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Roman.
Wo der Vierwaldstätter See seine tiefe südliche Bucht in den Schooß der Alpen schickt, liegt die kleine schweizerische Republik Unterwalden, welche mit ihren Felsen und Bergtriften die malerischen Ufer des reizendsten aller Schweizerseen bekränzt. –
Wie schön ist es hier, wenn am hellen Sommermorgen die Nebel verschwinden, Und nun der Rigi, der Pilatus, die Felsenhörner von Schwyz und alle die ungeheuren Gebirgsstöcke, bis zu der fernen blendenden Jungfrau und dem schwarzen Mönch in den lichtglänzenden Himmel treten –
Führt die Barke den Wanderer dann durch die Bucht in's Land Unterwalden, so erblickt er saftige Matten, Fruchtfelder und liebliche Thäler, an deren Abhängen große und kleine Menschenwohnungen stehen. Ein Wald von Fruchtbäumen nimmt ihn auf, der den Flecken Stanz in seinen duftigen Mantel hüllt. Große Höfe liegen am Wege, die zierlichen Holzhäuser mit Galerien und vielen Fenstern, welche er so oft in Abbildungen geschaut hat, stehen leibhaftig vor ihm, und ein Traum des Glücks läuft durch sein empfindsames Herz. Hier ist das Land der Freiheit, hier wohnen stolze Männer in uralter Herrlichkeit, hier ist kein Graf und kein Junker, kein Kanzler, kein Fürst und kein Soldat. Hier wohnt die Bürgertugend und die Gleichheit, das heilige Recht, das mit dem Menschen geboren ist, die Größe der Natur im Einklange mit der Größe wahrhafter Menschen.
Ueber Stanz hinaus, wo der Weg durch den Kernwald nach Kerns und Sarnen führt, stand vor einigen Jahren ein Haus, über dessen Thür mit halb erloschenen Buchstaben der Name: Pintenwirtschaft angeschrieben war. Eine Pintenwirthschaft ist ein Ort, wo der Wanderer Wein, Brot und sonstige Erfrischungen gegen Zahlung erhalten kann, und dieses Haus mit seinen braunen Balken, seinen kleinen Fenstern und hoher Vortreppe von abgenutzten Steinstufen sah ganz so aus wie eines, das mancherlei Gäste lange schon gespeist und getränkt hatte. – War man drinne, so führte ein schmaler dunkler Gang in das Gastzimmer. Dies war nicht hoch und nicht gar groß, aber reinliche Holztische und Stühle standen längs der Wände. Alles sah blank und einladend aus; denn Reinlichkeit ist auch hier, wie überall in der Schweiz anzutreffen bei Arm und Reich, und ist bekannt als eine Hauptzierde der Bewohner dieses Landes. Die Sonne schien warm herein, die Fenster standen da und dort offen, ein Zugwind flog durch den Raum und scheuchte die Fliegen fort. An der Wand hingen ein paar alte Holzschnitte unter Glas in schwarzen Rahmen und aus der Ecke sprach mit Tick und Tack die Schwarzwälder Uhr, deren Zeiger auf der vierten Nachmittagsstunde stand.
An Gästen waren nur zwei im Gemach, welche oben in der Ecke saßen, vor sich einen Schoppen Wein in weißer Halsflasche, der vermuthlich am Züricher See gewachsen war; etwas herbe und sauer, aber doch Wein und wie sie sagen ein gesundes Getränk für den, der sich daran gewöhnt hat. Gewohnheit aber thut Alles in der Welt und ist die große Mutter des Lebens aller Menschen. So lag auch, eben weil's so sein muß, hier neben der Weinflasche und den halb gefüllten Gläsern ein mächtiges Stück Käse und ein ganz kleines Stück Brot, und der Mann, welcher dort auf dem Schemmel saß, hielt den Käse in den Fingern und schnitt mächtig tief hinein, vom Brote dagegen nahm er nur dann und wann einen Bissen. Butter war nicht zu sehen, denn diese wird gar selten von einem Schweizer gegessen; am Butteressen erkennt man den Fremden. Diese Beiden aber waren ganz gewiß ächte und rechte Landeskinder, das sah man ihnen an in jeder Miene und jeder Bewegung, selbst wenn sie nicht das breite allemannische Deutsch gesprochen hätten, das so leicht keiner sich eigen macht, der es nicht von Jugend auf hört und lernt.
Der Eine von Beiden, ein junger, untersetzter und breitschultriger Bursche in blauer Jacke von grobem Wollenzeug, weiten Zwilchhosen und Nagelschuhen mit fingerdicken Sohlen, trug die wahre Tracht der Landbewohner in den Bergen; der Andere besaß wohl einen Rock, aber er hatte ihn ausgezogen. Ein mächtiger Regenschirm stand am Fenster, wie ihn Landleute auf Reisen immer bei sich führen; an dem Griff steckte ein schäbiger Hut mit kaum sichtbarer Krempe und drüben auf dem andern Tische lag ein großer Packen Wachsleinwand eingeschlagen auf einem Gestell mit Tragebändern versehen. –
Der Mann war ein Landkrämer, der von Hof zu Hof wandernd ein lustiges und beschwerliches Leben führt, und wer den Zug der Pfiffigkeit in seinen Augen betrachtete, der unter Treuherzigkeit versteckt lag, und sein langes braungebranntes Gesicht, das ein paar Züge um die spitze Nase und den großen Mund besaß, als wäre es immer zum Lachen und Schwatzen aufgelegt, der konnte vermuthen, daß dieser lustige Krämer gute Geschäfte machen müsse. Er war viel älter als sein Nachbar, aber doch noch ein rüstiger Mann; der Bursche dagegen konnte über die fünf und zwanzig nicht hinaus sein, und wie er da saß, sein röthlich blondes Haar ihm über die Stirn fiel, seine Augen wild und düster in den Wald hinaus starrten und seine Lippen vor Aerger oder Zorn sich fest zusammenkniffen, schien er ein Gesellschafter, der gar nicht zu dem sorglosen Krämer paßte, und lieber einen Ringkampf mit ihm halten als Wein trinken mochte.
»Bist ein Narr, Willi,« rief der Krämer seinem Nachbar zu; »machst deine Tage bitter und schaffst doch nichts mit all deinem Mühen.«
»Mein Recht will ich!« erwiderte der Bursche und legte seine Faust mit solcher Gewalt auf den Tisch, daß der Teller mit dem Käse in die Höhe flog und die Flasche beinahe umfiel.
Der Krämer hielt sie fest und sagte sanft:
»Schlägst dir die Finger wund, Bübli, und wirst Wundpflaster brauchen; kann dir für einen Batzen ablassen. Bist aber doch ein Narr, schreist nach deinem Recht und hast doch kein's.«
»Was!« sprach der Bauer heftig, »ich habe kein's?«
»Nicht einen Finger breit,« sagte der Krämer, seinen Käse abschälend.
»Ist es denn nicht himmelschreiend?« fuhr Willi fort. »Mein Vater hat das Feldstück an der Halde redlich erworben und die Matte dazu ober St. Jakobs Kirchli. Wir haben sie besessen bis auf diesen Tag, bis es dem Hilberg einfiel zu behaupten, das Land sei sein Familiengut gewesen, hätt nie verkauft werden können. Es hätten die Landesfeinde, die Franzosen und ihre Anhänger, es seinem Vater gewaltthätig entrissen, daß er gezwungen war, es für ein paar lumpige Gulden hinzuwerfen.«
»Bist ein leidenschaftlicher Mann,« fiel der Krämer ein. »Dein Vater kam damals mit den Franzosen 1798 in's Land und setzte sich fest mitten in den Unruhen. Die verwünschte Mediationsakte duldete es nicht, daß die fremden Landläufer hinausgejagt werden konnten, wie es seit alten Zeiten Recht war. Da kaufte Mancher damals etwas, was jetzt mehr werth ist, und man kann es Niemand verdenken, wenn er nach seinem Gut steht.«
»Es ist nicht sein Gut,« erwiderte der Bauer. »Wir haben es redlich bezahlt, haben es fruchtbar gemacht, allen Fleiß und alle Sorge darauf gewendet. Ist ein klein Stück Land, das den reichen Hilberg nicht viel reicher macht, während ich ein Bettler geworden bin. Es geschieht zwar hier im Lande jeden Tag tausendfaches Unrecht, aber es ist doch noch keinem so gegangen wie mir.«
»Ist's Andern nicht so gegangen wie dir, so ist die Schuld dafür auch sein,« sprach der Andere.
»Wer kann mir Unrechtes nachsagen?« fragte Willi.
»Bist ein fleißiger Bursch, sagen die Leute,« fuhr der Krämer fort, hast ein gut Geschick zu vielen Dingen, aber bist ein hochfahrender, trotziger, vorlauter Bub, der sich was dünkt vor dem Herrn, der den Rücken nicht krumm machen und nicht schweigen kann, wenn gute Leute reden, der den ehrwürdigen Vätern, die im Lande umherwandeln, nit die Händ' küßt, und dem Herrn Pfarrer auch nit, wie sich's gebührt. Siehst du, Willi, das sagen sie; hast Nesseln ausgesäet und erntest die Dornen alldieweil. Wir können hier keinen Burschen brauchen, dem nichts recht ist, was zu Recht besteht, und laut sagt, daß es ihm nicht gefalle.«
Willi schwieg eine Weile; dann sprach er finster in sich hinein:
»Ich bin ein freier Mann, kein Knecht; bin gerade so gut wie irgend Einer, habe Blut und Fleisch, und Seele und Herz, wie ein Anderer, und dasselbe Recht von Gott bekommen.«
»Da höre Einer!« rief der Krämer lachend. »Falscher Bub' du, sag' mir an, bist du etwa im Landrecht?«
»Nein,« erwiderte Willi, »bin nicht im Landrecht.«
»Dein Name steht also nicht aufgeschrieben bei denen, die vor 1641 im Lande Niedwalden wohnten?«
»Macht keine Possen mit mir, Peter Schramm,« erwiderte Willi, die Stirn reibend.
»Bist auch nicht bei denen, die nach 1695 sich festsetzten?« sprach der Krämer weiter.
»Bin bei keinen von Allen,« murmelte der Bauer.
»So bist auch nicht im Allmandrecht, bist nicht in der Genossame, bist nicht einmal ein Beisasse, wie ich es bin.
Sieh, Willi, ich bin ein ganz anderer Kerl wie du und sage doch, ich habe kein Recht, wenn mich Jemand fragt; bücke mich bis auf die Erde und reiß' den Deckel vom Kopf, wenn ein Herr vom Landrath hundert Schritt vor mir daher kommt. Darum bin ich wohlgelitten und sieht jeder den lustigen Peter Schramm gern.
Jeden Augenblick fällt es mir ein, daß ich keinen Theil habe an den Allmanden, daß ich kein Gemeindeglied bin, kein Mann aus der Genossenschaft, der eine reiche und mächtige Freundschaft besitzt, die ihn schützt. Es fällt mir auch ein, daß ich nicht mit wählen kann die acht und fünfzig Herrn vom Landrath, welche Richterstühle und Aemter einnehmen, daß ich um Leib und Leben keine Feindschaft haben darf, und doch bin ich im Landrecht und kann bei der Landgemeinde erscheinen und mitstimmen. – Nun schau an, Willi, was kannst du von Recht sagen? Bist nichts als ein Fremder hier, der auf Heimathschein sitzt, und wenn hundert und aber hundert Jahre vergehen, kannst doch kein Landmann, kein Gemeindeglied, nicht einmal ein Beisasse werden; bleibst ein Fremder bis in alle Ewigkeit und hast keinen Finger breit Recht, darfst nicht einmal den Nachtwächter mit wählen.«
»Ich bin ein Mensch!« rief Willi ingrimmig.
»Da bist du wahrhaftig wenig genug,« lachte Peter Schramm, der gemächlich während des Redens den Käse verzehrt hatte und die Rinde zum Fenster hinaus warf.
»Höre an,« sprach er weiter, indem er beide Arme auf den Tisch stemmte und den Zeigefinger an seine lange Nase legte, »will dir sagen, mein Bübli, was du noch nicht zu wissen scheinst. Bist hier im guten Lande Unterwalden, wo ein Mensch gar kein Recht hat, wenn er nicht ein Mensch ist, der zu den alten Landleuten von 1641 oder wenigstens doch zu den neuen Landleuten von 1695 gehört. Merk auf, Bub', was ich dir rathe: Mußt nie gegen den Stachel lecken wollen, wo du ihn nicht abbrechen kannst. Du hast deinen Prozeß verloren; das war ganz in der Ordnung. Hilberg ist ein mächtiger Herr und du bist ein fremder Mann. Seine Urgroßväter schon sind Landräthe, Richter, Landammänner gewesen. Du bist hergeschneit und bist ein Nichts, eine Schneeflocke; ein Hauch kann dich wegblasen. So sei gescheidt, du wilder Bub', und mach's nicht böser, wie es schon ist.«
»Ihr sagt's, wie es ist, Peter,« sprach der Bauer dagegen, »aber nicht wie es sein sollte. Die alten Familien, die Herren, das ist unser Unglück. Sie haben Alles und sind Alles, sie und die Pfaffen; wir haben nichts und sind nichts.«
»Warum bist du kein richtiger Landmann? Hättest es auch so,« rief der Krämer dazwischen.
»Warum bin ich nicht Gott selbst?« schrie Willi; »wollte mit meinen Donnerkeilen ihnen auf die Köpfe!
Aber warum kann es nicht so sein, wie es in Zürich und Bern ist?« fuhr er ruhiger fort. »Warum haben nicht alle Bürger gleiche Rechte? Warum werden Landräth' und Richter nicht vom Volk gewählt? Warum hat nicht jeder Theil an dem Allmandgut, und warum ist es wenigstens nicht so wie es war, als die Mediationsakte galt? Es sind unsere Tyrannen, die acht- und fünfzig Herren und ihr Anhang, machen und thun was sie wollen. Das Land ist voll Armuth und voll Bettler, weil sie Geld und Gut und Recht an sich reißen, und jeden hassen und verfolgen, der es wagt, ein Mann zu sein.«
»Still!« rief der Krämer, indem er sich scheu umsah, »still, du Narr! Ich sag's ja, dir ist Recht geschehen, und wenn dein Vater nicht mein Freund gewesen wär', ich ging gleich hin und brockte dir eine Suppe ein, mit der du dein Lebtag nicht fertig würdest. Kannst dein Maul nicht halten, so lauf was du laufen kannst, nach Zürich oder Bern; wird immer besser sein als hier bleiben. Wenn's die Herren wüßten, wie du rebellirst, sie zögen dich vor's Blutgericht und würden wenig Umstände machen mit einem Tolerirten. Kämst vielleicht damit davon, daß sie dich ein paar Monate in den Stock sperrten, ein paar hundert Hiebe aufzählen ließen, und endlich dir das Urtheil sprächen, einen Eisenring mit einer Klingel auf fünf Jahre um den Hals zu tragen. Habe Manchen schon mit einem solchen Halsschmuck umherlaufen sehen, zum Gespött und Gelächter aller Dirnen im Lande, und hatten bessere Sippschaft wie du.«
Willi sagte nichts darauf, aber er ballte grimmig die Fäuste. Die Wahrheit dessen, was er hörte, war ihm genugsam bekannt. Im Lande Unterwalden giebt es kein Zuchthaus, man schickt die Gestraften, wenn sie durchgepeitscht sind bis auf's Blut, mit der Klingel um den Hals nach Haus und läßt sie laufen und arbeiten. Die Wuth über den Gedanken, daß es ihm so gehen könnte, faßte den jungen Bauer so heftig, daß er laut stöhnte und mit beiden Händen sein Gesicht bedeckte. –
Peter Schramm stand auf und legte die Hand auf seine Schulter.
»Schau um dich und sei ein Mann,« sagte er; »hast es nöthig, Willi, hast zu Haus das alte Weib, deine Mutter. Was soll aus ihr werden, Bub, wenn sie dich jagen, fangen und einwerfen? Sie wird gehetzt wie heimathlose Leut' durch Wald und Dorn, gestoßen, geschlagen; Niemand nimmt sie auf, bis sie hinter'm Zaun erfriert.«
»Jesus Maria! aber Ihr habt Recht, Peter, so geht es den Verlassenen hier,« murmelte Willi.
»Ist ihre Schuld!« rief der Krämer; »warum stehen sie nicht im Gemeindebuch? Wer nicht darin steht, kann nicht klagen. Sei drum gescheidt, Willi, und setz dich drüber weg, es ist einmal so in der Welt und nicht anders. Bist noch jung, hast gute Arme und einen Kopf dazu; kannst sehen wo du bleibst. Ist Feld und Matte nicht mehr dein, fang' was Anderes an. Bist ein Schütz, dem selten die Kugel aus dem Stutzen fehl geht; oben im Gebirg giebt's der Gemsen noch genug.«
Der Bauer schüttelte trotzig den Kopf.
»Nun,« sagte Peter, »so fang einen Handel an, such' mir die Kundschaft abzuschneiden. Willst nit? Werd' ein Wildheuer, schlag Holz im Kernwald, oder vermiethe dich als Mäher. Die reichen Leut', die Herren, der Hilberg selbst, nehmen gern einen starken Buben wie du.«
»Eher in die Hölle!« murmelte Willi voll Wuth. »Und jetzt gebt mir Frieden, Peter, Euer Schwatzen macht mich toll.«
Der Krämer wendete sich gegen die Thür, welche er knarren hörte, und augenblicklich zog er ein freundliches Gesicht, wobei er den Hut, den er aufgelegt, grüßend abnahm. An der Schwelle sah er einen Mann, der dieser Höflichkeit werth sein mußte, auch hatte er gleich ein lustiges Wort bei der Hand.
»Grüß Sie Gott, Herr Oerni!« rief er; »dacht's doch gleich, es müßt ein Fürsprech sein, der so leise in's Haus kommt, daß es Niemand hört.«
»Dafür macht Ihr um so mehr Lärm, Peter,« erwiderte der Angeredete. »Ich hörte euch streiten und meinte, Ihr würdet einen Anwalt nöthig haben.«
»Von uns bekommen Sie nichts!« lachte Peter. »Ich bin der friedfertigste Mann im Lande, laß mir die Haut abziehen, fang' keine Klage darum an. Hat doch mein Vaterseliger, wie er starb, mir's Wort abgenommen; er sprach: laß dich lieber schinden und braten, aber meide Richter und Advokaten. Gelt, das ist ein feiner Spruch, Herr Oerni?«
Der Fürsprech warf den Hut auf den Tisch, strich den Schweiß von der Stirn und sagte lachend:
»Ist ein feiner Spruch fürwahr, und du machst ihm Ehre, Peter; nur kehrst du ihn um und schindest die Leute, wie auch immer besser ist, als geschunden werden; bist Richter und Advokat in deinen Sachen und führst deine Prozesse selbst vor jeder Hütte, wo du die Leute vor sichtlichen Augen überzeugst, daß du recht hast, ihnen die Beutel zu fegen. Bist ein geschickter Mann, Peter, verdientest Präsident beim Obergericht in Zürich, oder wenigstens Landamtmann in Unterwalden zu sein; würdest Land und Volk glücklich machen.«
»Nein, nein,« rief Peter, »das ist ein Platz für Sie, Herr Oerni; ich sehe mit Freude, daß Sie die Sache weit gründlicher verstehen.«
»Bist zu bescheiden, würdiger Kollege,« versetzte Oerni, den das Gespräch belustigte. »Richter sein ist überhaupt das leichteste Ding von der Welt. Die Menschen haben von je an dafür gesorgt, daß es nicht an Büchern und Pergament fehlt, darin verzeichnet wurde, was Recht sein sollte, so lange die Welt steht. Die legst du aus, wie es eben paßt oder nicht paßt, wie dir gerade zu Muthe ist, oder wie der heilige Geist dein Gehirn erleuchtet; das nennt man die Gründe.«
»Und der Gründe können vielerlei sein,« sagte der Krämer.
»Je mehr Gründe, je besser das Urtheil,« fuhr der Fürsprech fort. Es ist gerade so damit, Peter, wie mit deiner Waare: die schlechteste rühmst du zumeist.«
»Nun, Willi,« sagte der Krämer, indem er seinen Bekannten, der seither ganz still gesessen und den Kopf in die Hand stützte, derb an der Schulter rüttelte, »wach auf, Bub'! Das ist ein Trost für deine Wunden.«
»Ist es der Willi Grießler?« fragte der Fürsprech.
»Es ist der Bub',« erwiederte Peter, »der gestern durch ein Urtheil von vielen Gründen Hab' und Gut verspielt hat.«
Oerni's Gesicht verlor den Spott, der in seinen Mienen lag.
»Müßt nicht sagen verspielt,« erwiederte er. »In andern Ländern ist ein Prozeß wohl ein Spiel oder eine Spekulation, die vom Zufall abhängt. Wir aber im Lande Unterwalden wissen in den meisten Fällen genau, wie eine Sache enden muß, und wäre der Willi zu mir gekommen, würde ich ihm besser gerathen haben.«
»Sie, Herr Oerni?« fragte Peter verwundert. »Sie haben ja selbst, wie mir gesagt ist, für Hilberg gestritten.«
»Wohl, Peter, habe ich das Urtheil erstritten, und wollt eben deßwegen hinauf zu ihm.«
Er ging auf Willi zu, der einen feindlichen Blick unter seinem dichten Stirnhaar auf den Fürsprech warf, welcher ihm die Hand bot, die er nicht mochte.
»Höre, Willi,« sagte er, »wir haben uns schon als Knaben gekannt, und siehst mich wohl jetzt als deinen bittersten Feind vor dir stehen. Es liegt eine lange Zeit zwischen unserer Freundschaft, warum willst du mich aber hassen? Weil ich den Handel gegen dich führte? That ich es nicht, that es ein Anderer, helfen konnte dir keiner. Du bist übel angeschrieben bei denen, die im Rath sitzen, und wer da keine Freunde hat, ist ein verlorener Mann.«
»Habe ihm dasselbe gesagt, Wort um Wort,« sprach der Krämer, in die Hände schlagend.
