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Roman
Der Freiherr von Polenz hielt in jeder Hand eine Wachskerze und betrachtete sich in dem großen Spiegel.
Fehlt irgend noch Etwas, Franziskus? fragte er.
Nicht das Geringste, gnädiger Herr, erwiderte der Diener. Sie sehen aus, wie ein Gott!
Pfui! sagte Herr von Polenz strafend, was ist das für eine unpassende Antwort. Einen Menschen mit Gott zu vergleichen.
Es ist nur so eine Redensart, versetzte Franziskus demüthig, die Einem immer auf die Zunge kommt, wenn man Etwas so recht bewundern will.
Wie sitzt der Rock? fragte der gnädige Herr.
Ausgezeichnet, Ew. Gnaden. Es ist keine Falte zu sehen. Der Schneider hat ein Meisterstück gemacht; aber wie kleidet Sie auch die schöne Uniform! Es ist eine Lust, den weißen Kasimir zu betrachten, blau roth dazu, und die Goldstickerei. Sie werden Alles zu Schanden machen.
Der Freiherr strich den kleinen röthlichen Knebelbart mit einem Lächeln des Wohlgefallens nach beiden Seiten, ordnete das dünne, blonde Haar mit Hülfe des Taschenkamms, während Franziskus die Lichte hielt, und wendete sich dann zum Tisch, wo Hut, Degen und Handschuh bereit lagen.
Sieh, ob der Wagen gekommen ist, sagte er zu dem Diener.
Als Franziskus hinaus war, stand Herr von Polenz gedankenvoll still.
Heut oder nie, murmelte er, es muß entschieden sein. Ich habe Alles gethan, was ein Mensch thun kann. Auf Ehre und Gewissen! ich habe mich förmlich innerlich umgewendet und bin ein anderes Wesen geworden. Blut habe ich dabei geschwitzt und Dornenkronen getragen – ich halte es nicht länger aus.
Ein Klopfen an der Thür ließ ihn abbrechen.
Herein! rief er laut, und in das Zimmer trat ein schlanker junger Mann, dicht in einen Oberrock geknöpft und den Hut auf dem Kopf. Einen Augenblick blieb er regungslos stehen und schien zu erwarten, ob er erkannt werde, dann streckte er langsam die Hand aus, als Polenz sich ihm näherte.
Gustav! rief dieser, Du hier? welche Ueberraschung!
Du bist ganz blaß davon geworden, erwiderte der Fremde lächelnd.
Ich könnte es werden, sagte der Freiherr, denn Du trittst wie ein Gespenst in unsere Mitte. Seit einem Jahre fast haben wir nichts von Dir gehört. Bald solltest Du in Paris sein, bald in Wien, oder am Rhein.
Und nun bin ich plötzlich in dem Ursitze aller Verständigkeit, Weisheit, Frömmigkeit und Tugend, rief der junge Mann mit einem spöttischen Zucken seiner Lippen.
Er warf den Hut auf den Tisch und sah erstaunt auf Polenz.
Wie siehst Du denn aus, fuhr er fort. Welche Uniform trägst Du da?
Ich bin nicht mehr Soldat; ich habe ein Gut gekauft.
Du hast ein Gut gekauft!
Ja, dies ist die Uniform der Landstände.
Uniform der Landstände! So ist heut ein großes Fest?
Ein Ball, sagte Herr von Polenz.
Du warst immer ein flotter Tänzer.
Die Zeiten sind vorbei, Gustav, und aufrichtig – ich bliebe gern zu Haus.
Er machte ein so ernstes mißbilligendes Gesicht, daß der Freund laut lachte.
Wo ist der Ball, Du Bösewicht? fragte er.
Bei Deiner Tante, der Präsidentin. Weiß sie von Deiner Ankunft?
Gustav bewegte verneinend den Kopf.
Meine Tante giebt einen Ball? Das ist ein zweites Wunder.
Sie hat vielen dringenden Bitten nachgegeben und heut – Du denkst nicht daran, heut ist Aureliens Geburtstag.
Eine Pause folgte.
Wahrlich, ja, Du hast Recht, sagte der junge Mann endlich, ich habe es vergessen, aber dieser Zufall ist seltsam. Aurelie befindet sich wohl?
Sehr wohl.
Und in Nichts verändert? So schön und spröde, wie sonst?
Ganz dieselbe, sagte Polenz lächelnd.
Der Diener öffnete die Thür.
Der Wagen ist da, gnädiger Herr, meldete er.
So nimm Degen und Mantel, Franziskus, und trage sie hinunter. Nimm auch das Buch hier – er gab ihm ein Buch in Papier eingeschlagen – ich werde folgen.
Warum in aller Welt, fragte Gustav lachend, hast Du den Franz in seinen alten Tagen zum Franziskus gemacht?
Weil es besser klingt, erwiderte der Gutsbesitzer ein wenig verlegen, und – doch, lieber Gustav, wie sehr ich auch betrübt bin, Dich verlassen zu müssen, und wie neugierig ich bin, heut noch von Dir und Deinen Reisen und Abenteuern etwas zu erfahren, wirst Du es doch nicht übel nehmen, wenn ich Alles auf Morgen spare.
Der, dem diese Abschiedsworte galten, hatte inzwischen seinen Anzug gemustert, und sichtlich zum geringen Vergnügen seines Freundes, sagte er:
Ich werde Dich begleiten. Sie sollen es durch mich selbst erfahren, daß ich heimgekehrt bin. Eine Stunde will ich bleiben, länger nicht; vielleicht ist es gut so, und ich finde Gelegenheit, mein Herz auszuschütten.
Dein Herz? fragte Polenz, ihn scharf und lächelnd beobachtend.
Es lastet Etwas darauf, erwiderte Gustav, ihm die Hand drückend. Ein Geheimniß, doch Du sollst es bald erfahren. Ob's Glück ob Unglück ist, ich weiß es nicht, aber es ist unauflöslich mit meiner Zukunft verbunden. Und wer hat diese je erforscht! Wer kann sagen, er blickte in den magischen Spiegel, der ihm sein Schicksal zeigte?
Es ist also ein Herzengeheimniß!
Ja, mein Freund, doch komm, ich könnte es sonst auf der Stelle verrathen.
Du verstehst es neugierig zu machen, erwiderte der Gutsbesitzer, doch leise zu sich selbst sagte er: Ich weiß, was er will, und wenn ich je an der Macht des bösen Feindes gezweifelt habe, der auf Erden in allerlei Gestalt umherschweift, suchend wen er verschlinge, so glaube ich nun an ihn; denn welcher schadenfrohe Damon wirft diesen Menschen mir jetzt, heut, zu dieser Stunde in den Weg, ihn, den Einzigen, den ich fürchten muß. Welcher Teufel giebt ihm den Gedanken ein, mich begleiten zu wollen, um vielleicht in einem Augenblick Alles, was ich aufbaute, einzureißen?
Der Wagen rollte durch die langen, regennassen Straßen, und Polenz sann noch immer, ob es kein Mittel gebe, den Lästigen zu entfernen.
Es wird eine große Gesellschaft sein? fragte Gustav.
Eine sehr große, sehr glänzende Gesellschaft.
Ich werde in meinem schwarzen Röckchen höchst befremdlich dazu abstechen.
Wahrhaftig, das wirst Du. Glanz und Pracht haben in den letzten Jahren außerordentlich bei uns zugenommen. Man verlangt auf Bällen die ausgesuchteste Toilette und verspottet den, der dagegen sündigt.
So mag man mich verspotten, ich kann es ertragen. Aurelie hatte von jeher eine große Schwäche für Putz und Tand aller Art.
Sie liebt den feinen Comfort des Lebens, die Creme des Genusses, erwiderte der Herr von Polenz, aber Du weißt, sie kämpft dabei mit der Mama.
O! die würdige Tante, rief der junge Mann lachend, sie war immer streng gegen sich und jedermann, doch allzu nachsichtig gegen die Launen und Thorheiten ihrer Tochter.
Launen, Schwächen, Putzsucht, Thorheit, murmelte Polenz vor sich hin, das ist eine hübsche Musterkarte von Beleidigungen.
Aber Aurelie ist dennoch ein edles, schönes Wesen, das nur der leitenden Hand bedurfte, um, wie ein Stern des Himmels, rein von jeder Fehl zu sein, fuhr Gustav inzwischen fort.
Es wurde dem Herrn von Polenz heiß vor der Stirn; er machte eine letzte Anstrengung, sich zu befreien.
Wenn ich Dir rathen sollte, sagte er, so wäre es doch wohl das Beste, Du führst nach Haus, kleidetest Dich um und kämst nach.
Weshalb? erwiderte Gustav. Will ich gefallen, Eroberungen machen? Nein, Waldemar, was ich erreichen kann, ist mir gewiß.
Bist Du so sicher? fragte der Andere mit geheimen Zorn.
Vollkommen sicher, und wenn ich Dich zum Vertrauten machte, würdest Du mir beistimmen.
Wir sind zur Stelle, erwiderte Polenz schnell. Ein andermal also.
Der Wagen hielt vor einem großen Hause, dessen erstes Stockwerk glänzend erleuchtet war. Equipagen fuhren ab und zu, und junge mit Blumen und goldgeschmückte Gestalten schlüpften durch eine zuschauende Menge die Stufen hinauf und entzogen sich den nacheilenden Blicken.
Oben öffnete sich eine weite Zimmerreihe. Gewirkte Tapeten bekleideten die Wände, schwere Armsessel und Lehnstühle, mit Seidendamast überzogen, standen umher. Die Glaskronen des vorigen Jahrhunderts überblitzten mit zahlreichen Kerzen diese alterthümliche Pracht. –
Nur drei Gemächer, durch welche die beiden Herren gingen, machten davon eine Ausnahme. Sie waren auch, wie aus alter Zeit anzuschauen, aber es war der modernste Rococogeschmack. Die Mobilien gewunden, gedreht und seltsam geformt, aus dunklem Palisander und Ceder-Holz mit eingelegten Arbeiten; die Stühle mit hohen geschnörkelten Lehnen, Aufsätze mit überladenen Verzierungen; Kronen von Bronce mit Flügelköpfen und zahllosen Spitzen und Zacken, prismatische, schwere Glasstücke daran befestigt; Porzellanfiguren und Nippes in langen Reihen aufmarschirt auf die Marmorgesimse der Kamine, über denen gewaltige Spiegel in schweren Goldrahmen prangten; Bergeren, Fauteuils, Polsterkissen überall. Die Deckengemälde, die Wände mit großblumigen Seidenstoffen bedeckt und die Fußböden in wunderlichen Arabesken ausgelegt, Alles stimmte überein und Gustav sagte lächelnd:
Hier wohnt Aurelie, das sind ihre Zimmer; es weht ihre Lust zum modernen Ungeschmack darin und zur sybaritischen Verweichligung der Zeit.
Und dort ist sie selbst, erwiderte Polenz, indem er vor sich hin durch die geöffneten Thüren nach dem Tanzsaale zeigte, aus dem so eben einer jener Alles belebenden Walzer erscholl, die Strauß und Lanner erfunden haben.
Man drängte sich in den Saal, wo der Tanz begonnen hätte; Damen und Herren eilten vorüber, Manche leicht grüßend, Andere begierig nichts beachtend, und Polenz zog seinen Freund mit sich fort an den Reihen der Gäste hin, von denen ihn Wenige erkannten, die seinen Namen nannten und mit Zeichen des Erstaunens aufstanden und ihm nachblickten.
Wer ist es? fragte ein dicker Herr, der sein schwarzes Glas ins Auge klemmte.
Er ist es wirklich! erwiderte der Gefragte lebhaft, indem er sich auf den Zehen hob. Der Neffe der Präsidentin, Gustav Randau, der seit langer Zeit auf Reisen war.
War er nicht Assessor oder dergleichen? fragte der Herr mit dem Glase.
Er war Assessor, aber er zog den Rock aus, oder vielmehr er wurde ihm ausgezogen, erwiderte der ältliche Herr lachend.
Ach richtig, sagte der Andere, er hatte zu freie Meinungen, schrieb Dinge, die ihn in Untersuchung brachten. Der Staat darf dergleichen nicht von seinen Beamten dulden in einer Zeit wo Alles raisonirt, Jeder besser wissen will, was geschehen soll. Ist's nicht so, Professor?
Getroffen, versetzte der Professor, und damit es ihm nicht noch einmal so gehe, nahm der junge Mensch da mit seinem Kopf voll schlechten Ideen über Recht und Unrecht, den Abschied, und ging um zu sehen, ob anderswo die Sonne heller scheine. Glücklicher Weise hat er Geld genug dazu.
Geld macht nicht klug, erwiderte der dicke Herr.
Sie sind ein Mann von Erfahrung, Baron, rief der Professor, und sein langes, bleiches Gesicht mit den tausend Falten und Ecken verzog sich zu einem Grinsen.
Ich urtheile, wie ich es auffasse, sagte der Baron.
Da fällt mir ein, daß der junge Mensch Aussicht hatte, sich mit seiner Cousine zu vermählen. Statt Dummheiten zu begehen und endlich in die Welt zu laufen, hätte er sich hinsetzen, Examina machen und heirathen sollen.
O weiser Salomo! entgegnete der alte Herr. Ich hatt's ihm auch prophezeiht. Sie wissen vielleicht, ich habe den Sausewind erziehen helfen. – Gustav, sagte ich, sei kein Narr, kriech zu Kreuze, sprich pater peccavi, wie's fünfzig und hundert Andere gethan haben und Alles ist gut, denn an Vermittelungen fehlt es nicht. Deine Familie ist angesehen genug, giebt Diners genug, um gute Freunde zu haben. Bleib Assessor, werde Rath, werde Geheimrath, es kann Dir nicht fehlen und Deine hübsche Muhme bekommst Du über kurz oder lang dazu, mit allem ihrem Gelde. Was denken Sie, was er sagte?
