihm die Stütze; nicht die spanischen Eingeborenen hielten treu zu ihm, sondern nur die armen, verachteten Parias, die Indianer, denen die Weißen nie viel Gutes getan. Auch Frankreich hatte ihn verlassen; Marschall Vazaine war längst mit seinen Truppen auf dem Rückwege nach Frankreich. Der Sieg des Nordens in den Vereinigten Staaten, die Wiederherstellung der Union hatte die französische Spekulation zunichte gemacht. Es ließ sich kein französisches Mexiko mehr gründen, von dem aus eine napoleonische Dynastie nach Virginien und Georgien hinübergeworfen werden könnte. Auf seine eigene Kraft war Maximilian angewiesen. Allein stand er einem Lande gegenüber, daß die Republik seit Jahrzehnten proklamiert hatte, das nichts von europäischer Einmischung wissen wollte; das zufrieden war mit seinen Zuständen, so schlecht sie auch sein mochten. Er gebot kaum über zwanzigtausend Mann, kaum über eine Million Piaster. Aber wenn er auch sorglos hinübergegangen war – jetzt hielt ihn die Ehre; er konnte nicht zurück. Schon war er im Begriff gewesen, nach Europa aufzubrechen, schon hatte er den blauen Golf von Mexiko erblicken können, über den ihn ein befreundetes Fahrzeug leicht zum Vaterlande zurücktragen konnte. Aber er war nicht gegangen. Wer kann genau wissen, was ihn zurückhielt? Waren es trügerische Versprechungen der Freunde? War es Stolz oder Ehrgefühl? War es die Hoffnung auf einen möglichen Sieg? Noch einmal hatte er seine wenigen Getreuen um sich versammelt, hatte die Hauptstadt Mexiko unter dem Schutz eines Mannes gelassen, den er für einen seiner treuesten und fähigsten Anhänger hielt, und war nach Norden gezogen, den Republikanern entgegen, die von Potosi heranrückten, wo Juarez seit einiger Zeit residierte. In Queretaro, der schönen und volkreichen Stadt, hatte er sein Hauptquartier aufgeschlagen. Hier wollte er die Entscheidung erwarten. Als er einzog, hatte ihm das Volk zugejubelt, wie es freilich jedem zujubelt, der unter Trompetenklang und Paukenschall einzieht. Er glaubte sich geliebt vom Volke, er fühlte die Verpflichtung, sein Wort zu halten, und – wie er es versprochen – die Mexikaner von dem ewigen inneren Unfrieden zu befreien und glücklich zu machen. Sorge, Zweifel, Krankheit hatten in den letzten Jahren seine Gesundheit untergraben. Aber jetzt war ihm wohler. Die Entscheidung nahte. Entweder er schlug das Hauptheer der Republikaner, das ihm entgegenzog und dann war die kaiserliche Regierung für längere Zeit, vielleicht für immer befestigt, oder er unterlag – und dann war es vorbei! Ein Soldat will Gewißheit haben, will das Glück der Schlachten ein für allemal entscheiden lassen. Darum fühlte er sich freier ums Herz; es war der letzte Entschluß!

Als die Reiter die Spitze des Berges erreicht hatten, blickten sie in ein schönes Tal, in dem Wiesen und Baumgruppen anmutig mit einander abwechselten. Es lag im tiefsten Frieden vor den Männern, die ihre Fernrohre hervorzogen, und die einzelnen Punkte musterten.

»Wie heißt das Tal?« fragte Maximilian.

»Das Tal der Hoffnung,« antwortete einer von den Offizieren, ein Mann mit einem ernsten, fast düsteren Gesicht; einer von denen, die die südliche Abstammung in den bestimmtesten Zügen und Farben auf ihrem Gesicht trugen.

»Wissen Sie hier Bescheid? Lopez?« fragte Maximilian.

»Ich war nur einmal vor vielen Jahren hier, Majestät,« antwortete Lopez. »Meine Erinnerungen sind dunkel.«

Der Kaiser sah wieder durch sein Fernrohr.

»Dort scheint eine neue und, wenn ich recht sehe, große Ansiedelung zu sein,« sagte er. »Weiß einer von den Herren, was für ein Ort das ist?«

Niemand konnte es sagen. Sie blickten sämtlich durch ihre Fernrohre nach jener Richtung und teilten sich ihre Bemerkung mit. Die Ansiedlung lag aus einer Höhe, die sich an die später hoch emporragenden Gipfel des gegenüberliegenden Gebirgszuges anlehnte. Es ließ sich deutlich ein großes, steinernes Gebäude unterscheiden, das von einer Anzahl neuer, zum Teil nur aus Brettern errichteter Gebäude umgeben war.

»Es ist erfreulich, daß sich in diesen unruhigen Zeiten noch irgend ein Mensch hier ansiedelt,« sagte der Kaiser. »Ich glaube, meine Herren, wir könnten unangefochten hinüberreiten und uns erkundigen, wer dort wohnt.«

»Unmöglich. Majestät!« rief der Offizier, der, wie der Kaiser, europäische Abstammung zeigte. »Wir würden uns zu weit entfernen ...«

»Aber, lieber Major, die Gegend erfreut sich der tiefsten Ruhe. Und unsere Begleitung kann uns ja folgen. Was meinen Sie?«

Diese Frage war an die mexikanischen Offiziere gerichtet. Lopez schien nichts einzuwenden zu haben, Mejia dagegen zeigte sich besorgter. Er meinte, man müsse doch wenigstens wissen, wer dort wohne, und ob dies ein Mann sei, bei dem sich der Kaiser zeigen dürfte.

»Gerade daran liegt mir wenig,« antwortete Maximilian. »Leider bin ich durch die unglückseligen Verhältnisse und durch den Verrat, der überall lauert, verhindert, mich unter das Volk zu mischen und unerkannt mit den Leuten zu plaudern. Hier böte sich eine Gelegenheit dar, und da wir auch durch unsere indianischen Kundschafter wissen, daß sich auf zwanzig Leguas im Umkreis keine liberale Lanzenspitze gezeigt hat, und da mir, offen gesagt, an einem Trunke frischen Wassers oder guten Weins gelegen ist – –«

Er wartete die Antwort seiner Begleiter nicht ab. Was war gegen den kaiserlichen Wunsch einzuwenden? Nichts Ernstes. Die Liberalen, die Anhänger der Republik, standen weit entfernt nördlich. Höchstens konnte ein Streifkorps bis in diese Gegend vorgedrungen sein, und diesem ließ sich wohl die Spitze bieten. Denn die Begleitung des Kaisers bestand aus ungefähr achtzig der trefflichsten Kavalleristen, die sich vor einem Handgemenge mit der doppelten oder selbst vierfachen Zahl feindlicher Reiter nicht fürchteten. Der Begleiter des Kaisers, Major Burger, ritt also zu den Reitern hinüber und gab ihnen den Befehl, in das Tal hinabzureiten. Die eine Hälfte sollte die Vorhut bilden, die andere dem Kaiser in kurzer Entfernung folgen.

So schnell es das äußerst schwierige Terrain erlaubte, ging es nun hinab in das Tal. Den Kaiser schien die Aussicht auf ein kleines Abenteuer, auf etwas Besonderes, frischer und munterer zu machen. Unten auf der Wiese angekommen, ließ er sein schönes Pferd so schnell ausgreifen, daß ihm die anderen nur mit Mühe folgen konnten. Bald sahen sie die Ansiedelung vor sich. Sie bestand in der Tat aus einer alten festen Hacienda, die man restauriert hatte, und aus einer Menge von hölzernen Nebengebäuden, die jedoch nur provisorisch errichtet zu sein schienen, denn große Haufen von Bachsteinen und behauenen Felsstücken deuteten darauf hin, daß später massive Gebäude an die Stelle der hölzernen Schuppen treten sollten.

Das ganze Tal war der Länge nach von einem kleinen Fluß durchschnitten, der den Uebergang wehrte, da er zu breit war, als daß man einen Versuch machen konnte, die Pferde hinüberspringen zu lassen. Seine steilen Ufer machten es aber unmöglich, ihn einfach zu durchreiten.

»Aber es muß doch hier eine Brücke geben!« rief der Kaiser verdrießlich.

»Ich sehe sie schon, dort in dem Hölzchen, der Hacienda gegenüber,« sagte Mejia. »Uebrigens eine vortreffliche Position hier, Majestät, wenn man den Feind über den Fluß locken und ihn dann zurücktreiben und auf transportablen Brücken, die sich leicht herstellen ließen, verfolgen könnte! Ueberhaupt wäre ich dafür, ihm eine Feldschlacht anzubieten. Dieses ewige Hocken in der Stadt entmutigt und demoralisiert die Soldaten.«

»Nun, wollen sehen!« antwortete Maximilian.

In wenigen Minuten erreichten sie die Brücke, die in einem Hölzchen über den Fluß führte. Sie war von ganz neuer und vortrefflicher Konstruktion, hochgewölbt, so daß sie den Uebergang möglich machte, auch wenn der Fluß aus seinen Ufern trat. Eisen und Holz bildeten ihre Hauptbestandteile.

»Das sieht aus wie amerikanische Arbeit,« sagte Major Burger.

»Sie meinen, nordamerikanische Arbeit!« sagte der Kaiser, und seine Stirn zog sich leicht zusammen. Er wußte recht gut, daß die regsamen unermüdlichen, praktischen Nachbarn im Norden seine größten Feinde waren, wenn sie auch nicht im offenen Kampfe mit ihm lagen.

»Wahrhaftig, da ziehen sie schon die Flagge auf!« rief Mejia, und in der Tat sah man jetzt an der Fahnenstange auf dem Gipfel der Hacienda das Sternenbanner der Union sich entfalten.

»Sie haben uns da drüben bemerkt und wollen sich vor einem Angriff schützen,« fuhr Mejia fort. »Das Banner der Union ist noch das einzige, vor dem unsere Landstreicher einigen Respekt haben.«

»Ja, leider mehr, als vor dem unsrigen,« sagte der Kaiser düster.

»Und auch mehr, als vor dem liberalen,« ergänzte Mejia.

Die Reiter hatten unwillkürlich ihre Pferde zum Stehen gebracht.

»Nun, wollen Ew. Majestät jetzt noch dort einen Besuch abstatten?« fragte Lopez.

»Ja, ich will es!« rief Maximilian. »Aber man darf dort nicht wissen, wer ich bin. Nennen Sie mich nur Oberst, meine Herren, meinetwegen Oberst Palocio; das ist ein ziemlich gewöhnlicher Name. Major Burger, geben Sie den Leuten die Weisung, die Hacienda gut im Auge zu behalten, auch auf der Rückseite!«

Damit ritt er langsam auf die Hacienda zu.

Es zeigte sich jetzt, daß auf der Ansiedlung ein reges Leben herrschte. Eine bedeutende Anzahl von Arbeitern, teils aus Nordamerikanern, teils aus Mexikanern bestehend – wie man leicht aus ihrer Tracht erkannte –, schienen mit dem Graben eines Brunnens beschäftigt zu sein. Andere besserten an den Dächern der Schuppen. Noch andere bemerkte man auf der Anhöhe, wo sie den Boden zu ebnen schienen. Keiner ließ sich durch die Ankunft der Fremden an seiner Arbeit stören. Einige große Hunde standen an der breiten Einfahrt, die zum Hofe führte. Wie fast bei allen mexikanischen Hacienden waren die Wohngebäude von einer großen, festen Mauer umgeben und lagen nach dem Hofe hinaus, den die Mauer umschloß.

»Zurück!« rief eine kräftige Stimme den Hunden zu, und unmittelbar darauf zeigte sich ein junger Mann, in der leichten Tracht eines wohlhabenden Landmannes, jedoch nicht in mexikanischer Nationaltracht. Er sah äußerst stattlich und männlich aus, hatte auch etwas in seinem Wesen, das den früheren Soldaten verriet. Er mochte 26 Jahre alt sein, vielleicht ein wenig älter, machte aber den Eindruck eines vollkommen sicheren und selbstbewußten Mannes. Er griff leicht an seinen Strohhut und fragte in gutem Spanisch, wen er die Ehre habe, vor sich zu sehen.

»Einige Offiziere der Kaiserlichen Armee!« antwortete Mejia. »Wir wünschen nur zu erfahren, wem diese Ansiedlung gehört und ob wir ein Glas frischen Wassers erhalten können.«

»Die Herren werden mir auf der Hacienda sehr willkommen sein!« antwortete der junge Mann, nahm seinen Hut ab und verbeugte sich. »Diese Hacienda gehört mir und mein Name ist Morel de Tréport.«

Ein leichtes Ah! entschlüpfte den Lippen des Kaisers; der Name war ihm nicht unbekannt. Kapitän Morel hatte sich in mehreren Gefechten gegen die Liberalen ausgezeichnet, dann seinen Abschied genommen und sich in Mexiko angesiedelt. Die Zeitungen hatten davon gesprochen; nur wußte der Kaiser nicht, wo sich der junge Franzose angesiedelt hatte.

Auf einen Ruf Morels eilten mehrere Burschen herbei, die den Offizieren ihre Pferde hielten. Edmond de Tréport zeigte den Herren den Weg. Es lag etwas so Leichtes, Feines in seinem Wesen, daß der Kaiser den jungen Mann mit sichtlichem Gefallen musterte.

»Wir haben doch nicht unrecht getan, unserer Neugierde nachzugeben,« sagte er leise zu Mejia, und dieser stimmte ihm mit einem Kopfnicken bei.

Die Hacienda war, so weit wenigstens, als die Offiziere bis jetzt zu urteilen imstande waren, nur einfach ausgestattet. Man sah, daß noch nicht alles in Ordnung sei. Das Eßzimmer, in das Edmond seine Gäste führte, lag hinter mehreren anderen Räumen nach der Seite des Tales hinaus; es bot schon einen wohnlicheren und freundlicheren Eindruck. Die Decken auf dem steinernen Fußboden, das große schöne Büfett, die Lampe an der Decke, die geschnitzten Stühle verrieten einen guten und einfachen Geschmack. Edmond hatte schon beim Eintritt in die Hacienda einem Diener einige Worte in einer fremden Sprache zugerufen, und kaum hatten die Offiziere an dem großen Tische im Eßzimmer Platz genommen, als der Diener – seinem Aussehen nach ein Araber – mit einem riesigen Kühlgefäß erschien, in dem zwei Karaffen mit Wasser und andere Flaschen mit Wein standen. Ein anderer Diener breitete eilig ein schneeweißes Tischtuch über den Tisch und ein dritter setzte Schinken und kaltes Geflügel auf den Tisch. Der Kaiser, der etwas ermüdet in seinem Sessel saß, sah dem allen aufmerksam zu. Der Wirt des Hauses sprach am Fenster mit Mejia und nannte ihm die Namen einiger Bergspitzen. Jetzt kam er an den Tisch zurück und bat die Herren, zu befehlen, was sie zu essen und zu trinken wünschten. Inzwischen brachte ein Diener noch andere kalte Gerichte.

»Nun, in der Tat,« rief der Kaiser lachend, »hier glaubt man nicht in Mexiko zu sein! Das geht schnell, wie in Tausend-und-einer-Nacht. Und dann sehe ich Gerichte, die Mexiko nicht kennt – jenes kalte Rostbeaf zum Beispiel –.«

»Ich habe Arbeiter von verschiedener Nationalität auf meiner Hazienda,« antwortete Edmond lächelnd. »Und da ich wünsche, daß sie sich hier möglichst wohl fühlen, so sorge ich dafür, daß sie, so weit es natürlich möglich ist, ihre National-Speisen und Getränke erhalten.«

»Wie, Sie nehmen diese Rücksichten auf einfache Arbeiter?« rief der Kaiser erstaunt.

»Nun, so einfach sind einzelne nicht,« erwiderte Edmond. »Es sind Ingenieure unter ihnen, die in ihrer Heimat bedeutende gesellschaftliche Stellungen einnahmen. Gewöhnliche Arbeiter kann ich hier überhaupt nicht brauchen. Es müssen ausgezeichnete, tüchtige Leute sein. Aber die Herren müssen nun auch zulangen – sie haben nur zu befehlen.«

»Weshalb zogen Sie bei unserem Herannahen die amerikanische Flagge auf?« fragte der Kaiser.

»Weil wir nicht wußten, wer Sie seien,« antwortete Edmond, »und weil ich amerikanischer Bürger geworden bin.«

»Sie meinen unter diesem Schutz am besten aufgehoben zu sein?« fragte der Kaiser.

»Unter den hiesigen Verhältnissen, ja!« antwortete Edmond unbefangen.

Der Kaiser schwieg, trank mit Wohlgefallen von dem kalten, klaren Wasser, das er mit Wein vermischt hatte, und als er sah, daß die übrigen Offiziere tapfere Angriffe auf die kalten Speisen machten, griff auch er zu und lobte die Küche. Edmond beobachtete ihn, ohne auffällig zu werden, aufmerksam.

»Weshalb graben Sie einen Brunnen, wenn Sie so gutes Wasser besitzen?« fragte der Kaiser.

»Weil die kleine Quelle, aus der wir dieses Wasser schöpfen, nicht ausreicht und im Sommer versiegt. Wir brauchen viel Wasser.«

»Sie haben viele Arbeiter und Diener?«

»Ja, jetzt sechzig Ingenieure und Handwerker und außerdem eine Menge Diener, wie das hier in Mexiko Sitte ist. Später kehren natürlich die meisten Ingenieure und Techniker nach ihrer Heimat zurück oder suchen andere Stellungen.«

»Und was wollen Sie hier bauen?« fragte der Kaiser.

»Alles,« antwortete Edmond fröhlich. »Acker, Wiese, Berg, Wald – alles soll mir Untertan werden.«

»Aber Sie waren nicht immer Landmann. Ich glaube gehört zu haben, daß Sie in der französischen Armee standen?«

»Ganz recht. Ich verließ die Armee, weil ich erriet, daß dieser Stand meiner Braut nicht angenehm sei.«

»Und Sie sind verheiratet mit einer Französin?«

»Nein, mit einer Tochter Don Lotario de Toledos.«

»Ah – ich kenne den Namen,« sagte der Kaiser nachdenklich. »Ein großer Grundbesitzer in Arizona. Es scheint fast, als wollten Sie hier ebenfalls eine großartige Kolonie gründen.«

»So groß ich kann,« antwortete Edmond.