»Nun bin ich hier vorüber gekommen,« fuhr Oerni fort, »um dich aufzusuchen und mit dir zu reden. Ich möchte etwas für dich thun, wenn ich mit Hilberg zusammentreffe.«
»Was können Sie für mich thun, Herr?« sagte Willi finster. »Wird Ihre Rede mir wieder geben, was mein war?«
»Das glaube ich zwar nicht,« meinte Oerni, »allein Hilberg könnte sich bewogen fühlen, dir den Hof am ein Billiges zu verpachten.«
»Verpachten? meinen Hof?« rief Willi.
»Kreuz Element, Bub!« schrie Peter; »nicht deinen Hof, seinen Hof, sagt der Herr Oerni.«
»Danke, Herr, danke,« murmelte der Bauer, »mag die Gnad' nicht haben.«
»O du wüstes Hirn!« schrie der Krämer, »was willst anfangen, wenn du keinen guten Rath annimmst?«
»Laufen, so weit mich meine Füß' bringen,« sagte Willi, »aus diesem verfluchten Land, wo die Menschen schlimmer sind wie wilde Thiere.«
»Und das alte Weib, Willi? nimmst es auf den Schultern mit?« fragte Peter. »Hören Sie ihn nicht an, Herr Oerni, thun Sie was Sie können, es ist ein gut Werk. Der Bub' ist heut von Sinnen, weiß nicht was er red't, morgen aber wird er's Ihnen danken und alle Zeit.«
Der Advokat ließ sich Wein bringen und Gläser für die beiden andern Gäste, dann redete er mit Willi lange und dieser gab immer gute und verständige Antworten, bis er auf den Punkt kam, den er sein Recht nannte, das er mit unbeugsamer Hartnäckigkeit verfocht. Keine Einrede konnte ihn davon abbringen und alle Vorstellungen des Fürsprech, wie alle Scheltworte und Drohungen des Krämers, scheiterten an seinem Gewissen, wie Willi es nannte.
»Sehen Sie, Herr Oerni,« sagte er zuletzt, ich weiß jetzt, daß Sie es gut mit mir meinen, und doch können Sie nichts weiter, als mir eine Wohlthat verschaffen, an der ich umkommen müßt, wenn ich sie annähme. Ich bin bis jetzt ein freier Mann auf meinem kleinen Hof gewesen, ein armer Kerl zwar, der von Milch und Kraut, dünnem Kaffee und Kartoffeln lebt und selten in ein Wirthshaus tritt, aber was ich hatte, war mein, und es war überall bekannt, daß ich das fühlte und den Leuten muthig in's Gesicht schaute. Nun aber müßte ich den Kopf senken bis auf die Erbe, und wenn ich ihn aufhöbe und erblickte den Mann, der mir genommen, was ich besaß, und aus dessen Gnad' nun meine Füße auf dem Boden ständen, wenn ich ihn grüßen müßt, ihm freundlich sein müßt, –« – Seine Augen funkelten und er ballte die Faust. »Es geht nimmermehr!« sagte er fest.
»Du stellst dir die Sache schlimmer vor wie sie ist,« erwiderte Oerni; »es läßt sich Manches zum Guten wenden.«
»Hierin nichts,« versetzte Willi. »Ich kenne die hochmüthigen Herren und kenne den Hilberg. Ja, wenn ich käm' und ränge demüthig die Hände, wenn ich Freudenthränen weinte über seine Güte und Besserung gelobte; wenn ich wäre, wie viele hier sind, einfältige Leut', Heuchler oder Schufte, die über ihr Elend seufzen und sich drein ergeben, oder herumscharwenzeln und krumme Rücken machen, um die Gnad' zu verdienen, dann möcht es werden. Ein Mann, der offene Augen hat, all das himmelschreiende Unrecht zu sehen, Herr Oerni, das in diesem Lande geschieht, der eine Zung' hat, die es nicht verschweigen kann, und ein Herz, das es nit dulden will, ist ein verlorener Mann. Das hab ich erfahren, denn Recht kann er nicht finden, es giebt keins für ihn bei den Herren, denen Unterwalden gehört; und so Fernwalde, so ist's in Uri, in Schwyz und überall, wo die alten Familien und die Pfaffen sich zusammengethan haben. Das Volk hat keine Freiheit und kein Recht, sie haben es ihm genommen und gestohlen.«
»Wetterbub!« schrie der Peter, »willst du still sein? Haben wir nicht Landsgemeinde und Nachgemeinde in jedem Jahr? Bestimmt das Volk nit die Abgaben und mag die Rechnungen anschauen?«
»Das Volk?« sprach Willi voll Hohn. »Ist's das Volk, das sich dort versammelt zur Gemeinde? Die Genossen und Beisassen sind's, meist arme Leute, die bei den reichen Herren zu Diensten geh'n oder von ihnen Geld borgen, oder bei ihrem Vieh leben und nichts denken, als was der Pfarrer oder der Herr ihnen vorsagt. Die Landsgemeinde ist ein Popanz, auf die Stang gesteckt in jedem Jahr; Alle sind froh, wenn's vorüber gegangen; wie's kommt, weiß jeder. Die Abgaben sind dieselben, aber Rechnung seht ihr nicht und fragt auch wenig darnach, weil ihr dummer seid, wie das Vieh auf den Alpen. Ihr haltet's Maul und schweigt dazu, wenn der Seckelmeister euch erklärt, er wolle nicht Rechnung legen; ihr sagt: Was sollen wir machen, er will nicht und ist einer von den Herren!«
Der Krämer schien bei diesen Anklagen in den heftigsten Zorn zu gerathen. Er stülpte seinen Hut auf, stampfte mit den Füßen und sagte endlich:
»Ist nicht der Mühe werth, mit dem Buben da zu streiten, der wie eine Gans in die Welt schreit. Hören Sie es nicht an, Herr Oerni, und werden Sie nicht bös darüber. Muß Jedermann Nachricht haben mit einem verwirrten Gehirn.«
Aber der junge Advokat sah gar nicht böse aus. Er blickte theilnehmend auf den Bauer, man konnte in seinem Gesicht lesen, daß er ihm wohlwollte, trotz der harten Worte.
»Für's Erste halte dich ruhig,« sagte er, »und bleib im Lande; wir können immer versuchen, was sich thun läßt.«
»Ein Mann muß die Wahrheit sagen, und was ich spreche, ist Wahrheit,« erwiderte Willi.
»Ein Mann muß schweigen können, Willi, wenn die Vernunft ihm sagt, die Wahrheit bringe Verderben. Darum schweige, bis es Zeit ist zu reden. Geh in die Berge, jage Gemsen, schrei die Wahrheit in die Klüfte des Gebirges, aber nicht in Ohren, wo sie als Verbrechen klingt.« –
Er nahm seinen Hut, grüßte die Beiden und ging hinaus. An der Treppe stand sein Pferd, und als die Hufschläge auf dem felsigen Boden klappten, kehrte Peter vom Fenster zurück und rief dem Bauer zu:
»Der hat dir die rechte Wahrheit gesagt, die befolge und thue, was er dir heißt. Ist ein treuherziger, kluger Mann, der junge Herr Oerni; kann einer helfen, kann der's, magst es glauben, und ich weiß auch warum. Ich laß dich nun allein, Willi,« fuhr er dann gelassen fort, »muß heut' noch um die Stangenhöf' nach Wolfenschieß, ehe die Nacht kommt.«
Er lud sein Bündel auf, nahm den Regenschirm und sprach:
»Grüß die alte Frau und behalt's im Gedächtniß, Bub, daß du kein Recht nit hast und zermalmt wirst unter den Füßen, wie ein Wurm, wenn dich die Klugheit verläßt. In ein paar Täg' sprechen wir uns wieder.«
Damit reichte er Willi die Hand, stieg dann die Treppe hinunter und rief der Wirthin sein Lebewohl zu, die ihm nachschaute und nachlachte, als er den Berg hinaufwandernd alle Vögelstimmen nachahmte. Der lustige Peter Schramm machte überall frohe Leut', die ihm zunickten, den Willi schaute keiner an, als er langsam in sein Häuschen an der Berglehne zurückkehrte.
Ganz anders sah es in dem großen Hause des Alt-Landammans Hilberg aus, das oben im Thale nahe an der Straße lag und weit über das Land schaute. Ein Gartengehege mit grünem Anstrich und verschnittenen Taxushecken faßten es von drei Seiten ein, Haus und Garten ruhten auf einer Felswand, welche steil über der Straße hing. Man sah, hier müsse ein Mann wohnen, der mehr bedeute als viele seiner Nachbarn im Kirchdorfe und in den Häuschen zwischen den Gesenken.
Wer aber einen Rittersitz oder ein Schloß und geputzte vornehme Herren und Frauen suchen wollte, würde sich doch sehr getäuscht haben, denn die Männer, welche im Schatten schöner Fruchtbäume auf und nieder gingen, rauchten und am Tisch zwischen den Hecken Kaffee aus einfachem Geschirr schlürften, sahen weit eher wie wohlhabende Bauern, denn wie Herrn aus, und ein stattliches und geräumiges Haus war dies, doch eines, das mit seinem einfachen Stein- und Balkenwerk sich eben nicht groß von andern unterschied.
Dennoch aber waren die Lustwandler im Garten meist gewaltige Männer im Lande, Regenten, die größere Macht besaßen, als mancher Fürst und Graf. Es waren Räthe und Richter, Präsidenten und Minister von verschiedener Titulatur: Pannerherrn und Säckelmeister, Herren vom Landrath und Obersten, Leute, deren Ahnen mit Melchthal und Winkelried gefochten und deren Stolz auf Abkunft, Geschlecht, Familie und Vorrechte nicht geringer war als bei Grafen und Feldherren, deren Namen in den Turnierbüchern der fränkischen Kaiser stehen.
Es thut nichts, daß das Land Unterwalden, ob und nied dem Wald, zusammen nicht zehn Stunden lang und halb so breit ist. Der Raum ändert nichts in solchen Sachen, und diese Bauernaristokratie hat in ihren engen Alpenthälern seit Jahrhunderten sich weit zäher erwiesen und reiner erhalten, als es in großen Reichen und Völkern möglich, welche der Arm der Geschichte faßt, deren Stürme und Wogen wie die Wogen des Weltmeeres an den alten Bauwerken menschlicher Gesellschaft waschen und nagen. –
Die Herren im Garten, der über der Straße hing auf Felsenlagern von verwittertem Gneus und Urkalk, hatten etwas von dem Boden, der unter ihnen lag, etwas Hartes, Festes und doch Verwittertes. – Breitschultrig und ernsthaft, mit dicken Köpfen und unbeweglichen Zügen steckten sie in ihren langen Röcken und hohen blankgebürsteten Stiefeln. Lose lagen die Seidentücher um ihre muskelvollen Nacken, und die sonnenbraunen breiten Stirnen wie alle ihre Bewegungen, ihre Sitten und Reden zeigten, daß die feinern Herren in der Schweiz, die Herren in Zürich und Genf, welche ihre Kultur aus Paris, Wien oder Berlin holen, über diese Aristokratie am Vierwaldstädter See mit leichter Mühe witzeln und spötteln können.
Damit können die Züricher und Genfer Herren freilich nicht machen, daß die Urschweizer anders werden, wie sie sind, und hier gerade wäre ein schöner Platz für einen der radikalen Führer aus Bern oder Aarau gewesen, um sein Lob zu vernehmen. Im Auf- und Niedergehen sprachen die Herren von der Zeiten Noth und Schande, von den Vorgängen in der Welt, so weit diese sie angingen, auch von den bösen Absichten ihrer Feinde, und es fehlte nicht an kräftigen Zornreden und Schimpfworten für alle Gottesläugner, Religionsschänder und ehrlose Wichte, welche Ruhe, Frieden, Recht und Eigenthum mit Füßen treten.
Jeder der Herren that dies in feiner Weise. Der Eine im schwarzen Rock und Schnallenschuhen war der Pfarrer Sigrist, der die Noth der verfolgten, verspotteten Kirche schilderte. Sein Nachbar wurde Oberst genannt, obwohl er eben nicht wie ein Soldat aussah; allein er fluchte doch als solcher auf die Schurken und Halunken, welche in den großen Kantonen regierten und die wahren Schweizer unterjochen wollten. Ein paar dicke Landräthe, die wie Felsenstücke aussahen, stimmten ihm bei und schwuren, es solle den großen Hänsen nie gelingen, der Urschweiz, der sie Alles verdankten, was sie wären, ihr Recht zu nehmen.
Herr Arnold Hilberg selbst, ein stattlicher Mann mit hartem Gesicht, nickte ihnen Beifall und lachte höhnisch dazu, als Einer erzählte, wie der waadtländische Abgesandte letzthin auf der Tagsatzung gesagt habe, die Hirtenkantone und ihre Häuptlinge meinten noch immer, daß die Zeit der Melchthale und Winkelriede noch vorhanden sei, aber diese Zeit sei längst vorüber. Die kleinen Kantone seien nichts als Rumpelkammern des Mittelalters, wo es dringend nöthig werde den Plunder auszufegen und Tageslicht hereinzulassen, damit Aberglaube, Dummheit und Dünkel endlich dem bessern Einsehen Platz machten.
Die Herren lachten und schimpften, der Oberst Ulrich aber schlug mit der Faust auf den Tisch und sagte:
»Das darf solch ein Bösewicht jetzt öffentlich ausschreien! Wäre es noch wie zur Zeit unserer Väter, er wäre uns zum Gericht ausgeliefert worden und hätte an uns denken sollen.«
»Mußt nicht vergessen, Oberst,« erwiderte ein Anderer, »daß der Kerl aus der Waadt ist, aus einem Unterthanenlande, das kaum erst die Berner Herrn los wurde. Sind Jahrhunderte lang Knechte gewesen; nun die Katze nicht mehr zu Haus ist, tanzen die Mäuse auf Tisch und Bänken. Was kann's uns schaden!«
»Wir sehen aber, wie es die großen Kantone mit uns meinen,« fiel der Säckelmeister ein. »Möchten die Herren spielen in der ganzen Schweiz, möchten uns nach ihrer Pfeife tanzen lassen, uns Gesetze vorschreiben, unsere Kantonalsouveränität vernichten, uns gerade so herabwürdigen, wie sie selbst herabgewürdigt sind.«
»Ist richtig!« schrie ein Anderer. »Sie wollen uns zu Knechten machen. Unsere Sitten und Gebräuche, unser altes Landrecht, alle unsere Einrichtungen sind ihnen verhaßt. Sie sehen uns über die Achseln an, nennen uns Hirten, Kühjungen, hochmüthiges Bauernvolk, und dünken sich weit besser und weiser, weil sie in Städten wohnen und das Unterste zum Obersten kehren.«
»Mit Hilfe des bösen Feindes und seines Dieners Vernunft!« sagte der Pfarrer Sigrist, die Hände faltend.
»Mögen sie doch spotten und lachen,« rief Arnold Hilberg, »wir lachen ja auch über die Krämer am Züricher See und über die freigelassenen Knechte in den Surabergen. Laßt sie das Unterste zum Obersten kehren, neumodische Sitten anbeten und vor dem Pöbel niederknieen, bei uns bleibt es, wie unsere Väter es eingesetzt haben. Fällt kein Stein darob vom Uri-Rothstock und keine Lawine vom Titlis nieder. Trinkt ihr Herren; habe Veltliner auf den Tisch stellen lassen, damit ihr vom radikalen Gewächs aus Zürich oder Waadt kein Bauchgrimmen bekommt.«
Er trat zum Tisch und schenkte den dunkel perlenden Wein in die Gläser, was die Herrn gern sahen und freundlich zugriffen. Lachen und Scherz wurde in derber Art weiter geführt. Einer aber unter den Gästen war ein alter schöner Mann mit weißem Haar, wie der Schnee, der vom Sattelstock herüberglänzte, und hatte ein paar große tiefblaue Augen unter der faltigen Stirn.
»Ich will einen Trinkspruch ausbringen,« sagte er.
»Wie heißt dein Trinkspruch, Pannerherr Imring?« fragte Oberst Ulrich.
»Dort unten in Stanz,« sagte der alte Mann, »steht das Bild des Niclas von der Flue. Als Streit und Haß einst die Schweizer trennte, trat der alte Niclas vor die Eidgenossen und rief: Seid gerecht und wahr und einig, wie eure Väter waren. Da ließen sie die Schwerter sinken. Der Bauer aus Unterwalden war der beste und redlichste Mann im Rande. So soll es sein, liebe Herrn, wie in alter Zeit. Wahrheit und Recht sollen leben und dazu alle Männer, die, wie Niclas von der Flue, den Haß in Frieden zu wenden wissen!«
Die andern Herren stießen darauf an, aber sie schwiegen. Mehr als einer lächelte und Manche nickten sich zu. Dann trat der Hausherr an die steinerne Brüstung, wo die Felsenwand in's Thal fiel, und sah über das Land hinaus. Neben ihm stand der Oberst Ulrich und Beide flüsterten, indem sie dann und wann den alten Mann mit spöttischen Seitenblicken betrachteten.
»Ist auch Einer von den Moderirten,« sagte der Oberst, »die nicht roth, nicht schwarz sind.«
»Hat siebzig Jahre auf dem Nacken,« erwiderte Hilberg.
»Die thun ihm nichts, er war nie ein entschiedener Mann.«
»Gehört aber doch zu den besten Leuten im Lande.«
»Mag sein, sind aber die Rechten nicht, die wir brauchen.«
»Meinst du, Oberst?«
»Ja,« versetzte dieser, »ich kenne die Sippschaft; 's giebt viele darunter von schlechten Grundsätzen, die wie der alte Imring Haß in Frieden und Feindschaft in Freundschaft wenden möchten um jeden Preis.«
»Sind schwachköpfige Leut',« erwiderte der Hausherr.
»Verräther am Vaterlande so gut wie Andere, die ganz und gar schwarz sind.«
»Davon haben wir keine in Unterwalden und wissen uns davor zu bewahren.«
»Trau ihnen nicht zu viel, Arnold!« sagte der Oberst warnend. »Es giebt auch bei uns eine Rotte, die losbrechen möchte, so gut wie es über dem See in Schwyz und unten in Luzern schon vor Jahren losgebrochen ist.«
»Wir haben gesehen, wie es dort gefruchtet hat,« erwiderte Hilberg.
»Sie sind schmählich untergegangen und ausgetrieben worden. Gutes Recht und alte Sitte und Freiheit haben gesiegt,« fiel der Oberst ein, »jedoch müssen die Guten fest zusammenhalten, wenn das Unkraut nicht bald wieder aufwuchern soll.«
Hilberg hielt die Hand vor die Augen und blickte in die Weite. Ein Reiter kam langsam am Berge herauf.
»Es ist der Rudolf Oerni,« sagte er, »wenn ich recht sehe.«
»Nun, da haben wir ja wieder einen weisen, studirten Mann in's Land bekommen,« sprach der Oberst spöttisch lachend.
»Er ist aus Deutschland von der hohen Schule zu Heidelberg und Göttingen zurückgekehrt, als Doktor der Rechte.
»Der Teufel hol das Gebäck!« rief Herr Ulrich; »es wird mir übel, wenn ich's rieche. Da gehen sie in die Fremde und kommen voll neumodischer Weisheit zurück, verlernen aber, was Recht und Sitte zu Haus ist und wie ein ächter Schweizer sein muß.«
»Nun, Ulrich,« sagte Hilberg lachend, »dein Neffe war ja auch in der Fremde.«
»Ja,« erwiderte der Oberst, »aber mein Neffe war, wie es seit Jahrhunderten Sitte ist in unserem Haus, Offizier in Kriegsdiensten großer Fürsten, damit es uns nicht an kriegskundigen Männern fehle, wenn etwa das Vaterland Leute braucht, die den Krieg verstehen. Er ist nun als Hauptmann aus Neapel zurückgekommen, hat seinen Rang und seine Pension, was auch zu beachten, und ist doch ein ächter Schweizer geblieben, der die Faust ballt, wenn er von den radikalen Schuften ein Wort hört. Der aber, der Oerni, steckte Jahre lang in Deutschland, beim schlimmsten Volk, das es giebt. Bücken sich und schmiegen sich wie glattes Gewürm, können in jede Form geschlagen werden; es stammt aber, wie der Pfarrer Sigrist sagte, alle Verdammniß und alles Laster von ihnen; sie hecken aus, was sie Philosophie nennen, verdammte Zungendrescherei, womit sie die jungen Leute verführen. Möchte keinem trauen, der dorther sich Weisheit geholt hat.
»Wo ist denn dein Neffe, Oberst?« fragte Hilberg.
»Weiß nicht; er steckt vermuthlich dort hinten in der Laube.«
Die Blicke der beiden Männer begegneten sich. Der Oberst Ulrich lachte, Hilberg jedoch hatte etwas in seinen Mienen, was wie ein Schatten darüber lag. Er beugte sich über das Gitter und winkte dem Reiter zu, der jetzt ganz nahe war und den Felsenweg herauf ritt.
»Es ist ein wackerer Bursch, der Rudolf Oerni,« sagte er, »ich halte große Stücke auf ihn und bin sicher, daß er ein ächter Schweizer ist, der nichts Schlechtes bei den Deutschen gelernt hat. Will's doch der Regine sagen, daß der Rudolf Oerni am Thor ist. Regli! Regli!« rief er durch den Garten, indem er durch den großen Gang der Laube zuging.
Der Oberst blickte ihm böse nach und murmelte etwas zwischen den Zähnen, was keiner hörte.
Die Gesellschaft, welche sich im Hause des Alt-Landammans befand, blieb im Garten beisammen, bis die Sonne hinter den fernen Jurabergen verschwand, und noch immer saßen die Herren froh an dem gastlichen Tische, wo Backwerk und der feurige Wein, welcher an den Südabhängen der Alpen wächst, in reichem Maaße bereit standen. Als Wirthin waltete die einzige Tochter Hilbergs, Regine, ein junges Mädchen, halb städtisch, halb ländlich gekleidet; keine Schönheit im Sinne der großen Welt, aber frisch und lieblich wie eine Alpenrose. Ihre dunkelblonden Haarflechten schmiegten sich an zwei helle Augen und die starken ächt schweizerischen Züge ihres Gesichts wurden weicher durch einen hübschen Mund voll weißer Zähne, die in der Schweiz zu den Seltenheiten gehören.
Regine galt als eine Schönheit im Lande, noch mehr aber ward gerühmt, was sie alles verstände und wüßte. Ihr Vater hatte sie in eines der Erziehungsinstitute gesandt, die in Luzern gehalten werden und von halb klösterlicher Art sind. Dort lernte sie nicht allein, was gewöhnlich gelehrt wird an feinen Arbeiten und nebenher von sogenannten Wissenschaften, sondern auch Französisch, und sogar Musik.