Nun? fragte der Baron.
Er sagte nichts als: Ich will nicht! und eine Woche darauf war er fort.
Es ist horribel, rief der Baron empört, daß so etwas geschehen kann; daß man solchem Narren nicht sagen kann, Du hast keinen Willen.
Ihn gegen seinen Willen zum Geheimen Rath macht und in die Ehe mit reichen Erbinnen steckt, sagte der Professor eifrig und ernsthaft; ja, es ist horribel!
Mir sollte es nicht so geboten werden, fuhr der dicke Herr fort, ich würde es besser benutzen, aber sehen Sie –
Die Tanzordnung war aufgelöst, denn an der andern Seite des Saales gab es einen festlichen Fanilien-Empfang. Die Präsidentin hielt ihren Neffen umarmt und ließ ihrer Freude vollen Lauf. – Die große Frau, Roth und Weiß auf dem hagern Gesicht, das von langen falschen Locken und Flechten begrenzt wurde, hatte ihre Sorge, nichts in Unordnung zu bringen, was mit so vieler Kunst geordnet war. Sie hielt den jungen Herrn daher ein Wenig von sich ab und überschüttete ihn mit Fragen.
Gustav ist es denn möglich? Mein liebes Kind, warum hast Du so lange nicht geschrieben? Wo kommst Du her? Wie lange bist Du hier? Und daß Du heut kommst, wie prächtig ist das von Dir. Du willst uns überraschen; Aurelie? Wo ist Aurelie? Friedrich, lieber Baron – sie sah sich nach allen Seiten um – sie wird entzückt sein. Wo ist Aurelie?
Hier bin ich, rief eine helle Stimme und eine Dame trat an der Hand ihres Tänzers in den Kreis. Ihre großen blitzenden Augen richteten sich sogleich auf den unerwarteten Besuch. Cousin Gustav, rief sie, ihm die Hand bietend, ich habe Sie gesehen, wie Sie herein traten, dann hat es mir Polenz bestätigt. Gut, daß Sie wieder hier sind, Cousin, und wie es scheint, vortrefflich gesund. –
Sie nickte ihm zu und um ihre Lippen flog ein spöttisches Lächeln.
Tanzen Sie, Cousin, die Zeit ist kostbar, die Musik göttlich. Herr von Polenz, wenn es Ihnen gefällig ist.
Sie reichte dem Beglückten den Arm und flog mit ihm den Saal hinab, während Gustav sich zu der scheltenden Präsidentin wandte, die ihn in ein Nebenzimmer führte, wo er von ihr in ein weitläuftiges Verhör genommen wurde.
Aus allem ging hervor, daß ihr Neffe längere Zeit in Frankreich und der Schweiz verweilte, daß er dann nach Deutschland zurückgekehrt war und eines ziemlich unstäten Wanderlebens während des Sommers sich befleißigt hatte.
Und während Du nichts von Dir hören ließest, sagte die Präsidentin, haben wir hier ängstlich auf Nachrichten gewartet. Ich habe mich geängstigt um Dein Körper- und Seelenheil und Aurelie war nicht weniger besorgt.
Wirklich, erwiderte Randau, dann habe ich schwerer gefehlt, als ich vermuthen durfte.
Die Präsidentin sah ihn lächelnd an.
Du weißt ja, sagte sie, Aurelie hat ihre eigene Art und Weise, wie sie ihre Empfindungen ausdrückt, und wenn Du aus dem Empfang schließen willst –
Dann habe ich das Beste zu erwarten, liebe Tante, fiel er ein. Wir haben uns immer gezankt, und als kriegführende Mächte Verträge geschlossen; zuweilen sogar ewigen Frieden, allein es ging damit wie es immer geht. Ich werde mit ihr tanzen und mit ihr sprechen, das Uebrige wird sich finden. Doch sagen Sie mir, wie es Ihnen gegangen ist im Lauf der Zeit.
Wie es einer Frau gehen kann, die in der Welt nicht mehr viel zu schaffen hat, versetzte sie seufzend.
Nun Tantchen, lachte Randau, ich sehe doch, daß die Welt noch Reize für Sie hat.
Glaubst Du denn, sagte die Präsidentin, daß dies bunte Gequike und Gepfeife mir noch irgend Vergnügen machen kann? – Nein mein Kind, mein Sinn ist ernsthaft und auf Besseres gerichtet, als auf solchen Tand. Es macht mir manche trübe Stunde, daß Aurelie so viel Gefallen an dergleichen Narretheien findet, und wenn ich nicht von allen Seiten bestürmt worden wäre, von allen Freunden und Freundinnen, auch von Polenz und von Professor Sydow – hast Du den Professor noch nicht gesehen? – so würde ich auf keinen Fall hier tanzen lassen.
Es ist das unschuldigste Vergnügen, das ich kenne, erwiderte der Neffe.
So habe ich auch einmal gesagt, sprach die Dame kopfschüttelnd, aber glaube mir, Tanz ist die wahre Pflanzschule aller Uebel. Du hast nie gern getanzt.
Wenigstens nicht gern viel.
Es ist ein schönes Zeichen, fuhr die Präsidentin fort, daß jetzt so viele junge Männer frühzeitig eine Aversion gegen dies tolle Gespringe bekommen. Ich bin leider zu einer Zeit jung gewesen, wo die ganze Welt von der Tarantel gestochen war, und Menschen in grauen Haaren sich nicht schämten, wie die Böcke umherzuhüpfen. Dazu war mein seliger Herr ein echter Lebemann aus der alten Zeit; immer lustig, immer nur bedacht der weltlichen Freude nachzujagen. Lieber Himmel! ich habe es auch nicht besser gewußt und davon muß es Aurelie haben, deren Sinn so flatterhaft auf Zerstreuung gerichtet ist.
Dem jungen Randau kamen diese Stoßseufzer seiner Tante doch gar zu komisch vor, wenn er bedachte, daß sie mitten unter dem Lärm eines glänzenden Balles erschallten und im Rauschen der üppigen Tanzmusik verloren gingen. Er lachte laut, aber die Schattenseite dieses drolligen Zwiespalts blieb ihm nicht verborgen.
Die Präsidentin war zu ihrer Zeit eben so verliebt in die Weltlust gewesen, als sie jetzt gegen dieselbe war, und als sie seine Hand ergriff und vertrauensvoll sagte: »Es ist mir lieb, Gustav, daß Du wieder hier bist, denn mag man sagen was man will, Du bist doch der Einzige, der Einfluß auf Aurelien ausüben kann,« fühlte er eine Unruhe, die sich immer mehr seiner bemeisterte und den Scherz verdrängte.
Ich muß Dir sagen, fuhr die Tante fort, daß sich eigentlich wenig seit Deiner Abreise verändert hat; Du verstehst mich, Gustav! Aurelie hat sich zu nichts entschließen können; sie hat ein ungenügsames Herz. Von vielen Seiten wird das als Stolz ausgelegt und Demuth ist es auch leider nicht. Sie macht Ansprüche, vielleicht zu viel Ansprüche; sie ist herrschsüchtig, sie hat Launen, das ist mir Alles tausendmal gesagt worden und ich kann es nicht ändern. Es ist ein so eigenwilliges Kind, daß Niemand etwas dagegen ausrichtet.
Ich sehe, erwiderte der Neffe, es ist wirklich Alles noch so wie es war. Aurelie legt in Fesseln und Banden was ihr naht; auch den wilden Polenz hat sie zahm gemacht.
O! der gute Polenz, rief die Präsidentin. Er ist mir ein wahrer Trost, dieser würdige, bescheidene junge Mann, der ganz und gar ein anderer geworden ist, seit er die Husarenjacke ausgezogen hat. Von Lehnsvettern ist ein Gut auf ihn übergegangen, das hat er billig gekauft und beschäftigt sich jetzt eifrig mit Landwirthschaft; daneben besucht er uns fleißig, hört, was vernünftige Leute denken, bringt mir Bücher und liest mir vor. Da hat er mir so eben ein neues Werk gebracht.
Sie nahm vom Tisch das Buch, welches Randau in der Hand seines Freundes gesehen hatte. Es war in dunklen Maroquin gebunden mit dickem Goldschnitt verziert, auf dem Titelblatt stand mit großen Buchstaben: Das Rosengärtlein der Liebe. Das Werk als solches ist wohl fiktiv; allerdings kursierten im Gefolge des »Rosengärtlein« von Thomas a Kempis (14.15. Jh.) zu jener Zeit etliche christliche Traktat-Bändchen mit diesem Ausdruck im Titel. Möglicherweise ist sogar Thomas' Buch selbst gemeint, das im 19. Jh. immer wieder neu übersetzt wurde.
Wie Tantchen, rief Randau belustigt, mit dem Rosengärtlein der Liebe beschäftigen Sie sich?
Pfui! sagte die Dame, Herr behüte uns vor den Spöttern! Christliche Liebe soll in uns sein, wahre Liebe und das ist ein Schatzkästlein der Erbauung und Erleuchtung von unserem Freunde, dem würdigen Pastor Bernauer, dringend empfohlen.
Und Polenz liest und bringt Ihnen das?
Es ist ein erhabenes Beispiel, was gute Vorsätze vermögen, die ich Dir auch dringend empfehle, sagte die Präsidentin, nur jammerschade daß er bis jetzt so wenig auf Aurelien einwirken konnte. Wie hat er sich dem Balle widersetzt, bis er endlich auch überwunden war und sich seufzend auf die Seite der Verführung wandte. Der Professor –
Was soll der Professor? fragte eine scharf klingende Stimme hinter ihnen.
Randau hatte nachsinnend die Mittheilungen seiner Tante gehört und über das Verständniß des Vernommenen nachgedacht, jetzt sprang er auf und umarmte den alten Herrn, der unter seinen funkelnden Brillengläsern die Augen zusammenkniff.
Mein theurer Freund, sagte Randau freudig nach den ersten Begrüßungen, Sie wenigstens sind der Alte geblieben.
Ich denke auch, erwiderte der Professor, es verlangt Niemand von mir, daß ich wieder jung werden soll. Es ist jedoch einerlei, jung oder alt, die Thorheit der Menschen bleibt sich immer gleich. Da hast Du zum Empfang eine Sentenz des alten Burschen Seneca, der selbst einer der größten Narren war, die jemals gelebt haben. Und was sitzt der junge Mensch hier und blättert in Gebetbüchern? Bist Du deswegen etwa hergekommen? Wie? Auch etwa modern geworden?! Komm morgen, morgen Abend punkt sieben in die Erbauungsstunde, es soll uns Freude machen, Dich dem edlen Kreise vorzustellen.
Die Präsidentin hatte das Buch genommen, und war rasch aufgestanden und damit fortgegangen.
Sie zieht ab, sagte er achselzuckend und hört nicht einmal das Ende meiner Ermahnung. Das thut mir leid.
Aber erklären Sie mir, sagte Randau, indem er die Hand des Professors ergriff, erklären Sie mir diese seltsame Umwandlung meiner Tante.
Was ist dabei zu erklären, rief der alte Herr. Die Mutter ist bußfertig, die Tochter unbußfertig. Die Mutter denkt zurück, die Tochter vorwärts. Die Mutter wandelt dem Lichte zu, die Tochter dem Glanze. Die Mutter wird bearbeitet für die Gnade, die Tochter gewährt sie den armen Sterblichen. Im Uebrigen wird sich Alles finden, denn endlich bist Du wieder hier und daß Du heut gekommen, ist ein Werk des Himmels oder wie Du es sonst nennen willst, aber irgend ein Gott ist im Spiel.
Ich verstehe Sie nicht, sagte Randau.
Dann bist Du so blind wie der Gott, den ich meine; versetzte der Professor lachend. Was sagst Du zu Deinem frommen Vetter Polenz?
Daß er ein Narr geworden ist.
Auch in der Unbesonnenheit hast Du Dich nicht geändert, Freund. Polenz ist aus einem Narren ein Weiser geworden. Er tanzt mit der liebenswürdigen Cousine und betet mit der Mutter; wahrhaftig, das ist weise.
Ich beneide ihn um Keines von Beiden, erwiderte der junge Mann.
Hand auf's Herz, sagte der Professor mit einem seiner sarkastischen Blicke, ob es nicht jetzt drei Schläge mehr macht. Nicht? Nun meinetwegen, die Gefahr wird stets von Helden verachtet und das Glück ist mit den Muthigen. So viel ist gewiß, Polenz Spiel steht schlecht seit ein gewisser junger Abenteurer, wie aus den Wolken plötzlich in diesen Saal fiel.
Haben Se gesehen, wie dieser glückliche Abenteurer empfangen wurde? fragte Randau lächelnd.
Mit Nadelstichen und Verachtung, rief der Professor, aber was ist die Moral der Komödie? Man kehre reuig zu den Füßen der Gekränkten zurück, die vergeben und vergessen wird: – Armer Polenz!
Nein, nein! erwiderte Randau und eine dunkle Röthe trat plötzlich über sein Gesicht, er hat nichts von mir zu fürchten.
Freundchen, Freundchen, bedenkt als ein verständiger Mann, was Ihr sprecht, sagte der alte Herr spottend. Die hübsche Cousine, die alte Leidenschaft, die Macht der Verhältnisse, der Wunsch der Eltern von Jugend auf gehegt, das bedeutende Vermögen; es müßte ja einen Stein erbarmen, wenn es nicht so sein sollte.
Und doch kann es niemals geschehen, sagte Randau, die Arme kreuzend und den Blick senkend.
Nicht, und warum nicht?