»Es wird Ihnen glücken, Sie sind der Mann dazu!« sagte der Kaiser. Dann fügte er mit einem leichten Seufzer hinzu: »Ihre Tätigkeit wird sicher fruchtbringend sein. Aber wem wird sie zugute kommen – dem Kaiser oder der Republik?«

»Vor allem den Mexikanern selbst,« erwiderte Edmond. Dann, wie um das Gespräch sogleich von diesem Thema abzulenken, bat er den Kaiser, von einer Flasche echter Chartreuse zu kosten, die vor ihm stand.

»Wie glücklich Sie sind!« sagte Maximilian. »So unabhängig! Reich und keine Sorgen! Welch schönes Los!«

Dachte er an die Vergangenheit? Er war nahe daran, sich zu verraten; das mochte ihm einfallen, denn er zwang sich schnell zur Heiterkeit und scherzte über den Appetit, den Lopez und Mejia entwickelten.

»Könnten wir nicht das Vergnügen haben, der Dame des Hauses unsere Aufwartung zu machen?« fragte Maximilian.

»Es würde ihr gewiß eine hohe Ehre und ein großes Vergnügen sein,« erwiderte Edmond. »Aber – vor acht Tagen hat sie mich mit unserem ersten Kinde, einem Knaben, beschenkt, und sie muß das Zimmer hüten.«

»Ein Knabe!« sagte der Kaiser mit einem leichten Seufzer. »Ich habe leider keine Kinder.«

Dann erhob er sich schnell.

»Wir wollen Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen!« sagte er. »Hoffentlich sehen wir uns wieder, und ich kann Ihnen in Mexiko Ihre Gastfreundschaft vergelten. Was glauben Sie? Werden die Banden des Juarez es mit uns aufnehmen können?«

»Nun,« antwortete Edmond unbefangen, »ich war, wie Sie wissen, französischer Soldat und habe gefunden, daß diese Banden, wenn sie einigermaßen diszipliniert sind, sich vortrefflich schlagen.«

»Ja, einzeln, aber nicht im großen und ganzen,« versetzte der Kaiser. »Ich denke, wir halten Ihnen in Queretaro Stand, bis unsere Armee, die durch den Abzug dieses Verräters – – – doch Sie sind selbst Franzose!«

»Nicht so sehr, um nicht anzuerkennen, daß Bazaine eine sehr wenig ehrenvolle Rolle gespielt hat, als er plötzlich die kaiserliche Regierung sich selbst überließ.«

Der Kaiser stand auf und blickte finster vor sich hin. Man sah es ihm an, wie gern er über diesen Gegenstand gesprochen hätte. Aber er sagte sich doch wohl, daß hier nicht die Gelegenheit dazu sei.

»Sie halten es mit den Republikanern?« fragte er dann.

»Das möchte ich nicht ohne weiteres bejahen,« antwortete Edmond. »Ich wünsche diesem Lande vom Grund meines Herzens einen baldigen Frieden, und werde alle meine Sympathien und auch meine Unterstützung, soweit die überhaupt Wert haben, dem zuwenden, von dem ich hoffe, daß er dem Lande baldigen und dauernden Frieden bringt.«

»Aber wie kann – wie kann der Kaiser das, wenn ihn überall Mißtrauen und böser Wille umgibt?« rief Maximilian fast heftig aus. »Es gibt keine Treue hier in Mexiko. Erobern Sie eine Provinz, richten Sie alles aufs beste ein, man huldigt Ihnen, liegt Ihnen zu Füßen, und wenn Sie den Rücken gewandt haben, kommen die Republikaner. Niemand denkt mehr an die Verpflichtung, die er gegen Sie eingegangen – es ist, als wäre nichts geschehen, nichts dagewesen. Und dann ist dieses Land so groß! Es würde eine Armee von Hunderttausenden dazu gehören, um auch nur die wichtigsten Punkte zu besetzen!«

Da Edmond darauf nichts erwidern konnte, als daß dies ebenso wahr als traurig sei, daß der Kaiser dies aber vorher wissen mußte, so schwieg er. Auch wurde die Aufmerksamkeit der Anwesenden durch das Eintreten eines alten Mannes in Anspruch genommen.

Es war Dantes. Seine Gestalt zeigte nicht mehr die frühere Festigkeit, sie war nicht gebrochen, aber jetzt verriet doch alles an ihm, nicht nur das eisgraue Haar und der Bart, sondern auch die gebückte Haltung, der langsame Schritt, den Greis. Diese Aenderung war seit der Ermordung Lincolns an ihm zu bemerken gewesen. Was Alter, Anstrengungen und Entbehrungen nicht vermochten, daß hatte die Trauer um den verehrten Toten getan, und mehr noch als die Trauer – das Entsetzen über unberechenbare Fügung jener höchsten Gewalt, in deren Hand das Leben der Menschen liegt.

Edmond eilte mit einem freudigen Rufe auf Dantes zu, dessen Kleider bestaubt waren, als komme er von einer weiten Reise. So war es auch. Seit ungefähr einem Vierteljahr hatte Edmond seinen zweiten Vater nicht gesehen. Dantes war in seiner ihm eigenen Weise durch das Land gepilgert, geheimnisvoll wirkend, hier nur einen Armen und Hilfsbedürftigen stärkend und tröstend, dort ganze Versammlungen, ganze Stämme zu Handlungen überredend, die gewichtig in die Wagschale der Politik fielen. Heute schlief er in der Hütte eines Indianers, morgen unter dem Zelt eines Soldaten, übermorgen in der Hacienda eines reichen Grundbesitzers. Seine Aufgabe war, die Gemüter milder und zur Versöhnung zu stimmen, wahre Menschlichkeit zu predigen. Aber er konnte gerade um dieser Zwecke willen der Politik nicht fern bleiben. Er sah ein, daß sein verehrter, toter Freund recht hatte: ehe Mexiko zur Ruhe kam, ehe in diesem so schönen, so reichen und so unglücklichen Lande der Baum der wahren Gesittung Wurzel fassen konnte, mußte eine dauernde Regierung hergestellt sein. Unter fortwährenden Stürmen und Gewittern konnte kein Staat gedeihen.

Nach der ersten Begrüßung teilte Edmond dem Missionar mit, daß er Vater sei. Ein frohes Lächeln zog über das gebräunte, tiefgefurchte Gesicht des alten Mannes.

»Es ist der Trost dessen, der bald die Erde verlassen wird, daß die Geschlechter der Guten nicht aussterben,« sagte er.

Inzwischen hatte Maximilian den Missionar mit großem Interesse betrachtet, und als sich die Blicke der beiden begegneten, und auch die Miene Dantes eine gewisse Ueberraschung zeigte, ging Max auf ihn zu und sagte:

»Es freut mich, Sie wiederzusehen, ehrwürdiger Herr. Wäre es Ihnen möglich, mir nur auf einige Minuten eine Unterredung mit Ihnen allein zu gewähren?«

»Ich stehe zu Ihren Diensten,« antworte Dantes voll Würde und Ehrerbietung.

»Ist Dein Bibliothekzimmer frei, Edmond?«

Der junge Mann bejahte und Max folgte dem voranschreitenden Missionar in ein nahes Zimmer.

Die beiden hatten sich schon einmal gesehen. Als Dantes vor ungefähr anderthalb Jahren nach Mexiko gekommen, hatte er sehr bald den jungen Kaiser aufgesucht, der damals schon mit gewaltigen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, aber voller Hoffnungen war. Zuerst hatte der an eine andere Sprache gewöhnte Monarch in dem greisen Missionar nur einen Zudringlichen gesehen; bald aber war er, als er die ungemeine Personen- und Sachkenntnis des alten Mannes erkannte, anderer Meinung geworden.

Dantes war gekommen, um dem Kaiser zu sagen, daß er nicht hoffen könne, sich in Mexiko zu halten, wenn er nicht die Krone niederlege. Ohne den Willen der nordamerikanischen Union sei keine Monarchie in Mexiko möglich, und die nordische Republik werde diese nicht dulden. Er sehe ein, daß dem amerikanischen Volke ein klangvoller Name einen gewissen Respekt einflößen werde, aber er behauptete, auch als Präsident einer Republik werde dieser Name seine Wirkung üben.

Er machte auch kein Hehl daraus, daß er eine gewisse Sympathie für Juarez fühle, weil dieser einer indianischen Familie entsprossen sei; es stehe, sagte er, mit seiner Ueberzeugung im Einklang, die Hebung der sogenannten niederen Menschenrassen, zu denen auch die Indianer gerechnet würden, zu begünstigen. Andererseits aber verkenne er nicht, daß ein Indianerpräsident stets auf sehr viele Gegner im Lande stoßen werde, und deshalb wolle er, daß Mexiko bald seine Ruhe wiedererlange, den jetzigen Kaiser unterstützen, wenn er dem Titel Kaiser entsage.

Die Hilfsmittel, die er darbot, waren so bedeutend, daß Maximilian staunte. Aber Max von Habsburg war zu sehr an die Traditionen der Monarchie gewöhnt; er erklärte, seine Würde, die ihm ja das Volk übertragen, nicht aufgeben zu können. Vergebens machte Dantes ihn aufmerksam, daß es mit der Wahl zum Kaiser eine eigene Bewandtnis gehabt habe, daß sie unter dem Druck der französischen Bajonette vollzogen worden sei. Maximilian wollte jeden guten Rat annehmen, nur nicht denjenigen, dem Throne zu entsagen.

Das war der Inhalt ihrer damaligen Unterredung gewesen. Jetzt knüpfte der Kaiser sogleich da an.

»Nun, ehrwürdiger Herr,« sagte er, »Sie sind jetzt längere Zeit in Mexiko. Wollen Sie mir offen sagen, was Sie von meiner Lage halten? Haben Sie das Volk studiert? Haben Sie gefunden, daß das Kaisertum Wurzel gefaßt? Wenn ich erst den Verrat der Franzosen überwunden und die Hilfskräfte, die mir durch den Abzug eines verräterischen Bundesgenossen entzogen worden, durch andere ersetzt habe, so hoffe ich stark genug zu sein, um die einzelnen republikanischen Banden allmählich zu vernichten.«

»Sie fragen mich um Rat, Sire,« sagte Dantes, »und antworten doch selbst auf Ihre Fragen. Ja, ich habe das Volk, das ich übrigens längst kenne, genau studiert. Käme es nur auf die Persönlichkeit an, so glaube ich in der Tat, daß Sie die Mehrzahl der Stimmen für sich hätten. Aber mit Ihnen zieht auch das Pfaffenregiment, die geistige Bevormundung in Mexiko wieder ein, und Ihre Gegner sind zahlreicher als je. Juarez gebietet in diesem Augenblick über zahlreiche Truppen. Ich glaube, daß Ihre Herrschaft nicht länger als drei, höchstens sechs Monate dauern wird.«

Der Kaiser lächelte etwas gezwungen.

»Ich will hoffen, daß Sie Gespenster sehen,« sagte er dann, »meine Truppen sind nicht so zahlreich, wie die der Liberalen; aber ich kann ihnen vertrauen und sie sind besser geschult.«

»Ich verstehe nicht viel vom Militär,« sagte Dantes. »Ich weiß nur, daß die letzten Dekrete und namentlich das, das jeden Gefangenen als Banditen niederzuschießen befiehlt, Ihnen viele entfremdet haben, die früher zu Ihnen hielten.«

»Es war nicht so gemeint!« rief Max. »Bazaine hat mir das Dekret abgedrungen – es soll nicht ausgeführt werden.«

»Es ist aber ausgeführt worden!« antwortete Dantes. »Sir, denken Sie an Ihre persönliche Sicherheit! Sie sind von Verrätern umgeben ...«

»Das glaube ich nicht!« rief Max lebhaft, fast unwillig.

»Erinnern Sie sich meiner Worte – wenn es zu spät ist!« sagte Dantes traurig. »Geraten Sie in Gefangenschaft, so fürchte ich, werden Sie Ihr Dekret entgelten müssen und selbst vor ein Kriegsgericht gestellt werden.«

»Sie sprechen im Sinne meiner Feinde,« sagte der Kaiser etwas kalt. »Sie sind zur Juaristischen Partei übergegangen.«

»Da ich nie zu einer anderen Partei gehörte, so könnte man mir keinen Vorwurf daraus machen, wenn ich Juarist wäre,« antwortete Dantes ruhig. »Aber ich bin es nicht. Ich habe nur allmählich die Ueberzeugung erlangt, daß jede fremde Regierung in diesem Lande unmöglich ist.«

Nun, das werden wir sehen!« rief der Kaiser etwas gereizt.

»Ich bitte Sie nochmals, Sir, denken Sie an Ihre persönliche Sicherheit!« sagte Dantes.

»Sie wünschen wohl, daß ich aus Furcht das Land verlassen möge?« fragte Max.

»Sie verkennen mich, Sir,« antwortete Dantes traurig. »Aber ich weiß und ich sage es Ihnen: Es fehlt nicht an Verrätern in Ihrer unmittelbaren Nähe. Sie sind nun einmal jedem Eingeborenen, er mag gehören zu welcher Partei er wolle, ein Fremder, und einem Fremden gegenüber macht sich der Mexikaner kein Gewissen aus einem Verrat.«

»Ich danke Ihnen, ich werde vorsichtig sein,« sagte der Kaiser etwas gezwungen und erhob sich von seinem Sitz. Der Greis öffnete ihm die Tür und beide kehrten nach dem Eßzimmer zurück.

Dort hatte inzwischen Edmond harmlos mit den Offizieren geplaudert. Lopez hatte wissen wollen, wer der alte Herr sei, aber Edmond hatte ihm nur oberflächlich geantwortet. Es lag wenig Angenehmes und Ansprechendes in dem Gesicht dieses Mannes, und Edmond fühlte nicht den geringsten Beruf, die Neugierde zu befriedigen.

Edmond fragte als höflicher Wirt, ob seine Gäste die Siesta (Nachmittagsruhe) bei ihm zu halten oder ob sie die Hacienda zu besichtigen wünschten. Der Kaiser, der sichtlich verstimmt war, lehnte ab, bedankte sich freundlich bei Edmond und reichte ihm zum Abschied die Hand.

»Wenn Sie nach Queretaro oder Mexiko kommen,« sagte er, »so hoffe ich, werden Sie mich besuchen. Ich bin Maximilian von Mexiko.«

»Ich glaube die Züge Euer Majestät erkannt zu haben,« sagte er. »Aber ich fühlte mich verpflichtet, Ihr Inkognito zu achten.«

»Also aus Wiedersehen!« rief der Kaiser. »Nehmen Sie sich vor den Juaristischen Banden in acht, sie verstehen das Plündern. Und wenn ich einmal Appetit aus Rostbeaf haben sollte, so sende ich zu Ihnen und appelliere an Ihre Großmut.«

»Das würde mir eine große Freude machen,« antwortete Edmond auf diese lachend gesprochenen Worte. Er begleitete die Offiziere bis zum Tor. Die Herren schwangen sich auf ihre Pferde und sprengten fort.

Dantes und Edmond blickten ihnen gedankenvoll nach.

»Kein übler Mann!« sagte Dantes. »Er hat guten Willen, es fehlt ihm nicht an Verstand. Aber er ist zu seinem Unglück in dieses Land gekommen. Niemand kümmert sich hier ernstlich um ihn, die Mehrzahl seiner Anhänger widmet ihm ihre Dienste aus Parteirücksichten oder aus Eigennutz. Es mangelt fast allen an der persönlichen Hingebung und Treue, ohne die ein Monarch in schwierigen Zeiten nichts Großes ausrichten kann. Die einzigen Treuen sind die Deutschen, die er mit sich gebracht. Aber was können sie ausrichten? Was hilft es ihm, wenn er sich einige Monate tapfer gegen die Republikaner schlägt? Selbst wenn er siegt, huldigt ihm Mexiko nicht. Ich wünschte, er fiele nicht in die Hände der Republikaner. Juarez selbst ist nicht blutdürstig, aber es sind einige Männer in seiner Nähe, die ein Exempel statuieren wollen und aus einem Kriegsgericht Ernst machen würden.«

»Hoffentlich bleibt eine solche Tat diesem: Lande erspart!« sagte Edmond. »Doch, mein lieber Vater – lassen wir uns das Herz nicht allzu sehr beschweren mit Sorgen um Personen, die auf unsern Rat nicht hören würden! Bedenken wir, daß Land und Volk trotz aller wechselnder Regierungen bleiben und daß wir hauptsächlich für die Ersteren wirken müssen. Kommen Sie und sehen Sie sich meinen prächtigen Knaben an! Und wie wird sich Inez freuen!«

»Ja, lassen wir der Gegenwart ihr Recht!« rief der Greis tief aufatmend.

Sie gingen hinein in die Hacienda.

Inzwischen ritt der Kaiser im vollen Galopp das Tal entlang, zurück nach der Gegend, aus der er gekommen. Er wollte nicht sprechen. Die Unterredung mit Dantes hatte ihn verstimmt. Er wußte leider selbst gut genug, daß seine Stellung verzweifelt war. Mußten denn auch andere es ihm sagen? Sein einziger Trost lag in der Hoffnung, daß dieser Zustand bald ein Ende nehmen müsse.

Allmählich begann er dann ein Gespräch über militärische und Terrain-Verhältnisse. Der Kaiser vermied es absichtlich, von der Hazienda zu reden, obwohl Mejia und auch der Major Burger in ihrer Unbefangenheit mehrmals auf den freundlichen Wirt, sein angenehmes Wesen und das, was er ihnen über seine Einrichtungen erzählt, während der Kaiser mit Dantes abwesend war, zurückkamen.

