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Riukan-Voß.


I.

Vor einigen Jahren fuhr an einem warmen Sommertage das norwegische Dampfschiff »Prinz Karl« aus dem Christians Fjord und setzte bei der Stadt Frederikswärn zwei Reisende ab, die in einem Boote der Küste zufuhren, während der Dampfer sogleich seinen Weg weiter verfolgte.

Die Ausgeschifften waren junge Männer, welche sich zufällig am Bord des Prinzen Karl zusammengefunden hatten. Der Eine war ein Normann, welcher von Christiania kam und in der Nähe von Frederikswärn wohnte, der Andere ein Deutscher, der eine Stunde früher am Eingange des Meerbusens von Christiania das Dampfschiff gewechselt hatte, das ihn von Kopenhagen hierher gebracht.

Der Norweger war ein ächter Sohn seines Landes, mittelgroß, gliederkräftig, mit lebhaften Augen, frischen Farben und dunkelbraunem Haar. Ein gewisser Stolz leuchtete aus seinen Blicken; seine festen Züge drückten geistige und körperliche Kraft aus, sein ungezwungene Wesen und seine Art zu sprechen zeigten an, daß er ein Mann ohne Rückhalt und ohne viele Formen sei, oder es verschmähe, dafür gelten zu wollen. –

Sein deutscher Gefährte war dagegen zuvorkommend und höflich, wie Deutsche sind, die eine zeitgemäße Erziehung erhalten haben, Ton und Farbe der guten Gesellschaft kennen und immer wissen was sich schickt. Es war ein junges Blut, aufrichtig und gemüthlich und von ganzem Herzen froh, hier zufällig einen Begleiter zu finden, der gut Deutsch verstand und den er recht viel fragen und ihm recht viel vertrauen konnte.

Nach einer ganzen Reihe verschiedenartiger Erörterungen über Land und Leute, Seereise und kleine Begebnisse, sagte der Normann:

»Sie wollen Norwegen kennen lernen und thun wohl daran, es nicht zu machen wie die meisten Fremden, die bis Christiania hinauffahren, statt hier im schönsten Theile meines Vaterlandes zu landen.«

»Ist dies der schönste Theil Ihres Vaterlandes?« fragte der Deutsche.

»Sind Buchen- und Eichenwälder, milde Berge und Thäler mit prächtigen Matten, Fruchtbäumen und Fruchtfeldern nicht schön?« erwiederte der junge Mann. »Sogar Weizen wächst hier an manchen Orten.«

Der Deutsche lachte.

»Man hat mir schon in Kopenhagen erzählt,« sagte er, »daß die Norweger ihre wenigen fruchtbaren Gegenden den Fremden ganz besonders anpreisen, während es diesen schwerlich um das zu thun sein kann, was sie zu Hause weit besser haben. Wer hierher kommt, will sicher keine Weizenfelder sehen, sondern die wunderbaren Fjorde, die nackten Hochfjelder des Gebirgs, Rennthierheerden, Wasserfälle und andere merkwürdige Naturschönheiten.«

»Wenn Sie dergleichen besonders schätzen,« war die Antwort, welche mit einem spöttischen Ausdrucke gegeben wurde, »so halten Sie sich nicht in Laurwig auf. Gehen Sie nach Tellemarken oder in's Bergenstift, wo Sie Alles reichlich finden, werden, was Sie suchen: Felsen und Sümpfe, mehr als gut ist, Haferbrot und geräucherte Hammelsknochen, Bärenjäger und langzöpfige Setermädchen.«

»Ich werde doch wohl einige Zeit in der Nähe von Laurwig bleiben müssen,« erwiederte der Deutsche, ohne auf den Spott zu achten, »da ich einen Verwandten besuchen will, der hier wohnt.«

»Wie ist sein Name?« fragte der Norweger.

»Er heißt wie ich,« antwortete der gefällige junge Mann, »Warfstein. Kennen Sie ihn?«

»Kapitain Karsten-Warfsteen. Ja wohl,« sagte der Andere.

»Sein Großvater und der meine waren Brüder,« fuhr der junge Reisende gesprächig fort. »Jener trat in dänische Dienste, kam so nach Norwegen, heirathete hier und blieb im Lande.«

»Und seit jener Zeit führt die Familie den Namen Karsten Warfsteen.«

»Stein oder Steen darauf kommt es nicht an,« lachte der Nachbar. »Die Geschichte ist beinahe hundert Jahre her und Niemand wußte mehr viel von unserm nordischen Familienzweige. – Vor etwa zwanzig Jahren aber besuchte der Vetter von Warfstein aus Laurwig meinen Vater, als er mit seiner jungen Frau eine Reise nach Paris und Italien machte.«

»Lars Karsten-Warfsteen,« sagte der Norweger lächelnd, »oder Karstens, wie er gewöhnlich hier kurzweg genannt wird, hat seinen Adel niedergelegt, als der Storting diesen aufhob und es so gemacht, wie es damals die meisten Familien thaten, die keine Uneinigkeit unter ihre Kinder bringen wollten.«

»Ich weiß es,« fiel der junge Herr von Warfstein ein. »Es war eine närrische Entscheidung Ihres Reichstages, erst den Adel aufzuheben und dann zu sagen, eure Kinder, die bis zu diesem Gesetztage geboren sind, mögen sich auch fernerhin adelig nennen und schreiben, wenn sie wollen, diejenigen aber, welche morgen und später zur Welt kommen, sollen das nicht mehr dürfen. Dadurch hat man die Familien gezwungen, dem Adel sogleich zu entsagen.«

»Und was Sie närrisch nennen, hat sich als sehr weise bewährt,« antwortete der Norweger.

»Das bleibt die Frage!« rief Heinrich von Warfstein, »doch immerhin, mich drückt sie nicht und auch mein Vetter kann sich trösten. Er hat keine Söhne, hat nur eine Tochter. – Kennen Sie die auch?«

»Ich habe sie zuweilen gesehen.«

»Mary heißt sie. Ein sanfter Name. Ist sie schön?«

»Sie werden das am besten selbst beurtheilen können,« sagte sein Gefährte, indem er aufstand, denn das Boot war jetzt dicht unter der Hafenbatterie. »Sehen Sie dort die mondförmigen, grünen und bewaldeten Berge? Dort liegt Laurwig, und gleich vor dieser prächtigen Stadt am Laaven hat Kapitain Karstens sein? neues Haus gebaut. – Sie wissen doch, daß Ihr Verwandter, seitdem er Adel und Degen niedergelegt hat, einer unserer größten Holzhändler geworden ist?«

»Eisenwerke und Hütten besitzt er, so viel ich weiß,« erwiederte der Deutsche. »Von seinen sonstigen Eigenschaften als Holzhändler habe ich nichts gehört.«

»Große Eisenwerke sind allerdings sein Eigenthum,« war die Antwort, »allein seine Wälder bringen mehr ein. – Lassen Sie Ihre Koffer auf die Post tragen, fordern Sie dort Pferd und Karren und fahren Sie schnell nach Laurwig, um bei vollem Tage die herrliche Gegend zu betrachten. Ihre großen Kasten da müssen später abgeholt werden. Sie können sie nicht mitnehmen.«

»Ein Karren – und mein Gepäck soll hier bleiben?« fragte der Reisende unwillig.

Der Normann nahm seinen Ledersack sammt Regenrock und sagte spottend:

»Glauben Sie, daß man in Norwegen mit vier Pferden lang und in einem Polsterwagen in Federn reisen kann? – Dort wohnt der Posthalter. Glück auf den Weg, Herr!«

Er sprang aus dem Boote und schüttelte dem Nachfolgenden die Hand.

»Darf ich um Ihren Namen bitten,« rief dieser ihm freundlich nach. »Vielleicht treffen wir uns ein ander Mal.«

Der junge Mann stand still und besann sich einen Augenblick. »Nun, es ist möglich, daß wir uns wiedersehen,« sagte er dann: »ich heiße Thorkel Hansen.«

Mit einem raschen Gruße entfernte er sich.

 

Nach einer Stunde fuhr der Deutsche von Frederikswärn ab und richtig saß er in einem Karriol mit zwei unermeßlich hohen Rädern, zwischen denen ein ganz schmaler Sitz für ihn übrig blieb. Seine Koffer hatte er zurücklassen müssen, sein Nachtsack war auf dem Hinterbrett festgeschnürt und oben darauf thronten, ohne alle Rücksicht ein zwölfjähriger Junge, der Schüßbauer oder Postillon. Ein muthiges Pferd lief in der langen Gabel, der Reisende mußte selbst Leine und Peitsche führen und so ging es auf der schmalen, welligen Küstenstraße im vollen Laufe vorwärts. –

Heinrich von Warfstein überließ es bald dem anstelligen Thiere, für ihr beiderseitiges Wohlergehen zu sorgen, den leichten Wagen auf steile Höhen zu schleppen und im sausenden Galopp in die Thäler hinabzufliegen. Der Felsboden der prächtigen Straße war glatt und eben wie ein Tisch. Zur Rechten dehnte sich das sonnenblitzende Meer aus, zur Linken lagen waldige Berge, an denen sich liebliche Gelände öffneten, über welche hinaus in bläulicher Ferne nackte narbige Kuppen aufstiegen.

Nach einigen Stunden gelangte der Reisende an den Fjord oder Meeresarm, welcher dicht am Laaven tief in den Schooß der Gebirge dringt, und nun sah er die fleißige Stadt mit ihren Schneidemühlen und rauchenden Eisenhämmern vor sich liegen. – An den ersten Häusern bog er auf Weisung seines kleinen Postillons dann zur Linken ab und erreichte auf einer Nebenstraße den breitfluthenden Strom, welcher aus weitgeöffneten Bergreihen hervorbrach.

»Wo wohnt Kapitain Warfsteen?« sagte er.

Der Junge deutete vor sich hin, wo in einiger Entfernung auf einem sanft ansteigenden Hügel ein weißschimmerndes Haus lag. –

»Ist es das? fragte der Reisende.

»Ja, Herr,« sagte der kleine Postillon. »Es ist mächtig groß und schön, das schönste Haus in Laurwig. Vor zwei Jahren hat es Karstens neu gebaut.«

Diese Lobpreisung bewegte den Beschauer zu einem Lächeln. Er sah auf der Stelle, daß dieser Prachtbau aus Balken und Brettern zusammengezimmert war, aber er wußte noch nicht, daß in Norwegen überhaupt wenige Häuser durchweg von Stein sind.

Von Außen war dies stattliche Gebäude mit übereinanderfallenden dünnen Latten benagelt, die einen weißgrauen Oelfarbenanstrich hatten. Eine Reihe hoher Fenster mit hellen Scheiben zog sich an der Front hin und kündigte im Verein mit dem Ziegeldach und der ganzen Ausschmückung die Wohlhabenheit des Besitzers an. Eisenstäbe und Drahtgitter umfaßten den Gartenraum, Blumen blühten in wohlgepflegten Beeten, eine Laube von Rankengewächsen umschattete den Eingang und ganze Reihen schöner Kirsch- und Fruchtbäume liefen nach allen Seiten den Hügel hinauf.

Als das Karriol hielt, sah Heinrich von Warfstein einen breitschulterigen Mann im grauen Hausrock und Strohhut an der Thür erscheinen, der dort stehen blieb und ihn betrachtete.

Sein scharfes Gesicht mit leicht gekrümmter Nase, röthlichem Backenbart und röthlichen Augenbraunen, die an den äußern Enden weit hinaufliefen, hatte einen sehr strengen und harten Ausdruck. Die Hände in den Taschen, musterte er den Ankömmling Anfangs ziemlich gleichgültig, bei dem fremden Klange der Worte, welche er vernahm, wuchs jedoch seine Theilnahme sehr rasch und nach wenigen Minuten eilte er an das Gitter vor und empfing seinen Vetter aufs Freudigste. –

»Bist willkommen, mein Junge, herzlich willkommen,« rief er wiederholt, »habe Dich seit Wochen erwartet. Nun herein, hierherein mit Dir!« –

Auf den Ruf des Herrn erschienen ein Paar Dienstleute, die das geringe Gepäck ins Haus brachten und allerlei Befehle empfingen. Der reiche Handelsherr leitete seinen Gast dann selbst die breiten Treppen hinauf, zu einigen stattlich ausgeschmückten Räumen, welche dieser bewohnen sollte und nach einer Stunde saßen beide Verwandte bei dem Abendbrod und beim vollen Glase auf dem Perron an der Gartenseite des Hauses, wo die Aussicht entzückend war. –

Die Stadt lag zu ihren Füßen, die Sonne tauchte in die ferne, unermeßliche Meerfluth, der rauschende Strom kam aus seinen Felsenhalden und in dem breiten Becken wogte sanft der prächtige Fjord zwischen Wäldern, kühnen Felsenstirnen und einem Gewimmel kleiner und größerer Menschenwohnungen, die malerisch über Strand und Bergeshöhen geworfen waren. Das ganze reichdurchstickte und wechselnde Gemälde war so schön, daß Heinrich für sein Entzücken vergebens nach erschöpfenden Worten suchte.

Karsten-Warfsteen stützte, während er schweigend zuhörte, den Arm auf den Lehnstuhl und seine grauen Augen glitten an dem Jüngling auf und nieder. Er dachte über Etwas nach, das ihn angenehm zu stimmen schien, warf dann und wann eine Bemerkung hin, die erläutern oder bestätigen sollte, ließ sich Mancherlei erzählen und sagte zuletzt:

»Du wirst noch vielerlei Schönes in Norwegen sehen, aber vielleicht wirst Du doch endlich mit Mary übereinstimmen, die Laurwig für das herrlichste Gebilde Gottes hält, mit Ausnahme des Ortes, wo sie jetzt wohnt.

»Und wo ist meine Cousine eigentlich?« fragte der junge Mann. »Sie ist verreiset?«

»Seit einigen Tagen ist sie nach meinen Hofe Guldholm gefahren,« war die Antwort, »der am Tindsee liegt, wo wir jährlich ein paar Wochen verweilen. Ich, um nach meinen Holzlagern und Wäldern zu sehen, Mary um in der frischen Bergluft Tellemarkens sich zu stärken. Du mußt jedoch nicht glauben,« fuhr er lächelnd fort, »daß sie ein blasses Püppchen ist, die auf's Land geht, um Farbe zu bekommen, welche ihr den Winter über auf Bällen und Festen verloren gegangen ist. Mary wird Dir gefallen, Heinrich. Sie hat Deine Briefe gelesen und erwartete Dich mit Freuden. Da Du zu lange ausbliebst, wird sie Dich in Guldholm empfangen. Ruh' aus, müde wirst Du sein; die Sonne ist unter, also zehn Uhr vorüber. Noch ein Glas – stoß an: Willkommen in Norge und doppelt willkommen in meinem Hause!«

Als Heinrich von Warfstein allein war, überkamen ihn mancherlei Gedanken, die sich gegen Ermüdung und Schlaf anstemmten. Er war wohl empfangen, wohl aufgenommen worden und vor ihm lag eine Zukunft, die mit ihren Erwartungen in sein erregbares Herz drang.

Der reiche Vetter in Laurwig hatte nicht umsonst nach so langen Jahren die Verbindung mit seinen deutschen Verwandten wieder angeknüpft, nicht umsonst gefordert, daß sein junger Verwandter ihn besuchen möge. Der deutsche Zweig der Familie war in keinen so glänzenden Vermögensverhältnissen, um diese Einladung nicht mit besonderen Hoffnungen zu verbinden.

Karstens hatte nur die eine Tochter und Erbin und alles was man über ihn gehört, deutete an, daß er ein großes Vermögen besaß, jede Aeußerung des wortkargen Mannes bestätigte dies. Er sprach von seinen Wäldern, seinen Hüttenwerken, seinen Holzlagern, mit der sichern Gleichgültigkeit des Reichthums, und die Ausschmückung seines Landhauses stand damit im Einklang. Tapeten, Spiegel, Teppiche und Geräthe waren, wenn nicht kostbar, doch zierlich und geschmackvoll.