Weil, erwiderte Randau, weil – er neigte sich zu dem alten Herrn und flüsterte ihm ein paar Worte zu, vor denen dieser erstaunt zurückprallte.
Ach, Narrenspossen! schrie er so laut, daß die Tanzenden im Saale sich umsahen.
Die volle Wahrheit, erwiderte der junge Mann lächelnd, doch – er drückte den Finger auf den Mund. Ich erwarte Sie morgen, mein väterlicher Freund, dann sollen Sie Alles erfahren, Alles was ich Ihnen sagen kann. Ich muß fort; Sie wissen nun weshalb ich nicht bleibe und warum dies Treiben, diese Pläne, Entwürfe und Hoffnungen keinen Werth für mich haben können.
Ich begreife es sehr wohl, versetzte der Professor, aber ich glaube es noch immer nicht. Hat der Seneca nicht recht? Ist die Tollheit, die Thorheit der Menschen nicht immer dieselbe und wenn dies keine Thorheit ist, keine gränzenlose Thorheit, die – ja die –
Randau drückte dem eifernden Mann schweigend die Hand und eilte davon, ehe dieser ihn festhalten konnte. Er schlüpfte durch den Tanzsaal, durch Nebenzimmer, wo man die Tische servirte, machte Umwege um unbeachtet zu bleiben, weil er die Stimme der Tante hörte, welche ihre Befehle dort ertheilte, ging zurück und vorwärts, und näherte sich so endlich der Zimmerreihe im anderen Flügel des Gebäudes, weil es ihm einfiel, daß von dort eine Thür auf einen Corridor führe, der mit einer Treppe in Verbindung stand.
Mit leisen eiligen Schritten ging er durch die deckenbelegten Gemächer, als er plötzlich in einem Kabinet, dessen geöffnete Thüren ihn verbargen, ein lautes Lachen hörte. Es war Aurelie. Er kannte ihre Stimme und stand verlegen still. Einen Schritt vorwärts und man mußte ihn sehen, kehrte er um, war der Ausweg ihm versperrt; so ward er der unfreiwillige Zeuge eines Gespräches, das ihn nahe anging.
Stehen Sie auf, Polenz, sagte Aurelie offenbar spottend, es paßt sich nicht zu Ihrer Würde, vor einem irdischen Wesen zu knien. Was würde die Mama sagen, wenn man Sie fände?
Sie sind grausam, erwiderte Polenz kläglich. Ich habe Ihnen Alles bekannt, Ihnen Alles gestanden, was ich gethan, um Ihre Gunst zu erwerben. Ich habe mich gedemüthigt, kasteit, gelangweilt, himmlische Aurelie. Sie werden mir nicht zumuthen, daß ich es in anderer Absicht that, als einzig in der, so oft und so lange als möglich in Ihrer bezaubernden Nähe sein zu dürfen.
Damit sagen Sie mir nichts Neues, erwiderte das Fräulein.
Sie mußten es wissen, fuhr Polenz fort, und wie oft glaubte ich gütigen Blicken zu begegnen, wenn ich kam; wie oft durfte ich hoffen, daß mein Bleiben Ihnen nicht zuwider war.
Und weiter? fragte sie.
Weiter? Ich hoffte, Aurelie, ist das nicht genug? Sie ahnten, wie theuer Sie mir waren. Ich las in Ihren Augen eine Begünstigung vor Vielen, die in Ihrer Nähe erschienen.
In der That, mein würdiger Herr, rief das Fräulein mit stolzem Tone, so viel Eigenliebe hätte ich nicht bei Ihnen erwartet.
Sie thun freilich Alles um diese zu zerstören, erwiderte Polenz aufgeregt, aber mein Schicksal, mein böser Stern ist es, der mir den tückischen Streich spielt. Die Vergangenheit wird zur Gegenwart, die Todten steigen gleichsam dazu aus ihren Gräbern.
Sie werden romantisch, sagte Aurelie lachend, aber ich verstehe jetzt sehr wohl den Sinn Ihrer Worte. Mein Cousin Gustav macht Ihnen Sorge.
Ich wollte, versetzte Polenz, daß dieser Cousin, der mein sehr guter Freund ist, von meiner Hand in ein Schiff gesetzt und nach irgend einer glücklichen Insel deportirt werden könnte.
Ein frommer Wunsch! fiel das Fräulein ein, aber beruhigen Sie sich.
Wie kann ich das, wie ist es möglich mit dem, was ich weiß.
Und was wissen Sie denn? fragte sie schnell.
Polenz besann sich.
Weiß ich nicht, sagte er, daß es eine Zeit gab, wo nichts gewisser schien, als daß diesem Undankbaren das schönste Glück der Erde blühte?
Mich zur Frau zu nehmen, rief Aurelie. Es war kein so großes Glück.
Er wenigstens hat sich dessen nicht würdig gemacht.
Es sind vergessene Kindesträume, sagte das Fräulein spöttisch; wer denkt noch daran?
Wenn er aber daran dächte?
Wer kann es hindern?
Ich, rief Polenz heftig, bei Gott! ich würde es ihm nicht gestatten.
Und ich, sagte das Fräulein in derselben Weise, auf Ehre! ich duldete es nicht.
Bei dem letzten Worte stand Randau auf der Schwelle des Kabinets. Er fand es unwürdig und unklug, länger ein Gespräch zu behorchen, das jeden Augenblick eine Wendung nehmen konnte, die ihn in eine peinliche Lage brachte, so zog er es vor hereinzutreten und nach Umständen sich einzumischen.
Mit einer schnellen Bewegung wendete sich das Fräulein bei dem Geräusch um und überrascht, wie sie war, doch ohne den Ton des Scherzes zu verlieren, sagte sie hastig:
Verräther! Du hast uns behorcht.
Ich muß es bekennen, erwiderte Randau, und bitte um Verzeihung.
Eine kleine Pause entstand. Plötzlich hob Aurelie den schönen Kopf stolz in den Nacken und sagte gebietend:
So befehle ich Ihnen denn, mein liebenswürdiger Cousin, bei harter Strafe, nie ein Wort von dem laut werden zu lassen, was Sie hier erlauscht haben.
Ich unterwerfe mich bereitwillig, sagte der Bedrohte, und näher an Aurelie tretend, ergriff er ihre Hand, welche sie zuckend in der seinen ließ. Warum willst Du mir zürnen? fuhr er fort. Du empfängst mich fremd und spöttisch, entziehst mir das vertrauliche Du, das von unserer Kindheit an uns nahe befreundete. Waren es Kinderträume, die einst uns einwiegten, so laß die schönen Erinnerungen daran nicht vergessen sein.
Ich denke, versetzte sie mit Nachdruck und einem schnellen stolzen Blick, daß mein Gedächtniß keine Anschuldigung verdient.
So betrachte mich als einen Schuldigen und Reuigen.
Ich habe Dir Vieles zu sagen.
Es wird mir Vergnügen machen, meinen weltfahrenden Cousin erzählen zu hören.
Und was er Dir sagen wird, entgegnete dieser, indem er sein großes klares Auge so mächtig zu ihr aufschlug, daß ein leises Zittern durch ihr Herz lief, was er Dir vertrauen will, bedarf Deiner ganzen Theilnahme. Der große Haufen der Menschen ist immer dumm und gemein; jeder daraus dient dem Götzen seiner Begierden und Vorurtheile. Selten vermag sich Einer darüber zu erheben. Morgen will ich Dir das erklären, Cousine Aurelie. Gute Nacht! Tanze, Polenz, Du hast keine Ursach Stirnfalten zu ziehen. Gute Nacht!
Als die Thür hinter ihm zufiel, hörte er das Fräulein rufen:
Verstehen Sie das, Polenz? Was will er morgen erklären? – Sie lachte, aber dies Lachen gefiel dem Herrn von Polenz ganz und gar nicht.
Am nächsten Vormittag saß der Freiherr im großblumigen Schlafrock, die lange türkische Pfeife vor sich ausgestreckt, am Kaffeetisch. Er schrieb Notizen in sein Tagebuch, welche folgendermaßen lauteten:
Daß ich es nicht vergesse, heut noch Brief an den verdammten Juden Behrens. Er muß sich gedulden. Wechsel hin, Wechsel her; habe kein Geld jetzt, werde aber Alles bezahlen, wenn –
Hier warf Herr von Polenz den Silberstift fort und ballte ärgerlich die Hand. Auf dem Stuhl ihm gegenüber lag die neue Landstandsuniform, sammt Federhut, Degen und dem ganzen Ballstaat.
Erb, Lehn- und Gerichtsherr auf Seefelde, murmelte er, Freiherr von Polenz dazu, und es will doch nicht ziehen. Alter Esel, der Franz – Franziskus – meinte, ich würde Alles ausstechen, und der lumpigste schwarze Frack, der da war, hat mich auf den Sand gesetzt. Ich müßte blind sein, wenn ich zweifeln könnte. Sie war verändert von dem Augenblick an, wo er uns verlassen hatte; tanzte nicht mehr, war zerstreut; ich wagte nicht weiter von mir zu sprechen.
Und was soll nun werden? fuhr er lauter fort. – Alles verloren! Umsonst gestrebt und gehofft; ich könnte toll werden!
Herr von Polenz stand erregt auf und begann mit großen Schritten auf und abzugehen, als Franziscus herein trat und den Professor Sydow meldete, der dem Diener auf dem Fuß folgte.
Der unausstehliche alte Mensch, sagte der Gutsbesitzer leise, dann machte er ein freundliches Gesicht und rief dem Professor einen herzlichen guten Morgen zu, indem er ihm die Hand schüttelte.
Nun, begann der alte Herr, wie ist der Ball bekommen, Herr Landstand? Alle Wetter, wie sahen Sie aus. Die Bewundrung über die Taille nahm kein Ende. Kleidete Sie ganz ausgezeichnet, die neue Uniform. Müssen sich hübsch darin ausnehmen in der Erbauungsstunde heute Abend.
Ach, lassen Sie mich zufrieden, erwiderte Polenz, der nicht recht wußte, ob er mit Ernst oder Scherz die Sarkasmen des Professors abweisen sollte. Ich bin eben nicht aufgelegt zur lustigen Unterhaltung.
So wollen wir ernsthaft sein, sagte der alte Herr, denn allerdings hat die Geschichte ihre Schattenseite. Ich komme so eben von dem vagabondirenden Assessor.
So? erwiderte Polenz. – Nun?
Er hat das alte Haus seines Vaters gleich gestern in Besitz genommen. Es sieht wüst darin aus; leere Räume genug; ich rieth ihm auf einige Zeit zur Tante zu ziehen.
Ich wollte Du hättest die Zunge dafür zerbrochen, sagte Polenz zu sich selbst.
Nun, nun, rief der Professor, als hätte er die Gedanken errathen, ich fürchte eben nichts; aber er will nicht, und dafür giebt es allerdings Gründe genug. Ich will nicht, sagte er, schon der klatschsüchtigen Menge wegen, die nicht ruhen würde alberne Märchen auszuhecken, obwohl ich mit Freuden in Aureliens Nähe wäre. Aber was ist Ihnen denn, lieber Herr von Polenz? Sie sehen wirklich ganz miserabel aus.
Ich will es Ihnen sagen, erwiderte der Gutsbesitzer, um diese Unterredung abzuschneiden und Ihrer Unbarmherzigkeit ein Ende zu machen. Es kann kein Geheimniß sein, daß ich lange schon um Aureliens Hand werbe.
Es ist wahr, fiel der alte Herr nachdenklich ein, Sie haben sich die außerordentlichste Mühe gegeben.
Und umsonst, sagte Polenz mit unterdrückter Wuth. Ich muß dem weichen, der mit einem Worte, mit seinem bloßen Erscheinen mein ganzes Glück vernichtet.
Lassen wir das dahin gestellt sein, versetzte Sydow, wir wollen einen andern Fall berathen. Gesetzt, Sie erreichten Ihr Ziel, glauben Sie denn, daß es Ihr Glück wäre?
Was könnte mich glücklicher machen! fiel der Freiherr leidenschaftlich ein.
Manches Andere, entgegnete der Professor ruhig, indem er den jungen Mann forschend betrachtete. Ich will Ihnen Ihr Horoskop stellen, ohne die Sterne zu befragen, fuhr er fort, denn ich verstehe etwas von magischen Kunststücken. Sie sind in der Lage, eine Frau mit Vermögen brauchen zu können. Sie wünschen, daß diese auch jung, schön, liebenswürdig sein möge, und finden durch Aureliens Besitz alle ihre Ansprüche erfüllt.
Herr Professor, rief Polenz aufspringend, diese Freimüthigkeit geht zu weit.
Sie haben ein Gut, sagte der alte Herr ruhig sitzenbleibend, aber es geht Ihnen wie vielen Gutsbesitzern, es gehört Ihnen blutwenig davon. Sie sind jung, lebenslustig. Sie hoffen, daß Aurelie, die auch Vergnügen und Zerstreuungen liebt, nichts dagegen haben wird, wenn eine recht bunte, lustige Zukunft sich aufbauen läßt. Um die Mutter geneigt zu machen, haben Sie Ihre langen weltlichen Locken abgeschnitten und sich angewöhnt, so bescheiden und sittsam, wie möglich, auszusehen, aber Sie werden dies stille unbequeme Kleid, so schnell es sich irgend thun läßt, abwerfen, und was dann?
Sie scheinen mich gänzlich zu verkennen, erwiderte der Freiherr, verlegen lächelnd.