*

Nach anderthalb Stunden erreichten die Offiziere Queretaro, eine für amerikanische Verhältnisse große und bedeutende Stadt von beinahe 50 000 Einwohnern. Wie die Mehrzahl der mexikanischen Städte war sie nicht befestigt, bot aber doch einige für die Verteidigung sehr brauchbare Punkte. Die Klöster sind in Mexiko sehr groß und fest gebaut und stehen meist leer. Sie bilden deshalb, wenn sie zweckmäßig für die Verteidigung eingerichtet und mit Erdwerken umgeben werden, Widerstandspunkte, die nicht leicht zu nehmen sind.

Queretaro bot hauptsächlich zwei solcher Oertlichkeiten: den Konvent de la Cruz im Osten der Stadt, mit einem sehr festen Kirchhof, und den Cerro de las Campanas im Nordwesten der Stadt, einen sehr geräumigen Hügel, auf welchem der Kaiser Maximilian sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Beide Punkte beherrschten die Stadt. Diese aber und der Convent de la Cruz wurden wieder von einem hohen Berge, dem Cimatario, beherrscht, der bis jetzt noch nicht in die Verteidigungslinie von Queretaro hatte gezogen werden können.

Dem Kaiser fehlten Mannschaften. Er gebot nur über 4000 Mann Infanterie, 3000 Mann Kavallerie und 44 Geschütze. Die Truppen waren fast ausschließlich Mexikaner. Maximilian hatte zeigen wollen, daß er sich auf die Eingeborenen verlassen könne, und die bei weitem überwiegende Mehrzahl der Fremdentruppen, d. h. der Deutschen, war in Mexiko zurückgeblieben. Es galt ja, die Hauptstadt und das ebenfalls sehr wichtige Puebla gegen die von allen Seiten heranrückenden Republikaner zu verteidigen.

In einem der Häuser, welche sich nach dem Cerro de las Campanas hinaufziehen, saß am Spätnachmittag des Tages, an welchem die Offiziere jenen Besuch auf der Hacienda Morels gemacht hatten, eine junge Frau, nachlässig zurückgelehnt in einem nicht eben neuen und sauberen, aber bequemen Sessel. Durch das geöffnete Fenster, das eine Marquise schützte, konnte man hinaufsehen nach dem Cerro de las Campanas. Sie rauchte Zigaretten, ein gefülltes Kästchen und ein Kohlenbecken standen neben ihr.

Das Zimmer war äußerst einfach möbliert, wie dies gewöhnlich bei allen Mexikanern, die sich nicht ganz besonderen Reichtums erfreuen, der Fall ist. Eine Decke auf dem steinernen Fußboden, ein massiver Tisch, einige gebrechliche Stühle, ein altes Fauteuil, demjenigen ähnlich, in welchem die junge Frau saß, und eine Etagere an der sonst nackten Wand, nichts weiter. Die Tür zum Nebenzimmer war geöffnet, und man sah in ein kleines Schlafgemach, in dem auch die Hängematte nicht fehlte, welche den Mexikanern zu ihrer Siesta unentbehrlich ist.

Es war eine Frau von ungefähr vierundzwanzig Jahren, mit einem seinen Gesicht, glänzend braunem, etwas gelocktem Haar und ungemein sehnsüchtigen Augen – Marion Lamothe. An Schönheit hatte sie noch nichts verloren, nur waren ihre Formen ein wenig voller geworden und der erste Hauch der Jugend war verschwunden. Um Augen und Mund zeigten sich deutlich jene eigentümlichen Züge, die dem Kenner Begehrlichkeit und Leichtsinn verraten.

Sie war jetzt Donna Guarato. Don Luis hatte seinen Willen durchgesetzt, den glühendsten Wunsch seiner Seele erreicht, freilich nur durch das Zusammentreffen günstiger Umstände.

Als Edmond de Tréport damals die Hacienda verließ, war Marion ihm zu Fuß bis nach Cordova gefolgt. Halb wahnsinnig wurde sie dort von ihrem Vater und Don Luis gefunden. Der Franzose, ein Mann von echtem Stolz und hohem Ehrgefühl, war bis in die Seele verletzt durch die wilde Leidenschaft seiner Tochter.

Er schloß sie in ihr Zimmer ein und sprach dann offen mit ihr. Er sagte ihr, daß er alles wisse, was zwischen ihr und Don Guarato vorgegangen, und daß er keinen anderen anständigen Ausweg für sie sehe, als die Verbindung mit dem Kreolen, so unangenehm ihm diese auch war. Marion, die Seele noch erfüllt von der Erinnerung an Edmond, hatte den Vorschlag des Vaters hohnlachend zurückgewiesen. Aber Zeit und Einsamkeit haben eine mächtige Ueberredung. Da der Vater sie trotz ihrer Verzweiflung, Bitten und Drohungen eingeschlossen hielt, so erwachte allmählich die Sehnsucht nach Freiheit in ihr. Auch erfuhr sie, daß Don Guarato ausgezeichnet worden war. Er hatte den Franzosen durch eine Verräterei wesentliche Dienste geleistet und war mit dem roten Bändchen der Ehrenlegion, sowie mit einer nicht unbedeutenden Geldsumme belohnt worden.

Nun kannte er sich nicht mehr vor Stolz und die ganze Provinz hallte wider von seinen ruhmrednerischen Phrasen. Er war auch – obwohl Marion stets sein höchstes Ideal blieb – kühn genug, zu erklären, daß ihm nun der Weg zur Tochter jedes mexikanischen Herzogs offen stehe. Gerade das machte Eindruck auf Marion. Sie hätte einen Liebhaber zu ihren Füßen verzweifeln sehen können, es würde sie nicht gerührt haben. Aber zu denken, daß irgendeiner ihrer Anbeter sie verlassen könne – unerträglich!

So willigte sie denn ein, die Gattin des Kreolen zu werden, natürlich mit dem Hintergedanken, ihn entgelten zu lassen, was sie selbst erduldet und ihm das Leben in jeder Hinsicht schwer zu machen. Sie war Donna Guarato geworden.

Und als ob das Schicksal ihrem schwergeprüften Vater kein anderes Los vorbehalten habe, als das vollendet zu sehen, was ihm das Unliebste und Widerwärtigste gewesen – die Verbindung der Tochter mit einem Manne, den er verachtete, starb er bald darauf. Auf einer Fahrt nach Veracruz hatte er sich das Fieber geholt. Unterschätzte er die Gefahr, oder war ihm der Tod gleichgültig – wer kann es wissen? Er kümmerte sich nicht um das Fieber und starb vierzehn Tage nach seiner Rückkehr.

Unter den verworrenen Verhältnissen, die in Mexiko herrschten, war nicht daran zu denken, daß die Hacienda gut verkauft werden könnte, obwohl sie durch Lamothe sehr gehoben worden. Don Guarato hatte sie übernehmen müssen; da er eifersüchtig war, auch einsehen lernte, daß das Leben eines Parteigängers sehr große Gefahren biete, so hatte er nicht übel Lust, wieder ein Haciendero zu werden und mit Marion in angenehmer Einsamkeit auf der Hacienda zu leben. Aber Marion erklärte sich entschieden dagegen.

Die Franzosen waren um diese Zeit in Mexiko eingerückt. Dorthin wollten sie ziehen. Die tausend Unzen, die ein Nachbar für das Gut des Franzosen gegeben, schienen ihr eine unerschöpfliche Summe. Genug, das junge Paar siedelte nach der Hauptstadt über.

Von jener Zeit an wurde das Leben für Don Luis zu einer fortdauernden Qual. Seine Eifersucht ließ ihm keine Ruhe und er wußte, daß er Grund dazu hatte. Er beschränkte seine Gattin in allen Vergnügungen und erhielt deshalb selten ein freundliches Wort von ihr. Dennoch konnte er sie nicht so streng bewachen, wie er gehofft. Als der General Bazaine nach Mexiko gekommen war, erhielt Don Luis einen ziemlich einträglichen Posten im Lieferungswesen, der ihn jedoch zwang, sich oft von Mexiko zu entfernen. Es hieß, ein einflußreicher Offizier habe ihm diesen Posten verschafft, ohne daß Don Luis sich darum beworben. Und so war es auch.

Der Offizier hatte Marion gesehen und sich mit ihr verständigt. Das dauerte ungefähr ein Jahr. Dann schöpfte Don Luis Verdacht. Aber Marion wußte ihn zu beruhigen, auch stand der Offizier zu hoch für die Rache Don Guaratos. Nur das eine setzte er durch: Die Verlegung seines Wohnsitzes nach Puebla.

Nun kam Kaiser Maximilian nach Mexiko. Marion, in jeder Beziehung das Gegenteil ihres Vaters, schwärmte für äußeren Glanz und für alles, was mit den Hohen und Mächtigen dieser Erde in Verbindung stand. Im übrigen von der Macht der Schönheit überzeugt, hatte sie alles Erdenkliche daran gesetzt, um von dem Kaiser bemerkt zu werden. Aber entweder gefiel sie ihm nicht, oder seine vielen Sorgen ließen ihm keine Zeit zu solchen Tändeleien – genug, ihre Bemühungen waren vergebens geblieben. Ihre Lage wurde traurig.

Don Luis hatte sich auf Unterschleifen ertappen lassen und verdankte nur einem Fußfall Marions vor einem Minister, vielleicht auch noch tiefere Entwürdigungen, daß er einfach aus seinem Amte entlassen wurde. Das Erbe des Vaters war verbraucht. Armut nahte sich der schönen Französin – das Entsetzlichste, was sie kannte! Dennoch liebte Don Guarato sie zu sehr, um zu dulden, daß sie ihre Schönheit dazu benutzte, Fleisch in die Küche und Wein in den Keller zu bringen.

Marion war also genötigt, vorsichtig und auf eigener Hand ihrem äußeren Elend abzuhelfen. Da sie Anlage zum Zeichnen und Malen besaß, so malte sie Fächer und andere Kleinigkeiten und erzählte ihrem Gatten, wie gut sie diese verkaufe. Die Wahrheit erfuhr Don Guarato nicht. Es war ihm auch recht, als Marion den Vorschlag machte, nach Queretaro zu ziehen, das wegen seiner Billigkeit berühmt war. Er hatte keine Ahnung davon, daß Marion nur einem Herrn folgen wolle, der eine sehr einträgliche Stellung dort von der Regierung erhalten hatte und auch sonst reich war. Er gewöhnte sich allmählich daran, daß seine Frau ihn ernährte, und glaubte, es gehe alles mit rechten Dingen zu.

Als Kaiser Max im Februar nach Queretaro kam, um dort die Juaristen zu erwarten, war es Don Luis gelungen, eine Stelle als Sergeant in der Kavallerieabteilung zu erhalten, welche den Kaiser auf jenem Ritt nach der Hacienda Edmonds begleitete. Er hatte jetzt wieder ein größeres Zutrauen zu Marion gefaßt und ahnte nicht im entferntesten, daß er auch diese Stellung nur dem Gönner seiner Frau verdanke. Er war träge und vor der Zeit alt geworden. Marion machte aus ihm, was sie wollte. Nur in dem Punkt der Eifersucht verstand er keinen Spaß. Marion war aber klug geworden und tiefstes Geheimnis deckte jeden ihrer unerlaubten Schritte.

An jenem Nachmittage nun hätte Don Luis Guarato schon zurückgekehrt sein müssen, denn der Kaiser war längst wieder auf dem Cerro de las Campanas eingetroffen. Ein Sergeant aber sollte die Wache für ihn übernehmen, bis der Sergeant, der an der Reihe war, von der Fouragierung zurückgekommen sein würde. Er hatte dies seiner Frau sagen lassen, und diese konnte sich also noch einige Zeit ungestört dem Zusammensein mit einem Manne hingeben, der seit einiger Zeit angefangen hatte, ihr in aller Stille den Hof zu machen.

Dieser Mann saß jetzt einige Schritte von ihr entfernt in dem anderen Sessel und rauchte ebenso unermüdIich wie sie seine Zigaretten. Er war ein blasser, ungefähr dreißigjähriger Mann, mit einem sehr regelmäßig geformten, schönen Gesicht, das aber tiefe, vorzeitige Furchen und den unverkennbaren Ausdruck einer stürmisch durchlebten, von wilden Leidenschaften untergrabenen Jugend trug. Sein Anzug war nicht der eines Mexikaners, sondern eines Europäers und verriet eine gewisse Sorgfalt, obwohl er nicht neu oder elegant war.

Ohne Zweifel hatte dieser Mann bessere Tage gesehen und war heruntergekommen. Er nannte sich Kapitän Brandon und sagte, daß er sein Vaterland Georgien verlasten habe, weil er den Sieg des Nordens über den Süden nicht habe ertragen können. Es war Ralph Pettow.

Wäre es nicht verdammenswerte Schwäche, auch nur einen Schimmer von Mitleid mit Menschen von dem Schlage Pettows zu empfinden, so hätte das Los dieses Verbrechers allerdings ein gewisses Bedauern einflößen können. So schmählich enttäuscht wie er war selten ein Mensch worden. Alles, was er gehofft, erwünscht, erstrebt, wonach er mit diabolischer Anstrengung gerungen, war unter ihm gewichen wie die trügerische Oberfläche eines Sumpfes unter den Tritten eines verirrten Wanderers. Eliza war ihm entrissen worden – o, wenn er jetzt daran dachte, so hätte er sich heute noch eine Kugel durch den Kopf jagen mögen, daß er sie nicht getötet oder Schlimmeres getan, um ihr Leben für ewig zu vergiften! Georgiana hatte er selbst geopfert.

Die Rebellion war mißlungen. Arm, von ohnmächtigem Rachedurst und Neid verzehrt, hatte er fliehen müssen. Denn für ihn gab es keinen Pardon. Nie konnte er nach der Heimat zurückkehren, in welcher ihn das Schaffott erwartete. Und auch in der Fremde konnte er nie hoffen, eine Stelle von Bedeutung einzunehmen. Seinen wahren Namen durfte er nicht nennen, der war fast jedem Amerikaner von Neuyork her, wenigstens jedem amerikanischen Beamten, bekannt. So blieb ihm nichts übrig, als sich durchs Leben zu schlagen, so gut es ging.

Er, der reiche Verwandte Mr. Everetts, der frühere Dandy und Tonangeber der Neuyorker Jugend, hatte in einigen mexikanischen Küstenstädten als gemeiner Lastträger sein Brot verdienen müssen, bis es ihm endlich gelungen, sich so viel zu sparen, um sich einen leidlichen Anzug zu kaufen und nach Mexiko zu gelangen, wo er sich bald emporzuschwingen hoffte.

Aber auch hier war ihm nichts geglückt. Zu ehrlicher, anhaltender, treuer Arbeit war er verdorben; es fehlte ihm weder an Kenntnissen, noch an Scharfsinn, um eine bedeutende Stellung auszufüllen. Aber er besaß nicht mehr den inneren sittlichen Halt, der zu großen Anstrengungen befähigt, der dulden, leiden, entbehren läßt, bis man sein Ziel erreicht hat. Seine Willenskraft war nicht mehr beständig, sondern nur noch eine plötzliche, ruckweise, ausbrechende, schnell wieder verschwindende. Das Trinken hatte er sich zwar wieder abgewöhnt – denn er hatte einen Widerwillen gegen das äußerlich Gemeine, er suchte immer im Aeußeren den Gentleman zu zeigen. Aber entbehren konnte er es doch nicht ganz, in den qualvollen Stunden, in welchen Schande und Hunger ihn anstarrten, hatte auch er zum Aguardiente gegriffen und Vergangenheit und Gegenwart in diesem mexikanischen Feuerwasser ersäuft.

Augenblicklich befand sich Pettow als Sekretär im Dienste eines Beamten, der Donna Marion Guarato mit seiner ganz besonderen Gunst begehrte. Es war ein magerer Posten, und Ralph dachte oft daran, ob es nicht besser sei, Räuber zu werden, und sich bei dem ersten besten Zusammentreffen mit den Truppen die Stirn zerschmettern zu lassen.

Aber allein konnte er nicht in das Gebirge gehen. Die Mexikaner hätten ihn nicht geduldet, der Brotneid hätte ihn nicht aufkommen lassen. Und sich irgendeinem Bandenführer unterzuordnen, dagegen sträubte sich sein Dünkel, Gehorsam kannte er nicht, wenigstens da nicht, wo es auf Entfaltung von Kraft und Mut ankam; darin hielt er sich für den ersten der Welt. Deshalb hatte er auch keine Dienste im kaiserlichen Heere genommen. Als Gemeiner wollte er nicht eintreten und als Offizier hätte er Papiere beibringen müssen, die ihm fehlten. Die Kaiserlichen waren vorsichtig geworden, seit sich Gesindel aus aller Welt an sie herangedrängte.

Als Sekretär jenes Beamten, des Don Marjes, hatte er bald bemerkt, daß ein geheimes Verhältnis zwischen seinem Herrn und der schönen Marion Lamothe bestehe. Er hatte ja wenig mehr zu tun, als zu grübeln und die Geheimnisse anderer Leute auszuspüren. Er hatte also die Bekanntschaft Don Guaratos gesucht und bald genug erhalten, denn Don Luis trank mit jedem Brüderschaft, der ihn in Pulque oder Aguardiente freihielt.

Nur ließ er sich diese Duzbrüder, wenn sie jung oder sonst ansehnlich waren, nicht gern in das Haus kommen. Ralph jedoch an Schlauheit dem Don Guarato überlegen, wie ein Riese an Kraft einem Kinde, hatte eine wahnsinnige Leidenschaft für eine vornehme Dame in Queretaro geheuchelt und vom Totschießen gesprochen, wenn er nicht erhört werde. Unter solchen Umständen hatte Guarato dem neuen Freunde, der ihm seine ganze mächtige Fürsprache zusicherte, auch sein Haus geöffnet, und Ralph war klug genug gewesen, den Eindruck, den Marion auf ihn gemacht, zu verbergen.

Ja, sie hatte in der Tat Eindruck auf ihn gemacht. Eliza hatte er nie geliebt; nur sein Ehrgeiz hatte ihn aufgestachelt, sie zu besitzen. Auch Georgiana war ihm im Innersten gleichgültig gewesen. Man weiß, mit welchem Leichtsinn junge Männer derartige Verhältnisse mit verheirateten Frauen eingehen. Aber in Marions Wesen lag etwas, das ihn reizte und fesselte.

