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Schloß Breitenstein.


I.

Es war um die Weihnachtszeit; wildes naßkaltes Wetter und große schmelzende Schneeflocken machten die abgelegene Straße der Hauptstadt noch unheimlicher, in der das Wirthshaus der untersten Klasse lag, in welches Abends spät zwei Männer traten. Das Gastzimmer war leer, ein Paar Holzstühle standen verschoben um einen langen unreinlichen Tisch, auf dessen bunter Wachstuchdecke die Reste von Speisen und Getränken klebten, dazu wirbelten Dunst und Tabaksdampf um den kohlenden Docht einer Hängelampe, die melancholische Halbschatten auf das ärmliche Geräthe warf und jetzt ihre letzte Lebenskraft anstrengte den Besuch heller zu beleuchten.

Gleichsam aber als erschrecke sie davor, fuhr sie verglimmend zurück, denn was sie erblickte, mochte ihr wenig, gefallen. Der Mann, welcher die Thüre öffnete und mit kecker Sicherheit über die Schwelle trat, war ein breitschulteriger, kurzleibiger Geselle. Sein abgetragener grüner Rock mit Hornknöpfen und breitem Kragen, den er hoch über die Ohren gezogen, der schmuzige von blauer Wolle gehäkelte Shawl, welchen er doppelt um den Hals gewunden hatte, die Art wie sein schäbiger Hut im schiefen Winkel auf gelbbraunem langfallendem Haare saß, Alles paßte zu dem frechen gemeinen Gesichte, in dem eine glückliche Mischung von Vagabund, Trunkenbold und Raufbold sich wiederspiegelte. –

Als er ein Paar rasche Schritte gethan hatte, wandte er sich nach der offenen Thür um und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Hier nur herein, das Nest ist leer, es paßt sich alles gut für uns.«

Sein Begleiter folgte dieser Ermunterung und als er neben ihm stand, überragte er ihn um mehr als Kopfeslänge. – Der düstere Lampenschein überzitterte einen kräftigen großen Mann, dessen Körper in einem Paletot steckte, der einst wohl das Pracht- und Paradestück eines Herrn nach der Mode gewesen sein mußte, denn er war mit Knöpfen, Schnüren und Besätzen reich versehen, aber der Zahn der Zeit hatte diese Herrlichkeiten stark mitgenommen und in Trümmer verwandelt.

»Die verdammte Lampe,« murmelte der Kleine, »sie weiß nicht, wen sie vor sich hat.« –

Er streckte einen seiner langen Arme aus und schraubte den Docht hoch; dann sah er sich nach seinem Begleiter um und schien sich einen Augenblick auf etwas zu besinnen, denn er blickte ihm starr in's Gesicht und sagte halblaut:

»Es bleibt doch Alles dabei, wie wir es verabredet haben?«

»Ja,« erwiederte der andere. »Hier ist es also? – Weißt Du es gewiß?«

»Ohne Sorge, ganz gewiß,« flüsterte der Kleine. »laßt mich nur machen. Holla!« schrie er dann und schlug mit der Faust auf die Tischecke, daß es klirrte, »liederliche Wirthschaft das! Kommt kein Mensch, wenn Gäste da sind?!«

Eine Seitenthür ward rasch geöffnet und eine noch junge Frau trat herein, die einen unfreundlichen Blick auf den ungestümen Gast heftete, der den Hut auf den Tisch warf, seinen breiten Körper auf einem der Holzstühle ausstreckte und den Kopf in die Faust stemmte.

»Guten Abend, Lore!« sagte er mit einem höhnischen Grinsen.

Die Frau trat näher heran ohne seinen Gruß zu erwiedern.

»Was willst Du hier?« fragte sie mit abschreckender Kälte.

»Was ich will!« schrie der Kerl. »Gott verdamm' mich! das ist eine schöne Frage von einer leiblichen Schwester. – Gieß Oel auf die Lampe da, und bring' etwas zu essen und zu trinken.«

»Hier ist nichts für Dich zu haben, nichts! Nicht ein Trunk Wasser, nicht ein Stück Brot,« sagte sie hart und heftig. »Mach', daß Du fortkommst.«

»Pfui, Schwester Lore, pfui, schäme Dich!« rief der Gescholtene im strafenden Tone. »Ich sage Dir, bring' her was Du hast. Das ist ein Wirthshaus, jeder Gast, der kommt, muß bedient werden.«

»Jeder, nur Du nicht,« erwiederte sie; »wir haben nichts mit Dir zu schaffen.«

»Sei doch verständig,« fiel er beruhigend ein, »alle Wetter! wenn ich heut' nicht so sanftmüthig gestimmt wäre – aber wenn Du mir durchaus nichts geben willst, so gieb es meinem Kameraden da, der wird bezahlen.«

Die Frau sah den Begleiter ihres Bruders an und schien unbestimmt zu werden. Sie blickte in ein Gesicht, das sonderbarer Weise, so streng und düster es aussah, doch nichts von den Eigenschaften brutaler Rohheit an sich trug. – Eine kleine und aufgestülpte Nase, ein großer Mund mit wulstigen Lippen, hervortretende Backenknochen und ein paar tiefliegende scharfblickende Augen konnten nichts Empfehlendes haben. Aber die breite hohe Stirn des Mannes, auf der einige große Pockennarben sich wie Abgründe ausdehnten und unter dem dünnen schwarzen Haar verliefen, das nach vorn gekämmt darauf niederhing, gab seiner Erscheinung etwas Eigenthümliches, das ihn von seinem Begleiter unterschied. Man sah es ihm an, daß er kein wüster Genosse der gemeinen Nichtswürdigkeit sei, die gram- und schamlos sich neben ihm breit machte, darum sagte die Frau auch mit einem gewissen Vertrauen:

»Wenn Sie etwas wollen und für die Bezahlung einstehen, so will ich es holen.«

Ohne sich zu besinnen, griff der Mann in die Tasche seines Rockes und indem er einen Thaler auf den Tisch legte, erwiederte er:

»Hier ist Geld, geben Sie ihm was er verlangt.«

Sie nahm es rasch und betrachtete es genau, als fürchtete sie betrogen zu sein. Dann goß sie Oel auf die Lampe und entfernte sich unter dem Nachrufe des Kleinen, der ihr wiederholt einschärfte, schnell zu sein.

»Alles geht vortrefflich,« flüsterte dieser seinem Gefährten zu. »In fünf Minuten werde ich mit ihr fertig sein.«

Ein zweifelhaftes Kopfschütteln war die Antwort des andern. –

»Nur keine Furcht,« rief der kleine Kerl, die Faust ballend; »ich sage, sie soll, und ich will verdammt sein, wenn sie nicht pfeift, wie ich ihr vorsinge.«

Er rückte seinen Stuhl näher heran, legte sich weit über den Tisch und sprach eindringlich und lange in Begleitung heftiger Handbewegungen, bis die Thür sich wieder aufthat, bei deren Knarren er sich emporrichtete und den anlangenden Speisen und Flaschen einige prüfende Blicke entgegensandte.

»Nun, da bist Du ja, Schwester Lore,« rief er mit widriger Freundlichkeit. »Zeig' her, setz' hin und nimm in den Stuhl da und leiste uns Gesellschaft.«

»Ich habe in meiner Wirthschaft zu schaffen,« erwiederte die Frau ausweichend.

»Wo ist Dein Mann, Lore?«

Mein Mann?« sagte sie langsam und eine blutige Röthe trat auf ihre Stirn. »Er ist ausgegangen.«

»Ah so! Ja – ich weiß, ausgegangen, allerdings ausgegangen!« schrie der Mensch und er lachte dabei roh auf. »Das ist ein neuer Kunstausdruck, aber er ist gut. Ausgegangen! – Wird er bald wiederkommen?«

Sie warf einen Blick voll bitteren Zornes und Schmerzes auf den frechen Spötter und wendete sich ab.

»Nein, bleib, Lore,« rief dieser ihr nach und dann sprang er auf und hielt sie am Arme fest. »Gott soll mich strafen, wenn ich es böse meine! Ich habe den weisen Salomo zwar niemals leiden mögen und bin überzeugt, es ist ihm ebenso mit mir gegangen …«

»Weil er Dich kannte,« sagte die Frau.

»Gut, darum keine Feindschaft. – Weil er mich kannte? Element ja. Es kennen viele Leute den lustigen Maler Eberhard und es giebt welche darunter, die gewiß wünschten, sie hätten nie die Ehre seiner Bekanntschaft gemacht, denn« – er schlug dröhnend auf den Tisch, »allemal bin ich auf dem Platze, es mag geben was es will.«

»Allemal und immer, wo es Böses und Schlechtes zu schaffen giebt,« erwiederte die Frau, indem sie einen langen bedeutenden Blick auf den Begleiter ihres Bruders warf, der jenseits des Tisches, die Arme über die Brust gekreuzt, ein regungsloser Zuhörer dieses Gespräches war.

»Du bist eine Närrin, Lore,« schrie der Maler. »Was weißt Du Böses von mir?«

»Ich will's nicht aufzählen,« sagte sie. – »Du hast Frau und Kind, die in Hunger und Elend umkommen; Du hast ein hübsches Geschäft gehabt und hast Alles vergeudet und verpraßt, geborgt und gespielt, getrunken und geschwelgt, so lange ein Pfennig da war und anderer Leute Leichtgläubigkeit und Leichtsinn vorhielt. So hast Du gelebt bis auf diese Stunde.«

»Und was hast denn Du gethan?« rief der Angegriffene mit wildem Hohne. »Bist Dein Lebelang ein fleißiges, ordentliches, nettes Ding gewesen, hast einen Abscheu gehabt vor aller Lustigkeit, nahmst Dein Gesangbuch jeden Sonntag und saßest unter der Kanzel fromm und andächtig. Wie viel Segen hat denn Dir das Beten gebracht? – Hast einen Mann genommen, ein wahres Muster von Ordnung und Thätigkeit und ein gescheuter Mann dazu, haha, unmenschlich gescheut! – Hatte auch Geld von der alten Mutter geerbt, war ein Schreiber bei der Justiz, hing aber seine Feder an den Nagel, weil er Dich nahm, trieb Handel und Geschäfte, wobei er einbüßte, was er hatte; kaufte das Haus und die Wirthschaft hier und wo ist er jetzt? In dem Schuldthurme sitzt er eingesperrt und nächstens werden sie Dich auf die Straße werfen!«

Mit ihrer zitternden Hand nahm die Frau den Zipfel der Schürze und fuhr langsam über die Augen.

»Gott weiß es,« sagte sie mit schwacher Stimme, »daß wir keine Schuld tragen. Schlechte Menschen haben uns um das betrogen, was wir besaßen.«

»Weil Ihr dumm waret,« schrie der Maler, »kreuzdumm, sonst hätte es nicht geschehen können. – Es kommt also Alles auf Eins hinaus,« fuhr er mit philosophischer Beruhigung fort, »seid tugendhaft, wie Ihr es nennt, oder seid schlecht, gleichviel, die Hauptsache bleibt: seht zu, daß Ihr immer hübsch oben schwimmt und nie zu Grunde geht. Da sitzt nun der tugendhafte Heinrich Bollinger,« sagte er und faltete die Hände, »da sitzt der Mann, welcher mir so oft das Gewissen rührte, seit drei Wochen hinter dicken Mauern und Eisengittern, und das liebe Weihnachtsfest, wo jeder Mensch sich freuet, jeder arme Kerl gern bei denen ist, die er lieb hat, wird nächstens da sein, ohne daß für ihn ein Christbaum brennt.«

»Schweig still Du –,« rief die Frau mit leidenschaftlicher Heftigkeit, »ich leide es nicht, daß Du ihn verspottest.«

»Schweig Du selbst,« schrie der Maler zurück, »oder denke daran, wie Du ihm helfen kannst.«

Er sprang auf und hielt sie von Neuem fest trotz ihres Sträubens. –

»Steh still, Lore,« sagte er, »wenn ich es nicht gut mit Dir meinte, wäre ich nicht gekommen. – Ja, helfen, Deinen Mann frei machen, das ist mein Ernst; deßwegen bin ich hier; Du kannst es auf der Stelle, wenn Du willst.«

Sein Gesicht war ernst geworden, und in seiner Stimme lag etwas Ueberzeugendes.

»Wie könnte es geschehen?« fragte sie verwirrt.

Der Maler winkte seinem Begleiter zu.

»Jetzt ist es Zeit,« sagte er, »heraus mit der Sprache.«

»Hören Sie mich an,« sagte der Fremde jenseits des Tisches, indem er sich aufrichtete, »und glauben Sie, daß das, was ich Ihnen sage, keine Täuschung ist. Ihr Mann ist wegen einer Schuld von dreihundert Thalern verhaftet, ich gebe Ihnen das Doppelte dieser Summe, wenn Sie thun, was ich von Ihnen begehre.«

Mit erstaunten ungläubigen Blicken betrachtete die Frau den Unbekannten. Ihr Auge streifte über seine schlechten Kleider hin, und wendete sich erschrocken fragend an den stolzen Ausdruck seiner Mienen. –

»Sie? sagte sie bestürzt, »Sie wollen mir so viel Geld geben?«

»Gleichviel,« erwiederte der Fremde, »ob ich es gebe oder ob ich den Auftrag dazu habe.«

»Und was – was soll ich dafür thun? Ich kann nichts Böses thun,« murmelte sie ahnungsvoll.

»Wie lange sind Sie verheirathet?« fragte der Fremde.

»Es sind beinahe drei Jahre.«

»Sie besitzen ein Kind, das fast eben so alt ist?«

»Ja, es ist so – aber –«

»Ich weiß, es gehört Ihnen nicht,« fuhr der Unbekannte schnell fort. »Das Kind war gleich nach der Geburt Ihrem Manne übergeben. Sie sehen, ich kenne das Geheimniß sehr wohl, ich kenne die Mutter des Kindes; versuchen Sie nicht zu läugnen, ich weiß vollkommen, daß ich mich nicht täusche.«

Seine Stimme hatte nach und nach sich erhoben und einen drohenden Ton angenommen. Düster und durchbohrend richteten sich die starren unheimlichen Augen, lauernd wie der Blick eines Raubthieres auf sein Opfer, so auf die verwirrte Frau, die weder den Muth zu haben schien, ihm zu widersprechen, noch den Willen, ihm wahrhaft zu antworten.

»Wenn Sie zweifeln,« fuhr der Unbekannte fort, so will ich Ihnen den Namen der Mutter jenes Kindes sagen.« –

Er faßte ihre Hand, führte sie einige Schritte seitwärts und flüsterte etwas in ihr Ohr, was ein jähes Erschrecken zur Folge hatte. –

»Um Gottes Willen!« rief sie, »wie ist es möglich, woher wissen Sie das?«

Der Maler stürzte ein Glas voll Branntwein hinunter und lachte wild auf.

»Glaubt Ihr denn,« rief er, »Eure Geheimnisse könne Niemand ausforschen? Hier ist der Hund, der den Jäger auf die Spur brachte, und nun, Lore, sei klug, rathe ich Dir, benutze die Umstände, schließ Deinen Handel so vortheilhaft, wie Du kannst; Du hast es mit einem großmüthigen Herrn zu thun.«

»Ich will ein Wort im Vertrauen mit Ihnen reden,« sagte der Fremde, »lassen Sie uns dort hineintreten.«

Er öffnete die Thür des Nebenzimmers und verschwand mit seiner Begleiterin, während der Helfershelfer am Tische die Reste von Speise und Trank vertilgte, dann sich lang auf der Bank am Fenster ausstreckte und von Zeit zu Zeit aufhorchend und, einen Fluch in seine gemeinen Bemerkungen mischend, betäubt und müde wieder zurücksank.

Es kam ihm vor, als dränge ein Weinen und Wehklagen aus dem Nebenzimmer, Bitten und Betheuerungen, die bald mit rauhen Worten, bald mit Versprechungen abgewiesen wurden, und der Kerl auf der Bank fletschte die Zähne und murmelte vor sich hin:

»Solch' Bettelvolk, es ist nicht werth, daß man Antheil an ihm nimmt, verdammtes Geplärr! ich will ihm bald ein Ende machen.«

Er horchte noch einen Augenblick, es war ruhiger geworden. Von Zeit zu Zeit drang die tiefe Stimme des Fremden durch die Thür weit milder und begütigender als früher. Endlich hörte der Maler nichts mehr und war im Begriffe, fest einzuschlafen, als er durch einen Schrei und den Klang fallenden Geldes geweckt wurde.

Er sprang in die Höhe und vor ihm öffnete sich die Thür, aus der der Unbekannte rasch hervortrat, in seinen Armen ein Kind haltend, das sein schlaftrunkenes Köpfchen an die Brust des fremden Mannes lehnte.

Die Frau drängte sich ihm nach und die Angst in ihren Mienen, die Ungewißheit dabei, mit der sie die Arme flehend nach ihm ausstreckte, ohne doch ihn in Wahrheit festzuhalten, Alles drückte den Kampf mit ihrem Gewissen und ihren Empfindungen aus.

»Halt! noch einen Augenblick, halt!« schrie sie. – »Ich kann nicht, ich darf nicht.«

Ohne eine Antwort eilte der Mann hinaus und als sie hinter ihm her wollte, vertrat ihr Bruder ihr den Weg. –

»Laß ihn laufen,« sagte er lachend, »laß ihn laufen, Lore, und sei froh, daß Du den fremden Balg los bist. – Hast Mühe und Plage genug damit gehabt und was hat es Dir eingebracht?«

»Gott steh' mir bei,« rief sie, die Hände ringend, »wie soll ich ihm entgegentreten?«

»Wem?« versetzte der Maler, »Deinem Manne? – Der Dummkopf sollte froh sein, wenn er aus dem Loche erlöst ist, aber wenn Du denkst, die Wahrheit könnte sein zartes Gewissen verbrennen, so lüge, sage das Kind habe sich verlaufen, sei fortgekommen, gestohlen worden, einerlei.«

»Ich habe es verkauft, ich!« sagte sie zitternd.

»Dummes Zeug, verkauft! Narrenspossen! Soll es etwa geschlachtet und gegessen werden? Nein, es wird es besser haben als je bei Dir, und ist es etwa eine Freude, fremder Leute Kinder groß zu ziehen, wenn man selbst nichts zu beißen und zu brechen hat?«

»Ach! wir Armen,« rief die Frau weinend, »Noth und Elend machen uns schlecht. Seinetwegen habe ich es gethan, Gott ist mein Zeuge, ich hätt es nimmermehr gekonnt, aber er – er –«

»So höre auf mit dem Geheul,« schrie Eberhard wild, »kauf ihn Dir los und klage um Deine Schlechtigkeit, wenn es wieder so kommt. – Es giebt unter den Reichen und Großen wohl noch ärgere Hallunken, damit tröste Dich und suche Dein Geld da von der Erde auf, wenn ich es nicht thun und es am Ende selbst mitnehmen soll.«

Und während nun der Maler in dieser Weise die Gewissensskrupel seiner Schwester zu heben suchte, eilte sein Gefährte mit dem Kinde unaufhaltsam davon. Das kleine Wesen wand sich furchtsam und erschrocken in seinen Armen, als es die rauhe schneidende Luft empfand. – Wilde Schneewirbel vom Winde gepeitscht flogen dicht auf beide nieder, hefteten sich an ihren Kleidern fest und verwandelten sie in wenigen Minuten in weißglänzende Eispuppen. – Die Straße war leer, in der Ferne ertönte die gellende Pfeife eines Wächters, keines der gewöhnlichen Lohnfuhrwerke ließ sich sehen, und lange unbeachtet blieben die weinerlichen Fragen wie das nachfolgende laute Geschrei des Kindes nach seiner Mutter von dem, der es rasch und schweigend weiter trug. – Das einzige, was er that, war, daß er den dürftigen Mantel des Kindes fester um dessen Körper wickelte, und die kleine Kappe über sein blondes vom Schnee benäßtes Haar deckte. –

Die schmale Gasse mit ihrem tiefen Kothe, die trüben Flämmchen der Laternen, welche in Sturm und Wetter erlöschend schwankten, die Gossen, in die sein Fuß strauchelnd von den glatten nassen Steinen glitt, das dichte Flockengewimmel, das seine Augen blendete, Alles trug dazu bei den Zorn des Unbekannten anzufachen, welcher zuletzt mit einer Verwünschung sich gegen das Kind richtete.

»Stil!« rief er ihm drohend zu, »wenn Du einen Laut noch thust, bekommst Du Schläge. Still! Deine Mutter – der Teufel hole sie und Dich! Sei ruhig, Du sollst ruhig sein, den Augenblick.« –

Mit diesen heftigen Worten bog er um die Ecke der Gasse in eine breite Straße und strich an einem Herrn vorüber, der tief in seinen Mantel gewickelt den Kopf aufrichtete, als er die rauhen Scheltworte hörte.

»Oho!« sagte er mitleidig, »guter Freund, Ihr werdet doch das arme Kind nicht mißhandeln wollen, weil es über das gräßliche Wetter schreit?«

Der Andere gab keine Antwort, aber das Kind schrie, als wisse es, daß eine Hilfe ihm nahe sei, mit vermehrter Stärke laut und jämmerlich, und der Herr im Mantel verdoppelte seine Schritte und war in der nächsten Minute neben dem Träger.

»Habt Ihr denn noch weit zu gehen, Freund?« fragte er.

»Ziemlich weit,« war die mürrische Antwort.

»Aber das arme kleine Ding da, es erstarrt in seiner dürftigen Hülle.«

»Ich kann es nicht ändern.«

»Sind Sie der Vater?« fuhr der Fremde nach einem prüfenden Blicke fort.

»Das Kind ist mein,« erwiederte der Mann.

Nach einem Augenblicke sagte der Herr:

»Dort steht eine Droschke, ich fahre nach den Linden, können Sie das benutzen, so setzen Sie sich mit hinein.«

Der Unbekannte warf einen finstern Blick auf den mitleidigen Helfer, dann einen zweiten nach dem Platze, wo nur das eine Fuhrwerk zu sehen war und nach einem kleinen Bedenken murmelte er etwas, das wie eine höfliche Weigerung klang.

»Ich habe keine Unbequemlichkeit davon,« erwiederte der Herr, »möchte aber gern etwas thun, um dies arme Kind zu beruhigen, dessen ängstliches Geschrei wie ein Noth- und Hülferuf in mein Herz geht. – Setzen Sie sich also ein, das wird ihm gut thun.«

Er öffnete die Thür des Fuhrwerks, nahm seinen Platz ein und dann das Kind aus den Händen des Nachfolgenden, der sich ihm gegenüber setzte und schweigend zusah, wie der Herr mit freundlichen Worten seinem Schützling Muth einsprach, wie er das nasse Röckchen von ihm that und es dann in seinen eigenen dicken Mantel hüllte, indem er es auf sein Knie setzte und mit seinen Armen festhielt. – Das Kind war beruhiget; die Stimme des fremden Herrn war männlich wohllautend, seine schmeichelnden Worte und seine Nähe schienen den Zauber auszuüben, der sympathetisch zuweilen von Wesen auf Wesen wirkt.

Das Kind legte sein Köpfchen müde an seines Freundes Brust und dieser beugte das Gesicht zu ihm nieder und forschte lächelnd, ob es schlafe. Wenn er es wieder emporhob, sah er in dem ungewissen Streiflichte der Laternen den Mann gegenüber sitzen, der ihn aufmerksam zu betrachten schien, und er empfand einen Widerwillen gegen den finster blickenden, brutalen Gesellen, der ihn zum Schweigen geneigt machte. Was sollte er auch einen solchen Menschen fragen? Er bedauerte heimlich das Kind um diesen Vater, der so wenig Liebe und Sorge für dessen Wohl zeigte, und sein schönes ernstes Gesicht neigte sich nachdenkend von Neuem nieder und verlor sich in Betrachtungen.

Endlich sagte er:

»Ist es ein Knabe oder ein Mädchen?«

»Ein Knabe.

»Wie alt ist er?«

»Zwei Jahr.«

»Wie heißt er?«

»Anton.«

»O!« sagte der Fremde lächelnd, »so ist es mein Namensvetter. Armer Kleiner! Er ist fest eingeschlafen und muß nun wieder hinaus in Nacht und Regen. Sie sollen mit ihm nach Hause fahren, ich will es bezahlen.«

»Danke,« erwiederte der Mann, in bestimmter Weise ablehnend, »ich habe nur wenige hundert Schritte noch.«

Nach einigen Minuten hielt das Fuhrwerk vor einem der ersten Gasthäuser. Der Unbekannte nahm das Kind von dem Schooße des Herrn, aber sträubend versuchte es sich fest zu halten und begann von Neuem sein heftiges Weinen. –

»Warten Sie noch einen Augenblick,« sagte der Herr, sein Taschentuch um den Kopf des Kleinen schlingend, »das wird ihn wenigstens etwas schützen. – Bringen Sie mir es morgen zurück, ich wohne hier, heiße Görner und will dann weiter mit Ihnen sprechen.«

Der Andere war mit dem Rinde ausgestiegen, das sich nicht beruhigen wollte. –

»Sehr wohl,« erwiederte er, »vielen Dank für Ihre Güte und gute Nacht.«

»Vergessen Sie nicht,« rief der Herr ihm nach, und wie er die Stufen hinaufstieg an der Hausschwelle und das Weinen fern verhallte, sagte er traurig: »Es thut mir ordentlich weh, dies arme Wesen in den Händen des rohen Burschen zu wissen; ich hätte ihm Geld geben sollen; für Geld thun sie ja Alles, das Böse wie das Gute.«

Aber der, dem diese Worte galten, hatte diesmal des Lohnes nicht nöthig, um mild zu sein. Er sprach sanft zu dem Kinde, gelobte ihm mancherlei, öffnete seinen eigenen Ueberwurf und schlug ihn zum Schutze über seine Bürde; so schwiegen die klagenden Töne. Er verfolgte seinen Weg rasch durch mehrere Straßen und stand endlich vor einem großen Hause still, dessen Thür er öffnete, wieder verschloß, eine breite Treppe hinaufstieg, durch einen Corridor ging und endlich in ein Zimmer trat, das, matt von einer Lampe erhellt, sich stattlich ausgeschmückt zeigte.