Ich sage Ihnen, Sie speculiren falsch, fuhr Sydow fort, und das thut mir wahrhaft leid um Euch Alle. Hören Sie an, Herr von Polenz, was Ihnen ein alter Mann sagt: Sie sind ein junges, leichtfertiges Blut, das auf die Dauer nicht heucheln, noch sich verstellen kann. Sie brauchen eine Frau die Vermögen besitzt, aber neben dem Vermögen Liebe, Treue, ein verständiges, ernstes Wesen. Sie müssen durch solche Dinge ein wenig, was man so nennt, unter den häuslichen Pantoffel gerathen, der thut Ihnen gut und ist nothwendig, wenn aber Aurelie Ihre Frau würde, wären Sie verloren.
Nun wahrhaftig, lachte der junge Edelmann ärgerlich, Sie verdienten im Delphischen Tempel auf den Dreifuß gesetzt zu werden.
Nehmen Sie sich in Acht, sagte der Professor, daß Sie nicht ganz anders wo hingesetzt werden, wo Nesseln Sie brennen. Aurelie ist eben so leichtsinnig wie Sie, doch in ganz anderer Weise. Sie liebt Pracht, Glanz und Feste nur, damit man sie selbst umsomehr bewundere. Es ist eine Unruhe in diesem Mädchen, ein böser Geist ehrgeiziger Eigenliebe, die Sie nicht kennen; ein Feuer der Leidenschaften, ein Uebergreifen des Aeußersten, das Sie nicht verstehen. Aurelie ist in ihrer Art ungewöhnlicher überspannter Entschlüsse fähig; sie übersieht den ganzen Troß der Männer, der sie umwedelt, und hat eine souveraine Verachtung gegen die meisten. Solch Wesen, wenn es aus seiner innern Unordnung heraus gebracht werden soll, bedarf einer überwältigenden geistigen Kraft, die es verehren muß.
Und diese Kraft fehlt mir, meinen Sie? fragte Polenz.
Die fehlt Ihnen, sagte der Professor trocken. Sie sind ein Mann für sechs Dutzend hübsche Mädchen, aber nicht für Aurelien.
Ohne Zweifel hat Randau alle nöthigen Eigenschaften dazu, rief der Freiherr erbittert.
Wenigstens zehnmal mehr wie Sie, versetzte der alte Herr; wenn's Einer wäre, dem es glückte, müßte es der sein. Sie aber, lassen Sie sich den Appetit danach vergehen. Es ist ein Gericht, wie das, was König Midas nicht vertragen konnte; ein Schaugericht, Gold, doch ein gewöhnlicher Magen geht daran zu Grunde.
Ueberhaupt aber, fuhr er lächelnd fort, lassen Sie es sich gesagt sein, König Midas Geschichte hat viel Warnendes für Sie. Flehen Sie zum Bachus, daß er Sie vom ungenießbaren Golde rette, und nehmen Sie lieber an, was er Ihnen sonst bieten mag.
Herr Professor, sagte Polenz mit höflichem Spott, nehmen Sie meine ewige Dankbarkeit für Ihren guten Rath; ich bedaure aufrichtig, daß meine Zeit mir nicht erlaubt, mehr davon hören zu können.
Das paßt sich vortrefflich, erwiderte der alte Herr mit der größten Gleichgültigkeit, ich wüßte auch nicht, was ich Ihnen sonst noch rathen sollte.
Er nahm Hut und Stock und hielt dem Freiherrn seine Dose hin.
Nehmen Sie eine Priese, sagte er, das kühlt das Blut und stärkt das Nachdenken.
Nun weiß ich doch, erwiderte dieser, das Zumuthen ablehnend und rachsüchtig gestimmt, woher alle Ihre tiefen Gedanken stammen.
Der Professor grinste ihn an.
Und Sie, sagte er, Sie schnupfen nie, das sieht man; es ist Jammer und Schade. Bald aber hätte ich etwas vergessen. Randau will um elf Uhr seiner Tante und Cousine Besuch machen. Wenn Sie dabei sein wollen, so müssen Sie eilen. Es könnte interessant für Sie werden.
Als er fort war, befand sich Herr von Polenz in einem schwer zu schildernden Zustand der Aufregung.
Er konnte zu keiner überlegenden Ruhe kommen, denn immer traten seine zerschmetterten Entwürfe dazwischen und die Bruchstücke flogen um seinen Kopf, ohne daß er im Stande war, sie festzuhalten und ein neues Ganzes daraus zusammenzukitten. Von den Reden des alten groben Professors war obenein so viel hängen geblieben, daß er bei aller möglichen Eigenliebe doch ein paar Nadelspitzen im Fleische empfand, und je mehr er daran zog und zerrte, um so widerwärtiger ward ihm die Empfindung. –
In meinem Leben, sagte er endlich, ist mir kein Mensch vorgekommen, der mit größerer Seelenruhe so unübertrefflich unverschämt sein kann. Ich habe den zudringlichen Patron niemals leiden können, jetzt soll er mir nie wieder zu nahe kommen. Wer hat ihn mir auf den Hals gehetzt?
Er dachte nach und plötzlich wurde es in seinem Kopfe Licht.
Ich Thor, rief er sich selbst zu, daß ich nicht im Augenblick die Absicht durchschaut habe. Gustav hat ihn abgeschickt; es ist ein Complott, eine erbärmliche Intrigue, verabredet zwischen ihm und seinem Helfershelfer. Man will mir beweisen, daß ich in keinem Falle befähigt bin mein Auge zu Aurelien aufzuheben; man will mich abschrecken, mich veranlassen, sofort demüthig in den Hintergrund zu treten, damit der geistreiche Vetter vollen Raum habe. – Nein! nein! rief er energisch, ich will nicht weichen, wenigstens nicht so mit Spott und Hohn vor aller Welt.
Er hatte so laut gesprochen, daß der alte Diener besorgt den Kopf zur Thür hereinsteckte.
Franziscus, sagte Polenz, schnell meinen Anzug, ich will ausgehen; und höre, Franz, wenn etwa Leute kommen, die mich sprechen wollen –
Der Schneider war hier, fiel der Diener ein.
So? Bestelle sie Alle später wieder her; die alberne Uniform wird theuer genug sein und höchst wahrscheinlich, sagte er mit einem Seufzer, ist sie ganz umsonst gemacht. Aber Franz, oder Franziscus –
Wenn Sie sich den Kuß sparen wollten, mein gnädiger Herr, meinte der alte Mann die Achseln zuckend, so wäre es mir recht lieb.
Höre, Franz, lachte der Freiherr, halt's noch eine kleine Weile aus, wenn es dann nicht anders ist, taufen wir uns Beide um, und werden die Alten.
Gott gebe es, sagte Franz andächtig.
Für jetzt gebe er uns Geduld und Fassung, sprach Polenz, indem er die Treppe hinabstieg und seinen Weg nach dem Hause der Präsidentin nahm.
Die Nachwehen des gestrigen Festes zeigten sich dort in mancherlei Gestalt. Das Hausgesinde war geschäftig, die alte Ordnung herzustellen; die Präsidentin ging seufzend umher und betrachtete was fleckig, beschädigt und zerbrochen worden war. Mit einem strengen und vorwurfsvollen Blicke musterte sie den eintretenden Vertrauten, dem sie heut nicht wenig Schuld beimaß, daß sie gestern schwach gewesen war.
Ich wollte nur, daß es erst überwunden wäre, sagte sie, wiedergeschehen soll es nimmermehr. Den Schaden hat man zu der Schande. Es kostet so viel, daß ich manche hülfreiche, wohlgefällige Werke dafür thun könnte, und so eben ist der würdige Bernauer von mir gegangen, dessen gerechter Zorn nicht leicht zu besänftigen war.
Polenz versuchte einige begütigende Worte, die Präsidentin aber war nicht geneigt, sich selbst zu entschuldigen.
Schweigen wir davon, sagte sie, Geschehenes ist nicht zu ändern; wenn man sich bessern will, so muß man mit Ernst und Strenge an das Kommende denken, so sagt Bernauer. Aurelie ist in ihrem Zimmer, ich habe meine Noth mit ihr und fühle es immer mehr, wir passen nicht länger zusammen, denn unsere Lebensansichten sind zu verschieden. Haben Sie Randau heut gesehen?
Nein, sagte Polenz.
Der hat sich auch verändert, fuhr die Dame fort, er hat mir gestern ganz und gar nicht gefallen. Streitsüchtig, rechthaberisch und ein Freigeist war er immer; heut habe ich jedoch von Bernauer erfahren, daß eine Schrift von ihm herrühren soll, die gegen das Christenthum gerichtet ist, und daß er schon vor Jahren allerlei Aufsätze für gottlose Journale schrieb, die man, Gott sei Dank! jetzt verboten hat. Bernauer sagte das in Aureliens Gegenwart; er kennt Gustav, denn er hat mit ihm studirt, da hätten Sie hören sollen, wie sie sich seiner annahm. Es war ein förmlicher Streit, ich ging zuletzt davon; so etwas muß man in seiner Familie erleben; aber still; – ja wirklich er ist noch hier.
Sie waren Beide durch die Wohnung gegangen, und jetzt öffnete Polenz die Thür und trat mit der Präsidentin in Aureliens Zimmer, aus dem ihnen der tiefe volle Klang einer männlichen Stimme entgegen scholl.
Aurelie saß mit lebhaft erregtem Gesicht auf einem der großen Sammetstühle, an dessen Lehne ein grauer Papagei auf- und abkletterte und auf ihre ausgestreckte Hand stieg. Vor ihr stand ein Tischchen mit Chocolate und Bisquit bedeckt, und jenseit desselben stützte sich ein schwarz gekleideter Herr auf den Consol des Spiegels.
Sein ernstes Gesicht hatte nichts bemerkungswerthes als das leise Lächeln, das dann und wann von den gekniffenen Mundwinkeln über die schmalen Lippen zu laufen schien, wenn er sprach, und doch schnell wieder dem Ernste wich, wenn er seine gesenkten Augen aufhob, die groß, dunkel und feurig waren.
Als die Thür geöffnet wurde, drehte er sich ein wenig und machte gegen die Eintretenden eine kleine Verbeugung, welche sehr gegen die Lebendigkeit abstach, mit der Aurelie lachend rief:
Ich bitte Sie, Herr Bernauer, diesen sündenvollen Herrn da mit frischen Ruthen zu züchtigen. Er hat gestern getanzt, wie ein Bachant, und seine Verblendung so weit getrieben, mich mit Schmeicheleien und Verlockungen aller Art bis zum Entsetzen zu quälen.
Mein gnädiges Fräulein, erwiderte der Geistliche, in seiner geheimnißvollen Art lächelnd, aber mit weltmännischer Höflichkeit, diese Anklage zeugt gegen Sie. Wer konnte solche Verlockungen hervorrufen, und meinen sonst so einsichtsvollen und ruhigen Freund in diese Aufregung des Bluts versetzen?
Allerdings, sagte Aurelie, diese Schuld muß ich mir beimessen. Ich will ihm nie wieder Gelegenheit dazu geben.
Ist das nicht ein eitles Versprechen? fragte Bernauer.
Ein Versprechen, das wenigstens schon jetzt das Gegentheil bewirkt, fiel Polenz ein, weil es kränkend für einen Freund ist. Der Antheil, den wir erwecken, regt die Herzen auf, daß sie schneller schlagen, und wenn ich gestern Sie wirklich quälte, so war es nur dem Antheil zuzuschreiben, den mein Herz empfand, das in dem Gedanken lebte, Ihr Glück und Ihre Freude erhöhen zu helfen.
Mehr Zucker, mehr Zucker! rief der Papagei, seinen Kopf an Aureliens Gesicht streichelnd.
O du kluges Thier, sagte diese; aber wirklich, Herr von Polenz, ich habe Ursach Ihnen dankbar zu sein. Sie haben mich vortrefflich unterhalten.
Polenz glühte und der Blick des schwarzen Herrn streifte fragend über seine Gestalt.
So sind die Frauen unserer Tage, begann er dann. Aller Antheil, alle Erregung der Herzen ist ihnen nichts als Unterhaltung, und mit diesem einzigen kleinen Worte bezeichnen sich in schrecklicher Weise die Zustände der Gegenwart, der die Innigkeit des Gemüths und der Empfindungen leerer todter Schall geworden sind.
Ach, wie wahr ist das! rief die Präsidentin dazwischen. Die gute alte Zeit ist ganz und gar vorüber.
Die Einfachheit und die Sitte der Väter und Mütter, fuhr Bernauer fort, die Treue und die Kraft, die Demuth und der Gehorsam, das schöne Familienleben in der Stille, davon weiß Niemand etwas mehr.
Es muß sehr langweilig gewesen sein, sagte Aurelie. Nicht wahr, Lorchen? –
Dummer Mensch, dummer Mensch! rief der Vogel und schlug mit den Flügeln, indem er den Kopf schlangenhaft um seinen Hals bog.
Thue doch das alberne Thier fort, befahl die Präsidentin ärgerlich.
Lassen Sie den klugen Vogel immer gewähren, sagte der Geistliche; auch er gehört zur Repräsentation der Gegenwart. Langeweile, Unterhaltung! Da haben wir die beiden gewaltigen Hebel des ganzen Getriebes. Und warum Langeweile? Weil die innere Leerheit so fürchterlich ist. Darum der wüste Drang nach Genuß, nach Zerstreuung, nach Allem was die unendlichen Stunden ausfüllen kann. Darum ist auch jedes Mittel recht, jeder Sinnenkitzel, jede Lust, wenn sie nur über die Langeweile des Lebens, über die Langeweile der Moral und Tugend hilft.
Ach wäre nur der Professor hier, spottete Aurelie, das wäre ein Capitel für ihn. Hat er mir doch neulich erst mit tausend Gründen erklärt, daß es immer besser geworden sei in der Welt von den ältesten Zeiten an, und was wußte er an Geschichten von der Rechtslosigkeit und Unsittlichkeit vergangener Tage, von den argen Vorurtheilen und Lächerlichkeiten der Menschen in jener guten alten Zeit zu erzählen.