Als sie aus der Pension zurückkehrte, waren die Leute im Thale auf's Höchste erstaunt und horchten oft lange unten an der Felswand, wenn aus dem Hause auf der Höhe die Töne der Walzer und Märsche in die Lüfte stiegen. Denn Hilberg hatte für vieles Gelb einen schweren Kasten kommen lassen, aus welchem die Finger seiner Tochter die Melodien lockten, daß es eine Lust war.
Seitdem war Regli noch viel höher in der allgemeinen Achtung gestiegen, und wer irgend von den jungen Herren im Lande Ehrgeiz und Selbstbewußtsein genug besaß, trug sich mit Hoffnungen, ihr oder vielmehr ihrem Vater zu gefallen, denn an seinem Willen hing das Glück, sie zu besitzen; er mochte sich den Schwiegersohn und Erben wählen, wie es Brauch und Sitte ist.
In der Schweiz werden die Töchter, wo Söhne sind, meist nur mit einer mäßigen Geldsumme abgefunden, und man sucht ihnen Männer, denen an der Familienverbindung mehr gelegen ist, als an großem Heirathsgut. Wo aber einem Reichen der Himmel nur Ein Kind bescheerte, hat der Vater um so größere Sorge, die Erbin auch an den richtigen Mann zu bringen, der ganz nach seinem Wunsch ist und beide Namen in Ehren hält, wenn er sie einmal verbindet.
Im Hause des Alt-Landammans waren nun zwei junge Männer, welche sichtlich nach dem Besitz der Braut strebten, und Beide besaßen so viele Vorzüge, daß die Wahl schwer wurde. Hilberg hatte mehr als eine Nacht sinnend gelegen, die Vortheile erwogen, die Ansprüche geprüft und was jeder in die Wagschale legen konnte, endlich sogar die Namen untersucht, was besser klingen werde: Oerni-Hilberg oder Siler-Hilberg, und war dennoch immer wieder auf Zweifel gestoßen.
Der Hauptmann Siler von Schauensee, Neffe des Obersten Ulrich, stammte aus einer alten edlen Familie, die viele Verbindungen und Verwandtschaften in allen vier Landen besaß. Großer Reichthum und Besitz war nicht bei ihr, dafür Ansehen und Ehren in Fülle; der Kapitän war ein stattlicher junger Herr und sein Oheim Ulrich ein Mann, der den meisten Einfluß in den Räthen übte.
Dagegen waren die Oernis um vieles geringer zu achten und keineswegs so verzweigt mit den regierungsfähigen Geschlechtern. Hilberg wußte recht gut, daß sie als die allerjüngsten im Landbuch standen, und Manche glaubten, daß sie eigentlich gar nicht dahin gehörten, vielmehr mit Unrecht ihr Name dort eingetragen wurde. Indeß standen sie da, wählten Rath und Richter mit, wurden jedoch selten selbst gewählt, weil es bessere Leute gab, wie die Wahlherrn der Genossenschaft meinten.
Die Oerni aber waren von je an fleißige Leute, welche Handel trieben, Wälder und Alpen kauften und bei manchen Verlusten, die sie erlitten, doch zu den Wohlhabendsten in dieser kleinen Bauernrepublik gezählt wurden, wo großer Reichthum nicht angetroffen wird. Rudolf Oerni war nun eben so gut der einzige Erbe seines Vaters, wie Regli den ihrigen allein beerben sollte, und wahrscheinlich machte dieser Umstand bei Hilberg, dem viele Leute Geiz vorwarfen, den günstigsten Eindruck. Rudolf Oerni wurde gern von ihm gesehen, er lobte ihn öffentlich, schaute vergnügt nachsinnend hinterher, wenn Regine mit Oerni ging, oder wenn Beide am Clavier saßen, und schien endlich seinen Entschluß gefaßt zu haben.
Aus diesem Grunde brach er auch plötzlich das Gespräch ab, welches der Oberst zu Gunsten seines Neffen und zu Oernis Verdächtigung begonnen hatte, und während des Abends ermunterte er durch Worte und Blicke so oft seinen Schützling, zog ihn in's Gespräch, gab ihm Recht, stritt für ihn und behauptete Dinge, welche er sonst nicht vertheidigt haben würde, daß man wohl merkte, er wolle zeigen, was er mit Rudolf Oerni vorhabe.
Der Oberst Ulrich runzelte darüber die Stirn, doch verschloß er seinen Unmuth in sich so gut er konnte und verließ sich auf seinen Neffen, der, wie es ihm dünkte, der Regli heut besser gefiel als ihrem Vater. Der schlanke junge Herr in feiner Tracht und von feinen Sitten war in Fürstensälen gewesen und hatte mit Gräfinnen und Prinzessinnen getanzt. Sein Bart und sein kriegerischer Anstand, seine Höflichkeit und Biegsamkeit gefielen den Damen in Neapel und Rom, wie sollte er also nicht den Damen in Unterwalden gefallen? wußte er doch zu reden und zu schmeicheln. Wenn er neben Oerni stand, war er einen halben Kopf größer, und ob auch der junge Fürsprech ein ganz artiger Bursch war, wie alle Leute sagten, so war er doch weder so unterhaltend, noch so aufgelegt zu Lachen und Geschwätz, überhaupt nicht so eifrig bemüht Regli zu schmeicheln, wie sein Nebenbuhler.
Regine war jedoch eben so ungewiß darüber, wem sie den Vorzug geben sollte, als ihr Vater, und im Grunde genommen war es gut für sie, wenn ihr Herz keinen allzugroßen Antheil an der Wahl ihres Gatten nahm. Kinder gehorchen dem Willen ihrer Eltern, der die Zukunft ihres Lebens bestimmt, wohl in keinem Lande der Welt folgsamer, wie hier, und nirgends sind die Ehen seit den ältesten Zeiten mehr den Verhältnissen, den Unterschieden des Standes, dem Kastenwesen und genau berechnenden Vorurtheilen unterworfen.
In den Städten kam es selten oder nie vor, daß die Tochter eines Patriziers aus den Reihen ihrer stolzen Verwandten sich entfernte, um einer Leidenschaft Gehör zu geben, die sie auf immer von der Gesellschaft der Ebenbürtigen trennte. In Kränzchen und Jahrgängen wurden die Kinder der herrschenden Geschlechter Spielgefährten: oft verlobte man sie schon in den Wiegen und ihre ganze Erziehung war darauf eingerichtet, in Gewohnheiten aufzuwachsen, die sie wie mit eisernen Banden einschnürten.
Fast in noch höherem Maaße war dies in den Familien der Häuptlinge des Gebirgs der Fall. Zwischen den regierungsfähigen Geschlechtern und den Leuten aus dem Volk, den armen Hirten, den Grasmähern und dem Haufen besitzloser Menschen lag eine Kluft, die nicht zu überschreiten war. Das uralte germanische Leben der Gemeinde war hier tief verwachsen mit Ehren und Vorzügen; in den Händen allein berechtigter Genossen lag das Regiment, bei ihnen war der Besitz und Genuß der Weiden, Wälder und Güter, und ihre angesehenen Männer, die Landräthe und Vorstände, bildeten eine Kette verschwägerter und verwandter Glieder, in welche sich unmöglich ein neues und fremdes eindrängen konnte. Nur wer dazu gehörte, konnte hoffen, einen Ehebund mit der Tochter eines dieser bevorrechteten Bauern zu schließen; nur ein gleichgeborener, gleichbevorzugter Genosse durfte es wagen, an eine Heirath zu denken, die seine Sippschaft verstärkte; so noch tiefer verwurzelt, wie in den Städten, war hier der Abscheu gegen jede Mißheirath.
Der kalte, berechnende Verstand der Schweizer, der weder heißes Blut noch Phantasie duldet, und darum auch die Macht der Leidenschaften zu beherrschen versteht, weiß wenig von den Irrthümern und Verirrungen der Liebe. Die Mädchen begreifen früh, was sich für sie schickt und welche Anforderungen ihr Name, ihr Geschlecht und die Sitte zu machen haben. Meist kennen sie auch in den Kinderschuhen schon den für sie Bestimmten, und in die stillen, streng abgeschlossenen Kreise ihres Lebens dringt selten oder nie ein Fremder ein, der im Stande wäre das Bewußtsein ihrer Bestimmung und den Willen, der sie beherrscht, zu vernichten.
So war es auch mit Reginen. Sie wartete willenlos, was ihr Vater beschließen würde, und war mehr neugierig als besorgt, wie seine Wahl ausfallen möchte. Der junge Hauptmann mit seiner lebhaften Höflichkeit und seinem stolzen Wesen beschäftigte ihre Gedanken in angenehmer Weise. Seine Verwandten gehörten zu den Ersten des Landes; er selbst besaß ein Haus in Stanz und ein Gut in Luzern. Mit heimlichem Vergnügen hörte sie seinen Erzählungen zu, wenn er davon sprach, künftig zur Winterzeit in Luzern zu leben, wo es Bälle, Gesellschaften und Festlichkeiten mancher Art gab, oder wenn er von Reisen nach Zürich und Bern redete, wo er Freunde hatte und häufigen Besuch machen wollte. Sie dachte sich an der Seite eines solchen Gatten ein glückliches Leben und seufzte heimlich, wenn er über die Eintönigkeit dieser Berge und die Rohheit ihrer Bewohner spöttelte, dagegen aber seinen Aufenthalt in Neapel und Rom pries.
An dem Tage, wo Rudolf Oerni unverhofft die Gesellschaft des Landammans vermehrte, hatte Siler mehrere Stunden lang allein mit Reginen zugebracht und alle seine Beredsamkeit und Liebenswürdigkeit aufgeboten, sie zu überzeugen, daß er ein in allen Dingen begabter und ausgezeichneter Mann sei. Hauptmann Philipp Siler war eben so eitel auf seine Gestalt, wie auf seine Fähigkeiten; er hatte eine hohe Meinung sowohl von seinem Bart wie von seinem Geist, und blickte mit dem Uebermuth eines jungen Herrn aus edlem Hause und großen Ansprüchen auf seine jetzigen Umgebungen.
Als Oerni hereintrat und Reginen die Hand reichte, betrachtete er den Nebenbuhler mit geheimen Lächeln und nahm nach einigen gleichgültigen Worten keine weitere Notiz von ihm, indem er seine ganze Aufmerksamkeit fortgesetzt dem jungen Mädchen widmete. Oerni hörte ihm schweigend zu, bis er endlich, gereizt durch einige Bemerkungen des Hauptmanns, sich einmischte und die Urtheile desselben bestritt. Der Hauptmann erzählte von Rom und Italien, von Kunstwerken, die er gesehen, von Musik, die er gehört, von Fürsten, mit denen er gesprochen, und von dem schönen Leben jenseits der Alpen.
»Da ist es herrlich,« sagte er; »was ist Frankreich dagegen, oder gar Deutschland, wohin man höchstens gehen kann, um ein Schulmeister zu werden!«
»Wenn es Ihnen,« sagte Oerni lachend, »so sehr dort gefallen hat, Hauptmann Siler, warum sind Sie denn wieder gekommen?«
»Gewiß nicht, um mich von Ihnen darüber ausfragen zu lassen,« erwiderte der Hauptmann gereizt.
»Ei, nein,«. fuhr Oerni fort, »das ist auch meine Sache nicht, aber ich habe dasselbe Lied zu oft schon von den Herren gehört, die aus dem Lande zogen, um fremden Fürsten zu dienen. Sie lobten die Herrlichkeiten Alle über die Maßen, kamen aber doch immer wieder dahin zurück, von wo sie ausgezogen waren.«
»Ich glaube, der gute Fürsprech ist neidisch geworben,« rief Siler seiner Nachbarin zu.
»Neidisch?« versetzte Rudolf, »worauf sollte ich neidisch sein? Ich habe mich nie danach gesehnt, in eines Fürsten Dienste zu treten, am wenigsten aber würde ich als Soldat meinen Degen und meinen Arm vermiethen.«
»Ich hoffe nicht, Herr Fürsprech, daß Sie darin etwas Unehrenhaftes entdecken,« sagte der Hauptmann, ihn finster anblickend.
»Jeder nach seiner Weise,« antwortete Rudolf. »Wir Schweizer haben einen schlechten Ruf im Auslande. Point d'argent, point de Suisse ist ein altes Sprüchwort. Ich für mein Theil stimme denen bei, die sich freuen würden, wenn die Tagsatzung es überall verböte, wie es in den meisten Kantonen schon der Fall ist.«
»Die Krämer in Zürich und die radikale Rotte in Bern mögen es immerhin verbieten,« rief Siler; »wir werden thun was uns beliebt und allen den Mund stopfen, die sich als vorlaute Schwätzer zeigen.«
Oerni wendete sich von ihm ab und sprach mit Jungfer Rigli, aber der Blick, den er auf seinen Gegner warf, fachte den Haß bei diesem mehr an, als es Worte thun konnten. Rudolf erzählte von seiner Abwesenheit aus dem Lande, von seinen Reisen, und wie er nun zurückgekehrt sei, um sein Vatergut zu verwalten und sich seinen Mitbürgern nützlich zu machen.
»Es ist doch nirgend schöner wie in der Heimath,« sagte er; »glaubt mir, Regli, die Welt, so groß sie ist, kann den Fleck Erde nicht ersetzen, wo wir geboren wurden.«
»Ihr wollt also fortan bei uns bleiben?« fragte sie.
»Das will ich, Regli, will nichts sein als ein Landmann von Unterwalden und ein Schweizer. Unsere Berge, unsere Firnen, unsere Seen sind schöner als Alles in der weiten Welt, und wo ist es wohl besser zu leben, als in seinem Hause, in seiner Familie, unter lieben Freunden und Nachbarn, mit denen man aufgewachsen ist?«
Seine Augen begegneten den ihren, und plötzlich trat das heiße Blut in ihr Gesicht. Reglis Herz klopfte laut, sie wußte selbst nicht warum, aber es war etwas in seinem Blick, das ihr Unruhe machte. Ein jäher Schlag ging durch ihren Kopf, der Rudolf Oerni kam ihr anders vor als früher. Seine Sprache klang so fest und männlich, und was er gesagt hatte, schien ihr recht und gut zu sein, viel wahrer und besser als alle die schmeichelnden Erzählungen Silers. Daß er so still gewesen bei dessen beleidigenden Worten, kam ihm auch zu gut. Regli fühlte heraus, warum er geschwiegen, und es war ihr recht, daß der Hauptmann jetzt voll Verdruß zuhörte, wie sie mit Rudolf weiter redete und wie sie Beide munter plauderten.
Nach einiger Zeit kann ihr Vater und die andern Herren mit ihm. Das Gespräch wurde allgemein und mit geheimem Wohlgefallen hörte sie zu, was Rudolf sagte. Es konnte nicht fehlen, daß bald Streit entstand, denn wo Männer beisammen sind, giebt es der Meinungen auch mancherlei, nirgend aber mehr als zu Zeiten, wo um alte Rechte und Neuerungen der ewige Kampf der Menschen sich bis zur blutdürstigen Feindschaft erhitzt hat.
Auch in diesen einsamen Hirtenländern gab es Parteien und Haß, der sich in bittern Worten Luft machte. Der alte Pannerherr Imring vor Allen war eine Art Radikaler im Lande Unterwalden. Er hatte im Landrath oft schon liberale Vorschläge gemacht, die fortwährend verworfen wurden, und erst jüngst die lebenslängliche Dauer der Aemter angegriffen, natürlich ohne den geringsten Erfolg. Das Volk schätzte den alten Mann hoch, denn es kennt bald seine Freunde; aber die Herren vom Landrath sahen ihn scheel an, und als der dicke Veltliner Wein die Köpfe erhitzt hatte, wurden die eiteln Reformbestrebungen des alten Herren, wie schon oft, so auch diesmal Gegenstand ihres Hohns.
Imring schwieg nicht dazu, sondern wehrte mit gutmüthigem Ernst die Angriffe ab. Sein Ansehen und seine Gelassenheit wurden von furchtlosem Freimuth unterstützt, der treuherzig aussprach, was er als wahr erkannte, und doch nicht zu sehr erbitterte, weil man der wohlwollenden Leutseligkeit des Greises manches zu gut hielt. Aber er fand auch Beistand. Ein paar Stimmen sprachen sich wenigstens vermittelnd aus, Rudolf Oerni dagegen trat ihm ganz und gar bei und vertheidigte seine Sache mit solcher Gewandtheit, daß die Gegner bald ihren ganzen Zorn gegen ihn wendeten.
Vor Allen that dies der Oberst Ulrich. Das trotzige, strenge Gesicht des Herrn, der niemals Widerspruch ertragen konnte, färbte sich dunkel bei den Behauptungen des kecken Redners.
»Ihr seid mit schönen Grundsätzen in's Land zurückgekommen,« rief er ihm endlich zu, »und habt über alles Studiren verlernt, was bei uns Sitte und Recht ist.«
»Ich denke, Herr Oberst,« erwiderte Rudolf, »das wahre Recht besteht darin, Niemanden Unrecht zu thun und die Gesetze nach den Bedürfnissen der Zeit und den Forderungen fortschreitender Gesittung umzugestalten. Das neunzehnte Jahrhundert sieht schon in den Gesetzen des achtzehnten meist nur Unrecht und Gewalt, wie viel mehr in denen des Dreizehnten und vierzehnten!«
»Das ist also Eure moderne Weisheit, mit der Ihr hier durchzukommen meint?« rief Herr Ulrich böse lachend. »Ihr glaubt, jede Zeit, wo möglich jedes Jahr müsse andere Gesetze und ander Recht haben oder sein Revolutiönchen machen? und möchtet wohl selbst gern im Landrath Eure neugebackenen Rezepte, selig zu werden, uns zum besten geben?«
Sein rohes Gelächter wurde durch seinen Neffen und die Mehrzahl der Gäste unterstützt.
Oerni unterdrückte den Unmuth, der ihm durch's Blut ging, und sagte ruhig:
»Wenn ich im Landrath säße, würde ich wenigstens nicht Eure Ansichten vertreten helfen.«
»Nun, davor schlaft ruhig, mein Kind,« fiel der Oberst ein; »Ihr werdet so bald nicht in solche Versuchung kommen.«
»Ich kann warten,« sagte Oerni stolz.
»Weil Ihr jung seid, meint Ihr, und wir graue Haare haben?«
»Weil's nicht immer so bleiben kann.«
»Ach, Ihr habt Recht,« sprach der Oberst, die Stirnfalten tief zusammen ziehend; »das ist ein Lied, das jetzt mehr wie Ein Vogel pfeift. Es giebt solche Brut auch bei uns; aber Maria Joseph! noch haben wir Gewalt genug, ihrem Gesang ein Ende zu machen.«
»Und mit aller Eurer Gewalt werdet Ihr doch nie überzeugen, daß Ihr Recht habt,« sagte der junge Mann, beleidigt von den Blicken, mit welchen ihn sein Gegner betrachtete.
»Zum Teufel mit Eurem Recht!« schrie der Oberst wild. »Will Euch sagen, was hier Recht ist: wer die Verfassung angreift und lästert, wer das uralte Recht der freien Land- und Dorfleute antastet und Unruhen gegen die Obrigkeit und das souveräne Volk anzettelt, sei es durch Rede, Wort oder Schrift, der soll vom Wochenrath gestraft werden, wie er es verdient, durch Verlust seines Guts, durch Staupenschlag und Gefängniß bis zur Besserung, so steht es aufgezeichnet.«
»Und der Wochenrath,« sagte der alte Imring, indem er Rudolfs Arm faßte und sich lächelnd und warnend vor ihn hinstellte, »ist Niemanden Rechenschaft schuldig über seine Urtheile; das mußt du wissen, Fürsprech Oerni.«
Mehrere Andere unter den Gästen drängten nun auch den Obersten Ulrich zurück und baten ihn, nicht zu heftig zu verfahren.
»Ei was!« rief der barsche Mann, »solch vorwitziger Bursch muß sich hüten, den Schnabel zu weit aufzumachen. Ist's erst dahin gekommen, daß Knaben uns lehren wollen, was Recht sei, so ist's aus mit unserem Ansehen. Schlimm genug,« fuhr er mit einem Blick auf Imring fort, »daß Männer in weißem Haar den Trotz und die Unzufriedenheit im Volk anstacheln, daß manche nicht nur heimlich Gelüste tragen, auch freche Rede hören lassen. Wir haben erst gestern an dem schlimmen Buben von der Halde, dem Willi Grießler, ein Beispiel gegeben; ist aber keiner im Lande, mag er sich dünken was er will, der nicht fein ruhig gemacht werden könnte, wenn er nicht weiß, was sich schickt.«
»Es ist dies Alles die Folge,« sagte der Pfarrer seufzend, »daß der Glaube an die Heilige Kirche verachtet und verspottet wird. Wühler und Umwälzer sind stets auch Gottesläugner; ihr Verderben ist ein zeitliches und ewiges zugleich, wie es nicht anders sein kann bei den Menschen, welche meinen, daß ihr elender Verstand alles einsehen, begreifen und ordnen könne.«
Das Klagelied des Geistlichen verhallte unter den streitenden Stimmen, und sicher wäre es zu weiteren harten Reden gekommen, wenn nicht der Hausherr jetzt besänftigend dazwischen getreten wäre. Der Alt-Landamman hatte schweigend zugeschaut, wie die Parteien sich stritten, und nicht ohne Behagen gemerkt, daß der Oberst an Rudolf Oerni einen Gegner gefunden, der ihm Streich auf Streich versetzte und weder vor seinem Zorn noch vor seiner Grobheit erschrak. Er gönnte dem stolzen heftigen Mann den Aerger, aber er gönnte auch dem Rudolf die Schimpfreden, welche er einstecken mußte, denn im Grunde dachte er wie Ulrich, nur wußte er sich besser zu beherrschen.