Vorsichtig nahm er das schlafende Kind aus seiner Hülle, legte es in eine Ecke des Sophas und breitete eine Seidendecke darüber aus, die auf der Lehne eines Stuhles hing. – Dann warf er den Hut ab, schleuderte den Paletot von sich und entledigte sich der schmuzigen nassen Kleider, die er mit dem Fuße in einen Winkel des Fußbodens stieß. – Noch aber war er damit beschäftigt, als eine Seitenthür geöffnet wurde. Eine Dame im Schlafkleide steckte zuerst den Kopf herein, dann folgte sie nach, und nach einem Augenblicke, in welchem sie fragend neugierig umherblickte, sagte sie halblaut und erwartungsvoll:

»Ottomar, wie ist es geworden?«

Statt der Antwort deutete der Herr auf das Sopha. Die Dame that einige rasche Schritte, sie betrachtete den Kopf des Kindes und blieb vor ihm stehen.

»Also glücklich gelungen,« flüsterte sie freudig, »es ist in Deiner Gewalt, aber in welchem Zustande bist Du selbst?«

»Aufgeregt und müde zugleich,« erwiederte der Herr, »voll Ekel und Verachtung und ingrimmig über einen Zufall, der mich toll machen und Alles vereiteln konnte. Aber es ist gut gegangen, wie Du sagst, Geld macht aus diesem Gesindel was wir wollen, doch laß diese Lumpen fortschaffen, ich sehe sie mit Grauen an, und nun, was dies Ding da in der Sophaecke betrifft, hast Du Deinem Mädchen gesagt, was sie wissen soll?«

»Ja, Ottomar, auch die Hemdchen, die Kleider, Alles ist bereit.«

»So laß sie hereinkommen. Morgen in der Frühe reisen wir; es ist nöthig, keine Spur zu hinterlassen.«

Die Dame entfernte sich; nach einigen Augenblicken läutete eine Glocke und bald trat eine Dienerin in das Zimmer, die an der Thür nach dem Befehle des gnädigen Herrn fragte.

»Komm näher, Karoline,« sagte der Herr, der sich im großen Polsterstuhle am Tische niedergelassen hatte. – »Du bist ein treues kluges Mädchen, ich weiß, welche Anhänglichkeit Du an uns hast, darin vertraue ich Dir gern ein Geheimniß. Meine Frau hat mit Dir gesprochen, nicht wahr?«

»Ja, gnädiger Herr.«

»Sie hat Dir gesagt, daß ich ein Kind, das Kind meine Freundes und Verwandten, des Majors von Breitenbach, zu mir nehmen will, der vor einigen Monaten, im Herbste, in Koblenz gestorben ist und es hülflos zurückgelassen hat.«

»Ja, gnädiger Herr. – Wir waren ja dort, als der Herr Major starb.«

»Gut, Karoline. Ich habe das sind heut' Abend erhalten. – Da liegt es auf dem Sopha.«

Die Kammerjungfer beugte sich überrascht zu ihm hin.

»Ach! Du armes Kind,« sagte sie gutherzig. »Es sieht fein und zart aus.«

»Nun höre, Mädchen,« fuhr der Herr fort, »Niemand darf erfahren, daß dies kleine Wesen erst heut' in unsere Obhut gegeben wurde. Es liegt mir daran, daß Jeder dies denkt und glaubt. Du weißt also, daß ich es von Koblenz mit hierher gebracht habe.«

»Freilich, gnädiger Herr,« erwiederte die schlaue Kammerjungfer betheuernd, »wir haben es von Koblenz mitgebracht.«

»So ist es gescheidt,« rief der Herr, freundlich ihr zunickend, »und nun nimm das Kind oder bringe ihm seinen Anzug, dann leg' es in's Bett und laß es weiter schlafen.«

»Hier ist das Hemdchen und Röckchen und was es zur Nacht bedarf,« sagte die Dame, die mit einem Körbchen in der Hand zurückkehrte, in welchem Kleidungsstücke und Linnen lag.

Leise hob die Dienerin die Decke auf, unter der das Kind schlief. Sie nahm es in ihre Arme, entkleidete es und zog ihm die reine Wäsche an. – Dann setzte sie ihm das Mützchen auf und flüsterte:

»Wie wird es sich wundern, wenn es morgen aufwacht, aber ich will es schon pflegen, es soll bald lachen und lustig sein.«

Lachend nahm sie es auf und trug es hinaus. Die schöne Dame schlang die Arme um ihren Gatten, in ihren Augen brannte eine stolze Siegesfreude und wie sie Kuß auf Kuß auf seine Lippen drückte, sagte sie zärtlich:

»Mein theurer Ottomar, Dein Muth, Deine Klugheit werden uns sichern, was wir verloren haben. Verderben über die Heuchler, die uns beraubten.«

»Und über die Schwachköpfe, die uns entehren wollen!« rief der Herr verächtlich lachend.


II.

Am Christabende war Frostwetter eingetreten; auf dem dunklen Tannenwalde lag der Schnee dicht und funkelnd in Millionen Krystallen, die jeden Baum einwickelten, daß in der Abendsonne Stämme und Kronen wie Berge von Diamanten glänzten.

Die schönen Güter des Baron Solis lagen fünfzig Meilen von der Hauptstadt am Rande von Bergzügen und finstern Thälern; man konnte das Land viele Meilen weit überschauen und nichts glich dem reichen Wechsel von Wäldern und Saatfeldern, von grünen Wiesen und blanken Wasserspiegeln, Dörfern und Meierhöfen; jetzt aber war Alles mit dem einzigen weißen Tuche des Winters zugedeckt und oben am Hügel stand das große Schloß mit seinen Eckthürmen und eisigen Mauerkronen in dicke Schneekappen gehüllt wie ein erstarrter Riese. –

Die alten Eichen und Buchen, die es umringten, streckten gespenstisch ihre ungeheueren, nackten Arme leise schaudernd nach der glühenden Abendröthe aus, und in dieser reinen Klarheit des Himmels, in dieser Durchsichtigkeit der Luft begrenzte sich jede Hütte des Dorfes, die großen rauchenden Gebäude dort am Fuße des Hügels, die Mühlräder, welche von fern heraufrauschten, und die einsamen Vögel, deren klagender Schrei durch den Wald hallte.

Am Rande des Horizonts zog die Landstraße hin und von dort her bewegte sich ein Wagen zwischen den Senkungen fort, der den Heerweg verlassen hatte und sich dem Schlosse näherte. Es war eine große viersitzige Berline mit mächtigen Koffern oben und unten und einem breiten Coupé für die Diener der gnädigen Herrschaft, welche den innern Raum einnahm. Ein Herr und eine Dame, in Pelze gewickelt, lehnten in den Ecken, auf dem Rücksitz saß ein Mädchen und neben ihr im seidenen pelzverbrämten Mäntelchen ein Kind, das sich an seine Wärterin schmiegte.

Die großen blauen Augen verfolgten das rothe Sonnenlicht, das seine letzten Strahlen durch die Spiegelfenster des Wagens schickte; von Zeit zu Zeit lachte es und begehrte eine Antwort auf eine seiner unschuldigen halb verständlichen Fragen, aber mit scheuer Furchtsamkeit wandte es den Kopf ab, wenn sein Blick dem des Herrn begegnete, der einige Male ihm freundlich zunickte, scherzte und einen schönen Bonbon in seine kleine Hand steckte.

»Ich finde, sie hat sich in den acht Tagen gut gewöhnt,« sagte der Herr.

»Antonie ist ein verständiges Kind,« erwiederte die Dame.

»Sie ist anstellig und gewinnt uns lieb.«

»Ich bin sehr neugierig,« erwiederte die Dame, »ob –«, sie sah den Herrn bedeutungsvoll an.

»Da liegt Schloß Breitenstein, Juliane!« rief ihr Gemahl, indem er die Hand ausstreckte. –

Der Postillon war um eine Ecke des tiefen Weges gebogen, den seine vier Pferde langsam zurücklegten; jetzt von der Höhe aus ward das Schloß in seiner ganzen Hauptfronte sichtbar, und seine röthlich glänzenden Mauern schienen näher zu sein, als sie wirklich waren.

»Wir sind wirklich schneller gefahren, als ich dachte,« sagte die Dame überrascht. »Ich sehe alle Fenster. Dort ist das Balkonzimmer, daneben wohnt Georgine, es ist mir fast als erblickte ich sie, und als nickte sie uns entgegen.«

Der Herr lachte ganz besonders spöttisch. –

»Wir haben noch eine Stunde zu fahren, und werden in der Nacht ankommen,« sprach er dann. »Das ganze Thal liegt zwischen uns und Breitenstein, wenn es aber auch nicht so wäre, könnten sie uns doch unmöglich entgegenwinken, da sie nichts von unserer Ankunft ahnen.«

»Allerdings nein,« erwiederte die Dame, »aber kann es nicht Ahnungen geben? Ich habe seit langer Zeit mich so anhaltend mit diesem alten Schlosse und seinen Bewohnern beschäftigt, daß es mich gar nicht wundern sollte, wenn eine Geisterstimme ihnen unaufhörlich zuriefe, daß wir kommen.«

»Ein solcher Spuk wird verbeten,« fiel der Herr ein, »er würde die Ueberraschung schwächen.«

»Und gerade die Ueberraschungen sind es, welche mich so sehr beschäftigen. Georgine, Dein Bruder, die ganze Familie stehen leibhaftig wie im Wachen vor mir, weder Maler noch Dichter können diese Bilder und Gestalten so lebendig wiedergeben.«

Draußen rief der Postillon einem Manne etwas zu, der hinter dem Wagen herzukommen schien, und das Gespräch in demselben stockte; gleich darauf bogen die Räder ein wenig mehr zur Seite und das Schnauben eines Pferdes ließ sich hören. Der Reiter ritt am Wagenfenster vorüber, warf einen Blick hinein, dann noch einen, indem er seine Pelzmütze berührte, und plötzlich beugte sich der Herr aus seiner finstern Ecke nach vorn, ließ das Fenster fallen und sagte laut:

»Guten Abend, Herr Forstmeister Langenberg, ich freue mich, Sie zu sehen.«

»Guten Abend,« rief der Herr zurück, indem er sich rasch und forschend umwendete, im nächsten Augenblicke aber ergriff er die aus dem Wagen gestreckte Hand des Freundes.

»Ist es möglich, Herr Baron Solis?« fuhr er fort, »herzlich willkommen im Lande. Das heißt unverhofft ehrlichen Leuten zur guten Stunde in den Weg treten. Vor ein paar Tagen erst sprach ich mit Ihrem Herrn Bruder über Sie und hörte, daß Sie am Rhein verweilten.«

»Mein Bruder ist doch wohlauf?« fragte der Baron.

»Alle wohl und munter,« erwiederte der Forstmeister, »das wird eine große Freude sein, und heut' gerade kommen Sie wie ein Christgeschenk vom lieben Himmel.«

»Nun,« rief der Baron lachend, »wir bringen Christgeschenke wenigstens mit. Hier ist meine Frau, lieber Langenberg, Sie wissen wie Frauen sind.«

Die Baronin begrüßte den Forstmeister, und viele Fragen und Antworten wurden gewechselt, während der Wagen bald rascher bald langsamer dem Schlosse zueilte am Rande des rauschenden Baches hin, der in seinem tiefen Bette in schlangenhaften eigensinnigen Windungen den Weg zu einem weiten Bogen zwang.

Am Fuße des Schloßhügels sahen sie große Gebäude liegen, und zerstreut vor ihnen breiteten sich viele kleine Wohnungen aus, in denen es lebhaft herzugehen schien. Menschen liefen dort hin und her, Lichtschein glänzte und vielstimmiges Geschrei tönte herüber.

»Was giebt es denn da?« fragte die Baronin.

»Es sind die Arbeiter,« erwiederte der Forstmeister, »sie machen sich auf den Weg mit ihren Kindern, denen das Fest zu gute kommt. In dem großen Saale der Fabrik wird ihnen aufgebaut, es ist eine Lust die Freude von Alt und Jung zu sehen.«

»Mein Bruder ist also noch derselbe – Alte,« lachte der Baron.

»Derselbe treffliche milde Beschützer der Armen,« fiel der Reiter ein, »aber es trägt ihm auch Segen und Früchte. Die Eisenhütte hat sich beträchtlich vergrößert, dort ist eine Zucker- und Stärkefabrik angelegt, und eben baut er eine Dampfmahlmühle nach amerikanischer Art. Mehr als dreihundert Menschen verdanken ihm Arbeit und Unterhalt und preisen ihn als ihren Wohlthäter.«

»Es freut mich sehr, so viel Lob zu hören,« sagte der Baron.

»Aber, wie wird er auch dabei unterstützt!« fuhr der Forstmeister fort. »Die Frau Baronin ist ein Engel von Güte, darum wird sie auch wie ein solcher angebetet. Da ist keiner, selbst nicht der trotzigste Gesell, der ihr nicht nachsieht und: ›Gott segne sie!‹ ruft, wenn er sie in die kleinen Häuschen gehen sieht, die Kranken und die Kinder zu besuchen.«

»Sie sind ja ganz begeistert, alter Freund,« rief der Herr im Wagen. »Damit machen sie uns doppelt begierig auf das Wiedersehen; ich wollte nur, mein Bruder hätte unter allen philanthropischen Gedanken auch den gehabt, diesen schrecklich krummen Weg gerade zu machen und eine Brücke hier über den Bach zu werfen, die uns schneller in's Schloß brächte.«

»Krumme Wege,« versetzte Langenberg, »sind sonst die Sache Ihres Herrn Bruders nicht, aber er hat die Brücke gelassen wie sie ist, weil er seine Arbeitercolonie gestört hätte. Jetzt liegt Alles unter dem weißen Schneemantel, aber wenn Sie im Frühlinge hier sehen werden, wie jedes Fleckchen bepflanzt und fruchtbar gemacht ist von fleißigen Händen, würden Sie selbst sagen, laßt den fruchtbaren Boden den armen Leuten, mag die alte Straße den Umweg über Sand und Schutt behalten.«

Die Brücke wurde in den nächsten Minuten erreicht, der Weg war schmal und der Reiter blieb zurück. Als er wieder an dem Schlage erschien, sagte der Reisende:

»Sie haben mir viel Gutes und Freundliches erzählt, aber von der Schwester, meiner Schwägerin, kein Wort gesagt.«

»Fräulein Sophie,« versetzte der Forstmeister, »nun, die ist munter wie ein Hirsch, beweglich in Allem, zum Lachen und zum Weinen aufgelegt wie das Wetter umschlägt; so ein junges unschuldiges Herzchen voll Blut und Leben, das beim leisesten Anstoße roth und heiß überquillt, muß wohl Freude und Glück verbreiten helfen.«

»Welch liebliches Bild!« rief die Baronin, »aber ich erinnere mich, Herr Langenberg, Sie haben mir vor zwei Jahren schon Aehnliches gesagt.«

»O! damals damals,« erwiederte der Forstmeister. – »Aber sehen Sie, die Menschen ziehen Alle in das Fabrikhaus, und wenn Sie aussteigen wollten, könnten wir hinübergehen. Der Herr Baron und die beiden Damen sind sicher schon dort, Ihr Wagen fährt inzwischen zum Schlosse hinauf, Niemand weiß davon, es wäre eine prächtige Ueberraschung.«

Der Vorschlag ward auf der Stelle angenommen. Der Baron hob seine Gattin aus der Berline, hüllte sie in den Zobelpelz und gab der Dienerin, die mit dem Kinde sitzen blieb, einige leise Verhaltungsbefehle, während der Forstmeister sein Pferd dem Postillon überlieferte. Dann eilten sie auf einem schmalen Steige durch den Schnee dem großen Hause zu und stiegen leise die Treppe hinauf, ohne daß irgend Jemand sie sah, denn die Christbescheerung hatte in dem großen Arbeitssaale begonnen, und durch den Spalt der Thüre drang heller Kerzenschein, ein Gemurmel vieler Stimmen, sammt einer Menge von Tönen der verschiedensten Art: Geleier, Gedudel, Gepiepe und Geschrei, das wild und unharmonisch sich zusammenballte.

»Da geht die allgemeine Lustigkeit schon los,« sagte der Forstmeister, »es ist ein schrecklicher Lärm so ein Weihnachten.«

»Ungemein interessant,« rief die Baronin, aber ich muß es selbst sehen.«

Sie öffnete die Thüre ein wenig und nun konnte man eine lange mit weißem Linnen überdeckte Tafel erblicken, auf der in der Mitte und auf beiden Enden ungeheure Tannenbäume standen, mit brennenden Kerzen, vergoldeten Nüssen und allerlei Honigkuchen an farbigen Bändchen ganz bedeckt. Die großen Tische lagen voll von Aepfeln, Nüssen, süßem Kuchen und Spielwerk allerlei Art, zwischen denen Bücher, Kleidungsstücke und nützliche Geschenke prangten; zu beiden Seiten aber standen die Kinder, denen das Alles bescheert war, sauber in ihrem Sonntagsstaate, hier die Knaben, dort die Mädchen und hinter ihnen die Eltern, mit freudetrunkenen Augen theilnehmend an der Lust des schönen Kinderfestes.

Die Muthigen unter den Beschenkten hatten die Trompeten, die Pfeifen und Trommeln ergriffen und sprangen als Musikanten der schlimmsten Art damit umher; Andere jubelten laut und zeigten was ihr eigen geworden; die Stillen und Blöden Der Begriff steht zu dieser Zeit (1857) noch für »scheu, verzagt« und nicht für »geistesschwach«. weideten sich schweigend und furchtsam an ihrem Glücke, das sie kaum zu berühren wagten.

Und mitten unter dieser Scene voll Leben und Getümmel, voll herzlicher kindlicher Seligkeit ging der Gutsherr umher, ein großer, ernster aber freundlich blickender Mann. Auf seiner hohen, fast kahlen Stirn und in den tiefglänzenden Augen lag etwas, was der Vertraulichkeit Grenzen setzen konnte, ein Ehrfurcht gebietendes und forderndes Wesen, das die Ueberlegenheit einer geistigen Kraft ausdrückte, die ihrer Anerkennung gewiß ist.

Und doch schimmerte in seinen feuchten Blicken jetzt eine Milde und Wehmuth, welche jene Grenzen aufheben konnte, und wenn er sich niederbeugte zu den lachenden Kindern, wenn er mit den Eltern sprach und ihnen Lob und gute Worte sagte, erwärmten sich die Augen und die Herzen. Jeder fühlte sich geehrt, Jeder hatte innigen Dank und selbst Thränen für den Herrn, der ihr Freund, ihr Beschützer und ihr Rather war. Ihr Vertrauter war er nicht, für dies Amt war er zu ernst und gebietend, das hatte die Dame längst übernommen, welche neben ihm ging und der alle Herzen entgegenflogen.

Die junge schöne Frau mit langfallenden Locken und dem leuchtenden Augenpaare voll Liebe und Güte, hielt den Arm um ihren Gatten geschlungen und wanderte so hin und her, bald die Menschen in ihrer Nähe grüßend und den Kindern schmeichelnd, bald in dem Gesicht ihres Begleiters forschend und sich an ihn schmiegend, bis sie zärtlich und leise sagte:

»Du bist so still, so bewegt, auf Deiner Stirn liegt neben der Freude ein Schmerz. Läugne nicht, geliebter Franz, diese Kinderfreude hat auch ihre wehmüthige Saite und diese schlägt einen Ton bei Dir an, der Dich verstimmt.«

»Nicht doch, Liebe,« erwiederte der Gutsherr lächelnd. »Ich freue mich mit den Glücklichen, ich freue mich, wie ein Schöpfer sich freut, der die Dankopfer seiner Kinder empfängt. Ich freue mich mit dem Bewußtsein eines bevorzugten Sterblichen, daß ich es vermag, so vielen Kindern Gottes eines frohen Tag zu bereiten, und wenn eine leise Wolke dabei in meinen Augen schwebt, so ist es, weil meine Gedanken über diese frohe Schaar hinauseilen und darüber nachsinnen, wie manchen unter ihnen die dunkle Hand des Lebens bald vielleicht ihr Kreuz aufdrücken wird.«

»Ist es nichts als das?« rief die junge Frau, »darüber sollst Du nicht grübeln und sinnen. Lehre sie nur ihr Menschenschicksal standhaft und muthig zu tragen, ein reines Herz zu haben und Vertrauen, dann wird das Kreuz leicht und wer weiß, wie vielen es sich in Segen verwandelt.«

»Man muß so rein und gut sein, wie Du, um so fest an das Gute zu glauben,« erwiederte er gerührt.

»Und wie sollte ich nicht an Glück und Zukunft glauben,« fuhr die Dame fort, »ich, die ein so reiches Glück gewonnen hat?«

»Wer von uns ist der Glücklichste, liebe geliebte Georgine?« sagte er entzückt. »Ich!«

»Nein ich!« rief sie mit Innigkeit. »Das ist das Einzige, was Du mir als Vorzug lassen mußt.« –

Und wie sie beide Hände um seine Brust schlang, rief eine Stimme vor der Thür: »Bravo, Bravissimo!« und lautes Beifallklatschen und lustiges Lachen erhob sich. Die Reisenden traten herein, der Baron hinter seiner Gemahlin.

»Ottomar!« rief der Gutsherr freudig seinem Bruder entgegen.

Die Baronin lief mit ausgebreiteten Armen auf ihre Schwägerin zu.

»Meine herzensliebe Georgine, da sind wir und kommen zur rechten Zeit um uns mit aufbauen zu lassen.«

Nach dem ersten Sturme der Begrüßungen begannen die Fragen, und während ein dichter Kreis von Arbeitern und Kindern sich um die Familie sammelte und neugierig furchtsam mit anhörte, was jene sagten und thaten, erfuhren sie, daß der Bruder des Gutsherrn ein Geheimrath sei, der in Geschäften des Staates mehrere Jahre im Auslande gelebt, dort Unterhandlungen über Handelsverträge mit fremden Mächten geleitet habe und jetzt nach glücklich vollbrachter Arbeit zurückkehrte, um auf einige Zeit bei seinen Verwandten zu wohnen.

Ihnen gefiel der fremde Herr aber lange nicht so gut, wie der, den sie kannten und ehrten. Seine Blicke flogen von Zeit zu Zeit scharf über den Kreis der Zuschauer, und offenbar war es nicht ganz freundlich gemeint, als er endlich lachend sagte:

»Das nenne ich mir einen ausgebreiteten Familienzirkel, der hier so lebhaften Theil an unseren Schicksalen nimmt. Du hast Dir eine zahlreiche Nachkommenschaft erzogen, Franz.«

Mit einem leise strafenden Blicke erwiederte der Gutsherr:

»Sie hören nichts, was sie nicht hören dürften, und wie ihre Freude auch die meine ist, so freuen sie sich mit mir. Was aber die Nachkommenschaft betrifft, Ottomar, so vergessen wir leider allzuleicht, daß wir sämmtlich von Adam stammen und eine einzige große Familie bilden.«

Der Geheimrath lächelte dazu, wie Einer, der eine Albernheit bedauert, die er am Andern kennt; er wendete sich zu den Damen, zu denen eine dritte gekommen war, die eine Puppe und ein Kind auf dem Arme trug, die eine so groß als das andere. In lebhafter Weise zankte sie mit dem Forstmeister, daß er zu spät gekommen sei trotz seines Versprechens, aber ihre Verstellungskunst war nicht groß genug, um die zärtlichen Begrüßungen der Baronin mit demselben Feuer zu erwiedern. Sie machte ein fast erschrockenes Gesicht, als sie diese zuerst erblickte und einige tiefe Verbeugungen, die nicht recht gerathen wollten.

»Um Gottes Willen, Sophie, thun Sie das Kind weg,« rief die Baronin, »das ganze Zwillingspaar, damit man Sie umarmen kann. – Sie sind gewachsen und, wenn es möglich ist, noch schöner geworden. Ottomar –«

Der Geheimrath trat herbei und bestätigte mit höflichen Worten, was seine Gemahlin wiederholt versicherte, bis Fräulein Sophie mit einer Art trotzigen Spottes sein Lob unterbrach und lachend ausrief:

»Lieber Herr Geheimrath, wenn Sie wüßten wie oft ich das schon gehört habe und wie wenig ich danach frage, so würden Sie mich damit aus Mitleid verschonen.« –

»Jetzt ist es mir erklärlich,« sagte die Baronin scherzend, »wie Sie alle Herzen bezaubern können. So viel Kindlichkeit, so viel Naivität, ein so zartes Gemüth bei so vieler Natürlichkeit. Sie sind bewundernswürdig, liebe Sophie.«

»Ich möchte,« erwiederte das kleine Fräulein mit einer tiefen Verbeugung, »daß meine vortrefflichen Eigenschaften immer so richtig erkannt würden; aber dies ist wirklich kein Ort für unsere theuren Verwandten, und da das Fest überhaupt zu Ende ist, die Kinder mit ihren Fahnen und ihrer Lust ganz stumm und still geworden sind und Jeder sich nach Hause sehnt, so dächte ich, wir gingen auch, und wenn Sie es erlauben, werde ich den Anfang machen.«

Baron Solis hatte längst diesen Wunsch gehegt, der Allen erwünscht ausgesprochen wurde und in den nächsten Minuten zur Ausführung kam. – Der Gutsherr entließ seine Arbeiter mit einigen passenden Worten und Wünschen für ihr Wohl wie für frohe Festtage, und ungeduldig faßte die Baronin seinen Arm, als er zu lange sich bei einigen besonderen Günstlingen aufhielt. Er führte die Schwägerin die Treppe hinunter, hinter ihnen polterte und lärmte die frohe Schaar und schmälend sagte sie:

»Ottomar hat doch Recht, daß die Popularität ihre gewaltigen Schattenseiten hat. Es war ein schrecklicher Zugwind an der Thür, dazu das viele Sprechen, die ewige Freundlichkeit, diese Masse Menschen, welche beglückt werden sollen und zudringlich darauf warten; mein Himmel! man kann sich denken, wie einem sogenannten Volks- oder Bürgerkönige zu Muthe sein muß, der alle Tage kluge Reden halten, gnädig lächeln und Herzen gewinnen soll.«

»Wenn es vom Herzen kommt, so wird es ihm nicht schwer werden,« versetzte der Gutsherr; »was die Liebe und Verehrung der Menschen an Schattenseiten mit sich führt, wird reichlich ersetzt durch ihre Lichtseiten. Giebt es denn etwas Höheres und Herrlicheres als dankbare, getreue Freunde oder gar ein dankbares Volk, das seine freiwillige Liebe seinem Führer und Leiter darbringt?«

Der Baron hatte noch nicht geendet, als vor der Thür, welche er so eben erreichte, ein hundertstimmiges Jubelgeschrei sich erhob. Die Bauern und die Arbeiter hatten sich aufgestellt und empfingen ihren Herrn so froh und lustig, als sei es ein Maitag und die alten reifweißen Bäume voll Blüten und junger Triebe. Die schrillenden Töne der Dorfmusikanten stiegen in das hohe dunkle Himmelsgewölbe, an dem ein wunderprächtiger Sternenteppich hing, der mit zahllosen funkelnden Augen niederschaute. Kienholzfackeln wurden dazu geschwungen, andere trugen Tannenzweige in den Händen, an deren Spitze hohle Kürbisse steckten, ausgeschnitzt als Menschenköpfe, in denen ein Licht brannte, und aus der Mitte der entzückten Schaar trat ein alter Mann, der viele Jahre auf Erden schon gelebt, der Aelteste von Allen, die hier versammelt waren. Der nahm seine Rappe von dem weißen Haar, trat vor den Baron hin und sagte mit zitternder erregter Stimme:

»Lieber Herr, Sie verschmähen nicht den Dank armer Leute, die ihrem Wohlthäter nichts weiter geben können. Mit Geld und Gut hat Gott im Himmel Sie reich gesegnet; aber einem besseren Manne hätte er es nicht geben können; vielen giebt er Schätze, aber wenigen so wie Ihnen ein Herz für fremde Leiden. Wir können dafür nur mit unserer Liebe lohnen und mit unseren Wünschen und Bitten, daß es Ihnen wohlgehen möge, daß Alles sich erfüllen möge, was Sie hoffen, und langes Leben und Frieden und Freude – Kinder, es lebe unser guter, lieber Herr und seine Frau –«

Hier wurde die Stimme des alten Mannes von dem Jubel und der Musik erstickt und als der gerührte Herr laut dankte und versicherte, daß er diese Liebe und Treue fleißiger und guter Menschen höher achte, als Alles, was ihm sonst geschehen könne, und dann versprach, er wolle immer mit ihnen vereint streben, daß es noch besser werde mit dem gemeinsamen Wohle, da nahm die Lust gar kein Ende.