Berufen Sie sich auf solche Beweise, erwiderte Bernauer lächelnd, dann könnten Sie mit demselben Rechte auch Ihren Cousin anführen. An ihm finden Sie den wahren Vertreter alles modernen Fortschritts, den wahren Verächter aller sogenannten Vorurtheile.
Der arme Cousin! lachte Aurelie. Er tanzt nicht, predigte immer Moral, lachte von Kindesbeinen an wenig oder nie; war stets so still, so verschlossen, so tugendhaft gesinnt, wie ein Heiliger, und hat dennoch von je an allerlei Feindschaft der Gutgesinnten zu bestehen gehabt. Nun ist er kaum zurückgekehrt und schon wieder fällt man über ihn her, schmäht ihn, verketzert und verdammt ihn. Ist das nicht seltsam?
Ein allgemeines Urtheil muß stets doch einige begründete Ursach haben, sagte der Geistliche lächelnd.
Und wer sind die Richter? fragte das Fräulein, den schwarzen Herrn betrachtend.
Unser Gespräch nimmt eine ernsthaftere Wendung als nöthig, erwiderte dieser, mögen wir es daher abbrechen. – Sie nehmen an Ihrem Verwandten lebendigen Antheil, auch mir ist er einst ein Freund gewesen. Ein Richteramt maße ich mir nicht an, unsre Wege liegen zu weit getrennt; was ich jedoch von seinem Wandel weiß, läßt mich befürchten, daß er, der stets die Verhältnisse mißachtete und mit vagem Denken über jede Satzung schweifte, die feurige Lobrede nicht ganz verdient, welche sie ihm widmeten.
Aurelie fühlte ihr Gesicht erglühen, während Bernauer sprach, dessen Blick und Ton der Rede übereinstimmend einen Ausdruck erhielten, als verstände er sehr wohl, weshalb sie Randau vertheidige. Sie fand es beleidigend und ihr Stolz regte sich.
Da Niemand für den Abwesenden zeugen will, sagte sie, so muß ich es wohl thun, und wie ich glaube, kenne ich ihn auch am besten. Im Uebrigen sollte meine Rede keine Lobrede sein, aber ich will nicht hören, daß man diesen Prediger strenger Sitte, diesen pedantischen Hofmeister aller Leidenschaften, ihn der um Alles in der Welt keinen unüberlegten Streich verübte, für einen Helden moderner Verirrungen ausgiebt.
Der schwarze Herr machte eine lächelnde Verbeugung und schien sich empfehlen zu wollen, als plötzlich draußen ein Geräusch entstand und Aurelie lebhaft aufstehend sagte:
Bleiben Sie, ich müßte mich irren, oder es ist Gustav selbst. Sie sollen auf der Stelle ihr Urtheil ändern.
Im Augenblick wurde die Thür geöffnet und überrascht blieb das Fräulein stehen. Es war der Erwartete allerdings, aber er kam nicht allein; denn an der Hand führte er eine Dame, so jung, so fremd, das liebliche Gesicht so voll schaamhafter Verwirrung, daß die schöne stolze Aurelie eine Regung des Schreckens, eine eifersüchtige Regung, empfand.
Die ruhige Kälte, mit welcher Randau sie begrüßte, das Lächeln in seinem Gesicht, zerdrückte diese Empfindung schnell.
Meine theure Tante, sagte Randau, indem er auf die Präsidentin zuging und ihre Hand küßte, gestern ward ich durch einen Zufall hergeführt, als ich kaum aus dem Wagen gestiegen war. Ich mußte allein kommen und fand keine Gelegenheit Ihnen zu vertrauen, warum ich Sie so schnell wieder verließ. Die Ursach steht vor Ihnen, hier haben Sie sie.
Die Präsidentin sah ihn ganz verwirrt an, indem sie vor der fremden Dame eine anstandvolle Verbeugung versuchte.
Sie errathen es also nicht? fuhr ihr Neffe fort, so muß ich mich denn erklären: Hier haben Sie meine geliebte Marie – meine Frau! –
Hätte Randau in diesem Augenblick Aurelien angeblickt, er würde sie todtenbleich und zitternd von einem jähen Entsetzen gesehen haben, in der nächsten Minute trat eine blutige Röthe auf ihre Stirn. Unglauben, Zorn, Verachtung, ein rachsüchtiger Schmerz schimmerte in ihren Augen.
Es ist nicht wahr! rief eine Stimme in ihrem Herzen, es ist unmöglich! Er lügt, er will dich betrügen! und mit gierigen Blicken prüfte sie das unbekannte Weib, das Haß, Neid, Spott und wegwerfenden Hohn in ihr erregte. –
Die Fremde war von zierlicher Gestalt. Ein rundes volles Gesicht ruhte zwischen dunkelblonden Flechten, ein paar hellschimmernde blaue Augen blickten wie lichte Sterne daraus hervor. Kindlich verwirrt hatte ihre Aengstlichkeit etwas Rührendes. Sie hielt die Hände fest zusammengepreßt und schmiegte sich an ihren Beschützer, als wüßte sie, daß er ganz allein ihr Hort und Schirm hier sei. Ein Lächeln schwebte in ihren Zügen, die weder ausdrucksvoll noch schön, aber voll natürlicher Güte und Milde, um Nachsicht und freundliche Aufnahme zu flehen schienen.
Und einfach wie diese Erscheinung waren ihr Gewand und ihr Schmuck. Ein Hütchen, keinesweges von der modernsten und elegantesten Art, ein Kleid, dem man es ansah, der Schnitt sei jetzt erst in die Provinz gedrungen, woher es stammte, ein Shawl der gewöhnlichsten Sorte, kurz ganz und gar ein Ausputz, der die Gefühle des Mitleids bei jeder Dame von gutem Ton erregen mußte, und dennoch hatte dies scheue, verwilderte, geschmacklose Wesen, einen Mann bethören können, der Aureliens eifersüchtigen Schmerz erregte.
Während Randau sprach, überlegte sie das Alles, und immer glühender wurde ihr verächtlicher Grimm, während ihre Mienen sich freundlich glätteten, und ein Lächeln auf ihre Lippen trat.
Erzählen will ich Ihnen mit wenigen Worten Alles, sagte Randau. Ich kehrte aus der Schweiz zurück, wurde in Erfurt krank, lernte Marie kennen, ging als ich wieder gesund ward mit ihr spazieren; fragte mitten in ihrem Geplauder einmal, ob sie mich liebe? – Ja! – Ob sie mich heirathen wolle? Ja! – Hierauf heirathete ich sie und bin nun zurückgekehrt, um meinem Glück und meiner Liebe zu leben.
Die Präsidentin war in großer Verlegenheit. Sie hätte gern ausgesprochen, was sie dachte; sich beklagt, wenigstens die Rücksichtslosigkeit mit einigen spitzen Andeutungen belohnt, aber sie war so verwirrt, daß sie mechanisch die Arme ausbreitete und in zärtlichem Tone rief:
Welche freudige Ueberraschung, das muß ich sagen! Aber seien Sie mir herzlich gegrüßt, Gott segne Sie, meine liebe, liebe Nichte! – Aurelie –
Sie sah sich mit großen erstaunten Augen nach ihrer Tochter um und ihre Blicke wurden fast noch erstarrter, als Aurelie mit der holdesten Freundlichkeit die junge Frau küßte und wieder küßte, sie lächelnd betrachtete, und dann den Kopf mit siegender Stärke zu ihrem Cousin aufhebend sagte:
Ja, welche glückliche, welche schöne Ueberraschung bereitest Du uns, Gustav. Das war also Dein Geheimniß? Darum diese Unruhe, darum Dein unerklärliches Davoneilen! Nun erst habe ich Dir Alles verziehen, Alles! und mit wahrer Freude heiße ich Dich willkommen.
Liebe Aurelie, sagte Randau, Du entzückst mich, aber Du überraschst mich nicht. So habe ich es mir gedacht, so habe ich Marien den Empfang geschildert, und ihr eine Freundin, eine Schwester verheißen, die sie lieben und in Manchem belehren würde.
Wir wollen Beide lernen, erwiderte das schöne Mädchen mit neuen Liebkosungen, ich lese in diesen Vergißmeinnichtaugen, daß ich zur Schülerin werden muß. Aber wir wollen uns lieben und ehren, meine theure, liebe Cousine, und wenn Sie Freundschaft brauchen wie ich diese geben kann, so sollen Sie Alles haben, was ich davon besitze.
Wenn Sie mir nur ein klein wenig gut sein wollen, flüsterte die junge Frau schüchtern, und ihre Augen erhielten einen feuchten Glanz, so habe ich nichts mehr zu wünschen.
Aber ich vieles, sehr vieles! rief die Tochter der Präsidentin mit Heftigkeit und sie umarmten sich von neuem.
Plötzlich aber wendete sich Aurelie zu Randau, und indem sie die flatternden gelösten Locken von ihrer Stirne strich, sagte sie:
Du glaubst, ich könnte Dich nicht überraschen, Gustav, doch eben das, was Dich überraschen soll, erregt diese glückliche Zufriedenheit in mir. Du hast Dich vermählt, ohne uns ein Wort zu berichten. Seit wie lange hast Du Deine kleine Frau?
Seit zwei Monaten.
Undankbarer, versetzte sie schnell, ich will Dich beschämen. Wisse denn, daß auch ich in den heiligen Stand der Ehe zu treten denke, und seit gestern Abend mich verlobt habe mit –
Mit Polenz!
Aurelie streckte die Hand nach dem Freiherrn aus.
Ja, mein Freund, sagte sie, gestern war der Tag der Entscheidung, aber ein längst vorbereiteter, längst von Wünschen und Hoffnungen ersehnter Tag. Liebe Mama, Sie wissen es; lieber Waldemar, was sollen wir es länger verhehlen. Wir liebten uns längst, wir wußten, daß unsere Seelen sich gehörten und freudetrunken, freudetrunken – Polenz hielt die schöne stolze Braut in seinen Armen, seine Küsse schlossen ihren Mund – gehöre ich ihm an! rief Aurelie endlich.
Die zahlreichen und verschiedenen Ausrufungen, welche die nächsten Minuten füllten, reichten hin, Aureliens heftige Aufregung zu besänftigen. Ein tiefes gesättigtes Gefühl des Stolzes füllte ihr Herz, das freudig schlug, weil ihre Augen in Gustavs Gesicht Zeichen der Bestürzung und selbst ein schnelles Erblassen wahrgenommen hatten.
Er ist so angegriffen, daß er kaum eine äußere Freundlichkeit heucheln kann, flüsterte sie sich zu, als Randau ihr Glück gewünscht, und wie er zu Polenz bedeutungsvoll sagte: »Bist Du nun zufrieden, Waldemar? Sei es immer,« da empfand sie einen Triumph, der ihr den Muth gab, der Präsidentin um den Hals zu fallen und mit glühendem Gesicht zu rufen:
Meine geliebte Mama, ich bin glücklich. O! Verzeihung, wenn ich Dich je betrübte. Deinen Segen für Dein Kind, für eine Zukunft, die freudenvoll mich erwartet. –
Wenn Aurelie kindlich bat, war sie unwiderstehlich für die Präsidentin. Einen Augenblick vorher schien diese erschrocken und erzürnt über Alles, was gleichsam zauberhaft hier vorging. Sie wollte Einwürfe machen gegen die raschen Entschlüsse ihrer Tochter, jetzt war sie gänzlich versöhnt. Sie faltete die Hände und weinte.
Mein himmlischer Vater, sagte sie, wie fügst Du Alles gut und weise nach Deinem höchsten Willen. Wie manchmal habe ich heimlich gebetet und gewacht, und mich gegrämt, daß ich sterben könnte und mein einziges Kind dann einsam auf der Welt zurückließe; denn Aurelie schien Herz und Augen geschlossen zu haben vor den Wünschen aller, die ihr zu gefallen suchten. Nun hat der Himmel ihr Herz geöffnet, und ich will es preisen und segnen. Lieber Polenz, ich lege Aureliens Hand in die Ihre. Führt Beide ein schönes, ein frommes und liebereiches Leben; ihr seid ein passendes Paar und werdet Freude und Glück auf Erden genießen.
Amen! sprach der Hülfsprediger, der mit gefalteten Händen daneben stand und über dessen blasses Gesicht das stille Lächeln lief.
Aurelie begegnete seinem Blick, es war ein einziger scharfer und vielsagender. Wer hatte Recht? schien er zu fragen. Ich, der ich diesen Menschen kannte, welcher alle Satzungen der Welt verhöhnt, oder Du, die ihn als Tugendmuster pries? Und leise nickte sie ihm zu und senkte ihr Auge tief nieder, denn diesem Beobachter war nichts entgangen; sie wußte es, er hatte sie durchschaut.
Randau hatte jetzt den schwarzen Herrn als seinen alten Universitätsfreund erkannt und vertraulich angeredet. Die Unterhaltung wurde lebhaft und allgemein, sie verbreitete sich über Vergangenheit und Zukunft, über die Verhältnisse der einzelnen Glieder dieses Kreises zum Leben der Gesellschaft, und während dessen führte Aurelie ihre neue Freundin in der prächtig geschmückten Wohnung umher, und ergötzte sich an den Ausrufungen ihrer Bewunderung über die vielen schönen und theuren Gegenstände.
Wie glücklich sind Sie! rief Marie mehrere Male entzückt von dem, was sie sah.
Sie haben also diese Herrlichkeiten nicht in so reicher Fülle besessen? fragte Aurelie.
O nein, erwiderte sie schüchtern. Meine Eltern hatten kein Vermögen; ich wurde sehr still und einfach erzogen.