Neugierig beleuchtete Heinrich ein paar prächtige englische Kupferstiche, die an den Wänden aufgehängt waren, dann öffnete er die Thür eines Nebenzimmers und blieb erstaunt stehen. Er befand sich in einem reich decorirten Saale. Seidene Polster lehnten an den Wänden, ein Kronleuchter schmückte die Decke, und über einem schönen Flügel hing das Bild eines jungen Mädchens, bei dessen Anblick sein Blut heftiger zu strömen begann. Es war in einem weißen Atlaskleide gemalt, und das Werk, wenn auch kein großes Meisterstück in Farbe und Kunstbehandlung doch eines von jenen Gemälden, in denen die talentvolle Auffassung den Mangel an technischer Vollendung ausgleicht.

Der Beschauer fühlte, daß dies Bild ähnlich sein müsse und mit klopfendem Herzen vertiefte er sich im Anschauen und Empfinden. Es war Mary, er zweifelte nicht daran. Seine Augen saugten sich an diesen blauen, strahlenden Augen fest, er lächelte zu dem süßen Lächeln, das um diesen frischen Mund schwebte, er nickte zu der stolzen, breiten Stirn hinauf, an welcher das Haar in langen, welligen Bogen niederfloß. Eine unruhige Sehnsucht ergriff ihn, es dauerte lange, ehe er sich von diesem reizenden Staunen und Durchforschen trennen konnte.

Als er in sein Zimmer zurückkehrte, löschte er schnell das Licht aus, denn unter sich auf dem Perron hörte er die gleichmäßigen Schritte seines Vetters, der noch immer dort auf- und abging und Cigarren rauchte. Er wollte ihn nicht wissen lassen, daß er noch wach sei, aber leise stellte er sich an das offene Fenster und blickte in die nordische Sommernacht hinaus, welche am Golf von Neapel nicht weicher und duftiger sein konnte.

Der Mond hing jetzt über dem Meere und hüllte alle Fernen mit Silberschleiern ein, während näher heran sein heller Schein spiegelblanke Flächen bildete, in denen große Schiffe regungslos standen. Ein wunderbares Licht füllte die Luft, denn mit diesem Mondesleuchten verband sich ein rosiger Dämmerschein, welcher den ganzen Himmelsrand umzog. Die Sonne ging nicht tief unter den Horizont und schickte von dort ihre Engel mit Safranflügeln aus, die leise an den Kuppeln hoher Berge hinstreiften, daß sie wunderbar leuchtend über dem träumerischen Halbdunkel der Thäler und Wälder, wie gigantische Wächter, standen. Dazu schwammen Blumendüfte umher, die Düfte unzähliger Rosen, Reseda und Violen, welche aus den Gärten aufstiegen. Kein Ton, kein Laut störte diese süße, friedensvolle Stille, nur ein fernes Murmeln, das von einem Wasserfalle kam, der wie ein zackiger weißer Blitz aus den Bergen niederfuhr, drang von dort herüber.

Nach einiger Zeit richtete sich die Aufmerksamkeit des jungen Mannes von diesem nächtlichen Elfenbilde auf den einzigen belebten und unruhigen Gegenstand darin, auf seinen Verwandten, der nichts von allem zu sehen und zu empfinden schien. In seinem grauen Rocke, den breiten Strohhut in die Stirn gedrückt, ging er von einem Ende der langen Terrasse zum andern, als beschäftigte er sich anhaltend mit besonderen Gedanken. Unhörbar und lautlos schlüpfte er wie ein Schattenbild zwischen den Ranken der Veranda hin und nur zuweilen lehnte er sich an einen ihrer Pfeiler, sah in die Ferne hinaus, flüsterte ein paar Worte und wandte sich dann, um seinen Weg wieder zu beginnen.

Heinrich konnte einige Male in sein Gesicht blicken und vielleicht hätte er ihn angeredet, aber es kam ihm vor, als wären seine Züge noch viel strenger und seine Augen noch finsterer und starrer. Vom ersten Begegnen an hatte er kein rechtes Herz zu Lars Karstens fassen können, obwohl er nicht zweifeln konnte, daß er sein Wohlwollen erregt habe. Die abgeschlossene Kälte des reichen Vetters, wie sein ganzes Aussehen waren nicht geeignet, ein junges, lebenslustiges Gemüth warm zu machen.

Von diesem ersten Abend ließ sich freilich nicht viel urtheilen und was wollte er mehr, wenn trotz aller Strenge und Kälte Lars ihm sein einziges Kind zur Frau gab? Er dachte an die junge, liebliche Cousine mit dem schimmernden, lichtbraunen Haar und er sah noch immer ihr reizendes Lächeln, die großen, edlen Augen.

Es kam ihm vor, als hörte er das schwere Seidenkleid im Nebenzimmer rauschen, seine heißen Blicke richteten sich auf die Thür. In dem Augenblicke sagte ihr Vater unten laut und vernehmlich:

»Mary soll! Ich will nichts hören!«

Und mit dem weichbeschuhten Fuße stampfte er auf die Bretter, daß es dröhnte. Dann hörte Heinrich die Glasthür klirren und Alles war still.

Er warf sich in das breite Bett, dachte nach und schlief darüber ein.


II.

Am nächsten Morgen fand er den Kapitain und Handelsherrn fertig angekleidet am Kaffeetisch und wie es schien in vortrefflicher Laune.

Karstens war ein Mann in der Mitte der fünfziger Jahre, doch so rüstig und kräftig, daß er für zehn Jahre jünger gelten konnte. Seine Stirn war hoch gewölbt, ganz wie die Stirn Mary's im Bilde. Ein Siegelring mit dem Familienwappen steckte an dem Zeigefinger seiner wohlgeformten Hand, sein röthlich blondes Haar lag glatt gekämmt an beiden Seiten des Kopfes. So schlicht und einfach aber auch sein festgeknöpfter Rock aussah, so war doch alles sauber und zeigte von größerer Wahl und Sorgfalt, als man es gewöhnlich sieht.

Die ganze Erscheinung Lars Karstens war geeignet, den Eindruck hervorzubringen, daß er ein Mann von großer Thätigkeit und Tüchtigkeit in allem was er treibe, sein müsse, der aber auch manche Eigenschaft besitze, die ihn nicht besonders angenehm mache. Seine kurzen Befehle an die Dienstleute, deren Eile und und Unterthänigkeit, seine Ungeduld, wenn nicht sofort erfüllt war, was er gebot und die strengen Mienen, welche er dafür hatte, drückten deutlich aus, daß er den pünktlichsten Gehorsam überall fordere und Widerspruch nicht ertragen könne.

Nachdem er mit Heinrich über Familiensachen und Erlebtes geplaudert hatte, faßte er den jungen Mann lächelnd an das Bärtchen am Kinn.

»Du hast doch Deine Koffer heute früh vorgefunden?« sagte er. »Ich habe sie in der Nacht noch aus Frederikswärn holen lassen.«

»Den besten Dank,« war die Antwort. »Ich habe Alles gefunden.«

»Und Du besitzest doch wohl auch ein Rasirmesser?«

»O, zwei oder drei, ein ganzes Reisenecessaire.«

»So nimm eines davon und befreie Dein Gesicht von allen diesen überflüssigen Haaren,« erwiederte der Kapitän mit so entschiedenem Ernst, daß sein Vetter wohl merkte, ein Scherz käme zur unrechten Zeit. »Du wirst bemerkt haben,« fuhr er fort, »daß wir in Norwegen ganz denselben Widerwillen gegen bärtige Gesichter hegen wie die Engländer. Ein Bart mag eine Zierde für den Russen sein, oder ein deutscher Student, oder ein junger Fant mag sich darin gefallen, für den verständigen Mann schickt er sich nicht. Sogar unsere Soldaten sorgen mehr für Haare auf den Zähnen als für dergleichen auf den Lippen, und nichts habe ich lieber gelesen als die vortreffliche Antwort eines deutschen Generals, eines gewissen Scharnhorst, der, als man ihm rieth, einen Bart zu tragen, zurückfragte, ob sich die Feinde dann etwa mehr vor ihm fürchten würden?«

Er lachte laut auf, und als er sah, daß Heinrich mitlachte, ließ er von dem strengen Tone ab.

»Was ich von Dir wünsche,« sagte er, »ist zugleich für Dich bedacht und für Dein Wohl. Du willst doch gefallen, auch den Mädchen gefallen wollen?«

»Wenn auch nicht jedem, so doch den hübschen,« erwiederte Heinrich.

»Und Deiner Cousine Mary?«

»Ei, ihr am allermeisten.«

»Nun, wenn das Deine Absicht ist,« sagte Karstens, »so nimm das schärfste Messer, denn sie würde Dich auslachen.«

»Das soll sie auf keinen Fall,« antwortete der junge Mann erröthend, der seinen Entschluß gefaßt hatte, indem er aufstand und die Treppe hinauflief. Nach fünf Minuten aber kam er zurück und sein Gesicht war so glatt und rein, daß sein Verwandter völlig befriedigt war.

»Ich sehe,« sagte dieser wohlgefällig, »Du bist ein verständiger Jüngling, der vernünftige Vorstellungen zu schätzen weiß und seinen Dünkel überwinden kann. Das ist mir lieb, Heinrich, es vermehrt meine Hoffnungen und Absichten. Aber meine Zeit ist um, ich muß auf mein Comptoir. Willst Du mich begleiten und meine Geschäfte kennen lernen? Nimm Deinen Hut und komm, da steht mein Kabriolet.«

Dagegen ließ sich wiederum nichts einwenden und in wenigen Augenblicken saß Heinrich in dem Wagen neben Herrn Karstens, der den muthigen nordischen Renner lenkte. Das Pferd war ein herrliches Thier, graugelb mit schwarzen Füßen und schwarzem Kamme. Seine rothen Bänder flogen um die feurigen Augen; der Besitzer erzählte mit wenigen gleichgiltig gesprochenen Worten, daß er dem Kronprinzen von Schweden ein Paar von dieser seltenen und theueren Race kürzlich zum Geschenk gesandt habe.

Der Weg führte durch die Stadt, dann durch die äußeren Theile derselben dem Hafen zu, bis an die großen Holzhöfe, welche Karstens Eigenthum waren. Viele Begegnende grüßten, Andere blieben stehen. Manche bückten sich höflich, doch mehrmals bemerkte Heinrich auch, daß mürrische und ernsthafte Gesichter auf einige Augenblicke sich seinem Verwandten zukehrten. Der Handelsherr schien es nicht zu bemerken, als aber ein Mann, der in einem Karriol den Weg kreuzte, von fern seinen Hut abzog, verfinsterte sich Lars Karstens Gesicht und ein so höhnisches Lächeln trat darin hervor, daß Heinrich, der fast nur den Rücken des Fremden gesehen hatte, neugierig fragte, wer er sei.

»Einer unserer jungen Weltweisen und Weltbeglücker,« erwiederte sein Verwandter. »Es ist der jetzige Storthingmann für Laurwig's Wahlkreis und recht Einer von denen, die Mücken seigen und Kameele verschlucken, wenn es an's Reden geht.«

Der junge Vetter hielt es für das Beste, nicht weiter zu fragen; freiwillig aber fügte Karstens nach einer Weile hinzu:

»Du wirst es hier finden, mein guter Freund, wie überall in der Welt, vielleicht noch ein wenig ärger. Ich habe lange Jahre im Storthing gegessen, jetzt gehöre ich zu denen, die der Masse nicht mehr genügen. Ich bin, wie Du leicht denken kannst, als Aristokrat verschrieen, weil ich nicht jedem Bauer die Hand drücke und selbst kein Bauer oder Krämer bin, sondern Lars Karstens-Warfsteen. Der da paßt besser für sie. Er stammt von Bauern ab, sein Vater läuft noch in der blauen Jacke und rothen Mütze umher, eines der prächtigsten Exemplare unserer groben, ungeschliffenen, dünkelvollen Regenten im Lande. Du wirst das noch kennen lernen. Da liegt mein Holzplatz, der ist mehr werth, als die ganze nichtsnutzige Gesellschaft.«

Das Kabriolet fuhr in den weitläufigen Holzgarten und hielt vor dem Wohnhause. Mehrere Buchhalter saßen an den Schreibpulten, der Geschäftsführer half beim Aussteigen; zahlreiche Arbeiter und Aufseher waren beschäftigt, einige Briggs und Schooner zu beladen, die in einer hafenartigen Bucht ankerten.

Der Handelsherr überließ es seinem Verwandten, zu thun was ihm beliebte, er selbst verfügte sich in sein Bureau, wo er mehrere Stunden lang sich in Bücher, Rechnungen und Briefe vertiefte und während dieser Zeit bewunderte Heinrich die ungeheuren Holzvorräthe, welche überall aufgestappelt lagen. Theils waren es Balken und Bretter, welche die langgestreckten hohen Schuppen füllten, theils Rundholz der verschiedensten Stärke, das ganze Wälder einst gebildet haben mußte. Die Schiffsladungen, welche fortgingen, wurden durch Prame ersetzt, welche beladen ankamen und nasse Stämme brachten, die den Laaven herunter geschwommen waren und in der Nähe der Stadt aufgefischt wurden. –

Wo dies Holzgebiet aufhörte, erblickte der junge Warfstein Eisenstangen und Schienen, Producte der verschiedensten Art, die aus Karstens Hammer- und Walzwerken hervorgingen und hier nun ebenfalls Verladung und Verschiffung erwarteten. Diese großen Vorräthe, ihr Werth und was sich damit verknüpfte, beschäftigten lange Zeit Heinrichs Einbildung. Er ging von einer Stelle zur anderen, musterte die verschiedene Thätigkeit und setzte sich endlich auf eine Art Altan am Rande der Bucht nieder, der mit überhangendem Buschwerk umzogen Schatten bot und den herrlichsten Blick auf Hafen, Küste und Meer, wie auf die Geschäftigkeit der großen Warften und Holzlager gewährte. –

Hier dachte er über seine eigene Lage nach und versetzte sich im Gedanken in die vielleicht nicht ferne Zeit, wo er ein thätiger Theilnehmer am Geschäft seines Verwandten sein mochte. Was war sein Loos als Schwiegersohn des reichen Kaufmanns? Rechnungen schreiben oder Aufsicht halten, Schiffe beladen helfen und ein eintöniges Leben an diesem abgeschiedenen kleinen Orte führen, der kaum ein paar tausend Einwohner hatte. –

Er schüttelte den Kopf und warf einen sehnsüchtigen Blick über das blaue Wasser, auf welchem weiße Segel dahin flogen wie große weiße Vögel, die gen Süden ziehen in ein besseres Land. Dann fiel ihm ein, daß er jung sei, und Glück machen wolle in der Welt. Glück, nach dem die Menschen jagen! Und was ist das Glück der Menschen? Gold und was das Gold giebt, Genüsse, Bequemlichkeiten, die Vorzüge des Reichthums, Wohlleben und Ehren.

Sein Vater besaß der irdischen Güter nicht viele, doch er hatte viele Kinder. Heinrich hatte studirt, dann bei einem Gerichtshofe gearbeitet, aber seine Aussichten auf ein einträgliches Amt waren nicht eben groß. Er nahm mit Freuden Urlaub, um der Einladung Lars Karstens zu folgen, nur hatte er sich vieles anders gedacht wie er es fand. Er glaubte zu einem großen Gutsherrn zu kommen, der ein romantisches und poetisches Dasein in dem wunderbaren Felsenlande führte und er kam zu einem anmaßenden, starrköpfigen Holzhändler, der zwischen Sägespähnen und Kieferblöcken seine Tage verbrachte und im glücklichsten Falle ihn zum Gefährten seiner Speculationen und zum Theilnehmer seiner Freuden erheben würde.

Alle diese trüben Gedanken verschwanden jedoch, als Heinrich sich an seine Cousine erinnerte. –

»Ist sie nicht schön!« rief er sich leise zu, »und wenn sie mich liebt, wenn sie mein wird, kann ich mit ihr nicht glücklich sein, sei es, wo es sei, auch als Gehülfe im stickigen Comptoir oder im Schweiße meines Angesichts, bei Brettern oder Balken? – O, Mary, ich kann Alles für Dich. Ich werde mich fügen und schicken, werde diesem harten Papa immer ein verständiger Jüngling sein, der aufs Wort gehorcht. Alles will ich für Dich thun, süße Mary.«

In dem Augenblicke hörte er hinter sich auf dem Platze denselben Namen aussprechen und als er durch eine kleine Lücke des Buschwerkes blickte, sah er seinen Vetter mit einem andern Herrn vorübergehen und dicht unter dem Altane stehen bleiben. Er zog sich vorsichtig zurück und war Zeuge eines Theils ihres Gespräches.