Es war das Katzenartige, halb Schlaue, halb Wolllüstige, heut Anlockende, morgen wieder Verweigernde – denn Marion verstand sich gut genug auf die Koketterie und wußte die Macht gewandt zu gebrauchen, wenn sie nicht entweder durch die Not oder durch plötzliche auftauchende, fast wahnsinnige Leidenschaft zur schnellen und unbedingten Ergebung gezwungen wurde. Dazu kam noch, daß Marion, so unbedeutend sie auch geistig sein mochte, dennoch durch ihren natürlichen Witz, durch die vollständige Herrschaft über ihre Muttersprache, die von den wenigsten Kreolinnen gesprochen wird, sowie durch gewisse Eleganz und Sauberkeit alle die Frauen weit überragte, die Ralph bisher in den Kreisen gesehen, die ihm hier zugänglich waren. Es ließ sich nicht leugnen, daß Marion, die sehr viel auf sich und ihre Toilette hielt, inmitten der etwas nachlässigen Kreolinnen eine auffallende und anmutige Erscheinung war.

Ralph besaß immer noch eine eigentümliche, wilde, düstere Schönheit, die auf viele Frauen ihren Eindruck nicht verfehlt. Wäre Ralph als ein reicher Herr aufgetreten, so würde ihm Marion sofort ihren Don Marjes geopfert haben. Aber Ralph war arm, Sekretär – mit solchen Spielereien befaßte sich die Gattin Don Guaratos nicht gern. Der Einsatz war zu hoch im Vergleich zum Gewinn, die Entdeckung zu gefährlich im Verhältnis zu dem Vergnügen einer solchen Liebelei.

So dachte Marion anfangs, als Ralph ihr zu verstehen gab, daß sie Eindruck auf ihn gemacht. Aber Ralph kannte die Frauen oder wenigstens die Mehrzahl. Er wußte also auch Marion zu nehmen und ihr bald Interesse abzugewinnen. Für Marion war es schon ein Vergnügen ein so fließendes Französisch zu hören und über alles mögliche plaudern zu können. Ralph bemerkte, daß er Eindruck auf sie gemacht.

Am deutlichsten war ihm dies an jenem Nachmittage geworden. Er hatte es gewagt, ihre Hand zu küssen, doch sie hatte sie ihm schnell mit den Worten entzogen: »Ich höre Schritte!«

Aber es waren nur die Schritte des Boten gewesen, der die Nachricht brachte, daß Guarato noch eine Zeit lang auf dem Cerro de las Campano bleiben müsse. Gerade jetzt also hatte Ralph noch einige Stunden vor sich, die er gut benutzen konnte.

»Ich sehe, Sie langweilen sich in meiner Gesellschaft, schönste Frau!« sagte er, schnell aufstehend. »Ich will Sie also allein lassen; die Zeit fliegt Ihnen dann um so schneller dahin.«

»Reden Sie keine Torheiten!« rief Marion lächelnd. »Wenn Sie Zeit haben, so bleiben Sie. Wenn nicht, nun so muß ich das Entsetzliche ertragen und Sie scheiden sehen. Wovon sprachen wir doch?«

»Von meiner unbegrenzten Liebe für Sie!« antwortete Ralph.

»Pardon – wir sprachen von dem Kaiser und ob er sich werde halten können,« sagte Marion.

»Das war vorher!« wandte Ralph ein. »Zuletzt sprachen wir von meinem Herzen, und meine Lippen redeten auf Ihrer Hand eine Sprache, die Sie leider nicht verstehen wollten.«

»In der Tat. Lassen Sie uns davon schweigen!« sagte Marion, eine neue Zigarette anbrennend, »Sie sind ein so vernünftiger Mann – Sie kennen Don Guarato – Sie wissen, was die Folge sein würde, wenn er ahnte, daß Sie mir den Hof machen. Gefahr für Sie und für mich!«

»Ich kenne nur die Gefahr für Sie!« sagte Ralph verächtlich. »Für mich gibt es nie Gefahr und hat es nie Gefahr gegeben.«

»Nun gut, so denken Sie an mich!« sagte Marion mit Lächeln. »Wir sind beide keine Kinder mehr.«

»Von mir weiß ich das nicht,« erwiderte Ralph hastig. »In Bezug auf meine Herzensneigungen und Leidenschaften bin ich immer jung, wie ein Kind. Indessen, ich kann auch sehr besonnen und vernünftig sein, und Sie zwingen mich dazu. Soll ich einmal sehr besonnen zu Ihnen reden, Madame?«

Er rückte seinen Sessel so, daß er ihr fast gerade gegenüber saß und blickte ihr voll und tief in die Augen.

Aber auch an das Feuer solcher Blicke war Marion gewohnt.

»Gut, reden Sie!« rief sie, sich ebenfalls zurechtsetzend und den Dampf der Zigarette bis zur Decke emporblasend.

»Nun also!« sagte Ralph. »Würden Sie mit mir fliehen, wenn ich im Besitze von zwanzig- oder dreißigtausend Piastern wäre?«

»Eine recht hübsche Summe!« sagte Marion laut auflachend. »Sagen Sie mir nur, woher Sie sie nehmen wollen?«

»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet,« wandte Ralph ein.

»Nun ja, Sie stellen eine Bedingung, die mir äußerst unwahrscheinlich vorkommt!« rief Marion. »Ebensogut könnten Sie sagen: Wollen Sie mir unterwegs einen Kuß geben, wenn wir beide vom Hauptturm des Convents de la Cruz herunterspringen?«

Ralph lachte kurz auf.

»Ganz so unwahrscheinlich ist meine Bedingung nun doch nicht,« sagte er. »Ich habe eine Aussicht, Marion – ich habe eine Aussicht, die Summe zu erhalten.«

»O, welche schönen Aussichten hat mein liebenswürdiger Gemahl nicht schon gehabt!« sagte Marion achselzuckend.

»Wollen Sie mich mit dem vergleichen!« rief Ralph aufbrausend. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich einst über Hunderttausende kommandierte? Kann ich sie nicht wiedererlangen?«

»Es würde mich um Ihretwillen freuen, wenn Sie wieder ein reicher Mann würden,« sagte Marion. »Das Wesen dazu haben Sie – ich bemerkte es von Anfang an. Nun, kurz und gut, woher wollen Sie das Geld nehmen?«

»Das ist mein Geheimnis,« antwortete Ralph. »Ich würde es nur in dem Falle zu gewinnen suchen, daß ich Ihrer Einwilligung zur Flucht sicher wäre, sonst liegt mir nichts daran.«

»Wirklich nicht? Sie würden sich nicht mit einer solchen Summe belasten wollen, ohne mich noch obendrein zu erhalten?« rief Marion lächelnd.

»Ich liebe Sie!« antwortete Ralph kurz und drohend. »Scherzen Sie nicht!«

»Aber, liebster Freund,« antwortete Marion, »dann werden wir nie einig werden. Auf eine so unbestimmte Hoffnung hin – – – –«

»Es ist keine unbestimmte Hoffnung, es hängt nur von mir ab, das Geld zu heben!« rief Ralph.

»Wollen Sie stehlen?« fragte Marion.

»Und was wäre dabei, wenn ich es Ihretwegen täte?« antwortete Ralph mit unheimlichem Lächeln. »Was haben Sie hier? Was verlieren Sie, wenn Sie mit mir fortgehen – vielleicht nach Europa – nach Paris?«

Paris übte noch den alten Zauber auf Marion aus, ihre Augen leuchteten auf.

»Für die Möglichkeit, nach Paris zu kommen, wäre ich allerdings imstande, eine Torheit zu begehen,« sagte sie lachend.

»Nun gut, so verspreche ich Ihnen, daß wir nach Paris gehen!« sagte Ralph. »An Don Guarato verlieren Sie nichts. Er dämmert ganz allmählich der Versunkenheit entgegen. Und was Ihnen Don Marjes ist, hoffe ich Ihnen ebenfalls zu sein.«

Es war das erstemal, daß er das Verhältnis Marions zu dem Vertrauten erwähnte. Sie zuckte leicht zusammen, sah ihn groß an und lachte laut auf.

»Wer hat Ihnen da ein Märchen aufgebunden?« rief sie.

»Märchen oder nicht,« sagte er. »Ich weiß so ziemlich, was ich weiß. Zwingen kann ich Sie nicht. Verlangen Sie, daß ich Ihnen zu Füßen fallen und betteln soll? Meinetwegen! Aber es scheint mir genug, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie liebe und meine Zukunft mit Ihnen teilen will.«

»Ich will's mir überlegen,« rief die Sennora immer noch im scherzenden Tone. »Wann würden Sie denn Ihren Schatz erheben?«

»Das hängt von mir ab,« antwortete Ralph.

»Nun so tun Sie es doch sogleich, wenn möglich heute noch!« tief Marion.

»Nein, das will ich nicht,« erwiderte er. »Ich müßte dann auch Mexiko verlassen und das will ich nicht eher, als bis ich weiß, daß Sie mich begleiten.«

»Die Sache kommt mit sehr unwahrscheinlich vor, Monsieur Brandon,« sagte Marion. Man sah ihr an, daß sie überlegte, aber zweifelte.

»Nun, wie Sie wollen,« sagte Ralph und zuckte fast verächtlich die Achseln. »Entweder ich gehe mit Ihnen oder ohne Sie, ganz wie es Ihnen belieben wird. Ich kann dieses Leben hier nicht mehr lange ertragen. Wenn man gewöhnt ist, wie ich, der Erste zu sein und zu gebieten, so setzt man das Letzte daran, um endlich aus einer Lage wie der jetzigen herauszukommen.«

»Waren Sie wirklich früher in so guten Verhältnissen?« fragte Marion mit Interesse.

Ralph lachte bitter vor sich hin.

»Wenn wir intimer miteinander sind,« antwortete er, »so denke ich Ihnen manches darüber zu erzählen. Doch – Eines wollte ich noch erwähnen. Don Marjes wird nicht mehr lange in seiner Stellung bleiben.«

»Weshalb nicht?« fragte Marion befremdet.

»Nun weil – wir sprachen ja schon vorher davon – der Kaiser sich nicht halten kann. Allerdings hat Don Marjes ein nicht unbedeutendes eigenes Vermögen. Aber es ist doch nicht so groß, wie man glaubt; die Nebeneinkünfte seines Amtes sind es, die ihm gestatten, Luxus zu treiben. Genug, meine süße Marion – sagen Sie ja und vielleicht in vierzehn Tagen schon sind wir auf dem Wege nach Paris!«

Er sah sie dabei mit einem der Blicke an, die Männer seiner Art in der Gewalt haben und denen Frauen, wie Marion, schwer zu widerstehen vermögen. Ralph war aufgestanden und nahm ihre Hand. Aber Marions feines Ohr hörte Schritte.

»Setzen Sie sich!« sagte sie schnell. »Guarato kommt. Meine Antwort erhalten Sie morgen – übermorgen!«

Ralph setzte sich schnell; einige Sekunden darauf trat Guarato ein.

Er war ermüdet und bestäubt, schien auch auf dem Cerro ein Glas über den Durst getrunken zu haben. Marion stand auf und ging ihm mit einer gewissen Zärtlichkeit entgegen. Wie alle Frauen, die ihren Männern gegenüber nicht schuldlos sind und jeden Verdacht von sich ablenken wollen, heuchelte sie jetzt gegen ihren Mann eine gewisse Unterwürfigkeit und Hingebung, die ihr früher fremd gewesen war. Tändelnd band sie ihm den schweren Pallasch ab – auf den Guarato nicht wenig stolz war und mit dem er laut rasselte – trocknete ihm die heiße Stirn, knöpfte ihm die Weste auf und eilte fort, um Eiswasser, Zucker und Aguardiente zu holen.

Guarato lieh sich in den Sessel fallen, in dem Marion bisher gesessen, streckte die Füße von sich und verschnaufte sich.

»Bin glücklicherweise bald abgelöst worden,« sagte er stöhnend. »Eine gewaltige Hitze für einen Februartag. Sie haben meiner Frau ein Stündchen Gesellschaft geleistet – das ist recht. Und wie steht es mit der andern?«

Ralph verstand natürlich diese Anspielung auf seine erdichtete unerwiderte Liebe sofort, nahm eine sehr mißmütige Miene an und antwortete kurz und abwehrend, so daß Guarato laut auflachte. Ralph spielte ihm gegenüber den Beschränkten und ließ sich absichtlich von Guarato etwas hänseln, weil der Kreole dadurch in Sicherheit gewiegt wurde. Dazu kam, daß Ralph das Spanische, wenigstens den Dialekt Guaratos, nicht ganz geläufig sprach und sich auch oft absichtlich manche Sätze wiederholen ließ, die er nicht verstand oder nicht zu verstehen heuchelte. Darin glaubte der Kreole einen geistigen Mangel zu erkennen, den er auf seine Weise durch gelegentlichen Spott ausbeutete.

So lachte er denn auch jetzt über die Verdrossenheit des »Don Brandon«, der natürlich in seinen Augen als unglücklicher Liebhaber einer schönen und vornehmen Dame eine sehr traurige Rolle spielte. Ralph war aufgestanden, als wolle er gehen. Inzwischen kam Marion zurück und bat ihn, ebenfalls ein Glas kalten Punsch zu trinken. Ralph ließ sich erbitten und trank mit Befriedigung die vortreffliche Mischung. Guarato stöhnte vor Behagen, als er sein Glas leerte.

»Caracho!« rief er dann. »Wenn die Juaristen es gewußt hätten – heute hätten sie den Kaiser wie in einer Mausefalle fangen können!«

»Wirklich? Wo denn?« fragte Ralph scheinbar gleichgültig.

Nun berichtete Don Guarato weitschweifig von dem Rekognoszierungsritt, zählt alle Schwierigkeiten und Hindernisse auf und kam natürlich auf die Hacienda zu sprechen.

»Wir waren nur unserer achtzig,« sagte er. »Mit der zehnfachen Zahl von Juaristen-Lumpen hätten wir es natürlich aufgenommen. Hätten sie aber zweitausend Mann geschickt und die Hacienda umzingeln lassen, so wäre uns doch nichts übrig geblieben, als uns niederhauen zu lassen, namentlich wenn sie die Brücke hinter uns versperrt hätten.«

»Was ist das eigentlich für eine Hacienda?« fragte Ralph. »Ich habe schon davon gehört.«

Guarato lachte wohlgefällig vor sich hin.

»Marion wird sich schön wundern, wenn ich ihr sage, wer der Besitzer ist!« rief er. »Rate einmal, Marion!«

»Wie soll ich das raten?« erwiderte diese unbefangen. »Ist es ein reicher Herr?«

»O, er scheint reicher zu sein, als der Kaiser selbst!« rief Guarato, der sich viel darauf zugute tat, etwas so Neues und Außerordentliches erzählen zu können. »Die mexikanischen Arbeiter und Diener sagen, man lebe auf der Hacienda wie im Himmel. Was das Herz nur wünsche, das bekomme man.«

»Nun, wer ist's?« fragte Marion kurz.

»Rate! Einer Deiner Liebhaber – oder nein, einer, den Du sehr gern gehabt hast!« erwiderte Guarato, der vielleicht nicht so offen gesprochen haben würde, wäre sein Kopf freier gewesen.

»Einer, den ich –?« wiederholte Marion zögernd.

Offenbar mußte die Reihe derer, denen sie ihr Herz zugewendet, nicht so klein sein, denn sie überlegte lange genug.

»Ah, Du machst Dir einen Scherz!« rief sie dann. »Du möchtest hören, wen ich gern gehabt habe!«

»Nein, nein! Denke nur nach – Du warst noch nicht meine Frau – auf der Hacienda!«

Marion zuckte unwillkürlich zusammen. Sie dachte sogleich an Edmond. War auch in den letzten Jahren das Bild des jungen ritterlichen Franzosen aus ihrem Gedächtnis verschwunden, so bedurfte es doch nur eines Moments, um es hell wieder aufleuchten zu lassen. Natürlich fühlte sie heute nicht mehr das für ihn, was sie damals empfunden hatte. Im Gegenteil, sie dachte mit Groll an ihn zurück. Er hatte sie verschmäht. Wäre er freilich selbst vor sie hingetreten und hätte er bereut, hätte er sein Knie vor ihr gebeugt – sie würde ihm gern verziehen haben, denn der Eindruck, den er damals auf sie gemacht, war gewaltig gewesen. Hundert Gedanken, Berechnungen flogen deshalb schnell durch ihren Kopf.

»Ich weiß nicht!« sagte sie endlich leichthin. »Ich habe nicht Lust zum Raten.«

»Nun, der französische Kapitän!« rief Guarato, durch dieses Manöver der klugen Frau vollkommen getäuscht. »Wie hieß er doch? – Kapitän de Tréport, nicht wahr?«

»Ah, der!« sagte Marion ruhig. »Ja, ich hörte davon, er wolle sich in Mexiko ankaufen.«

Auch Ralph hatte aufgehorcht, als er den Namen hörte. Es war ihm nicht unbekannt, daß die Familie Tréport in Beziehungen zu den Familien Büchting und Toledo stand. Er hatte ja davon sprechen hören, daß Edmond eine Zeitlang in der Familie Toledo gelebt, und Alfonso war voll vom Lobe seines Freundes gewesen. Genug, der Name erinnerte Ralph an vergangene Zeiten, verlorene Hoffnungen, machte ihn düster und erweckte die alten Empfindungen der Rache abermals in ihm.

»Ja, er hat den Kaiser zum Frühstück bewirtet,« fuhr Guarato fort, »und Seine Majestät soll sich sehr freundlich über ihn ausgesprochen haben.«

»Wo liegt die Hacienda?« fragte Ralph und ließ sie sich genauer beschreiben.

»Ist er verheiratet?« fragte Marion.