»Haltet Friede, ihr Herren,« rief er jetzt, »und laßt uns in guter Genossenschaft unsere Gläser leeren. Glaub's mir, Ulrich, der Bursch da wird dir noch lieber werden, wie du meinst. Ich will Bürgschaft leisten, daß er weder die Allmanden theilt, noch das Landbuch in Stücke reißt. Es ist mit ihm, wie es mit jungen Leuten ist, die voll allerlei schönen Gedanken über Freiheit und Glück der Welt von der Schule kommen. Müssen die Wirklichkeit erst kennen lernen, die jungen Hitzköpfe. Für den Rudolf Oerni sage ich gut. Gebt euch die Hände, und nun kein Streit mehr. Habe den Tisch im Hause bestellen lassen, die Forellen und ein Nierenbraten warten schon lange. Regli soll uns dazu aufspielen, soll zeigen, daß sie nicht umsonst ihre Zeit und mein Geld verthan hat. Führe die Regli hinein, Rudolf, und leg ihr die Noten zurecht, Schatz, verstehst ja auch was von der edlen Musika.«
Sein Wille geschah, aber die Gesellschaft war doch trotz der Musik und der wohlbesetzten Tafel nicht fröhlich zu stimmen. Sobald er konnte, brach der Oberst mit seinem Neffen auf, und der kalte Abschieb, den er nahm, bewies, daß er am meisten vielleicht auf Hilberg zürnte. Auch der übrige Theil der Gesellschaft zerstreute sich, noch ehe die Nacht einbrach, und lange sah Regli von der Terrasse im Garten in's Thal hinunter den beiden Männern nach, welche zuletzt Abschied genommen hatten. Der Hufschlag ihrer Pferde tönte durch die Stille des Abends, die blauen Abendnebel verschlangen endlich ihre Spur und Regli horchte auf den letzten schwachen Ton, bis er mit dem Flüstern ihrer Lippen erstarb.
Die beiden Reiter waren Rudolf Oerni und der alte Pannerherr Imring, der dem jungen Mann eine Strafpredigt über sein Benehmen hielt und doch mit geheimen Beifall dessen Vertheidigung hörte.
»Es ist ein stolzer, übermüthiger Mann, dieser Ulrich,« sagte er, »und sein Neffe ein Narr, dessen größte Zierde sein Schnurrbart ist; aber doch wünschte ich, du hättest nicht mit ihnen angebunden.«
»Was können sie mir schaden?« erwiderte Oerni; »ich verachte sie Beide.«
»Nun,« sagte der Pannerherr, »wenn der spitzbärtige Hauptmann dir auch geringe Sorge macht, sein Oheim ist gefährlich genug für Alle, denen er schaden will. Darum thust du klug, den Hilberg je eher je besser zu deinem Schwiegervater zu machen. Hast du die Regli an der Hand, führt dich das Mädel in den Landrath und Wochenrath. Mag der Ulrich wüthen wie er will, Hilberg hat mehr Freunde wie er.«
»Ihr glaubt doch nicht,« erwiderte Oerni, »daß ich Regli heimführen möchte, um in den Landrath zu gelangen?«
»Möchtest du nicht,« versetzte der alte Mann, »nun so möchte ich, du thätest es dessentwegen. Du bist jung,« fuhr er fort, »hast Geld und Gut, und wirst der Reichste im Land, wenn Hilbergs Vermögen in dein Haus kommt, dazu aber wirst du auch der Mächtigste, denn der junge Zweig pflanzt sich auf den ältesten Stamm.«
»Ich bin Regli gewogen,« sagte Oerni, »aber wäre sie eines Beisassen Kind oder des Willi Schwester, dem sie gestern Alles genommen haben, was er hatte, es könnte darin nichts zuthun und nichts ändern.«
»So bin ich zufrieden, daß Regli eben die Regli bleibt,« lachte der Pannerherr; »im Uebrigen, obwohl du ein toller Bursch bist, trau ich dir doch nicht die Thorheit zu, welche in deinen Worten liegt. Hast zwar wildes, radiales Wesen genug in dir, sprichst Grundsätze aus, wofür der Ulrich und seine Schaar dich gern aus dem Land jagen möchten, mußt aber einsehen, daß du nichts durchsetzen kannst, nicht das Kleinste, wenn nicht mächtige Freunde dir zur Seite stehen. Es könnte ein Fürst oder Graf im Heiligen römischen Reich tausendmal eher eine Dienstmagd zur Frau nehmen, als du ein Mädchen, das nicht zur Genossenschaft gehört.«
»Meine besten Freunde, auf welche ich zumeist vertraue, sind die gerechte Sache und die vernünftige Einsicht, welche das Volk doch endlich überkommen muß!« rief Oerni ihn unterbrechend.
»Die vernünftige Einsicht und das Volk!« versetzte der alte Mann mit bitterem Lächeln. »Du armes Kind, was denkst du von den beiden! Doch du bist jung, da träumt man von Mährchen und Wundern. Ich habe mein Leben über manchen Tag für Volk und Volkseinsicht gestritten und weiß, wie das eine zum andern paßt. Werde Hilbergs Schwiegersohn, mach deinen Einfluß bei ihm geltend und bei seinem Anhang, dann tritt auf, und das Volk wird Einsehen haben, so viel du willst. Kämst du aber allein und brächtest ihm Säcke voll Vernunft, es schnitte sie entzwei, drehte Stricke daraus und hinge dich wie einen Hund auf Befehl deiner und seiner Feinde daran auf.«
Eine Zeit lang ritten sie schweigend weiter, dann sagte Imring:
»Wann wollte Hilberg, daß du kommen solltest?«
»Morgen früh, er hat Wichtiges mit mir zu sprechen.«
»So, sei klug,« fuhr der Pannerherr fort. »Halte mit Allem zurück, was du im Innersten denkst, thu keinen Schritt, den du bereuen mußt. Ich kenne den Hilberg, er hat viel zu bedenken, ehe er ausführt, was viele alte Freunde ihm bitter verargen werden.«
Während die Beiden so sprachen, eilte der Oberst Ulrich und sein Neffe auf entgegengesetzter Seite ihrem Wohnsitze zu und machten ihrem Aerger Luft, der Keinen verschonte.
»Denkt der Hilberg,« rief der Oberst, »es geschieht uns eine besondere Ehre damit, wenn er sich mit uns verbindet? Er soll es wohl inne werden, was es heißt, uns Schimpf anthun. Mag er sein Mädel dem Buben an den Hals werfen, der aus einem Geschlecht stammt, das mit Recht nicht einmal zur Genossenschaft gehört. Und dieser Bube selbst, dieser schwatzende, windige Narr! denkt er den etwa auf den Stuhl neben uns zu setzen? Maria Joseph! ich will ihm zeigen, wohin der gehört, und will ihm zeigen, was der Ulrich vermag.«
»Glaubst du denn wirklich, daß Hilberg den Oerni mir vorziehen will?« fragte Siler zweifelhaft lächelnd.
Der Onkel sah ihn böse an.
»Deine Augen müssen mit Blindheit geschlagen sein,« sprach er, »wenn du nichts gemerkt hast. Deutlich genug hat er gezeigt, was seine Absicht ist. Ihm gefällt das Geld und die glatte Zunge; seiner Tochter gefällt das glatte Gesicht.«
»Die Regli ist eine Gans!« rief der Hauptmann heftig. »Keinen Schritt hätte ich um sie gethan, wäre es nicht dein Wille gewesen.«
»Die Regli ist das beste Mädchen im Lande,« brummte der Oberst. »Es ist eine Schande für alle gute Familien, wenn sie in so schlechte Hände kommt, mit all ihrem Gut und Alpen, Matten und Höfen. Hat der böse Feind dem Hilberg allen Verstand genommen!«
Sie gingen schweigend auf dem steilen Bergpfad weiter. Der Mond stieg über dem Urirothstock auf und schnitt die Zinken und Zacken der Felsenhörner prächtig von dem dunkeln Himmel ab. Die ungeheuren Köpfe des Gebirgs und die weiten Schneefelder zwischen ihnen glänzten wie geschmolzen Silber, bis im wunderbaren Wechsel von schweren Schatten und hellen Streifen das blasse, von Dünsten erstickte Licht an den Thalrändern und im Föhrenwald starb. Aus dem tiefen Thal der Aa flackerte der Feuerschein von zerstreuten Häusern herauf, wie Irrwischleuchten, und zitterte über Büsche und Bäume her.
Bald lag eine Hütte am Wege, ein armes kleines Balkenhaus mit armseligen Fenstern und einer schmalen Thür. Die Thür stand offen, am Heerd saßen zwei laut sprechende Männer, und plötzlich stand Herr Ulrich still, denn er hörte seinen Namen nennen.
»Der ist der Schlimmste!« rief eine rauhe Stimme, »Niemand hätte dem Willi sein Gütchen nehmen können. Es ist ein himmelschreiendes Unrecht; aber sie sind wie eine Heerde Wölfe, halten zusammen, wo es zu rauben giebt.«
»Sie haben die Macht dazu, Nachbar,« sagte der Andere. »Wer aber die Macht hat, hat auch Recht, zu thun, was er will.«
»Wartet, ihr Schufte!« murmelte der Oberst, ich will euch die Frechheit gedenken!«
»Was schwatzt du dummes Zeug, Peter?« brummte der Mann am Feuer.
»Es ist die Wahrheit,« meinte der Krämer, der neben seinem Packen saß. »Hättest den Herrn Oerni reden hören sollen, wie der darüber zum Willi sprach.«
»Der Rudolf Oerni hat mit dem Willi geredet?«
»Gewiß, das hat er, hat ihn aufgesucht, Trost gebracht, zur Geduld ermahnt und Hülfe zugesagt. Das ist ein Mann, der das Volk liebt. Es kann nicht so bleiben,« sprach er, »aber ein kluger Mann schweigt, bis die rechte Stunde da ist; wenn diese kommt, dann ist's Zeit, wie ein Mann zu handeln.«
»Es ist ein braver Mann, der Oerni,« sagte der Nachbar, »aber er gehört doch auch zu den Herren und möchte im Wochenrath sitzen.«
»Nun, du dummer Hans;« rief Peter lachend, »laß ihn nur erst da sitzen, so wird die rechte Stunde wohl kommen.«
»Glaubst du denn, Peter, er wird anders sein, wie die Uebrigen?« fragte der Bauer. »Art läßt nicht von Art, und wenn sie es merken, daß er zum Volk steht, werden sie ihm die Sach' schon leid machen.«
»Der Oerni,« erwiderte der Krämer gelassen, »spielt ein kluges Spiel, und ist zu hoffen, daß er gewinnt. Giebt's doch auch im Landrath ein paar Männer, die weiter wollen wie der Ulrich, und den alten Sauerteig ausfegen möchten, ist's nicht mit Besen, so 'doch mit Bürsten. Die haben ihre Hoffnung auf den Oerni gesetzt und haben's fein eingefädelt, ihn raufzubringen in den Rath; haben's bewirkt, daß er sich an den Hilberg macht, ihm dient und zu Willen ist, denn's Regli ist ein herzig Mädel, und hat Jakob um Rahel sieben Jahre gedient, kann der Oerni wohl ein paar Monat sich in's Joch legen.«
»Schau,« rief der Bauer erstaunt, »steht es so mit dem Oerni? Da kann's ihm glücken, dem Ulrich ein Bein zu schlagen.
»Ich hoffe, es sind beide Beine und der Hals dazu,« rief Peter. »Der Oerni ist der Mann, die ganze schlimme Sippschaft aus dem Land zu jagen, und kannst sicher sein, daß er's thut. Nicht dem Willi allein wird er helfen, dem ganzen Volk wird er sein Recht schaffen, das sie uns gestohlen haben.«
»Die meineidig falschen Buben!« sagte der Mann, ingrimmig die Faust ballend. »Laß den Oerni seine Sach' machen, wir wollen zu ihm stehen mit Leib und Reben.«
Wir müssen alle in die Genossenschaft,« fiel Peter ein. »Ich sage das keinem wie dir, aber wir müssen alle Theil haben an dem Allmandgut und an den Wahlen; als Männer im Land gleich im Recht, wie es in alten Zeiten gewesen, wo Freiheit in Unterwalden war.«
Der Oberst faßte seinen Neffen am Arm und zog ihn mit sich fort.
»Wir haben genug gehört,« flüsterte er ihm zu; »der heilige Antonius hat uns zur guten Stunde hierher geschickt.«
»Wollen wir nicht hinein und die beiden Schelme auf der Stelle zur Rechenschaft ziehen?« fragte der Neffe heftig.
»Nein,« sagte Herr Ulrich, »könnte uns wenig fruchten; werde sie morgen in der Frühe festnehmen lassen, ehe sie es vermuthen, und hoffe dann mit ihnen besser zu Stande zu kommen.«
Ein rachsüchtiges Feuer glühte in seinen Augen und sein hartes Gesicht war voller Freude.
»Ich denke sie Alle zu fangen, Alle mit einem Schlag,« fuhr er fort. »Die Regli soll dir nicht genommen werden, Philipp. Wenn's aber eine Gans ist, wie du sagst, so ist es eine goldene, die ein kluger Mann nicht aus der Hand läßt. Meinst du nicht?«
»Ei freilich, Onkel,« lachte der Hauptmann, »aber ich meint's auch nicht so. Ich weiß die Regli hoch zu schätzen und thue Alles, was du willst, mit Freuden.«
Am Abend, als der Alt-Landamman allein war und fertig mit seinen Hausgeschäften, ging er mit großen Schritten auf und ab und wartete auf Reginen, die heute, in der Wirthschaft beschäftigt, länger ausblieb als je. Ungeduldig blieb Hilberg zuweilen stehen und horchte auf ihre Schritte, dann lächelte er vor sich hin und sprach halblaut:
»Mögen sie sagen was sie wollen, so soll's sein und nicht anders. Hab' es satt mit dem Ulrich; es ist ein Hans Narr, der Philipp Siler, habe keine Lust, ihm zu geben, was ich besitze.«
Regine trat eben zu ihm herein und freundlich streckte er ihr die Hand entgegen.
»Komm her, mein Kind,« sagte er, »ich will dir eine gute Nachricht auf den Weg in's Bett geben.«
Das Mädchen wurde roth unter seinen Blick.
»Was soll's, Vater?« fragte sie leise.
»Ich will wetten, daß du es weißt,« erwiederte Hilberg, sie betrachtend, »und will's kurz machen. Es ist Zeit, Regli, daß ein Mann dich heimführt, und Freier giebt es genug, die dir sagen möchten: reich mir deine Hand, ich will's Ringli anpassen. Zwei, die es am besten meinen, haben heut erst mit dir viel Worte gewechselt; nun Tage mir, wer dir zumeist gefällt? – Will dir keinen Zwang anthun,« fuhr er fort, als Regli schwieg, »will dir nicht zu dem oder jenem rathen, du sollst den wählen, der dir zusagt. Bist ja mein einzig Kind; dein Glück ist mein Glück und dein Wohl auf Erden mein liebster Wunsch.«
»Ach, Vater,« rief Regli, die selten ihn so mild und freundlich gesehen, »was soll ich sprechen? weiß ich doch selbst nicht was.«
»Wie, Mädli?« sagte Hilberg lachend, »du weißt keine Antwort? Ist's der Hauptmann Siler, der nicht über deine Lippen will? Nicht? Nun, dann hab' ich recht gesehen, dann war's der Rudolf, der an der Hecke dir die Hand reichte und dem du nachschautest, bis nichts mehr zu sehen war. Hab ich's getroffen, Regli?«
»Ja, Vater.«
»Willst ihn also zum Herrn haben?«
»Ja Vater,« flüsterte Regli.
»Halt, Regli,« fiel Hilberg ein, »ich will heut nichts weiter von dir hören. Bedenk's bis morgen früh; wenn dann der Oerni kommt und ich frage wieder: willst ihn nehmen, Regli? und sagst du so freudig ja, wie jetzt, so sollst ihn haben für dein ganzes Leben. Jetzt geh' zu Bett und verschlaf nicht die Zeit, der Rudolf wird früh hier sein.«
Er nahm sie in die Arme und küßte sie; Regli schlang ihre Hände um seinen Hals, wie sie es nie gethan, und ihre Thränen flossen in seinen grauen Bart.
»Nun geh',« sagte er, »geh' und träume von dem Herzliebsten. Laß mich los, du Schelm, machst mich weich; könnte mit dir weinen.«
Als sie hinaus war, wischte er sich über die Augen hin und schlug die Finger in einander.
»Ich habe es also getroffen!« sprach er vor sich hin; »das ist mir doppelte Freude. Ja, mein einzig Kind soll glücklich sein; mögen sie die Nasen rümpfen und die Mäuler verziehen, Oerni soll mein Sohn werden. Wir wollen doch sehen, wer dann das Regiment führt, wenn wir zusammen stehen!«
Wie der Morgen über die Thäler flog und warmer Sonnenglanz die Nebel versagte, welche in seinen Wolken an den Seiten der Berge dampfend hinzogen, klopfte Oerni an das Haus des armen Willi. Es war ein reinliches nettes Häuschen, wohl erhalten und von ordnender Hand behütet. Nach einer Weile öffnete Willi die Thür und trat auf die Steinstufe heraus, wo er den hilfreichen Freund fand. Mit einem freundlichen: Grüß Sie Gott, lieber Herr, nahm er die dargebotene Hand des Fürsprech, der über die Schwelle trat und in dem reinlichen Gemach umherblickte.
Die Stühle von Holz, die einfachen Geräthe, der bunt bemalte Schrank waren sauber und nett. Auf dem Tisch lag eine Jagdtasche von Leder und daneben eine jener langen schweren Kugelbüchsen, wie Schweizer Schützen sie führen. Der Bewohner der Hütte mußte sich mit ihr beschäftigt haben, denn das Schloß war abgeschraubt und allerlei Werkzeug daneben gelegt. Willi deutete auf die Kammer nebenan und sagte halblaut:
»Sprechen's leise, Herr Oerni, meine alte Mutter liegt dort nieder, und noch weiß sie nichts von dem Unglück, das über uns gekommen ist.«
Durch den Spalt der Thür sah Oerni eine abgezehrte alte Frau auf ihrem Lager ausgestreckt, deren Anblick sein Mitleid doppelt rege machte.
»Sie ist wohl sehr krank?« fragte er.
»Nicht so krank wie schwach,« erwiderte der Bauer. »Es fehlt ihr Pflege. Wäre sie reich, könnte sie wohl noch lange leben.«
Der schmerzliche Ton in Willi's Stimme und die Anklage in seinen Worten wurden von Oerni empfunden, ohne daß er wagte, etwas darauf zu antworten. Er wandte sich gegen den Tisch und deutete auf das Gewehr.
»Du hast, wie ich sehe, den Stutzen zur Hand genommen und denkst dem Rath deines Freundes Peter zu folgen; willst Gemsen jagen?«
»Möcht es wohl,« versetzte Willi, »möch in die Berge hinauf, hab' auf der Banalp Freunde, die manche gute Jagd mit mir gehalten; allein die Sommerzeit ist nicht dazu gemacht, auch kann ich mich nicht von der alten Frau da trennen, jede Stunde können die Rathswaibel kommen und sie hinauswerfen.«
»Hast du meine Vorschläge überlegt, Willi?« fragte der Fürsprech.
»Ja, Herr Oerni, und will thun was Sie für gut halten. Nicht um mich,« fuhr er lauter fort, »möchte lieber aus dem Land, aber um die alte Frau da, die meine Mutter ist und sterben müßte, wenn sie gehen sollte, muß ich bleiben.«
»Auch um dich, Willi, mußt du bleiben,« sagte Oerni. »Wohin willst du, arm wie du bist? Arbeit magst du finden, so lange es geht, aber kein Kanton nimmt dich auf, keine Gemeinde giebt dir ihr Bürgerrecht, keine Hand regt sich, wenn du alt und krank wirst. Heimathlos mußt du von Ort zu Ort irren, gehetzt und verfolgt, gestoßen und geplagt, bis du stirbst.«
»Und hier,« rief Willi mit einem jähen, wilden Blick; »ist es hier besser?«
»Nein,« fuhr Oerni fort, »nicht besser, wohl schlimmer noch, als anderswo, aber daß es besser werde, müssen tüchtige Männer bewirken. Du bist ein Mann, Willi,« sagte er nach kurzem Schweigen, »der nachdenken kann über das, was besser sein könnte; solche Männer müssen nicht gehen; sie müssen warten und schaffen, daß eine andere Zeit in's Land kommt.«
Schweigend und nachdenkend blickte der Bauer den jungen Herrn an.
»Es ist Alles wahr, was Ihr sagt, Herr Oerni,« erwiderte er dann; »Was soll ich thun?«
»Komm' heut' Abend um die fünfte Stunde hinauf zu Hilberg, es sei denn, daß ich dir Anderes sagen ließe. Bring ihm dein Anliegen vor, daß du den Hof nicht verlassen möchtest, und bitte um eine billige Pacht.«
»Ich will's thun,« sagte Willi.
»Du sollst es nicht vergebens beginnen,« fuhr Oerni fort, »ich will ihn vorbereiten.«
»Und wenn er mich doch abweist?«
»Nun, dann bin ich ja selbst nicht so arm, um dich im Elend zu lassen; ich würde auf der Stelle für dich sorgen, wenn ich nicht meine Gründe hätte, dir so zu rathen, wie ich's thue.«
Der Bauer fuhr mit der Hand über seine Augen, die andere reichte er Oerni zum Dank.
»Lohn's Gott, Herr,« sprach er, »ich werde kommen, aber es ist ein saurer Gang. Wollte lieber über die Blakerspitz steigen und durch alle Klüfte, wenn Föhn weht.«
»Du wirst wie ein Mann handeln, der da weiß, was er will.«
»Ich werde handeln, wie ein Mann, Herr, aber helft, daß er kurz sagt, was er will, nicht höhnt und spottet, nicht mehr thut, als ein Mann ertragen kann.«
»Sei ohne Furcht,« erwiderte Oerni; »ich bin überzeugt, daß du getröstet nach Hause gehst. Bin ich doch dein Freund, Willi, und würde meinen Freund nie zu einer Schmach verleiten wollen.«
Willi war beruhigt und sein Gesicht drückte die neuen Hoffnungen aus, welche in seiner Seele Raum gewonnen. Die Abrede wurde zwischen Beiden bündig genommen und Oerni eilte mit frohen Gedanken an der Berglehne hin, seinem eigenen Glück entgegen, das schon von fern ihm zu winken schien, als er auf der Felsenterrasse im Garten des Alt-Landammans diesen selbst neben seiner Tochter erblickte. Beide riefen ihm freundliche Empfangsworte zu, und wie Hilberg ihm die Hand schüttelte, als er vor ihm stand, Reginens Finger in den seinen zitterten und ihr glühendes Gesicht sich senkte, wußte er, was er zu erwarten hatte.