»Mary hat mir nichts dergleichen angedeutet,« sagte Herr Warfstein mit seiner tiefen abstoßenden Stimme, »sie weiß zu gut was ihre Pflicht ist, und sie kennt mich.«

»Es ist sehr hart, Herr Karstens,« antwortete der Andere »daß Sie auch das nicht gestatten wollen. Was hat denn Ingeborg gethan? Sie war doch sonst Ihr Liebling? Ich für meinen Theil –«

»Was Sie betrifft,« fiel der stolze Handelsherr ein, »so denke ich, wir haben keine Rechnung oder kein Geschäft, die uns in Verbindung brächten.«

»Wir sind Gegner geworden, ohne meine Schuld,« antwortete der Fremde. »Aber was uns in Meinungen auch trennen mag, sollte billige Rücksichten bei Ihnen finden. Niemand kann Sie höher schätzen, und zu jedem Dienste bereiter sein als ich.«

»Danke Herr, danke!« rief Karstens rauh und hohnvoll. »Werde es nicht vergessen, wenn ich Ihre Dienste brauche. Im Uebrigen will ich Ihre kostbare Zeit nicht weiter verderben.«

»Daß heißt, Sie wollen so unversöhnlich bleiben wie Sie sind,« erwiederte sein Begleiter.

»Was ist die Uhr?« fragte der Kapitain.

»Es wird nah an Mittag sein.«

»So muß ich sehen, wo mein junger Vetter steckt. – Ein Besuch aus Deutschland, ein sehr ausgezeichneter junger Mann, bescheiden, kenntnißvoll, verständig. Mary wird sich freuen, wir fahren nächstens nach Guldholm hinauf.«

»Ich hoffe nicht, daß Sie Mary –« begann der andere Herr lebhafter, aber bei diesem Worte wurde er unterbrochen.

»Meine Tochter hat gar nichts mit Ihren Hoffnungen gemein;« sagte der alte Herr heftig. »Fräulein Mary wird thun was ich für gut finde. – Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Herr, da kommt Ihr Pferd. Was wollen Sie noch sagen? Ist es ein Geschäft?«

»Ja,« war die Antwort. »Es betrifft Herredsgaard Wald. Sie wollen ihn kaufen, mein Vater auch. Wollen wir das Geschäft zusammen machen?

»Nein!« versetzte Karstens, indem er sich kurz umdrehte und seinem Hause zuging. –

Nach einigen Augenblicken entfernte sich auch der, welcher so gröblich abgewiesen war. Er ging ohne ein Wort zu sagen quer über den Platz, bog um die Holzschuppen und gleich darauf hörte Heinrich die Räder eines Wagens auf dem Damm. – Er schlüpfte aus seinem Verdeck hervor, eilte an der Bucht hinauf und kam seinem Verwandten von der anderen Seite entgegen.

»Nun, da bist Du ja,« begann Karstens ihm zunickend und sein ärgerlich finsteres Gesicht hellte sich auf. »Ich habe alles Nöthige geordnet, morgen schon wollen wir reisen. Ich denke es wird Dir lieb sein, Mary so bald als möglich kennen zu lernen. Ist's nicht so? – Zudem möchte ich selbst rasch an Ort und Stelle einen Handel abschließen, den meine Agenten eingeleitet haben.«

Das Kabriolet fuhr vor und brachte die beiden Vettern bald zu dem schönen Landhause zurück. –

»Kleide Dich um,« sagte der Handelsherr in seiner lakonischen Weise, »wir werden bei dem Amtmann essen. Amtmann, das merke Dir, Heinrich, ist das, was bei Euch Regierungspräsident ist. Du wirst die bedeutendsten Personen dort kennen lernen, die meine Freunde sind. Am Abend werde ich eine Abschiedsfeier veranstalten. Es ist übel bestellt bei uns mit Männern und Familien von alten Namen und alten Erinnerungen,« sagte er düster lächelnd, »denn der Bauer ist hier Herr geworden und hat das Meiste verbauert. Um so mehr müssen die zusammenhalten, die noch zusammengehören.«


III.

Am nächsten Morgen begann die Reise an den Tindsee. Herr, Karstens fuhr in einem leichten Karriol voraus, sein Vetter folgte ihm in eben solchem Gefährte nach. Das breite Thal des Laaven mit seinen bewaldeten Felswänden und rauschenden Wasserfällen, wurde bis nach Kongsberg hinauf verfolgt, jener berühmten Bergstadt, wo die Silberbäume in tiefen Quarzspalten wachsen. –

Dann bog die Straße zur Linken ab in immer wildere und engere Thäler. Die Bergfichte stieg dicht und kühn an steilen Höhen auf, um moosiges Gestein klammerte sich im Grunde die Erle mit tausend zähen Fingern fest. Kleine Bäche polterten durch blumenvolle Matten und bildeten zuweilen breite Lachen, über welche lange holperige Brücken von Birkenstämmen geworfen waren. Wo das Land sich den Blicken aufschloß, lagen wenige einzelne Höfe, niedrige Balkenhäuser, an Seerändern oder Bergabsätzen erbaut, über welchen die dunstigen Massen ferner nackter Hochgebirge am Himmel erschienen.

Heinrich von Warfstein hatte den ganzen Tag über die beste Gelegenheit seine einsamen Betrachtungen zu machen, denn er saß allein in dem kleinen Wagen und sein schweigsamer Vetter störte ihn sehr wenig. Sein Kopf war etwas wüst zu Anfange, denn er hatte Mittags und Abends in Champagner, schwerem Portwein und Eispunsch so viele Willkommen und Gesundheiten trinken müssen, daß er am Morgen noch halb betäubt davon war. Aber er hatte sich wacker gehalten und den günstigsten Eindruck gemacht. Die Freunde seines Verwandten hatten ihn mit der freimüthigen Höflichkeit aufgenommen, welcher der gebildete Norweger so gut den Anstrich gewinnender Herzlichkeit zu geben versteht.

»Wenn das die hiesigen Aristokraten sind,« sagte Heinrich lachend zu sich selbst, als er sich der derben, einfachen Männer erinnerte, »so weiß ich nicht, welche Rolle sie bei uns spielen würden, aber so viel ist gewiß, es sind wohlunterrichtete und respectable Herren, die sich den Bauer nicht über den Kopf wachsen lassen wollen, woran sie ganz recht thun, denn wie übermüthig und roh muß dies Landvolk sein.«

Die Damen in feinem Putz, mit Ketten und Armbändern geschmückt, die Herren im Frack und Glacéhandschuh hatten auf unseren Freund einen überraschend guten Eindruck gemacht. Reiche Geräthe, feine Speisen und feine Weine waren in Fülle vorhanden und eine ausgezeichnete Gastfreundschaft wurde behaglich ausgeübt. Bis tief in die Nacht blieb dann der Kreis von Herren beisammen, den Karstens in seinen Garten geladen hatte, und welchen er erst entließ, als ein Band von Rosen sich um die Felsenhäupter legte.

Unter den fröhlichsten Wünschen waren die Notablen von Laurwig endlich gegangen und Heinrich hörte noch lange ihre Scherze und ihr Gelächter über seine Reise an den Tindsee zu der schönen Cousine. Er hatte auf Mary's Heil und freudenvolle Zukunft ein Dutzend Male getrunken, und in den Blicken der lustigen Herren hatte er gelesen, daß diese über die Absichten seines Vetters so wenig zweifelhaft waren, wie er selbst.

Während des ganzen Tages schwebte Mary's Bild ihm vor. Ihre großen kühnen Augen blickten von allen Fjellen auf ihn nieder. Er sah sie am Saume der Wälder stehend ihm winken und seine lebhafte Phantasie malte sich den Empfang und dies gemeinsame Leben und Lieben in der romantischen Einsamkeit mit den glänzendsten Farben aus.

Inzwischen hörte der Weg gänzlich auf, als die Wagen durch eine tiefe Schlucht gefahren waren, welche ein Waldstrom mit seinem schäumenden Wasser füllte. Ein Wiesengelände breitete sich aus, ein nackter, ungeheuerer Felsenkegel mit einer Doppelspitze wickelte sich fern am Himmel aus Wolkenschleiern los und zwischen Föhren und Birken am abschüssigen Rande eines kleinen See's lag ein einsamer Hof, vor welchem die Fuhrwerke anhielten.

»Hier sind wir in Tellemarken,« sagte Karstens. »Dort oben liegt der Gausta,« und mit einem langen halblaut gemurmelten Fluche setzte er hinzu: »Ich wollte, daß es ein paar Stunden länger Tag bliebe, oder unsere Pferde besser gewesen wären.«

»Warum?« fragte Heinrich.

»Das sollst Du bald inne werden,« war die Antwort. »Glück genug, wenn wir hier nicht zu warten brauchen.«

Ein Mann kam herbei und aus dem ärgerlichen Gesicht seines Verwandten und dem halbverstandenen Hin- und Herreden wurde so viel gewiß, daß die Pferde erst von der Bergweide geholt werden mußten.

»Aber warum fahren wir nicht mit unsern Thieren weiter?« fragte der junge Mann.

»Wohin?« sagte sein Verwandter. »Du kennst das Land nicht. Durch Tellemarken fährt kein Wagen, kein Weg, keine Spur ist hier. Der Mensch auf seinen zwei Beinen, oder sein vierfüßiger Freund, der ihm den Rücken leiht, sind die einzigen Mittel, um weiter zu kommen.«

Er drang in den Besitzer des Gaards, so schnell als möglich Pferde herbei zu schaffen, und nach einigen Unterhandlungen machte sich der Mann auf den Weg. Heinrich warf sich in das hohe Gras unter eine schattige Birke und bald sammelte sich die Familie um ihn, betrachtete den fremden Mann, richtete Fragen an ihn, welche er nicht verstand, und erzählte ihm allerlei, was er zu enträthseln suchte.

Er kam sich vor als sei er unter eine Gesellschaft von Halbwilden gerathen, die neugierig um ihn hockten und ihn anstierten, was keineswegs angenehm war. Karstens ging auf und ab, ungeduldig und in steigend übler Laune. –

»Wie gefällt Dir der Anfang?« fragte er. – »Tellemarken ist ein wildes Hochland voll Wald und allerlei Vieh, aber von wenigen Menschen bewohnt, die meist noch auf der rohsten Stufe stehen. – Wundere Dich nicht, daß jeder dieser Tölpel Dich mit Du anredet, sie machen es mit dem Könige nicht besser, das nennt man Natürlichkeit und Sitteneinfalt. Uebrigens stellen sie sich weit einfältiger wie sie wirklich sind, denn wo es an's Rechnen geht, wissen sie schlau genug ihre Vortheile wahrzunehmen. Sieh dorthin, da bringen sie die Pferde schon. Wenn ich ihnen nicht den doppelten Preis versprochen hätte, würden wir Stunden lang warten können. Jetzt haben sie die Thiere flink bei der Hand und nun laß uns eilen. Ich denke die Paar Mark, um welche die Schufte mich prellen, sollen sich tausendfach einbringen.«

Der reiche Kaufmann hielt dem Bauer einen Sermon über seine Habgier und warf ihm dann den Betrag hin.

»Du solltest lieber bis morgen hier bleiben, Herr,« erwiederte der Mann, der ruhig sein Geld einstrich. »In zwei Stunden wird es dunkel und unter sechs Stunden kannst Du nicht in Guldholm sein.«

»Ich kann nicht bleiben«, antwortete Karstens kurz.

»Das hat Eistens Sohn auch gesagt, der vor Dir hier war«, berichtete der Bauer, »und da er kein Pferd haben konnte, zu Fuße fortgegangen ist.«

Karstens horchte auf.

»Wie lange ist er fort?« fragte er.

»Drei Stunden vielleicht. Ein schmucker Bursch. Echt tellemarkisches Blut, kommt ihm so leicht keiner gleich.«

Der Kaufmann bedachte sich einige Augenblicke, dann sprach er in seiner entschiedenen Art:

»Das Packpferd lasse ich Dir, Niels. Schicke es morgen früh mit den Sachen hinauf nach Guldholm, ich will es besonders bezahlen. Unsere Rosse bringt dann Dein Sohn Dir zurück. – Haste Dich, Mann, lege die Sättel auf, den Weg finde ich selbst.«

Nach einigen Minuten war alles bereit und mit einem letzten Fahrwohl und dem üblichen Handschütteln jagten die beiden Reiter über den Wiesengrund den Waldbergen zu, welche vor ihnen aufstiegen. Ihre Pferde gehörten zu den muthigen, raschen Bergponies, deren Ausdauer und Kraft weit über ihre kleine Gestalt geht. Bald hatten sie den Grund zurückgelegt, aus welchem Gestein in mächtigen, übereinandergethürmten Lagern sich erhob, auf deren dünner Erd- und Moosdecke das große Waldgebiet beginnt, das fast ununterbrochen, bis zum Weiderevier der Hochalpen des Hardanger Gebirgs fortläuft.

Von einem Wege war keine Spur mehr. Die Pferde kletterten mit ihren zierlichen Hufen wie große gelbe Katzen zwischen Schuttbergen und Felsenblöcken empor, aber Heinrich merkte sehr bald, daß man den vorsichtigen Geschöpfen sich ohne alle Sorge anvertrauen könnte. Sie prüften jeden Stein, der ihnen bedenklich vorkam, stemmten die Beine mit aller Kraft auf, wenn es an Felsengesenken hinunter ging, drückten sich zusammen und rutschten die glatten Stellen hinab oder umgingen Spalten und Löcher welche ihnen gefährlich schienen. –

Wilde Wasser rauschten von, allen Seiten nieder und mußten durchwatet werden, umgestürzte und zerbrochene Bäume lagen übereinander wie Haufen von Todten, denen Niemand ein Grab gräbt; das tiefe Schweigen dieser zerklüfteten Berge war so groß, daß Heinrich sich einbilden konnte, hier höre Reich und Macht der Menschen auf. Aber an einzelnen Stellen sah er doch, daß sein Vetter, trotz alles Wegmangels auf dem rechten Wege sei. Ueber ein breiteres Wasser war eine rohe Holzbrücke geworfen, in der Ferne erblickte er gespaltenes Holz in Haufen zusammengestellt und bruchstückweis erzählte ihm Karstens, daß jeder Fuß breit Land und Holz hier seinen Herrn habe.

»Norwegen,« sagte er, »würde den größten Theil seiner Waldregionen nicht benutzen können, es würde ihm gehen wie Schweden, wenn wir die tiefen Fjorde und die Gebirgsseen nicht hätten. Diese liegen stufenweis übereinander und aus ihnen brechen die Flüsse hervor. – Von dem Rande der großen Wüste herunter, die den Kern des Landes bildet und zuletzt dem Eis, den Bären und den Rennthierheerden allein gehört, schwimmen die Holzblöcke bis an die Küsten und bis an die Lager der Holzhändler hinab. So bringt der Laaven alles Holz aus Nummendalen; der Tindsee und seine Nachfolger das Holz aus dem hohen Tellemarken. Meine Holzgärten in Skeen kennst Du noch nicht, aber dort eben hat sich ein Mensch festgesetzt, der in allen Dingen mein Feind und Widersacher ist.«

Heinrich fragte nicht als er schwieg, denn er hatte schon gemerkt, daß es am besten sei den hochfahrenden Mann selbst reden zu lassen.

»Es ist ein Gut zu verkaufen,« fuhr Karstens fort, »ich habe lange im Stillen darum gehandelt, denn es besitzt Holz der stärksten Art. Gestern erfahre ich, daß der alte Bauer Eistein, der Vater jenes Menschen, die Hand danach ausstreckt. – Beide haben in Skeen ein Geschäft begründet, sie boten mir an zusammen zu kaufen.«

»Wenn es nicht anders geht,« erwiederte der junge Mann, »würde ich es annehmen.«

»Nein,« sprach Karstens rauh, »ich will mit diesem Gesellen nichts zu thun haben. Sein Vater ist der dickköpfigste, anmaßendste alte Bauer im Lande, der sich mehr einbildet wie ein Prinz. Die ganze Familie gleicht sich darin. Der Sohn war Jahre lang in meinem Hause; Undank, Verrath, Uebermuth sind mein Lohn gewesen. Ich hatte Gutes mit ihm vor. Er war mein Geschäftsführer, besaß mein Vertrauen, bis ich merkte, doch das gehört nicht hierher,« unterbrach er sich; »genug, er hielt sich zur Bauernpartei, sagte mir, er sei ein freier Mann, der nicht mehr mit mir gehen könne und endlich kam es dahin, daß er bei den Wahlen gegen mich auftrat und selbst gewählt wurde.«

»Wie lange ist das her? fragte Heinrich.