»Ich erkälte mich in den Tod,« flüsterte die Geheimräthin ihrem Gatten zu, »wenn es noch lange dauert.«

»Ich denke, die Komödie ist beendet,« erwiederte dieser, »und wenigstens werden wir den Vortheil haben, den Schloßberg hinauf geleuchtet zu werden. Der ganze Schwarm zieht mit.«

Und so war es wirklich. Der Zug ordnete sich, die Musik schritt voran, die Fackelträger und Kürbisträger umringten den Baron sammt den Gästen und unter lautem Singen und Jubeln zogen sie bis mitten in den Schloßhof an die Thür des Hauses, wo der Herr desselben eine Abschiedsrede hielt, welche jedoch weder der Geheimrath noch dessen Gattin abwarteten. Beide zogen sich zurück und eilten die Treppe hinauf in die warmen hellen Zimmer.

»Dem Himmel sei Dank!« rief die Dame den Pelz abwerfend, »ich bin halb erstarrt. Welche Heidenwirthschaft ist das! Es ist viel ärger geworden mit Deinem Bruder, wie ich dachte.«

»Seine Krankheit!« erwiederte der Geheimrath, »ist eine Modekrankheit, man muß daher immer glauben, daß über Nacht einmal eine Besserung eintreten kann.«

»Aber die Modekrankheiten sind, wie überhaupt alle Modeartikel, theuer.«

»Kostbare Spielereien, gefährliche Narrheiten!« murmelte der große Herr, je nun – wir können es nicht ändern.«

»Aber wir wollen es ändern, Ottomar.«

»Wo ist das Kind? fragte er schnell aufblickend.

»In Karolinens Obhut,« erwiederte sie, »und vorläufig mag es dort bleiben.«

Der Baron erschien jetzt mit seiner Gattin und dem Forstmeister, er war in beglückter Stimmung und reichte frohgelaunt seinem Bruder beide Hände.

»Trotz der Kälte,« sagte er, »glühe ich wie ein Backofen und könnte Dich mit erwärmen, Dich Verächter aller heißblütigen Regungen. Nun aber, Herzenskinder, seid nochmals willkommen, setzt Euch zu mir, und laßt uns Alles austauschen, was uns drückt.«

So waren denn bald die Fäden langer Gespräche begonnen, welche auf der einen Seite des Tisches von den Damen, auf der andern von den Herren weiter geführt wurden. –Hier erzählte die Geheimräthin von ihren Reisen, von dem Leben am Rheine, von dem in den kleinen Residenzen, wo ihr Mann Sendungen zu erfüllen gehabt, daran knüpften sich Familiengeschichten, und während die Dame vom Hause als Austausch die Schilderungen ihres friedlichen und einfach thätigen Lebens bot, ging ihre Schwester ab und zu, wirthschaftlich ordnend und sich in die Unterredung mit manchen Seitensprüngen mischend, welche oft muthwillig genug aussahen und den geheimen Aerger der stolzen Baronin rege machten.

Die Herren waren dagegen bald aus dem Bereiche der Familie in den großen Kreis des allgemeinen Lebens gelangt. Der Zeiten Lauf und Verwirrung brachte bald die scharfen Gegensätze verschiedener Meinungen hervor und bei dem dadurch bewirkten Streite zeigte sich die gänzliche Verschiedenheit in Ueberzeugungen und Charakter der beiden Brüder.

Der Baron erhitzte sich, der Widerspruch setzte sein Blut in rasche Bewegung. Seine volltönende Beredtsamkeit wurde so eifrig, seine Augen so glänzend in leidenschaftlicher Erregtheit, daß seine lächelnde Gattin verschiedene Male mit Besorgniß zu ihm hin sah und drohend den Finger aufhob.

»Lassen Sie ihn nur, liebe Georgine,« rief der Geheimrath lachend, »ich kenne das ja seit alter Zeit. – Das Herz läuft mit seinem Kopfe davon, das ist sein alter Fehler.«

»Immer besser, Ottomar,« sagte der Freiherr, indem er seine Stimme mäßigte, »als wenn es dem Herzen unmöglich ist, je in solche Lage zu gerathen. Ich fürchte fast, daß der Herrendienst, das Beamtenwesen und die Anmaßlichkeit, alle Weisheit allein zu besitzen, Dich vollständig verknöchert haben.«

»Wenigstens haben sie mich fest gemacht und aufgeklärt über manches unverständige Geschrei unserer gegenwärtigen Volkshelden,« fiel der Bruder ein, »deren Treiben uns, die wir die Zustände klar übersehen können, meist sehr abgeschmackt und verderblich erscheint.«

»So ist es mit den Männern,« sagte die Baronin an der andern Seite, »drei können nicht beisammen sein, ohne zu streiten. Das macht diese verwilderte und verbrecherische Zeit, welche Alles umkehrt. Am ärgsten ist es in der Hauptstadt selbst, wo sogar Damen so sehr alle Weiblichkeit verläugnen, daß sie über Politik und Religion zu Felde ziehen. – Sind Sie lange nicht in der Hauptstadt gewesen, liebe Georgine?«

»Seit meiner Verheirathung nicht,« erwiederte die junge Frau.

»Gütiger Gott! das sind ja zwei volle Jahre.«

»Schon mehrere Monate darüber, aber in Wahrheit, ich habe nicht die geringste Sehnsucht nach der Residenz.«

»Nicht!« rief die Geheimräthin erstaunt, »das ist ja merkwürdig und völlig unbegreiflich, wenn Sie nicht ganz besondere Ursachen haben.«

»Ich habe keine andere Ursache,« versetzte die Dame erröthend, »als daß ich mich hier bei meinem lieben Franz ganz glücklich fühle.«

»Also ganz und durchaus glücklich,« fragte die Freundin lächelnd und leise mit einem Druck der Hand.

»So daß ich mit Niemandem in der Welt tauschen möchte.«

»Das ist beneidenswerth,« rief die stolze Frau, »um so mehr, weil man es so selten hört. Aber, liebe Georgine, wir haben bei allem Glücke doch immer noch etwas zu wünschen, sind denn alle Ihre Wünsche erfüllt?«

Ein sanftes Lächeln stieg in das schöne ruhige Gesicht. – –

»Der Himmel hat alle meine Wünsche erhört,« sagte sie.

»Danken Sie ihm dafür, daß Sie keine Kinder besitzen, Georgine,« sagte die Geheimräthin, »dann würde Ihre Antwort anders lauten. Mir machen die beiden Knaben viele Sorge und Plage.«

»Doch auch gewiß viele Freude.«

»Beide sind seit Jahren in einem Erziehungsinstitut, ich habe sie kaum gesehen,« fuhr die Dame fort, »allein was hört man nicht, was fürchtet und hofft man und wie quält man sich. O! sein Sie zufrieden, das nicht zu kennen.«

»Aber –« begann Georgine, und in ihren großen Augen leuchtete etwas, was eine eiskalte Empfindung in das Herz ihrer Freundin brachte.

»Sie können das noch Alles erleben,« flüsterte die Geheimräthin, »können traurige Erfahrungen machen, was ein einziges Kind für Noth und Unglück über Sie bringen kann.«

Eine höhere Röthe färbte das Gesicht Georginens und ihre Augen senkten sich verwirrt, als die Blicke der Baronin mit einem gewissen höhnischen Ausdrucke an ihr hafteten. Plötzlich ging die Thür auf und Fräulein Sophie trat herein, auf dem Arme das Kind, das sie ihrer Schwester entgegenhielt.

»Ist es nicht ein allerliebstes Püppchen?« rief sie scherzend.

»Wo hast Du das Kind her?« fragte die Baronin zu gleicher Zeit, und die Röthe ihres Gesichtes verrann seltsam schnell.

»Ich habe es mitgebracht;« fiel die Geheimräthin ein, »und unbegreiflicher Weise noch nichts davon erwähnt.«

Sie erzählte, daß es weit vom Rhein her einer befreundeten Familie angehöre, aber durch den plötzlichen Tod beider Eltern gänzlich verwaist in ihre Hände gerathen sei und nun schon seit vier Monaten sie begleitet habe.

Während sie die rührende Geschichte mittheilte, ruhten die Augen der Schloßfrau forschend auf dem kleinen Wesen, dann nahm sie es auf ihren Schooß und sprach und tändelte mit ihm immer freundlicher, bis sie es ihrem Gatten reichte, der aufgestanden war, um den armen Verlassenen auch willkommen zu heißen.

Das Kind war furchtsam vor den fremden Gesichtern und schmiegte sich still an die schöne Frau.

»Es ist ein reizendes Engelchen,« sagte sie, »nicht wahr, Franz?«

»Ein liebliches Kind,« erwiederte der Baron. »Wie heißt es denn?«

»Antonie heißt das Mädchen,« rief der Geheimrath, »und, liebste Georgine, wie Sie da sitzen, mit dem Madonnengesichtchen darüber hingebeugt, in jener süßen Verwirrung oder Verzückung, wie die Maler sagen, sollte man Sie für die leibhafte Mutter halten.«

Der Scherz wurde allgemein belacht, aber er schien die junge Frau verwundet zu haben. Sie gab das Kind der Baronin, bei der es nicht bleiben wollte, dann nahm es Fräulein Sophie und tändelte mit ihm im Zimmer umher, bis es ausgelassen lachte, eine Reihe kauderwelsche Worte und Töne zum Besten gab und endlich, nachdem es dem Forstmeister noch die gewünschte Gelegenheit geboten, mit seiner schönen Wärterin eine Unterhaltung halb laut halb heimlich zu führen, ward es der Kammerjungfer wieder übergeben, die ihm ein brennendes Christbäumchen, Schäfchen und Seejungfern und tausend Herrlichkeiten versprach.

In ihrem Zimmer stand das gedeckte Tischchen bereit, die Lichter brannten am Baume, eine ganze Schafheerde lagerte sich darunter. Eine Gärtnerin hielt Aepfel im Korbe, unter ihr drehte sich eine Leier und der Hund neben ihr konnte bellen. Das Kind klatschte in die Händchen und schrie vor Lust und Seligkeit und neben ihm kniete Fräulein Sophie, die es liebkoste und die Leier drehte und den Hund bellen ließ, bis sie endlich davon lief, weil die großen Leute sie begehrten.

Abends spät, als die Gäste endlich zur Ruhe waren und die Baronin allein mit ihrem Manne war, begann ein vertrautes Gespräch über den Besuch.

»Ich weiß nicht, ob ich mich so recht freuen soll,« sagte der Gutsherr. »Mein Bruder hat sich in den Jahren unserer Trennung noch weit mehr von mir entfremdet, als früher. Innig ist unser Verhältniß nie gewesen, denn unser Denken war stets verschieden. Er ist Einer von denen, mit welchen man lieber in der Ferne verkehrt, als ihn bei sich stehen sieht.«

»Du darfst nicht vergessen, wie nahe er Dir durch die theuersten Bande ist,« erwiederte sie begütigend.

»Das vergeß ich auch nie,« versetzte der Baron, »aber Blutesbande halten nicht aus gegen die Sympathien der Seele. Er ist hoch gestiegen, ein Mann von Fähigkeiten, von kalter kluger Berechnung, ich weiß nicht ob von Grundsätzen. Unsere Jugend hatte schon Grenzscheiden, dann kam meine Heirath und Du weißt –«

»Vergiß das, lieber Franz,« fiel die Baronin ein, »menschliche Schwächen soll man mild beurtheilen. Du warst im reifen Mannesalter, er glaubte wohl mit einigem Rechte, daß kein weibliches Wesen Dich so leicht mehr fesseln würde, daran knüpften sich vielleicht Hoffnungen, die ich zerstörte, und wenn er sich meinem Glücke nicht geneigt zeigte, wenn er Dir Vorstellungen machte, Hindernisse bereitete, die Familie aufrief, so ist ja das Alles wieder vergütet durch seine Nachgiebigkeit. Er kam zu unserer Hochzeit und kommt jetzt wieder.«

»Aber ich sehe es ihm an,« sagte der Gutsherr, »daß seine Freundlichkeit noch immer nicht aus offenem Herzen kommt. Ich habe heute Abend mehr als ein Mal in seiner Seele blättern können, habe ein paar Male ihn gleichsam ertappt bei Blicken, die er auf Dich richtete, und ich kenne diese Blicke, dies kalte Lächeln. Nein, nein! ich wollte er wäre nicht gekommen, wir passen nicht zusammen. Eine kalte Hand liegt auf meinem Herzen, ein Zwang, der mich unwillig macht. Näheren wir uns einer überlegenen Natur, so fühlen wir auch eine Scheu, aber eine fromme und edle; diese Scheu dagegen verstimmt mich tief und verwundet mein Gemüth doppelt, weil es mein Bruder ist, vor dem ich wie ein Dieb auf der Lauer sein soll, immer fürchtend, daß er mich beraubt.«

»Du mußt mild sein und Deine Widersprüche beschränken.«

»Das ist es eben, daß er mich stets zum Widerspruche reizt,« erwiederte er.

»Ich werde mit Julianen sprechen, die Frauen sollen die kriegerischen Mächte bewahren und zügeln,« fuhr sie fort.

»Höre, Georgine,« versetzte der Baron rasch, »hüte Dich vor ihr. Sie ist klug und boshaft, und hat keinen geringen Theil an Allem, was mein Bruder gegen uns sündigte.«

»Was kann sie wollen und was mir schaden?« fragte die junge Frau. »Ich weiß, daß sie mich nicht übermäßig liebt, meine Aufgabe soll es sein, sie zu versöhnen.«

»Du gutes Herz!« rief der Gutsherr zärtlich, »ja, wenn ein Wunder bewirkt werden kann, kannst Du es mit Deiner Sanftmuth, Deiner Ruhe, Deiner reinen Güte.«

»Und weißt Du, daß ich schon begonnen habe?« flüsterte sie, sich an ihn schmiegend. »Sie vertraute mir ihre Muttersorgen um ihre Kinder. Wir sprachen auch von Dir, und ob wir keinen Wunsch mehr zur Steigerung unseres Glückes hätten. Ich sagte nein und mein Auge suchte Dich. Da saßest Du mir gegenüber, Dein Bruder erzählte von seinen Söhnen und mir kam es vor, als schwebe ein Schmerz um Deine Lippen. Heut ist Christtag, mein geliebter, heißgeliebter Franz, Du hast mich so reichlich beschenkt, aber über's Jahr, Franz, wenn der Christbaum wieder brennt, wird der Schmerz von Deinen Lippen verschwunden sein, Du wirst mehr zu schenken haben, denn ich werde nicht allein kommen, in meinen Armen –«

»Gütiger Himmel, Georgine!« rief der Baron und ein wunderbares göttliches Empfinden durchdrang ihn.

»Das ist mein Christgeschenk,« sagte sie leise in seinen Armen.


III.

Uns an demselben großen Abende der Freude, zu derselben Stunde, wo Jubel und Lust Hütte und Palast bewegten, brannte ein trübes Lämpchen in einer düsteren kalten Stube im vierten Stockwerke eines alten Hauses.

Weniges Geräth und Gerümpel stand an den abgestoßenen berauchten Wänden; in der Ecke ein Bettgestell, aus dem unter dem groben Linnentuche lange Strohhalme hervorguckten, welche leise zu dem Tische mit drei Beinen hinüberwinkten, an welchem drei ärmliche blasse Kinder saßen. Die Strohhalme raschelten dann und wann als sprächen sie unter sich und flüsterten den frierenden Kindern zu:

Was sitzt ihr denn da um die närrische kleine Lampe, die auch gar zu gern ihr einziges mattes rothes Auge zudrückte und schon halb und halb eingenickt ist? Kommt her und kriecht unter die Wolldecke, wir wollen still halten und euch wärmen. Schlaft Kinderchen, der Schlaf ist euer bester Freund, bei ihm vergeßt ihr den Hunger, der thut nicht mehr weh.

Aber die Kinder hörten es nicht. Sie saßen vor der Lampe, die auf einem umgestülpten Topfe stand, und vor jedem von ihnen lagen fünf oder sechs Kartoffeln und ein Stück Brod, in der Mitte aber auf einem Papiere lag ein wenig Salz und alle drei schrieen zankend durcheinander, weil der Eine bei seinem Nachbar eine größere Kartoffel gegen eine kleinere heimlich einzutauschen suchte, und der Dritte mehr Salz sich angeeignet hatte, als ihm zukam. Es war ein hitziger Streit, der in Schimpf und Schläge ausartete und von Weinen und Geschrei des Unterliegenden begleitet wurde, aber Niemand sah und hörte es.

Die Kinder waren allein. Drei starke Hanfschnüre waren quer durch das Zimmer gezogen, von einer Wand zur andern und dort an Haken befestiget; auf den Schnüren hing Wäsche zum Trockenen, deren ausströmende Wasserdünste die Luft mit Feuchtigkeit erfüllten, und zwischen den Fenstern lag über einem Kasten und einem Stuhl ein Brett, auf welchem ein Haufen Weißzeug aufgeschichtet war. –

Das alles wurde von dem Mondlichte beschienen, das in kalter Klarheit durch die kleinen Fenster brach und schweigend über den Fußboden sich ausgoß. Ein Luftstrom drang dann und wann durch eine zerknickte Scheibe herein, die mit Papier unvollkommen verklebt war, spielte mit der losgebrochenen Fassung und verlor sich in dem leisen Schwanken der Lampe, die von den Kindern behütet wurde.

»Wenn Ihr jetzt nicht aufhört,« sagte das Aelteste, »so erzähle ich es, sobald die Mutter zurückkommt, und Ihr kriegt nichts.«

»Wohin ist denn die Mutter gegangen?« fragte die Zweite.

»Vielleicht auf den Weihnachtsmarkt,« flüsterte der Kleinste.

»Ach ja, heute ist Weihnachten!« schrie sein Bruder lebendig. »Ich möchte wohl ein Pferd haben.«

»Dummer Junge,« rief das Mädchen mit strafender Verständigkeit, »haben wir Geld?«

Das Kind sah seine Schwester nachdenkend an. Es fiel ihm ein, daß die Mutter vorhin gesagt hatte, sie besäße keinen Pfennig. Es schwieg.

»Aber wo ist denn die Mutter?« fragte der Jüngste noch einmal.

»Sie will sich ein paar Groschen borgen,« sagte das Mädchen, »bis die Wäsche morgen fertig ist, und wenn sie die bekommt, bringt sie Holz und ein Brot mit.«

»Ich möchte mich wohl einmal so recht satt essen in Brot,« flüsterte der arme kleine Junge und legte die Hand auf den Magen. – »Die Kartoffeln schmecken so schlecht.«

»So recht weißes Brot oder Kuchen, Pfefferkuchen, einen Reiter,« sagte der Andere, indem seine Augen vor Begier blitzten.

»Dankt Gott, wenn Ihr Kartoffeln habt,« fiel das Mädchen zankend ein, »ich werde es der Mutter sagen, die soll Euch das anstreichen.«

Die beiden Verbrecher lachten, plötzlich aber wurden sie ernsthaft und ängstlich, denn draußen auf der Treppe hörten sie feste und polternde Tritte und dazu die scheltende laute Stimme ihrer Mutter, der eine andere antwortete, die sie zu besänftigen strebte. Im nächsten Augenblicke war die Thüre aufgerissen und ein Mann trat herein, der an der Schwelle stolperte, sich am Schlosse festhielt und mit einer Art höhnischer Höflichkeit sagte:

»Treten Sie herein, Madame Eberhard, und machen Sie keine Umstände. Thun Sie, als ob Sie zu Hause wären; ich vermuthe nicht, daß Sie draußen bleiben wollen.«

»Wenn Du nicht gehst,« rief die Frau, welche dieser Einladung folgte, »wenn Du nicht den Augenblick gehst, so rufe ich den Wirth und die Polizei.«

Der Mann warf gelassen die Thüre zu und heftete seine grünlichen Augen auf die Widersacherin. Es war eine schwache kleine Frau mit abgezehrten Zügen, die jetzt von einer hektischen Röthe überlaufen waren. Ein Mantel von dünnem Zeuge hing auf ihren Schultern, ihr Haar fiel tief auf Stirn und Augen nieder, am Arme trug sie einen alten Deckelkorb, den sie vor sich niedersetzte.

»Hast einen Spaziergang gemacht, liebe Guste?« sagte der Kerl, »ist recht von Dir. Hast eingekauft für unsere Kinder, ist Weihnachten morgen, und so bin ich denn als guter Vater gekommen, um zu sehen, wie es Euch geht.«

Bei diesen Worten that er ein paar Schritte auf den Tisch zu, wo die Kinder sich in eine Ecke drängten, aber die Frau stieß ihn mit aller Kraft zurück.

»Du sollst gehen,« schrie sie mit Heftigkeit, »Du sollst fort von hier, ich will Dich nicht hier dulden.«

»Guste,« sagte der wilde Mensch warnend und drohend, »ich rathe Dir, sei vernünftig, Du kennst mich. Ich will hier bleiben, Gott verdamm' mich! Weib. Bist Du etwa nicht mein Weib, und sind das nicht meine Kinder?«

»Die Du in Noth und Elend gelassen hast,« rief die Frau.

»Ich kann's wieder gut machen,« erwiederte er.

»Nein,« schrie die Frau mit Abscheu, »nie wieder in Deine Nähe. Ich will arbeiten, hungern, umkommen, aber keine Gemeinschaft mit Dir haben. Deine Schwester hat mir gesagt, daß Du vor acht Tagen zu vielem Gelde gekommen bist; willst Du etwas für Deine Kinder thun, in Gottes Namen, aber ich glaube es nicht, denn Du bist so schlecht – so schlecht –«

»Du bist also bei dem Volke gewesen,« fiel der Maler ein. »Er ist glücklich heraus aus dem Loche, was er mir allein verdankt, der Schuft, der mir gestern die Thüre gewiesen hat. Aber verdammt will ich sein! wenn ich es nicht vergelte, und ich habe es ihm schon vergolten. Sieht der Kerl aus wie eine Vogelscheuche vor Gram, haha! um seinen lumpigen Balg. Ich will ihm die drei da geben, er kann sie alle haben.«

»Willst Du nun gehen?« fragte die Frau. »Ich verlange Dein Geld nicht, aber gehe.«

Statt der Antwort warf er den Hut auf den Tisch und setzte sich.

»Geld,« sagte er, »o ja Geld! Geld ist rund, man kann es nicht halten. Ich hatte Geld, freilich, und es war ehrlich verdient, aber wer kann für's Unglück? Ich habe es wieder verloren.«

»Wie immer,« rief sie mit Bitterkeit. »Spiel, Trunk, Faulheit, die haben Dich und uns dahin gebracht, wo wir sind.«

»Wenn Du bei dem Volke warst,« erwiederte er, »haben sie sicher doch für Euch ein Festgeschenk herausgerückt.«

»Gebettelt habe ich nicht,« eiferte die Frau, »ach, ich kann es noch immer nicht! Deine Schwester wies mich an Dich, aber ich wußte es besser. Was sie mir für die Kinder gegeben hat, Brot und Nahrungsmittel, ja, das liegt dort im Korbe.

Der Maler streckte die Hand aus, zog den Korb zu sich her und schlug den Deckel zurück. Brot, Fleisch, Butter, ein Stück Kuchen, Aepfel und Pfeffernüsse lagen darin. Ohne ein Wort zu sagen, zog er den Kuchen heraus und biß hinein.

»O Du Elender! Du Nichtswürdiger!« rief die Frau, die in Verzweiflung über den Räuber, der ihren Kindern kaltblütig die kleine Wohlthat nahm, ihm gewaltsam den Korb zu entreißen suchte. Er hielt ihn fest, ihre Nägel griffen in seine Hand. –

»Verdammtes Weib!« schrie er wüthend, »ich will Dich lehren, Du Katze!«

Seine geballte Faust traf ihren Kopf, sie taumelte zur Seite, schlug mit der Stirn an die Ecke des Ofens und sank bewußtlos nieder.