»Nun, setzt Euch, Oerni,« sagte Hilberg, als sie in's Haus getreten, »nehmt den Kaffetopf und schenkt ein, oder soll's lieber die Regli thun? Bring' dem Herrn Oerni eine Cigarre, Mädchen, und den Wachsstock, aber zünd' ihn an; kalt kann er ihn nicht brauchen.«
Er lachte laut auf, als Regli aus dem Zimmer lief, und fuhr dann fort:
»Ihr habt meine Sache gegen den Buben, den Willi, gut abgethan, und dank Euch dafür; wollen die Geschicht' ein andermal weiter besprechen.«
»Nur einen Augenblick,« erwiderte der Fürsprech. »Der Spruch ist geschehen, wollen Sie ihn vollziehen lassen?«
»So bald wie möglich. Will die Brut hinauswerfen und trage Euch auf, dafür zu sorgen.«
»Es wird Geschrei und Klage geben über große Härte, lieber Herr,« wendete Oerni ein.
»Laß sie schreien!« versetzte Hilberg, die Tasse hinsetzend, »ist schlechtes Gesindel, und dieser Willi ein Taugenichts, dem ich's lang zugedacht habe.«
»Aber seine alte Mutter liegt auf den Tod, sagte der Fürsprech bittend.
»Mag sie sterben, wo sie Lust hat,« erwiderte der Landamman ungeduldig. »Kommt mir mit der Sache nicht in die Quer, habe besseres heute vor und lasse mir nicht die Laune verderben.«
»Eben weil Ihr heut so gütig und froh seid,« sprach der unermüdliche Anwalt, »müßt Ihr mich hören.«
Er beschrieb ihm Willi's Noth, schilderte den Zustand der alten Frau und wußte so rührend und beredt zu sprechen, wie man vergeben und verzeihen und Armen Gutes thun müsse, daß der reiche Herr erweicht wurde.
»Was wollt Ihr denn eigentlich, daß ich thun soll? fragte er endlich brummend.
»Eure Feinde sollt Ihr beschämen, lieber Herr,« sprach Oerni, seine Hand fassend. »Es giebt doch viele, die da sagen: der Willi hatte nichts als die Hütte und das kleine Ackerstück, das haben ihm die Landräthe genommen, dem Hilberg zur Liebe.«
»Die meineidigen Buben!« rief Hilberg. »Ich begehre nichts als was mein Recht ist.«
»Weiß es,« fuhr Oerni fort, »doch das Volk urtheilt anders. Wie aber müssen sie beschämt sein, wenn sie hören, der Willi hat verloren, was ihm von rechtswegen nicht zukam, aber er hat's behalten, weil der großmüthige Mann den Buben nicht in's Unglück stoßen wollte! Alle werden die That preisen und Willi zumeist muß seinem Wohlthäter dankbar sein.«
»O! thu's Vater,« bat Regli, die leise wieder hereingetreten war, »thu's mir zu Liebe, thu's, weil heut –« –
»Nun, Mädchen, weil heut? –« fragte Hilberg, da sie schwieg.
»Weil heut keine Wolke an Gottes Himmel steht,« sagte sie, ihn umarmend.
»Bist mein herzig Kind!« rief Hilberg, »und will dir den Willen thun. Will dir den Hof schenken mit Acker und Matte, magst thun damit was dir gefällt; mag aber selbst mit dem Willi nichts zu schaffen haben.«
Oerni sprang auf und umfaßte den Landamman dankend von der andern Seite. Regli's Hände begegneten den seinen, sie faßten und preßten sich und zwischen ihnen stand der Vater, der endlich die eng verbundenen Finger ergriff und festhielt und die Beiden abwechselnd anschaute, denen sie gehörten.
»Steht es so mit euch?« sagte er, »habt die Hände verstrickt und die Herzen dazu und denkt dabei, es sieht's Niemand?«
»Ich denke, die ganze Welt weiß es,« rief Oerni, »und ich denke, Ihr wißt es auch und wollt es gut aufnehmen, wenn ich Regli's Hand fest halte für das ganze Leben.«
»Ihr wollt sie also wohl von mir begehren?« fragte Hilberg.
»Ja, das will ich, Herr Hilberg, will sie hoch und werth halten und Euch ein treuer Sohn sein bis an mein Ende.«
»Nun, Regli,« sagte der Landamman lachend, »hier steht der Rudolf Oerni, möchtest du ihn zum Herrn nehmen?
»Ja, Vater, für alle Zeit,« erwiderte sie mit heller Stimme.
»So nimm ihn, Mädchen, ich spreche mein Amen!« rief Hilberg. »Hast eine gute Wahl gethan; Gottes Segen über den ersten Tag und alle, die ihm folgen!«
Er umarmte sie Beide und aus Regli's blauen Augen glänzte das Glück. Es dauerte eine Weile, ehe es unter Betheurungen und Küssen zu verständiger Rede kam, denn Hilberg ging hinaus und ließ die beiden Liebenden allein, damit sie ungestört in ihren jungen Freuden sich die Zukunft mit den schönsten Farben ausschmücken könnten. Als er zurückkehrte, nahm er Theil an ihren Gesprächen und half die Plane vervollständigen.
Oernis Haus in Stanz war geräumig und schön gelegen, sein Besitzthum bedeutend, und der reiche Bräutigam versprach Alles ganz nach Regli's Wünschen einzurichten. Ja, er hätte es gern gehabt, wenn sie gleich mit ihm gefahren wäre, um die Wirthschaft zu besehen und zu sagen, wie es ihr gefiel. Aber Herr Hilberg wollte es nicht geschehen lassen, weil es ihm nicht paßlich schien, eine Sache, um die noch Niemand wußte, mit einem Schlage so öffentlich zu machen.
Er hatte, nachdem nichts mehr zu bedenken war, doch immer noch ein gewisses Bedenken im Herzen, eine Scheu, die ihn unsicher machte, Furcht vor der Leute Gerede, und eben jetzt überkam ihn dies viel unangenehmer als gestern, oder vor einer Stunde, wo er es noch hindern konnte. Er dachte plötzlich an seinen alten Freund Ulrich, und wie die Herrn vom Landrath die Köpfe schütteln würden, wenn sie es hörten, und die Leute aus den alten Familien es nicht begreifen mochten, wie er einen Schwiegersohn genommen, der ihm nicht so recht ebenbürtig; und obwohl er das Alles schon gar oft bedacht und seine Bedenken wegdisputirt hatte, obwohl er wußte, daß es nicht mehr abzuwenden sei, wachten die Gedanken doch wieder auf.
Er fühlte einen Widerwillen davor, mit Regli heut vor aller Welt Augen in Oerni's Haus zu fahren; deshalb sagte er:
»Heut nicht, Kinder, heut sollt ihr bei mir in diesem Hause bleiben, wo ich bald genug allein wohnen werde. Bald auch werden die Verwandten und Freunde mit ihren Glückwünschen und ihrer Gesellschaft kommen. Führen wir nach Stanz hinab, müßten wir einen ganzen Schwarm zum Geleit nehmen, an allen Thüren vorsprechen und die Neugier befriedigen. Bleibt also heut still; werdet genug zu schwatzen haben, habe auch mancherlei mit euch zu reden, was wir am besten unter uns abthun.«
Oerni und Regine waren damit leicht zufrieden gestellt, und Hilberg konnte nichts besseres thun, als sie sich selbst überlassen, um sie mit seinem Willen völlig zu versöhnen. Während er im Hause blieb, saßen sie verborgen unter den schattigen Taxushecken im Garten, und zwischen Blumen und singenden Vögeln vergingen ihnen die Stunden wie Augenblicke, bis die Sonne hoch am Himmel stand.
Glückerfüllte Herzen fragen nicht nach der Zeit, und Regli, die gern hörte, was Oerni ihr von seinen Wünschen und Hoffnungen erzählte, die er schon gehegt, noch ehe er auf die hohe Schule reiste, würde vergessen haben, daß die Mittagszeit herannahe, wo ihre Aufsicht in Küche und Haus nöthig war, wäre ihr Vater nicht endlich an der Thür erschienen und hätte Beide mit seinem lauten Rufen aufgestört.
»Nun geh' und schaff' uns eine gute Mahlzeit,« sprach Hilberg. »Wirst schon merken, Regli, daß Niemand von der Lieb' allein auf Erden leben kann, und wäre er Feuer und Flamme und stürb' auf der Stelle um die Herzliebste, könnt' es doch nicht in ihren Armen vier- und zwanzig Stunden aushalten, ohne dem Magen den Vorzug zu geben.«
Er lachte Regli nach, die es nicht glauben wollte, und führte Rudolf in sein Zimmer.
»So sind die Weiber,« sprach er da zu ihm, »denken, ihre Liebe kann Alles ersetzen, und sind im Stande, ihr auch jedes Opfer zu bringen.«
»Das ist die göttliche Kraft, die in ihr wohnt,« erwiderte Oerni. »Sie überwältigt, reißt fort und macht Alles gleich.«
»Ist aber doch Gaukelei, vor der man sich wohl hüten muß,« fiel der Landamman ein. »Sind meist bunte Seifenblasen, die Liebesträume, zerplatzen, ehe man es denkt, und lassen Reue zurück.«
»Wahre Liebe ist kein Traum, kein Gaukelspiel der Sinne,« sagte Rudolf.
»Das meine ich auch,« fuhr Hilberg fort. »Wahre Liebe hat ein richtiges Fundament, schwebt nicht in der Luft, denkt nach, was werden soll, und daß die Erde kein Paradies ist.«
»Wollen Sie denn die Liebe zu einem Rechenmeister machen?« lachte Oerni. »Soll sie ihre Begeisterung erst aus einer langen Ueberlegung ziehen, ob es auch paßlich und schicklich sei, sich zu verlieben?«
»Das mein' ich freilich,« sagte der alte Herr, die Stirn faltend.
»Es ist aber anders damit,« entgegnete Oerni. »Liebe fragt nicht nach den Regeln der Klugheit, sie ist ein Zauber, von dem man nicht weiß, wo er sitzt. Ich liebe Regli, das weiß ich allein, und würde sie lieben, möchte sie in einer Sennhütte wohnen. Dasselbe glaube ich auch von ihr. Möchte ich der Rudolf Oerni sein, oder irgend einen andern Namen tragen, ihr Herz würde mir doch gehören.«
»Darin seid Ihr im Irrthum,« erwiderte Hilberg, der unmuthig ihm zugehört hatte. »Regli ist ein klar blickendes Kind, das sich nicht von wüster Leidenschaft hinreißen läßt, und was Ihr jetzt geschwatzt habt, will ich nicht glauben, weil's nicht Stich halten kann vor Eurer Vernunft.«
Oerni schwieg lächelnd still, er sah wohl ein, daß er sich nicht vertheidigen durfte. Der Landamman legte die Hand auf seine Schulter und fuhr freundlicher fort.
»Regli ist mein einziges Kind und liebt Euch, eben weil Ihr der Rudolf Oerni seid, und weil Ihr der seid, hab' ich meinen Segen gegeben und mach Euch zu meinem Schwiegersohn. Das ist eine wahre Liebe, wie ich's verstehe. Wir wollen darüber weiter reden, denn ich will Euch nicht verhehlen, was mich dazu bewogen hat, Euch allen Andern vorzuziehen. Jetzt aber kommt her und setzt Euch an meine Seite; will Euch die Einsicht geben, was Regli an Muttergut besitzt und was sie in Eure Wirthschaft bringt.«
Oerni hätte es gern abgelehnt, jetzt von solchen Geschäften zu hören, aber bei seinen ersten Worten schüttelte Hilberg den Kopf.
»Ich muß Euch sagen, Rudolf,« begann er, »ich nahm Euch für bedächtiger als Ihr seid. Ich glaube wohl, daß das unverhoffte Glück Euch in einen Freudentaumel versetzt, aber ein Mann muß über keinen Handel den freien Blick verlieren, am wenigsten über einen Ehehandel und Weibergeschichten. Jeder muß die Augen offen haben und überall sehen, daß er nicht zu Schaden kommt. Nun, ich denke, Ihr werdet's lernen und besser passen, wo es gilt, unsere Sachen durchzuführen in Rath und Landsgemeinde.«
Er blickte ihn forschend an und lächelte geheimnißvoll, dann nahm er Papiere vom Tisch, schlug sie auf und hielt sie Oerni hin.
»Schaut her,« sprach er, »das ist Regli's Muttergut, zwölf tausend Gulden, dazu kommt ein Kapital an Gold und liegenden Gründen, von ihrem Großvater seliger, und eben so viel geb' ich zu mit einer Ausstattung, wie sie schicklich ist. Seid Ihr damit einverstanden?«
»Mit Allem, was Ihr wollt, lieber Vater.«
Es war das erstemal, daß Oerni den Mann, vor dem er immer Scheu gehegt, mit dem Liebesnamen Vater nannte. Sein Gesicht strahlte vor Freude und auch in Hilberg, mußten sich ähnliche Empfindungen regen, denn er nahm Oerni's Hand und sagte bewegt:
»So nehme ich dich beim Wort, Rudolf; du sollst von jetzt an mein Sohn sein, und will dich führen und leiten wie ein Vater, will dir die Wege bahnen zu allen Ehren, und wollen einträchtig beisammen stehen, Allen zum Trotz, die unsere Widersacher sind.«
Regli hatte den Tisch bestellt und trat herein, wo sie die beiden Männer fand, in deren neuen sinnigeren Freundschaftsbund sie mit Scherz und Liebe aufgenommen wurde. Dann hielten sie ihr gemeinsames Mahl im großen kühlen Gemach, an dem nichts Bäurisches war, wie am Aeußern des Hauses; es war mit Tapeten bekleidet, mit hübschem Geräth versehen, mit Sopha und polirten Schränken ausgestattet. Die Teller und Schüsseln waren von französischem Fayence und das Leinenzeug weiß und rein wie Sonnenlicht.
In der Schweiz, die zwischen den größten und kultivirtesten Ländern liegt, und jährlich von so vielen tausend reichen Reisenden besucht wird, haben die wohlhabenden Leute auch in den innern Hirtenländern die alten rauhen Sitten ihrer Vorfahren längst aufgegeben und Bekanntschaft mit den Genüssen des Lebens gemacht; aber sie sind doch in Tracht, Gewohnheit und Mäßigkeit noch immer hoch zu loben und zu ehren, und weit entfernt von Luxus und Schwelgerei. Auch die Reichsten begnügen sich mit einfacher Kost, und die Ersten im Lande sind schlichte Bürger, denen es nicht einfällt, in Prunk, und Pracht und Aufwand zu zeigen, daß sie vornehme Herrn sein wollen.
Nach Geld und Gut streben sie Alle, rühren die Hände, thun um's Geld was man thun kann, haben große Ehrfurcht vor dem, der es besitzt, doch Niemand giebt mehr davon aus als nothwendig. Wer's hat, hält es fest und sucht es zu vermehren durch Sparsamkeit und Ordnung, worin das Schweizervolk ein Muster sein kann für alle andern Völker.
So war auch das Mahl des Alt-Landammans von Unterwalden ein einfaches, aus den Produkten seiner ländlichen Wirthschaft znsammengesetztes. Nur ein paar Flaschen guten Weins, der in Neuchatel oder am Genfersee gewachsen, verherrlichten es in ungewohnter Weise und wurden unter fröhlichen Gesprächen geleert, die erst eine andere Wendung erhielten, als Hilberg von Neuem darauf zurück kam, was seine Absicht gewesen sei, als er Oernis Bewerbung den Vorzug gegeben. Der feurige Wein hatte ihn lebhafter und offenherziger gemacht und ließ ihn manches aussprechen, was er sonst lieber verschwiegen haben würde.
»Werden sich alle wundern,« rief er lachend, »und am meisten wird der Ulrich in Zorn kommen. Er hätte gar zu gern seinen Neffen in die Kirche geführt. Sagte es mir oft so deutlich, daß ich kaum ausweichen konnte, aber ich war fest entschlossen es nicht zu verstehen, wollte seinen Anhang nicht vergrößern helfen.«
»Zu meinem Glück mußte es so geschehen,« sagte Oerni, indem er Reginens Hand drückte.
»Ei, hast freilich von Glück zu sagen,« fuhr Hilberg fort, »denn Mancher hätte sich wohl bedacht, mit den Oernis sich einzulassen.«
»Ich glaube nicht, daß an ihnen irgend ein Makel oder ein Schimpf klebt,« versetzte Rudolf.
»Wirst's nicht übel deuten,« sprach der Alt-Landamman ruhig, »aber die Oerni sind keine Familie, die neben den Hilberg, den Ulrich, den Siler und andern mit Recht stehen kann. Sind wackere Leute sonst, habe nichts dagegen, aber es muß doch einen absonderlichen Haken haben, wenn ich mein einzig Kind dir gebe und ruhig abwarte, wie die alten Geschlechter, mit denen wir seit vielen hundert Jahren in Blutsfreundschaft stehen, die Hände darüber vor Schaam zusammenschlagen.«
Oerni's Gesicht röthete sich in stolzem Verdruß.
»Ich kann mir keinen andern Haken denken,« sagte er, »als daß du über den lächerlichen Hochmuth dieser Leute hinaus bist, die bei uns die Junker vom reinsten Blut spielen wollen.«
»Ich urtheile anders wie du,« versetzte Hilberg. »Geschlechter, die von alten Zeiten her dem Lande seine Räthe und Vorstände geben, haben ein Recht darüber zu wachen, daß die Macht bei ihnen bleibe, und kann nur in besondern Fällen eine Ausnahme gestattet werden.«
»Dann bin ich also eine solche Ausnahme?« fragte Oerni, halb lachend, halb gereizt.
»Das bist du. Habe mich umgesehen unter allen jungen Männern in den alten Familien, ob Einer da sei, der mein Schwiegersohn werden könnte, habe aber keinen gefunden, der mir erwünscht wäre. Blieb also nur der Philipp Siler übrig, und den mochte ich am wenigsten.«
»So bin ich wirklich dem Zufall großen Dank schuldig,« fiel Oerni ein.
»Bist Niemanden Dank schuldig als deinen eigenen Verdiensten, und hast keinen Grund dich zu ereifern,« sagte Hilberg gelassen. »Du bist jung und hast mancherlei gelernt, gehörst zu einer guten Familie, wenn auch nicht zu den alten Geschlechtern, bist wohlhabend im Land und hast Lieb' und Achtung beim Volk, das meint, ein Mann wie du müßt' ihm und dem Vaterland wohl gute Dienste leisten können.«
»So viel ich irgend vermag, soll redlich geschehen.«
»Ich weiß es,« fuhr der Alt-Landamman fort, »Weiß, daß ein tüchtiges Streben in dir ist; eben darum habe ich mein Auge auf dich gerichtet. Der Ulrich und seine Sippschaft thun jetzt Alles, was gethan wird; es muß Jeder nach Ihrer Pfeife tanzen. Wer dazu nicht Lust hat, kann nicht aufkommen. Solch Druck muß aufhören im Rath, sonst wird's ein Joch, das zu Boden zieht; darum müssen wir bei Zeiten daran denken, es abzuschütteln.«
Er setzte nun dem jungen Manne auseinander, wie er hoffe mit Oerni und den liberaldenkenden Männern, unter Beihülfe seiner Freunde und der Volksmeinung den übermächtigen Einfluß der Partei seiner Gegner zu brechen, und wie er ganz besonders dabei auf seines Schwiegersohnes Gewandtheit, Beredtsamkeit und willige Mitwirkung rechne. Oerni hörte mit Freude Hilbergs Absichten. Sein Ehrgeiz regte sich, seine geheimen Gedanken entzündeten sich an Hoffnungen, die plötzlich ihm als erfüllbare Gewißheiten erschienen, und mit Begeisterung ergriff er die Hand des alten Herrn und schwur ihm mit treuer Anhänglichkeit beizustehen.
»Es ist keine große Sache,« sagte er, »die Tyrannei der Sippschaft, welche unsere Regenten liefert, über den Haufen zu werfen, wenn wir einig handeln und entschlossen sind, die Axt an die Wurzel alter Uebel zu legen. Noch giebt es viele wackere Männer im Lande, die es längst wünschen und hoffen, und sich nur fürchten hervorzutreten, weil sie um Leib und Gut besorgt sind. Es ist eine Schmach in vielen Dingen,« fuhr er eifriger fort, »wie es um uns steht. Keine Schulen, das Volk in Dummheit und Aberglauben, ohne Gesetzbuch, denn noch gelten Kaiser Karl des Vierten Strafgesetze und der verwirrte Haufen alter Gewohnheitsrechte; keine Verfassung als das alte Landbuch; keine Presse, denn was darf hier gedruckt werden? keine Heranbildung des Volks zu den Sitten und Rechten unserer Zeit; kein Fortschritt in Kultur, keine Ordnung im Haushalt des kleinen Staates, keine Einrichtungen, wie sie zur Besserung des gemeinen Wesens nöthig sind; keine Armenversorgung, keine Fürsorge für das Wohl der Bürger; überall das abgestorbene alte Wesen, als lägen die Eiswälle des Titli rings umher und schnitten uns von jeder Civilisation ab.«
Hilberg schenkte dieser lebhaften Antwort sichtlich keinen Beifall, doch unterdrückte er sein Mißbehagen.