Und nennen Sie es kein Glück, liebe Marie, den Tand und Flitter des Lebens nicht kennen zu lernen, nicht lieben und vermissen zu lernen? Macht diese Verwöhnung glücklich? Ich möchte mit Ihnen tauschen.
Die hellen Augen der jungen Frau glänzten in dankbarer Freude. Wie gut Sie sind, sagte sie leise.
Sehen Sie, wie ich roth werde vor Schaam, lachte Aurelie, weil ich Ihre Anerkennung gar nicht verdiene. Ich bin nicht gut. In der großen Welt kann man nicht gut sein, wenigstens nicht so, wie Sie es verstehen. Man sieht dort, wie ein Soldat, alle Tage für sein Leben, für seinen Ruhm, für die Bewunderung, die uns gezollt wird, und muß mit allen Waffen kämpfen lernen; denn die Menschen sind nicht gut, die meisten sind böse.
Glauben Sie das? fragte Marie.
Gewiß, aber – Aurelie lachte heftig. Sie entzücken mich mit dieser Naivität, meine liebe kleine Freundin; hüten Sie sich vor bösen Erfahrungen, Sie sehen gar zu lieb und unschuldig aus. Sehen Sie, das ist mein Bild.
O! wie schön sind Sie, rief Marie, das große Gemälde im kostbaren Rahmen betrachtend; ich begreife nicht, wie Gustav –
Was sie sagen wollte, blieb ihr auf der Zunge, aber eine dunkle Röthe überlief Kopf und Nacken, und ganz verlegen wagte sie kein Wort, doch Aurelie errieth, was sie verschwieg.
Sie begreift es nicht, wie Gustav sie vorziehen konnte, sagte sie sich selbst mit Gedankenschnelle. Er hat ihr erzählt von früheren Tagen, sich gerühmt vielleicht und selbstgefällig erklärt, was ihn von mir getrennt.
Gustav und ich, sagte sie lächelnd, wir waren von jeher entschiedene Widersacher. Meine Neigungen trafen auf seine Abneigungen, und namentlich was den feinen Geschmack des Lebens angeht, so habe ich nie einen größeren Barbaren gesehen. Er würde sich in Sackleinen kleiden, wenn es irgend anginge und die ganze Welt in solche Tracht stecken.
Er liebt die Einfachheit, erwiderte die junge Frau.
Man bemerkt es, daß er sich nicht geändert hat, versetzte Aurelie mit einem lächelnden Blick auf Marie, den diese verstand; denn sie erröthete von neuem und sagte verwirrt:
Finden Sie, daß ich – ach ja, ich glaube es wohl, meine Garderobe ist nicht nach der neuesten Mode. Aber was thut es, sagte sie muthiger, Gustav findet mich hübsch in diesem Kleide.
Und damit ist Alles erreicht, was Sie wünschen, liebe Marie, schmeichelte die Freundin. Der Himmel erhalte Sie dabei, so wird der gestrenge Herr viel Geld sparen.
Das soll er auch, versetzte sie fröhlich. Ich will ihm wenig kosten.
So? Aber Gustav ist reich.
Das hat er mir gesagt.
Was soll er denn mit seinem Vermögen thun?
Ich denke er kann damit gar viel Gutes thun.
O! rief Aurelie, Sie sind ein köstlicher Erwerb für alle Armen-, Suppen- und Kinder-Bewahranstalten, liebe Marie; lassen Sie das geringste Wörtchen davon zu den Gehörwerkzeugen des heiligen Bernauer kommen und Sie sind verloren. Die Welt will ihre Freude haben, mein süßes Herz, und wenn ich auch gerne Gutes thun mag, so viel ich kann, so ist doch vor allen Dingen nöthig mich selbst nicht zu vergessen. Wir wollen das weiter überlegen und ich hoffe, wir haben Zeit dazu. Meine Hochzeit denke ich bald zu feiern, sobald nämlich die Einrichtungen dazu getroffen sein können. Die Mama wird uns jedenfalls die Wohnung räumen und hinunterziehen, dann will ich dies Haus einrichten nach meinem Geschmack und wir wollen, alle Einfachheit in Ehren, Feste feiern, die Ihnen gefallen sollen.
Gustav will den Rest des Winters hier bleiben und im Frühjahr sein Gut bewohnen, erwiderte die junge Frau.
Das alte finstere Haus und das alte Gut im Walde, so einsam wie mitten in einer Sahara. Wir müssen uns dagegen verschwören.
Ich bin ja immer bei ihm, sagte Marie lächelnd, da ist es nicht einsam und ich freue mich darauf jeden Morgen. Wenn Sie wüßten wie wir leben und uns lieben. Gustav sitzt bei mir, er liest, er trinkt Kaffee oder Thee und raucht; ich höre was er spricht, was er erzählt; nähe, stricke, arbeite, das und das, und steche mir die Finger wund, weil ich nicht Acht gebe und weil –
Nun weil? rief Aurelie mit einer zitternden Bewegung, die sie vergeblich ganz zu beherrschen meinte.
Weil er mir das Blut dann fortküßt, sagte sie schelmisch leise, und weil er schmält und lacht und lobt, daß ich so fleißig bin, wie er sagt, und meine Fingerspitzen so rauh durchstochen sind.
Mit einem Blick voll schneidendem Hohn sah Aurelie auf die Finger der jungen Frau, dann lachte sie laut und rief:
Wirklich, o! wie allerliebst. Er küßt das Blut von diesen zerstochenen Fingern. Liebe kann Alles! Sie sind sehr glücklich, theure Marie; es ist verführerisch sich das auszumalen. Die Finger mag man sich zerstechen, nur nicht das Herz. Davor wollen wir uns behüten!
Die Rückkehr des jungen Randau in die Hauptstadt war auf einige Zeit Gegenstand der Unterhaltung in vielen Kreisen, die nicht wenig durch die beigefügte Nachricht, der Verlobung Aureliens mit dem Freiherrn von Polenz belebt wurde. Neugier und Scharfsinn übten sich in Combinationen zur Erforschung der wahren Gründe dieses schnell gethanen Schrittes, der Aureliens Freunde überraschen mußte, weil manche ihrer früheren Aeußerungen über den Bräutigam nicht damit übereinstimmten.
Man fand jedoch im Allgemeinen, daß sie Recht gethan habe. Polenz war ein feiner zur Gesellschaft gehöriger Herr von höflichen Sitten, untadelhafter Geburt und dem Wesen eines Mannes vom Stande. Man spöttelte über seine Bekehrung zur Andacht und prophezeite einen Abfall, sobald er im erwünschten Besitz sei; man untersuchte die Gründe, welche Aurelie zu dieser Heirath bestimmten, und fand, daß es Zeit für sie gewesen an Entschlüsse zu denken, die allerdings eine schnelle Reife erhalten haben mochten durch die Ankunft Randau's in Begleitung einer jungen Frau.
Und diese junge Frau, dieser ernste, stolze, schweigsame Mann waren die Zielpunkte aller Blicke und Beobachtungen. Selten zeigten sich Beide, kaum anders als in dem Kreise seiner Verwandten, wo man alles aufbot, sie freundlich zu empfangen und dies zur Schau zu stellen. Aurelie schien von der Absicht erfüllt ihren Freunden zu beweisen, daß Marie ihr unendlich theuer sei; sie behandelte sie mit der Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit, die man einem geliebten Kinde widmet, das nicht einen Augenblick ohne Pflege und Schmeichelwort sein darf; zu gleicher Zeit aber war sie unbefangen freundlich gegen Randau und voll glücklicher Vertraulichkeit für Polenz, der verloren in diesen Beweisen einer wahren Herzensneigung auf dem Gipfelpunkt seiner Hoffnungen stand, und im Gefühl seiner Dankbarkeit Randau mit Freundschafts- und Dankbarkeitsbeweisen überhäufte, welche dieser jedoch thunlichst ablehnte und sich so viel als möglich zurückzog.
Ich muß diese Menschen überzeugen, sagte Aurelie jeden Abend leise, wenn sie allein war. Man darf nicht glauben, daß ich je die Absicht hegen konnte mich um jenen Thoren zu betrüben, zu übereilen, mich selbst zu verrathen. Und in Wahrheit, es wäre thöricht; denn Polenz ist mir theuer, er wird es in immer höherem Grade werden. Er liebt mich und warum sollte ich diese Empfindungen nicht theilen? Warum etwa an ein eigensinniges, verrätherisches Wesen meine Gedanken, meine Zukunft klammern, die nichts mehr davon zu hoffen hat? – Muß ich an ihn denken? Ich will ihn vergessen und dann – Er wird unglücklich sein! sagte sie mit einem leisen Lächeln.
Man hatte viele Versuche gemacht dies junge Paar in einen größern Kreis von Gesellschaften zu ziehen und somit die Thüren des Hauses zu öffnen, in welchem sie zurückgezogen lebten, allein alle Anstrengungen scheiterten.
Randau hatte zwar in aller Schnelle seine Wohnung einrichten lassen und mehr dafür gethan, als Aurelie vermuthete; denn er hatte nichts gespart, um alles bequem und vieles selbst glänzend herzustellen, doch nichts konnte ihn bewegen, seine Säle für die gewöhnlichen Freuden der großen Welt zu erleuchten. Sein Umgang beschränkte sich auf wenige Freunde, auf den Professor Sydow, auf ein paar stille kaum bekannte Familien und auf die Verbindung, welche er mit seiner Tante unterhielt.
Es konnte nicht fehlen, daß die Präsidentin sich öfter bei ihm sehen ließ und abwechselnd bald eben so lautes Lob und frohe Hoffnungen, wie Klagen und scheltende Worte über Aurelien mitbrachte. Nach dem Testament ihres Vaters war diese mündig zu erklären, sobald sie sich verheiratete, ihr ganzes reiche Erbe, das durch den Tod einer Verwandtin ansehnlich vermehrt war, fiel ihr zum freien Schalten zu; so folgte sie denn ungestört ihren Eingebungen und ihren Launen, und schien Gefallen daran zu finden, durch Aufwendung des möglichsten Glanzes bis in die Creme der Creme der Gesellschaft ein eifersüchtiges Gefühl der Bewunderung zu erregen.
Mehrere Monate vergingen in diesen Bemühungen. Das Haus war umgekehrt und stand nun strahlend im modernsten Geschmack, während die Präsidentin mit ihren altväterlichen Schätzen sich in das untere Geschoß gerettet hatte, und dort das Eine auf das Andere häufte, um nichts davon aufzugeben. Es war ihr größter Schmerz, zu sehen, wie die schweren Mobilien, welche zehnmal mehr gekostet, als alle der Flitterkram, wie sie ihn nannte, so verächtlich behandelt wurden, und sie schüttete ihren Kummer über dies Treiben endlich einige Tage vor dem Hochzeitsfeste ihrer Tochter vor ihrem Neffen aus, den sie besuchte.
Ich bin den Kindern gern gewichen, sagte sie, und hatte an dem würdigen Herrn Bernauer einen redlichen Beistand, wenn mein Gemüth beschwert war. Wie er in allen Dingen Frieden, Eintracht und Liebe predigt, so hat er mich auch stets ermahnt, es wohl zu beachten, daß ich nirgend ein Aergerniß geben und was nicht zu ändern, geschehen lassen möge. Aurelie ist zu weltlich gesinnt und zu eigenwillig, sie ist aber Herrin in dem was sie thut, und bis ein höheres Licht ihre Augen öffnet, wird sie den Pfad der Sinnenlust wandeln. Nun Gott gebe ihr Glück und Erkenntniß.
Sie wird beides haben, erwiderte Randau beruhigend. Sie liebt Polenz und dieser kann wohlthätig auf sie einwirken.
Ob sie ihn liebt! rief die Präsidentin, wer kann das bei diesem wankelmüthigen Mädchen wissen? Gestern traf ich sie in Thränen. Mit ganz roth geweinten Augen saß sie in dem Zimmer, das so neumodisch abscheulich an den Wänden mit Tapeten von Schmelz und ausländischen theuren Stickereien bedeckt ist. Um des Himmelswillen, Aurelie, rief ich erschrocken, was soll das bedeuten? Was fehlt Dir? Hast Du Schmerzen, mein liebes Kind?
Hier, sagte sie, und drückte die Hand auf's Herz.
Wie ist das möglich? fragte ich ängstlich, Du hast ja Alles was Dein Herz begehrt. Du bist wie eine Fürstin, wie eine Königin eingerichtet mit aller Pracht der Erde, und reichst Deine Hand einem Manne, der Dich liebt und den Du Dir gewählt hast.
O! Mutter ich bitte Dich, rief sie mit größter Heftigkeit, was Du sagst, höre ich täglich, stündlich, ich sage es mir selbst; aus jedem Winkel schreit es mir eine Stimme zu und doch – sie trocknete plötzlich die Thränen ab, fiel mir um den Hals und fing an zu lachen. Mir wurde wirklich bange um ihren Verstand.
Da kam endlich Polenz, fuhr die Präsidentin fort, als Randau nichts erwiderte, und nun wurde Aurelie wieder, wie sie immer ist. Sie ordnete, befahl, plauderte von der Zukunft, scherzte und der gute Polenz ertrug ihre kleinen Neckereien mit musterhafter Liebe und Güte.
Er ist herzensgut, Bernauer lobt ihn auch sehr und ist überzeugt, es wird mit der Zeit Alles vortrefflich gerathen, weil es so leicht kein so passendes Paar gebe, aber –
Sie sprach ihre letzte Besorgniß nicht aus, denn durch das Fenster blickend sah sie Aurelien mit einer Freundin aus dem haltenden Wagen steigen, zu ihrem Erstaunen aber waren beide Damen von Bernauer begleitet, der mit ihnen in's Haus trat.