»Ja, die Diener sagten es und schilderten seine Frau als eine zarte, feine Dame,« antwortete Guarato. »Ich habe sie nicht gesehen. Sie ist seit acht Tagen Mutter eines Knaben.«

So ruhig auch Marion bleiben wollte, so konnte sie es dennoch nicht verhindern, daß ein tiefer Schatten sich auf ihr Gesicht senkte. Edmond verheiratet, wahrscheinlich glücklicher Vater eines Kindes – sie selbst hatte keine Kinder! –

»Die juaristischen Banden werden ein gutes Geschäft machen, wenn sie ihn plündern!« rief sie, unwillkürlich dem Gedanken Ausdruck gebend, der sie erfüllte.

»Weshalb? Er scheint es mehr mit den Juaristen, als mit den Kaiserlichen zu halten,« antwortete Guarato.

»Nun, so wäre es eine Gelegenheit für Euch!« rief sie, und ihre Blicke flogen zu Ralph hinüber, als wollte sie sagen: Vorwärts! erobere Dir meine Gunst!

Ralph verstand den Blick. Die Andeutung, daß Marion früher von dem Franzosen verschmäht worden sei, hatte ihm genügt, Marions Gedankengang zu folgen.

»Das wäre nicht leicht,« antwortete der Kreole. »Erstens ist die Hacienda gut verteidigt – es sind ein paar hundert Männer dort und sie haben sehr gute Waffen, und zweitens ist er nordamerikanischer Bürger geworden und zieht das Sternenbanner auf, wenn er Unheil wittert.«

Ralph spie verächtlich vor sich hin. So wie er die Union erwähnen hörte, schwoll es in ihm auf, daß er hätte schreien mögen vor Wut und Haß.

Marion wollte nicht zeigen was sie bewegte, sie war durch die Erinnerung an Edmond verstimmt. Guarato schloß bereits zuweilen die Augen. Ralph fand es für gut, zu gehen. Er küßte Marion die Hand, warf ihr dabei einen Blick voll glühender Leidenschaft zu und ging.

Ralph wohnte in dem geräumigen Hause des Don Marjes. Sein einfaches Zimmer bot ihm eine weite Fernsicht über die Stadt, das Tal und die benachbarten Berge. Er stand lange am Fenster und blickte hinaus auf die Landschaft mit ihren von der tiefgehenden Sonne grell beschienenen Flächen und Bergrücken und den tiefblauen Schatten. Dann, als habe er einen Entschluß gefaßt, ging er hinab zu dem Intendanten des Don Marjes und bat um ein Pferd. Er sagte, er wolle nach einer Hacienda in der Nähe reiten, wo er einige Geschäfte abzumachen habe. Darin lag nichts Auffälliges. Derartige Geschäfte waren öfters zu erledigen, und Ralph tat immer etwas Geheimnisvolles und hatte ein eigenes verschlossenes Wesen.

Er ritt nach Osten hinaus. Die Nacht brach an, aber es war heller Mondschein. Ralph hatte sich von Guarato genau beschreiben lassen, wo die Hacienda des Kapitäne Tréport lag, und dahin ritt er jetzt.

Was wollte er dort? Er wußte es selber nicht. Tréport stand im Zusammenhang mit denen, die Ralph tödlich haßte, war mit ihnen befreundet – Grund genug für Ralph, auch Edmond zu hassen und die geheime Sehnsucht ...

In gescannten Buch fehlt hier Buchseite 125

... tung hatte den ausführlichen Artikel übersetzt, und dort hatte Ralph ihn gelesen. Er wußte also, daß Dantes es gewesen, der Richard auf eine so wunderbare Weise in Providence gerettet, der ferner durch die Benachrichtigungen des Negers Justus White den Entführungsplan Ralphs vereitelt hatte – genug, dieser Mann, nur er war schuld an dem Mißlingen aller verbrecherischen Entwürfe Ralphs.

»Dich würde ich mit kaltem Blute niederschießen!« murmelte er vor sich hin. »Und doch ist mir das zu wenig. Wenn ich nur wüßte, wie ich Dich schmerzhafter träfe als durch den Tod!«

Auch Edmond konnte er durch sein Glas deutlich erkennen. Also das war der Mann, für den Marion einst geschwärmt. Ein Grund mehr, auch ihn zu hassen, wie nur eine so verbitterte, verstörte Seele hassen konnte!

Ralph war im Begriff den Hügel zu verlassen und zurückzukehren, nachdem er alle Oertlichkeiten genau gemustert, als er Geräusch in der Ferne zu seiner Linken hörte. Es war wie das Klingen von Maultierglocken, wie Peitschengeknall, Rufen, Antreiben von Tieren, und durch die stille, mondscheinhelle Nacht klang das alles so klar und bestimmt herüber, daß Ralph jedes Wort verstehen konnte.

»Noch zwei Minuten, meine erlauchtesten Herrschaften!« hörte er in mexikanischem Dialekt eine tiefe Männerstimme rufen, »dort sehen wir schon die Hacienda. Noch einen Hügel hinab und wir sind da. Vorwärts! Vorwärts!«

Was mochte das sein? Ein Zug von Reisenden, der absichtlich oder zufällig an der Hacienda vorüberkam. Jedenfalls beschloß er zu warten. Er sah durch sein Glas hinüber nach der Richtung, aus welcher der Zug kam und erblickte nun zwei Reisewagen, denen eine Anzahl Maultiere mit einer Menge von Treibern folgten. Außerdem ritt eine Anzahl Männer vor und neben den Wagen. Der Zug bot ein ganz stattliches Ansehen.

Es waren geheime Ahnungen, die in Ralphs Herzen aufstiegen, als er den Zug betrachtete und die ihm das Blut mehr und mehr zum Herzen drängten. Da ritten zwei Männer neben dem Wagen, deren Gestalten, obgleich Ralph sie nur in dunklen Umrissen sah, Erinnerungen in ihm erweckten. Da ritt ferner noch eine andere Gestalt, die ihm durchaus bekannt sein mußte. Der Zug verschwand für einige Minuten hinter Felsabhängen und Bäumen. Dann tauchte er unmittelbar vor dem Tor der Hacienda wieder auf, eine kräftige Stimme, wahrscheinlich die eines Wächters, rief:

»Woher des Weges? Und wer seid Ihr?«

Es wurden einige Worte erwidert. Ralph lauschte mit vorgestrecktem Kopfe. Die Entfernung war beträchtlich, aber die Luft wunderbar rein und die Nacht so still. Er verstand nicht die Worte. Aber er hörte den Klang der Stimme, und es überrieselte ihn eiskalt. Dann ballte er die Faust und hob sie empor, als leiste er einen Schwur oder drohe er irgend jemand. Gleich darauf sah er einen Diener in das Zimmer treten, in dem Edmond und Dantes saßen – sah die beiden aufspringen und hinauseilen. Das Tor war inzwischen bereits geöffnet worden, und der ganze Zug ergoß sich in den Hof.

»Richard! Alfonso!« hörte er rufen.

Ralph krümmte sich auf dem Felsstück, auf dem er zusammengekauert saß. So waren sie es wirklich! Hier ganz in seiner Nähe! Er trug einen Dolch in seiner Tasche, und unwillkürlich hielt er den Griff umklammert. Wenig fehlte und er wäre aufgesprungen und hinabgestürzt, um mitten unter sie zu springen. – –

»Aber Ruhe, Ruhe!« flüsterte er sich selber zu. Sie waren ja in seine Macht gegeben! Es schützte sie nicht mehr die große Stadt mit ihren tausend Hindernissen. Hier in der Einsamkeit Mexikos, auf einer abgelegenen Hacienda weilten sie nun, jeder Kugel, jedem Dolchstoß frei ausgesetzt! Kaum konnte er das stürmische Klopfen seines Herzens mäßigen.

Es war leicht zu erraten, daß Edmond von der Ankunft der Reisenden nichts gewußt habe. Offenbar hatten sie ihn überraschen wollen. Ralph sah, wie sie jetzt alle in das Zimmer traten. Da war die würdevolle, ernste Gestalt Mr. Büchtings, und neben ihm seine Gattin – jetzt legte Eliza ihren Schleier ab und begrüßte den ihr persönlich noch unbekannten Kapitän, und auch Jeannette erschien am Arm Alfonsos – eine Dienerin reichte Edmond ein Kind, über das sich Eliza und Richard beugten und das Edmond küßte, – das Kind der beiden, die er wahnsinnig haßte! Ein dumpfer Schrei entrang sich der Brust des einsamen Mannes. Er konnte es kaum ertragen, so viel Glück zu sehen. Er wäre imstande gewesen, sich selbst zu töten.

Die Frauen verschwanden nach wenigen Minuten in einem Zimmer, dessen Vorhänge dicht geschlossen waren. Ralph sah die Schatten sich bewegen. Es mußte das Zimmer der Gattin Edmonds sein. Stunde auf Stunde verging: Ralph blickte immer noch von dem Hügel nieder. Als er ihn endlich verließ, war sein Schritt langsam, schwer, fast schwankend. Es schien ihn etwas zu drücken, die Last seines Hasses oder das Gewicht seiner Rachegedanken. Dann, als er sich auf sein Pferd geschwungen, schien er sich nur langsam entfernen zu können; er blickte immer wieder nach der Hacienda zurück. Aber endlich riß er sich los, und nun sprengte er wie toll das Tal entlang, trieb das Pferd die Felsen hinan und erreichte gegen Morgen wie gebrochen Queretaro. Noch hatte er keinen bestimmten Plan gefaßt, aber es dämmerte in ihm eine Idee.

Von jenem Tage an ritt er in der Woche mehrmals hinüber nach der Hacienda. Wenn unten in dem großen luftigen Gesellschaftssaal die Freunde beieinander saßen – ein bewundernswerter Kranz von ernsten und würdigen, lieblichen und jugendlichen Gestalten, jetzt noch vermehrt um die anmutige Erscheinung der Gattin Edmonds – wenn sie sich der harmlosen Freude dieses glücklichen Zusammenlebens hingaben, dann schwebte über ihnen auf der Spitze des Hügels die dunkle Gestalt Ralphs wie die eines Raubtieres, und seine dunklen Augen bohrten sich starr hinein in diesen ahnungslosen Kreis. Schon kannte er jede Räumlichkeit, jedes Zimmer – die Gewohnheiten aller Einzelnen. So viel war gewiß, daß Ralph, wenn er einen Plan hegte, ihn langsam zur Reife gedeihen ließ, und daß er sicher gehen und sicher treffen wollte. Es bot sich ihm eine Gelegenheit, wie er sie nie mehr erwartet hatte, und er wollte sie benutzen.

So gewaltig war dieser Durst nach Rache in ihm, daß er seine Pläne auf Marion fast vergaß oder jedenfalls in zweite Linie stellte. Marion bemerkte dies wohl, und wie alle Frauen ihrer Art begann sie das Projekt um so angenehmer zu finden, je mehr Ralph sich davon zurückzuziehen schien.

Vielleicht wurde er ihr durch die wilde, geheimnisvolle Freude und Energie, die jetzt aus seinem ganzen Wesen leuchtete, interessanter, als er ihr gewesen war. Eines Tages, als sie kurze Zeit mit ihm allein war, sagte sie zu ihm:

»Schaffen Sie das Geld! Ich bin die Ihre! Das Leben ist hier unerträglich langweilig!«

Er antwortete ihr mit einem Händedruck und bat sie, sich nur noch kurze Zeit zu gedulden.

Inzwischen hatten die Juaristen längst Queretaro umzingelt, und fast täglich fanden Gefechte zwischen ihnen und den Kaiserlichen statt. Von den hohen Bergen der Nachbarschaft, namentlich von Cimatario aus, beherrschten die Republikaner den Ort. Aber die Kaiserlichen schlugen sich gut, und der März und April vergingen, ohne daß die Juaristen einen entschiedenen Angriff hätten wagen können. Kaiser Max rechnete auf Zuzug von Mexiko und Puebla aus. Mit beiden Städten war die Verbindung unterbrochen. Puebla befand sich in der Gewalt der Juaristen, Mexiko, wo Marquez in des Kaisers Namen ein Schreckensregiment führte, ward von ihnen hart umschlossen. Der Kaiser kam also auf seine Lieblingsidee zurück, die Feinde zu einer offenen Feldschlacht herauszufordern. Er wollte den Juaristen entgegenziehen, sie angreifen, wie sie auch Stand hielten. Aber dazu bedurfte er seiner ganzen kleinen Armee. Er konnte keine Truppen in Queretaro zurücklassen, und doch durfte die Stadt nicht ohne Besatzung bleiben. Es handelte sich also darum, die Bewohner zu bewaffnen und in den Stand zu setzen, die wenigen festen Punkte von Queretaro zu behaupten. An diesem Plane arbeitete der Kaiser zu Anfang des Monats Mai mit seinen Generalen.

Man hätte denken sollen, die Anwesenheit der Juaristischen Truppen hindere Ralph an seinen nächtlichen Ausflügen nach der Hacienda Edmonds. Aber das war nicht der Fall. Ralph stand mit beiden Parteien gut und natürlich glaubte jede, daß er es aufrichtig mit ihr meine. Im kaiserlichen Lager hielt man ihn für einen guten Spion, der die Juaristen unter dem Vorwande, daß er ihnen Nachrichten aus Queretaro bringe, ausforsche. Die Juaristen wußten es besser; sie zogen aus den Mitteilungen Ralphs wirkliche Vorteile. Ralph war längst über jeden politischen Standpunkt hinaus. Er dachte nur noch an seinen eigenen Vorteil und an seine eigene Rache.

Mitte Mai war gekommen, und der Kaiser hatte die männliche Bevölkerung von Queretaro aufgefordert, sich zu bewaffnen, ihr auch alles, was von Waffen für das Heer überflüssig war, zur Verfügung gestellt. Am 14. Mai wollte er dann mit 5000 Mann Queretaro verlassen und die Juaristen in ihrem eigenen Lager angreifen. Es war jedoch nicht möglich, die Bewohner von Queretaro am 13. Mai zu organisieren und zu bewaffnen; der 14. Mai mußte zu Hilfe genommen und der Ausmarsch auf den 15. Mai verschoben werden. Während des 12. und 13. Mai befand sich Ralph Pettow in fortdauernder Bewegung. Er hatte von Don Marjes Urlaub erhalten, und man glaubte allgemein, daß seine Ausflüge nur den Zweck hätten, die Stellung der Juaristen zu erforschen und sie über die Lage und die Absichten der Kaiserlichen auszuforschen. Er hatte mehrere längere Besprechungen mit dem Obersten Lopez, einem der Männer, die dem Kaiser vor allen anderen ergeben schienen.

Am 14. Mai gegen Abend kam er in die Wohnung Guaratos. Der Sergeant, das wußte er, war nicht anwesend, sondern befand sich auf dem Cerro de las Campanas, wo der Kaiser die Dispositionen für den kommenden Tag verteilte und Musterung über einzelne Abteilungen Kavallerie hielt.

Ralph traf Marion in dem Sessel sitzend. Er schien ermüdet oder geistig abgespannt, zog den anderen Sessel zu Marion heran und setzte sich neben sie.

»Die Stunde ist da, mein Herz!« sagte er leise. »Morgen früh um sechs Uhr erwarte ich Dich!«

Obgleich längst vorbereitet, erschrak Marion doch über diese plötzliche Mitteilung.

»Und bist Du sicher, daß Du bis dahin im Besitz des Geldes sein wirst?« antwortete sie, ebenfalls flüsternd.

»Vollkommen sicher!«

»Und Du willst mir auch jetzt nicht sagen, woher Du diese Summen empfängst?« fragte sie.

»Nein – später! Was Dir jetzt ein Rätsel scheint, wird Dir, sobald Du es erfahren, sehr einfach und natürlich vorkommen,« erwiderte Ralph. »Was auch geschehen möge – ob Du schießen hörst oder was überhaupt Dich in Verwunderung setzt – Du bist pünktlich um sechs Uhr an dem verabredeten Ort. Ich wenigstens werde dort sein, und kommst Du nicht, nun, so verlasse ich Quaretaro und Mexiko ohne Dich.«

»Ich werde dort sein,« antwortete Marion, »ich kann es hier nicht länger ertragen. Aber wir gehen nach Paris?«

»Mein Wort darauf. Wir gehen überall hin, wohin Du willst, ausgenommen nach den Vereinigten Staaten. Und vielleicht machen wir vorher noch eine kleine Expedition, die uns um fünfzigtausend Piaster bereichert.«

»Ich möchte wirklich wissen, auf welche Umstände Du hoffst,« sagte Marion. »Ich begreife es nicht – Deine jetzige Lage ist so bescheiden, und dabei sprichst Du von diesen Summen –«

»Es wird Dir alles klar werden,« antwortete er lachend. »Morgen um die sechste Stunde sollst Du in meine Geheimnisse eingeweiht werden. Hoffentlich treibt Dich also schon die Neugierde, zu kommen.«

Sie lächelte, aber es lag doch etwas wie Mißtrauen und Argwohn in dem Blick, den sie auf ihn richtete.

»Wenn man uns verfolgte,« fragte sie, »und wenn Du etwas getan – –«

»Ah, Du wirst bedenklich!« unterbrach er sie. »Nun, wie ich Dir sage, ich bin um sechs Uhr bei der Casa Hermandez. Ich warte dort eine Viertelstunde auf Dich, und kommst Du nicht, so reise ich allein.«

Er stand auf.

»Ich muß fort,« sagte er. »Ich habe noch manche Vorkehrungen zu treffen. Nicht wahr, Du kommst?«

Er hatte sich über sie gebeugt und blickte sie mit seinen dunklen fragenden Augen, aber auch fast spöttisch an. Offenbar hatte er in den letzten Wochen eine große Macht über sie gewonnen. Sie war ihm gegenüber nicht mehr die frühere Kokette. Er hatte sie unterjocht.

»Ich komme!« flüsterte sie.

Er küßte sie und eilte fort.

Um acht Uhr ritt er zur Stadt hinaus. Allen kaiserlichen Wachen, die ihn aufhielten, zeigte er einen Paß, den sie sofort respektierten. Und als er die feindliche Linie erreichte, zeigte er einen anderen Paß, der von den Juaristen ebenfalls respektiert wurde. Er hatte eine längere Unterredung mit einem sehr einfach aussehenden, aber sehr klug blickenden Mann. Dann ritt er dem Tal der Hoffnung zu.