Die Kinder erhoben ein klägliches Jammergeschrei, während der Maler einen Augenblick stumm auf den Körper sah, dann aber seine Faust von Neuem schüttelte.

»Wellt Ihr ruhig sein, Ihr Bestien,« sagte er, oder soll ich Euch auch still machen.« –

Er durchsuchte den Korb weiter, steckte die Aepfel und den Pfefferkuchen in seine Taschen, nahm das Fleisch und that es dazu, hierauf schnitt er das Brot durch, machte ein Loch in die Mitte und legte die Butter hinein, die andere Brothälfte warf er auf den Tisch.

»Das ist für Euch,« rief er den Kindern zu, »da thut Euch gütlich, weiter braucht Ihr nichts.«

So ging er zur Thüre hinaus; weinend stürzten die Kinder aus ihrer Ecke auf die leblose Mutter, und knieten bei ihr nieder. Sie umschlangen ihren Nacken, küßten ihre Hände, trockneten das Blut von ihrer Stirne und wuschen diese mit Wasser, bis sich die Frau nach einiger Zeit matt aufrichtete und fragend und wild umherblickte.

»Er ist fort, liebste Mutter, er ist längst aus dem Hause,« flüsterte das Mädchen.

»Aber er hat Alles mitgenommen,« fiel der kleine Knabe weinend ein.

»Alles bis auf ein Stück Brot,« fügte der Andere hinzu.

Die Frau lehnte sich schweigend an den Ofen, ihr irres Auge blickte in wilder Angst durch die trüben Fenster zum Himmel auf; die verzerrten Züge ihres Gesichtes hefteten sich anklagend, verzweiflungsvoll an den silbernen Mondesglanz, der über ihren elenden Leib rieselte. –

Die Lampe war erloschen, die vier Menschen bildeten auf der Diele des öden todtenstillen Dachstübchens eine geisterhafte Gruppe. Die arme Mutter von ihren Kindern umringt, welche sich bebend an sie preßten, fühlte in ihrem Kopfe ein entsetzliches Brennen und Ringen verwirrter Fieberträume und Gestalten, die mit grimmigen höhnischen Mienen an ihr hinglitten. Sie konnte keinen Gedanken fassen, es war ein Tosen und Verschlingen. Lange Arme streckten sich aus, Finger, die sich ihr in Fleisch und Bein krallten, die sterbenden blassen Gesichter ihrer Kinder sahen sie mit hohlen Augen an. So rang sie mit dem Wahnsinn der Vernichtung, und über ihre Stirn tropfte langsam das heiße Blut auf krampfhaft verschlungene Hände nieder.

In diesem Augenblicke wurde draußen an die Thür geklopft.

»O lieber Gott! da kommt er wieder!« schrie das Mädchen laut auf und ihre Brüder stimmten ein.

Die Frau saß unbeweglich und als höre sie nichts.

»Mutter, liebste Mutter! da ist er,« heulten die Kinder.

Die Thüre hatte sich geöffnet und ein Mann war hereingetreten, der, als er einige Schritte gethan, stillstand.

»Bist Du da?« sagte die Frau ohne sich zu rühren. »Komm her, hier sind wir. Schlage mich todt, schlage die Kinder todt, Du Unmensch, es ist besser für sie und mich.«

»Was geht hier vor? Was ist hier geschehen?« fragte der Mann.

Seine Stimme klang so weich und theilnehmend, und dabei trat er so rasch näher, daß ein Hoffnungsfunke plötzlich in der tiefsten Brust des armen Weibes aufwachte. – Sie richtete sich auf und stand mit einem schmerzlichen Seufzer auf ihren Füßen vor dem Fremden, der in einen weiten dunklen Mantel gehüllt und den Hut auf dem Kopfe einen wunderbaren Eindruck machte.

»Lieber Herr,« sagte die Frau, »ich weiß nicht – was wünschen Sie – ich will die Lampe anzünden, sie ist ausgegangen.«

»Thun Sie es,« erwiederte der Herr und die Frau suchte auf dem Tische umher und auf einem Brettchen an der Wand, wo ein paar Schwefelhölzer liegen mußten.

Der Fremde stand lautlos in der Mitte des Zimmers, so schwarz und still wie ein Gespenst.

»Sie müssen es nicht übel nehmen, daß es so lange dauert,« stotterte die Wäscherin. »Mathilde, wo hast Du die Hölzchen. Gelassen? – ich bin gleich zu Ihren Diensten.«

»Mathilde,« erwiederte der Fremde, »so heißt das kleine Mädchen?«

»Ja, so heißt sie. – Aber wenn Sie mir sagen wollten, womit ich dienen kann –«

Die Hölzchen waren gefunden und einen Augenblick später brannte die kleine Lampe wieder und warf ihr Licht über den engen Kreis, den sie erleuchten konnte.

Der Fremde richtete sein Auge forschend auf die Frau und auf die Zeichen ihrer tiefen Armuth.

»Sie sind es wohl nicht, die ich suche,« begann er darauf, »aber was ist Ihnen geschehen? Sie bluten und was ich hörte, das Angstgeschrei, das mich empfing – Hat man Sie mißhandelt?«

Der Hoffnungsfunken erlosch in ihrem Herzen.

»Ich bin gefallen,« sagte sie mit erlöschender Stimme und dann – »es wird nichts zu bedeuten haben. – Suchten Sie Jemand im Hause?«

»Ja,« erwiederte der Herr. »Ich bemühe mich seit beinahe acht Tagen die Wohnung einer Familie ausfindig zu machen, die ich früher gekannt habe. Nach mancherlei Nachforschungen hat man mir gesagt, sie solle jetzt hier im vierten Stockwerk wohnen.«

»Wen suchen Sie denn?« fragte die Frau.

»Einen Stubenmaler Namens Eberhard.«

Die Wäscherin warf einen scheuen Blick auf den Fremden. Sie schwieg einen Augenblick, mit Schaam und Schmerz ringend, dann sagte sie stockend:

»Der Mann, den sie nannten, wohnt allerdings nicht hier, aber – ich heiße so und war seine Frau.«

Der Herr richtete sich erschrocken auf. Er trat einen Schritt näher heran und streckte feine Arme gegen sie aus.

»Gütiger Gott!« rief er, »wäre es möglich, ja, Sie sind es wirklich – Sie müssen mein Erschrecken entschuldigen,« fügte er mild hinzu, »aber ich hätte Sie nicht wieder erkannt.«

Unter den heißen Thränen, die unaufhaltsam aus den Augen der armen Frau strömten, heftete sie diese auf den fremden Herrn, der ihr gänzlich unbekannt blieb.

»Sie haben mich also früher gesehen,« flüsterte sie, »ach! es ist auch nicht möglich mich wieder zu erkennen. Unglück und Gram zehren ab, und doch möchte ich oft sagen, es ist gut, daß mich Niemand erkennt.«

Der fremde Herr hörte theilnehmend ihre Worte, dann fragte er weiter und endlich wußte er Alles, was sie zu sagen hatte. Er hatte den Hut abgenommen und sich niedergesetzt, den Arm stützte er auf den Tisch, und ihm gegenüber drängte sich die kleine Familie um die erzählende Mutter.

Die klaren großen Augen des Unbekannten wurden aber nach und nach trübe von den Schilderungen des Elends, das er hier erfuhr, oder sie blitzten zornig auf vor der Verworfenheit der Laster, die jenes herbeigeführt hatten. Das sanfte Weinen und der zitternde Ton der Stimme der armen Frau, die blassen verhungernden Gesichter und die dürftigen Gewänder der Kinder, Alles bildete einen grellen Gegensatz zu dem großen Manne, der, fein und reich gekleidet, so wohllautend und so markig reden konnte.

»Sie erinnern sich meiner also nicht mehr,« fragte er endlich, »dann müssen wohl manche Veränderungen auch mit mir vorgegangen sein, obwohl ich Sie auch nicht allzu oft gesehen habe.«

Die Frau schüttelte den Kopf und der Herr fuhr fort:

»Erinnern Sie sich, daß vor etwa drei Jahren ein junger Mann zuweilen zwei Damen besuchte, die mit ihm in demselben Hause wohnten und deren Mutter einige Zeit vorher gestorben war?«

»Ach Gott! ja freilich. Die beiden Fräulein Wiberg –« rief die Frau, »und Sie sind der junge Herr, der unten wohnte. Die Fräulein wohnten im ersten Stock und wir wir damals im zweiten. O nun erinnere ich mich, ich habe Sie öfter gesehen. Sie reisten nachher fort und wir haben oft davon gesprochen. Es waren liebe gute Damen.«

»Wo sind die beiden Fräulein geblieben?« fragte der Herr erwartungsvoll.

»Die sind sehr glücklich geworden,« sagte die Wäscherin. »Sie wohnten ungefähr noch ein halbes Jahr dort im Hause, als Sie abgereist waren, dann zogen Sie aus, und ich habe sie eigentlich nicht wieder gesehen, denn mein eigenes Unglück begann damals; aber gehört habe ich von meinem Manne, daß die Eine bald darauf die Bekanntschaft eines sehr reichen und vornehmen Herrn gemacht hat, der sie heirathete und mit sich nahm und so auch ihre Schwester.«

»Wer, wer war es? die Aelteste, Georgine, oder Sophie?« fiel der Fremde heftig bewegt ein.

»Ich weiß es wirklich nicht, sagte die Frau.

»Und wer hat sie geheirathet?« fuhr er fort, »wohin ist er mit ihnen gegangen?«

»Ich kann es nicht sagen, Eberhard wußte es jedoch genau, ach Gott! man vergißt so etwas zu leicht.«

»Aber Sie können mir Nachricht verschaffen,« rief der Herr lebhaft aus, »oder ich selbst will den Taugenichts aufsuchen.«

»Ich will gern thun was ich kann,« sagte die Wäscherin, »wenn Ihnen so viel daran liegt, will ich ihn morgen früh aufsuchen, und auch mit meinem Schwager sprechen, der die beiden Fräulein sehr gut gekannt hat. Seine Mutter ist die Amme der Aeltesten gewesen bei dem Geheimrath Wiberg, das hat immer die Freundschaft erhalten. Als der Geheimrath gestorben war und die Wittwe sich einrichten mußte, haben die Kinder sich wohl noch öfter gesehen und so ist es immer mit ihnen geblieben.«

»Gut,« sagte der Fremde, die Hand an seine hohe Stirn legend.

»Der Name und der Ort, das ist es, was ich wissen will.«

»Ich denke, daß es nicht schwer sein wird Nachrichten einzuziehen.«

Der Fremde sann einen Augenblick nach, dann sagte er:

»Erinnern Sie sich noch meines Namens? Nicht? Ich heiße Robsen und bin drei Jahre jenseits des Meeres gewesen ohne die Tage vergessen zu können, welche ich in Gesellschaft der beiden Schwestern verlebte. Nun haben mich Geschäfte wieder hierher geführt und ich knüpfte daran die Hoffnung eines Wiedersehens, das mich oft und lebhaft beschäftigte.« –

Er fragte noch einmal hin und her, aber die Frau wußte wenig, nur war sie voller Lob über die beiden Fräulein, wie sie stets geschäftig, freundlich und voll Güte gewesen, und wie Alle, die sie kannten, von ihrem Wesen ganz bezaubert wurden.

Herr Robsen hörte diese Mittheilungen mit sichtlicher Freude.

»Doch nun zu Ihnen selbst,« sagte er endlich. »Heut ist ein Tag, wo alle Menschen sich freuen sollen, wo alle Augen sich trocknen, aber diesen armen Kindern ist durch einen Elenden jede Freude entrissen.« –

Er nahm den Korb vom Boden auf, setzte ihn auf den Tisch und sagte dann:

»Ich komme bald wieder und denke dann etwas zu thun, um betrübte Herzen froh zu machen. Weinen Sie nicht mehr, es wird besser werden, vielleicht ist es möglich, daß doch noch Alles sich zum Guten wendet.«

So reichte er der Frau die Hand, sagte ihr gute Nacht und ging rasch zur Thür hinaus.

Sie nahm die Lampe, um zu leuchten, aber er war schon auf der schmalen steilen Treppe.

»Versuchen Sie Alles, mir Nachricht zu verschaffen,« flüsterte er, »was es auch kosten mag, ich will es reichlich lohnen.«

Seufzend kehrte sie zurück. Der Besuch hatte ihr wohl Trost gebracht, aber der öde kalte Raum, in den sie trat, und sein ganzes Gewicht an Elend und Sorgen fiel von Neuem auf ihre Brust.

»O die reichen Leute,« murmelte sie, »sie wissen nicht recht, was Noth heißt, sagen morgen, morgen will ich helfen und denken nicht daran, daß eine lange lange Nacht dazwischen liegt.«

Sie setzte die Lampe nieder, die Kinder hockten schlafmüde in ihrer Ecke und jetzt erst fühlte sie die Schmerzen der Wunde an ihrer Stirn. Mit verschlungenen Händen blieb sie einen Augenblick stehen und flüsterte dann, sich selbst ermuthigend:

»Was hilft es alles, es ist einmal so und muß ertragen werden. Die Hände in den Schooß legen hat noch nie geholfen. Also rasch, da liegt die Wäsche, die will bis morgen früh geplättet sein, wenn wir leben wollen. Erst die Kinder zu Bette, dann frisch an die Arbeit, ich will sehen, ob ich Holz geborgt kriege.«

Sie griff nach dem Korbe, aber plötzlich zuckte ihre Hand. Es lag etwas Schweres darin und als sie ihn schüttelte, klang es wie Geld. Mit klopfendem Herzen stieß sie den Deckel zurück, und im jähen Entzücken funkelten ihre Augen, denn eine lange seidengenähete Börse lag darin, große Geldstücke an beiden Seiten – Ihre Blicke wurden dunkel, ihr schwindelte, sie mußte sich an dem Tische festhalten.

Plötzlich aber stieß die arme Frau einen gellenden Schrei aus, daß die Kinder emporfuhren. Sie fiel auf's Knie nieder, die Börse zwischen ihren gefalteten Fingern und die Arme hoch gehoben. –

»Kinder, meine Kinder,« rief sie, »o Gott! Ihr sollt nicht mehr hungern, nicht frieren, Ihr sollt Euch freuen, wo sich Alles freuet. Wir sind glücklich, hier ist Geld, heut ist Christabend, er ist bei uns eingekehrt – Christabend! – Gottes Engel hat uns Segen gebracht.«

 

Und während sie ihre Kinder herzte und Pläne machte, sie zu erfreuen, eilte der, welcher dies Glück schuf, schnell aus dem Hause. Er ging die Straße hinab und an der Ecke, von der Gasflamme hell beschienen, fand er zwei Männer stehen, deren heftiges lautes Gespräch ihn aufmerksam machte. Der Eine war der Maler Eberhard, welcher drohende Worte gegen den Andern ausstieß, der, wie es schien, ziemlich gewaltsam von ihm festgehalten wurde. Jener war ein schmaler ordentlich gekleideter Mann, mit blassem trocknen Gesichte.

»Ich will nichts weiter hören,« sagte er ärgerlich laut, »und wenn Du nicht sogleich die Hand von meinem Rocke nimmst, werde ich um Hilfe rufen.«

»Meinetwegen schrei, wenn es Dir Spaß macht,« lachte der Vagabund. »Ich thue Dir nichts, aber ich will wissen, wohin Du gehst.«

»Ich habe Dir keinerlei Rechenschaft zu geben,« rief der Andere zurück, »ich habe nichts mit Dir zu schaffen.«

»Aber ich mit Dir, Kerl,« schrie der Maler, »Du Lump! heut noch säßest Du wo Du saßest, wenn ich nicht gewesen wäre.«

»Ich verachte Deine boshaften Lügen,« sagte der Mann.

»Gott verdamm' mich! wo ist das Geld hergekommen?« schrie Eberhard. »Ich habe es angeschafft.«

»Das hast Du schon gestern behauptet,« erwiederte sein Schwager, »ohne es zu beweisen. Rede, wenn Du die Wahrheit sagst.«

»Das werde ich bleiben lassen, aber wo ist es hergekommen?«

»Ein Unbekannter hat es gebracht, so sagt Deine Schwester,« versetzte der blasse Mann. »Sie hat es mir zugeschworen.«

»Ein Unbekannter? Element, ja! gut gelogen,« schrie der wilde Mensch, »oder weiß Gott, die Wahrheit gesagt – Nun gut, bleib dabei, aber wo ist das Kind, Dein Kind? Sapperment! Rabenvater? haha!«

»Höre,« sagte der Mann nach kurzem Schweigen und seine Stimme schien zu zittern, »wenn einer von uns seine Kinder bedenken sollte, so bist Du es.«

»Drei will ich Dir geben, drei auf einmal, Rabenvater! Verkauf sie, mach' damit, was Du willst, mir einerlei.«

»Laß mich los,« rief der junge Mann und mit einem heftigen Stoße befreite er sich.

»Nein,« schrie Eberhard, indem er ihn von neuem ergriff, »so rasch noch nicht.«

»Willst Du etwa zu meinem Weibe hinauf, willst fragen, wie ihr Kuchen und Aepfel geschmeckt haben?«

»Zu der unglücklichen Frau, die Du in's Elend gestürzt hast; ja das will ich.«

»Laß sie werden, was sie will; was geht's mich an. Sie ist noch jung, kann Geld verdienen, wie es am besten geht.«

»Nichtswürdiger Hallunke, der Du bist! jetzt ist es genug!«

»Du willst mich schlagen, Du Dieb, Du Schuft!« schrie der Maler auf ihn losstürzend.

In dem Augenblicke trat Robsen herbei und zwischen beide.

»Halt ein!« begann er und hielt den Vagabunden fest.

»Was wollen Sie, was mischen Sie sich in unsern Streit?« fragte dieser trotzig.

»Ich habe ein Wort mit Ihnen zu sprechen.« –

Der Vagabund sah ihn an und musterte seine Gestalt.

»Wenn es Etwas ist, wobei ein armer Kerl ein Stück Geld verdienen kann, so bin ich da.«

»Kommen Sie her,« sagte Robsen, indem er sich entfernte.

»So lauf, Rabenvater,« lachte der Maler höhnisch, »ich finde Dich schon wieder.«

Der Andere ging davon; Eberhard faßte an seinen schäbigen Filz, und indem er mit frecher Vertraulichkeit den Fremden anstarrte, sagte er halblaut:

»Womit kann ich Ihnen dienen, Herr?«

»Mit der genauen Beantwortung einiger Fragen.«

»Ich hoffe, daß damit auch etwas Erfreuliches für mich verbunden ist?«

»Das kommt auf das an, was ich hören werde,« sagte Robsen.

»Nun, so fragen Sie in Gottes Namen,« versetzte der Kerl, indem er die Arme übereinander schlug, »ich will Ihrer Großmuth vertrauen.«

»Sie haben zwei Schwestern Namens Wiberg, die Töchter eines Geheimraths, gekannt?«

»Ja, die kannte ich sehr gut, wir waren die besten Freunde.«

»Die eine der Fräulein hat geheirathet.«

»Das hat sie gethan, oder vielmehr – ein reicher Herr hat sie geheirathet. Es geht so in der Welt her.«

»Wen hat sie geheirathet?«?

Eberhard schwieg und betrachtete neugierig forschend den Fremden.

»Hören Sie,« sagte er dann bedächtig, »wer Sie auch sein mögen, Herr, Sie hätten sich an Niemanden besser wenden können in dieser Angelegenheit als an mich, denn wenn Einer das Geheimniß kennt, so kenne ich es. Aber das ist eine Sache, die man nicht so sagt, ohne zu wissen warum, und die man nicht preis giebt, ehe man sich gedeckt hat.«

»Warum ich es wissen will, kann Ihnen gleichgiltig sein,« erwiederte Robsen.

»Ich frage nichts danach!« rief der Kerl, »aber ich thue auch nichts umsonst.«

»Und ich verlange nichts umsonst. Wer hat sie also geheirathet?«

Der wegwerfende Ton, in dem er dies sagte, machte Eindruck auf den Maler. –

»Sie hat einen Baron geheirathet, der Solis heißt.«

»Welche von den Schwestern?« sagte Robsen schnell.

»Die Aelteste.« –

»Georgine?!« –

»Richtig, das ist der Name. Ich konnte mich nicht darauf besinnen.«

Der junge Mann schwieg einen Augenblick.

»Könnt Ihr mir sagen, wo der Baron sich aufhält?« fragte er endlich.

»Wo es ist, weiß ich eigentlich nicht, aber ich weiß, daß ein Herr, der den Baron besuchen wollte, von hier nach Breslau reiste.«

»Dann ist es gewiß,« murmelte Robsen vor sich hin, »ich weiß genug.«

Er suchte nach Geld und erinnerte sich an seine Börse. Mit Widerwillen sah er dem Maler in das gierige gemeine Gesicht, das jede Bewegung seiner Finger verfolgte.

»Ich habe gehört, welchen nichtswürdigen Lebenswandel Sie führen,« begann er, »fühlen Sie keine Reue darüber?«

»O! Sie glauben, was der Rabenvater schwatzte,« lachte der Maler, »aber der Kerl lügt, es ist keine Sylbe wahr davon.

Schweigend reichte Robsen ihm ein Goldstück.

»Es ist mehr als Sie verdienen,« sagte er, »nehmen Sie, ich habe nichts Anderes, aber wenn ein gutes Gefühl noch in Ihnen ist, so wenden Sie es nützlich an.«

Er wollte gehen, doch Eberhard hielt ihn am Arme fest.

»Danke, Herr,« sagte er, »Ihr Wort soll erfüllt werden, aber wie wär's, wenn wir den Handel weiter fortsetzten? Kaufen Sie mir ein Geheimniß ab, Gott verdamm' mich! wenn ich's unter zwanzig solcher rother Füchse, wie der hier, fortgebe. Wollen Sie nicht? Gut, achtzehn, funfzehn, ich weiß mehr, wie Sie denken, und den Hals lasse ich mir abschneiden, wenn Ihnen der Baron nicht zehn Mal mehr dafür wieder giebt.«

»Fort, Du elender Schuft!« rief Robsen und mit überlegener Kraft riß er sich los und ging eilig davon.

»Schuft?« schrie der Maler. »Haha! laßt es bleiben, sagt es nicht noch einmal. Dummkopf, so behalte ich, was ich weiß, um keine Million würde ich es jetzt herausgeben.«

Er lachte laut auf und betrachtete das Goldstück in seiner Hand.

»Ein Doppellouisd'or,« murmelte er, »der Kerl muß viel davon haben, und billig verdient ist er für eine Antwort. Hurrah! heut ist ein Glückstag, es ist Christabend heut. Daß ich dumm wäre und theilte, laß sie selbst sehen wie sie satt werden. Christbescheerung von Gott geschickt zur Freude und Lust soll in Freude und Lust verjubelt werden. Preis und Dank für das Christgeschenk!«

Er taumelte fort.


IV.

Auf Schloß Breitenstein folgten sich die Feste, welche der Baron zur Ehre seiner Gäste veranstaltete. Er lud die Nachbarn zu Jagden und Bällen, und zwischen die glänzenden Bankette schoben sich Lustbarkeiten mancherlei Art, welche er für seine Arbeiter und für die Landleute veranstaltete. Zwar war der Winter, der in aller Strenge anhielt, keine günstige Zeit für solche Freuden, aber die schönen klaren Frosttage ließen Schlittenfahrten bei Fackelschein und Spiele allerlei Art im Freien zu, denen sich Bewirthung und Tanz in den Sälen der Fabrikgebäude zugesellten.

Der Baron hatte aus den jungen Leuten eine Schützengesellschaft gebildet, die ihre Büchsen mit Fertigkeit zu gebrauchen verstand; so fanden denn Scheibenschießen im Walde statt, bei denen es an Preisen nicht fehlte, während in schnell errichteten, mit Tannengrün geschmückten Bretterhäusern in fröhlicher Weise bankettirt, gesungen und wieder getanzt wurde.

Dies Alles geschah zur Erheiterung des Geheimraths, der sich am wenigsten durch solche Zerstreuungen zur lebhaften Theilnahme hinreißen ließ. Die Förmlichkeit seines Wesens fand sich weit eher beleidigt durch das Gewühl und diese Nähe eines zwanglosen Volkstreibens, als erfreut von der Gewalt, die er sich anthun mußte, um wenigstens keinen Anstoß zu geben. Er fand überhaupt kaum ein paar Personen, die ihm halbweg zusagten, und würde je eher je lieber das Schloß verlassen haben, wenn nicht wichtige Gründe, eine wohldurchdachte Absicht ihn zurückgehalten hätten.

Er beobachtete genau das häusliche Verhältniß und Leben seines Bruders und fand es über die Maßen sonderbar und lächerlich eng begrenzt. Der Baron hatte im vierzigsten Jahre ganz zufällig die Bekanntschaft seiner Gattin gemacht und zur unangenehmen Ueberraschung der Familie sich über Hals und Kopf in eine Ehe gestürzt, als es Niemand mehr erwartete. Aller Widerspruch hatte nichts geholfen, selbst nicht der Einwand, daß eine Unebenbürtige und deren mögliche Nachkommenschaft sich in die Majoratsgüter der Familie drängte. Die Rechtsbegriffe der Zeit waren anders geworden, die Klage des Geheimraths wurde in der Stille beseitigt und eine Versöhnung vermittelt, welche äußerlich den Bruch zwar bedeckte, aber einen tiefen Groll bei den Betheiligten zurückließ.

Ganz in der Stille war der Geheimrath bemüht gewesen über das frühere Leben der Fräulein Wiberg Erkundigungen einzuziehen, und was er davon erfahren, hatte ihn endlich in Besitz eines Geheimnisses gesetzt, von dem er sich die vollste sicherste Genugthuung versprach. Er kannte seinen Bruder, dessen Begriffe von Ehre, sein stolzes feuriges Herz und dessen Leidenschaften, und je mehr er sich überzeugte, wie tief und innig die Liebe sei, die den Baron an seine Gattin fessele, um so fester war er überzeugt, daß der Kultus, den er ihr wie einem heiligen, von jedem menschlichen Fehl freien, fast göttlichem Wesen widmete, zerbrochen werden könne, wenn Schaam und Schande ihm die Augen öffneten, und der Tempel unrettbar zusammenstürzen und dessen Göttin erschlagen müsse.