»Das ist es nicht,« erwiderte er, »was uns noth thut. Ich sehe wohl, daß die Recht haben, welche deine radikalen Grundsätze verdammen, aber es wird sich geben, wenn du erst besser einsiehst, was ich will und von dir erwarte. Umstürzen, was unsere Väter erbauten, ist nicht meine Sache; ich hasse die Unruhestifter und verachte die radikale Rotte, welche die Schweiz jetzt umkehrt, vielleicht noch mehr wie Ulrich. Ja könnte ich um den Preis einer einzigen That, die unser Recht entwürdigte, ganz Unterwalden in meiner Hand halten, ich würde sie eher abhauen. Deine Anklagen sind falsch, denn was du forderst, brauchen wir nicht. Hier giebt es keine Städte, keine vielseitige Geschäftigkeit. Die meisten Leute im Land sind Hirten und Ackerbauer. Jahr aus Jahr ein leben sie auf den Alpenmatten oder in stillen Thälern, versteckt vor aller Welt. Was brauchen sie Aufklärung, Schulen, Presse und allerlei neumodische Einrichtungen, die ein anderes Leben vielleicht nöthig hat? Sie kennen nichts davon, sehnen sich nicht danach, sind zufrieden mit dem uralten Recht und den Gewohnheiten, die vom Urvater auf den Enkel sich vererbten; was willst du also mit deiner Kultur und deinen Fortschritten? – Wirfst uns Dummheit und Aberglauben vor, als wärst du ein wilder Umstürzer aus Bern oder Waadt, und siehst nicht, daß es mehr noch wie Dummheit wäre, wenn du dem Volk hier Rechte und Sitten bringen wolltest, von denen es nichts versteht.«
»So scheint es,« entgegnete Oerni, »aber doch ist es anders. So weit verdumpft ist das Volk nicht, um nicht zu wissen, daß es ihm schlecht geht und daß sein Menschen- und Bürgerrecht ganz verschieden von dem lautet, was im Landbuch geschrieben steht.«
Hilberg drückte seine schwere Hand geballt auf den Tisch und sagte in strengem Ton:
»Wenn Uebelthäter das Landbuch angreifen wollen, so haben wir Mittel, ihnen die Gelüste zu vertreiben. Niemals aber wird mein Schwiegersohn zu denen gehören, die ein solches Verbrechen begehen können.«
Beide Männer blickten sich an. Es waren feindlich messende Blicke, die Unheil verkündigten.
»Dein Schwiegersohn,« erwiderte Oerni dann, »wird sich stets auf dem Wege des Rechts und der Ehre befinden.«
Auf dem Wege, den ich gehe, ich gut heiße,« rief der Vater ihm zu. »Meine Ehre ist deine Ehre, was ich für Recht erkenne, muß auch dein Recht sein.«
»Wohl, so weit mein Gewissen dazu stimmt und meine Grundsätze.«
»Du bist zu jung dazu, um richtige Einsicht zu haben. Gewissen und Grundsätze hat jeder jetzt im Munde; das sind Worte ohne Sinn bei denen, die damit ihre bösen Meinungen bemänteln.«
»Ich hoffe es zu beweisen, daß ich ein Mann bin, und kein falscher, wankelmüthiger, der heut so, morgen so denkt,« versetzte Oerni mild; »allein warum wollen wir an dem schönen Tage hadern? Wir werden uns kennen und verstehen lernen, ohne Groll sein, auch wenn unsere Meinungen nicht übereinstimmen. Regli wird das Band bilden, das uns verknüpft, und nie werde ich vergessen, was ich meinem Vater zu danken habe.«
Oerni reichte ihm die Hand und Hilberg nahm sie, aber es war doch ein Groll in ihm, den er nicht aus den Augen und von der Stirn bringen konnte. Oerni wandte sich zu Regli, die mit stillem Ernst den Streit angehört hatte, ohne eine Miene zu ändern; jetzt aber zupfte sie ihren Bräutigam heimlich und ging dann hinaus, bis er nach einem Weilchen ihr nachfolgte. Als sie Beide im Garten hinter den Hecken waren, stand sie still, und nun erst sah Oerni, daß ihre Augen voll Thränen hingen.
»Warum weinst du denn, liebstes Regli?« fragte er mitleidig und erschrocken. Habe ich dich betrübt?«
»Ja,« sagte sie leise, »hast in mein armes Herz einen tiefen Stich gethan, daß es lange schmerzen wird.«
»Ich? in dein Herz? Ach, Regli, du zürnst mir, weil ich mit deinem Vater stritt.«
»Du hättest wohl streiten können,« fuhr sie fort, »doch nicht so, wie du es thatest, nur nicht jetzt, nicht heut. Du hast den Blick nicht gesehen, mit dem er dich und mich betrachtete, als wollt er sagen –«
Sie schwieg und deckte beide Hände über ihre Augen.
»Was wollte er sagen?« fragte Oerni bewegt.
»Ihr paßt nicht zusammen und der Bub' nicht zu mir,« flüsterte sie.
»Regli,« rief der Bräutigam, entzückt von ihrer Sorge und doch lächelnd darüber, »was schaffst du dir für Noth! Dein Vater ist wohl ein heftiger, zorniger Mann, aber sein Wort hält er in Ehren, und wo wäre eine Ursach', es zu brechen?«
»Merkst du denn nicht,« sagte sie ängstlich, »daß er für mich dich will; daß du thun sollst, was er im Sinn hat, du ihm dienen sollst bei Landrath und Volk, und nun inne wird, du läßst dich nicht biegen?«
»Ich merk' es wohl, Regli, und wenn er nur seinen Einfluß und sich an die Stelle des Ulrich bringen will, hat er Recht, ich werde ihm nicht dienen. Aber dein Vater will ein sanftes Regiment, will vom Volk Gunst gewinnen, will den Beistand derer, die bis jetzt nicht gehört wurden; da muß er nachgeben, muß ein paar Schritte thun, und sind die ersten gethan, kommen die andern wohl nach. Er wird nicht anders können, und wenn er nicht will, wird er müssen. Dazu will ich ihm helfen mit Leib und Seele, will ihm dienen, wie ich kann, und sein treuester Freund sein.«
Sie waren an der Heckenwand hingegangen, die bis zum Hause hinauf ging, und glaubten sich unbelauscht, aber an der andern Seite stand der Landamman und hörte jedes Wort.
»Ich glaub' es gern,« flüsterte Regli, »aber hüte dich, Rudolf, ihn aufzubringen. Er ist ein gar zorniger Mann, und er hat dir ja selbst gesagt: nie hätte er meine Hand in deine gelegt, wenn er nicht besondere Absichten mit dir hätte. Stör' ihn nicht in seinem Denken, ich bitte dich, sei mild und nachgiebig.«
»Gut, Regli,« erwiderte ihr Geliebter, »was du räthst, ist klug. Ich will jeden Streit vermeiden, will schweigen und hoffen und auf die Zeit warten, wo es Zeit ist zu reden.«
Sie gingen zurück und Hilberg stand voll Grimm über das, was er vernommen, hinter dem Gehege.
»Für die Dirne paßt der falsche Bub',« murmelte er, »aber für mich nicht, darin hat sie Recht. Habe ein Kukuksei in mein Nest gelegt und weiß nun nicht, was ich thun soll. Soll ich es zertreten oder den Vogel auskriechen lassen, daß er größer und stärker wird wie ich?«
Mißmuthig ging er den Weg an der Berglehne hinauf, wo der Wald begann, als wollte er unter den hohen stillen Bäumen seinen Aerger vergessen und seine Entschlüsse stärken, und während er überlegte, wie er handeln müsse, saß Regli bei Oerni und verlor unter seinen Liebesworten und Küssen die Sorge um den Geliebten, der so muthig und beruhigend zu reden wußte.
Plötzlich stieg ein Mann die Steinstufen an der Terrasse hinauf und Beide horchten auf seinen festen und leichten Schritt.
»Wer kann es sein?« fragte Regli.
Oerni bog sich über den Fels hin und erblickte seinen Freund Willi Grießler.
»Es ist Willi,« sagte er. »Ich habe es ganz vergessen, daß er kommen sollte, deinen Vater um Milde zu bitten. Komm in den Garten, Willi,« rief er ihm zu, »du sollst gute Nachricht hören.«
Der Bauer schritt durch den Gang und zog mit verlegener Miene den Hut ab. Er war in seine beste Jacke gekleidet; der weiße Kragen seines Hemds fiel breit über das rothbunte Halstuch, sein dichtes Haar lag glatt gekämmt auf Stirn und Nacken, über der Schulter aber trug er eine Jagdtasche und in der Hand hielt er sein Gewehr, mit dem er sich am Morgen beschäftigt hatte.
»Nun, Willi, du bist bewaffnet, als wolltest du in den Krieg ziehen,« rief ihm der Fürsprech entgegen.
»Ja, Herr Oerni,« antwortete er, »ich will das wilde Gethier bekriegen, wenn die Menschen mir den Frieden verweigern. Wo ist der Vater, Jungfer Regli?«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte sie. »Er wird im Hause sein.«
Willi machte eine Bewegung zum gehen, aber Oerni sagte:
»Bleib hier, deine Sache ist abgemacht; er will nichts mit dir zu schaffen haben.«
»Nichts? – Gut, ich danke, Herr Oerni. Ich wußt es wohl, kenne meine Leute.«
Sein finster trotziger Blick schien milder zu werden, als freue es ihn, daß Hilberg ihn abweise.
»Du kennst ihn nicht,« sprach Oerni lächelnd. »Er will nichts von dir wissen, aber er hat der Jungfer Regli die Sach' überlassen, und Regli ist meine Braut und hat mir gesagt, sie wolle thun, wie ich's für gut halte. So halt ich dafür, Willi, du gehst nach Haus, stellst den Stutzen in die Ecke, siehst fleißig nach Haus und Wirthschaft und lebst wie ein wackerer Bub' leben muß, bescheiden und still. Wenn wir dann unten in Stanz wohnen, wir Beide, ich und die Jungfer hier, so komm und besuche uns; wollen dann weiter davon sprechen und sollst zufrieden nach Haus gehen.«
Willi stand starr vor Erstaunen. Ein paarmal drang die Freude durch seine rauhen Züge und seine Augen glänzten, dann kehrte das Mißtrauen zurück und sein stolzes Rechtsbewußtsein.
»Gottes großen Dank, Herr Oerni!« sagte er; »ich weiß, Ihr werdet thun was Recht ist, und mehr will ich nicht, von Keinem in der Welt. Wünsch Euch viel tausend Glück zu der stattlichen Jungfer Regli; es ist eine Freude, es zu denken, aber wißt Ihr's gewiß, Herr Oerni? Ist's keine schöne Geschicht, die ein traurig Ende hat?«
»Nein, Willi,« sagte Oerni, ihm die Hand drückend, »es ist Wahrheit, Regli ist mein, und ehe die Blätter gelb werden dort an der Stanzer Höh', werden die Hochzeitkuchen gebacken sein.«
Die letzten Worte sprach er mit leiser Stimme, denn die kleine Thür in der Heckenwand des Gartens wurde heftig aufgestoßen und der Landamman trat schnell herein. Dicht hinter ihm waren Ulrich und Siler; ein paar Gerichtsdiener mit dem Amtszeichen am Arm blieben an der Hecke stehen. Oerni stand erstaunt auf. Das zornige dunkelrothe Gesicht seines Schwiegervaters und die Begleitung, in welcher er erschien, verkündeten ihm nichts Gutes. Fast ohne ihn anzublicken, trat Hilberg dicht an ihn heran, ergriff Regli's Arm, zog sie von Oerni zurück und blieb zwischen beiden stehen.
»Was ist geschehen?« rief der Bräutigam, der Regli's Hand noch festhielt.
»Laß sie los!« schrie Hilberg, sie gewaltsam trennend.
»Ich habe das Recht, es nicht zu thun,« erwiderte Oerni.
»Recht? Wozu hast du kein Recht? Ich will dir aber zeigen, was Recht ist! Fort aus meinem Hause!«
»Um des Himmels Willen, Vater,« rief der junge Mann erblassend, »wer hat mich verleumdet?«
Hilberg blickte ihn drohend an und plötzlich sah er den Willi stehen, der halb in's Gebüsch getreten war.
»Was soll der Bub? hier?« schrie er. »Hast du ihn herbestellt und willst die saubere Kameradschaft fortsetzen? Fort mit euch Beiden! es ist der Eine so viel wie der Andere werth!«
»Ich werde nicht von der Stelle gehen, bis ich weiß, wer mich angeklagt und was ich gethan habe,« erwiderte Rudolf. »Sei ruhig, Regli, ich weiß von keiner Schuld, der Vater wird erkennen, daß er betrogen wurde.«
»Betrogen durch Euch und Eures gleichen,« sagte der Oberst Ulrich; »das wollen wir Euch auf der Stelle beweisen, da Euch darnach verlangt.«
Er winkte den Gerichtsdienern, und zum Schrecken Willis ward gleich darauf der arme Peter Schramm und ein anderer Mann, den er gut kannte, durch die Thür gestoßen. Die Hände waren ihnen auf den Rücken gebunden. Mit niedergeschlagenen Mienen standen die Sünder zitternd vor den gestrengen Herrn und wagten nicht die Augen zu erheben.
»Gott erbarm's, Peter, was hast du gethan?« rief Willi, die Hände zusammenschlagend.
»Kennst du den Mann da, Peter Schramm?« fragte der Oberst mit starker Stimme, indem er auf Oerni deutete.
»Ich kenne den Herrn Oerni manchen schönen Tag,« antwortete der Krämer kläglich.
»So sag's ihm in's Gesicht, was du mir gesagt hast.«
Peter schwieg und warf einen flehenden Blick auf den Landrath. »Lieber Herr,« sprach er dann zögernd, »was soll's mit mir armen Mann? habe mein Lebtag redlich und still gesorgt für mich selbst und mich nicht um andere Leut gekümmert.«
»Du Schuft!« schrie der Oberst. »Hat der Oerni mit dir und dem Buben dort gestern in der Pintenwirthschaft am Berge gesessen und habt zusammen gezecht?«
»Es ist wahr, Herr Ulrich,« sprach der Krämer.
»Und hat er nicht über das Recht gespottet, das hier im Lande gesprochen wird? Hat er nicht gesagt, er wollt es dahin bringen, daß es anders würde, wenn das Volk ihm beispränge? jedermann sollte sich bereit halten?«
»Es ist wahr, Herr Ulrich,« murmelte der Krämer stockend, indem er den Kopf schüttelte.
»Und hat er dir nicht gesagt, er wollte Alles gleich machen, jeder müßt' Theil am Almandgut und an den Wahlen haben, wie in alten Zeiten, wo Freiheit in Unterwalden gewesen sei? Das Landbuch wollt er zerreißen und dazu würde der Alt-Landamman Hilberg helfen; darum wollt er die Jungfer Regli heirathen, damit der Vater nicht anders könnte. Wollte ein paar Monate sich klug unterm Joch ducken, bis er die Schlingen festgezogen habe, und dann sollte es den Tyrannen, die das Land bedrückten, Hals und Beine kosten. Sprich die Wahrheit, Peter, hat er das gesagt?«
»Ich weiß nicht, Herr, es ist mir so, habe nie ein stark Gedächtniß gehabt,« erwiderte der Krämer stockend.
»Willst du's läugnen, du Schelm!« schrie der Oberst, die Faust ballend.
»Ja, Herr, ja,« seufzte Peter, »ich besinne mich, er hat es gesagt.«
»Es ist alles Lug und Trug,« fiel Willi heftig ein, »kein Wort ist wahr davon. Ist eine ewige Schande für dich, Peter, bist ein schlechter, schwacher Mann!«
»Du frecher Bub', ich kenne dich,« rief der Oberst; »bekenne du selbst die Wahrheit, wenn's dir nicht übel gehen soll.«
»Meint Ihr meine Arme so einzuschnüren, wie dem Peter dort?« rief Willi verächtlich lachend. »Freilich, ich kenne Eure Art, aber es ist doch nicht so leicht, wie Ihr denkt.«
Er trat einen Schritt zurück, hob den Stutzen auf und schlug mit der Hand an den Schaft.
»Bleibt mir vom Leib,« sagte er mit Festigkeit, »und laßt den Weibel da zurücktreten!«
»Du Schandbub! willst du mir drohen?«. schrie der Oberst wüthend.
»Ich droh Euch nicht, aber ich will weder lügen noch mich fangen lassen. Bin ein freier Mann und will meine Freiheit vertheidigen gegen Jeden, der mir in den Weg tritt. Kommt, Herr Oerni,« fuhr er fort, »Ihr seht wohl, man will Euch aus dem Haus hier haben um jeden Preis. Kommt, oder sie sind im Stande und binden Euch ebenfalls um der Wahrheit willen, und eher will ich mein Leben lassen und ihnen Allen den Hirnschädel einschmeißen, ehe ich sehen will, wie der beste Mann im Lande zu Schanden gebracht wird.«
»Ich kann es nicht glauben,« sagte Oerni, sein Schweigen brechend, »es ist unmöglich, daß Ihr unter solchem Vorwand Euer Wort zurücknehmen wollt. Ich schwöre Euch, daß es Lügen sind. Hört mich an, lieber Vater, Ihr habt Regli's Hand in die meine gelegt, habt uns Euren Segen gegeben. Ihr könnt nicht – Ihr dürft nicht! Schande über Euch, wenn Ihr wirklich ein solches Spiel mit uns treiben wolltet!«
»Geh' in's Haus!« rief Hilberg seiner Tochter zu, die blaß und zitternd zwischen den Männern stand.
»O Vater!« sagte sie mit erstickter Stimme, die Hände zu ihm erhebend.
»In's Haus mit dir!« schrie der harte Mann voll Zorn.
»So lebe wohl, Regli, lebe wohl und hoffe auf die Zukunft!« rief Oerni, und ehe ihr Vater es hindern konnte, war er bei ihr und preßte zum Abschied ihre Hände an sein Herz.
Regli weinte laut und floh den Gang hinauf, der Alt-Landamman aber deutete auf die Gartenthür und sprach mit so viel Ruhe wie er vermochte:
»Verlaßt mein Haus und nehmt Euern Spießgesellen dort mit; gebt aber jede Hoffnung auf, mich andern Sinnes zu machen. Ich habe mich in Euch geirrt und danke allen Heiligen, daß mir die Augen zeitig geöffnet wurden. Das Weitere mögt Ihr erwarten. Es wird gut für Euch sein, wenn Ihr Euch unschuldig wißt. Ich aber glaube es nicht, denn was Ihr zu mir gesprochen, stimmt allzugut mit dem überein, was der Gefangene dort ausgesagt hat. Geht, ich denke wir finden uns bald an anderem Orte wieder.«
Nach diesen drohenden Worten bat er den Obersten und dessen Neffen bei ihm einzutreten und wandte sich verächtlich von Oerni, als dieser nochmals seine Schuldlosigkeit betheuerte. Es blieb dem unglücklichen Bräutigam nichts übrig, als sich mit Willi zu entfernen.
Lange ging Oerni schweigend neben dem Bauer her, der sein Verstummen in Schmerz und Schaam nicht unterbrechen mochte. Willi senkte endlich selbst den Kopf, um besser nachzusinnen, und nur von Zeit zu Zeit warf er ein paar rasche Blicke auf Oerni's bleiche, festgeschlossene Lippen und rückwärts auf den Weg und die Häuser, als fürchtete er, daß man ihnen nachsetzen werde. Nach einer Weile drängte er seinen Begleiter auf einen Fußpfad, der an der Höhe durch Gärten, Feld und Wald hinzog.
»Es sind zu viel Menschen auf den Beinen,« sagte er, »und ich denke, es ist uns besser allein zu wandern.«
»Besser wilden Thieren zu begegnen,« erwiderte Oerni mit ausbrechendem Grimm und Kummer; »besser nie mehr zu glauben, zu hoffen und zu lieben,« setzte er leise hinzu.
»Dies dort,« rief Willi, mit der Hand zurückdeutend, »sind ärger wie Wölfe und Bären, die man niederschießt und eine gute That damit thut. Haben kein menschlich Herz in der Brust, ist Alles in ihnen giftig und faul; allein was hilft das Klagen, Herr? damit hat noch Niemand eppis gebessert. Dort unten liegt Stanz,« fuhr er fort; »eilt, sprecht mit Euern Freunden; erzählt's dem alten Pannerherrn Imring und seid auf Eurer Hut. Sie werden Euch bald ein Stückchen aufspielen, daß Euch die Ohren gellen. Es ist gut ausgesonnen.«
»Statt dir zu helfen, Willi, reiß ich dich weiter hinab,« sagte der Fürsprech traurig.
»Darum macht Euch keine Sorge, Herr,« versetzte der Bauer, »werde so wie so auf meinen Füßen stehen. Ich kannte den Hilberg zu gut, im zu glauben, daß er wie ein rechter Mann handeln könnte; Ihr kanntet ihn nicht, habt zu rasch geglaubt und vertraut. – Ich sehe die Sache durch und durch,« fuhr er fort. »Er wollte Euch zu seinem Knecht haben, meint, Ihr müßtet um den Finger zu wickeln sein, wenn er das Regli Euch an den Hals werfe; Ihr aber habt ihm zu früh gezeigt, daß es nimmermehr geschehen kann. Da dankt er allen Heiligen, daß der Ulrich den hübschen Plan gemacht, Euch wieder los zu werden, und wird Himmel und Erde in Bewegung setzen, dem ganzen Land zu zeigen, daß Ihr ein verrätherischer, arger Bub' seid.«
»Du hast Recht,« sagte der Fürsprech vor sich hin, indem sie weiter gingen.
»Und nennt uns Spießgesellen,« rief Willi rauh auflachend, »und hätte mich doch gar gern in die Falle gebracht, oder eine Hanfschnur um meine Arme gezogen.«
»Du mußt fort aus dem Lande,« fiel Oerni ein, indem er still stand und nachdachte. »Fahr über den See, Willi, ich will dir Geld geben; oder flieh' nach Luzern und verbirg dich, bis die Sache ausgetragen ist.«
Der Bauer schüttelte den Kopf und sprach ruhig:
»Ich bleibe hier, Herr. Gestern wollt ich gehen; Ihr sagtet: bleib. Heut kehrt sich die Geschicht um. Wohin soll ich? Sie würden mich, wenn ich entflöhe, so gewiß wie dort St. Jakobs Kirchli steht, schon morgen im Amtsblatt, ausschreiben und überall, wohin ich mich wenden möcht, als Verräther und Verbrecher einfordern. Dann aber wär' Alles verloren, denn wenn ich unschuldig wär', warum wär' ich denn entflohen? – Nein, Herr, wenn ich Euch nützen will und mir selbst, muß ich bleiben, so gut wie Ihr bleibt; muß hintreten vor ihr vermaledeit Gericht, ihnen die Zähne da weisen und sprechen: ›Es ist eitel Lug und Trug, macht mit mir was ihr wollt, ich bleib' dabei.‹«
»Vielleicht hast du auch darin Recht,« erwiderte der Fürsprech, »aber Willi, denk an den Peter!«
»Denk' eben daran, Herr. Der arme Peter, er möcht' nicht gern lügen, ist aber sein Lebtag ein kluger Mann gewesen, der für sich zuerst sorgt, und ist ein Krämer, der den Handel versteht. Wie es kommen mag, Herr Oerni,« sprach er mit fester Stimme, »ich hoff' ein anderer Mann zu sein.«
Sie standen auf der Spitze des Hügels. Unten am Fuße lag der kleine Hof des Bauern, seitwärts in der Tiefe der Flecken Stanz. »Ich danke dir, Willi,« sagte Oerni, »du bist ein kühner Mann, aber so Gott will, macht sich noch Alles zum Guten.«
»Wollen es hoffen,« versetzte Willi. »Vielleicht geben sie die Klage auf, wenn sie sehen, wir stehen Beide auf dem Platz.«
»Wir wollen uns redlich helfen, wie wir können, Willi.«
»Nehm's an, Herr Oerni. Sollte eine Gewaltthat mich treffen, so liegt da unten das alte Weib in der Hütte, gelähmt an Händ' und Füßen, die Niemand hat auf Erden als mich.«
Beide schüttelten sich die Hände und trennten sich dann in verschiedenen Richtungen. – Willi stieg die Felsen hinauf in den Wald hinein und verfolgte das Bett eines rauschenden Bergquells, bis er aus dem einsamen, jähen Spalt, in welchem das Wasser niederschoß, auf eine grüne Matte trat, die von steilen Kalksteinwänden fast ganz umschlossen war. Hohe Bergfichten standen an der Grenze des kleinen Weideplatzes und lehnten sich melancholisch mit ihrem finstern Gezweig an die Felsen.