»Im vorigen Jahre kam es zum gänzlichen Bruche zwischen uns. – O, er macht Geschäfte, ist ein gescheuter Bursch, ein tüchtiger Spekulant, aber Herredsgaard soll er nicht haben, und sollte ich den dreifachen Preis bezahlen müssen!« –

Er trieb sein Thier an, weil der Boden ebener wurde und Heinrich setzte sich aus allem, was er gehört hatte, im Stillen eine Geschichte zusammen, die ihn beschäftigte. – Der junge Kapitän hatte in Karstens Hause gelebt, sein volles Vertrauen besessen, bis er merkte – was konnte er merken? – daß der Geschäftsführer für Mary Blicke und Wünsche hatte.

Bei diesem Gedanken schlug sein Herz heftiger, aber nach kurzem Nachsinnen glättete sich seine Stirn wieder. Er dachte an seine Cousine. Es war unmöglich, sie konnte sich nicht zu einem Krämer und Bauer herablassen, der ihren Vater so arg beleidigen und mit rohem halbwildem Volke Gemeinschaft halten mochte. Er ärgerte sich, daß er das Gesicht des Mannes nicht gesehen hatte, der ihm zwei Mal in den Weg gekommen war und er fing an ihn zu hassen, alle diese plumpen rohen Bauern zu hassen, die sich wie Herren gebehrden wollten.

Mitten in diesen Träumereien drehte Karstens sich um und blickte mit einer Verwünschung zu den hohen Tannen hinauf, aus deren Spitzen das Licht verschwunden war.

»In einer halben Stunde wird es dunkel sein,« sagte er, »folge mir schnell, wir müssen eine Stelle erreichen, von der aus Du Dich leicht nach Guldholm finden kannst, denn ich muß Dich verlassen, um sogleich nach Herredsgaard zu reiten.«

Die Hufe der Pferde klappten geschwinder auf dem Felsenboden, dann lenkten sie einen steilen Wall hinauf, der aussah als hätten Giganten die Blöcke aufeinander gethürmt und als die Reiter endlich oben anlangten, lag vor ihnen eine tiefe düstre Schlucht, die wie von einem Schwerte zerspalten schien. Unermeßlicher Wald dehnte sich nach allen Seiten aus, über der Tiefe aber erschienen in weiter Ferne wiederum die nackten Hörner des Gausta, roth beglänzt vom letzten Sonnenfeuer.

»Hier geht Dein Weg hinab,« sagte Karstens. »Folge dem Wasser, das unten rinnt, es bringt Dich an den Tindsee; dicht bei Guldholm stürzt der Bach hinein. In drei oder vier Stunden wirst Du dort sein, ohne Eile; der Mond wird kommen und Dir leuchten. Sage Mary, daß ich in Herredsgaard bin und nun säume nicht länger.«

Er reichte ihm die Hand und wandte sein Pferd, das, halsbrechend mit anzusehen, mit ihm an der steilen Wand im Zickzack hinabstieg, unten aufwieherte, als freue es sich seiner Heldenthat, und dann durch die Lichtungen des Waldes sich fernte. –

Heinrich war nicht erfreut, daß sein Vetter ihn ohne Umstände in dieser Wildniß seinem Schicksale überließ, da er jedoch nichts daran ändern konnte, blieb nichts besseres zu thun als den Rath des Scheidenden zu benutzen. In der Tiefe der Schlucht murmelte das Wasser ihm entgegen und eine Stunde lang war es noch hell genug, um ohne Mühe es in allen seinen Windungen zu begleiten, dann aber trat tiefe Dämmerung und bald darauf völlige Dunkelheit ein. Steile Ufer und Klippen voll wuchernden Unterholzes machten das Pferd störrisch und nach mancherlei Aerger, ängstlichen Vorstellungen und lautem, vergeblichem Rufen mußte sich der Reiter entschließen unter einer mächtigen Tanne den Aufgang des Mondes zu erwarten. –

Endlich kam der Gebieter der Nacht und ließ sein blasses duftiges Licht durch die schwarzen, stillen Bäume rieseln, allein wer hätte durch diesen dichten Wald ohne Weg und Steg reiten mögen? Wie in verzauberter Wildniß, suchte der junge Abenteurer den Bach wieder auf, den er nicht finden konnte, bis er nach vielen fruchtlosen Versuchen sich dem Willen seines Thieres ergab, das seinen Weg suchte, wie es ihm gut dünkte.

Nach langer Zeit, die voller Sorgen und Zweifel verging, ward der junge Glanz des Morgens sichtbar und als die kühle Röthe den Wald färbte, verschwanden alle schreckenden Gedanken in Klüfte zu stürzen oder von Bären und Wölfen verzehrt zu werden. Bald öffneten sich blaue Fernen, die geheimnißvoll aus langflatternden Nebeln traten, dann stieg das ganze Felsenland des Gausta majestätisch aus gelben Wolken und plötzlich sah unser verirrter Freund einen See zu seinen Füßen wogen, der ihm wie ein schmaler mit Wasser angefüllter Spalt zwischen himmelhohen senkrecht glatten Wänden erschien.

»Ist dies der vielgerühmte, vielersehnte Tindsee?« rief er freudig aus, »die Heimath der Riesen, der Hexen, Trollen und wundersamen Feien?« –

Er sah zweifelnd umher; seine Augen hefteten sich auf eine Klippe, welche weit über dem Wasser hing und sein Athem stockte vor Erwartung und Erstaunen. Eine breitverästete Tanne stand herrlich in der Mitte des kleinen Platzes und unter ihr saß ein Mädchen oder ein überirdisches Wesen, das seine Hände gefaltet, und seine Augen zu dem feurigen Sonnenglanz erhob, der jetzt an allen Tinden brannte.

»Mary!« schrie der junge Mann auf. –

Sie wandte das Gesicht zu ihm um, er kannte es. – Wie schön, wie vielmals schöner war es, als es der Maler darstellen konnte!


IV.

Sie war aufgestanden, mit wenigen raschen Schritten befand er sich an ihrer Seite und ergriff ihre Hand. Beide blickten sich lächelnd und prüfend an. –

Ja, sie war es, aber nicht in der vornehmen glänzenden Tracht von Seide, sondern in dem dunklen Faltenrock der Telemarkerinnen, das Jäckchen am Halse dicht geschlossen, zwei breite Haarflechten über den Rücken fallend.

»Ich bin Dein Vetter Heinrich, Mary,« sagte er. »Die ganze Nacht bin ich im Walde herumgeirrt. Dein Vater hatte mich verlassen, um nach Herredsgaard zu reiten. Er kommt bald. Aber wie früh bist Du auf, oder hast Du uns erwartet?«

»Ich habe Dich nicht erwartet,« erwiederte sie. »Sprich zu mir in meiner Sprache, wenn Du kannst. Ich verstehe Dich wohl, doch ich vermag nur unvollkommen zu antworten.«

»Du treibst Scherz mit mir,« rief er verwundert aus. »Dein Vater hat mir gesagt, daß Du vortrefflich deutsch sprichst. Ich habe Deine Bücher gesehen, Deine Briefe gelesen, Mary.«

»Du irrst, ich heiße nicht Mary,« antwortete sie als er schwieg.

»Nicht Mary? – Wie heißt Du denn?«

»Ingeborg.«

Er schrak zurück und lächelte ungläubig.

»Lege doch alle Verstellung ab,« bat er. »Ich habe Dein Bild gesehen, Du bist es ja.« –

Er blickte sie wieder an und dann über die Klippe fort in einen Grund, wo unter alten Bäumen in der Mitte einer saftig glänzenden Matte ein Hof lag. –

»Das ist Guldholm,« sagte er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Siehst Du dort oben am See das helle große Haus, vor dem der Elf in den See stürzt? Das ist Guldholm. Du bist in Falsterrud auf Eisteins altem Hof. Mein Vater heißt Hans Eistein.«

Langsam ließ er die Hand des jungen Mädchens los, die Gewalt der Wahrheit kam über ihn. Aber eine Bäuerin sollte das sein? Ihr Vater der alte grobe Bauer, der verhaßte Feind seines Vetters und ihr Bruder, – ihr ungeschlachter Bruder. –

»Du heißt Ingeborg« – murmelte er leise, »aber ich sah Dein Bild; wie kommt es in Karstens Haus, in Marys Zimmer?«

»Ich will es Dir sagen,« erwiederte sie. »Mary ist meine Freundin, ich bin oft bei bei ihr gewesen. Mein Bruder, der die Kunst versteht, hat uns beide abgebildet; mich, ausgeputzt in Mary's bestem Kleide, weil sie es wollte, sie, in meiner Landestracht.«

»Und wo ist Marys Bild? Laß es mich sehen,« fiel er ein.

»Du wirst sie selbst sehen,« sagte Ingeborg, »das ist besser als ihr gemaltes Gesicht, das mein Bruder in Skeen verwahrt. Doch ruhe aus, fremder Mann, ehe Du gehst: komm und nimm, womit wir Dich erfrischen können. Falsterrud ist zwar nur ein Bauernhof, in Guldholm wirst Du es besser finden, doch sieh, unser Gärtchen hat Blumen genug. Ich will Dir auch Kaffee bereiten, Erdbeeren und Milch kannst Du in Fülle haben und gut wird es sein, wenn Du bei uns verweilst, denn in Guldholm werden die Leute noch schlafen, Du würdest Mary stören. Wenn Du Dein Pferd dann bei uns lassen willst, fährt mein Vater Dich den See hinauf, der Weg zu Lande ist mühsam, es liegen tiefe Schluchten dort, durch welche die Wasser hinunterschießen.«

So sprechend, hatte sie seine Hand ergriffen und führte ihn den Steeg hinab zu dem eingezäumten Gaard. Schweigend folgte er ihr. – Auf ihren Ruf kam eine alte Frau, der das Pferd überliefert wurde. Behend streifte sie ihm den Zaum ab, band die Vorderfüße mit einem Riemen zusammen und jagte es dann in das hohe Gras.

»Du findest den Gaard ziemlich verlassen,« sagte Ingeborg freundlich. »Unsere Männer und Mädchen sind bei den Heerden auf dem hohen Weidelande, aber Du betrachtest, wie es alle thun, die uns besuchen, aufmerksam dies Haus. Es ist alt, Fremdling. Sieh wie schwarz die Balken sind, die es tragen; sieh auch den Eingang, das Schnitzwerk über der Thüre und den Pfosten. – Ein gelehrter Professor aus Christiania ist bei uns gewesen und hat die Runenzeichen an den Ecken auslegen wollen, als Zaubersprüche vor allerlei Gefahr, welche vor langen, langen Jahren die Nornen und Trollen ihren Lieblingen gaben. Darüber ist viel Streit gewesen,« fuhr sie lachend auf, »auch darüber, ob König Eistein, der mein Ahnherr gewesen sein soll, hier gewohnt hat, ehe er den Hardanger eroberte und am Sognefjord sein Reich gründete.«

Heinrich von Warfstein hörte wohlgefällig auf dies Geplauder seiner Begleiterin, unter deren hellen Augen er sich sonderbar erregt und mit seinem Irrthume versöhnt fühlte.

»Dann wärst Du ja vom hohen Geschlecht, Ingeborg,« erwiederte er endlich lächelnd.

»Ich bin eines freien Mannes Kind«, sagte sie, »ist das nicht mehr als manche stolze Jungfrau sagen kann? Wer hat dies alles so kunstvoll geschnitzt? Niemand weiß es. – Und wenn wir auch nicht von Königen stammen«, fuhr sie fort, »so ist dies doch ein edles Haus. Meine Väter haben darin gewohnt, weit über Menschengedenken. Du wirst keines finden, weit und breit, was sich mit diesem vergleichen könnte.«

Das mußte Heinrich zugeben, denn wirklich war es ein merkwürdiges Gebäude. Die Balken waren eisenhart und von gewaltigem Umfange, das reich geschnitzte Portal mit seinen Säulen, ein Beispiel uralter Kunst von großer Seltenheit.

»Nicht allein dies Haus«, sagte er, »ist schön und herrlich, auch seine Bewohner sind, wie ich glaube, eben so edel und von rechter Art.«

»Habe Dank, wenn Du Gutes von uns glaubst«, erwiederte sie. »Gefällt es Dir, so verweile oder komme wieder. Da ist mein Vater, er wird Dich gern sehen.« –

Die Thüre öffnete sich und ein Mann trat heraus, der zu diesem Hause paßte. Es schien der alte König Eistein selbst zu sein, der auferstanden war, um Zeugniß abzugeben. Eben so alt, doch eben so markig und so fest wie die schwarzen Säulen und Knäufe dieses Baues, schien der gewaltige Greis zu sein. Hoch von Wuchs mit mächtiger Brust und breiten Schultern, trug er seinen Kopf ungebeugt und seine hellen Augen glänzten freundlich, als er dem Fremden die Hand reichte. Langes weißes Haar fiel bis auf seine Schultern und machte sein Gesicht ehrwürdig und ausdrucksvoll. Eine Fülle von Kraft, Verstand und Güte drückte sich in seinen Zügen aus und als er gehört hatte, wer Heinrich sei und wie er hierher gerathen, wiederholte er die Einladungen Ingeborgs, an seinem Heerde auszuruhen.

Vater und Tochter führten ihren Gast in die Stuga, das heißt in das größte und beste Zimmer des Hauses, dessen Fußboden mit Tannennadeln frisch bestreut war. –

Ein ungeheurer Heerd nahm die eine Seite des Raumes ein, aber er war nur zu Staat und Zierde, nicht zum Kochen da. Viel blankes Zinngeschirr stand und hing in langen Reihen, sammt blauen englischen Schüsseln, Tassen und sauber verzierten Töpfen. Rund umher liefen buntgemalte Bretter, mit Sinnsprüchen versehen, auf welchen saubere Geräthe der verschiedensten Art aufgestellt waren, dicht über dem Heerde aber hing eine Reihe Kessel nebeneinander und erinnerte Heinrich, daß Karstens ihm erzählt hatte, wie in Tellemarken die sonderbare Sitte bestehe, sein Vermögen vor aller Welt Augen zur Schau zu stellen, während gebildete Leute sonst sorgfältig verheimlichen, was sie besitzen. Für jedes Taufend ersparter Silberspecies, hatte Karstens gesagt, werde hier ein Kessel aufgehängt, so mußte denn der alte Bauer ein vermögender Mann sein, denn Heinrich zählte wohl ein Dutzend davon.

Pracht und Schmuck waren freilich nirgend zu sehen. Alle Geräthe, Tische, Stühle und Schränke bestanden aus schlichtem Fichtenholz, doch sie glänzten in Sauberkeit. –

Eistein setzte sich zu seinem Gaste und Ingeborg brachte Kaffee und was sie sonst versprochen hatte, Milch und Butter, Erdbeeren und einen Korb mit flachem hartem Brod gefüllt.