Er kannte den Weg jetzt so gut, daß er selbst in Dunkelheit ziemlich schnell vorwärts reiten konnte. Mitternacht mochte es sein, als er in dem Gehölz an der Brücke, der Hacienda gegenüber, anlangte. Er band sein Pferd vorsichtig an einen Baum und schlang ihm ein Tuch um das Maul, damit es nicht wiehern könne. Dann schlich er unhörbar nach der Hacienda. Der Panther, der eine Gazelle beschleicht, kann sich nicht leiser durch das Gebüsch winden.

Ralph erklomm zuerst seinen gewöhnlichen Beobachtungspunkt, den Hügel hinter dem Hause. Er kannte jetzt genau jedes Zimmer, wußte, wo Edmond, Richard, Alfonso und die Frauen schliefen, in welchen Zimmern Nachtlampen brannten, in welchen nicht. Er überzeugte sich, daß alles im Hause schlief. Am Tor wohnte allerdings ein Wächter, aber das kümmerte ihn nicht. Auch die Hunde konnten ihm nicht schaden, da sie auf dem Hofe blieben. Die Seite aber, auf welcher Ralph in das Hauptgebäude einzudringen gedachte, war dem Hofe abgekehrt.

Edmond de Tréport erfreute sich sowohl von seiten der Kaiserlichen, wie der Republikaner einer vollkommenen Sicherheit. Es war den Führern der einzelnen Truppen-Abteilungen eingeschärft worden, nicht die geringste Bedrückung des reichen Pflanzers zu dulden, auf dessen Unterstützung beide Teile rechneten, falls sie den Sieg davontrugen. So kam es, daß die Hacienda, trotz der Nähe der beiden Heerlager, ganz unbewacht geblieben war. Das Sternenbanner schwebte über der Heimat Edmonds und die Mexikaner aller Parteien kannten es gut genug, um es zu respektieren.

Endlich glitt Ralph von dem Hügel nieder. Wie eine Schlange kriechend, gelangte er an die Mauer, die nach dem Hügel zu einen kleinen, freundlichen Garten, den Lieblingsaufenthalt der Frauen, von dem felsigen Hügel trennte und ihn vor dem herabrollenden Gestein schützte. Ralph überkletterte die Mauer, durchschlich den Garten und gelangte nun zur Hacienda selbst. Die Fenster lagen sehr hoch; aber darauf war er vorbereitet. Er wußte, wo eine kleine Leiter in dem Garten stand, und diese setzte er an eines der Fenster. Es war geöffnet. Ralph lauschte einige Minuten lang durch das Fenster und stieg dann, als er sich überzeugte, daß alles still sei, in das Haus.

Er hatte sich vorher, auf dem Hügel, Tuchstücke unter die Sohlen gebunden und das Gesicht geschwärzt. Unhörbar schritt er dahin, bis zum großen Korridor, auf dem eine Nachtlampe brannte. Rechts von ihm befand sich die Wohnung Richards und Elizas. Richard schlief in einem Zimmer nach dem Hofe hinaus, Eliza mit ihrem Knaben in einem anstoßenden Zimmer, dessen Fenster nach dem kleinen Garten hinaus lagen. Um zu diesem zu gelangen, mußte man ein Vorzimmer durchschreiten, das an den Korridor stieß, und in welchem eine Dienerin schlief. Stand diese Tür zufällig offen, wie es sich fast annehmen ließ, so war Ralphs Plan halb geglückt. Er faßte leise auf die Tür, sie gab nach und öffnete sich geräuschlos.

Ralph lauschte, er hörte regelmäßige Atemzüge – die Dienerin schlief. Nun schritt er unhörbar durch das Zimmer, bis zu der Tür, und ein leichter Lichtschimmer, der durch eine kleine Spalte zwischen Pfosten und Tür fiel, zeigte ihm, daß die Tür nicht ganz fest geschlossen sei. Er öffnete sie langsam, nach und nach. Endlich war sie soweit geöffnet, um ihm einen Blick in das Nebenzimmer zu gestatten. Dort schlief Eliza und neben ihr in einem kleinen Bett ihr Kind.

Welche Gedanken mochten bei diesem Anblick durch die Seele des Verbrechers ziehen? Nie hatte es zwei reinere, unschuldigere Gesichter gegeben – Elizas Gesicht war von einem Lächeln überzogen, ganz wie das des Kindes. Ihre rosige Wange schimmerte aus dem Nachthäubchen hervor; der eine, halb entblößte schöne Arm lag auf der Bettdecke; sonst war ihre Gestalt bis hoch zum Halse hinauf verhüllt, auch im Schlaf noch züchtig.

Ralph trat ein. Sein Blick hing wie gebannt an Elizas Zügen, seine Hand ruhte auf dem Griff des langen Dolches, den er im Gürtel trug. Sonst hatte er keine Waffen. Er wollte nicht schießen. Für seine Pläne war ihm der Dolch das sicherste Instrument. Dann aber wandte er sich, nicht ohne Anstrengung, dem Kinde zu. Das Kind wollte er rauben, darauf ging sein Plan hinaus. Den Eltern ihr Liebstes nehmen, für immer, aus dem armen, unschuldigen Wesen das machen, was er wollte, vielleicht auch einen Verbrecher – das hatte er seit Wochen bei sich selbst überlegt. Die Eltern, Richard und Eliza, konnte er noch immer töten. Der Raub des Kindes schien ihm eine viel grausamere Rache. So beugte er sich denn nieder und hob das schlafende Kind in seinen Kissen empor. Es regte sich ein wenig. Hätte es geschrien, so hätte er es erdolcht, und nach ihm die Mutter und jeden, der ihm in den Weg trat. Aber es schrie nicht. Mit unhörbaren Schritten trug er es hinaus. Er ging jetzt schneller. Etwas wie Angst, sein Plan könnte noch in demselben Augenblick mißlingen, hatte ihn ergriffen.

So durchschritt et das Zimmer der Dienerin und gelangte auf den Korridor. Er mußte denselben Weg zurücknehmen, den er gekommen. Alles war still im Hause – es war ihm, als höre er sein eigenes klopfendes Herz – –

Da stieß er einen Schrei aus. Vor ihm stand eine lange, hagere Gestalt, mit weißem Haar und Bart, gespenstisch aussehend in dem matten Licht der Nachtlampe. Er kannte diese Gestalt – es war Dantes.

Aber auch der Greis war zu erschrocken und fuhr zurück. Dann plötzlich griff seine Hand nach der Schnur zur Hausglocke, die sich unmittelbar neben ihm an der Wand des Korridors befand. Die Töne der Glocke hallten dumpf und unheimlich, aber wie mit Zauberkraft durch die stille Nacht. Im nächsten Augenblick sah Ralph den Greis die Hände nach dem Kinde ausstrecken.

»Du – ah Du!« stöhnte Ralph. »Nun, so sei es!«

Der Dolch blitzte in seiner Hand, aber eine Faust, fest wie Eisen, fiel auf seinen erhobenen Arm, und der Schlag war so heftig, daß der Dolch ihm aus der Hand sank. Dantes setzte seinen Fuß darauf und riß dann das Kind an sich. Eine Tür öffnete sich. Ralph stieß einen Schrei aus und schlug nach dem Greise oder nach dem Kinde. Er traf den Greis. Dann eilte er fort, dem Fenster zu.

Dantes hatte den Schlag mitten auf die Brust empfangen. Es war der Schlag eines Verzweifelnden – eines Menschen, der mit diesem einen Schlage die ganze Welt hätte vernichten können – Dantes stöhnte tief auf und lehnte sich an die Wand. Das Kind war erwacht; als es sich aber in den Armen des Mannes sah, der es so oft trug und liebkoste, lächelte es.

Unter den Ersten, die herbeieilten, befand sich Richard, Edmond und Alfonse. Sie trafen Dantes noch immer an der Wand lehnen, das Kind in seinen Armen, unfähig ein Wort zu sprechen, die Miene ruhig, sanft, aber dennoch schmerzerfüllt. Ueberrascht, wie seine Genossen, nahm Richard das Kind aus den Armen des Greises, und schon ertönte aus Elizas Zimmer jener Schrei, der selbst im Munde einer Mutter, wenn ihr das Kind geraubt worden, wild und entsetzlich klingt. Richard eilte mit dem Kinde zu ihr.

Jetzt wurde auch der Dolch sichtbar, der auf dem Boden lag. Dantes legte den Finger an seine Lippen und schüttelte den Kopf, zum Zeichen, daß er nicht sprechen könne. Edmond und Alfonse trugen ihn nach dem nahen Saal und setzten ihn dort auf einen Lehnsessel. Mr. Büchting, der jetzt ebenfalls erschien, erriet aus den Zügen des Greises, was bevorstehe. Er befahl Licht anzuzünden und die Frauen herbeizurufen. Ein Blick des Greises dankte ihm. Dann reichte Mr. Büchting dem Missionar Papier und Feder.

»Ralph Pettow wollte das Kind rauben,« schrieb Dantes auf das Papier, und seine Schriftzüge waren noch ganz klar und sicher. »Ich erkannte ihn – ich sterbe glücklich in dem Gedanken, daß ich eine so entsetzliche Tat verhindern konnte. Hütet Euch vor Ralph.«

Als Mr. Büchting das staunend las, berichteten ihm Edmond und Alfonso leise, wie sie den Greis auf dem Korridor gefunden. Edmond gab sogleich den Befehl, das Haus und die Umgegend zu durchforschen.

Dantes schrieb weiter:

»Ich hoffe, die Sprache noch einmal zu erlangen. Ich wußte, daß es bald mit mir vorüber sei – Gottes Wille sei gelobt! Als ich Ralph sah, fühlte ich eine heftige innere Erschütterung – es war ein Schrecken, wie ich ihn nie empfunden. Glücklicherweise behielt ich meine Ueberlegung. Der Schlag, den er mir auf die Brust gab, muß eine Ader zersprengt haben. Es wird bald vorüber sein. Laßt alle rufen, die mir lieb sind!«

Sie waren schon gekommen. Mit bangen, erschreckten, zerstörten Zügen betraten die Frauen, in weite Nachtmäntel gehüllt, den Saal, Mistreß Büchting ging zuerst auf den Sterbenden zu und küßte seine Hand. Die jungen Frauen folgten und alle knieten mit gesenktem Haupte vor dem Greise. Er legte seine rechte Hand abwechselnd auf die Scheitel der Frauen. Dann wandte er sich zu den Männern. Sein Auge hatte einen frischen, jugendlichen, lebhaften Glanz angenommen. Er reichte Mr. Büchting und Mr. Everett die Hand. Die jungen Männer küßten sie, als er sie ihnen entgegenstreckte. Aller Augen waren feucht. Niemand hatte dieses Ereignis für so nahe gehalten. Und nun war es unter so ergreifenden Umständen eingetreten. Die letzte Handlung in dem Leben dieses seltsamen Mannes war eine Tat, durch die die ganze Familie vor namenlosem Schmerz bewahrt wurde!

Dantes deutete wieder auf den Tisch, auf welchem das Papier lag und schrieb dann:

»In meinen Papieren, die Euch allen zugänglich sind, findet ihr einige wenige Andeutungen über das, was ich wünsche. Meine Gattin ist auf meinen Tod vorbereitet. Ich habe ihr vor 4 Wochen geschrieben, daß ich meine Auflösung nahe fühle. Gott wird sie segnen! Sie ist würdig, von Euch geliebt zu werden. Vielleicht wählt sie ihren Aufenthalt jetzt bei Euch. Meine Kinder sind gereift genug, um jetzt die glänzendere Seite des Lebens kennen zu lernen. Nehmt Euch ihrer an, als wären es Eure Geschwister. Doch ich weiß, daß ihr sie lieben werdet, und ich segne Euch alle im voraus.«

Nach einer Pause fügte er die Worte hinzu:

»Seit dem Tode Lincolns fühlte ich mich schwach werden. Der Schlag hatte mein Innerstes getroffen. Ich begriff, daß ich der Natur meinen Zoll zahlen müsse, und daß meine Aufgabe zu Ende sei. Ich habe viel Unrechtes getan, aber nicht zu selbstsüchtigen Zwecken, sondern nur verleitet durch falsche Eingebungen, die ich für die richtigen hielt. Vielleicht habe ich in meinem späteren Leben einige von den Fehlern meiner früheren Lebensjahre gut gemacht. Ich fühle mich wenigstens heiter und froh, und es ist mir, als ob die weit geöffneten Arme Gottes mich erwarten. Ihr, die ihr vor mir steht, seid ein Anblick, der mein Herz hoch erfreut, ein Bild, wie es tröstender kein Sterbender sieht – Ihr werdet mich nie vergessen, in Eurer Brust wird mein wahres Grab sein – und ich werde dort wohnen, denn Ihr wißt, daß ich Euch geliebt habe.

Meine Gebeine laßt in diesem Tal ruhen. – Es ist ein schöner Name, Tal der Hoffnung!«

Ein Lächeln umspielte seine Wangen, während er das schrieb. Mit dem letzten Worte entsank ihm plötzlich die Schreibfeder, er stöhnte leise; Mr. Büchting lehnte ihn in den Sessel zurück. Sein Auge flog noch einmal über die knieenden Frauen, zu denen sich auch die Männer gesellt hatten – über die Diener, die in stummem Schmerze ebenfalls in die Knie gesunken waren – es schien sich wie grüßend zu bewegen – dann öffnete er die Arme ein wenig und tat einen tiefen Atemzug. Eine plötzliche Veränderung ging mit seinen Gesichtszügen vor, der eigentümliche Ausdruck des Lebens war plötzlich von ihm gewichen, wie wenn eine helle Landschaft plötzlich in Schatten versinkt. Es war der Tod, und Mr. Büchting drückte ihm sanft die Augen zu. Etwas ernster war das Gesicht geworden, aber es behielt den milden, friedlichen Ausdruck.

Eine Viertelstunde lang sprach niemand ein Wort, erhob niemand das Haupt. Alle beteten still.

Dann richtete sich Mr. Büchting auf.

»Der beste, der edelste Mensch, den ich gekannt habe, ist gestorben!« sagte er mit zitternder Stimme. »Wir werden ihn nie vergessen; was wir sind, sind wir durch ihn. Möge sein Andenken uns die Kraft verleihen, seinem Beispiel nachzuleben, so weit unsere schwachen Fähigkeiten dazu ausreichen!«

Die Männer erhoben sich und schüttelten sich die Hand, als wollten sie das Gelübde, das Mr. Büchting im Namen aller und angesichts der teuren Leiche abgelegt hatte, bekräftigen. Die Frauen weinten schmerzlich, wenn mich nicht laut. Niemand sprach ein Wort. Stumm verließ die Familie den Saal. Nur Mr. Büchting und Mr. Everett blieben zurück, um wegen des Toten einige Anordnungen zu treffen. Edmond sandte eine Anzahl Reiter nach der Umgegend, die jeden Verdächtigen anhalten und nach der Hacienda führen sollten. Es ließ sich freilich annehmen, daß Ralph sich für jetzt aus der Nähe entfernt habe. – –

Während auf diese Weise die Hacienda in tiefe Trauer versetzt war, in die sich stille und innige Dankgebete über die Verhinderung des schmachvollen Kindesraubes mischten, jagte Ralph Pettow durch die nächtliche Landschaft nach Queretaro zurück.

Er war wie betäubt, vermochte keinen geordneten Gedanken zu fassen. Sich sagen zu müssen, daß er um die Frucht monatelanger Arbeit betrogen sei, daß ihm nicht nur sein Plan mißlungen, sondern daß er auch erkannt worden, daß abermals also seine Pläne gegen diejenigen vereitelt seien, die seiner Rache bisher entgangen, das alles schlug ihn vollkommen nieder, und zuerst floh er in aller Eile, weil er glaubte, die Verfolger seien ihm aus der Ferse. Allmählich sammelte er seine Gedanken. Aber auch nun behielt eine ingrimmige, doch ohnmächtige Wut über das Vereiteln seines Planes die Oberhand über seine anderen Empfindungen. Er hatte so sicher an das Gelingen geglaubt, und nun war dieser Alte wie ein Gespenst dazwischen getreten! Ralph begriff nicht, daß er den Alten nicht niedergestochen. Was hatte ihn denn daran gehindert? War er erschrocken gewesen? Hatte der Schlag des Greises seinen Arm gelähmt? Allerdings hing ihm der Arm wie gebrochen nieder.

Wie dem auch sein mochte – es war mißlungen!

Diese Nacht barg noch einen anderen Plan Ralphs, einen ebenso ungeheuerlichen, ebenso schmachvollen Plan. Sollte auch dieser mißlingen? Es kam eine fast abergläubische Furcht über ihn. Er war nicht mehr der starke, übermütige Spötter, der Gott und die Welt verhöhnt und beiden getrotzt hatte. Es trug ihn nicht mehr der stolze Glaube an die Notwendigkeit des Gelingens alles dessen, was er unternahm. Wenn auch dieser zweite Plan mißlang, wenn Ralph am folgenden Morgen als ein Bettler aus diesem Lande fliehen mußte, wohin dann? Ob ihm der Fluch und die Verachtung der Menschheit folgten, das war ihm gleichgültig. Hätte er nur wenigstens das Gefühl befriedigter Rache mitgenommen!

So erreichte er die Linien der Juaristen. Es war noch vollständige, tiefe Nacht, aber merkwürdigerweise standen sämtliche Truppen unter den Waffen, als ob man einen Angriff erwarte oder sich zu einem Ueberfall vorbereite.

Ralph rief fortwährend sein Losungswort, gelangte zu einem einsamen Hause, vor welchem mehrere Offiziere zu Pferde hielten.