Randau empfing die Eintretenden mit gastlicher Freundlichkeit. Aurelie aber rief ihm lebhaft zu:
Wo ist Marie? Wo hast Du meine kleine Schwester? Ich habe Wichtiges mit ihr zu überlegen, ihren Rath in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich um die Lösung eines höchst schwierigen Staatsgeheimnisses.
In dem Augenblick trat die Geforderte herein; Aurelie flog ihr entgegen und prallte zurück. Marie im Hauskleide, ein Schürzchen darüber, am blanken Haken ein Schlüsselbund und in der Hand ein Kaffeebrettchen mit Tassen, kam ihr vor, wie eine aufwartende Haushälterin.
Allerliebst! rief sie. Wo kommst Du denn her?
Aus der Küche, liebe Aurelie, sagte die junge Frau. Ich habe selbst für Deine Mutter den Kaffee bereitet.
Das nenne ich eine Häuslichkeit, rief das Fräulein sie betrachtend, von der man etwas lernen kann; doch jetzt haben wir höhere Interessen zu berathen, darum fort mit dem abscheulichen Kaffeegeräth.
Sie führte sie an den Tisch, deckte einen Carton auf, den der Bediente hereingetragen, und zeigte ihr drei Spitzenschleier von hohem Werth, welche darin lagen.
Es frägt sich, welchen ich zu meinem Brautschleier wählen soll, sagte sie. Sidonie und ich, wir sind nicht derselben Ansicht; wähle Du Einen für mich, entscheide Dich für diesen oder jenen, ich will es als eine Art Gottesurtheil betrachten.
O! wie schön, wie herrlich, rief die junge Frau bewundernd, es ist schwer darüber zu urtheilen.
Plötzlich sagte Aurelie:
Und Du, was hast Du denn an Deinem Hochzeitstage getragen?
Ich! erwiderte Marie verlegen, ich trug keinen Schleier.
Also die unschuldsvolle Myrthenkrone nach guter alter Sitte, fiel Aurelie spöttisch ein.
Nein, liebe Aurelie, auch keine Myrthe, ausgenommen einen kleinen Zweig, den ich von einer Freundin erhielt.
Sie erröthete vor den durchdringenden Blicken der beiden Damen und sagte dann hastig:
Es war Sommer, Gustav pflückte im Garten zwei Rosenknospen und zwei Veilchen, die sich verspätet hatten. Er steckte sie mir ins Haar und sagte: Das sind Deine Lippen und Deine Augen, Marie, Dein Herz aber soll der kleine Myrthenzweig bedeuten, der so hoffnungsvoll und klar aus Deinen Locken schimmert. Augen, Lippen und Herz sollen ewig mir gehören, nun komm. – So gingen wir in die Kirche, aber den kleinen Strauß habe ich noch; er ist freilich welk, doch ich liebe ihn sehr.
Aurelie und Fräulein Sidonie sahen sich an und lachten dann ausgelassen, bis Aurelie nach manchen scherzenden Fragen und Liebkosungen wieder auf die Spitzenangelegenheit zurückkam, und Marie endlich für sie einen Schleier wählte, der der einfachste, aber der theuerste war.
Randau hatte indeß mit dem Hülfsprediger und der Tante eine ernsthaftere Unterredung geführt, denn Bernauer erklärte ihm zuvörderst, wie es gekommen, daß er bei ihm so unerwartet erschienen sei. In einem entfernten Theile der Stadt war er dem Wagen der Damen begegnet, man hatte sich gegrüßt, gehört daß er die Präsidentin zu besuchen gedenke und er war nun eingeladen worden, Aurelien zurück zu begleiten.
Was der Zufall mir günstig heut zuwendete, sagte der Hausherr höflich, hoffe ich später von unserer alten Freundschaft. Wir haben Manches, was zu Anknüpfungspunkten dienen kann und Stoff zum Gedanken-Austausch giebt.
Der Hülfsprediger machte eine Verbeugung und sprach einige leise Worte über die Menge seiner Berufsgeschäfte.
Sie leben, wie ich höre, sehr einsam und häuslich, sagte er dann.
Vielleicht erinnern Sie sich, erwiderte Randau, daß ich nie lärmender Gesellschaft Geschmack abgewinnen konnte und diese weit mehr floh, als suchte.
Aber jetzt, fragte Bernauer lächelnd, wo eine junge Frau Zerstreuung fordert.
Sie irren sich, fiel der Hausherr ein. Marie denkt wie ich; ihre einfachen Gewohnheiten sind nicht für das laute Welttreiben geschaffen.
Welch ein Glück, sagte der Prediger, wenn in unserer Zeit edle Häuslichkeit hoch gehalten wird. Es gehört dazu eine Erziehung, wie man sie selten findet. Ihre Frau Gemahlin ist in Erfurt geboren?
Ja.
Es leben in diesen altgermanischen, waldigen Bergen Thüringens noch viele kernfeste Nachkommen unserer Väter. Wenn ich nicht irre, hörte ich, daß Ihre Frau Gemahlin eine geborne Neuhaus sei.
So ist es, Herr Bernauer.
Neuhaus, sagte der Hülfsprediger, ist mir ein wohlbekannter Name. Es ist ein alter Familienname, der seine historische Bedeutsamkeit hat.
In Bezug auf meine Frau irren Sie gänzlich, erwiderte Randau und mit einem spöttischen Lächeln fügte er hinzu: Sie haben ohne Zweifel auch gehört, daß ihr Adel nur in ihr selbst ruht.
Herr Bernauer hob ein wenig den Kopf mit einer gewissen beistimmenden Bewegung.
Ich erinnere mich, versetzte er dann, der Vater war Geheimrath.
Beamter, ja, doch ist er todt und gleichviel was wir gewesen, wenn über alle menschliche Thorheit sich der grüne Rasen deckt.
Der junge Mann stand auf, die Adern auf seiner Stirn waren angeschwollen; er ärgerte sich über die Fragen des spionirenden Predigers und schien ungeduldig zu sein, ihnen zu entgehen.
Zu seiner Hülfe erschienen so eben die Damen, und über den erwählten Brautschleier und über das Hochzeitsfest, wie über viele andere naheliegende Dinge entspannen sich lebhafte Gespräche, die alle Zeit ausfüllten.
Erst als Aurelie mit ihrer Freundin nach Haus fuhr, konnten sie ungestört über die naiven Aeußerungen der kleinen Cousine lachen und spotten.
Aber glaubst Du, sagte Fräulein Sidonie, daß diese köstliche Natureinfalt wirklich Natur bei ihr ist?
Durch und durch Natur, erwiderte die Braut.
Heut zu Tage wird es zuweilen als Mode mitgemacht, seine Gefühle unumwunden auszusprechen, ein altes Kind zu sein und alle Weltsitte zu verachten.
Was man nicht kennt, kann man nicht verachten, liebe Sidonie.
Wo ist sie denn erzogen worden? fragte das Fräulein.
Ich weiß es nicht, aber ich vermuthe, sie ist gar nicht erzogen worden.
Fräulein Sidonie lachte sehr über diese Bemerkung.
Weißt Du denn gar nichts über sie? fuhr sie dann fort.
Nichts, als sehr Allgemeines.
Das ist doch sonderbar. Ich würde sehr neugierig sein.
Warum? erwiderte Aurelie nachlässig, es lohnt sich wenig der Mühe. Was nützt es mir zu wissen, wie ein unbedeutendes Leben sich gestaltete.
Ich denke, sagte Sidonie ein wenig verwundert, Du nimmst besonders großen Antheil an ihr.
Gewiß, o gewiß, rief Aurelie lebhaft, und eben deswegen thue ich, wie ich soll. Sie hat eine vortreffliche Erziehung genossen in Allem, was man in beschränkten Kreisen verlangt. Sie kocht und bratet, sie ist erhoben durch das Gefühl, eigen gestrickte Strümpfe zu tragen und den feinsten Stich mit der Nähnadel zu thun. Meinetwegen. Mein Cousin mag sich die Geschichte dieser langweiligen Virtuosität erzählen lassen und die Götter dafür preisen, ich schaudere davor und schlage mein Kreuz.
Die Präsidentin, welche bis jetzt ruhig zugehört, erhob jetzt ihre Stimme:
Es ist nicht recht, mein Kind, sagte sie, die gute Marie deswegen zu verspotten. Mag es auch wahr sein, daß sie ihrem Stande nach nicht ganz zu Randau paßt, vor Gott aber sind wir Alle gleich. Gott betrachtet das Herz, und das hat sie von oben erhalten.
Wer zweifelt denn daran, Mama? versetzte Aurelie. Das treue Herz, die veilchenblauen Augen, die Rosenknospen von Lippen, dazu die kleinen dicken Hände, die rothen runden Bäckchen, kurz Alles, Alles ist ihr von oben gegeben, und wer kann denn sagen, daß sie nicht zu dem cher cousin paßte? Nie hat es ein paßlicheres Paar gegeben, nie ein häuslicheres innigeres Glück auf Erden.
Es ist sündlich unrecht über seine Mitmenschen zu witzeln, sagte die Präsidentin mit einem strafenden Seitenblick auf Fräulein Sidonie, vielweniger darf ein Verwandter die Zielscheibe sein.
Sie sah den Hülfsprediger an, der aus seiner Wagenecke lächelnd erwiderte, daß dies der Lauf der Welt sei, die im Argen liege.
Und jeden Scherz legt diese arge Welt übel aus, erwiderte die Tochter der Präsidentin.
Ich kann kein Unrecht dulden, sagte die alte Dame eifrig. Marie versteht nicht zu malen und italienisch zu singen, oder neue Romane zu lesen; aber sie liest dafür gute Bücher. Die Bibel lag in ihrem Zimmer, als ein theures Vermächtniß ihres seligen Vaters, wie sie mir erzählte. Es muß ein frommer und gerechter Mann gewesen sein, und musikalisch ist sie auch, sehr schön versteht sie zu spielen und zu singen.
Hat sie Dir etwas vorgespielt? fragte Aurelie. Was denn?
Einen Choral von Sebastian Bach, sagte die Präsidentin.
Im Augenblick hielt der Wagen und die jungen lachenden Mädchen entschlüpften einer Strafrede, welche ohne Zweifel erfolgt wäre. Die Präsidentin entfernte sich unwillig mit ihrem Freunde, dem Geistlichen, und Aurelie konnte in ihrer Wohnung ungestört weiter spotten und lachen.
So brach die Dämmerung des Abends herein, die Freundin hatte sich entfernt und Aurelie war einsam zurückgeblieben. Sie schmiegte sich in eine tiefe Ecke des rothen Sammetdivans und starrte in die Nacht des weiten prächtigen Salons, dessen goldenes Geräth matt und gespenstisch das Dunkel durchblitzte. Von Zeit zu Zeit stieg ein leises Murmeln durch das Getäfel des Fußbodens herauf, oder das Rollen eines Wagens zitterte durch die tiefe Stille. Sie hörte dem Geräusch nach und ihre Gedanken wendeten sich dann wieder zu dem Gegenstande, der einen fieberhaften Reiz für sie hatte.
Je fester sie die Augen schloß, um so klarer glaubte sie in die Ferne zu sehen. Da stand ein Tisch, daneben ein Stuhl auf dem der dunkle Schatten eines Mannes lehnte, dort schwebte eine Gestalt leicht, flüchtig, die blonden Locken schüttelnd und die Arme zärtlich ausbreitend. Aurelie stieß einen Seufzer aus, aber erschrocken fuhr sie empor, denn es war ihr, als verdoppelte ihn ein geisterhaftes Echo.
Wer ist da? fragte sie, indem sie nach der Thür sah, welche leise knarrte, und bei der Antwort einer männlichen Stimme, die ihren Namen aussprach, drangen Freude und Entsetzen zugleich in ihre Brust.
Ich bin es, Aurelie, sagte Randau, indem er näher trat. Ich war an der Thür Deiner Mutter, allein sie ist in Andachtsübung mit ihrem frommen Beistand Bernauer und Anderen. Im Vorzimmer fand ich Niemand, so bin ich denn unbemerkt zu Dir gelangt und freue mich darüber, denn es giebt mir Gelegenheit Dich geheim zu sprechen.
Man soll Licht bringen, sagte sie und griff nach der Klingelschnur, doch Randau zog ihre Hand zurück, und indem er sie in der seinen festhielt, setzte er sich an ihre Seite.
Warte einige wenige Minuten, sprach er bestimmend. Was wir uns zu sagen haben, soll durch Nichts gestört werden. Nacht deckt unsere Lippen und Augen zu, und still verflüchtigen sich die Worte. Es ist mir als müßte es so sein, damit kein Lichtstrahl sie entdeckt.
Du beginnst sehr feierlich und romantisch, erwiderte sie.
In dieser Weise sollst Du nicht zu mir sprechen, versetzte er strafend. Die Sprache der Welt fährt leicht und flüchtig über alles hin, die Sprache der Herzen verlangt eine andere Weise.
Die Sprache der Herzen, entgegnete die Braut. Was hat Dein Herz meinem Herzen zu sagen?
Gar vieles, gar manches, murmelte er. –
Ein minutenlanges Schweigen folgte, Randau fühlte die Hand zittern, welche in der seinen lag, er glaubte das schnelle Athmen Aureliens zu hören.
Morgen, begann er leise, ist der letzte Tag eines Lebens, daß sich für Dich abschließt, um ein neues beginnen zu lassen; laß uns einen Augenblick zurückdenken an die Vergangenheit.
Nein, erwiderte sie mit erhöhter Stimme indem sie rasch ihre Finger aus den seinen zog; ich habe nichts damit zu schaffen. Du bist ein Mann des Vorwärts, ein Mann der That, was sollen wir beide mit den Erinnerungen an die Vergangenheit thun, die als todtes, nebelbedecktes Feld hinter uns liegt. Die Gegenwart, die Zukunft, sie sind es, die wir ergreifen müssen. So hast Du oft gesagt; ich habe ein gutes Gedächtniß.
