Erich Mühsam
Die Psychologie der Erbtante
Erich Mühsam

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Tante Sophie

Dr. Friedrich Süßlieb klingelte zum drittenmal, diesmal schon recht energisch, was denn auch den Erfolg hatte, daß er innen erst schleichen hörte und dann wahrnahm, daß sich schlürfende Tritte der Entreetür näherten.

Tante Sophie öffnete, nachdem sie den Schlüssel zweimal umgedreht, und den Riegel zurückgeschoben hatte.

»Schieh mal an, Fritsch,« zischte sie dem Ankömmling aus dem zahnlosen Mund entgegen, »dasch du dich auch mal schehn läscht!«

Friedrich überreichte ihr ein Bouquet und war sehr liebenswürdig, obgleich der Geruch in dem Zimmer, daß sie vorsichtig von innen wieder abschloß, nichts weniger als angenehm war. Überhaupt war es recht ungemütlich hier. Das Sofa und die Stühle waren mit grauem, muffigem Leinen überzogen, als ob die Bewohner des hauses verreist wären. An den Bildern und in den Wandecken hingen dichte Spinnwebe – und auch wenn er Tante Sophie selbst ansah, mußte der korrekte, geschniegelte Dr. Süßlieb sich schütteln.

Von der großen gebogenen Nase hing ein Tropfen herab, der sich jedesmal erneuerte, wenn er am Munde angelangt und dort von der weißgesprenkelten Zunge im Empfang genommen war. Den buckligen, verkümmerten Leib umschloß ein schmutzigbraunes, mehrfach geflicktes und mehrfach zerrissenes Kleid, und die dürre, lange, knochige Hand kratzte mit spitzen, schwarzen Nägeln unausgesetzt auf der rötlichen Glatze herum.

Zum Glück war Tante Sophie schwerhörig, und der liebe Neffe konnte daher zwischen seinen lauten Fragen und Reden, wie es geht, es sei schönes Wetter, seine Frau lasse vielmals grüßen u.s.w., weniger freundliche Selbstgespräche einschalten, wie »verfluchtes altes Weib, ekliger Geizknüppel, wenn du bloß erst krepiert wärst« und was der Liebenswürdigkeiten mehr waren.

In einer Ecke der Stube stand ein verstaubter alter Geldschrank, zu dem beide, Tante und Neffe häufig einen flüchtigen Blick warfen. Es war das Band, das die beiden zusammenhielt – ihre ganze Angst und Zärtlichkeit, seine ganze Hoffnung konzentrierten sich auf das alte Stück Möbel. – –

Tante Sophie bekam häufiger Besuch. Außer Dr. Friedrich Süßlieb waren es noch drei Neffen und vier Nichten, die sich des üfteren nach ihrem Wohlergehen erkundigten, sehnsüchtige Blicke auf den Geldschrank warfen, und ihr beim Fortgehen gute Gesundheit un langes Leben wünschten. ...

Endlich starb sie. Die Neffen und Nichten fanden sich zur Testamentseröffnung zusammen. Tante Sophies letzter Wille lautete:

»Ich will nicht, daß sich die lachenden Erben über meinen Tod freuen. Ich vermache mein Vermögen der Kirchengemeinde von St. Johannes.«

Als die Angehörigen an Tante Sophies Sarg traten, lag über ihrem faltigen Gesicht noch im Tode ein hämisches Grinsen. ...

Ich weiß, daß die Geschichte von der Erbtante Sophie sehr primitiv ist. Aber ich kann doch nichts dafür. man wird mir doch glauben, daß sowas vorkommen kann. Jedenfalls bitte ich die Kritiker, mir die Tante Sophie nicht übel zu nehmen, weil ihr Charakter so primitiv war. Die nächste Geschichte ist dafür um so komplizierter.


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