Aber es war schwer diesen Angriff zu wagen. Zwar war der lebendige Beweis in seiner Hand, und zuweilen, wenn Georgine das Kind auf ihrem Schooß hielt, mit ihm spielte und es liebkoste, konnte er den rachsüchtigen Hohn kaum unterdrücken, sich kaum zurückhalten ihr zuzurufen, ob ihr verworfenes Gemüth keine Ahnung habe, wem ihre Schmeichelworte galten. Er that es jedoch nicht, denn er wollte des Erfolges ganz gewiß sein und seinen Bruder darauf vorbereiten, indem er ein paar Tropfen Mißtrauen in sein Herz senkte, und gerade dies Fest im Walde schien ihm gelegen dazu.

Der Baron war heut froher und offener, als je. Er hatte den Geheimrath brüderlich einige Male umfaßt, ihm die Hände gedrückt, mit ihm angestoßen auf die treueste Freundschaft und ihm so warm und innig dabei in's Gesicht geschaut, als wolle er allen alten Hader abbitten und vergüten. Diese milde Stimmung zeigte sich auch bei Allem was er that und befahl. Nie so sehr wie heut ermunterte er Jeden zur Lust und Geselligkeit, zum Genuß und zur Theilnahme. Er scherzte und lachte mit Allen und als das Schießen vorüber war, tanzte er mit den hübschen Bäuerinnen und den Frauen seiner Arbeiter und ermunterte seine Gäste durch sein Beispiel zur allgemeinen Nachfolge, so daß wirklich bei diesem Feste endlich aller Rang- und Standunterschied völlig aufgegeben war und selbst der Geheimrath und seine Gemahlin nicht umhin konnten, sich der Sitte zu fügen. Diese Fügsamkeit erhöhte aber die Freude des Barons nicht wenig. Er klatschte seinem Bruder Beifall zu, brachte ihm neue Tänzerinnen und der Geheimräthin neue Tänzer, bis er endlich laut lachend, seine Verwandten erhitzt und erschöpft hatte.

»Seit langer Zeit habe ich Dich nicht so lieb gehabt, Ottomar,« rief er aus, »wie heut, wo Du den Nimbus Deiner Hoheit abgestreift hast und als Mensch unter Menschen wandelst.«

»Und zwar im Schweiße meines Angesichts,« fügte der Geheimrath lächelnd hinzu, indem er seine Stirn trocknete.

»So etwas thut wohl auf Jahr und Tag,« sagte der Baron. »Wenn Du wieder hinter Deinen Akten sitzest, dann erst wird die Erinnerung an die flinken Tänzerinnen von Breitenstein Dich sehnsüchtig machen.«

»Sehr möglich, aber wo sind denn die Damen?« fragte der Geheimrath.

»Georgine ist mit ihrer Schwester nach Hause gefahren, sie befindet sich nicht recht wohl und hat überdies allerlei zu ordnen.«

Er nahm den Bruder unter den Arm und ging mit ihm, lebhaft sprechend, hin und her. Mehrere gesellten sich zu ihnen, man rühmte die Schützen und ihre Fertigkeit, rühmte den Sinn des Gutsherrn, der überall darauf gerichtet sei, Freude und Liebe zu erwecken, und behauptete scherzend, er bilde sich eine Kriegsmacht, die zu jeder Zeit bereit sei, für ihn zum Schwert zu greifen und ihn mit Gut und Blut zu vertheidigen.

»Dessen bedarf es nicht,« rief der Baron dazwischen. »Meine und meines Hauses Ehre werden auch ohne Bajonette stets streng bewahrt werden.«

Nach einiger Zeit sah man ihn mit seinem Bruder an den Schießständen hinabgehen, beide im lebhaften Gespräch begriffen. Die Sonne schien schön und goldig und von der Höhe des Landes war die Gegend weit zu überblicken. Der Baron erzählte von seinen Entwürfen für die Zukunft, wie er darauf bedacht sei, alle seine Unternehmungen zu vervollständigen, seine Galmei- und Eisengruben in großartiger Weise auszudehnen und mit neuen Industriezweigen Arbeit und Segen zu vermehren.

»Ich bewundere Deinen Geschäftssinn,« sagte der Geheimrath, »man sollte kaum glauben, daß Du, der einer alten reichen Landesfamilie entsprossen ist und deren Güter in Besitz hast, so viel kaufmännischen Trieb in Dir trägst.«

»Ich mag nicht zu der Zahl der trägen Landjunker gehören,« erwiederte der Baron, »die gerade wie ihre Vorfahren seit ein paar hundert Jahren auf ihrem Erbe sitzen, es verschulden und verprassen, oder wenn sie es weit bringen, den Ruf eines guten Landwirthes davon tragen. Kühe melken und Korn schneiden ist keine große Sache, aber der Kultur der Zeit zu folgen, die Erfindungen und Erfahrungen in sich aufzunehmen, hinauszugreifen über die Erdscholle, die uns gehört, in das lebensvolle Weltgetriebe und die Subsistenzmittel vermehren helfen für sich sowohl, wie für die große Zahl der Mitmenschen, welche auf Einsicht und Theilnahme derjenigen gewiesen sind, die das Schicksal mit Geld und Gut oder mit Talent und Kraft ausrüstete, das ist eine schöne Aufgabe, Ottomar, die wohl werth ist, für ihre Lösung mitzuwirken.«

»Und dabei,« sagte der Geheimrath, »wird man Knecht und Sklave dieser Kultur. Was hast Du davon gehabt als saure Tage und trübe Stunden!«

»Daran hat es freilich nicht gefehlt,« lächelte der Gutsherr, »denn je mehr wir uns mit dem Leben herumschlagen und aus der Diogenestonne kriechen, um so mehr fühlen wir auch den Widerstand seiner Stacheln. Aber ich will Dir nicht aufzählen, was ich dagegen auch Gutes erfuhr, wie es wohlthut, Hunderten von Menschen Arbeit und Lebensglück zu schaffen, welch Gefühl mich überkommt, wenn ich auf die wachsende Zahl der Häuschen dort unten am Bache sehe, wo zufriedene Familien leben, die ohne mich Bettler und Vagabunden wären.«

»Werden sie es Dir wirklich immer danken, daß Du ihnen einen Theil Deines besten Ackers gabst und das Eigenthum Deiner Familie schmälertest?« fragte der Geheimrath.

»O gewiß!« erwiederte der Baron erregt, »aber wenn es selbst nicht der Fall wäre, der Dank kommt weniger von ihnen als aus meiner eigenen Brust. Ich habe diesen Leuten zu einer Selbstständigkeit verholfen, habe das Gefühl von Menschenwürde und Recht in ihnen erweckt, habe sie aus dem Schmutze der Laster erhoben, den Armuth und Erniedrigung ihnen aufprägten, und sie zu sittlichen, denkenden Wesen gemacht, die ihren Werth zu empfinden beginnen.«

»Aber bedenkst Du nicht,« fiel der Geheimrath ein, »daß Dein Treiben an andern Orten keineswegs mit Gleichgiltigkeit betrachtet werden kann? Man hat mir schon in der Hauptstadt davon erzählt, selbst der Minister wußte davon und ersuchte mich, Dich vor allen utopischen Ideen zu warnen, die ganz gegen die Absicht des Staates gerichtet sind und mit Mißfallen betrachtet werden. Laß das Volk in seinen Kreisen, laß es arbeiten und sich plagen, wir können das nicht ändern und es ist daran gewöhnt. Will man es, wie es gewöhnlich heißt, erheben, will man es auf eine denkende Stufe stellen, es zu viel lernen lassen, ihm die sogenannte Selbsterkenntniß und Menschenwürde beibringen, so erzeugt man nur Unglück, Unzufriedenheit, Aufregung und wird der Schöpfer schrecklicher Verwirrung und Leiden.«

»Es kommt darauf an,« versetzte der Baron, der ungeduldig zugehört hatte, »wie man die Aufklärung des Volkes bewirken will. Mit unfruchtbarem Gerede, leeren Gesetzen, Maßregeln und hohlen Theorien ist freilich nichts gethan; werdet praktisch wie ich es bin, so wird es schon fruchten. Die paar hundert Morgen Land, welche ich meinen Arbeitern als freies Eigenthum geschenkt habe, sind mir längst doppelt ersetzt worden durch ihren Fleiß und ihre Thätigkeit. Als ich meine Fabriken anlegte und meinen Arbeitern Gesetze gab, Sparkassen, Leihkassen, Pensionskassen errichtete, da schrie alle Welt dagegen und prophezeihte mir Böses. Die Arbeiter selbst waren unzufrieden, viele gingen trotzig davon, aber nach wenigen Jahren änderte sich Alles. Fleiß und Ordnung kehrten wie von selbst ein, die Menschen lernten, was ihnen gut that, sie standen ihrem Gemeinwesen selbstständig vor, duldeten keinen Kameraden, der faul und nachlässig war, und wie sie ihren Wohlstand sich mehren sahen, wie ich ihnen einen Antheil am Gewinne der Fabriken überwies, da arbeiteten sie mit Liebe und treuer Hingebung, denn sie arbeiteten auch für sich. Ich hatte ihnen das Glück der Zukunft geöffnet, sie zu meinen Theilnehmern gemacht, und ich habe es nie bereut. Ich habe vortreffliche Geschäfte vollführt, meine Kapitalien verdoppelt, und eben jetzt bin ich im Begriff mit einigen großen englischen Unternehmern in Verbindung zu treten, um die Produkte meiner Galmeigruben und Zinkwalzwerke bis nach Indien zu vertreiben.«

»Ich fürchte,« sagte der Geheimrath, »Du machst es wie alle Speculanten. Du verlässest den festen sichern Boden und jagst ungewissen Wechselfällen nach, die eben so wohl gut einschlagen wie übel enden können.«

»Allerdings muß dabei gewagt und bedeutende Summen müssen auf's Spiel gestellt werden,« erwiederte der Gutsherr.

»Und wenn sie verloren gehen, Franz!«

»Sie werden nicht verloren gehen, Ottomar.«

»Wenn sie aber verloren gehen,« wiederholte der Geheimrath mit einem strengen Blicke, so ist der Schaden ein Dich nicht allein treffender. Du darfst es mir nicht übel nehmen,« fuhr er fort, »wenn ich Dich warne. Deine Güter sind Familiengüter, und wird die Familie, wird der, welcher nach Dir sie erbt, mit dem zufrieden sein, was Du thust? Wird er im besten Falle eben so der industriellen Speculation nachjagen? Wird er mit diesen Fabriken, diesem Arbeiterwesen oder Unwesen, dieser Verschleuderung des Eigenthums, diesen so unsicher angelegten Kapitalien zufrieden sein? Dein Besitz ist Depositorium, daran scheinst Du nicht zu denken. Du machst ihn flüssig, verwandelst ihn, greifst in seine Stabilität und kannst dabei leicht für mehr als eine nachfolgende Generation den schweren Vorwurf auf Dich laden, daß Du ihr Vermögen verschuldet und in zerrüttenden Fantasieen vergeudet hast.«

Der Baron hatte geschwiegen so lange sein Bruder sprach; trotz seiner lebhaften Sinnesart war er ruhig geblieben. Jetzt röthete eine gewisse Verlegenheit seine Stirn und mit leiser Stimme sagte er:

»Ich verstehe was Du meinst, und wenn ich Dir auch in Deinen Schlüssen nicht recht gebe, so ist es doch wahr, daß Alles, was ich that, mit meinem erlöschenden Leben über mein Grab zusammenstürzen würde, wenn mein Erbe nicht, in meinem Sinne erzogen und gebildet, mein Werk liebte und weiter führte. Was hilft das Streiten, Ottomar, ja, ich will eingestehen, daß Du dann Recht hättest, aber es wird nicht so sein, ich werde dafür Sorge tragen.«

»Lieber Bruder,« fiel der Geheimrath lächelnd ein, »nur Eines will ich dabei bevorworten: Meine Kinder bekömmst Du nicht zur Erziehung und Bildung nach Deinem Sinne, dies muß ich auf's bestimmteste aussprechen.«

Ein Zürnen, von einem freudigen Gefühle verdrängt, lief über des Barons Gesicht und glänzte in seinen Blicken.

»Wenn ich nicht so glücklich wäre,« rief er aus, »könnte mich Dein Wort beleidigen. Aber so soll es nicht sein mit uns, besonders in diesem Augenblicke nicht. Nicht Deine Kinder, Ottomar, sondern meine eigenen denke ich mir zu erziehen. Georgine –«

Er hielt inne, denn das Gesicht seines Bruders war plötzlich bleich geworden, er stand vor ihm wie erstarrt und in seinen düstern Augen preßte sich ein verzehrender Grimm und Schmerz zusammen.

»Ottomar,« sagte der Baron, zärtlich seine Hand ergreifend, »was mich zum größten Glücke erhebt, kann Dich nicht mit Groll und Zorn erfüllen. Ich ehre menschliche Schwächen, ich ehre auch Deine plötzliche Ueberraschung vor dem Gedanken, daß Deine Kinder einer Erbschaft verlustig gehen können, die ihnen gesichert schien. Wir alle sind Wesen der Zeit, unterthan dem Schicksalswalten, das oft über unserm Willen schwebt und unsere sichersten Rechnungen plötzlich durchkreuzt. Wer weiß, wie sich Alles fügt und schickt, nur das glaube mir, daß ich immer Deine Kinder wie die meinen betrachten werde.«

Eine dunkle Röthe trat auf das blasse Gesicht des Geheimraths.

»Du bist sehr gütig,« erwiederte er, so ruhig er konnte, – »sehr gütig und ich – ich weiß sehr wohl, daß es Thorheit wäre zu zürnen oder Groll zu hegen. Nichts natürlicher, als daß Du Kinder und Erben zu haben wünschest, darum nimm meinen Glückwunsch, mögen sich alle Deine Erwartungen erfüllen. Du hast nach Deiner Wahl geheirathet, als es Niemand mehr erwartete, so wirst Du auch Vater nach Jahren erst – ein wenig spät – aber Du bist ein vom Schicksal in allen Dingen so begünstigter Mensch, daß es nicht auffallen wird.«

»Ich bin noch nicht drei Jahre verheirathet,« sagte der Baron ernst.

»Und wer würde dies Glück auch nicht Deiner Frau gönnen,« fuhr der Geheimrath fort. »Die Tugend wird nicht immer also belohnt, Sittsamkeit nicht stets so anerkannt und angebetet. Du hast Dich über die gewöhnlichen Forderungen der Gesellschaft hinweggesetzt, von einem Gefühle getragen, das man heiße Leidenschaft nennt, so wirst Du auch jetzt dieser Leidenschaft gehorchen und nur ihre Sprache verstehen.«

»Ich verstehe Dich nicht,« versetzte der Baron, die Stirn faltend, – »ich will Dich nicht verstehen,« fügte er mit gehobener Stimme hinzu. »Sage gegen mich, was Dir beliebt, aber verschone meine Frau mit Bemerkungen, die ich nur mit Unwillen hören kann. Du bist ungerecht, Ottomar,« rief er dann versöhnlich gestimmt, »laß uns zurückkehren, morgen wirst Du billiger denken.«

»Ich werde morgen wie heute denken,« erwiederte der Geheimrath, »und wer weiß« – er hielt seinen Schritt an und ergriff die Hand seines Bruders – »ehe wir gehen, höre nur ein Wort noch zur Verständigung: Du bürdest mir Haß und Abneigung gegen Deine Frau auf, und ich will nicht läugnen, daß ich nicht freundlich gegen sie gesinnt war. Keineswegs jedoch entsprang dies aus meinem Hochmuthe und ihrer Armuth oder der Ungleichheit der Stände. Ich sah Dich von der heftigsten Leidenschaft befangen, Du prüftest nicht, Du fragtest nicht, Du wußtest nicht das Geringste von dem früheren Leben Deiner Erwählten, Du sprangst, wie es mir schien, in ein Netz, das man für Dich geschickt gewoben hatte, das empörte mich.«

»Aber wie lange mußt Du von diesen Besorgnissen geheilt sein,« rief der Baron.

»Vielleicht!« sagte der Geheimrath mit Nachdruck; »doch bei mir zerstören sich Besorgnisse nicht so leicht. Jetzt laß uns gehen.«

Der Baron schwieg, er war auf's Tiefste verstimmt und heftig gegen seinen Bruder erregt. Gern hätte er ihm einige abwehrende Worte gesagt, aber er bezwang sich, weil er zu stolz war, mit einer Silbe Georginen und seine Liebe zu vertheidigen, und weil er bedachte, wie wenig dies nützen und ändern konnte. Er schob die reizbare Gehässigkeit, die in den Antworten seines Bruders lag, auf dessen Ueberraschung und Aerger; so wendete sich sein Herz um so zärtlicher zu seiner Gattin; dennoch aber empfand er eine unmuthige Regung. Der erste Gifttropfen hatte immerhin seine Wirkung nicht ganz verfehlt.

Als die beiden Herren zur Gesellschaft zurückkehrten, kam die Baronin und ihre jüngere Schwester in Begleitung des Forstmeisters ihnen fröhlich entgegen. Die Damen hatten sich in Pelze gehüllt, der rothe Glanz des Abends fiel auf die schwebend leichten Gestalten und brannte wie Heiligenschein über dem schönen liebevollen Gesichte Georginens, die ihre Arme dem nahenden Gatten entgegenbreitete.

Ein inniges, wohlthuendes Gefühl ergriff den Baron. Aller Aerger war vergessen. Er lief der, die er mehr liebte, als Alles auf Erden, mit der Hast eines Jünglings entgegen, und schloß sie so feurig in seine Arme, als sähe er sie nach langer Trennung wieder.

»Ich sollte schelten,« sagte er dann, »daß Du wiedergekehrt bist in Abendluft und steigender Kälte, und doch vermag ich es nicht.«

»Ich habe mich tüchtig eingehüllt und meine Geschäfte im Hausverwaltungswesen sind abgethan,« erwiederte sie; »zudem aber bringe ich Dir eine Botschaft. Im Gasthofe unten ist ein Herr eingetroffen, ein Fremder, der, wie die Leute sagen, Geschäfte bei Dir hat, aber erst morgen Dich aufsuchen wollte. Da ich seine Anwesenheit erfuhr, ließ ich ihn einladen, zu uns in den Wald zu kommen und an dem Winterfeste Theil zu nehmen.«

Der Baron war damit einverstanden und sagte traulich:

»So ist es recht, mein Schatz, lade ein, wer in unsere Nähe kommt; ich wünsche nur, daß es ein recht fröhlicher stattlicher Gast sein mag, der unsern Kreis und dessen Lust vermehrt.«

»Langenberg muß es wissen, er ist unser Abgesandter gewesen,« fiel Fräulein Sophie ein, »aber er macht eine fürchterliche Beschreibung von der Häßlichkeit des Menschen.«

»Langenberg handelt wahrscheinlich eigennützig,« lachte der Gutsbesitzer mit einem bezeichnenden Winke. »Man hat es nicht gern, wenn Damen, denen man seine Dienste widmet, neugierig nach dem Aussehen eines Fremden fragen.«

Der Forstmeister nickte ihm Beifall und ließ sein Auge schalkhaft über seine Begleiterin streifen.

»Allerdings,« sagte er, »man bekommt einen Stich in's Herz, glücklicher Weise ist es aber wirklich ein Rival, der nicht viel zu fürchten ist. In einen Bärenpelz eingewickelt und seine Kappe von Biber oder Otter über beide Ohren gezogen, dazu ein Gesicht blau gefroren und mit Haaren bedeckt nach der neuesten Mode, sah er eher wie ein reisender Polarwolf aus, denn wie ein menschliches Wesen.«

»Und er weiß nicht einmal, ob er alt oder jung ist,« fügte das Fräulein hinzu.

»Davon werden Sie sich bald überzeugen,« erwiederte Langenberg. »Er nahm meine Einladung an, und dort zwischen den Tannen erblicke ich einen Nahenden, der einige Aehnlichkeit: mit ihm haben kann.«

So war es wirklich. Unter den Tannen kam ein Mann gemächlichen Schrittes herbei, der von einem Bauermädchen begleitet war, die von Ferne mit dem Finger auf die Gesellschaft deutete und stehen blieb, während der Fremde rascher vorwärts. schritt. Er war in eine große Wolfsschur gehüllt und hatte eine Pelzmütze so tief in sein Gesicht gedrückt, daß ein unwillkürliches Lächeln auf allen Lippen schwebte, weil man Langenbergs Beschreibung begründet fand.

»Wer hat nun Recht?« fragte der Forstmeister triumphirend seine Nachbarin in's Ohr.

In dem Augenblicke schlug der Fremde den hohen Kragen des Pelzes zurück und nahm höflich grüßend die Mütze ab. Sein langes glänzendes Haar wurde sichtbar, und sein jugendliches männliches Gesicht, von einem schwarzen starken Barte eingefaßt, hob sich vortheilhaft aus der Umhüllung. Der Weg, den man durch den Schnee gebahnt hatte, war so schmal, daß der Baron, der seine Gattin am Arme führte, die vordere Reihe bildete; dicht bei ihm stand sein Bruder, und hinter diesem Fräulein Sophie, den Beschluß machte der Forstmeister.

»Ihre gütige Einladung hat mir erlaubt, mich schon heute Ihnen vorstellen zu dürfen,« sagte der Fremde mit wohlklingender tiefer Stimme.

»Es macht mir Freude, Sie bei mir zu sehen, mein Herr,« sagte der Baron. »Sie wollen mich besuchen? Ich errathe fast, wer Sie sind.«

»Ich heiße Robsen,« sagte der Herr, »und bin Associé meines Oheims Retmolds in London.«

Der Baron fühlte seine Frau zittern und wanken. Er sah in ihr blasses Gesicht und umschloß sie mit beiden Armen.

»Liebe Georgine,« rief er erschrocken, »was fehlt Dir?«

»Es ist nichts,« erwiederte sie mit Anstrengung und leiser Stimme. »Eine plötzliche Anwandlung von Ohnmacht, es dunkelte vor meinen Augen. Es ist nichts, es ist vorüber,« wiederholte sie, »ich habe heute morgen schon einmal diese Empfindung gehabt.«

»Du mußt nach Hause, mein Kind,« rief der Baron besorgt. »Herr Robsen, es thut mir leid, Sie mit einer Anklage empfangen zu müssen, allein Sie tragen ganz ohne Zweifel die Schuld dieses Unfalls.«

»Ich, Herr Baron?« fragte der Fremde.

»Ja Sie, mein Herr,« fuhr der Gutsherr scherzend fort, »Sie allein. Meine Frau kam selbst mir Ihre Ankunft zu melden, und ohne Zweifel ist ihr das übel bekommen. Indeß, ich hoffe, es hat wenig auf sich, also heiße ich Sie freundlich willkommen.«

Er reichte dem Fremden die Hand und stellte ihn vor.

»Herr Robsen,« sagte er, »der Neffe und Compagnon eines rühmlichst bekannten Handelsherrn in London, der schon seit einiger Zeit mir einen Generalagenten zur Abschließung unserer Geschäftsverbindung senden wollte. Ohne zu wissen, wer dies sein werde, habe ich jedoch schon seit einigen Wochen Ihre Ankunft erwartet.«

»Ich bitte um Entschuldigung,« erwiederte der Agent, »dringende Geschäfte in der Hauptstadt haben meine Ankunft verzögert.«

»Nun, wir haben Zeit,« sagte der Baron. »Herr Robsen, ich stelle Ihnen meinen Bruder vor, auch meinen Freund, den Forstmeister Langenberg, und dort meine Schwägerin Sophie.«

Robsen machte jedem eine Verbeugung, und heftete dann seine Augen auf die junge Dame, welche am Arme des Forstmeisters stolz und kalt vor ihm stand, ohne seine Höflichkeit anders als mit einem kaum merklichen Neigen des Kopfes zu erwiedern. Ein feindliches Zürnen schien aus der kleinen Falte auf ihrer Stirn zu drohen, und ihre Blicke musterten mit unverkennbarer gleichgültiger Starrheit oder Verachtung den jungen Herrn, der den Blick über sie hinfliegen ließ.

»Ihnen, Herr Geheimrath,« sagte er dann, sich wieder höflich zu diesem wendend, »sollte ich wohl schon irgendwo begegnet sein, und die Ehre Ihrer Bekanntschaft beanspruchen können?«

»Ich weiß mich nicht zu erinnern,« erwiederte der Angeredete.

Robsen verbeugte sich und die Gesellschaft trat den Rückweg vereint an. Der Baron war sehr besorgt um seine Gattin und ganz mit ihr beschäftigt; Fräulein Sophie hing sich an den Arm des Forstmeisters, der heimlich viel mit ihr sprach und lachte; der Geheimrath war somit der Einzige, der sich mit dem Agenten beschäftigte, sich von ihm über Handelsverhältnisse und englische Zustände erzählen ließ, und von Zeit zu Zeit scharfe prüfende Blicke auf seine Umgebungen warf.


V.

Spät Abends, als der Geheimrath mit seiner Gemahlin allein war, entwickelte sich sein ganzer Unmuth. Die Freundlichkeit und Ruhe, welche er so lange gewaltsam erheuchelt, verschwand mit einem Male. Er warf sich in einen Stuhl; sein Gesicht nahm den finstersten Ausdruck an. Mit leiser Stimme erzählte er die Eröffnungen, welche ihm sein Bruder gemacht hatte, und mit jedem seiner Worte verdunkelten sich die Mienen der stolzen Frau, bis sie endlich in einem Lachen der Wuth und des Schmerzes Erleichterung suchte.

»Die Elende!« rief sie,. »O! die Heuchlerin, also auch das noch; darum also diese Freundlichkeit, diese hinreißende Güte, diese Versicherungen ewiger Liebe und Freundschaft. Sie deutete mir ihr Geheimniß an, wollte mir etwas vertrauen und schwieg dann wieder. Die Bettlerin fühlte ihr Gewissen schlagen. Will man Dich und Deine Kinder so aus dem väterlichen Eigenthume treiben, Ottomar? Unerhört! Nichtswürdig! es darf nicht geschehen.«

»Ruhig, Liebe, es wird nicht geschehen,« sagte der Geheimrath.