»Nimm und iß«, sagte sie, »wir haben es heute nicht besser. Wenn Du morgen kommen willst oder nächstens, sollst Du Brod aus Kongsberg haben. Ich will Dir zeigen, wie dies am besten schmeckt, wenn es in süßer Milch aufweicht.«

Er ließ es sich gefallen und nach kurzer Zeit war die Unterhaltung unter Lachen und Scherz im besten Gange. Der alte Mann war weit unterrichteter, als Heinrich denken konnte. Er hatte die Verfassung von Eidsvold Das norwegische Grundgesetz, 1814 vom Volk kraft der die Regierung legitimierenden Volkssouveränität beschlossen, zu seiner Zeit mit seinen Grundprinzipien der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und der Freiheit des Individuums (wozu besonders die Meinungsfreiheit zählte) die – vom Religionsartikel (§ 2) abgesehen – modernste Verfassung Europas und hat als einzige in Europa die Restauration nach dem Wiener Kongress überstanden. machen helfen, hatte im ersten Storthing gesessen, war bei der Krönung Karl Johanns zugegen gewesen, hatte mit dem Fürsten mehrmals gesprochen und gespeiset und kannte die Zustände seines Vaterlandes genauer und beurtheilte sie gerechter als viele andere. Er sprach vom Handel, von den Finanzen, von den Eigenthümlichkeiten der Verwaltung, von den Fehlern und Mängeln des Volks mit so vieler Einsicht, daß Heinrich erstaunte. Seine Sprache war einfach, seine Gedanken klar, alle seine Bemerkungen zeigten Ueberlegung und Wahrheit.

»Wir sind ein armes, stilles Volk«, sagte er auf die lobenden Worte seines Gastes. »In unsern einsamen Bergen sind wir auf uns selbst angewiesen, und der lange Winter sowohl, wie die Wildheit und Größe der Natur lehren uns Geduld, Entbehrung, Vertrauen auf Gott und auf uns selbst. Alles muß bei uns schwer errungen werden. Andere Völker haben es leichter, um in Kenntnissen und Fähigkeiten zu wachsen, wir sind abgeschnitten von dem großen Menschenleben, um so mehr ist es nöthig, für uns selbst durch Ordnung und Fleiß zu sorgen.«

»Und diese schönen Eigenschaften tragen gute Früchte«, erwiederte der Gast lächelnd, indem er nach dem Dutzend Kessel aufblickte. »Mein Vetter Karstens rühmt Dich als ein Musterbild der verständigen Bauern, die zu allen Geschäften tüchtig sind.«

»Karstens«, erwiederte Eistein, nachdem er einige Augenblicke geschwiegen hatte, »wird es nicht gern hören, daß Du an meinem Tische gesessen hast, und doch saß er oft auf derselben Stelle. Sein Sinn ist hochmüthig und ungerecht, er ist ein harter Mann, aber es stände uns übel an, wollten wir ihn vor Dir verklagen. Jeder dem Gott Vernunft gegeben, muß wissen, wie er sie anwendet und zusehen, was er thut. – Da steigt die Sonne über Möens Tinden. Wenn Du verweilen willst, Henrik Warfsteen, so soll Dich Ingeborg zu dem Stein des heiligen Olaf begleiten, wo Du alle Tinden und Fjelder und den See beschauen kannst.«

Heinrich dankte, denn er hielt es für Zeit aufzubrechen und während der alte Mann sein Boot in Stand setzte, das den Gast nach Guldholm bringen sollte, führte Ingeborg diesen wieder zu der Klippe unter den Baum, wo er sie zuerst gefunden hatte.

»Wann werde ich Dich wiedersehen, liebes Mädchen?« fragte er als er ihre Hand nahm.

»Komm sobald Du willst«, erwiederte sie. »Hier sitze ich oft. Wenn ich nach Guldholm hinübersehe, will ich an Dich denken.«

»Willst Du«, sagte er freundlich. »Thue es, Ingeborg, aber kommst Du denn niemals zu Deiner Freundin Mary?«

»Nein«, war ihre Antwort. »Lars Karstens will es nicht haben und da er ihr Vater ist, muß sie ihm gehorchen.«

Er wagte nicht weiter zu fragen, auch nicht nach ihrem Bruder.

»Wenn ich wieder zu Dir komme«, begann er, »will ich Dir Grüße von Mary bringen.«

»Ich fürchte, Du wirst nicht kommen«, sagte sie ihn anblickend.

Er erröthete in plötzlicher Verlegenheit.

»Ich weiß nicht was mich hindern sollte«, war seine Antwort; »sei gewiß, daß kein anderer Wille mich bezwingen wird.«

»So laß mich sehen, wie Du Wort hältst«, antwortete sie. »Es führt ein Fußweg am Walde hin, ein Steg ist über den Elf geworfen. Sage Mary, daß Ingeborg treu ist und nun geh', mein Vater erwartet Dich. Bleib in Gottes Hut, sein Friede mit Dir!«

Sie sahen sich beide an und lächelten beide; wie Sonnenglanz fiel es in Heinrichs Brust. Mühsam kletterte er dann das steile Ufer hinunter, wo der Kahn an den Felsen wogte. – Ein Sitz von duftigen Zweigen wartete auf ihn. Der alte Ferge stand in der Spitze und hielt die Schalten.

»Bewahre Dich,« rief Ingeborg über den Klippenrand schalkhaft neckend. »Unergründlich tief ist der See. Wer hineinfällt, verbrennt, denn unten wohnen die Riesen und schmieden die Ketten, an denen der Erdball hängt.«

»Ich glaube,« sagte er lachend, indem er sich auf das grüne Bett warf, »ich fühle schon die heißen Ringe.«

Das Schiffchen flog durch den schwarzen See. Eistein ruderte mit schnellen Schlägen. Als Heinrich zurücksah, stand Ingeborg hoch im Sonnenglanz und ließ ihr weißes Schürzchen durch die Luft ihm nachwehen. Nach einer halben Stunde waren sie bei dem Elf, der mit einem prächtigen Sturz in den See fiel.

»Das ist herrlich!« rief der Jüngling entzückt.

»Du mußt Riukan-Voß sehen, wenn Du Gottes Wunder preisen willst,« antwortete Eistein.

»Was ist Riukan-Voß?« fragte Heinrich.

»Hast Du nie von dem großen Wasserfalle in Westfjordalen gehört?« erwiederte der alte Mann. »Dort liegt er, wo die hohe Waldkette läuft, zur andern Seite des Gausta. Will Keiner Dich führen, so will ich es thun. Du hast mir gefallen, Henrik. Komm nach Falsterrud, so oft Du kannst, Du sollst willkommen sein und nun tritt auf den Stein dort und schwinge Dich hinaus. Lebe wohl!«


V.

Guldholm war ein ähnlich gebautes Haus wie das, welches Karstens in Laurwig besaß. Es stand auf der Höhe im Schutze einer waldigen Felsengruppe, die es vor den heftigen Winden aus Norden und Osten schirmte. Seine hellen Fenster wandte es dem See zu, der sich mondförmig vor ihm krümmte und herrliche Aussichten nach allen Seiten bot. Da lagen tiefe Buchten und Schluchten, da stiegen riesenhafte Tinden oder Spitzen auf und aus den Waldrevieren irrten die Augen hinauf zu nackten Hörnern und glänzenden Schneefeldern.

Guldholm sah mitten in dieser Umgebung aus, wie eines jener geheimnißvoll gesegneten Plätzchen, auf welchen Locke, der gütige Götterbote, einst das goldene Horn seiner Gabe ausgeleert hatte. Geschirmt von der Felswand standen, dem Süden zugekehrt, blühende Obstbäume, Blumen mannigfacher Art prangten in den Beeten, eine Art Glashaus sogar hatte der reiche Besitzer bauen lassen.

Und als der junge Ankömmling, dem Niemand entgegen ging, mit leichtem Schritte in die stillen Gemächer trat, erstaunte er, sie so schön ausgeschmückt zu finden, als hätte Karstens zeigen wollen, daß sein Geld alles vermöge. Da waren theure Möbel aus Deutschland, Uhren und Tapeten, Teppiche und zierlicher Schmuck. Wie war es einfach dagegen im Hause des alten Königs Eistein, wie herrlich bei dem reichen Holzhändler und dennoch fielen dem Nachsinnenden Ingeborgs Worte ein: »Weit und breit findest Du keinen edleren Bau als diesen.«

Plötzlich öffnete sich eine Thüre und er erblickte seine Cousine. Er erkannte sie sogleich an der Aehnlichkeit mit ihrem Vater, aber Karstens harte und stolze Gesichtszüge waren bei ihr weich und unbestimmt geformt. Es war eine schlanke, feine Gestalt. Ihre sanften Augen blickten scheu den Vetter an, der sich ihr so unbefangen wie möglich vorstellte und das Fremde des ersten Begegnens zu überwinden suchte. Bei aller Mühe aber wollte dies doch nicht leicht gelingen.

Mary schien verschüchtert von einem Druck, der sie belastete, und erst nach und nach, als er freundlich mit ihr sprach und gutmüthig, wie er war, ihren Antheil zu erregen suchte, gab sie sich weniger einsilbig. Seit einer Woche wohnte sie in Guldholm, wohin ihr Vater sie voraus gesandt hatte, theils, wie sie sagte, um das Haus zu ordnen, theils um in der frischen Berg- und Seeluft, Ziegenmilch zu trinken, die der Arzt ihr verordnet hatte.

»Sind Sie denn krank, theure Mary?« fragte er, ihre Hand fassend.

»Nicht eben krank,« erwiederte sie tieferröthend und ausweichend, »allein vielleicht sind meine Nerven nicht stark genug, um –«

»Nun um?« wiederholte er, als sie schwieg.

»Um alles was das Leben bringt leicht zu – tragen,« sagte sie und während sie lächelte, zuckte in ihren Augen etwas, das wie ein Schmerz aussah, von dem ihr Lippe und Hand zitterten.

»So lassen Sie mich tragen helfen, liebe Mary,« antwortete er, »vielleicht gelingt es mir, Sie heiter und froh zu machen.«

»Vetter Heinrich,« antwortete sie ihn ernsthaft anblickend, »mein Vater hat mich auf Ihre Ankunft vorbereitet. Ich habe erfahren, daß Sie uns besuchen würden und ich habe Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Meines Vaters Wille ist mir heilig. Seien Sie willkommen, ich will mich bestreben Ihren Aufenthalt angenehm zu machen, so viel ich es vermag. Ich hoffe jedoch, Sie werden nachsichtig sein, wenn manches Ihren Wünschen nicht genügt, aber wie dort oben das wilde Malsfjeld keine Palmen tragen kann, so kann Niemand geben, was er nicht besitzt.«

Sie wandte sich zum Fenster und trat schnell zurück. Ihr Gesicht wechselte die Farbe und mit äußerster Gewalt über ihre Empfindungen fuhr sie fort:

»Mein Vater kommt. Er muß uns froh finden und sehen, daß wir uns befreundet haben. Verschweigen Sie ihm für heute, daß Sie in Eisteins Haus gerathen sind, es würde ihn böse machen. Irre ich nicht, so ist er ohnehin übel gelaunt.«

Sie hatte nur zu recht gesehen. Karstens trat mit hastigen Schritten herein und nach den ersten Grüßen, einigen abgebrochenen Fragen und herrischen Befehlen, brach sein Aerger los.

»Ich wollte,« rief er auf- und abgehend, »daß ich Dich begleitet hätte, Heinrich, statt den satanischen Ritt durch Nacht und Sumpf zu machen.«

»Er ist also fruchtlos gewesen?« fragte dieser.

»Sie hatten gestern schon den Handel geschlossen,« antwortete Karstens. »Die großen Waldungen gehören nun den unverschämten Bauern. Meinen Agenten haben sie listig betrogen, ganz im Geheimen die Sache abgemacht. Die Wälder sind zehn Mal mehr werth, zwanzig Mal mehr, wenn es gut angefangen wird und es sind schlaue Spekulanten. Vater und Sohn Musterbilder aller Tugenden, Männer aus dem Volk – Spitzbuben!«

So ging es eine Weile fort mit immer größerer Heftigkeit und dann und wann, wenn der Sturm am stärksten war, richtete er seine Augen auf Mary, so düster und drohend, als trage sie die Schuld.

»Der alte Eistein,« begann endlich Heinrich, und er wollte hinzufügen: »scheint mir ein ehrwürdiger und redlicher Mann zu sein,« aber zu seinem Glücke unterbrach ihn Karstens bei den ersten Worten.

»Nenne den Namen nicht, ich will ihn nicht hören. Diese Menschen sind mir so fatal, daß ich entschlossen bin – schnell auszuführen, was ich längst wollte.«

Er wandte sich zu seinem Vetter um und sah ihn so durchdringend an, daß der junge Mann erröthete, weil es ein Blick war, der bis in sein tiefstes Herz zu dringen schien.

»Nun,« sagte er dann ruhiger, »Du hast Deine Cousine Mary gesehen, ich hoffe, Ihr findet Geschmack an Eurer Gesellschaft. Hier in der Waldeinsamkeit könnt Ihr eine ganze Woche lang nähere Bekanntschaft machen, dann gehen wir zusammen zurück nach Laurwig. Was meinst Du?«

»Ich hoffe, daß Mary mir erlaubt, mich um ihre Freundschaft zu bewerben.«

»Sprich, Mary,« sagte Karstens.

»Ich hoffe, daß Sie, lieber Vetter, die Geduld nicht verlieren,« antwortete sie leise. »Was mich betrifft –«

»Was Dich betrifft,« fiel der Vater rauh ein, »so gieb ihm die Hand, nenne ihn Du und fort mit aller Zimperlichkeit. Sieh ihn an, es ist ein wackerer Junge, der ein Mädchen wohl erobern kann.«

Er lachte und legte beide Hände auf Mary's und Heinrichs Schultern.

»Wissen müßt Ihr beide schon, was ich mit Euch will,« fuhr er dann fort, »doch der Sicherheit wegen merkt auf, was ich jetzt sage. Ihr sollt ein Paar werden, macht das Weitere unter Euch ab, sobald es angeht. Wenn wir nach Laurwig kommen, wird die Verlobung erklärt, in zwei Monaten folgt die Hochzeit. Mary bekommt der Winter in Norwegen nicht, Ihr habt dann also gerade noch Zeit nach Deutschland zu gehen. Heinrichs Mutter und Schwestern werden Dich herzlich aufnehmen. Zum Frühjahr reiset, geht in den Süden, träumt unter den Orangen und Citronen was Euch gefällt. Während dessen wickle ich meine Geschäfte ab, verkaufe, was sich verkaufen läßt und komme endlich nach. Ich bin es müde mich kränken, von dem Bauernanhange verhöhnen zu lassen, müde um anzusehen, wie Macht und Gewalt der rohen Masse wachsen. Ich will nicht in dem Lande bleiben, wo kein Adel, keine Schranke, keine Klasse der Besseren mehr ist, wo man Alles umgestürzt hat und immer noch umstürzen wird, was etwa erhalten blieb. Ich werde mich in Deutschland ankaufen. Dort wollen wir vereint leben. Das ist mein Wille und jetzt umarmt Euch und liebt Euch, denn ich will Euch glücklich sehen. Mary, komm her, mein Kind. Du sollst glücklich werden, Du bist ja die einzige, die mir übrig geblieben ist.«

Mary legte ihren Kopf an seine Schulter, sie sagte kein Wort. Er drückte einen Kuß auf ihre Stirn, sein gebietender Blick preßte ihr ein furchtsames Lächeln ab, das verzerrt und zitternd auf ihren Lippen blieb, als Karstens ihr gebot mit dem Vetter jetzt einen Spaziergang zu machen und ihm zu zeigen, was Guldholm an Schönheiten besitze.

Dieser Tag und noch zwei andere vergingen dem jungen Paare, das den Befehl erhalten hatte, sich zu lieben und glücklich zu sein, in quälender Unruhe. Der Wille des Vaters und alle Verhältnisse bewirkten ihr fortgesetztes Beisammensein. Die umliegenden Höhen wurden besucht, die Wasserfälle, die kleinen Thäler, die grünen, einsamen Schluchten. Sie saßen beisammen im Garten, unter den Bäumen am See und auf den moosigen Felsplatten an der Elf, aber nirgends kam es je zu einer vertraulichen Annäherung.

Heinrich war beflissen seiner Cousine alle die kleinen Dienste zu leisten und ihr alle jene Aufmerksamkeit zu widmen, welche ein junger Mann einer Dame gern erzeigt, aber er konnte unmöglich verkennen, mit welcher Gleichgültigkeit sie aufgenommen wurden. Wie sollte er Liebe erwecken, wo er den Zwang fühlte? Und welche Rolle blieb ihm übrig, wenn er die kalte engherzige nicht übernehmen wollte, welche ihm allein Mary's Besitz sicherte.