»Nun, da seid Ihr! Es ist gut!« sagte der eine. »Wir wollen zusammen reiten. Ich habe wohl nicht nötig, Euch zu sagen, daß ich Euch den Kopf zerschmettere, wenn ich Verrat merke!«

»Seien Sie ohne Besorgnis, General,« erwiderte Ralph. »Und vergessen Sie das Geld nicht!«

»Das trägt ein anderer,« erwiderte der General. »Nun vorwärts! Die Truppen folgen uns ganz langsam. Sorgen Sie dafür, meine Herren, daß kein lautes Wort gesprochen wird und daß die Mannschaften weit genug voneinander marschieren, um nicht mit den Waffen aneinander zu klirren. Adelante!«

Sie ritten langsam nach der Richtung von Queretaro vorwärts, das nur durch einzelne helle Punkte, die von erleuchteten Fenstern oder von Wachtfeuern herrührten, kenntlich war. Ungefähr eine Viertelstunde vor der Stadt machten die Offiziere und die Truppen, die ihnen geräuschlos folgten, Halt. Zwei Männer kamen von der Stadt hergeritten. Auf ein »Werda?« der vordersten Juaristen antworteten sie »Unabhängig und San Luis Potofi!«

»Sie sind es!« sagte der General und ritt ihnen entgegen.

»Nun, Oberst, alles in Ordnung?« fragte er den einen, der sein Gesicht durch einen breitkrempigen Hut verdeckt und außerdem noch ein Tuch über die Stirn und das eine Auge gebunden hatte.

»Alles. Ich habe meine Befehle gegeben; die Mannschaften sind auf verschiedenen unbedeutenden Punkten versammelt. Sie glauben, daß es sich um die Dispositionen zum Ausmarsch handelt und haben ihre Portionen Pferdefleisch und Vino Tinto bereits erhalten. Der Weg zum Convent San Francisco ist ganz frei. Mein Begleiter wird so viel Truppen dorthin führen, als Sie für notwendig halten. Ich selbst führe Sie nach dem Convent la Cruz.«

»Gut, gut,« sagte der General. »Wer ist Ihr Begleiter?«

»Der Polizeiagent Jablonski – Sie können ihm unbedingt vertrauen.«

»Nun denn, Don Jablonski,« sagte der General, »so führen Sie die tausend Mann, die dieser Herr hier kommandiert« – er deutete auf einen seiner Offiziere – »nach dem Convent San Francisco. Im Vorüberziehen können Sie auch einzelne Wohnungen von Ober-Offizieren bezeichnen, und sie sollen dann besetzt werden. Ich folge Ihnen, Oberst Lopez, und übernehme die Besetzung des Convents la Cruz – Maximilian ist noch dort?«

»Gewiß, und er schläft sehr ruhig,« antwortete der Oberst.

»Nun gut,« sagte der General, »die anderen Truppen sind rings um die Stadt verteilt – der Cerro de las Campanas ist umzingelt – es ist alles in Ordnung.«

»Und wo finde ich Sie, Herr General?« fragte Ralph.

»Nun, wo es abgemacht ist,« antwortete der ungeduldig. »Und treffen Sie mich nicht, so finden Sie meinen Bevollmächtigten. Er wird alles arrangieren.«

»Ich dränge nur deshalb, Herr General,« sagte Ralph, »weil ich notwendig um sechs Uhr morgens die Stadt verlassen muß.«

»Ja, ja, ich weiß schon, Ihr werdet alles erhalten,« erwiderte der General kurz.

Es war jetzt zwischen 3 und 4 Uhr morgens. Ralph wußte nicht, wohin er sich begeben sollte. Zu Hause hatte er nichts zu holen. So folgte er denn langsam der Truppe, die nach dem Convent la Cruz zog.

Er merkte es wohl, man kümmerte sich nicht mehr viel um ihn. Er war bis dahin, so lange er die Unterhaltungen zwischen dem verräterischen Oberst Lopez und dem juaristischen General Escobedo leitete, eine Hauptperson gewesen. Jetzt, wo das Unternehmen so gut wie gelungen, schob man ihn beiseite. Nun, das war ihm gleichgültig. Zwischen fünf und sechs Uhr sollte er in einem Vorderhause des Convents la Cruz 20 000 Piaster ausgezahlt erhalten – um sechs Uhr erwartete ihn Marion an der Casa Hernandez, und dann – ja, dann wollte er noch einen anderen Plan auszuführen suchen. Aber das hing freilich davon ab, ob die Männer, die ihn unterstützen sollten, freie Zeit haben würden.

*

Währenddessen schlief Kaiser Max unruhig in dem Gemach des Convent la Cruz, das ihm zum Schlafzimmer diente. Alle Dispositionen waren getroffen, um sechs Uhr morgens sollte der Aufbruch der Truppen erfolgen. Von dem glücklichen Gelingen des Planes hing die Zukunft des Kaiserreiches ab – kein Wunder, wenn die Nacht für Maximilian eine unruhige war.

Die Tür zu dem Vorzimmer, in welchem ein Adjutant und einige Soldaten schliefen, war geöffnet und von der dort brennenden Lampe fiel ein matter Schein in das Schlafzimmer des Kaisers und auf das einfache Bett desselben. Ja, alles war einfach in diesem Raum. Der Luxus hatte längst aufgehört, den kaiserlichen Hofstaat zu umgeben. Seit Monaten war Queretaro von jeder Verbindung mit Mexiko und den übrigen dem Kaiser ergebenen Stätten abgeschlossen, und der Kaiser, sowie seine Umgebung entbehrten nicht nur des Luxus, sondern auch der kleineren Annehmlichkeiten des Lebens. Eine Flasche guten Weins auf der kaiserlichen Tafel war zur Seltenheit geworden. Wie fern, unendlich fern lag das freundliche Miramare an der Adria hinter dem Kaiser, dem die Krone zur Dornenkrone geworden! Vielleicht träumte er noch zuweilen von jenen ruhigen, sorglosen Stunden, und diese Träume waren die einzige Erquickung seines Daseins!

Unruhig warf er sich von einer Seite auf die andere. Seine Uhr hing über dem Bett, und wenn er sich aufrichtete, konnte er die Zeit erkennen. Es war vier Uhr. Er stand auf. Der Adjutant hatte es gehört und kam zu ihm. Maximilian war halb bekleidet und legte seinen Uniformrock an.

»Eine unendlich lange Nacht!« sagte der Kaiser. »Ich kann nicht mehr schlafen. Wozu auch die Quälerei!«

Von dem Schlafzimmer aus führte eine Tür auf eine gemauerte Galerie, die sich um diesen Teil des Gebäudes herumzog. Der Kaiser trat hinaus. Die Nacht war unangenehm kühl. Kein Morgengrauen im Osten verkündete den nahen Tag. Jene südlichen Gegenden kennen keine Morgenröte. Die Sonne steigt plötzlich empor und versinkt ebenso schnell am Abend.

Der Adjutant stand hinter dem Kaiser in der Tür.

»Es scheint schon lebendig in der Stadt oder im Konvent selbst,« sagte der Kaiser. »Hören Sie nichts?«

Der Adjutant trat auf die Galerie und lehnte sich hinaus.

»Ja, in der Tat,« sagte er, »das klingt, als ob kleine Trupps marschieren. Oberst Lopez hat, wenn ich nicht irre, den Auftrag, einige Truppen-Dislokationen zu leiten. Wahrscheinlich dirigiert er die Truppen bereits nach den bezeichneten Orten.«

»Wahrscheinlich,« sagte der Kaiser gedankenvoll. »Es ist freilich noch etwas früh.«

Er setzte sich auf die Brüstung der Galerie und versank in tiefes Schweigen.

»Rufen Sie den Diener,« sagte er dann. »Ich will mich fertig machen und mich mit Tagesanbruch den Truppen zeigen.«

Der Diener kam und der Kaiser beendete seine einfache Toilette, nahm auch etwas Arzenei. Er litt seit einiger Zeit an der Dysenterie. Der Diener fragte, was Se. Majestät zum Frühstück wünsche.

»Nichts als eine Tasse Schokolade,« erwiderte Max. »Später, ehe ich zu Pferde steige, vielleicht ein Glas Wein.«

Dann trat er wieder auf die Galerie.

»Hören Sie? Was ist das?« fragte er hastig den Adjutanten.

Auch dieser hatte einen lebhaften Wortwechsel vernommen, unten in den Außenräumen des Konvents. Dann war alles wieder still. Man hörte nur ein Geräusch, wie von Pferdehufen.

»Die Waffen sind doch in Ordnung?« fragte der Kaiser.

»Gewiß, Majestät!«

»Es ist fast unheimlich in diesem stillen Kloster!« sagte der Kaiser leise. »Ich bin seltsam unruhig. Nun, mit dem Morgengrauen und bei frischer Tätigkeit wird das vergehen.«

Das große Konvent bestand aus mehreren, sehr festen, von einander getrennten und doch wieder verbundenen Teilen, die sämtlich von Truppen besetzt waren. Möglich aber, daß die Besatzung der Außenwerke bereits bis auf einige Wachen ihr Quartier verlassen hatten. In dem inneren, festen Teile befand sich die Wohnung des Kaisers Maximilian.

Es klopfte an eine Außentür. Der Kaiser trank gerade seine Schokolade.

»Es ist eine Meldung vom Obersten Tinajero,« sagte der Adjutant, der gegangen war, um zu sehen, was es gebe. »Der Feind macht in der Flanke eine Bewegung nach der Stadt zu, die auf einen Angriff deutet.«

»Möglich!« sagte der Kaiser. »Wahrscheinlich hat man unseren Plan erraten und will uns zuvorkommen. Um so besser, wenn der Feind steht.«

Wenige Minuten darauf kamen andere Meldungen. Ein Offizier wollte in der Dunkelheit Stimmen gehört haben, die nicht den Soldaten der Besatzung des Konvents angehörten. Demnach müßten sich Feinde im Konvent befinden.

»Unmöglich!« rief bei Kaiser lachend. »Und doch bin ich selbst heut aufgeregt genug, um solchen Unsinn zu glauben. Ich will sogleich mit Miramon und Mejia nach dem Cerro. Diese Untätigkeit hier ist mir unerträglich. Es dämmert. In wenigen Minuten ist es hell. Lassen Sie Miramon und Mejia benachrichtigen. Sie sind gewiß ebenfalls schon wach.«

In diesem Augenblick ertönten einige starke Glockenschläge von dem Turm des Konvents. Der Kaiser und alle Anwesenden fuhren zusammen. Als die Töne verklungen waren, hörte man deutlich, daß ihnen eben so viel Glockenschläge vom Turm San Francisco in der Stadt antworteten.

»Bei Gott, wer gibt ein solches Signal ohne unsere Erlaubnis?« rief der Kaiser. »Was soll das heißen?«

»Majestät,« sagte der Adjutant, »ich glaube die Annäherung des Generals Marquez sollte in dieser Weise signalisiert werden.«

»Ah – wenn das wäre!« rief der Kaiser freudig. »Marquez in der Nähe! Und grade heut! Dann wäre der Sieg unser! Ja, ja, es wird Marquez sein! Meine Ahnung war eine freudige!«

Er richtete sich stolz auf; Siegesmut blitzte aus seinen Augen. Unmittelbar darauf wurde der Prinz Salm gemeldet und trat ein. Es war in der letzten Minute plötzlich heller geworden. Aus dem Fenster sah man die hohen Gipfel Sierre Garda bereits von der Sonne beleuchtet.

»Haben Sie gehört, Salm?« rief der Kaiser. »Marquez kommt! Seine Truppen sind signalisiert!«

Salm war blaß. Er vermochte einige Sekunden lang nicht zu sprechen. Dann trat er näher an den Kaiser heran.

»Majestät,« sagte er, »es ist nicht Marquez! Der Feind ist im Konvent und in der Stadt!«

Und als der Kaiser ihn anstarrte, als verstehe er ihn gar nicht, fuhr er mit trauriger Stimme fort:

»Ja, es ist so, Majestät! Das Signal wurde von den Juaristen im Konvent abgegeben, und die Juaristen in der Stadt haben es vom Turme des Konvents San Francisco erwidert.«

»Das heißt also, wir wären gefangen?« rief der Kaiser.

»Ich glaube, Majestät. Ich wollte über den Außenhof gehen, da trat mir ein Mann mit gefälltem Bajonett entgegen und rief: Zurück! Dennoch wäre es vielleicht möglich, den Versuch zu machen, ins Freie und zu den Truppen auf dem Cerro zu gelangen.«

»O, mein Gott!« rief der Kaiser und schlug sich mit der Hand vor die Stirn, dann lehnte er sich an einen Tisch und blickte starr vor sich hin. »Und gerade heut, heut, wo ich alles für gewonnen hielt. Das kann nur Verrat gewesen sein! Gott strafe den elenden Verräter!«

»Dazu sage ich Amen!« rief Salm mit funkelnden Augen. »Und nun, Majestät, lassen Sie uns den Versuch machen, zu irgend einem Truppenteil zu gelangen.«

»Wo sind Miramon und Mejia?« rief der Kaiser.

»General Miramon soll nach dem Platz geeilt sein, um dort die Truppen zu formieren,« antwortete Salm. »General Mejia habe ich nicht gesehen. Ohne Zweifel ist er ebenfalls bei seinen Leuten.«

»So kommen Sie!« rief der Kaiser.

»Nicht so, Majestät,« sagte Salm. »Nehmen Sie einen einfachen Paletot. Wir dürfen nicht auffällig scheinen. Noch habe ich nicht alle Hoffnung aufgegeben.«

Der Kaiser war tief erregt, obwohl er äußerlich ruhig blieb. Sein Diener half ihm, einen grauen Paletot von militärischem Schnitt, aber ohne Rang-Abzeichen, anlegen. Die Umstehenden schienen vollkommen niedergeschmettert und blickten dem Kaiser und dem Prinzen Salm mit entsetzten Blicken nach.

Es war jetzt heller Tag. In dem Hauptgebäude des Konvents schien alles ruhig. Ein großer Teil der Mannschaft mochte noch gar nicht wissen, was geschehen sei. Der Kaiser und Salm gingen über einen breiten Hof, der zu den äußeren Gebäuden des Konvents führte. Dort standen zwei Mann Wache.

»Die Losung!« riefen sie.

»Wir kennen sie nicht, wir sind keine Soldaten,« antwortete Salm.

»Zurück! Keiner darf ohne Losung passieren.«

Jetzt erschien ein juaristischer Offizier.

»Bitte, lassen Sie uns passieren,« rief ihm Salm zu. »Sie sehen, wir sind Zivilisten.«

Der Offizier prüfte die beiden und namentlich den Kaiser mit aufmerksamem Blick. Dann verneigte er sich leicht. Er mochte den Kaiser erkannt haben und ihn retten wollen.

»Können passieren!« sagte er.

Die Wache schulterte ihr Gewehr. Der Kaiser warf dem feindlichen Offizier einen Blick herzlichen Dankes zu und schritt dann mit Salm durch das Vordergebäude. Eine Anzahl Diener und Offiziere war ihm gefolgt; wahrscheinlich hatte der juaristische Offizier auch diese frei passieren lassen. Unter ihnen befand sich auch Lopez.

»Nun, Lopez, was sagen Sie zu diesem schmachvollen Verrat?« fragte der Kaiser. »Haben Sie eine Ahnung, wer der Verräter ist? Sie waren doch in der Nähe dieses Konvents. Wie teuflisch schlau muß der Plan ausgeführt sein, daß Sie nichts bemerkt haben!«

»Ich habe keine Ahnung,« antwortete Lopez, das Auge zu Boden gesenkt – denn Prinz Salm beobachtete ihn mit durchbohrendem Blick von der Seite.

»Weshalb sind die Mündungen der Kanonen nach der Stadt gerichtet?« rief der Kaiser lebhaft, auf acht Geschütze deutend, die auf dem Platz vor dem Kloster standen.

»Ich weiß es nicht – wahrscheinlich die Verräter –« murmelte Lopez.

»Ja, die Verräter!« wiederholte Prinz Salm. »Nun, noch haben sie nicht triumphiert!«

Vom Platze her salutierte General Miramon den Kaiser, sobald er ihn bemerkte, mit dem Degen. Der General war bemüht, Ordnung in seine kleine Truppe zu bringen. Aber das war nicht leicht. Die Truppen wußten, daß der Feind in der Stadt sei – man hörte in der Stadt Gewehrfeuer und von den benachbarten Bergschanzen Kanonendonner. Plötzlich sprengte ein Adjutant Miramons auf den General zu und schoß einen Revolver dicht vor seinem Gesicht ab. Miramon stürzte vom Pferde. Ein Teil der Soldaten floh.

»Das ist Rebellion und vollkommene Auflösung!« sagte der Kaiser, dessen Miene tief schmerzlich geworden war.

»Auf dem Cerro steht die Hauptmacht unserer Truppen!« rief Prinz Salm. »Dorthin, Majestät!«

Noch einmal flackerte ein schwacher Hoffnungsstrahl in dem Gesicht des Kaisers auf. Von Prinz Salm und einer stets wachsenden Anzahl von Offizieren, die aus allen Straßen herbeieilten, begleitet, ging der Kaiser schnell nach dem Cerro de las Campanas. Dort suchte General Mejia die Truppen zu ordnen. Aber es war nicht möglich. Fast die gesamte Artillerie der Juaristen sandte einen Hagel von Granaten auf den Cerro, und wenn die Artillerie schwieg, brachen Reitergeschwader auf die verwirrte Truppe herein, um jeden Versuch, eine Gefechtslinie zu formieren, zu verhindern.

Der Kaiser stand, auf seinen Degen gestützt, und schaute mit fast leblosem Blick auf die Gebirgsschanzen, aus denen der weiße Rauch, von einem dumpfen Knall gefolgt, aufwirbelte.

»Ich wünschte, es gäbe eine Kugel für mich!« sagte er tonlos.

Eine Granate schlug in der Nähe ein – dicht am Kaiser vorüber flog einer von den Splittern und tötete einen Mann. Der Kaiser blickte sich nach ihm um, und ein bitterer Zug lagerte sich auf sein Gesicht und verließ es nicht mehr. Vielleicht beneidete er den Mann.