»Tritt morgen mit dem Kinde vor sie hin,« fuhr sie heftig fort, »entlarve die Betrügerin, zeige Deinem Bruder, wie sie ihn schändete und vielleicht abermals geschändet hat, denn wer einmal so ehrlos war, der –«

»Still!« flüsterte ihr Mann, »glaube mir, ich werde sie nicht schonen, aber ich will sicher gehen und muß alle Fäden in meiner Hand haben, alle,« sprach er weiter, »auch diesen Agenten, diesen Robsen, den der Satan selbst, wie es mir Anfangs schien, hier in meinen Weg warf, der aber zu unserer Hülfe von Gott gesandt worden.«

Sie sah ihn fragend an und leise fuhr er fort

»Dieser Mensch ist derselbe, der mich mit dem Kinde eine Strecke lang fuhr, als ich es glücklich erhandelt hatte. Er hat mich nicht erkannt und wie könnte er das auch! Aber hast Du nicht bemerkt, wie seltsam das Benehmen der beiden Schwestern gegen ihn war? Die tugendhafte Georgine fiel fast in Ohnmacht als sie ihn zuerst erblickte; die kleine geschwätzige Närrin, Sophie, maß ihn vom Kopf bis zum Wirbel mit den Blicken einer Klapperschlange. Den ganzen Abend über habe ich sie dann beobachtet. Georginens wechselnde Farbe, die Unruhe, welche sie nicht bemeistern konnte, ihre rothen angstvollen Augen, ihre inneren Qualen, die mit allen Schrecken sich ihren Mienen aufprägten; und neben ihr das zornrothe Gesicht Sophiens, das mit Verachtung und unverkennbarem Hasse den Fremden anblitzte.«

»Himmel!« rief die Dame, »Du hast Recht, Ottomar, es herrschte eine allgemeine Verstimmung. Aber dieser Mensch, wer kann er sein?«

Der Geheimrath neigte sich zu ihr und sagte mit leiser, aber fester Stimme: »Wenn mich nicht Alles täuscht, so ist er der Vater des Kindes.«

Sie prallte überrascht zurück, und beide blickten sich einige Sekunden starr an.

»Sein Vater?« flüsterte sie dann und mit freudestrahlendem Gesichte setzte sie hinzu: »Wenn es so wäre – wenn man das enthüllte – dieser Mensch hier im Schlosse– woher glaubst Du es, Ottomar?«

»Ich habe eine Ahnung, die sich auf Beobachtung und Menschenkenntniß gründet,« erwiederte er ruhig. »Jetzt erst bin ich vollkommen überzeugt, daß auch Sophie um die Verirrung ihrer Schwester weiß. Georgine ist in Entsetzen und Angst über die Gegenwart ihres Verführers; Sophie haßt und verachtet ihn mit schwesterlichem Grimme. Der Elende selbst betrachtete die Eine mit bittenden kummervollen Blicken, den Zorn der Anderen läßt er still über sich ergehen; aber es besteht ein Einverständniß zwischen ihnen. So stumm ihre Sprache ist, so beredt ist sie doch; ein gemeinsames Geheimniß schlingt sein Band um sie; dies zu lösen und klar zu sehen soll meine Aufgabe für morgen sein.«

 

Der Geheimrath erwachte spät. Er hatte die halbe Nacht über seine Pläne ausgesponnen und nicht einschlafen können. Als das Frühstück gebracht wurde, hörte er, daß der Baron längst mit dem Agenten zu Pferde gestiegen sei, um das Hüttenwerk zu besuchen. Die Baronin sei unwohl in ihrem Zimmer, um ihre Schwester kümmerte er sich nicht, so setzte er sich, um Briefe zu schreiben, eine Arbeit, welche ihn mehrere Stunden beschäftigte.

Endlich blickte er durch's Fenster, wo die Wintersonne den Park beschien und plötzlich stand er auf, denn dort am Ende der Terrasse, die vom Schnee gereiniget war, sah er zu seinem großen Mißfallen das Kind auf dem Arme der Wärterin vor Robsen stehen, der mit ihm sprach und scherzte. Das Lachen des Kindes und die lauten Worte Robsens schallten zu ihm her; eilig warf er den Leibpelz um und stieg dann rasch die Treppe hinunter, um wo möglich eine Trennung der Beiden zu bewirken.

Er kam zur rechten Zeit, denn der Agent schien in der That ein Verhör mit der Wärterin angestellt zu haben, zudem hatte er das Kind auf seinen Arm genommen, das jauchzend sich emporhob und mit seinen Händchen in den Bart des Fremden faßte.

»Sie sind ein Kinderfreund, wie es scheint, Herr Robsen,« rief der Geheimrath ihm von weitem zu.

»Recht sehr,« erwiederte jener, »wenn die Kinder so schön und zierlich sind, wie dies Püppchen.«

»Es ist ein übermüthiges Ding,« fuhr der Geheimrath fort. »Nimm es zurück, Mädchen.«

Karoline that wie ihr geheißen, aber die Kleine hielt sich fest und zeigte dieselbe Zärtlichkeit für ihren Freund, wie bei ihrer ersten Bekanntschaft.

»Es ist, wie ich höre, Ihr Pflegekind?« sagte Robsen.

»Die Tochter eines verstorbenen Freundes.«

»Sie erinnert mich merkwürdiger Weise an ein kleines Abenteuer, das ich vor einigen Wochen irgendwo hatte. Ein Mann trug spät Abends ein bitterlich weinendes Sind über die Straße –«

»Nimm das Kind und geh,« fiel der Geheimrath in schärferem Tone ein, »und Du sei still, schweig den Augenblick und – still!«

Verwundert starrte Robsen den zürnenden Mann an, dem dies nicht entging. Das Kind verstummte vor der Drohung, seine Händchen ließen los, die Wärterin trug es fort.

»Was wollten Sie erzählen?« fragte der Geheimrath verbindlich.

»O! es ist nichts, ein unbedeutender Vorfall; ein Kind, das diesem ähnlich sah, aber es war ein Knabe, ein armes unglückliches Kind, das, in den Händen eines rohen Menschen, von mir einige Minuten beschützt wurde und ganz so sich mir anschmiegte, wie dies kleine glücklichere Wesen. Ich hatte es vergessen und wurde jetzt lebhaft daran erinnert.«

»Die Hauptstadt ist reich an solchen Beispielen der Rohheit,« erwiederte der Geheimrath.

»Ja, es war wirklich in der Hauptstadt,« versetzte der Agent, und er warf einen neuen prüfenden Blick auf seinen Begleiter, der langsam neben ihm herging.

»Sie besuchen unser Land nicht zum ersten Male?« fragte Herr von Solis.

»Woher glauben Sie das?«

»Sie sprechen vortrefflich Deutsch.«

»Ich bin in Deutschland geboren, hatte eine deutsche Mutter und habe den größten Theil meines Lebens unter Deutschen gelebt.«

»Mein Bruder sagte mir, daß Sie vor drei Jahren auf längere Zeit auch in unserer Hauptstadt wohnten.«

»Ihr Herr Bruder sagte das?« fragte Robsen überrascht. »Allerdings, er hat Recht, ich hielt mich ein Jahr lang dort auf, um chemische und technologische Studien zu vervollständigen, bis mich mein Oheim zurückrief.«

So ist es möglich, daß ich Sie damals in Familienkreisen oder vielleicht bei Ihrem Gesandten gesehen habe.«

»Möglich allerdings, allein ich möchte es bezweifeln, denn ich lebte sehr eingezogen, alle Gesellschaft vermeidend.«

»In Ihrem Alter ein Eremit?« fiel der Geheimrath lachend ein, »das ist wunderbar.«

»Ich trieb meine Studien mit Fleiß.«

»So,« sagte der Fragende mit ironischem Lächeln, »dann dürfen wir hoffen, daß diese auch fruchtbar waren.«

»Mein Oheim rief mich zurück, und in den Geschäften des Hauses auf Reisen, die mich weit durch die Welt brachten, habe ich, wie ich denke, einige Proben meines Wissens abgeben können,« erwiederte Robsen.

Die Uhr im Schlosse schlug zwölf, und mit kalter Höflichkeit zog der junge Mann seinen Hut, begrüßte den Geheimrath und entfernte sich.

»Wollen Sie nicht einen Spaziergang mit mir machen?« rief dieser ihm nach.

»Ich habe Geschäfte,« sagte Robsen, »und muß um Entschuldigung bitten.«

»Herr Robsen,« begann der Zurückbleibende noch einmal, aber der Agent sprang die Stufen hinab, er hatte nicht die geringste Lust auf den Ruf zu hören.

Der Geheimrath ging ihm langsam nach.

»Narr,« murmelte er vor sich hin, »kann er Mißtrauen gefaßt haben? Einerlei, ich weiß genug, um meine Schlüsse zu rechtfertigen.«

Plötzlich blieb er stehen und bückte sich; Robsen hatte einen Handschuh verloren, und als der Finder ihn am Finger aufhob, fiel ein schmaler Papierstreifen heraus. Mit einem Blicke erkannte der Geheimrath fünf mit Bleistift geschriebene Worte und die Handschrift derjenigen, von der sie kamen. –

»Um zwölf Uhr im Gartensaal,« murmelte er, »na so, das sind also die Geschäfte.«

Er ließ den Handschuh wieder fallen, ging zurück und trat in den anstoßenden Gartensaal, eben als Robsen bestürzt von der andern Seite wiederkehrte, suchend umherblickte, seinen Handschuh entdeckte, den Zettel daraus hervorzog und in Stücke riß, dann aber ebenfalls in den Anbau trat, welcher Gartensaal genannt wurde, und horchend, forschend still stand, als er sich allein sah.

Der Saal war ein schöner, mit Blumen, Epheu und Immergrün geschmückter Raum, zu dessen beiden Seiten Treibhäuser sich fortsetzten. Hohe Orangen- und Granatenbäume bildeten eine Doppelreihe und beschatteten mit ihren glänzenden Kronen Wandnischen, in denen die Blumengöttinnen aus Marmor gehauen, von ihren farbigen Schützlingen umringt, herabsahen.

Hierher wandte sich Robsen und plötzlich hörte er eine Thür öffnen. Leise Schritte waren vom Rauschen eines Gewandes begleitet, die Röthe der Erwartung bedeckte sein Gesicht, und zitternd streckte er seine Hand aus, als Georgine jetzt in den Saal trat.

»Meine theure, theure Freundin,« rief er aus, indem er ihr entgegeneilte, »endlich sehe ich Sie allein und kann meinen Empfindungen Worte geben.«

»Bleiben Sie stehen,« sagte sie rasch und leise, »nähern Sie sich nicht weiter. Setzen Sie sich dort, ich hier, der Tisch zwischen uns.« –

Sie deutete auf einen der weidengeflochtenen Gartenstühle; Robsen folgte dem Geheiße; er war in großer Aufregung.

»Hören Sie mich ruhig an,« sagte die Baronin. »Ich will glauben, daß absichtslos die Macht des Zufalls Sie zu uns geführt hat, nachdem tiefe Wunden geschlossen sind, die Ihr Erscheinen wieder aufreißt. Ich klage Sie nicht an, Robsen, wir wollen vergessen, auf immer vergessen, was vergessen sein muß. Nur eine Bitte habe ich und diese ist die Ursache, weshalb ich Sie sprechen wollte: Stören Sie unseren Frieden nicht, eilen Sie so schnell Sie können fort von hier, senden Sie einen Andern an Ihrer Stelle; ich hoffe, daß dies Wiedersehen und seine Qualen Ihnen denselben Wunsch einflößen muß.«

»Dies Wiedersehen und seine Qualen?!« rief Robsen. »Verwerfen Sie mich nicht, ohne mich gehört zu haben.«

»Wer so treulos handelte, so verrätherisch nach tausend heiligen Schwüren,« erwiederte sie ruhig und stolz, »wer Jahre vergehen ließ, bis endlich das Schicksal ihn in die Nähe der Verrathenen führt, der kann wenig für sich zu sagen haben.«

»Sie urtheilen hart,« fiel er ein. »Als ich von Ihnen schied, mußte ich einem gemessenen Befehle folgen. Mein Oheim verlangte mich ohne die geringste Zögerung und mein einziger Trost war der, bald zurückzukehren. Statt dessen ward ich nach Westindien geschickt und volle zwei Jahre blieb ich unter den fernen Himmelsstrichen. Mehrmals schrieb ich an Sie und erhielt keine Antwort, endlich gab ich einem Freunde Aufträge, Sie selbst aufzusuchen; nach Monaten empfing ich die Nachricht, Niemand wisse etwas von Ihnen. So kehrte ich nach England zurück und wenn Sie wüßten, mit welcher Sehnsucht, mit welchen Hoffnungen ich den Auftrag ausführte, der mich in Ihre Nähe bringen sollte. Kaum war ich in der Hauptstadt, so begann ich meine Nachforschungen und endlich war ich so glücklich, Ihre Spur zu entdecken. Ich wußte, daß ich Sie hier finden würde, und nahm es für ein Zeichen des Himmels, der meine Sache Begünstigte, daß er so unerwartet mich zu Ihnen führte.«

»Und mit welchen Vorsätzen kamen Sie, Robsen?« fragte die Baronin.

»Können Sie fragen?« rief er mit Leidenschaft. »Ich kam und hätte mich im ersten Augenblicke zu den Füßen der Frau gestürzt, die ich noch immer sehnsüchtig liebe, an die ich nicht aufgehört habe zu denken, wenn Ihr Blick und Ihre Umgebung mich nicht zurückgeschreckt hätten. Georgine, Sie wissen nicht, was ich in dieser peinlichen Lage leide. Ich will Gewißheit haben, ich muß Gewißheit haben! Ich bin frei, bin reich, ich will nicht gehen! Ich beschwöre Sie, hören Sie alle meine Bekenntnisse.«

»Ist das, was Sie sagen, die lautere Wahrheit?« fragte die Baronin freudig ernst.

»Bei allem was heilig ist, ich schwöre es Ihnen!«

»Dann,« erwiederte sie, »sollen Sie nicht gehen. Sie wissen nicht, welche Verzweiflung Sie über uns gebracht haben, welche Nachrichten Ihrer warten. Aber nicht hier,« fuhr sie fort, »hier ist keine Zeit, kein Ort dazu. Gott mag mir verzeihen, wenn ich fehle, aber kommen Sie heut Nacht, um Mitternacht. Der lange Corridor von Ihrem Zimmer aus führt rechts zu mir. Ich will Sie erwarten, doch kommen Sie leise und vorsichtig. Stellen Sie sich fröhlich und unbefangen, wir sind genau beachtet.«

»Der Geheimrath?« sagte Robsen.

»Sie sollen Alles erfahren, jetzt – Still, man kommt! Leben Sie wohl, schweigen Sie.«

Georgine stand geräuschlos auf und entfernte sich durch eine Seitenthür, die in das Treibhaus führte, während von der andern Seite die kräftige Stimme des Forstmeisters hörbar wurde, der nach dem gestrigen Feste heut noch als Gast im Hause verweilte. Robsen konnte Alles hören, was jener sagte, er war nur durch eine Glaswand, die mit einem dichten Blättergeflecht umzogen war, von dem Sprechenden entfernt; ja er konnte durch eine kleine Oeffnung sehen, daß Herr Langenberg eine Dame am Arme führte, in welcher der Lauscher sogleich die Schwester der Baronin erkannte.

»Ist es nicht schön hier?« sagte, das Fräulein. »Alles voll Blumen und Blüthen, draußen Januar und drinnen Mai.«

»Es scheint mir,« erwiederte der Forstmeister, »als sollten Sie lieber April sagen, so veränderliches Wetter ist in den Köpfchen gewisser Leute.«

»Sie wollen uns also heut schon verlassen?« fuhr sie fort, ohne den Angriff zu erwiedern.

»Ich muß in mein einsames Forsthaus zurück, wo keine Blumen blühen.«

»So will ich Ihnen einen ganzen Strauß pflücken,« rief sie lachend.

»Von allen Blumen, die hier blühen, begehre ich nur Eine,« erwiederte Langenberg, indem er ihre Hand ergriff, die in seinen Fingern zuckte. »Nein,« sagte er mit erhöhter Stimme, »ich lasse Sie nicht los. Sie sollen mir Rede stehen, Sophie, ich will wissen, was ich zu erwarten habe. Sie kennen mich genugsam und mit einem Worte: ich liebe Sie und kann es nicht länger verschweigen. Seien Sie mein, Sophie, ich will Sie so glücklich machen, als ich es vermag.«

Diese plötzliche Erklärung schien keine Antwort zu finden. Fräulein Sophie senkte den Kopf, ihre Hand zog sich langsam zurück.

»Soll ich in diesem Schweigen mein Schicksal lesen?« fragte Langenberg bewegt. »Ich bin kein Redner, bin nicht jung und schön, aber ich bin ein ehrlicher Mann, der Ihnen Alles bietet, was er besitzt. Ich habe Sie liebgewonnen, Sophie. Ihre Heiterkeit, Ihre Lebendigkeit, selbst dieser rasche Wechsel Ihrer Empfindungen, Launen möchte ich es nennen, hat mich zu Ihnen gezogen.«

»Und Sie fürchten diese Launen nicht?« fragte sie.

»Nicht im geringsten, sie sind allerliebst.«

»Meine Armuth? ich besitze nichts.«

»Ich verlange kein Geld und Gut,« sagte er stolz.

»Und Sie lieben mich?«

»Aufrichtig und wahr!«

»Nein, mich kann Niemand lieben!« rief sie heftig und mit bitterer Schärfe, »das ist unmöglich, Täuschung, lüge!«

»Und ist das nicht wieder eine Ihrer plötzlichen Launen, liebe theure Sophie,« erwiederte Langenberg, sie umfassend. »Ich liebe Sie, wir Alle lieben Sie, Ihr Schwager –«

»Sie haben mit ihm gesprochen?«

»Die Wahrheit zu gestehen, ja. Ich theilte ihm heut Morgen mit, was mein Herz beklemmte, und fand ein freundliches Gehör. Er rieth mir, mich Ihnen zu erklären.«

»Georgine sagte Ihnen das auch?«

»Ich habe mich Ihrer Schwester noch nicht entdecken können.«

»Sprechen Sie mit ihr,« fiel sie hastig ein, »dem, was sie räth, will ich mich unterwerfen.«

»Nicht dem Spruch Ihres eigenen Herzens, liebe Sophie?« erwiederte er mit leisem Vorwurfe.

»Georgine muß entscheiden,« wiederholte sie. »Sie ist meine zweite Mutter, sie hat mich erzogen, ich verehre sie mehr noch wie ich sie liebe, und ich liebe sie über Alles. Sie sollen mich wahrhaft finden, lieber Langenberg, darum sollen Sie wissen, daß ich auch Sie sehr hochachte, daß ich Sie gern sehe, wenn auch keine heiße Leidenschaft, die man Liebe heißt, sich einmischt.«

Einen Augenblick sah der Forstmeister seine Nachbarin fest und prüfend an, dann küßte er ihre Hand und sagte:

»Ich danke Ihnen für dies Bekenntniß. Eine ruhige, edle, auf Achtung begründete Zuneigung macht glücklicher als liebeheiße Thorheit. Ich bin damit zufrieden, meine geliebte Sophie, und hoffe, daß unsere Zukunft eine heitere und freudige sein soll.«

»Hoffen Sie nicht zu viel,« rief sie mit dem früheren scharfen und spottendem Tone. »Hoffnungen täuschen, Hoffnungen betrügen! Ich kann Sie nicht betrügen, Langenberg, weder Sie noch mich, und ich –«

»Seltsames Mädchen, immer im Streite mit sich selbst,« fiel der Forstmeister entzückt ein. »Ich will mich auch nicht betrügen lassen, Offenheit und Vertrauen soll unser Wahlspruch sein.«

»So sprechen Sie mit Georginen, sagen Sie ihr Alles, sagen Sie ihr diesen Wahlspruch, der auch der meine ist. Doch jetzt verlassen Sie mich. Gehen Sie, ich will allein sein. Ich komme sogleich nach, nur einige Minuten lassen Sie mich.«

Langenberg entfernte sich.

»Daß ich jetzt Ihrem Wunsche folge,« sagte er, ihre Hand loslassend, »soll ein Zeichen meiner Ergebenheit sein.«

Als er hinaus war, saß sie einige Zeit bewegungslos vor sich hinstarrend in dem Sessel. Ihre Hände hatten sich krampfhaft gefaltet, sie athmete schwer und tief, und nach und nach füllten sich ihre Augen mit Thränen, die ihre Blicke verdunkelten. Plötzlich knarrte die Thür in der Glaswand, sie blickte empor, auf der Schwelle stand Robsen.

Wie sie aus dem Stuhle auffuhr, that er einen Schritt ihr näher.

»Hat meine Nähe,« fragte er, »so viel Entsetzliches für Sie, daß Sie mich fliehen können?«

»Mein Herr,« erwiederte sie, mit dem Tuche schnell ihre Augen trocknend, »ich wüßte nichts, was mich bewegen könnte, diese Nähe zu suchen.«

Sie machte ihm eine Verbeugung und wendete sich um.

»Ich habe mit Georginen gesprochen,« erwiederte er. »Bleiben Sie, Sophie, hören Sie mich.«

»Wollen Sie mich zur Gesellschaft begleiten, Herr Robsen?« erwiederte das Fräulein höflich kalt. »Dort sehe ich meinen Schwager, folgen Sie mir. Es ist vortreffliches Reisewetter, herrliche Schlittenbahn, man kann in einem Tage weit von hier sein.«.

Sie setzte ihren Weg fort, schweigend folgte Robsen. Er öffnete ihr die Thür und beide gingen dem Baron entgegen, der sich dem Hause genähert hatte. Als es ganz still im Gartensaale war, stieg der Geheimrath aus der Nische hinter der Flora hervor auf die Gartenbank und wischte den Staub von seinen Kleidern In seinem Gesichte lag ein Triumph, der dann und wann sich auch in abgerissenen Worten äußerte.

»Jetzt ist das Maaß voll,« flüsterte er, »voll zum Ueberlaufen – ich will ihm die Augen öffnen und eine Kur mit ihm beginnen, die ihn heilen soll. – Armer Thor! es wird ihn mitnehmen – ich weiß nicht, wohin seine Leidenschaft ihn führen wird – immerhin, es muß so sein. – Und nun,« sagte er sich aufrichtend, »weiß ich Alles. Diese ehrlose Scheinheilige, die jetzt noch ihrem Buhlen Hoffnungen macht, ihm eine nächtliche Zusammenkunft bewilliget, verdient die härteste Strafe.«

Der Tag ging vorüber und der einzige Unbefangene in dem kleinen Kreise war der Baron, der ein sichtliches Wohlgefallen an Robsen fand, dessen Ansichten zu den seinen paßten und dessen Kenntnisse und Urtheile ihn mit Achtung erfüllten. Nachdem er mit ihm die Gruben und Arbeitsanstalten besichtigt hatte, erklärte der Agent des großen Handelshauses, daß er ermächtigt sei den Vertrag abzuschließen und bedeutende Summen zur Disposition zu stellen. Er sprach von neuen Maschinen und neuen Erfindungen, beschrieb und berechnete deren Erfolge und gab so vielseitige Proben seiner Einsicht, daß der Baron ganz entzückt von ihm und seinem Wesen war.

Beim Mittagsmahle wurden die Gespräche dann fortgesetzt. Der Baron war unermüdlich in Anregung und Ausmalung seiner Pläne, und Robsen vervollständigte diese, indem er die Handelswege schilderte, durch welche die Producte in ferne Welttheile gelangen sollten. Seine eigene Reise bildete dabei die Grundlage, an welche sich manche interessante Mittheilungen über Länder und Völker schlossen, so daß ihm eine allgemeine Aufmerksamkeit zu Theil wurde.

»Sie waren also selbst in Indien?« fragte der Baron.

»Länger als ein Jahr,« war Robsens Antwort, »und wenn ich meinen Aufenthalt in Amerika und meine Reisen in den Tropenländern hinzufüge, bin ich fast drei Mal so lange von der Heimath entfernt gewesen.«

»Drei Jahre also,« rief die Geheimräthin. »In solcher Zeit ändert sich oft Vieles.«

»Man kehrt zurück als ein Fremdling und findet sich vergessen,« sagte Robsen.

»Nicht immer,« fiel der Geheimrath lachend ein, »denn zuweilen wird man um so sehnsüchtiger empfangen und jedenfalls bringt eine Rückkehr nach langer Reise auch manche Ueberraschung mit sich. Denken Sie sich, wenn so ein Reisender zum Beispiel Indien und Amerika durchstreift hat, ohne von seiner jungen Frau ein Wort zu hören, die er daheim lassen mußte, und nun er heimlich leise die Thür öffnet, läuft Kind und Mutter ihm freudig entgegen.«

»Wenn wir solche Ueberraschungen anführen wollen,« sagte die Geheimräthin, »so könnte man den Lichtbildern leicht Nachtstücke entgegenhalten und fragen, was muß der Unselige empfinden, der, von langer Reise zurückgekehrt, die Geliebte als Gattin, vielleicht schon als Mutter in den Armen eines Anderen wiedersieht?«

Prüfende Blicke flogen von den beiden Gatten auf die Baronin und diese lächelte, während ihre klaren Augen mit einem Ausdrucke theilnehmender Sorge und Verwunderung auf Robsen blickten. Fräulein Sophie zerpflückte das kleine Sträußchen neben ihrem Teller, warf Stiele und Blätter ihrem Nachbar, dem Forstmeister, zu, und rief dazu mit ihrer hellen Stimme:

»Als ob das so etwas Sonderliches wäre! Der Trost wird nicht ausbleiben, denn wer überhaupt drei Jahre lang die Geliebte verlassen konnte, der kann sich schwerlich wundern, wenn er vergessen und behandelt wird, wie er es verdient.«

»Alle Welt!« rief der Baron belustigt, »»trete Niemand als heimkehrender Flüchtling vor diese blitzenden Augen, er wird sicherlich erbarmungslos zerpflückt und weggeworfen, wie die armen Blumen da.«

»Mit Blumen ist ein Verräther nie zu vergleichen,« versetzte das Fräulein und mit ihrer gewöhnlichen Lebendigkeit wandte sie sich, zog das Kind an sich, das soeben in's Zimmer gelassen wurde und setzte es auf ihren Schooß. »Sieh Dich um, Antonie,« sagte sie, »Du bist noch jung und kennst die Welt nicht, merke Dir die Verräther, Kind, und fürchte sie, fliehe sie, höre sie nicht. –«

Das Kind saß, als höre es aufmerksam zu, plötzlich blickte es aber Robsen an, der ihn gegenüber saß, und mit einem freudigen Schrei streckte es beide Aermchen nach ihm aus.