Gewissen und Ehre empörten sich in ihm, wenn er daran dachte, daß er gewaltsam dies zu leidender Unterwerfung entschlossene Mädchen zu seiner Verlobten, zu seiner Frau machen sollte. Sein Stolz bebte davor zurück und dennoch – wie konnte er entkommen? Was sollte er erklären? Welche Auftritte standen ihm bevor, wenn er zu einer entscheidenden Antwort gezwungen war? Sie liebt mich freilich nicht, sagte die kluge Ueberlegung in ihm, und ich – mit welchem Rechte könnte ich diese gefühllose Gleichgültigkeit lieben?

Aber wie vielen Tausenden ist es so gegangen. Das große Vermögen fiel ihm ein, Karstens Zuneigung und Wünsche, seiner Eltern Hoffnungen, seine eigene Zukunft. Er verdoppelte seine Anstrengungen Mary zu gefallen und suchte die Stimme in seinem Innern zu betäuben. Vergebens, Mary blieb sanft, leblos und schweigsam. Ein inneres Grauen kam ihm an, wenn er sie betrachtete und auf irgend etwas sann, was ihren Antheil erwecken könnte.

Am Abend des dritten Tages hielt er es nicht mehr aus. Er war mit ihr allein im Garten, Karstens hatte wohl nicht absichtslos eine Fahrt über den See nach Oerenäes gemacht, um Holzlieferungen abzuschließen. Erst am nächsten Vormittage wollte er zurückkehren.

»Und nun, liebe Mary,« sagte Heinrich freundlich, nachdem er alle Kunst seiner Unterhaltung erschöpft hatte, »sage mir aufrichtig, ob ich in den Tagen, wo ich bei Dir war, Dein Wohlwollen erworben habe.«

»Das hast Du,« erwiederte sie.

»Und aus dem Wohlwollen einer edlen Seele wird Liebe werden,« flüsterte er, sich zu ihr neigend.

Sie schwieg einen Augenblick, dann that sie ihre dunkelblauen Augen groß zu ihm auf und fragte langsam:

»Kannst Du sagen, daß Du mich liebst?«

Der Ton klang wie Spott, er schrack davor zurück.

»Liebe,« sagte er dann, »ist keine Blume die ungepflegt aufblüht. Zeige mir den Weg zu Deinem Herzen, ich will ihn gehen.«

»Du täuschest Dich,« antwortete sie. »Wer jenen Weg nicht selbst findet, dem wird er nie sich aufthun. Du hast mir erzählt, daß Du Ingeborgs Bild für das meine gehalten hast, Du bist mit diesem Irrthume gekommen.«

»Ja, Ingeborg!« murmelte er zwischen den Zähnen und seine Stirn faltend, »Aber was knüpfest Du daran?« fragte er heftig. »Welche Schuld willst Du mir vorwerfen?«

»Keine,« sagte sie tonlos. »Du weißt was mein Vater will. Ich bin sein Geschöpf, er mag über mich befehlen.«

»Du willst also nicht nein sagen, Mary,« sprach er lebhaft bewegt, »wenn ich Dich frage, ob Du mein sein willst? Mir Dein Herz und Deine Hand geben?«

»Meine Hand ist hier,« erwiederte sie. »Mein Vater hat darüber bestimmt, nimm sie, wenn es Dir gefällt.«

Er ließ die Finger fallen, die er ergriffen hatte, sie waren schwer und kalt wie Eis. Ein Gefühl der Verzweiflung und der Rachelust drang durch seine Brust:

»Gut,« rief er grollend, »ich nehme, was Du mir bietest. Du hast Recht, Palmen bringt kein öder Felsen hervor, aber einen Myrthenkranz kann er tragen.«

Einige Stunden später als es dunkel geworden war, öffnete er leise ein Fenster, stieg von dort in den Garten, drückte die Laden fest an und entfernte sich unbemerkt. Er wollte die Unruhe bewältigen, die ihn verzehrte, wollte durch den Wald irren, über dem der große, gelbe Mond sich erhob, aber eine unsichtbare Macht trieb ihn über die Felsen fort, bis er Eisteins altes Haus aus dem dunklen Grunde schauen sah. Vorsichtig blickte er hinab, kein Licht schimmerte, alles war still. Langsam näherte er sich der Klippe, wo die Tanne stand und mit einem Seufzer sagte er vor sich hin:

»Ingeborg, warum heißt Du nicht Mary? Warum wohnst Du nicht dort, und ich –, und ich!«

»Und Du,« flüsterte eine Stimme, die wie ein Himmelsblitz ihn berührte, »wo wohnst Du?«

»In Deinen Armen, Ingeborg!« rief er leidenschaftlich in den dunkeln Schattenkreis der Tanne eilend.


VI.

Die Stunden, welche Heinrich dort verlebte, kamen ihm vor wie Traumbilder; als sei Ingeborg eines jener Zauberkinder der alten Nacht, die irrende Menschen in ihre weichen Arme singen und zu ihren tiefen Grotten auf ewig hinabführten, ehe das Sonnenlicht ihre Beute frei machen konnte.

Sie saß mit ihm unter dem tiefhängenden Gezweig und oben funkelte der Mond auf Felsenspitzen, unten lagerte der schwarze Geistersee und wallte dann und wann in einer Woge auf, die klingend an das Gestein schlug und weißen Schaum aufspritzte. Ingeborg plauderte, lachte und scherzte mit ihm über tausend Dinge. Alles was sie sagte, war so frisch und natürlich, so gut und so verständlich zugleich.

O, eine einzige Minute bei ihr, war ein Schatz voll Segen und Wonne für den, der lange, qualvolle Tage vor dem stummen Götzenbilde gelegen hatte. Sie erzählte ihm ihr einfaches Leben, dann that sie zahllose Fragen und ließ ihren Freund antworten. Sie sang ihm Lieder auf der kleinen Zither, die sie mit einem Stäbchen schlug und trug ihm alte Sagen vor vom König Harald, den die stolze Bauerntochter Gyda verschmähte, von dem wilden Riesen Swend, der Grunild in seiner Höhle gefangen hielt, und Volkslieder, Hirtenlieder von den Alpen.

»Ist es nicht schön bei mir?« fragte sie endlich. »Willst Du wiederkommen?«

»Ich möchte immer bei Dir bleiben,« erwiederte er aus tiefster Brust.

»Das kannst Du nicht,« antwortete sie. »Wer hier wohnen will, muß hier geboren sein. Sieh, dies alles was Du erblickst, liegt viele Monate tief im Schnee begraben. Dann ist es wild und einsam am Tindsee. Die Stürme heulen Tag und Nacht, der Fanarauk, der wehende, funkelnde Schneestaub, fliegt vom Gausta herunter und von den hohen Fjeldern und deckt alles Leben zu. Wer gewöhnt ist, gesellig zu sein und betriebsam, wer seinen Geist geweckt und Bildung empfangen hat, kann hier nicht ausdauern. Selbst mein Bruder kann es nicht mehr.«

»Dein Bruder«, sagte Heinrich. »Er besucht Dich oft?«

»Er kommt von Skeen herauf, wenn es nöthig ist, aber er hat zu viel von den Herrlichkeiten der Welt gesehen, um nicht lieber in der Stadt zu wohnen, wo es an Verkehr und Genüssen nicht fehlt. Er verachtet die dürren Felsen und ist kein Freund von Fladbrödt und saurer Milch«, fügte sie lachend, hinzu.

»Und würdest Du nicht auch lieber in der Stadt wohnen?« fragte er.

»Zur Winterzeit gern«, sagte sie. »Du weißt, daß ich oft und lange in Laurwig war, und wenn Mary Dich heirathet –«

»Sie wird mich nicht heirathen«, rief er heftig.

»Nicht?« antwortete Ingeborg. »Warum nicht?«

»Weil sie mich nicht liebt«, erwiederte er, »und weil ich keines Mädchens Hand mag, das ihr Herz mir nicht geben kann.«

»Und Du – was willst Du thun?« fragte sie ihn nach kurzem Schweigen.

»Zurückkehren in meine Heimath«, murmelte er. »Vergessen, was mich hierher geführt.«

»Erwartet Dich zu Hause ein Herz, das für Dich schlägt?« fuhr sie fort.

»Nein, Ingeborg, Niemand erwartet mich.«

»Und wenn Du gehst, wirst Du mich auch vergessen?«

»Niemals, niemals! Lebe wohl, morgen muß ich mit Karstens sprechen.«

»Höre ein Wort«, sprach sie aufstehend. »Was sagtest Du, als Du kamst? Sagtest Du nicht: O wärest Du Mary, Ingeborg? – Sagtest Du das?«

»Ich sagte es, – ja – ich sage es noch!« rief er sie an sich ziehend.

»Ich bin Ingeborg und kann nicht Mary werden«, antwortete sie mit fester Stimme: »Wenn aber Ingeborg Dir werth ist, wie kannst Du sie verlassen, nie wiederkehren wollen?«

»Du willst nicht, daß ich gehe?« rief er seine Arme um sie schlingend. »Sage mir was ich thun soll, um immer bei Dir zu sein?«

»Laß uns alles wohl bedenken«, sprach sie, ihn in den Mondschein hinausführend, der die Klippe hell überstrahlte. Ihr reiches Haar floß über ihre Schultern, ihre Augen glänzten, ihr schönes stolzes Gesicht hob sich lächelnd zu ihm auf. »Sieh mich an«, sagte sie. »Willst Du bleiben und mich wiedersehen?«

»Wie könnte ich jetzt gehen – Dich verlassen – geliebtes Mädchen!« rief er von Liebesmacht ergriffen.

»Gute Nacht, mein Henrik!« flüsterte sie unter seinen Küssen. »Sprich mit Mary, sage ihr: Du bist es nicht, Ingeborg ist es, die ich liebe – Ingeborg, die mich liebt! – Das sage laut, dann komm und laß uns weiter rathen.«

Mit einer raschen Wendung war sie aus seinen Armen und im nächsten Augenblicke sah er sie den steilen Gang hinab über den Wiesenplan des kleinen Thales eilen und im Schatten des Hauses verschwinden.

Langsam kehrte er nach Guldholm zurück, wie von einem Rausch ergriffen, durch dessen betäubenden Schwindel dann und wann der ganze Ernst nüchterner Vorstellungen brach. –

Ingeborg war schön und gut – und klug, aber doch eines Bauern Tochter am Tindsee, ob ihr Ahnherr immerhin ein König Eistein gewesen sein mochte. Es gibt in Norwegen manchen Bauer, der sich rühmt von Königen und Jarlen abzustammen. Was hilft ihm das? Wer fragt darnach? Was aber würde Karstens sagen, was die Welt, was seine eigenen Eltern, wenn er ein Setermädchen aus Tellemarken heimbringen wollte? Und wo sollte er mit ihr leben? Wovon seine Existenz begründen? Was war seine Zukunft? – War es nicht endlich mehr als zweifelhaft, ob dieser alte Mann ihm sein Kind geben würde – ihm, dem Fremdling, dessen Stand und Name hier gar nichts galten, der nichts gelernt hatte was frommen konnte und der nichts besaß als sich selbst? –

Durch alle diese Zweifel und Bangen lief Ingeborgs Bild mit siegender Gewalt. Ihr kühnes Auge voll Muth und Willenskraft drang überall tröstend durch die aufgejagten Wolken, die vom Gausta herab sich düster über den See wälzten. Sie schwebte vor ihm her und lächelte ihm zu; er fühlte ihre Küsse auf seinen Lippen brennen und Entschlüsse wecken, denen nichts schwer schien.

Plötzlich stand er still, als er eben die dichte Heckenwand am Garten von Guldholm erreicht hatte, denn vor ihm, im Schatten der Bäume erblickte er zwei Gestalten, die sich ihm näherten. – Er erkannte Mary sogleich an der Sprache und wußte wer der Mann war, der sie umfaßt hielt. – Das erblassende Mondlicht erlaubte ihm nicht das Gesicht zu erkennen, selbst als er wenige Schritte nur entfernt still stand, aber der tiefe, feste Klang der Stimme, ließ kein Wort ungewiß.

Er hörte Mary seinen Namen nennen, sie war ganz anders, wie er sie kannte; gesprächig, lebhaft und beweglich.

»Alles, was Du sagst«, rief sie, »macht es beinahe gewiß, daß er zu Ingeborg gelaufen ist, um ihr sein Leid zu klagen. – Ich sah ihn aus dem Fenster steigen und fühlte beinahe Gewissensbisse, denn ich hatte, den ganzen Tag über, ihn zur Verzweiflung gebracht, alle seine Artigkeit verachtet, seine Aufmerksamkeit nicht bemerkt.«

»Du hast Recht gethan, ihn fortzuschaffen«, erwiederte ihr Begleiter. »Ingeborgs Name übte also wirklich einen Zauber auf ihn?«

»Er murmelte ihn mehrmals vor sich hin«, sagte Mary, »und dann sah er mich mit Blicken an, die deutlich ausdrückten: ja, Undankbare, Ingeborg ist ein besseres Wesen, hoch erhaben steht sie über Dir!«

Ihr leises Gelächter empörte den Lauschenden.

»Uebermüthiges Mädchen«, antwortete der Mann, indem er sie in seine Arme schloß, »spotte nicht zu viel. Hat er Sinn für Ehre und Recht und ich glaube es, so bringst Du ihn mit Deinen Künsten in die schlimmste Lage; ist er habgierig und gemein, so kann der Bogen in Deiner Hand zerbrechen.«

»Fürchte nichts«, sagte sie, »was kann ich dafür? Ich muß ihn dahin bringen, daß er meinem Vater erklärt: um all Dein Geld mag ich dies Weib nicht! – Er ist stolz, gereizt, ehrgeizig – Ingeborg wird das Uebrige thun.«

»Nein«, erwiederte der Fremde, »Du sollst meine Schwester nicht hineinmischen. Ihr sowohl wie meinem Vater hat Dein Vetter wohlgefallen.«

»Um so besser, mein Geliebter, um so besser!« fiel Mary ein. »Wer weiß was geschieht. – Soll ich mit ihm reden? Soll ich ihn in unser Vertrauen ziehen? Soll ich ihm sagen, daß ich nicht von Dir lassen will und müßte ich in den tiefen See springen?«

»Und wenn Du es thätest«, sagte der Mann nach kurzem Schweigen – »ich kenne Deinen Vater zu gut, statt ihn zu besänftigen, würde er noch unversöhnlicher zürnen. Nein, Mary, nichts bleibt uns, als der letzte Versuch. – Morgen –,« er führte sie unter die Bäume zurück und Heinrich hörte nichts mehr als einzelne halbverständliche Worte, deren Sinn ihm verborgen blieb.

Nach einiger Zeit kehrte das vertraute Paar zurück und es erfolgte ein zärtlicher Abschied.

»Wenn alles wankt, alles bricht«, rief Mary leidenschaftlich, wenn das Leben uns verläßt, geliebter Freund, so bleibt mir der Tod.«

»Sprich das furchtbare Wort nicht aus, meine Mary«, antworte er. »Denk an Morgen, sei beherzt und fürchte nichts.«

»Ich denke an Dich, Thorkel«, rief sie. »Alles soll geschehen, nichts soll mich erschrecken.«

Nach einigen Minuten ging Eisteins Sohn dicht an dem Versteckten vorüber, der ohne weitere Fährlichkeit in sein Bett gelangte.


VII.

Am nächsten Morgen kehrte Karstens zurück. Er hatte in Oerenäes vortheilhafte Lieferungscontracte abgeschlossen und war über den Aerger hinaus, den der Verkauf von Herredsgaard ihm bereitete. – Gesprächig setzte er sich an den Kaffeetisch mitten auf dem Vorplatze nieder, erzählte und lachte über seine kleinen Abenteuer bei den Bauern in Westjord und beantwortete Marys verschiedene Fragen mit großer Leutseligkeit.

Marys Lippen waren heute noch tiefer zusammengedrückt wie sonst, ihr Gesicht sah noch blasser aus und um ihre Augen lag ein schwarzer Ring, wahrscheinlich die Folgen einer schlaflosen Nacht.

Karstens betrachtete in seiner heutigen Herzensmilde diese Zeichen mit einem Kopfschütteln.