»Genug, genug!« rief Maximilian plötzlich. »Lassen Sie Ruhe gebieten, wir müssen parlamentieren! Castillo, senden Sie einen Offizier hinüber und lassen Sie dem Kommandeur der Feinde sagen, daß wir zu unterhandeln wünschen.«

General Castillo gab den Befehl. Während der Offizier mit dem Parlamentärzeichen nach der feindlichen Linie zuging, trat eine tiefe Stille ein. Von den Schanzen krachte noch zuweilen ein Schuß herüber. Niemand von den Kaiserlichen sprach. Nur einmal unterbrach Prinz Salm die Stille mit den halblauten Worten:

»Möge der Verräter dieser Stunde gedenken und sich ihrer im Todeskampfe erinnern!«

General Corona hatte die Angreifenden kommandiert. Er erschien jetzt mit dem General Cortina und seinem Generalstab auf der Höhe von Cerro. Der Kaiser ging ihm eine kurze Strecke entgegen und bat General Corona, einige Worte mit ihm allein sprechen zu dürfen.

Corona trat zur Seite.

»Wir haben Unglück gehabt, wir sind verraten worden,« sagte der Kaiser. »Sie werden uns die Achtung, die braven Soldaten geziemt, nicht verweigern. Was mich betrifft, so bin ich nicht mehr Kaiser von Mexiko. Als ich Mexiko verließ, habe ich meine Abdankung in einem Dokumente ausgesprochen und dem Minister Lacunza übergeben, in dessen Archiv es sich befinden muß. Ich sage dies nicht, um irgend welche Vorteile für mich dadurch zu erlangen; im Gegenteil, ich selbst bin zu jedem Opfer bereit und biete mich zu einem solchen an, wenn man es verlangt. Ich mache Ihnen die Mitteilung nur, um Ihnen nichts zu verbergen. Wollen Sie meinen Degen nehmen?«

»Ich sehe dort unseren Chef, General Escobedo kommen,« antwortete Corona.

»Gut denn!« antwortete der Kaiser, und als Escobedo, der Mann mit dem unerbittlichen Gesicht, herangekommen war, übergab ihm Maximilian seinen Degen. Escobedo nahm ihn mit unbewegter Miene, in der nichts von Teilnahme oder Bewegung zu lesen war.

Eine halbe Stunde darauf war Maximilian mit seinem Gefolge gefangen im Convent de las Capuchinas. Oberst Lopez ging frei durch die Stadt. – –

*

Ralph Pettow hatte, nachdem Lopez die republikanischen Truppen in den Convent de la Cruz geführt, noch geraume Zeit vor dem Platz vor dem Kloster gehalten und gesehen, wie der Kaiser dasselbe mit seinem Gefolge verließ. Das war ungefähr um halb sechs Uhr gewesen. Nun übergab er sein Pferd einem Soldaten und trat in das Vordergebäude des Konvents.

»Wo treffe ich Don Sylvio?« fragte er.

Man wies ihn zurecht, und in einem der geräumigen Zimmer des unteren Stockwerkes fand er den Zahlmeister Escobedos.

»Ah, da sind Sie ja, Don Brandon!« sagte dieser freundlich, und Ralph bemerkte nicht, daß sich in dieses freundliche Lächeln ein feiner Spott mischte. »Nun, es ist alles glücklich gegangen. Wieviel war es doch?«

»Zwanzigtausend Piaster!« sagte Ralph.

»Eine schöne Summe!« meinte Don Sylvio und öffnete einen Kasten, in welchem eine Menge Papierscheine lagen.

Ralph entfärbte sich ein wenig, trat etwas näher zu Don Sylvio und legte die Hand auf den Tisch.

»Was soll das heißen?« fragte er. »Ich bekomme zwanzigtausend Piaster in Gold, zahlbar in Unzen!«

»Wirklich?« sagte Don Sylvio lächelnd. »Seine Exzellenz haben mir ausdrücklich gesagt, daß ich Ihnen in Banknoten Ihres eigenen Landes zahlen sollte.«

»Meines eigenen Landes? Nun, die Scheine dort sehen doch nicht wie Unions-Banknoten aus!« rief Ralph.

»Nein, nicht wie Banknoten der Union, aber Sie gehören ja auch dem Süden an!« antwortete Don Sylvio. »Wir haben diese Scheine, ich weiß nicht mehr bei welcher Gelegenheit, ich glaube in Matamoras, in Zahlung erhalten, für zwanzigtausend Piaster nach unserem Gelde. Hier sind sie!«

Ralph stand sprachlos. Darauf war er nicht gefaßt gewesen. Ueberhaupt lag ihm – so seltsam das scheinen mag – ein so niedriger, gemeiner Verrat fern. Mord, wo seine Interessen oder seine Leidenschaften es verlangten – Entführung, wo ihm ein schönes Weib gefiel, – das schreckte ihn nicht. Aber mit »Kleinigkeiten« hatte er sich nie abgegeben, und von seinem kaufmännischen Leben her klebte ihm noch immer gewohnheitsmäßig eine gewisse Rechtlichkeit an. Man hatte ihm 20 000 Piaster versprochen, und er hatte unbedingt geglaubt, daß man es ernst meine, daß ein so großer Dienst, wie er ihn den Juaristen erweisen wolle, mindestens eine solche Summe als Lohn beanspruchen dürfe. Nun dieses Papiergeld – es schien texanisches zu sein – das zur Zeit bei Rebellion fabriziert worden und jetzt vielleicht nicht mehr wert war, als Makulatur! – er stand vernichtet.

»Unmöglich!« sagte er, sich zum Lächeln zwingend. »Es ist Ihr Scherz. Dieses Papiergeld ist keinen Piaster wert.«

»Um so schlimmer für uns, denn wir mußten es damals für voll annehmen,« sagte Don Sylvio achselzuckend.

Furchtbares Verhängnis! Noch im letzten, im entscheidensten Augenblick seines Lebens würde der Verräter mit dem gestraft, womit er gefrevelt. Zuerst war er für die Rebellion zum Verräter geworden, hatte für sie seine Existenz aufs Spiel gesetzt, und mit dem wertlosen Gelde dieser Rebellion ward er nun verhöhnt –!

»Scherz beiseite!« rief er barsch. »Geben Sie mir bares Geld, Gold, soviel Sie gerade haben – ich muß fort!«

»Ich habe nur eine Unze,« antwortete Don Sylvio. »Und es ist auch nur Privateigentum.«

»Tod und Hölle, Ihr seid ein gemeiner Spitzbube!« rief Ralph in wilder Wut und seine Hand zuckte nach dem Dolche – aber der lag in der Hacienda.

»Seien Sie nicht ungerecht!« meinte Don Sylvio gelassen. »Wir glaubten, diese Papiere fänden immer noch ihre Abnehmer. Und Sie sind ja selbst Amerikaner und äußerten einmal zu mir, das Papiergeld des Südens sei besser gewesen, als das Gold des Nordens!«

Ralph begriff, daß es eine furchtbare Vergeltung gebe. Aber Reue empfand er nicht. In ohnmächtiger Wut schäumte er auf gegen die gerechte Strafe.

»Was glauben Sie, würde ich mit Escobedo tun, wenn er hier wäre?« flüsterte er unheimlich dem Zahlmeister zu.

»Das weiß ich nicht,« erwiderte dieser kühl. »Sie würden ihm vielleicht Vorwürfe machen, die er nicht verdient.«

»Ich würde ihn mit diesen meinen Händen erwürgen!« rief Ralph, die Arme ausstreckend.

»Wenn Sie mit solchen Gedanken Queretoro recht bald verlassen wollten, so wäre es sehr gut für Sie!« sagte Don Sylvio, jedes Wort betonend, und Ralph sehr ernst anblickend. Dabei zog er eine Klingel. »Also, Sie wollen diese 20 000 Piaster nicht annehmen, Don Brandon?« sagte er dann.

Ralph machte nur eine Bewegung des Abscheus und der Verachtung und wandte sich der Tür zu.

»Führe diesen Herrn wieder aus dem Konvent und sorgt dafür, daß er ungehindert passiert,« sagte Don Sylvio zu dem eintretenden Sergeanten. »Er ist einer der Unserigen.«

»Der Eurigen?« knirschte Ralph. »Oh, ehe ich zu Euch gehören möchte – lieber verschriebe ich mich dem Teufel!«

Er folgte dem Sergeanten und schwankte hinaus. Als er sein Pferd besteigen wollte, fühlte er sich zu schwach dazu. Es war ihm, als schwanke der Boden unter seinen Füßen. Er lehnte sich gegen das Pferd. Was nun?

Ja, was nun! Wenn Marion ihn erwartete, durfte er sie mit sich nehmen? Er besaß nicht einen einzigen Piaster mehr in seinem Vermögen. Was sollte er denn mit ihr beginnen? Das war kein Weib, um Entbehrungen zu ertragen. Und doch – sie aufgeben? Das einzige, was er vielleicht noch sein nennen konnte?

Er versuchte zu überlegen, die Gedanken wollten ihm nicht mehr gehorchen. Er war durch das Nachtwachen, durch die Aufregung in der Hacienda bis auf den Tod ermüdet und abgespannt.

Noch einen Plan hatte er gehabt. Er kannte eine Truppe unter den Juaristen, die fast nur aus Gesindel zusammengesetzt war. Mit dieser wollte er die Hacienda Edmonds überfallen, wollte plündern, morden. Da fand er besseres Geld, als in der Kasse des Zahlmeisters. Ja, wenn das gelang, dann war alles gut. Dann rächte er sich und verschaffte sich zugleich die Mittel, die ihm fehlten. Aber ob er die Truppe dazu bewegen könne, ihm zu folgen? Er hatte mit dem Führer nur einzelne allgemeine Besprechungen gehabt und dieser hatte sich bereit erklärt, jede Hacienda zu überfallen, die einem Kaiserlichen gehöre. Ob er einwilligen würde, einen Mann anzugreifen, den das Sternenbanner deckte – dieses von Ralph so unendlich gehaßte Sternenbanner?

Gleichviel, der Versuch mußte gemacht werden! Er wollte Marion nicht ohne weiteres aufgeben. Die Kanonenschüsse, die den Cerro de las Campanas mit Granaten überschütteten, rüttelten ihn auf. Er suchte nach einem Branntweinladen, und für die letzten kleinen Münzen, die er besaß, kaufte er sich schlechten Aguardiente und trank ihn, wie ein Durstiger Wasser. Dann schwang er sich auf sein Pferd, das er bis dahin am Zügel geführt, und ritt nach der Casa Hernandez.

Es war dies ein einzeln stehendes Haus, eine Pension für junge Mädchen, östlich vor der Stadt, auf dem Wege nach der Hacienda Edmonds. Es war nicht leicht, dahin durchzukommen, denn Juaristische Truppen durchzogen in kleinen Abteilungen die Straßen und machten sich den Scherz, die Vorüberkommenden zu necken. Auch schlug zuweilen eine Granate aus den Gebirgsschanzen mitten in einer Straße unter die eigenen Truppen und sprengte die Republikaner auseinander.

»Ob sie gekommen sein mag?« fragte Ralph sich selbst, als er die Casa Hernandez im Schatten eines Hügels vor sich sah. Er blickte angestrengt nach der Richtung, vermochte aber noch nichts zu unterscheiden. Erst als er dicht bei dem Hause angelangt war, erkannte er im Schatten einiger dichtblättriger Akazien eine weibliche Gestalt auf einem Maultier. Er ritt schnell auf sie zu. Sie war ganz verschleiert; es konnte aber nur Marion sein. Ein Mann in der Tracht eines Maultiertreibers stand neben ihr.

»Das Tier ist nicht bezahlt!« rief Marion dem Nahenden hastig in französischer Sprache zu. »Geben Sie dem Manne das Geld. Haben Sie Ihren Zweck erreicht?«

»Wie viel bekommt Ihr?« fragte Ralph, sein Geschick verwünschend.

»Vierzig Piaster,« sagte der Führer.

»Ich kann jetzt nicht wechseln!« rief Ralph ihm zu. »Begleitet uns, wenn Ihr wollt. Wir haben Eile. Wir dürfen keine Minute zögern. Ich habe nur große amerikanische Goldstücke bei mir. Vorwärts, meine Teuere! Vorwärts!«

»Halt – noch eines!« rief ihm Marion zu. »Ist es wahr, daß der Kaiser verraten ist?«

»Gewiß!« antwortete Ralph. »Aber was geht das uns an? Vorwärts, vorwärts!«

»Und stehen Sie etwa mit dieser Tat in Verbindung?« fragte Marion.

Ihre Stimme klang seltsam erregt; ihre Gesichtszüge konnte Ralph wegen des dichten Schleiers nicht erkennen.

»Was geht das uns – was Sie an?« rief Ralph heftig. »Kommen Sie – oder ich reite allein!«

»Sie sind der Verräter des Kaisers, Brandon!« rief Marion, die Hand erhebend. »Verflucht, wer Ihnen folgt, wer Ihre Hand berührt, wer Ihnen einen Trunk Wasser reicht!«

»Weib – Du bist verrückt!« rief Ralph. »Vorwärts!«

Er griff nach dem Zügel des Maultieres. Aber Marion riß das Tier zur Seite, und der Arrero, der fürchten mochte, daß er bei diesem Streit um sein Tier kommen könnte, griff dem Maultier in die Zügel.

In diesem Augenblick schrie Marion laut auf. Es kam ein Zug von Juaristen vorüber, der in seiner Mitte eine Schar von gefangenen Kaiserlichen führte, meist kräftige Reitergestalten. Marion hatte unter ihnen ihren Gatten erkannt. Was trieb sie an, ihm plötzlich zuzurufen? Bereute sie ihren Schritt, oder hatte sie die feste Ueberzeugung gewonnen, Ralph sei der Verräter des Kaisers Max, den sie schwärmerisch verehrte? Alle Umstände stimmten überein.

War sie plötzlich von Haß und Abscheu gegen den Mann erfüllt worden, mit dem sie soeben noch fliehen wollte? Las sie vielleicht auch in den verstörten Mienen Ralphs, daß ihm etwas Unerwartetes und Unheilvolles widerfahren, und konnte das etwas anderes sein, als ein Fehlschlag in Bezug auf den Geldgewinn? Frauen lesen zuweilen entsetzlich scharf in den Zügen der Männer.

»Guarato! Mein lieber Luis! Hierher! Rette mich!« rief Marion fortwährend, Ralphs Flüche und Verwünschungen mit ihrer hellen Frauenstimme übertönend. »Hilf mir! Dieser Verräter, Don Brandon, hat mir gesagt, die Juaristen wollten die Stadt in Brand stecken und plündern, und mich verlockt, ihn zu begleiten. Aber ich weiß jetzt, es ist alles nicht wahr – er lügt – und er hat den Kaiser verraten!«

Ein Wutgeschrei ertönte aus den Reihen der gefangenen Kavalleristen. Guarato war schon mit den Worten: »Laßt mich! Ich laufe Euch nicht fort. Wo sollte ich denn hin?« mitten durch die Eskorte hindurchgestürzt, hatte im Laufen einen schweren Stein aufgerafft und war in wenigen Sprüngen neben Marion. Ralph hatte sich unwillkürlich einige Schritte zurückgezogen. Entfliehen konnte er nicht – rechts die Casa Hernandez, links und hinter ihm Felsenanhänge, vor ihm die Juaristen mit den Gefangenen. Nun, die Juaristen mußten ihn ja passieren lassen. Er drängte sein Pferd zu ihnen hin, das Gesicht verzerrt von Verzweiflung und ohnmächtiger Wut. Dahin war es mit ihm gekommen! Als ein Bettler, erkannt und verraten, sollte er Mexiko verlassen! Jede Hoffnung auf Rache fehlgeschlagen. – Er konnte nicht ausdenken. Der Stein, den Cuarato gegen ihn schleuderte, traf ihn am Halse, so heftig, daß Ralph, wie von einer Kugel getroffen, vom Pferde stürzte.

»Er ist der Verräter!« rief Marion. »Dank Dir, mein teurer Luis, daß Du zur rechten Zeit gekommen. Er wollte mich ebenfalls verraten. Nehmt ihm seinen Judaslohn!«

Kein Wort hätte schneller wirken können. Kaiserliche und Juaristen stürzten sich auf Ralph, der sich soeben mühsam aufraffte und mit hervorquellenden Augen nach einer Waffe suchte.

»Hund, hast Du den Kaiser verraten?« rief Guarato.

»Narr!« antwortete Ralph kaum hörbar. »Dein ehrbares Weib wollte mit mir fliehen – aber die Bestie erriet, daß ich kein Geld habe – – –«

»Du lügst!« rief Guarato.

Schon warf sich ein halbes Dutzend Männer auf Ralph. Man riß ihm im vollen Sinne des Wortes die Kleider vom Leibe und durchsuchte die Taschen.

»Wo ist das Geld, das Blutgeld – der Judaslohn?« heulte die Menge.

»Euer Lump von Zahlmeister wollte mir schlechtes Papiergeld geben,« antwortete Ralph verächtlich, »ich warf es ihm ins Gesicht und ging. Aber ich kann Euch einen Ort zeigen, wo Ihr Hunderttausende findet –«

»Er lügt, er lügt!« rief es von allen Seiten. Ein Stein traf ihn auf die Brust, er sank zusammen. Die Raserei der Soldaten war entfesselt. Juaristen und Kaiserliche zusammen schlugen auf ihn ein, mit Steinen, mit den Händen, mit stumpfen Waffen. Es war, als ob ein wildes Tier von einer Meute wütender Hunde umstellt sei. Anfangs hatte Ralph gestöhnt, dann heulte er und schlug wild um sich – dann stöhnte er wieder, endlich röchelte er. Zuletzt war er nur noch eine halbnackte, zerstückelte Masse. Nun ließen die Soldaten von ihm ab. Jeder gab dem zerstümmelten Leichnam noch einen Fußtritt. Dann wandten sie sich der Stadt zu. Marion hatte dem gräßlichen Schauspiel ruhig zugesehen. Ihr zurückgeschlagener Schleier ließ erkennen, daß kein anderes Gefühl, als das der Befriedigung ihre Mienen erfüllte.

Mit den Truppen verließ auch sie den Ort. Ein Aasgeier, der bereits in der Luft schwebte und seine Kreise tiefer und tiefer zog, stieß zuweilen einen schrillen Ruf aus und lockte dadurch seine Genossen herbei.

Noch wenige Stunden – und von Ralph Pettow blieb nichts, als das in der Sonne von Queretaro bleichende Gebein.


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