»Nun beim Himmel,« lachte der Baron, »wenn eines Kindes Unschuld ein Gottesurtheil ist, so sind Sie von der allgemeinen Anklage, die uns hier getroffen hat, frei gesprochen.«

»Doch wer weiß, ob dies die richtige Deutung ist,« sagte die Geheimräthin scherzhaft drohend, »ob nicht der ärgste Verräther den meisten Eindruck macht, und dies Gottesurtheil eines Kindes eben anzeigt, wer der Gefährlichste unter diesen Angeklagten ist.«

Die Antwort wurde fröhlich aufgenommen und erwiedert. Sophie setzte das Kind nieder und sagte:

»Lauf zu dem, den Du am liebsten hast,« und zur allgemeinen Belustigung lief es zu Robsen, der es aufnahm und sich zärtlich mit ihm beschäftigte.

Man sprach Manches über die Kleine und ihr Schicksal, bis Robsen endlich sagte:

»Wenn dies Kind nicht edle Freunde besäße, die sein Lebensglück behüten, so würde ich gern es als mein eigen betrachten.«

»Wollen Sie es mit auf Reisen nehmen?« fragte die Geheimräthin.

Robsen erröthete.

»Ich denke,« sagte er langsam, »meine Reisen bald für immer zu beenden und mein festes Haus zu begründen.«

»So ist es recht,« fiel der Baron ein, der ihm die Hand über den Tisch reichte. »Sie haben mir Hoffnung gemacht, daß Sie selbst mich bei den großen Bauten unterstützen, die Maschinen aufstellen und ihre vielfachen Kenntnisse zum Gelingen unseres Geschäfts beisteuern wollen. Nichts kann mir erfreulicher sein, lieber Robsen. In dem einen Tage unseres Beisammenseins sind Sie mir werth geworden, mögen Jahre hingehen, ehe Sie scheiden. Darauf lassen Sie uns Alle anstoßen: Treue Freundschaft und glückliches Gedeihen unserer Pläne!«

Die Gläser klangen, Jeder dachte dabei, was er heimlich hoffte.


VI.

Am Abend war der Himmel düster umzogen, denn vom Gebirge hatte sich eine schwarze Wolkenmasse losgewickelt, welche sich tief und schwer auf die Thäler niedersenkte. Feine Schneenadeln wirbelten wie zahllose Diamantsplitter durch die Lüfte; dann fuhr der Wind schnaubend durch Wälder und Felder, und vor ihm her ging der Schneewirbel immer höher und heftiger, bis endlich von der Erde bis zum Firmament Alles ein wildes Treiben war, das die Straßen verschüttete, die Hohlwege füllte und mit dem weißen Staube der Wüste alle Tiefen zudeckte.

Bei solchem Wetter ist es gefährlich zu reisen, denn jeder Schritt ist unsicher und jede Kenntniß des Landes hört auf. Die Landstraße, welche durch die Thäler herauf und bei Breitenstein vorüberführte, war gänzlich leer. Sie schlängelte sich bald über kahle Hügel hin, bald zwischen Waldleisten, die ihr Schutz gewährten, bald stieg sie in Senkungen hinunter, welche schmal und tief zwischen Mergel- und Kalkgeschieben hinführten, an denen wild wucherndes Gesträuch aus der Last des treibenden Schnees hervorblickte. Und nirgends war ein Lichtglanz zu entdecken, der eine Menschenwohnung anzeigte, kein Glockenton durchhallte die Luft, kein Hundegebell. Die Stöße des Sturmes, sein Heulen und Wimmern übertäubten jede andere Wahrnehmung und alle Nähe, alle Ferne war zugedeckt von dem grauen, unheimlichen Nebel, der seinen Eismantel um Lebendes und Todtes hing.

Mitten auf der Straße, wo diese in's Thal hinabstieg, stand ein Mann erschöpft still, der sich durch Schnee und Wind bis hier hinauf gearbeitet hatte. Die feinen Schneenadeln waren ihm bis auf die Haut gedrungen, wie fest er auch den Rock zuknöpfte und den Kragen dicht um den Hals geschlagen hatte. Er war erhitzt und athmete schwer. Sein aufgedunsenes Gesicht sah blau und fleckig aus, und mit einem zornigen Fluche schüttelte er von Hut und Haar und Körper den Schnee ab, der wie eine Rinde ihn überzog. Ein kleiner Tornister hing auf seinen Schultern, in der Hand trug er einen derben Stock, und um seinen Leib hing an einer Schnur eine Korbflasche. Es war der Maler Eberhard.

»Gott verdamm mich!« murmelte er, »das ist ein Wetter; ich hätte besser gethan, in dem Neste da unten zu bleiben. Aber das Geld ist all und ich muß hin zu meinem Wohlthäter, muß ihm Nachricht bringen, muß ihn zwicken und zwacken. Los soll er mich nicht werden, so lange ich es ändern kann.«

Er wendete sich um, sah zurück und dann vorwärts. Der Schnee trieb in seine Augen; er that einen langen Zug aus der Flasche und schrie mit neuem Muthe:

»Immer munter vorwärts, es kann nicht mehr weit sein. Breitenstein, Schloß Breitenstein – Herr Geheimrath, der Maler ist da; haha! wo ist das Kind, Spitzbube! Der Heinrich Bollinger hat Alles erfahren, und hat sich auf den Weg gemacht, es zu suchen. – Es wird eine schöne Erkennungsscene geben, aber ich bin auch da, ich helfe – Geld her! nur Geld her!«

So lief er weiter gegen das Wehen an, doch nach einer Weile ward ihm der Kopf unermeßlich schwer. Er konnte nichts fühlen, ein sonderbarer Schmerz lief durch seine Beine und Adern. Dann kam es ihm vor, als schreite ein dunkler Gegenstand an seiner Seite, den er nicht erkennen konnte, und doch schien ein feuriger Kreis darum zu schweben, aus dem ein blitzartiges Leuchten drang. Einen Augenblick bildete er sich ein, es sei ein Mensch, welcher dicht an ihm hineile; er rief ihn an, dann stand er still und griff danach, doch vergebens. Endlich, als er weiter ging, schien es ihm, als sei es ein Weib in langem weißen Kleide, das an jeder Hand ein Kind führe, und alle wandten die Köpfe nach ihm um und winkten ihm. Er rang mit wachsender schrecklicher Angst.

»Holla!« schrie er, Element, was ist das?« –

Er arbeitete sich aus einer tiefen Schneegrube und lehnte sich auf seinen Stock.

»Es will kein Ende nehmen,« sagte er leise schaudernd, »man muß sich wärmen,« und er trank von Neuem, ehe er weiter ging.

Aber die Gestalten wollten nicht verschwinden, sie gingen mit ihm fort. Mit ihren blassen abgehärmten Gesichtern traten sie dicht neben ihn hin und sahen ihn aus großen starren Augen an.

»Geht doch fort,« sagte er taumelnd, »haha! bringt Ihr mir Weihnachtskuchen? Gut! gebt her! Verdammt sollt Ihr sein und ich mit Euch. Was wollt Ihr? Ich habe nichts. Was hängt Ihr Euch an meine Hände schwer wie Blei, an meine Füße – nichtswürdige Brut, fort! laßt mich los, ich erwürge Euch.«

Sein heiseres »Ha, holla!« scholl in die Nacht hinaus. Es war ihm, als knalle eine Peitsche, als höre er Stimmen in der Ferne, und er versuchte den Fuß aufzuheben, aber eine ungeheure Macht wurzelte diesen fest. Er wollte den Arm zum Kopfe führen, mit dem Stocke um sich schlagen nach den seltsamen Wesen, die überall an ihm klebten, und schweigend, stumm und still ihn niederzogen, doch der Stock wuchs wie ein Baum in den Boden von Eis und er klammerte sich an ihn, ohne sich regen zu können. Der Sturm riß ihm den Hut ab; er hätte ihn gern halten mögen und machte eine letzte erfolglose Anstrengung. Sein Haar flatterte wild um ihn, seine Augen füllten sich mit Schnee, er konnte sie nicht mehr schließen.

»Wo ist die Flasche,« murmelte er, »gebt mir Branntwein, schnell, schnell! um Gotteswillen, Branntwein. Es ist kalt in meinem Kopfe – kalt wie Eis – und mein Herz, laß mein Herz los, es zerreißt – Auguste hilf!« –

Er sprach nicht mehr. – Der Wind umheulte den starren Körper, der im Schnee feststeckend sich auf den Stock lehnte. Ein Schneewall häufte sich um ihn, und düster ragte die schwarze Masse aus dem glänzenden Grunde, der nach einer Stunde hell und heller wurde, denn das Wetter hörte auf und aus den Spalten der Wolken warf der Mond seinen bleichen Glanz.

Endlich knallte wirklich eine Peitsche, Schellenklang ließ sich hören. Ein Schlitten kam vom Berge herunter, vorn saß ein Bauer als Lenker, und auf dem Heusacke zwischen dem Korbgeflecht zwei Menschen tief eingehüllt, die Köpfe mit Tüchern umwickelt. Als sie in den Hohlweg einbiegen wollten, sprangen die Pferde scheu zur Seite und schleuderten den Schlitten fast vom abschüssigen Wege. Eine kreischende Weiberstimme ließ sich hören, und während ihr Begleiter sie zu beruhigen suchte, sprang der Bauer ab und suchte nach dem Sielzeug seiner schnaubenden Thiere. Plötzlich blieb er stehen und blickte nach dem schwarzen Gegenstande, der unheimlich leise schwankte.

»Wer steht da?« fragte er mit furchtsamer Stimme.

»Wo?« forschte der Mann.

»Es ist ein Mensch oder ein Geist,« stotterte der Bauer.

Der Mann sprang auf. –

»Bleib hier, Heinrich!« rief die Frau ihm ängstlich nach.

»Wer da?!« schrie der Mann laut.

Aber es erfolgte keine Antwort; die Gestalt schwankte noch stärker.

»Es ist ein Verunglückter,« fuhr er erregt fort, und er lief näher und sah mit Grausen den starren reglosen Körper vor sich stehen. »Komm her,« rief er dem Bauer zu, »wir müssen uns seiner annehmen.«

Da trat der Mond hinter den Wolken vor., und plötzlich war das Gesicht des Todten hell. Seine offenen Augen glänzten, der Wind faßte und rüttelte ihn.

»Allmächtiger Gott!« schrie der Helfer, und plötzlich stürzte der Leichnam in seine Arme und riß ihn mit sich zu Boden.

Als er sich von dem Schrecken erholte, sprang er auf und hielt die Frau zurück, die ihm zu Hülfe eilte.

»Geh,« sagte er, »das ist nichts für Dich. Es ist ein Mensch, der hier in Nacht und Kälte umkam. Gieb die Decken von Deinen Pferden, Freund, wir müssen ihn einhüllen und mitnehmen.«

Der Bauer that es nicht gern, er mochte mit den Todten nichts gemein haben, aber er folgte doch endlich den Bitten und Drohungen. Die Decken wurden um den Körper des Erstarrten gewickelt, der steif und kalt war, dann ward er in das Heu des Schlittens gelegt, und nun ging es im vollen Laufe das Thal hinab nach Breitenstein, in dessen Kirchthurm die Uhr eben zum elften Schlage aushob, als ein heftiges Klopfen an der Thür des Gasthauses die Leute aus dem Schlafe weckte.

 

Und eben die Schlagen der elften Stunde störte den Baron Solis, der mit seinem Bruder ein langes und einsames Gespräch in seinem Zimmer geführt hatte. Die Gesellschaft war am Abend vereint gewesen und hatte sich früh getrennt, denn nirgends wollte eine rechte Freudigkeit sich erwecken lassen. Selbst der Forstmeister, der seinen Abschied bis zum nächsten Morgen verschoben, sonst der unbefangenste und natürlichste Mann von der Welt, saß still und stumm, richtete die Blicke vor sich hin und gab zerstreute Antworten. Er hatte mit Georginen ein Gespräch gehabt, und nach mancherlei Wendungen eine ausweichende delphinische Antwort erhalten.

»Bleiben Sie bei uns bis morgen,« hatte die Baronin zuletzt gesagt, »ich bin so bedrängt von Mancherlei, das tief in mein Leben greift, so sorgenvoll und angstvoll, daß ich unmöglich Ihnen sogleich sagen kann, was ich denke. Darum bleiben Sie, lieber Langenberg. Sie wissen, wie wir Sie schätzen und wie kein Zweifel sein kann, Sophie würde an Ihrer Seite ganz glücklich werden.«

Diese Antwort schwebte dem Forstmeister den ganzen Abend über vor, er konnte sich nicht recht darein finden. Verletzter Stolz mischte sich der fatalen Ungewißheit bei, er zürnte zum ersten Male heimlich der Frau, deren Herzensgüte er so oft gepriesen, und überlegte, welchen Antheil vielleicht der Hochmuth des Emporkömmlings daran habe, und welche geheime Absichten zu Grunde liegen möchten?

Robsen war so gemessen still und ernst, wie er sich bei seinem ersten Erscheinen gezeigt. Er schien über etwas zu grübeln, das ihn vollauf beschäftigte. Sein dunkles Auge lag wie unter Schleiern, und gewaltsam belebte es sich, sobald er in's Gespräch gezogen wurde.

Der Baron, welcher so viel Interesse an ihm nahm, ärgerte sich heimlich, daß die Damen ihm weniger Theilnahme zu widmen schienen. Sie entfernten sich früh, und zum Ersatz für die bisherige einsilbige stockende Unterhaltung blieb zuletzt nur der Geheimrath zurück, der ungemein guter Laune war, und alles, was sein Bruder erzählen mochte, jede Darlegung seiner Grundsätze und Ansichten, mit unerschütterlicher Standhaftigkeit anhörte. Nur dann und wann, um einen neuen Reiz durch Widerspruch zu erwecken, machte er Einwürfe und trieb den heißblütigen Gutsherrn zu Behauptungen, die ihm immer wieder Gelegenheit boten das Feuer noch mehr anzufachen. Der Baron hatte inzwischen eine neue Bowle besorgen lassen, und war ganz dazu eingerichtet, den Kampf bis tief in die Nacht fortzusetzen, um seinem Bruder in jeder Beziehung eine Niederlage zu bereiten.

»Laß uns trinken, Franz,« sagte der Geheimrath, »ist es doch seit langen Jahren das erste Mal, daß wir uns nächtlich und traulich beim Glase gegenüber sitzen.«

»Seit unsern Universitätsjahren,« erwiederte der Baron lebhaft.

»Und damals waren unsere Herzen offen und warm.«

»Das meine ist es noch, Ottomar,« rief der Baron, indem er ihm die Hand über den Tisch reichte und herzlich drückte; »ich bin um kein Haar anders geworden.«

»Und nie, das glaube mir, ist meine wahre brüderliche Zuneigung zu Dir erkaltet.«

Die beiden Brüder blickten sich mit höherer Theilnahme an, freudig hoben sie die Gläser und stießen diese hellklingend zusammen. Der offene und edelmüthige Sinn des Gutsherrn war heiß aufgeregt von dem Gedanken, das Herz seines Bruders wieder zu gewinnen, und er versenkte sich in Geschichten alter Tage, und in Geschichten der Zukunft. Glas auf Glas wurde geleert, bis er endlich ausrief:

»Da schlägt es elf, Ottomar; die Stunden sind mir wie Minuten vergangen. Nichts schöneres als ein solches Alleinsein, wo kein drittes fremdes Wesen uns stört.«

»Wollte Gott, Franz,« erwiederte der Geheimrath, »daß nie ein fremdes Wesen zwischen uns getreten wäre.«

»Vergessen wir Alles, was geschehen ist, nur nicht diese Stunde unsers neuen Bundes,« sagte der ältere Bruder gutmüthig. »Wir wollen ein neues Leben beginnen.«

»Das sollst Du, Franz.«

»Und Du, Ottomar, Du wirst Dich mit meinen Planen aussöhnen, wirst Dich bekehren. Wir wollen Dich praktisch machen, ich und Robsen.«

»Nimm Dich in Acht,« warnte der Geheimrath, »daß dieser Praktiker Dich nicht selbst in die Lehre nimmt.«

Dem lächelnden Blicke, welcher diese Worte begleitete, mischte sich so viel Drohendes bei, daß der Baron mit halbem Ernste entgegnete:

»Er wird mich nicht klüger machen, als ich bin; denn erstens habe ich auch meine Augen offen, zweitens liegt Alles in meiner Hand, und drittens ist dieser Robsen, wie es mir scheint, ein Mann von hoher Rechtlichkeit. Sein Haus ist eines in der Handelswelt, vor dem jeder den Hut zieht.«

Der Geheimrath schüttelte leise den Kopf. Er nahm sein Glas, trank und erwiederte dann:

»Von allem, was Du sagst, ist nur eines wahr, nämlich daß Du Alles in Deiner Hand hältst. Deine Augen, Franz, sind zwar offen, aber blind, und Robsen –«

»Nun Robsen?«

»Dieser Robsen ist ein gemeiner Schurke,« sagte sein Bruder mit größter Kälte.

Das Gesicht des Gutsherrn drückte seine Ueberraschung aus, und unter den Falten seiner hohen Stirn zog sich ein Sturm zusammen, den er mühsam zurück drängte.

»Wenn Du nicht die allersichersten Beweise hast, Deine Behauptungen vertreten zu können,« versetzte er dann, »so solltest Du Dich hüten so zu sprechen. Du kennst diesen jungen Mann nicht, kannst ihn nicht kennen –«

»Mehr wie Du glaubst,« fiel hier der Geheimrath ein, und verstummend sah der Baron ihn zweifelnd an, während jener; ohne seine Miene zu verändern, die Augen auf ein Zeitungsblatt richtete, das zufällig auf dem Tische lag.

Beide schwiegen, bis endlich der Gutsherr begann:

»Wenn ich nicht gewiß wüßte, daß dies unschuldige Getränk Deinen Kopf nicht in Unordnung versetzt haben kann, so sollte ich denken –«

»Denke was Du willst, Franz,« unterbrach ihn sein Bruder, »doch ohne betrunken oder vom plötzlichen Wahnsinne befallen zu sein, wiederhole ich Dir: dieser Robsen ist ein Elender! Nimm Dich in Acht, ich warne Dich oder Du wirst es zu spät bereuen. Jetzt laß uns scheiden.«

Er stand auf, aber der Baron legte die Hand fest auf seine Schulter und sagte mit Nachdruck:

»Das ist zu viel. Meine Ehre erfordert, daß Du Deine Anschuldigungen in seiner Gegenwart wiederholst.«

»Ich weigere mich dessen nicht.«

»Was ist es? Was weißt Du?« fragte der Baron. »Ist es etwa ein Empörer, ein Verschwörer, ein Demagog, ein Volksaufwiegler? Ist er mit den Absichten, Revolution zu machen in's Land gekommen, und hast Du das entdeckt?«

»Was ich entdeckte, bezieht sich allerdings auf eine Verschwörung.«

»Nun da haben wir es,« lachte der Gutsherr, »und wahrscheinlich bin ich selbst ein Mitverschworener oder doch ein Mitschuldiger.«

»Nein,« antwortete der Geheimrath mit starker Stimme, indem er sich zu ihm hinwendete, »aber Du bist das Opfer einer Rotte von Betrügern.«

»Die mich berauben, ermorden, meine Fabriken in Brand stecken, Aue, denen ich wohl gethan, gegen mich bewaffnen wollen?«

»Die Deine Ehre an den Pranger schlagen und Dich selbst zum Unglücklichsten aller Menschen machen.«

»Ottomar,« sagte der Baron mit geheimem Beben, »wir stehen auf dem Punkte, wo der Boden unter uns zu brechen droht. Ich verwerfe alle Andeutungen und verlange eine offene Erklärung.«

Der Geheimrath schlug die Arme über seine Brust zusammen und sah ihn mitleidig an.

»Ein Mann,« sagte er dann langsam, »soll sich bewähren in den Stunden der bittersten Seelennoth. Ich will Dir den Kelch der Leiden nicht tropfenweise reichen, halte Dich bereit, Franz, das Aergste zu hören.«

»Heraus endlich mit der Sprache,« murmelte der Baron mit dem Fuße stampfend.

»Wer hat diese Worte hier geschrieben?« sagte sein Bruder, indem er ihm den Zettel reichte, den er aus Robsens Handschuh genommen hatte.

»Es scheint Georginens Hand zu sein. Um zwölf Uhr im Gartensaal? Was soll das?«

»Diese Worte sind an Robsen gerichtet, ich bin bei der Wiedervereinigungsscene zugegen gewesen.«

»Wiedervereinigungsscene!« fragte Solis erblassend, und die Adern seiner Stirn traten hoch hervor. »Ich hasse und verachte die Verläumdung.«

»Eine Scene,« sagte der Geheimrath, »welche damit endete, daß Deine tugendhafte Frau ihm ein Stelldichein um Mitternacht in ihrem Zimmer bewilligte.«

»Gottes Verdammniß über Dich, Du lügst!« rief der Baron mit furchtbarer Heftigkeit, und er ballte beide Fäuste zusammen und schien sich auf seinen Bruder stürzen zu wollen.

»Du wirst das Haus wach schreien,« versetzte dieser gelassen. »Ich verläumde und lüge nicht, es hängt von Dir ab, Dich von der Wahrheit zu überzeugen. Du bist betrogen, Franz, mein armer Bruder, betrogen wie noch kein Mensch es war. Und nicht hier, nicht jetzt, nein, noch ehe diese Frau Dir Liebe log, kannte sie jenen Elenden, lebte sie mit ihm in den genauesten Verhältnissen, bis er sie verließ, und Du seine Stelle einnahmst.«

Die Enthüllung war schnell gekommen und von fürchterlicher Wirkung. Der Baron stand vor seinem Bruder eine Zeit lang sprachlos, er rang mit allen bösen Geistern. Einen Augenblick lang wollte er Alles verwerfen, aber er konnte es nicht, er vermochte es nicht, und endlich stürzte ein Strom glühender Eifersucht, Rache und Entsetzen in sein bebendes Herz.

Alles Blut drängte sich in seinem Kopfe zusammen und raubte ihm das Bewußtsein; er schlug die geballten Hände an seine Stirn und murmelte:

»Betrogen? doch nicht umsonst, bei Gott! bei meiner Ehre! sie sollen – Ottomar, ich danke Dir, ich danke Dir sehr. Es ist entsetzlich, aber gerecht, ich begreife das, es muß so sein.«

»Versuche es, ruhiger zu werden,« sagte der Geheimrath.

»Ruhig? Es wäre Thorheit, das von mir zu begehren, aber –,« er blickte nach der Uhr, und eben schlug es zwölf – »das ist die Stunde, sagtest Du nicht um Mitternacht?«

»Ja, um Mitternacht.«

»Und er wird pünktlich sein?«

»Ich bin überzeugt, er versäumt keine Minute.«

»So laß uns gehen!«

»Wohin?« fragte der Geheimrath.

»Ich muß Gewißheit haben,« erwiederte der Baron; »hören, sehen will ich – und richten,« fügte er dumpf hinzu.

»Am besten ist es, wir warten noch einige Minuten,« erwiederte Ottomar. »Wenn ich mich in den finsteren Vorsaal stelle, kann ich hören, sobald er den Corridor hinabschleicht. Wir gehen dann an das Zimmer der Frau, die Deiner so unwürdig ist, und erwarten ihn dort, oder begehren Einlaß, wie Du willst.«

Der Baron gab seine Beistimmung, sein Bruder entfernte sich. Nach einigen Minuten schon kehrte er zurück.

»Jetzt ist es Zeit,« flüsterte er, »Du wirst ihn finden, er ist da.«

Herr von Solis schlug einen kurzen Mantel, den er übergeworfen, um seine Schultern zusammen und folgte seinem Bruder, der ihn vorsichtig zurückhielt, als sie draußen an der geöffneten Pforte des Corridors standen. – In der Tiefe des Ganges hörten sie ein schwaches Rauschen, dann war es als würde leise geklopft, und gleich darauf knarrte eine Thür.

»Hast Du es gehört?« fragte der Geheimrath.

»Es war die Thüre an Georginens Zimmer,« sagte der Baron ruhig. »Ich frage Dich zum letzten Male, Ottomar,« fuhr er mit feierlichem Ernste fort, »spricht kein Haß oder keine Täuschung aus Dir, weißt Du gewiß, daß der Schatten, der dort an der Wand hinschlich, dieser Robsen war, daß er –« er preßte die Zähne zusammen, »in dem Schlafzimmer meiner Frau sich befindet, um, wie Du sagst, alte Buhlschaft zu erneuen? Kannst Du das beschwören, Ottomar?«

»Mit meiner Ehre und mit meinem Leben will ich dafür haften,« erwiederte der Geheimrath.

»So folge mir und sei mein Zeuge.« –

Er ging mit leisen, leichten Schritten den Gang hinab, der mit einem Teppiche belegt war, und hinter ihm sein Bruder, in dessen Brust die sonderbarsten Gedanken sich regten. Die Leidenschaftlichkeit des Barons hatte einer Kälte Platz gemacht, welche ihm Schrecken einflößte. Er wußte nicht, was der Beleidigte beabsichtigte, aber er fühlte ein inneres Grauen vor einer Scene, die entsetzlich enden konnte, und doch sagte eine geheime Stimme:

»Laß ihn gewähren, halte ihn nicht auf, widersetze dich nicht, es muß so sein zu deinem Glück.«

Dennoch streckte er einen Augenblick den Arm nach seines Bruders Arme aus.

»Was willst Du thun, Franz?« fragte er.

»Nichts, als was durchaus nothwendig ist,« gab dieser zur Antwort.

»Ich bitte Dich, handle ruhig wie ein Mann,« flüsterte der Geheimrath.