»Wie siehst Du denn aus, Mädchen?« rief er ihr zu. »Hast schlecht geschlafen. Wie? Seid Ihr gestern ins Reine gekommen, Heinrich, oder was hat es gegeben? – haha! mach keine Streiche, Mary. Kannst krank werden nach der Hochzeit; steht jungen Frauen gut, blaß umherzugehen, doch jetzt sei munter, eine Braut muß lachen und auf Flügeln der Morgenröthe schweben. – Schicke sonst hinunter nach Kongsberg und laß, meiner Treu, den alten Bezirks-Doctor Spidman mit Pillen und Latwergen kommen.«

Ein schwaches Lächeln flog durch Mary's Züge.

»Lieber.« sagte sie, »wollen wir daran denken, die Krankheit mit einer Gebirgskur auszutreiben, von der Heinrich auch seinen Theil bekommt.«

»Hast Recht!« rief Karstens. »Zwei Dinge sind es, Heinrich, die Du sehen mußt, ehe wir aus Guldholm gehen. Du mußt den Gausta besteigen und in den wilden Wassersturz des Riukan hinabschauen.«

»Heute wäre der rechte Tag dazu,« fuhr Mary fort, indem sie die Augen zum Himmel aufhob und ihrem Vetter einladend zunickte. –

Aber der Vetter hatte keine Lust, ihr im Geringsten zu helfen. –

»Sicher gehört das zu ihrer Verabredung,« dachte er bei sich, »und was sie heimlich ausgesonnen, dazu mag ich nicht als Werkzeug dienen.«

»Lieber,« sagte er laut, »möchte ich den Gausta besteigen.«

»Auch gut, es ist derselbe Weg,« erwiederte der Kapitän.

»Ich will das Boot bestellen, in einer Stunde können wir auf dem Wege sein. – Aber was ist das – was gibt's?« schrie er aufspringend und seine Meerschaumpfeife heftig auf den Tisch werfend, schien er ins Haus laufen zu wollen, obwohl er nach einigen Schritten wieder umkehrte und mit männlicher Fassung die beiden Männer erwartete, welche in den Hof getreten waren.

Seine Stirne aber blieb gefaltet, als er den Gruß nach Landessitte erwiederte. –

»Hans Eistein und Thorkel Hansen, was führt die beiden Herren zu uns?« rief er aus, und Heinrich erkannte in demselben Augenblicke in dem jüngeren Manne seinen Reisegefährten auf dem Dampfschiffe. Es schien jedoch, als wollte dieser sich seiner nicht erinnern – eben so wenig that der alte Bauer, als hätte er ihn je früher gesehen. Beide setzten sich ohne Umstände an den Tisch und begannen mit Karstens ein Gespräch, das Gegenstände berührte, die für diesen wichtig und erfreulich waren, obwohl er keine Miene dabei veränderte.

»Sie wissen, Herr Karstens,« sagte Thorkel, »daß wir Herredsgaard gekauft haben. Die schönsten Wälder, Stämme, wie man sie selten mehr findet, laufen bis an den Riukan hin.«

»Wünsche Ihnen Glück, Herr Hansen,« erwiederte Karstens gleichgültig, indem er seine Pfeife in Brand setzte.

Der junge Eistein ließ sich nicht stören. Er gab eine weitläufige, klare Schilderung aller Vorzüge und Vortheile und rechnete eine große Summe heraus, die in wenigen Jahren sicher gewonnen werden könne, wenn die nothwendigen Mittel angewendet würden.

»Und was,« fragte der Handelsherr, nachdem er ein paar kurze Einwendungen und Zweifel erhoben hatte, die sogleich widerlegt wurden, »was habe ich damit zu schaffen?«

»Ich will es Dir sagen, Lars Karstens,« fiel der alte Mann ein. »Du wolltest Herredsgaard auch kaufen, ich bin Dir zuvorgekommen, aber ich will nicht, daß Du sagen sollst, wir haben Dich überlistet.«

»Das habe ich nicht gethan,« schrie Karstens auffahrend.

»Du hast mehr gethan, als das,« fuhr der alte Eistein fort, »doch ich biete Dir die Hand zum Frieden. Ich will Dir die Hälfte des Gutes geben, nimm es mit meinem Sohne gemeinschaftlich. Es wird viel Geld bringen.«

»Du bist ja sehr großmüthig!« lachte der Kapitän, »aber es ist eine Bedingung dabei. Wie?«

»Es ist keine Bedingung dabei,« antwortete der Bauer.

»Nicht?« sprach Karstens sich über den Tisch lehnend, »nun so höre, Hans Eistein, was ich Dir sage. Ich danke Dir für Deinen Vorschlag, aber ich will ihn nicht annehmen.«

»Willst nicht, Mann?« fragte der Alte. »Sieh zu was Du thust. Weißt besser wie Einer, daß in fünf Jahren dreißigtausend Species zu gewinnen sind.«

»Und wäre es dreimal so viel, ich will dennoch nicht,« erwiederte der Kapitain.

Die Worte wurden ohne Aufregung gewechselt, aber in Karstens grauen Augen blitzte ein überlegener Hohn.

»Kann Dir kurzweg sagen, warum ich nicht will,« fuhr er dann fort, nachdem er ein paar lange Züge gethan hatte. »Geld und Gut besitze ich genug, mag es nicht vermehren. Sieh hier, das ist mein Vetter, da steht meine Tochter, am nächsten Montag wird's ein gesegnetes Paar sein.«

»Hab's gehört,« sagte Eistein, ernsthaft zu Heinrich aufblickend.

»Was Du aber nicht gehört hast, ist das. Wenn meine Tochter in Deutschland wohnt, will ich ihr nachfolgen, eben deswegen kann ich kein Gut mehr kaufen und wenn es das beste wäre.«

»Das werden Sie nicht thun,« fiel Thorkel ein. Sie werden nicht gehen, Norwegen nicht verlassen, es sei denn zu Ihrem Unglück.«

Karstens antwortete mit einem stolzen Blick und einem verächtlichen Lächeln.

»Herr Karstens,« sprach der junge Mann, »Sie mögen es anfangen, wie Sie wollen, Land und Blut werden Sie nicht loslassen. Sie sind ein thätiger und erfahrener Mann, hochgeachtet und viel gekannt, wie könnten Sie in der Fremde ausdauern, wo Niemand von Ihnen weiß und Alles, was Ihr Leben ausmachte, verloren ist.«

»Das ist meine Sache,« sagte der Kapitän.

»Und Mary,« rief Thorkel, seine Stimme schmerzlich erhebend.

»Schweigen Sie!« antwortete Karstens heftig, indem er aufstand.

»Sehen Sie hin, Herr Karstens, sehen Sie ihr blasses Gesicht an,« sagte Thorkel. »Empfinden Sie nichts dabei?«

»Ich will es roth machen, wie jungen Klee,« lachte der Kapitän gewaltsam.

»Was soll das? Mary!« –

»O Vater,« flüsterte sie die Hände faltend.

»Rühr' mich nicht an!« schrie er erbittert auf. »Fort, in's Haus! Heinrich, begleite sie. Was wollt Ihr noch? Ist's genug? Ich denke ja!«

»Genug für Dich, Du rauher Mann!« sagte der Greis vor seinen Sohn tretend, und seine mächtige Gestalt so stolz erhebend, daß Karstens seine Augen fortwandte. »Dein Hochmuth kennt keine Grenzen und achtet kein Gebot. Dein Kind willst Du zwingen und verderben, so wird es Dir selbst geschehen, doch wenn Du allein bist in Deiner Noth, dann wird eine Hand Dich fassen, die all Dein Gold und Dein Stolz nicht wieder abthun kann.«

»Ich will's erwarten,« antwortete Karstens ruhiger, als der erzürnte Mann es denken ließ. »Jeder muß wissen, was er thut. Wird ein feiner Tag, Hans Eistein, habe vor nach Westjordalen zu reisen.«

Der alte Mann sah ihn an, als besänne er sich auf etwas, dann streckte er seine große Hand aus und sprach mit tiefer Stimme:

»Thu's und komm besser zurück als Du gehst. Warst sonst ein Freund, der gern an meinem Tische saß. Mag's Gott fügen, daß ich Dich dort froh wiedersehe. Lebe wohl!«

»Alter Thor!« lachte Karstens vor sich hin, als die Männer sich entfernt hatten. »Nie will ich wieder in Deine Balkenhütte treten. Ei ja, es ist ein herrlicher Kauf, Herredsgaard. Wäre ein wackeres Geschäft, viel Geld zu verdienen, und Thorkel ist der Kopf dazu, um es zu benutzen. Wird ein reicher Mann werden,« murmelte er vor sich hin, indem er dem Hause zuging. »Keine zehn Jahre und er hat sie alle unter sich. Ich habe ihn aufwachsen sehen, habe ihn erzogen, weiß was an ihm ist – schade um ihn! – Holla!« rief er seine Stimme erhebend: »Niels! Olaf! macht das Boot fertig. In einer Viertelstunde wollen wir nach Oerenäes rudern, müssen zusehen, wie wir zu Pferden kommen.«

Das Boot war bald bereit, und während Mary für Speise und Vorräthe sorgte, ging ihr Vater auf und ab und sprach mit seinem jungen Verwandten, der beinahe eben so trübe und bleich aussah, wie das Mädchen. Karstens nahm ein paar Male einen Anlauf, als wollte er eine Frage thun oder eine Erörterung herbeiführen, aber er brach immer wieder ab, bis er endlich in seiner barschen, den Widerspruch abschneidenden Weise sagte:

»Du hast vorher da allerlei gehört, was Dich verletzen konnte, Heinrich. Thorkel Eistein oder Thorkel Hansen, wie er dem Gebrauch nach heißt, ist kein gewöhnlicher Mensch, so wenig wie sein Vater ein gewöhnlicher Bauer ist. Sie haben eine alte Abstammung und sind geehrt im Lande, was Du daran erkennen kannst, daß der Alte im Storthing gesessen hat und Thorkel noch darin sitzt. Es ist ein Verhältniß in meinem Hause zwischen ihm und Mary entstanden, hinter meinem Rücken, doch ich habe es ausgerissen mit den Wurzeln. Es kommt leider oft so vor in der Welt, und Unheil entsteht, wenn man es duldet. Antworte nichts, Heinrich, Du hast mein Wort. Ein Vater kann nicht geschehen lassen, daß sein einziges Kind sich dem geben will, den er nicht zum Sohne haben mag. Mädchen fallen bald in solche Narrheit, aber man muß sie ihnen austreiben und blasse Gesichter oder nasse Augen nicht achten. Thäte man das, so wäre das Schwäche und Unvernunft. Es wird nicht lange dauern, und ihre Wangen werden wieder roth; Du wirst sie gut halten und sie wird es Dir einst danken. Bedenke das Alles, überlege verständig und nun laß uns gehen. Mary wartet und da stehen die Ruderer.«

Der Weg über den See wurde in trüber Stimmung zurückgelegt. Kein Gespräch wollte in Gang kommen. In Oerenäes waren nach einer Stunde Pferde beschafft, und während dieser Zeit saß Heinrich am Ufer der Mondelf, die wildschäumend dort in den See stürzt; während Mary Blumen suchte und Kränze wand, welche sie zerpflückt in das tobende Wasser schleuderte.

Von Zeit zu Zeit sandten sich die jungen Leute Blicke zu, aber diese brachten sie nicht näher, bis Mary endlich ihren Vetter herbeiwinkte.

»Du bist mir böse,« sagte sie. »Setze Dich hierher und vertraue mir, woran Du eben gedacht hast.«

»An unsere Verlobung, Mary,« erwiederte er finster lächelnd. »An unsere Reise und an das Glück unserer Zukunft.«

»Ich hoffe wir werden beide damit zufrieden sein,« flüsterte sie sanft zu ihm aufblickend.

»Zum Ende kommen, willst Du sagen,« rief er aus. »Ich werde Alles für Dich thun, was Du erwarten kannst.«

»Thue etwas sogleich,« erwiederte sie. »Lies dies Blatt.«

Sie reichte ihm einen gefalteten Zettel. Er schlug ihn auf und wurde glühend roth.

»Mein Vater,« stand darin, »will mit Dir reden, Henrik. Mein Bruder grüßt Dich und Ingeborg sagt Dir, gehe nicht auf den Gausta, geh zum Riukan und thue, was Mary von Dir begehrt.«

Er sah ganz bestürzt seine Cousine an.

»Wo ist Ingeborg? Was soll ich thun, Mary?« stammelte er.

»Nichts,« erwiederte sie, »nur befolgen, was darin steht.«

Sie deutete auf das Papier.

»Und auch jetzt willst Du kein Vertrauen zu mir haben?«

»Vetter Henrik,« antwortete sie leise, »ich spiele ein hohes Spiel um mein und Dein Glück. Du kannst nichts fördern und nichts bessern, was Du auch thun möchtest. Gott weiß es, ob es mir gelingen wird, aber es ist der einzige Weg um meines Vaters Herz vielleicht zu erweichen. Der Himmel wird mir verzeihen. Wenn aber Unglück mich treffen sollte, so wirst Du wenigstens verschont bleiben. Ingeborg wird Dich lieben, sie ist so gut, wie schön, und mein Vater – da kommt er!« flüsterte sie. »Sei verschwiegen, hindere mich nicht, gib mir Deine Hand, versprich mir keinen Fuß für mich zu rühren, was auch geschehen möge. Denke an Ingeborg!«

»Sonderbar,« murmelte er. »Aber Du willst es, ich gelobe es Dir.«

Karstens sah sie Hand in Hand stehen und er freute sich darüber.

»So sind die Weiber,« rief er in sich hinein. »Man muß nur Ernst brauchen, so fügen sie sich. Lange wird es nicht dauern und aller Kummer ist vergessen.«

Die Pferde kamen und die drei Reiter zogen durch das blumenvolle, liebliche und immer wildere Thal hinauf, bis in die Nähe der Brücke, welche über den Bergstrom geworfen ist. Hier ging der Weg nach dem Gausta hinauf, der als scharfkantige Pyramide in die Wolken stieg. Glänzende Schneefelder hingen an seinen Seiten und unter ihnen lagen grausige Schuttstücke, die bis an den Felsenspalt der Maanelf reichten. Plötzlich hielt Mary ihr Thier an und deutete auf ein krauses Gewölk, das wie ein langer, feiner Schleier an der höchsten Kuppe haftete.

»Der Gausta setzt seine Kappe auf,« sagte Karstens, »da gibt es Sturm, Regen oder Nebel.«

Er rief einen Mann herbei, der die Pferde begleitete und welcher bedenklich den Kopf schüttelte.

»Umkehren ist meine Sache nicht,« sprach er dann, »was geschehen soll, muß geschehen. Laßt uns weiter.«

»Aber wir könnten Riukan-Voß doch lieber besuchen,« fiel Heinrich ein.

»Bist Du so wetterwendisch?« meinte Karstens, dem diese Wendung eben nicht unlieb schien. »Nimm Dich in Acht, oder Du wirst einmal übel bei Deiner Frau fortkommen. Laß Mary entscheiden, wir wollen galant sein.«

»Ich will Alles, was Heinrich will,« sagte sie.

Ihr Vater lachte vergnügt.

»Sie will Alles, was Du willst, hörst Du! Das heißt, gut übersetzt, Du sollst Alles wollen, was sie will. Ist es nicht so, Mary?«

»Es ist so, Vater,« antwortete sie lächelnd.

»Nun in Gottes Namen denn hinauf zum Riukan,« fuhr Karstens fort. »Ich hoffe, das Wetter, das in den Schluchten lauert, wird bald über uns hinziehen und wenigstens kann ich bei dieser Gelegenheit den Wald von Herredsgaard betrachten.«

Rasch ging es nun durch das Thal hin, das immer mehr verengt, endlich zu einer schmalen Felsenspalte sich zusammenzog. In ihrer Kluft donnerte die Maanelf aus dichtbewaldeter Tiefe, bald ganz verborgen, bald ihr blaues, schaumzerpeitschtes Gletscherwasser zeigend, das ungeheuere Felsentrümmer umrauschte. Gießbäche stürzten von den Bergwänden herab, dann und wann lag eine Hütte am Wege. Ein Mühlrad drehte sich reißend schnell unter dem Gischt eines Wassersturzes, und immer enger wurde der einzige Pfad zwischen Abgrund und Felsen, daß nur ein Pferd darauf gehen konnte.