Einige Augenblicke stand Willi lauernd still und überzeugte sich, daß er allein sei, dann stieg er rasch an einem der Bäume empor, half sich von Ast zu Ast bis fast in den Gipfel, und nun nahm er sein Gewehr und den Jagdsack, und schob beides vorsichtig in einen Spalt der Felsenwand, der von unten unmöglich bemerkt werden konnte.
»Da liegst du sicher,« murmelte er vor sich hin, als er wieder unten stand, »und bist mein größter Schatz, den ich besitze. So lange ich dich habe, bin ich unverzagt, habe einen Freund in aller Noth, der mich nicht verlassen wird.«
Rasch verließ er den Ort, und wie die Nacht leise an den Bergen aufkletterte, trat er in seine Hütte und warf seufzend den Hut in den Winkel. Es war so einsam und dunkel da; die alte Mutter stöhnte in der Kammer, das kleine blinde Fenster schimmerte röthlich im Abendwiederglanz und Willi stand lautlos in der Mitte des Raums, die Hände gefaltet, den Kopf tief auf die Brust gesenkt. Es überkam ihn ein Bangen und ein Weh, als risse sich etwas von seinem Herzen. Seine Augen wurden feucht, er blickte in die schweren Schatten, welche die Wände umzogen, es war ihm, als stehe er ganz allein in einer Wüste und kein Tag würde je wieder darüber aufgehen.
Plötzlich hörte Willi draußen den Holzriegel an der Pforte aufziehen, und er wachte aus seinen Träumen auf.
»Bist du da, Annli?« fragte er, als das Geräusch sich näherte und eine Hand den Drücker zu suchen schien: »wart, will aufmachen.«
In dem Augenblick wurde die Thür geöffnet und die große dunkle Gestalt eines Mannes stand auf der Schwelle. Willi erkannte ihn trotz der Finsterniß.
»Mein', Ihr seid's, Herr Altlandamman?« sagte er.
»Ich bin's,« erwiderte Hilberg, indem er einen Schritt vorwärts that. »Wollte nach Dir umschauen, Willi.«
»So will ich Licht machen, damit Ihr sehen könnt, Herr.«
»Ist mehr nöthig zu hören als zu sehen,« erwiderte Hilberg; »doch thue was du willst.«
Willi hatte in der nächsten Minute Licht angezündet und stand vor dem Gutsherrn, der ihn schweigend betrachtete. Er schien seine Absicht zu sein, den Bauer durch eine finstere stumme Vorbereitung zu erschrecken, allein dieser sah ihm so klar und ruhig in's Gesicht, daß er sich zu ärgern begann.
»Höre, Willi,« sprach er darauf, »ich weiß, du bist ein Bub', der mehr starrsinnigen Trotz als Klugheit besitzt, dennoch denke ich, daß so viel Einsehen in deinem Gehirn sein wird, diesmal besser zu überlegen, was dir nützt oder schadet.«
»Was mit Recht und Gewissen sich verträgt, hab' ich immer gern gethan, Herr,« erwiderte Willi.
»Du weißt,« fuhr Hilberg, die Stirn zusammenziehend, fort, »was heut in meinem Hause geschehen ist, weißt auch, was Peter ausgesagt hat gegen Oerni und gegen dich. Da kann's nicht anders sein, als daß du, wenn du läugnest, in's Loch gesteckt wirst, und glaubst es wohl, daß man Mittel genug hat, dich zum Geständniß zu bringen.«
»Glaub's wohl,« sagte Willi.
»So sei kein Narr und laß es dahin kommen,« sprach der Alt-Landamman eindringlich.
Willi schüttelte den Kopf.
»Gott erbarm's, was Menschen sich anthun!« sagte er. »Der Peter lügt, Herr, ich aber kann's nicht. Ich bin ein armer Bub' – Ihr wißt's zum Besten – doch gäbt Ihr mir Alles, was Ihr habt und Euern Sitz im Landrath dazu, ich möcht's nicht haben, wenn ich dafür lügen sollte.«
»Du sollst auch nicht lügen, sollst die Wahrheit sagen,« fiel der Versucher ein, »und da mir viel daran gelegen ist, daß die schlechte That des Fürsprech Oerni an den Tag kommt, will ich dagegen dir auch deine Bitt' erfüllen. Du sollst den Hof behalten und was jetzt dein ist; sollst in Frieden wohnen und leben. Bedenk' es wohl, du weißt, wie es mit dir steht.«
»Ich habe nichts zu bedenken, Herr, Wahrheit muß Wahrheit bleiben,« versetzte Willi; »Doch wenn ich wüßte, Ihr könntet glauben, was Peter in seiner Angst gelogen hat, ich wollte meine Hand aufheben und die heilige Mutter Gottes zum Zeugniß anrufen, daß Oerni nichts von alle dem gesprochen.«
»Spare deine Mühe,« sagte Hilberg mit ausbrechender Heftigkeit, »du willst den Verräther nicht verrathen und selbst lieber in's Unglück kommen. Aber du wirst es bereuen, du Thor, wirst untergehen und verlacht werden, wirst ein Landstreicher und Bettler sein, wirst in harte Strafe fallen, und dieser Hof, diese Hütte ist mein. Ich laß dich hinauswerfen sammt dem alten Weib dort in der Kammer. Jetzt wähle, willst du die Wahrheit sagen oder nicht?«
Eine dunkle Röthe stieg, während Hilberg sprach, über Willi's Gesicht. Er preßte Lippen und Zähne zusammen und seine Augen strahlten einen verzehrenden Grimm aus; plötzlich aber suchte er sich zu beherrschen und sagte gefaßt:
»Ja, Herr, ich will die Wahrheit sagen, doch nicht, wie Ihr es meint. Thut was Ihr wollt, zeigt dem Lande was Unrecht und Gewalt vermag, ich kann's nicht ändern. Aber fürchtet Gott, Herr Alt-Landamman, fürchtet sein Gericht!«
»Ich will's erwarten,« sagte Hilberg, »doch erst will ich dir geben, was dir gebührt.«
Er stieß die Thür auf und nun sah Willi, daß draußen Landjäger standen mit Säbeln und Büchsen bewaffnet.
»Willst du dich geben, wie du da bist?« fragte der Alt-Landamman höhnisch, »oder willst es darauf ankommen lassen, du verzweifelter Bub? Nehmt ihn fest und schont nicht, wenn er sich widersetzt.«
»Halt, Herr,« sagte der Bauer, »ich gebe mich ohne Gewalt, aber habt Mitleid mit der alten Frau, bis ich für sie sorgen kann.«
»Hinaus mit ihr, und hinaus mit dem ganzen Bettelkram!« schrie Hilberg. Zum letztenmal frag ich dich, willst du die Wahrheit bekennen?«
»Und meine alte Mutter wollt Ihr hinauswerfen, wenn ich Ehrlichkeit und Gewissen nicht verkaufe? Herr, Herr!«
Er rang die Hände zusammen, der Kampf in seiner Brust mußte ein schrecklicher sein, denn seine Adern schwollen hoch an der Stirn, sein starker Körper wankte.
»Wähle dein Schicksal, es ist in deiner Macht!« sagte Hilberg. »Noch ist's Zeit, will dir Alles vergessen und vergeben.«
»Da ist nicht zu wählen,« erwiderte Willi nach einer Minute, in der er nach Fassung rang. »Vater und Mutter soll man nicht verlassen, aber alle Liebe hat eine Grenz'. Ehre und guten Namen kann ich nicht hinwerfen, wie ein meineidiger Bub. That, was Ihr wollt, Herr, handelt ungerecht und grausam, wenn Ihr könnt, werft mich in den Stock und die alte Frau in die Nacht hinaus. Gott mag richten zwischen Euch und mir!«
»So nehmt ihn hin, den elenden verrätherischen Schelm!« schrie Hilberg den Landjägern zu, »und bei harter Strafe laßt ihn nicht entwischen.«
»Ich will freiwillig der Obrigkeit gehorchen,« sagte Willi, »und könnt sicher sein, daß ich ruhig folge, wohin Ihr wollt.«
Aber trotz seiner Betheurungen und Bitten wurden ihm auf Befehl des Landraths die Hände gebunden, und während er fortgeschleppt und mit Gemalt fortgestoßen wurde, hörte er den jammernden Ruf der kranken Frau, welche jetzt erst erfuhr, daß ihr Sohn in Banden sei, und sie in's hilflose Elend gestoßen werden solle.
In den nächsten Tagen verbreitete sich die Nachricht über diese Vorfälle überall durch das Land und wurde vergrößert und verfälscht, wie es zu geschehen pflegt. Die Leute in den Hütten erzählten sich, wie eine geheime Verschwörung entdeckt worden sei, an deren Spitze der junge Fürsprech Oerni gestanden, und wohl noch mancher Andere, der es mit den Moderirten und liberalen halte, jetzt aber aus Furcht vor der elenden Haut sich weiß zu brennen suche. Der Willi Griesler, der verwegene Bub', welcher mit Hirten und Jägern viel Verkehr gehabt, hätte sich dabei rächen wollen wegen des Unrechts, das ihm geschehen sei. Heimlich habe er seine Jagdgenossen, junge kühne Sennen von der Banalp, um Beistand angesprochen, der Krämer Peter aber habe die Botschaften hin und her getragen.
Es gab wohl Manchen, der im Stillen sein Herz für die Verschwörer schlagen fühlte, aber laut sagte Keiner etwas zu ihrem Lobe, und wie es in den Hütten war, so war es in den Häusern der wohlhabenden Landleute, unter den Genossen und bei den Herrn vom Landrath. Es gab auch unter ihnen Einige, die heimlich wünschten, es möchte geglückt sein, Andere zweifelten an der Wahrheit, der große Haufe aber gebehrdete sich voll Zorn und Eifer gegen die Schandbuben und schrie, es müßte ein Beispiel an ihnen gegeben werden.
Wenige furchtlose Männer nur sagten es laut, daß es ein Mährchen sei, das die Rothen, das heißt in der Schweiz die Aristokraten, erfunden hätten, um ihr Ansehen und ihre Macht zu vermehren. Aber was half ihnen ihr Reden? sie waren bei weitem die schwächsten. Die Anhänger der beiden mächtigen Landräthe, des Ulrich und des Hilberg, vereinigten sich gegen sie; die Halben und Schwachen, deren es überall so viele giebt, fielen den Stärksten zu, und mit jedem Tage sah es schlimmer um Oerni aus, dessen Freiheit und Habe bald ernstlich bedroht wurden. Man hatte ihn nicht verhaftet, wie den Willi und den Peter, aber man sprach von einer Anklage vor dem Blutgericht, die vorbereitet werde, und während er wortkarg und zurückgezogen zu Haus saß und seinem Schmerz nachhing, ersannen Verleumdung und Bosheit immer mehr böse Nachrichten über sein Thun und Treiben, seine Grundsätze, feine Gottlosigkeit und Frechheit.
Die meisten seiner Mitbürger wichen ihm aus oder wendeten ihm den Rücken. Manche sagten ihm harte Worte, der Pfarrer hielt in der Kirche eine Rede, worin er ihn als Gotteslästerer, Ketzer, Verführer und Verräther bezeichnete, und wo er sich vertheidigen wollte, glaubte man ihm nicht; er fand Hohn und Schimpf, statt Theilnahme. Oerni's Verachtung wuchs mit seinem Kummer. Er hatte am Tage nach seiner Ausweisung aus Hilbergs Hause an diesen geschrieben und Alles gethan, um seine Ehre und Liebe zu retten, allein er erhielt keine Antwort.
Statt dessen erfuhr er, daß Ulrich und sein Neffe täglich Hilberg besuchten. Eine Woche später sah er den jungen Hauptmann an Regli's Seite im leichten Wagen nach Stanz fahren, und dicht an ihm rollte das Fuhrwerk hin. Regli wurde blaß und wandte den Kopf zur Seite, der Hauptmann Siler dagegen sah ihn starr und lachend an, bis er vorüber war.
»Sie liebt mich noch!« murmelte Oerni. »Sie konnte meinen Anblick nicht ertragen. Ach! arme Regli, wir wollen doch noch weiter hoffen!« –
Ein paar Wochen vergingen wiederum, und eines Morgens wurde der Fürsprech durch seinen alten Freund, den Pannerherrn Imring, aufgestört, der mit einem Unglück weissagenden Gesicht in's Zimmer trat. Nach einem gleichgültigen Eingang des Gesprächs stellte er sich vor seinen Schützling und sagte:
»Ich muß es über's Herz bringen, dir eine Nachricht mitzutheilen, welche dir weh thun wird. Aber es kann nicht helfen, du mußt es wissen.«
»So gebt die bittere Medicin mit einemmal,« erwiderte Oerni lächelnd. »Ich bin angeklagt.«
»Noch nicht,« sprach der alte Mann, »obwohl es nicht ausbleiben wird, wenn es irgend angeht. Ich habe gehört, daß sie dem Willi Grießler in seinem Gefängniß hart zusetzen und ihm viel versprechen, wenn er gegen dich aussagen will.«
»Die Elenden!« rief Oerni empört. »Armer Willi! und ich kann nichts für dich thun!«
Er wird's nicht bekennen,« fuhr der Pannerherr fort, »denn er hat einen harten Kopf, der Bub', aber endlich bricht doch wohl die menschliche Kraft, oder sie finden noch ein ander Mittel, dich zu verderben. Die Nachricht, welche ich dir bringen wollte, ist jedoch von besonders anderer Wichtigkeit, mein Sohn. Es ist gestern in Hilbergs Haus eine Verlobung gefeiert worden.«
Alles Blut wich aus Oerni's Gesicht.
»Ich verstehe,« sagte er dann, »es mußte so kommen. Doch ich thue Einspruch, denn ich habe ihre Hand und sein Wort erhalten und will nicht weichen, bis er beweist, daß ich ihrer nicht werth bin.«
»Das wird dir wenig helfen,« erwiderte Imring betrübt, »denn wo willst du Recht finden? Sie schreien dich als Verräther und Bösewicht aus, das dumme Volk glaubt es, und seit der Pfarrer gegen dich gesprochen hat, ist der letzte Rest ihres Antheils und Zutrauens für dich verloren gegangen.«
Oerni stützte den Kopf in seine Hände; ein langes Schweigen folgte.
»Ja,« murmelte er endlich vor sich hin, »es ist eine schwere Täuschung, wenn man glaubt, in einer Demokratie wie die unsere gäbe es ein freies, verständiges Volk. Aberglauben und Vorurtheile, Gewalt und Dummheit stehen im Bunde gegen Jeden, der es wagt, die Macht der herrschenden Familien anzugreifen.«
»Siehst du nun ein, daß ich Recht hatte, dich zu warnen?« sagte Imring.
»Noch gebe ich es nicht auf!« erwiderte Oerni. »Ich bitte Euch, mein väterlicher Freund, sprecht Ihr mit Hilberg. Mahnt ihn an sein Wort, sagt ihm Alles, was sich sagen läßt, haltet ihm einen Spiegel vor, zeigt ihm, daß er neben Ulrich nicht der Erste sein kann. Er ist ehrgeizig, vielleicht gelingt es.«
Der alte Herr schüttelte den Kopf.
»Er kann nicht mehr zurück,« sprach er; »jetzt sinnt er nur darauf, wie er sich durch dein Verderben rechtfertigt.«
Nach einem langen Gespräch ging er aber doch mit dem Vorsatz, Hilberg aufzusuchen und ihm Vorstellungen zu machen; allein wieder vergingen Wochen, ehe er Gelegenheit dazu fand. Endlich, als er in der Abenddämmerung einst an seinem Heerde saß, klopfte es an die Thür und vor ihm stand Herr Arnold Hilberg. Voll Erstaunen blickte er den seltenen Besuch fragend an; der Alt-Landamman reichte ihm die Hand, setzte sich zu ihm, und begann ein Gespräch, das in seinen abgerissenen Fragen und Antworten der beiden Männer Befangenheit zeigte. Endlich stockte die Unterhaltung ganz.
Hilberg heftete sein finsteres Auge auf die Dielen, und ohne es aufzuheben, sagte er:
»Der Grund, weshalb ich zu Euch gekommen bin, lieber Imring, betrifft den Oerni und mich selbst. Meine Regli hat eine Bitte an mich gethan, die ich erfüllen möchte. Ich will mit Rudolf Oerni Frieden schließen und ihm die Hand reichen, wenn er sie nicht zurückstößt.«
»Wie!« rief der Pannerherr freudig, »Ihr wollt Euch mit ihm versöhnen?«
»Ja,« sprach Hilberg. »In acht Tagen feiert Regli ihren Ehrentag mit Hauptmann Siler von Schauensee; ich habe ihr versprochen, in Betracht vorgefallener Dinge den Oerni vor dem Blutgericht zu bewahren, und will es thun, wenn er geloben will, zu halten, was ich begehre.«
Imring zog seine Hand zurück, sein Blut wurde heiß.
»Wenn das Alles ist, was Ihr thun wollt, nachdem Ihr ihm Wort und Ehre verpfändet,« sagte er, so hat Rudolf Eure Güte nicht nöthig. Schuldlos, wie er sich weiß, braucht er das Gericht nicht zu fürchten.«
»Ihr irrt Euch,« erwiderte der Landamman finster lächelnd; »fragt Euch selbst, ob das Blutgericht den Oerni verurtheilen wird oder nicht. Wie viele würden denn im Ring stehen, die ihre Hand nicht gegen den Verräther erhöben, der Mord und Brand in ihre Hütten tragen wollte?«
»Legt die Hand auf's Herz, Herr Hilberg,« entgegnete der Pannerherr, »Ihr wißt es am besten, daß es bübische Verleumdung ist, die dem Sohne unseres alten Freundes solche Verbrechen andichtet.«
Hilberg schwieg eine Minute lang, dann sagte er kalt:
»Er hat in meiner Gegenwart Dinge geäußert, die ihn an den Schandpfahl bringen müßten, und mir damit die Augen geöffnet, ehe ich das Unglück über mich gebracht, ihm mein Kind zu geben. Ich könnte nicht anders als gegen ihn zeugen,« fuhr er fort, »darum ist mein Rath und Vorschlag der: Er verläßt das Land auf ein Jahr und reist, wohin er will. Er mag die Welt anschauen, und dann mit besseren Vorsätzen heimkehren. Während seiner Abwesenheit wird sich die Aufregung legen und seine Schuld wird vergessen sein, wenn er wiederkehrt und sich ruhig verhält.«
»Und wenn er nicht ist, wie er sein soll, hat man einen guten Strick, um ihn alle Tage zu hängen,« rief Imring mit Bitterkeit.
Der Landamman stand auf.
»Gehabt Euch wohl,« sagte er. »In der nächsten Woche tritt der Rath zum Gericht zusammen. Ist der Oerni Narr genug, noch jetzt zu trotzen, und in drei Tagen nicht jenseits des See's, so wird die Anklage gegen ihn erhoben werden, und ist es einmal so weit, kann ich nichts weiter thun.«
Als er fort war, dachte der Pannerherr darüber nach, was Hilberg bewogen haben könne, einen milden Ausweg zu suchen.
»Nicht die Regli ist's,« rief er aus, »sondern die Furcht, vor allem Volke seine Schande zu hören; aber wahr bleibt es darum doch, daß Oerni verloren ist, wenn er ihn anklagt.«
Er wußte nicht, daß Hilberg eine Stunde vorher noch einen Gang zum Verderben des Fürsprech gemacht hatte, der, wenn er geglückt wäre, ihn gewiß abgehalten hätte eine Vermittlung vorzuschlagen. Er begab sich in's Rathhaus und ließ sich dort zu dem Gefängniß des Willi Grießler bringen. Es war dies eine Art Käfig, aus starken Bohlen gebaut, so eng, daß ein Mann kaum drei Schritte darin thun konnte, so niedrig, daß er sich nie ganz aufzurichten vermochte, und völlig finster, denn nur in der Thür befand sich eine Klappe, durch welche dem Gefangenen Nahrung gereicht wurde. Ein paar andere ähnliche Käfige standen in der Tiefe des wüsten Gemachs.
Der mächtige Herr winkte dem Wärter, sich zu entfernen, dann schob er die Klappe zurück und blickte in den finstern Schlund, aus dem ekler Dunst aufstieg. Sein scharfes Auge gewahrte eine Menschengestalt, die am Boden im Winkel hockte.
»Tritt hierher, Willi Grießler,« sprach Hilberg mit gedämpfter Stimme.
Der Gefangene raffte sich auf.
»Was giebt's?« sagte er, »wer ruft mich?«
Er trat an die Oeffnung, und ein wildes Aufblitzen des Zorns funkelte in seinen Augen. Der Landrath betrachtete ihn mit finsterer Strenge, und doch fuhr ein Funke des Erbarmens durch seine Brust, denn Willi sah entsetzlich elend aus. Sein Gesicht war bleich und aufgedunsen, sein Haar hing verworren und zottig nieder und mischte sich mit dem Bart, der Lippen und Kinn bedeckte.