»Horch!« sagte Solis, »er spricht,« und seinem Gefährten die Hand drückend, trat er dicht an die Thür, welche das Zimmer seiner Gattin schloß. Ein schwacher Lichtschein drang durch einen kleinen Spalt, aber der beleidigte Gatte war zu stolz dem Winke seines Bruders zu folgen und einen Versuch zu machen, sein Auge forschend zu benutzen. Sein Gesicht glühte in Schaam und Verzweiflung; so stand er unbeweglich an der Thür, während durch das Fenster des Ganges das Schneelicht der Nacht eine graues fahles Leuchten auf das Schloß der Thür warf.

Die Unterredung, welche jenseits dieser Thür stattfand, ward aber lange Zeit so leise geführt, daß der Baron nichts rechtes verstehen konnte. Abgerissene Bruchstücke, die in sein Ohr flogen, enthielten Betheuerungen, Bitten und flehende Worte, welche seine fieberhafte Glut erhöhten. Mit jedem Augenblicke rissen sich die letzten Zweifel los, welche in seinem Herzen geblieben waren. Plötzlich hörte er Robsens laute Stimme:

»Ist es möglich,« rief dieser, gütiger Himmel! »ich hatte keine Ahnung davon. Und es lebt, Georgine? Reden Sie, es lebt! Wo, wo lebt es?«

»Fassen Sie sich, Robsen,« erwiederte sie, »ja es lebt; aber welche Angst, welche Todesangst und Noth hat uns dies unglückselige Geheimniß gemacht.«

»O, liebe theure Georgine!«. fuhr Robsen fort, »wie unaussprechlich glücklich machen Sie mich. Ich kann nicht verstoßen werden, ich kann nicht vergebens bitten, hier ist das Band, das uns auf ewig verknüpfen muß. Und Sie, Georgine. Ich werfe mich zu Ihren Füßen, meine edle, liebe, göttliche Freundin. Ich bin so außer mir, ich weiß nicht mehr, was ich thue, was ich treibe; ich könnte in meinem Glücke närrisch werden!«

»Reden Sie leiser, lieber Freund,« fiel Georgine warnend ein. »Stehen Sie auf.«

»Warum?« entgegnete er. »Mögen es alle Menschen hören, daß ich liebe, heiß liebe und nach langer Trennung und Verirrung wieder an dem Herzen ruhen will, das mir gehört.«

In diesem Augenblicke legte sich eine feste Hand auf das Schloß und seltsamer Weise war die Thür nicht verschlossen. Sie flog von dem ungeheuren Stoße fast aus der Angel und ließ in dem finsteren Raume vor ihrer Schwelle die hohe Gestalt des Barons erkennen, der starr auf den knieenden Robsen blickte.

»Franz!« rief die Baronin vor Schrecken bleich über diese unerwartete Erscheinung. »Himmel! das ist die Schuld meiner Schwäche.«

»Herr Baron,« sagte Robsen aufspringend und die Hand dem Schloßherrn entgegenstreckend, »lassen Sie mich diese Schuld büßen, denn ich bin hier der alleinige Verbrecher.«

»Elender Schurke!« rief der beleidigte Gatte, »prahle nie mehr mit Deiner und meiner Schande!«

Ein Knall, von dem die Scheiben des Fensters in Stücken barsten, begleitete die letzte Silbe. Rauch füllte das Zimmer, Robsen schwankte und sank ohne einen Laut seitwärts zu Boden.

Baron Solis ließ den Arm mit dem abgefeuerten Pistole sinken. Er hörte einen langen gellenden Schrei des Entsetzens, der seinen Grimm nicht mäßigen konnte, denn er klang wie der Klageruf eines zu Tode verwundeten Herzens. Die Stimme seines Bruders, der ihn mit beiden Armen gewaltsam umschloß, rüttelte ihn zuerst aus der Starrheit, welche der raschen fürchterlichen That folgte.

»Was hast Du gethan?!« rief der Geheimrath.

»Was ich thun mußte,« erwiederte der Schloßherr.

»Fort, fort!« schrie Ottomar, »die Leute im Schlosse sind aufgewacht. Geh auf Dein Zimmer, laß mich hier die ersten Vorkehrungen treffen.«

»Hier ist nichts zu läugnen und zu beschönigen,« erwiederte sein Bruder düster. »Diesen Elenden habe ich getödtet, und vor Gott und Menschen will ich meine That bekennen. Seine Mitschuldige möchte ich am liebsten vergessen können.«

»Geh,« sagte der Geheimrath, »ich werde für Dich sorgen.«

Er trug die ohnmächtige Frau rasch entschlossen auf ein Ruhebett in das Nebenzimmer, dann schloß er die Thür, eben als mehrere Diener und Dienerinnen, die von dem Schusse aufgeschreckt waren, halb angekleidet und mit Lichtern den Gang herauf kamen.

»Beruhiget Euch,« sagte er, »und geht zu Bette. Durch Zufall ist ein Pistol in meiner Hand losgegangen, weiter ist es nichts. Weckt darum nicht unnützer Weise die Menschen auf. Fort mit Euch!«

Die Leute waren froh, daß es weiter nichts war und gingen zufrieden davon, nur einem alten Diener des Hauses befahl er das Licht zu nehmen und führte ihn in das Zimmer.

»Ich bedarf Deiner Hilfe,« sagte er, »und rechne auf Deine strenge Verschwiegenheit.«

»Jesus!« rief der Mann entsetzt, »er ist todt.«

»Es ist ein Unglück geschehen, Kaspar, er ist durch Zufall verwundet worden. Wir müssen ihn in sein Zimmer tragen.«

»Es ist Herr Robsen, der fremde Herr,« murmelte der Diener zitternd als der Geheimrath sich niederbeugte und der Lichtschein auf das Gesicht fiel.

Robsens glänzend schwarzes Haar war vom Blute naß, eine ganze Lache hatte sich auf dem Boden gesammelt, aber er athmete und schien sich zu erholen.

»Gewiß, es ist dieser Robsen. Faß ihn an, wir müssen für ihn sorgen so gut es geht,« erwiederte der Geheimrath.

Mit einiger Mühe ward dies vollbracht. In dem Zimmer des Agenten brannte Licht, sie legten den Körper auf das Bett.

»Jetzt lauf in's Dorf, rufe den Arzt herbei. Sage ihm, es sei Jemand erkrankt, sage was Du willst, nur nicht die Wahrheit.«

Der Diener ging und Ottomar blieb einen Augenblick vor dem Bette stehen.

»So sollte es nicht kommen,« murmelte er, »aber die Loose des Schicksals hat noch kein Sterblicher berechnet. Das Deine führte Dich zum Falle, und mit ihm fallen Andere – es muß zu Ende kommen.«

Der Verwundete faßte mit der Hand nach dem Kopfe ohne die Augen zu öffnen. Sein blasses, blutiges Gesicht zuckte schmerzlich, ein leises Stöhnen drang durch das stille Zimmer.

»Ich habe nichts mehr hier zu schaffen,« sagte der Geheimrath schaudernd. »Will der Tod seine Beute haben, so war ich es nicht, der sie ihm zuführte. Laß sehen, was uns mit den Lebenden zu thun übrig bleibt.«

Er ging in das Zimmer der Baronin zurück und wollte die Thür öffnen, als diese sich aufthat und Georgine ihm entgegentrat.

»Wo wollen Sie hin?« fragte er, sie zurückführend.

Sie deutete auf das Blut am Boden und rief mit halberstickter Stimme:

»Er ist todt! Reden Sie, ist er todt?«

»Ich weiß es nicht,« erwiederte er, »doch todt oder lebend, gleichviel, es ist ein schreckliches Unglück.«

»Für ihn, für Franz, o Gott! für uns Alle.«

Sie warf sich in das Polster und rang die Hände in verzweiflungsvollem Schmerze, während Ottomar schweigend mit gekreuzten Armen und großen Schritten auf und nieder ging.

Plötzlich sprang sie auf und eilte von neuem der Thür zu. Er hielt sie fest und sagte drohend:

»Bleiben Sie, Sie dürfen dies Zimmer nicht verlassen.«

»Ich will zu ihm, ich muß ihn sehen, ihn trösten.«

»Er bedarf Ihres Trostes nicht,« erwiederte er mit einem finsteren, verächtlichen Lächeln.

»Ich muß ihm Alles, ach! die ganze Wahrheit sagen. Armer Franz!«

»Meinem Bruder? Sie können ihm nichts sagen, was er nicht weiß.«

Sie blickte mit ihren großen thränenvollen Augen zu ihm auf, eine Ahnung der Wahrheit schien sie zu ergreifen.

»Wenn Verläumdung mich von ihm zu reißen droht,« sagte sie gefaßter, »dann ist es um so mehr Pflicht, vor ihn hin zu treten um mich zu rechtfertigen.«

»Ruhig, Madame,« erwiederte Ottomar, indem er vor ihr stehen blieb. »Glauben Sie mir, in dieser Sache läßt sich nichts mehr bemänteln und verstecken. Ihr Vorwurf der Verläumdung zielt auf mich, ich will mich auf der Stelle rechtfertigen. Wissen Sie also, daß es meinen Bemühungen gelang, Ihre Geheimnisse zu enthüllen, und daß ich es war, der getrieben von Ehre und Pflicht meinem Bruder das Meiste, doch noch nicht Alles mittheilte.«

»Was haben Sie ihm gesagt?« fragte sie mit immer größerer Ruhe.

»Ich sagte ihm, daß er betrogen war, als Sie ihm Liebe und Treue schwuren, sagte ihm, daß Sie diesen Robsen eher kannten als ihn, daß Sie in genauen Verhältnissen zu ihm standen, und theilte ihm Ihre Unterredung von heute mit, deren Zeuge ich war, wie der Bestellung um Mitternacht, deren schreckliches Ende ich beklage.«

»Nun Gott sei Dank!« rief Georgine. »Dies Ende allein ist schrecklich, aus allem Anderen werde ich rein hervorgehen.«

»Wirklich, Madame?« versetzte er. »Werden Sie auch dann noch triumphiren, wenn –« er sah sie mit durchbohrenden Blicken an und fuhr kalt und gemessen fort: »Sie ahnen ohne Zweifel was ich meine. Sie könnten und sollten wenigstens ahnen, daß Beweise Ihrer Verirrungen in meiner Macht sind, die es Ihnen unmöglich machen länger mit Ehren in diesem Hause zu bleiben.

Ich biete Ihnen einen Vergleich an,« fuhr der Geheimrath fort. »Mein Bruder wünscht und erwartet, Sie nie wieder zu sehen, und wenn das Glück uns begünstigt, wenn Robsen, wie ich hoffe, nicht an seiner Wunde stirbt, so läßt sich Alles unterdrücken. Verlassen Sie dies Haus, reichen Sie eine Scheidungsklage ein; mein Bruder wird sich willig zu Allem verstehen, was Sie begehren können.«

Bis hierher hatte Georgine schweigend angehört, was er sagte, jetzt erhob sie sich plötzlich mit aller Kraft

»Nein, mein Herr,« rief sie und ihr bleiches Gesicht röthete sich, »wenn alle Ihre Pläne auf dies Ziel hinauslaufen, so haben Sie vergebens ein Verbrechen eingeleitet und befördert. Ich gehe nicht.«

»Sie wollen nicht?'

»Ich will nicht, nimmermehr!«

»So erwarten Sie Spott, Schande, alle Schmach, die Ihnen gebührt, die ich Ihnen vergebens abnehmen wollte.

»Mit dem Muthe des guten Gewissens, ja,« erwiederte Georgine stolz.

»Sagen Sie mit dem Muthe der frechen Sünde,« schrie er ihr wüthend zu. »Sind Sie so verblendet, hat keine Stimme Ihnen zugerufen, daß ein Beweis Ihrer geheimen Vergehen in diesem Hause lebt, daß das Kind, das Sie verborgen wähnen, auf Ihrem Schooße gesessen, Ihnen den Mutternamen gegeben hat?«

»Allmächtiger Gott!« rief die Baronin. »Antonie!«

»Es ist Ihr Kind, Robsens Kind. Ich lasse Ihnen Zeit bis morgen früh. Sie gehen und ich schweige; bestehen Sie darauf zu bleiben, so mögen Sie alle Folgen tragen. Besinnen Sie sich sein Sie klug, ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen.«

 

Einige Minuten später trat er bei seiner Gemahlin ein, die ruhig schlafend ihn nicht hörte. Er blieb vor ihr stehen und betrachtete das stolze schöne Gesicht. Und seine Blicke wurden immer heller und funkelnder, seine Brust hob sich kühn und schnell, das Blut klopfte in allen Pulsen, seine Gedanken schweiften in eine weite Zukunft hinaus.

Da schlug die Dame die Augen auf, als habe eine magische Einwirkung sie geweckt. Sie richtete sich rasch empor und sagte erregt:

»Was ist geschehen, Ottomar? es muß etwas Großes geschehen sein.«

»Sieg!« flüsterte er, indem er sie küßte, »Sieg, Juliane, wir haben die Fledermäuse ausgetrieben und getödtet, und wenn Du einst dies Schloß bewohnst als seine Herrin, dann danke es dieser Sturm- und Schneenacht und dem dunklen Flecke an Georginens Schwelle.«


VII.

Den größten Theil dieser traurigen Nacht hatte Baron Solis in Gesellschaft seines Bruders zugebracht, der ihn zu trösten und zu beruhigen suchte. Der Arzt, den Kaspar im Dorfe herausgeklopft, erstattete keinen günstigen Bericht über den Zustand des Verwundeten.

Die Kugel hatte an der rechten Kopfseite den Knochen beschädigt und eine Betäubung verursacht, aus deren langer Dauer der Doctor eine Gehirnerschütterung oder Verletzung prophezeite. Er hatte die Wunde verbunden und alle Sorge getragen. Ein Wächter war zur Pflege angestellt; der Geheimrath rieth jedoch dringend dazu, daß sein Bruder durch eine rasche zeitweilige Entfernung jeden möglichen Folgen für sich selbst zuvorkomme und außerhalb der Landesgrenzen die Entwickelung abwarte. – Käme es ja zum Aergsten, so wollte er selbst dann in die Hauptstadt eilen und durch mächtige Freunde alle Schritte thun, um die Hände der Gerechtigkeit entfernt zu halten. Von Georginen wurde nicht gesprochen.

Mit finsterem Ernste hörte der Baron die Vorschläge seines Bruders an, und stundenlang schritt er auf und nieder ohne dessen Erzählungen und Ermahnungen zu unterbrechen.

So dämmerte der Morgen, dessen erstes düsteres Grau an den schneeigen Gebirgen niederfloß, und mit ihm, mit dem Nahen des Tages, schien eine steigende Angst den Baron zu ergreifen. Die Nacht hatte feine That umhüllt, jetzt kam das Licht und sollte sie des scheinen. Er sollte den Menschen entgegentreten, die Rechenschaft von ihm fordern konnten, Sophien, dem Forstmeister, den Leuten im Hause, endlich Georginen selbst welche Scenen standen ihm bevor!

Der Zorn in seinem Herzen wich dem Gram, der ihn in Fieberglut umhertrieb, und vor ihm breitete sich sein ödes zerstörtes Leben aus mit allen Schrecken der Einsamkeit und Verzweiflung. Er wollte fort, es sollte ihn Niemand sehen. Er wollte fliehen und doch empfand er, daß es vergebens sei, denn wo sollte er Ruhe finden?

»Du hast Recht,« rief er seinem Bruder zu, »ich kann nicht bleiben, ich muß mich verbergen, bis die Stürme vorüber sind, aber,« fügte er mit dumpfer Hoffnungslosigkeit hinzu, »sie werden mein Haus einreißen und mich unter dessen Trümmern begraben.«

Dem Geheimrathe war dieser Entschluß willkommen und er bestärkte ihn mit allen Mitteln seiner Beredtsamkeit. Franz sollte bis in die nächste Stadt fahren, dort Post nehmen und einen an der Grenze einsam auf seinem Gute lebenden Verwandten besuchen, wohin er leicht Nachricht über seine Lage empfangen konnte. Ihn fortschaffen, ehe Georgine ihn erreichen und bestürmen mochte, schien das Angemessenste.

Zwar war Herr von Solis seiner Sache gewiß und überzeugt, daß ihre Schaamlosigkeit nicht so weit reichen werde, daß sie wagen könnte, nach seiner legten Mittheilung noch einen Versuch auf Rechtfertigung und Versöhnung zu machen; aber er las in den Augen seines Bruders eine Schwäche und Reue, welche am besten durch eine schnelle Entfernung beseitigt werden konnte.

Um die Anstalten zur Reise zu treffen, verließ er den unglücklichen Mann, der mit verschränkten Armen den Boden anstarrte und dann in einer Ecke seines Sophas den heißen Kopf in seinen Händen verbarg. Er sah zusammenstürzen, was er mühsam aufgebaut, alle seine Arbeit, die Mühe eines ganzen Lebens, Alles, was er an Glück und Freude besessen, und er stöhnte laut und wand sich unter den Folterqualen seines Denkens.

Plötzlich kam es ihm vor als antworte ein ängstliches Seufzen dem seinen und eine leise Stimme, vor der er zusammenbebte, rief seinen Namen, eine weiche zitternde Hand berührte ihn. Er richtete sich jäh auf, Georgine stand vor ihm.

Zwischen Abscheu, Zorn und Liebe schwankend, die ihr bleiches freundliches Gesicht mit unwiderstehlicher Macht hervorlockte, war er im Begriffe aufzuspringen und sich rasch zu entfernen, als sie seiner Bewegung zuvorkam und ihn zurückhielt.

»Franz,« rief sie mit einer Innigkeit der Stimme, deren Zauber er nicht entgehen konnte, »ist es denn wirklich mit uns so weit gekommen, daß Du ungehört mich verdammen kannst? Spricht denn nichts in Dir für mich? Hast Du keinen Argwohn gegen die Verläumdung, die Dich und mich so elend macht?«

»Soll ich meine Augen ausreißen und ihnen nicht glauben?« erwiederte er heftig. »Verlaß mich, ich will nicht mehr Betrug und Lüge.«

»Nein,« sagte sie, »Du sollst mich hören. Ich will mich rechtfertigen, ich kann es. Dann sprich: geh?! und ich will gehen.«

Der Geheimrath hatte die Thür geöffnet.

»Alles ist bereit,« sagte er, aber sein Wort stockte, als er seine Schwägerin erblickte, die sich zu ihm umwendete und ruhig fortfuhr:

»Jetzt ist es an Ihnen, Alles zu wiederholen, was Sie mir gestern sagten. Verschweigen Sie nichts, erzählen Sie, daß ich ehrvergessen, verbrecherisch mit dem unglücklichen Robsen –«!

»Steht es so?« erwiederte der Geheimrath, indem er sich nach der Thür zuwandte. »Komm näher, Juliane, Deine Gegenwart ist hier nöthig.«

Er nahm von dem Arme seiner Gattin das Kind, das diese trug.

»Ich wollte Dich schonen, Franz, und diese Frau schonen, nun aber mag der legte Schleier fallen. Sieh hier das Zeugniß ihrer und Deiner Schmach, ihr Kind, geboren vor ihrer Heirath mit Dir. Der unwiderlegliche Beweis dafür ist in meiner Hand, und wenn sie es läugnen sollte, so erwarte ich jeden Augenblick einen Mann, der es bezeugen wird, ihr in's Angesicht.«

»Wo ist der Baron?« rief in diesem Augenblicke eine laute Stimme draußen.

»Hier steh' ich, Franz,« sagte Georgine mit leuchtenden Blicken, indem sie vor ihren Gatten trat. »Dein Kind unter meinem Herzen, frage ich Dich, glaubst Du an diese schmähliche Anklage?«

Ein Getümmel von vielen Menschen erhob sich draußen auf dem Corridor.

»Unser Herr! wo ist unser lieber Herr!« schrieen rauhe Stimmen. »Wir wollen ihn sehen, wollen ihm helfen!«

»Was giebt es?« fragte der Geheimrath erschrocken.

»Es sind viele Männer aus dem Dorfe, auch Arbeiter und Bergleute,« sagte der Diener, welcher Hereintrat. »Sie haben von einem großen Unglück gehört, das dem gnädigen Herrn in dieser Nacht widerfahren sein soll, und wollen sich nicht beruhigen.«

»Sie sollen fort nach Hause gehen,« rief der Geheimrath ärgerlich.

»Sie wollen es nicht thun,« versetzte der alte Mann. »Man hat, wie sie sagen, den Herrn ermorden wollen, und will ihn verderben, weil er ihr Wohlthäter ist. In dieser Nacht sind auch zwei Reisende angekommen, die im Gasthause allerlei verworrene Reden geführt haben. Nach der Frau Baronin haben sie gefragt, gehorcht und ausgeforscht. Man hat sie festgehalten und hergebracht.«

Ein Gedanke überkam den Geheimrath.

»So führe sie herein,« sagte er, »mögen sie sich überzeugen, daß ihre Furcht, ohne Grund ist.«

Der Baron stand völlig theilnahmlos bei diesem Vorgange. Georgine hatte seine Hand ergriffen, diese lag kalt in ihren Fingern; plötzlich aber zuckte er heftig zusammen, denn dem Haufen von Bauern und Arbeitern voran, der sich ins Zimmer drängte, sah er Robsen, den Kopf in ein schwarzes Tuch gewickelt, hereintreten, und auf seinen Bruder zuschreiten.

Ohne ein Wort zu sagen entriß er dem Geheimrathe das Kind, und mit einer Stimme, die in Entzücken und Schwäche zitterte, hielt er es der Frau und dem Manne hin, welche hinter ihm standen.

Die Frau stieß einen Freudenschrei aus.

»Ja,« rief sie, »das ist sie, unsere arme kleine Antonie, und da – da – das ist der Mann, der sie mir gewaltsam geraubt hat.«

»Nicht geraubt,« erwiederte der Geheimrath, »sondern gekauft und bezahlt. Bekennt die Wahrheit,« fuhr er mit Strenge fort, »laut und vor allen diesen Leuten, im Namen Gottes und des Gesetzes. Es hilft kein Lügen und Läugnen mehr: Wer ist die Mutter dieses Kindes?

»Hier steht sie!« antwortete eine helle Stimme, und um Robsen und die kleine Antonie schlangen sich zwei zärtliche Arme.

»Sophie!« rief die Geheimräthin entsetzt.

»Ich bin seine Mutter und läugne es nicht,« sagte diese. »Im Uebrigen mag eine nähere Aufklärung denen, welche sie angeht, von meinem Bräutigam gegeben werden.«

Der Geheimrath wendete sich zu seinem Bruder. Georgine lag weinend in dessen Armen, sprachlos hielt er sie umfaßt.

»Es ist eine boshafte Lüge,« schrie er, »es ist unmöglich! Franz, ich beschwöre Dich, glaube dieser Komödie nicht. Höre erst den Mann, den ich erwarte und der die Documente über die Geburt dieses Kindes mitbringen wird.«

»Der Mann, den Sie erwarten, ist nicht mehr,« erwiederte die Frau. »Gott sei es geklagt, daß es mein Bruder war, der zu allen Schlechtigkeiten seine Hand bot. Er ist auf dem Wege hierher erfroren, und in seiner Tasche steckte wirklich der Taufschein des Kindes. Ob er ihn aber je in Ihre Hände geliefert haben würde, muß ich bezweifeln, denn hier, lesen Sie, da steht es geschrieben und untersiegelt: ›Nach Angabe des Taufregisters hat die unverehelichte Sophie, geborene Wiberg, am fünften November Abends halb sechs Uhr eine Tochter geboren, die in der Heiligen Taufe den Namen Antonie erhalten hat.‹«

Der Geheimrath ließ den Taufschein mit verstörter Miene sinken.

»Und die Taufzeugen,« fuhr die Frau eifrig fort, »waren mein Mann, der hier steht, Heinrich Bollinger, dessen Mutter und die Schwester der jungen Dame, Fräulein Georgine.«

»Geht, meine Freunde,« sagte der Baron zu den Bauern, die neugierig lauschend und verwirrt von dem, was sie gehört, an der Thür standen. »Ich danke Euch für Eure Freundschaft, aber Ihr seht, es ist nichts. Ich bin wohlauf, bin froh und beglückt; ich werde Euch nicht entrissen werden.«

Er warf sich in Robsens Arme und sagte mit nassen Augen:

»Was ich Ihnen abzubitten habe, Robsen, können Sie mir nicht vergeben. Ich muß die Verzeihung vom Himmel zu erwerben suchen, meine Sünde durch Reue und gute Thaten versöhnen.«

»Vor allen Dingen,« erwiederte Robsen, »mögen wir Alle dem Glücke danken, daß ich noch lebe, und der böse Traum, den ich in dieser Nacht gehabt habe, wahrscheinlich nach einiger Zeit ohne Schaden verschwunden sein wird. Nur noch einige Worte erlauben Sie mir zu unserer aller Rechtfertigung.«

»Nein, Freund,« rief der Baron, »ich sehe Alles klar, es bedarf keiner Worte weiter, nur das Eine: Wann soll Deine Hochzeit sein?«

Robsen hielt Sophie und sein Kind umschlungen, da trat der Forstmeister herein.

»Kommen Sie her, Langenberg,« sagte der Baron, »ohne Groll und Neid geben Sie dem Bräutigam hier die Hand. Er hat ältere heilige Rechte geltend zu machen als Sie, darum müssen Sie ihm das Feld räumen und Freundschaft an die Stelle der Liebe treten lassen.«

 

Acht Wochen später strahlte das Schloß bis zu seinen Zinnen von Hochzeitsglanz und Lust.

Die Arbeiter und Bergleute kamen im Festzuge mit Bändern und Sträußen, und begrüßten das junge Paar. Robsen hatte ihre volle Liebe und Zuneigung erworben, er war, wie der Baron und wie sie sagten, ihr Freund und Schützer.

Dies Hochzeitsfest vereinte Alle. Auch die Wittwe des Malers erschien dabei mit ihren Kindern. Robsen ließ sie erziehen. Für den redlichen Bollinger und seine Frau hatte der Baron gesorgt.

Freude und Lust belebte das Fest, aber der Geheimrath fehlte. Er hatte am Tage nach der glücklichen Versöhnung Schloß Breitenstein verlassen und besuchte es nicht wieder.


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