Endlich aber schlossen sich die Mauern des Gebirges dicht zusammen und bildeten eine Kluft, die schwarz und nackt bis in die Wolken stieg. Bei einer Biegung sah Heinrich eine Rauchsäule daraus emporquellen, wie der Dampf einer ungeheuern Esse, den der Sturm faßte und ineinanderwirbelte.

»Da hast Du Riukans ersten Gruß,« sagte Karstens, auf diese Rauchsäule zeigend. »Nicht umsonst wird dieser wunderbare Wasserfall der rauchende genannt.«

Die Pferde arbeiteten keuchend den steilen Pfad hinauf. Ein feiner Regen begann zu fallen und machte die Steine schlüpfrig; es war ein gefährliches Klimmen, ehe die Thiere an einer mächtigen Felsmasse still standen, welche gezackt und zerrissen den Schluß des Spaltes bildete.

»Hier geht es in das Hirtenland, wo kein Haus mehr steht und kein Baum wächst,« sagte Karstens, »aber der Wasserfall ruft uns durch seinen Donner. Führe, Mary, Heinrich, und Du Mann sorge für die Thiere. Der Henker hole den Regen! er macht Gras und Steine glatt wie Eis. Sieh genau auf jeden Schritt. Halt Dich, Mary, – da ist die Felsplatte – um alle Schätze möchte ich nicht weiter!«?

Sie waren einen Abhang hinabgeklettert, der dicht mit Erlen und Birken besetzt war, die den Felsenkessel umwucherten, welcher jetzt plötzlich sich vor ihnen aufthat. Ein Felsstück sprang wie ein Altan über einen Abgrund, den von allen Seiten unersteigliche tausend Fuß hohe Wände einschließen und hoch von oben fiel eine glänzende, weiße Masse hinein, die wie geschmolzenes Silber klingend und donnernd an die schwarzen Felsen schlug und davon abprallte, aufspritzte, zu Staub zerschmetterte und in Dampfwolken aufgelöset wieder emporwirbelte. Es war die Maanelf, welche hoch oben aus einer Oeffnung der Felsen in den grauenvollen Schlund fünfhundert Fuß tief hinabstürzt und den berühmten Riukan-Voß bildet.

Karstens hatte sich platt niedergelegt, um den mächtigen Anblick in Ruhe zu genießen. Mary lehnte sich auf Heinrichs Arm. Er fühlte, wie sie zitterte und sah ihre Lippen ängstlich zucken.

»Was ist Dir, Mary?« fragte er. »Dir ist nicht wohl.«

»Schwarz vor den Augen, schwarz im Herzen, Heinrich,« sagte sie seine Hand drückend. »Doch sieh her, meine Lippen lachen; sie müssen lachen.«

»Setze Dich nieder, Mädchen,« schrie Karstens, »Du siehst ganz bleich aus. – Sieh, Heinrich, dort an der Wand hin, läuft der Marysteeg. Achthundert Fuß hoch hängt er über dem Abgrund, doppelt so hoch ist der Fels über ihm. Kaum einen Fuß breit läuft er jäh hinab und hinauf und doch gibt es Wagehälse, die darauf hin- und herspringen bei Tag und Nacht und unter der Tanne liegen, die dort aus der Felsspitze wächst.«

»Da muß es schön sein, Vater!« rief Mary.

»Ei ja,« sagte Karstens. »In meiner Jugend bin ich einmal dort gewesen. Es ist eine Ehre, an dem Baume gewesen zu sein, doch dazu gehören Gelenkigkeit, junge Glieder und ein sicheres Auge. Der leiseste Schwindel bringt den Tod, und heute, wo Gras und Steine naß sind, würde der Kühnste es bleiben lassen.«

»Ich glaube, es sitzt ein Mann an der Tanne,« meinte Heinrich.

»Es ist Nebel, es ist Täuschung,« antwortete Karstens, »oder vielleicht ist es Olaf's Geist, der seine Mary erwartet. Weißt Du warum der Pfad Marysteeg heißt?«

»Ich will es Dir erzählen,« fiel Mary ein, »höre zu, was die Sage davon berichtet. Vor langen Zeiten liebte einst eines reichen Mannes Sohn ein armes Hirtenmädchen, aber sein Vater war stolz und grausam, er wollte die arme Seterin nicht zur Tochter haben.«

»Woran er ganz recht hat,« fiel Karstens ein.

»Abends, wenn die Sonne hinter den hohen Gaustagipfel sank, wenn die gefleckten Heerden müde um die Steinhütten auf den Hochweiden lagerten, eilte das Setermädchen leichten Fußes durch die Wildniß bis hierher, wo die Maanelf in den Felsenkessel stürzt. Unter der Tanne saß sie und wartete bis ein Schatten an der Felswand hinflog, bis ein kühner Fuß fest und klingend aus der Tiefe stieg und von Klippe zu Klippe springend Olaf endlich an ihrem Herzen lag. Das war ein schönes Plätzchen. Kein Späher entdeckte es, Niemand ahnte, daß ein menschliches Wesen wagen konnte, dort in Nacht und Nebelwehen zu gehen, aber die Liebe wagt Alles!«

Karstens stieß einen brummenden Ton aus und sah zu seiner Tochter empor, deren Gesicht sich höher röthete. –

»Liebe wagt Alles!« rief diese nochmals, »so wagte es Olaf jede Nacht, und ehe der Morgen kam, floh das Mädchen in die Berge, er stieg ins Thal hinab. Einstmals aber war der Himmel schwarz und Blitze zuckten um den Gausta. Donnerschläge hallten aus tausend Klüften wieder und weckten die wilden Berggeister auf, die mit ihren schrecklichen Armen Felsenstücke von den Gipfeln reißen und in Wolken niederfahren, um mit Wirbeln und Lavinen alles Leben zu vernichten. Mary saß unter der Tanne, die ihr zerrissenes Geäst auf ihre betenden Lippen warf, Nebel umringte sie. Die Geister fuhren darin vorüber in ihren langen, blassen, nassen Gewändern; ihr höhnendes Geheul und Jauchzen drang mit Todesschrecken in Marys Brust. Plötzlich sprang sie auf und horchte. Durch Sturm und Regen klang seine Stimme; er rief ihren Namen, sie gab ihm Antwort und sprang auf, ihm entgegen. Da schüttelte ein heftiger Windstoß die alten Felsen. Bäume brachen, Blöcke stürzten nieder, Mary klammerte sich verzweifelnd fest und hörte nichts mehr. Als aber die Morgensonne kam, lag dort unten, wo der Strom aus dem innern Felsenthore bricht, der zerschmetterte Körper eines Jünglings und die blauen Gletscherwasser wuschen sein blutiges Haar. Auf dem Wege aber irrte die arme Mary umher, saß an der Tanne bis der Morgen graute, kam und horchte auf den Schritt dessen, der niemals wiederkehrte. Manchen Tag saß sie so still wartend, bis endlich nach einer wilden Nacht man ihre Leiche fand, wo Olaf gelegen und seit dieser Zeit heißt der Grat hier Marysteeg.«

»Wie Du gut erzählen und ausschmücken kannst,« rief Karstens lachend. »Es ist ihr Recht geschehen für ihre Narrheit, aber ich denke wir haben genug davon.«

»Halte Wort,« flüsterte Mary, indem sie ihres Vetters Hand drückte.

In diesem Augenblicke fuhr ein blendender Blitz durch den Kranz schwerer Wolken und ein Donnerschlag folgte nach, welcher aus Klüften und Spalten brüllend wiederhallte. –

Karstens sprang auf. Der unerschütterliche Mann taumelte vorwärts, klammerte sich an den nächsten Baum fest, und stand dort seinen Arm ausstreckend ohne einen Laut hervorzubringen. Seine Augen thaten sich weit auf, sein ganzes Gesicht verzerrte sich, Entsetzen erfüllte ihn und endlich stieß er einen Schrei aus, der furchtbarer war als Donnertoben, denn er drückte die Verzweiflung eines Vaters aus.

Mary war über den Wall von Trümmern gestiegen, welcher als Brustwehr vor dem Abgrunde lag und stand nun auf dem schmalen Grat, welcher an den Felsen hinläuft. Ihre Augen hefteten sich fest auf den Wasserfall, dicht an ihren Füßen gähnte die schwarze Tiefe und ohne auf den Angstschrei ihres Vaters zu achten, eilte sie über die nassen glatten Steine den gefährlichen Gang hinab.

»Zurück!« schrie Karstens. »Zurück Mary! halt ein! Rette sie Heinrich! halt ein! – Sie will sich morden! mich! mich! – höre mich! ich will Dir geben – Alles geben. Ihr nach! ihr nach! – O allbarmherziger Gott!«

Gerade an der schmalsten Stelle, wo der Weg fast am Felsen verschwindet, wo Gestrüpp aus einer Spalte wuchert, das die Hand helfend fassen muß, sah er Mary straucheln und fallen.

Mit jenem wilden Schrei der Verzweiflung, der nichts mehr hofft, schlug er die Hände auf den harten Stein nieder. In demselben Augenblicke aber war die Hülfe da. Von der Tanne her flog ein Mann im schnellsten Lauf an der Wand hin als sei es ein ebener breiter Weg und an der scharfen Windung des Gesteins, wo es jäh hinunter geht, hob er die Fallende auf und trug sie in seinen Armen zurück.

Während dieser wenigen schrecklichen Minuten hatte Heinrich wie verzaubert gestanden. Es fehlte ihm nicht an Muth um das Aeußerste zu wagen, mit Grausen sah er Mary nach und doch hielt ihn sein Wort zurück. Er erkannte die entsetzliche Gefahr und wußte doch zu viel, um ernstlich daran zu glauben. Als er seine Cousine aber in Thorkels Armen sah, riß er Karstens empor.

»Da ist sie,« rief er. »Sie lebt, sie ist Dir erhalten!«

Mit einem langen Blicke starrte der Kapitän die Nahenden an, dann wandte er sich zu seinem Vetter.

»Erhalten – ja mir, aber nicht Dir,« sagte er, die Worte hastig hervorstoßend. »Lege sie hier auf den Rasen nieder, Thorkel. Du bist ein kühner Mann. Wo kamst Du her? Wie war das möglich? Aber sie regt sich nicht.« –

Er legte seine zitternde Hand auf das Herz seiner Tochter und suchte seine Selbstbeherrschung wieder zu gewinnen, während er sie betrachtete.

»Sie ist ohnmächtig«, erwiederte Thorkel, »sie wird erwachen.«

Er sprang auf, eilte zu einem kleinen Quell, welcher nahe dabei aus dem Felsen rann und brachte Wasser. – Plötzlich schlug Mary die Augen auf, sah Thorkel stehen, sah ihren Vater über sich hingebeugt und ein Lächeln erhellte ihr bleiches Gesicht mit den Thränen zugleich, die ihre Augen füllten. Dann richtete sie sich auf, blickte in den fürchterlichen Schlund hinab und schien von neuem Entsetzen ergriffen zu werden.

»Ich lebe«, rief sie, »ich bin nicht todt, nicht hinabgestürzt, nicht zerschmettert! O mein Vater, mein Vater, sei gütig, sei gerecht. Hier liege ich zu Deinen Füßen – nie mehr will ich Gott versuchen! Laß mich sterben, wenn es sein soll, aber fort von diesem Abgrund – fort, fort!« –

Sie hielt sich erschöpft an Karstens und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Er deckte beide Hände über sie – seine harten stolzen Augen schmolzen in Liebe und plötzlich zerriß die Sonne das schwere Gewölk, ihr rothes Licht drang in den finsteren Spalt und beleuchtete zauberisch die Wälder und Felsen, die fallenden Wasser und die Staubwolken des Riukan. Regenbogen voll glänzender Farbenpracht spannten sich darin aus, Miriaden schöner goldener Funken flatterten auf und nieder. Es glühte und wogte um die schwarzen nackten Wände, ein rosiger Schimmer des Friedens und der Versöhnung hüllte den Abgrund ein und strahlte aus den Gesichtern der einsamen Menschen wieder, die Herzen und Sinne vor der Stimme Gottes beugten, der in seinen Wundern zu ihnen sprach.

Endlich führte Karstens seine Tochter zu den wartenden Pferden und der Rückweg wurde angetreten. Er ritt voraus und sprach kein Wort. Thorkel ging neben Marys Thier, Heinrich folgte langsam nach. So kamen sie zu dem wartenden Boote und fuhren über den See.

Als die Ruderer bei Guldholm anlegen wollten, befahl ihnen Karstens, weiter zu fahren, bis an die Klippen von Falsterrud. – Hier stieg er aus und geleitete Mary in das kleine Thal, wo Eisteins alter Hof liegt. Der Greis saß an der Schwelle unter dem Portal, Ingeborg neben ihm; freundlich lächelnd standen beide auf als die Gäste näher kamen.

»Friede in Dein Haus, Hans Eistein«, sagte Karstens als er dem Bauer die Hand schüttelte.

»Bringst Du Frieden«, antwortete dieser, »so setze Dich und sei willkommen.«

Der stolze Mann stand einen Augenblick und man sah ihm den Kampf an, den er zu bestehen hatte, dann ließ er sich nieder und Eistens Hand festhaltend sprach er:

»Hast heute ein Wort gesprochen, daß es mit uns sein möchte wie ehemals – sieh her, da bin ich. Komme aber nicht allein, bringe auch meine Tochter mit. Da stehen sie beide, Thorkel und Mary. Gieb ihnen Deinen Segen, nimm mein Kind, Dein Sohn soll mein Sohn sein.«

Mary warf sich in ihres Vaters Arme und in der Seligkeit der nächsten Minuten war Heinrich fast ganz vergessen, aber Ingeborgs Blicke trösteten ihn. Endlich wandte sich sein Vetter zu ihm um. –

»Du siehst ein, mein armer Junge«, sagte er, »daß Mary Dir nicht gehören konnte. Wenn Thorkel nicht war, lag sie jetzt zerschmettert in dem Hexenkessel. – Ich hoffe Du gibst mir mein Wort zurück? Willst Du?«

»Gern und willig«, erwiederte Heinrich. »Was Du thatest war gerecht und gut. Niemand freuet sich inniger darüber als ich.«

Karstens Gesicht wurde hell und freundlich.

»Habe Dank!« rief er, »Du bist immer verständig, aber wenn Du mein Schwiegersohn nicht sein kannst, sollst Du Marys Bruder sein und was in meiner Macht steht, um Dir Ersatz zu schaffen, will ich Dir gewähren. Morgen fahren wir nach Laurwig. Manche reiche Erbin ist dort zu haben; suche Dir die beste aus, ich will für Dich werben.«

»Für jetzt erlaube«, antwortete der junge Vetter mit einem eigenthümlichen Lächeln, indem er sich neben Ingeborg stellte, »daß ich noch einige Zeit in Guldholm bleibe. Du wirst in Laurwig viele Geschäfte haben, meine Cousine Mary wird mir ebenfalls keine Zeit widmen können, wie ich glaube, ich selbst habe dagegen den Gausta und viele schöne Stellen noch nicht gesehen, die Ingeborg mir zu zeigen versprochen hat.«

Karstens schien ein plötzliches Licht aufzugehen. Er blickte Heinrich starr an, dann verfinsterten sich seine Züge, mißtrauisch flogen seine Augen von dem Einen zum Andern, aber bald drang das Erlebte und Geschehene mächtig durch und gütig lachend nahm er Ingeborgs Hand, legte sie in die seines Verwandten und sagte dann:

»So führe ihn denn und zeige ihm die schönsten Plätze; wenn er dann Alles gesehen hat, so kommt zu mir nach Laurwig und laßt uns weiter darüber sprechen.« –

 

Nach vier Wochen wurde in dem Abendblatte der guten Stadt Laurwig die Doppelverlobung angezeigt, drei Monate später folgte die Hochzeit beider Paare und jetzt treiben Thorkel Hansen und Heinrich Warfsteen das große Holzgeschäft in Skeen und Laurwig gemeinschaftlich mit Lars Karstens. –

In jedem Hochsommer jedoch wohnen sie am Tindsee und kein Jahr vergeht, wo sie den Riukan nicht besuchen. Aber Marys Fuß hat den fürchterlichen Weg zum Glück, den Marysteeg, nie wieder betreten.


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