»Es geht dir schlecht, Willi, wie ich sehe,« sagte Hilberg.
»Es geht, wie es gehen kann, Herr, ohne Luft, ohne Licht und Bewegung.«
»Und sonst sprangst du alle Tage in der Sonne umher und warst ein Schütz, der auf Alpenspitzen hoch in die Wolken stieg. Liegst nun hier seit zwei Monden in Schmutz und Hunger, und wartest auf Hülfe von deinen Genossen, ich sage dir aber, es kann dir Niemand helfen.«
»Ich weiß es, Herr.«
»Bist mürbe geworden oder nicht?« fuhr der Landrath fort, indem er näher herantrat; »hast Einsehen erhalten, oder fehlt es dir noch immer? Willst die Wahrheit bekennen, Willi, so kann noch gut gemacht werden, was du gefehlt hast.«
Der Gefangene trat von der Klappe zurück.
»Schämt Euch, Herr,« sagte er, »daß Ihr her kommt, um mich zu verspotten, Ihr, der mich in dies Elend gebracht hat.«
»So geh', du Lump!« schrie Hilberg voller Wuth. »Wollte dir helfen und noch jetzt dir beispringen; aber nun soll mein Bestreben sein, dich unverbesserlichen Buben zur Rechenschaft und Strafe zu bringen. Sollst nicht vom Gerichtstag fort ohne blutigen Rücken und eisernen Halsschmuck, und will dafür sorgen, daß in der Gemeinde dir nichts durchgeht, daß der kleinste Fehl dir mit einer Tracht vergolten wird.«
Er warf die Klappe zu und blieb einen Augenblick horchend stehen, aber er hörte nichts als ein dumpfes Stöhnen. Willi hatte sich in der Mitte seines finstern Käfigs auf's Knie geworfen; seine Fäuste ballten sich zusammen, er streckte sie über den Kopf aus zum Himmel, den er nicht sehen konnte, und zwischen seinen festgepreßten Zähnen drängten sich Töne hervor, vor denen der Landamman davoneilte, denn es kam ihm vor, als heule ein wildes Thier hinter den Eichenbohlen.
Noch an demselben Abend besuchte Imring seinen jungen Freund, der ihm erwartungsvoll entgegen kam, aber schweigend sich abwendete, als der Pannerherr traurig den Kopf schüttelte.
»Es ist vergebens gewesen, ich dachte es wohl,« sagte der Pannerherr leise. »Nichts ist daran zu ändern. In acht Tagen ist Regli's Hochzeit.«
Oerni deckte die Hände auf sein Gesicht.
»Grausame Gewalt der väterlichen Rechte!« rief er. »Sie haben sie dazu gezwungen!«
»Aber sie hat sich mit dem Zwange versöhnt, ober wird sich bald damit versöhnen,« erwiderte der alte Mann. »Unsere Mädchen sterben nicht vor Liebesgram, sie wissen, was sie müssen, und wenn es dir zum Trost gereicht, so kann ich dir sagen, daß Regli munter am Hochzeitstaat näht und der junge Hauptmann ihr jeden Tag besser gefällt. Du aber,« fuhr er fort, »darfst nicht länger daran denken, mit Hilberg in Familienverbindung zu treten. Ehre und Pflicht verbieten es dir. Du mußt fort, bis andere Zeiten kommen, bis eine bessere Sonne Unterwalden bescheint.«
»O mein Vater!« sprach Oerni düster vor sich hin, »wann werde ich zurückkehren dürfen?«
»Vielleicht nie, vielleicht bald,« erwiderte der Greis gerührt. »Vielleicht ist es mir noch beschieden, dich in meine Arme zu schließen, jetzt aber stoße ich dich hinaus in die Welt, denn wenn du bleibst, bist du verloren.«
Ihr Gespräch dauerte bis tief in die Nacht, und als der Morgen graute, fuhr ein Wagen, welchen die beiden Männer bestiegen, von Oerni's Haus hinab nach Stanzstad, wo ein Boot am Ufer bereit lag.
»Ich werde dein Gut getreulich verwalten,« sagte der Pannerherr, »und für Alles Sorge tragen, auch für Willi.«
»So lebe wohl!« rief Oerni, ihn umarmend und einen langen Blick zurückwerfend auf die rauchenden Berge und Firnen, die vom ersten Sonnenroth angehaucht wurden. »Lebe wohl, geliebtes Land meiner Kindheit! Ach! daß ich als ein Flüchtling dich verlassen muß, weil freie Männer keinen Raum hier haben!«
Der alte Pannerherr sah ihm lange nach. »Gott segne ihn, Gott behüte ihn!« murmelte er vor sich hin, »und lasse den Tag bald kommen, wo er wiederkehren darf.«.
Der Gerichtstag war vorüber und am nächsten Morgen sahen neugierige Leute den Gestraften nach, die von Gerichtsdienern begleitet in ihr Kirchspiel zurückgeführt wurden. Einige unter dem Haufen schwiegen und ihre finstern, ernsten Gesichter drückten ihre geheimen Gedanken aus; Andere waren mitleidig gestimmt, die Meisten aber lachten und sprachen:
»Es ist ihnen geschehen, was sie verdienten. Altes Recht bleibt Recht, die Herren haben es beschirmt, wie es Pflicht war, und der böse Bub', der Willi Grießler, mag jetzt seinen blutigen Rücken heilen, mit der Klingel am Kopf zu Jedermanns Gespött und Warnung fünf Jahre umherlaufen, und sich hüten, daß er die Kirchspielgrenze nicht übertritt oder andere Streiche macht.«
»Sie werden ihm schon die Peitsche zu kosten geben, wenn er sich muckt,« sagte ein alter Mann. »Sind strenge Leut im Genossenrath.«
»Ist aber doch Schade um den Buben,« rief eine der jungen Dirnen. »Ist ja nun auf sein Lebtag in Schimpf und Schande, und kann ihm kein ehrlich Mädli mehr die Hand reichen.«
Die Leute verliefen sich, während die Gefangenen über die Berge dahin zogen bis in ihr Kirchspiel.
Der Krämer Peter ging an Willis Seite in philosophischer Ruhe und sprach mit seinen Begleitern, wie ein Mann, der sein Schicksal zu tragen weiß. Von Zeit zu Zeit nahm er eine Prise aus seiner großen Horndose, und versuchte einen Scherz aus der alten Zeit, wenn er einen Bekannten am Wege sah.
»Wo soll's hinaus,« rief er zuletzt, »wenn ein Mensch verzweifeln will über seine Noth? Es ist Mancher schon gestolpert und gefallen, und doch wieder aufgestanden. Ich hab' zu Haus ein Buch voll gräulicher Geschichten, wie es in China und Indien hergeht. Christ sei gelobt! daß der hohe Rath von Canton uns nicht zu richten gehabt hat; darum preis ich die Milde, mit der die Herren uns verurtheilt. Denn haben sie uns etwa den Hals abgeschnitten, gebrannt oder gehängt? Nein, wir leben noch im freien Lande Unterwalden und sehen die Sonne, sehen die Firnen da oben, können unsere Glieder bewegen und werden auch Milde finden bei Nachbarn und guten Leuten, die unseres Schicksals nicht spotten werden.«
Peter richtete den letzten Theil seiner Worte an feinen niedergeschlagenen Gefährten, der wie ein Bild von Stein neben ihm ging, so entstellt und blaß und sinnverwirrt, daß Niemand den stattlichen Willi wieder erkannt hätte. An einem Halsband von Eisen ragte eine gekrümmte Stange über seinen Kopf empor und in deren Biegung hing eine Schelle, die bei jedem Schritt anschlug. Willi's Lippen zitterten vor dem Ton, wenn er stärker wurde, und als Peter beruhigend redete, glühte es in seinen Augen auf, wie von Höllenschmerzen, aber er sprach kein Wort. –
Der Tag war schön und heiter, das Grün falbte an den Bäumen in prächtigem Farbengemisch, die Thäler alle glänzten im milden Himmelslichte und von den blau-behauchten Bergen kamen kühlende Luftströme, die manche wunde Brust sanft bewegen und Tröstung und Gottvertrauen den leidenden in's Herz bringen konnten.
Plötzlich, oben an der Höhe, auf welcher das Kreuz von St. Jakobs Kirchli in der Morgensonne funkelte, tönte Musik und lustiges Schreien. Ein großer Zug von Menschen, Alt und Jung, mit Kreuzen und Schalmeien, in Festkleidern und mit Fahnen vorauf, bog um die waldige Ecke. Es war kein Ausbiegen, kein Abwenden möglich. Die beiden gestraften Leute mit ihren Begleitern mußten still stehen und den Zug vorüberlassen.
»Es ist die Hochzeit, die zur Kirche hinauf geht,« sagte der Gerichtsdiener. »Herrn Hilbergs einziges Kind und der junge Hauptmann Siler von Schauensee. Schau, Peter, wie es blitzt! Er hat seine napolitanische Uniform an, und die Jungfer Regli unter der Goldkrone ist die schönste, die ich je gesehen habe.«
»Und lacht und ist roth vor Lust, wie eine Braut eine Stund' vor der Hochzeit sein muß,« antwortete Peter.
Da hob Willi sein Auge auf, eben als die Andern ihre Hüte abnahmen, und dicht vor ihm ging Jungfer Regli mit frohem Gesicht zwischen den Ehrenjungfern und dem Bräutigam. Dann kamen die zahlreichen Verwandten, an der Spitze die beiden mächtigen Herren Hilberg und Ulrich, und hinter ihnen viele Landräthe und hohe Beamte der Republik, der zeitige Landamman, Statthalter, Seckelmeister, Obervoigt, Straßenherr, sammt vornehmen stolzen Leuten aus den Genossen. Willi richtete sein Auge fest auf den Alt-Landamman, und wer weiß, welche Kraft in seinem Blick lag, oder welcher Zauber, denn Herr Hilberg erblaßte plötzlich und Allen schien, als zittere die Hand, welche er in die Tasche steckte, um sofort einen blanken Kronenthaler dem Willi zuzuwerfen. Die andern Herren machten es dem Brautvater nach, und als der Lärm der Musik sich entfernte und zwischen den Felsen der Schlucht verhallte, stand Willi in einem Kreis von Geld, das Peter und der Gerichtsdiener sammelten.
»Nun, Willi,« sagte der Krämer, »nimm's zu Herzen, daß die hohen Herren Erbarmen haben und es nicht bös mit dir meinen. Steck ein, ist ein artig Stück Geld.«
»Behalt es!« erwiderte Willi rauh.
»Wie, du Narr!« rief Peter, »willst es nicht haben?«
Der Bauer machte eine heftige verneinende Bewegung. Die Schelle klang hell über seinem Kopf; er ballte die Fäuste ingrimmig zusammen.
Endlich hatten sie die Grenzen des Kirchspiels erreicht und vor dem Hause des Gassenvoigts, der die Polizei handhabt, empfing der Krämer eine ernste Ermahnung, sich ruhig zu halten für alle Zukunft, wie es guten Leuten gezieme. Den Willi sah der harte Mann böse an und sprach:
»Du bist gezeichnet als Verbrecher und bist ein schlimmer Bub', der in Zucht gehalten werden muß. Arbeit will ich dir geben in dem Gemeindewald beim Holzschlagen und Hauen. Such' dir eine Stelle, wo du Obdach findest; doch hüte dich an dein Halsband zu rühren, die Schelle zu verstopfen, in ein Wirthshaus zu treten, über die Gemeindegrenze zu gehen, Streit anzufangen, noch sonst eine Klage zu veranlassen. Das Genossengericht wird die Peitsche nicht schonen, um dich Gehorsam zu lehren; ich will dafür schon sorgen, dir den harten Kopf weich zu machen.«
Willi erwiderte nichts, er ging mit dem Krämer weiter, der leise sagte:
»Laß dich nicht vom Schmerz übermannen, Willi; Gott erbarm's, wer hätt' es denken können! aber es ist einmal so, und was man nicht ändern kann, muß getragen werden. Komm mit mir, ich nehm' dich auf in meine Hütte, bis sich ein Anderer gefunden hat, denn zusammen bleiben dürfen wir nicht, weil sie denken möchten, wir spinnen den Komplott weiter, und möcht' um Alles in der Welt nicht noch einmal meinen Rücken hinhalten.«
Willi blickte ihn verächtlich an.
»Ich kann nicht weiter,« sagte er mit matter Stimme; »laß mich dort einen Augenblick ausruhen.« Er setzte sich auf einen Stein, der unter einem mächtigen Wallnußbaume lag, wo er oft als Knabe schon gesessen, und schloß die Augen, während der Krämer seinen Trostspruch fortsetzte.
Die Leute, welche vorüber kamen, standen still, und da sie arm waren, Arbeiter, Mäher, Weiber und Rinder, waren sie nicht so hart von Herzen, um den Willi nicht zu bedauern, der so krank und elend aussah. Aber sie wagten es nicht recht, ihr Mitgefühl einem Verbrecher zu beweisen, der von den Herrn und den reichen Genossen gehaßt und verurtheilt war.
Endlich kam ein alter Mann herbei, ein Beisaße in der Gemeinde, der als redlich und verständig einen guten Namen hatte. Er trat zu Willi und drückte ihm die Hand.
»Steh auf, mein Sohn,« sagte er, »und komm mit mir, ich will dich aufnehmen.«
Willi sah ihn starr und finster an.
»Wie könnt Ihr mich aufnehmen wollen?« sprach er, »ich gehöre nicht mehr zu unbescholtenen Leuten.«
»Habe deinen Vater gekannt, Willi, und kenne dich,« fuhr der alte Mann fort, »und habe deine Mutter bis an ihr Ende gepflegt.«
»Sie ist todt! das ist gut!« murmelte Willi.
»Es hat ihr nichts gemangelt,« sprach der Greis. »Als sie dein Haus verlassen mußte –«
»Sagt, als sie hinaus geworfen wurde, Gebhard!« fiel Willi rasch ein, indem er sich aufrichtete.
»Nun, es mußte geschehen,« sprach der alte Mann, »ich nahm sie auf und der Herr Oerni zahlte Alles, was es an Kosten machte; aber das Herz war ihr gebrochen, sie konnte den Gram nicht bewältigen.«
»Um mich!« murmelte Willi in sich hinein.
»Nun hat der Pannerherr Imring mich angesprochen, auch nach dir umzuschauen, und ich hab' es ihm zugesagt,« fuhr der Alte fort. »Hebe den Kopf auf, Willi: ob du auch ein Eisen trägst, bist kein Dieb, kein Schelm und schlechter Bub'. Ich sag' es laut hier, bist mir so lieb wie du früher warst, und wirst manche gerechte Leute finden, die sich nicht verspotten und verachten.«
Eine jähe Freude blitzte in Willi's Augen, die zum erstenmale wieder Leben gewannen. Als ob die gebrochene Kraft von der Ehrlichsprechung des alten Mannes neu zusammenflösse und den ganzen Körper durchströmte, so stand er von dem Stein auf und schüttelte ihm die Hand, achtete es auch nicht, daß die Schelle an seinem Kopf laut klang.
»Ich dank Euch, Gebhard,« sagte er, »dank Euch für Euer Zeugniß und alles Gute viel tausendmal. Nein, ich bin kein Verbrecher, bin ein schwer gekränkter, unterdrückter Mann und habe Niemand, der mein Recht vertheidigt gegen bübische Gewalt und Tyrannei, die mir dies Eisen angelegt und Alles, was ich hatte, genommen hat, Gut, Ehre, Blut und Namen!«
»Komm, komm,« sprach der alte Mann begütigend; »was soll's werden, wenn du jetzt nicht besser schweigen kannst als früher?«
»Ihr habt Recht,« erwiderte Willi mit einem matten, zitternden Lächeln. »Es ist mein ernstlich vornehmen, stumm zu werden für immer. Jetzt mit Euch gehen kann ich nicht;« fuhr er dann fort, »denn ich habe es Peter Schramm versprochen, eine Nacht bei ihm zu bleiben. Aber morgen, wenn Ihr mich aufsuchen wollt und Euch nicht anders besinnt, mögt Ihr um mich sorgen.«
Gebhard ließ es sich gefallen und Willi begleitete den Krämer, der es vielleicht lieber gesehen hätte, wenn er nicht mit ihm gegangen wäre.
»Streck' dich still auf's Lager,« sagte er, »so wollen wir die Thür schließen und die schändliche Schelle bewickeln, damit sie keinen Lärm macht. Ich will deinen Rücken mit Wundbalsam reiben und denke, daß es morgen besser sein soll.«
»Morgen wird vieles besser sein,« erwiderte Willi. »laß die Schelle lärmen, laß den Rücken brennen und schmerzen, es ist Alles ein Tag, der vorüber geht. Schaff' uns was zu essen, Peter.«
»Nun,« sprach der Krämer, »es freut mich, daß du Vernunft annimmst. Glaubte schon, würdest verzweifeln und den Kopf einrennen, sehe aber, daß die Lust zum Essen bei dir erwacht, und das ist allemal ein richtig Zeichen, daß das vernünftige Nachdenken wieder kommt.«
Er ging, um Anstalten zu einer Mahlzeit zu machen, und plötzlich sprang Willi auf, kramte in den Kasten umher, wo Peters Waaren lagen, und riß endlich eine dreikantige Feile heraus, die er unter der Decke verbarg.
Peter war ein alter Junggesell. Er bewohnte nur ein Stübchen in dem kleinen Hause, das er von dem ärmlichen Besitzer gemiethet hatte, und seine Wirthschaft, die er selbst verwaltete, war während seiner Gefangenschaft in noch größere Unordnung gerathen, als sie es immer war. Es dauerte lange, ehe er mit Brot und Käse zurückkam und dem Willi eine Suppe und Kartoffeln versprechen konnte; endlich aber schaffte er Alles und obendrein eine Flasche Wein, und erzählte und schwatzte, tröstete und berechnete die Zukunft so lange, bis es Abend und Nacht wurde und er zulegt mit dem Gedanken einschlief, es sei das Beste, wenn er den Willi morgen in aller Frühe zum alten Gebhard schicke und sich für's Erste so wenig wie möglich um ihn kümmere.
»Denn jeder sorge vor allen Dingen für sich selbst,« murmelte er; »die Bekanntschaft mit dem Buben hat mich wahrhaftig genug in Schaden gebracht.«
Im Schlaf war es ihm, als höre er die Thür knarren. Er schlug die Augen auf, der Morgen dämmerte in dem kleinen Gemach. Die eiserne Stange mit der Schelle sah unter der Decke von Willi's Lager hervor.
»Es muß ein häßlich Schlafen sein mit dem Ding um den Hals,« murmelte Peter, dann drehte er sich um und schlief wieder ein.
Am frühen Tag waren Diener und Mägde geschäftig im Hause des Alt-Landammans um das heutige Fest vorzubereiten, zur Nachfeier des ersten Hochzeitstages. Alle Nachbarn, reich und gering, waren von dem reichen Herrn geladen, und manche von den entfernter wohnenden Gästen schliefen noch in seinem Hause. Er aber war schon auf und mit dem jungen Paar im Garten beisammen. Hatte mit ihm viel zu kosen und zu scherzen und war dann weiter gegangen, an die Berglehne hinauf, wo seine Felder und Matten lagen.
»Siehst du, Regli, das ist der schönste Punkt weit und breit, wo man das Land Unterwalden überschaut,« rief Herr Hilberg. »Da oben laufen die Bergketten hin bis an den Sattelstock und hier liegen die Thäler zu deinen Füßen, so goldig und grün, wie ein Brautschmuck. Doch was du dort siehst, alle die Matten und Felder, das ist dein, Regli, dein Erbe, wenn ich einmal dich verlassen muß.«
Regli und ihr Mann, der junge Hauptmann, stiegen an der Höhe hinauf, wo ihr Vater stand. Es war der schönste Tag, die Sonne funkelte am blauen Himmel und beleuchtete die malerischen Felsenspitzen, welche in unzugänglicher Steile, aus dem Wald hervorbrechend, sich hinter dem Plateau aufthürmten, von dessen Rand Herr Hilberg herabschaute. Die Neuvermählten scherzten zu ihm hinauf und hielten sich bei den Händen, und Regli rief:
»Das Alles ist also mein? und die kleine Matte dort über dem Kirchli gehört mir auch?«
»Gehört dir, Regli. War uns gestohlen durch Betrug und Ränke; 's ist dieselbe Matte, die dem Willi gehörte, dem Buben, der gestern mit dem Horn am Kopf bei uns vorübergeschafft wurde.«
»Der Schuft warf uns grimmige Blicke zu,« sagte der Hauptmann lachend.
»Will's ihm gedenken,« erwiderte Herr Hilberg, den Arm schüttelnd. »Habe die Blicke des Buben wohl bemerkt und heut schon in aller Früh mit dem Genossenvoigt gesprochen. Es soll dem Schelm nichts durchgehen; er soll gestraft werden bis auf's Blut, gepeitscht und wieder gepeitscht, bis er am Boden kriecht, und um Gnade bittet. Solch schlechtem Gesindel, das nach Freiheit schreit und Aufruhr stiftet, muß der Nacken in den Staub gebeugt werden, und nicht eher will ich ruhen, bis –«
In dem Augenblick fuhr ein Blitz aus den umbüschten Felsen, ein Donner schallte ihm nach.
»Ha, Willi!« schrie der Landamman und sein Arm sank nieder auf seine Brust. Er taumelte, seine Kniee brachen zusammen, dann stürzte der schwere Körper des gestrengen Herrn vorwärts über die Felsenplatte herab und rollte blutig und zerschlagen den Abhang hinunter zu den Füßen seiner Tochter.
Regli stieß einen gellenden Schrei aus und sank über ihren Vater hin.
»Mord!« schrie der Hauptmann, »zu Hülfe! Mord!«
Doch die Hülfe war weit. Auf der höchsten Klippe aber stand ein Mann still und unbeweglich auf sein schwarzes Feuerrohr gestützt und sah den Todwunden im Schooße seiner Tochter sich krümmen und verröcheln.
»Willi!« schrie der Hauptmann, voll Rache und Entsetzen ihn anschauend.
»Ich bin's!« rief Willi herunter. »Ich hab ihn erschlagen; sucht keinen Andern. Mögen alle unsere Tyrannen so enden wie dieser!«
Es kamen Leute aus den Feldern gelaufen, und bald begann die Verfolgung. Willi war verschwunden und nie hat man eine Spur von ihm entdecken können.