Und Deine Gegenwart, Deine Zukunft? fragte Randau. Hast Du sie begriffen und wohl geprüft?
Du bist der alte Schulmeister, der Du immer warst, erwiderte Aurelie, und wenn ich, ja – wenn ich nun zurückfragen wollte: Hast Du selbst über Dich eine so genaue Prüfung angestellt?
Randau schwieg.
Aurelie, sagte er dann, es hieße Worte verschwenden, wenn ich Dir betheuern wollte, daß ich die innigste Theilnahme für Dich empfände. Ich habe Dir Glück gewünscht, als ich von Dir hörte, daß Waldemar der Mann Deiner Wahl sei, doch heut hat sich meine Ansicht verändert. Ich nehme diesen Glückwunsch zurück, bis Du mir gesagt hast, daß Du wirklich aus inniger Ueberzeugung die Hoffnung auf Glück ihm als Brautschatz mitbringst.
Welche Frage? rief die Braut erregt. Was bewegt Dich dazu? Mit welchem Recht darfst Du sie stellen?
Mit dem Recht meiner Freundschaft, entgegnete er ruhig.
Ist diese Freundschaft so stark, so begehrlich, fuhr sie fort, warum kommt sie denn so spät? – Doch Frage um Frage. Antworte, was Dich so sehr um mich besorgt macht?
Hörst Du das leise Gemurmel, das bis zu uns dringt? erwiderte Randau. Es kommt aus dem Zimmer Deiner Mutter. Könnten wir dies Getäfel öffnen, wir würden Polenz dort sitzen sehen, andächtig hörend, was erbaulich gelehrt und gelesen wird. Ist das der Mann Deiner Zukunft und Deines Glücks?
O! Thorheit, versetzte sie. Waldemar wünscht meine Mutter zu beruhigen, im Uebrigen hat diese Frömmigkeit wenig zu bedeuten.
Um so schlimmer dann. Um so schlimmer, wann der Schein abfällt und die alte Frivolität doppelt widrig daraus hervortritt.
Frivolität! Was nennt ein Mann der strengen Sitte und Einfachheit nicht so, erwiderte sie. Du freilich hast Dir ein anderes Glück der Zukunft gegründet, eine edle Einfachheit, eine entzückende Abgeschlossenheit, die von einer mit allen Reizen geschmückten Gottheit genügend beseelt wird.
Du spottest, Du frevelst! sagte Randau und seine Stimme nahm eine zürnende Stärke an, Du weißt nicht was Du thust, wenn Du die Hand nach einem Wesen ausstreckst, dessen himmlische Macht Du nicht begreifst. Höre mich an, Aurelie, höre meine Abschiedsworte. Ich war allein, vereinsamt und mein Herz voll Sehnsucht nach einem Wesen, daß ich lieben möchte, weil es mich als seines Daseins Heiland erkoren. Da fand ich Marien. Ich fragte nicht, wer bist Du, wohin hat das Leben Dich geworfen, welche Netze spann es für Dich? Ich faßte sie in meine Arme, legte sie an mein Herz, zerriß alle Fäden mit einem einzigen Ruck und so war sie mein, ganz mein. Ihr Leben floß in das meine über, ihr ganzes Dasein gehörte nur mir, ihr letztes Flüstern im Schlaf, ihr erster Gedanke war ich, bin ich. Sie würde, wie die Passionsblume ihr Haupt senken und sterben, wenn ich mich von ihr wendete, der ich ihres Lebens Licht und Sonne bin. Du kennst diese schöne, tiefe Menschenliebe nicht, Du kennst den Born nicht, aus dem sie quillt, Du wirst ihn nie auffinden in seinem tiefen Schacht, denn Du kannst nicht hinansteigen, es liegt ein Schatten darauf, und ein Gespenst schwebt darüber, ein Spiegelbild Deiner selbst.
Es scheint, sagte sie, heftig ringend mit widerstrebenden Gefühlen, Du willst mich beleidigen, Gustav, und was habe ich Dir gethan?
Ich will Dich nicht kränken, ich möchte Dich erheben, sagte er sanft; ich möchte Dich so gut, so liebend und schön machen, wie Marie ist.
Diese Worte vernichteten den Eindruck und warfen einen neuen Strom der bittersten Empfindungen in ihre Brust. Verglichen mit diesem ärmlichen Geschöpf, herabgesetzt, um zu ihr sich zu erheben, das war zu viel für dies stolze Selbstbewußtsein.
Es ist ein altes gutes Wort, erwiderte sie so kalt als möglich, daß tausend Wege nach Rom führen, und eben so gewiß, daß jeder Pilger den seinen für den besten hält. Vielen Dank für Deine Freundschaft, mein glücklicher Cousin, allein offen gestanden, sollte ich meinen, der beste Rath wäre in so gefährlichen Dingen doch stets der eigene. Ich fühle mich ergriffen von den Schilderungen Deines Glücks, das meine hat jedoch eine andere Farbe. Ich will keines Mannes Sclavin sein, oder meinen Erlöser in ihm erkennen, was nebenbei gesagt, durchaus unchristlich ist, laß es daher ja nicht meine Mutter hören. Ich werde mit Waldemar ein ganz anderes System versuchen. Wir werden uns möglichst frei und unabhängig bewegen, uns zu gefallen, zu vergnügen trachten, Feste feiern, Reisen machen, uns nicht einsiedlerisch absperren und ich denke, mein theurer Freund, wir werden eine Ehe führen, welche in ihrer Weise der Deinen nichts nachgeben soll.
Und was soll, was kann das Ende dieser glänzenden Oberfläche sein? sagte Randau. Hast Du es bedacht, Aurelie, daß unter ihr eine gräßliche Leere liegt, die Dich verschlingen kann, ja endlich verschlingen muß?
Sei unbesorgt, erwiderte sie. Wenn es sich ergeben sollte, daß Du nicht zu früh an der Endlosigkeit Deines Glückes stirbst, und ich auf irgend einem Balle oder Feste elendiglich in Schaden gerathe, so hoffe ich, werden wir lange genug beisammen wohnen, um uns einmal wieder fragen zu können, wer der Glücklichste von uns sei? Ich hoffe, ich, denn ich werde mich bemühen so tugendvoll wie möglich zu werden.
Mit solchen Grundsätzen hat man nicht Laster zu scheuen, erwiderte Randau kalt. So lebe wohl, Aurelie, ich habe Dir nichts mehr zu sagen.
Lebe wohl, mein aufrichtiger Freund und hier, nimm meine Hand – wie schade, daß es dunkel ist, ich möchte gern, daß Du sähest, wie unbesorgt ich bin. Glaube mir, Gustav, und wenn Du nie mir geglaubt hast, so glaube mir jetzt, auch in meiner Brust schlägt ein Herz, fähig tief und stark zu lieben, ewig zu lieben, wie man zu sagen pflegt. Ewig! – Das ist ein Wort mit einem furchtbaren Klang; aber hörst Du, ewig! und Polenz –
In diesem Augenblick wurde die Thür geöffnet und ein blendender Lichtstrahl fiel herein auf Aureliens Gesicht. Es war bleich, ihr Auge groß und funkelnd, in ihren Zügen ein Kampf, der jetzt schnell sich beruhigte und ein unmuthiges spöttisches Erstaunen zurückließ, als sie den Hülfsprediger mit einem Lichte in der Hand am Eingange erblickte, hinter dem der Kopf ihres Bräutigams sichtbar wurde.
Der Freiherr warf einen finsteren, argwöhnischen Blick auf die beiden Einsamen, aber Aurelie streckte ihm die Hände entgegen, und rief in ihrer liebenswürdigen, schalkhaften und bittenden Weise, die alle Herzen bezaubern konnte:
Mein Geliebter, Du nahst und Alles ist gut! Ich habe Dich lange erwartet, Waldemar, und darüber fast vergessen, daß ich mit Gustav im Dunkeln plauderte.
Aureliens Hochzeit wurde mit aller Pracht gefeiert, und glänzende Feste reihten sich daran, von deren Geschmack und Köstlichkeit die erwählte Gesellschaft viel zu erzählen wußte. Es schien eine Lebensaufgabe für das junge Paar, jeden Tag etwas Neues zu ersinnen und an keinem sich selbst zu gehören. Der Winter mit seinen geselligen Freuden war so recht in der vollsten Blüthe, die Kreise des Vergnügens überall geordnet, und der Wunsch, den höchsten Preis darin zu erringen, von vielen Seiten erregt.
So kam es denn, daß ein Monat verging, ehe Aurelie Athem schöpfen und sich besinnen konnte, und ehe eine tief verborgene Unruhe ihres Herzens Zeit gewann, bewältigend auf ihre Erinnerungen zu wirken.
Während der ersten Wochen ihrer Ehe hatte sie oft mit freudiger Genugthuung an Randau gedacht, denn sie träumte einen stolzen Traum, den sie selbst hervorgerufen, wenn sie von Huldigungen und Bewunderungen umringt, mitten im schwelgerischen Genuß aller Freuden den bleichen Schatten, der dann und wann vor sie hin trat, mit einem Lächeln verbannte.
Randau erschien seltener als je, und Marie hatte sie nur einmal besucht, um den Neuvermählten ihre Wünsche zu bringen, die mit der natürlichen Einfalt ihres Wesens ausgedrückt, durch den Contrast zur gewöhnten Gesellschaftssitte sich auszeichneten.
Nun erst, sagte sie, wirst Du mir recht nahe stehen, und mein innerstes Herz kann sich Dir aufthun. Eine Frau zur Frau, das paßt sich ganz anders als früher; das Vertrauen wächst, und wie sehr will ich mich freuen, wenn es Sommer ist und wir dann so nahe auf dem Lande wohnen.
Wir wohnen in der Stadt uns viel näher, erwiderte Aurelie, darum soll Deine Freundschaft sich bethätigen, wenn Du recht oft meine Gesellschaft suchst.
Gewiß, erwiderte die junge Frau, ich würde kommen, aber – ich finde Dich selten nur allein und Du weißt, Gustav hat keinen Sinn für das, was er todten Lärm nennt. Komm Du recht oft in unser stilles Haus, und bringe Dein schönes, freundliches Gesicht mit. Du weißt es nicht, wie sehr Gustav Dich liebt, wie oft er mir von früherer Zeit etwas erzählt, und wie er Dich lobt.
Nach einiger Zeit war im Hause des Freiherrn eine glänzende Soirée, zu der auf dringende Einladungen auch Randau und Marie sich eingestellt hatten. Es war ein Kreis von Menschen zugegen, die durch Geburt, Talent und Geist ausgezeichnet waren. Einige Künstler ließen sich hören, nach langem Bitten folgten mehrere Dilettanten und endlich Aurelie selbst, deren volle schöne Altstimme und meisterhafte Fertigkeit auf dem Instrument das lauteste Lob erwarb. Bestürmt von Bitten mußte sie es gewähren, eine zweite Arie und mit einem der ersten Künstler ein Duett zu singen, das die Anerkennung auf den höchsten Gipfel brachte, aber während man sie mit gewählten Schmeicheleien überschüttete, sah sie Randau allein, stumm und ernst an eine der Säulen des Salons lehnen, nachdenkend und, wie es schien, finster vor sich hinstarrend.
Es war ein Triumph für sie, der in ihrem Herzen widerhallte. Sie trat ihm näher und redete ihn an.
Ein Einziger hat kein freundliches Wort für mich, sagte sie, und dieser Einzige bist Du. Es scheint, daß ich bei meinem kunstverständigen Cousin mir keinen Beifall erwerben kann.
Thun es denn Worte, erwiderte er, indem er sie anblickte. Du hast mich so sehr entzückt, daß ich schweigen, mußte, denn in Deiner Stimme liegt ein Zauber der zum Nachdenken zwingt.
Die Art, wie er dies sagte, machte einen tiefen Eindruck; sie schwieg, ihre Augen begegneten sich und wendeten sich ab. Auch Marie war gekommen und mit zärtlichen Blicken küßte sie Aurelien und rief:
Du bist ganz und gar wie ein Engel, so schön und so herrlich begabt. Gustav hat mir gesagt, daß Du von den ersten Meistern Unterricht gehabt hast; wie beneidenswerth ist es doch, so kunstvoll zu sein.
Und Du, erwiderte Aurelie lächelnd, Du singst ja auch.
Es ist ein wilder Waldgesang, versetzte sie, Gustav nennt ihn so, dennoch hat er ihn gern.
Du mußt uns etwas vortragen, rief Aurelie laut und der ganze Kreis, der sich gesammelt hatte, begann papagayenartig nach zu bitten und die verlegene ängstliche Frau zu bestürmen. Vergebens richtete sich ihr liebliches Gesicht und ihre Augen Hülfe suchend auf ihren Gatten.
Gustav darf seine Autorität hier nicht ausüben, sagte Aurelie in ihrer anregenden Weise; er wird seine Bitten mit den unseren vereinen.
Singe, liebe Marie, erwiderte Randau. Singe ein paar Deiner kleinen Hirten- und Bergmannslieder aus den Bergen, die ich so gern höre.
Er nickte ihr zu und es schien, als ob sein Blick genüge, ihr Muth einzuhauchen. Sie ließ sich willig an das Instrument führen, fuhr mit leichten Fingern über die Tasten, und sang dann mit ihrer süßen Stimme ein paar Volkslieder, die einen allgemein günstigen Eindruck machten. Eben weil die kunstvollen Arien der Opern großer Meister mit künstlerischer Fertigkeit hier nur gesungen waren, wiederhallten die einfachen Melodieen nicht ohne Anklang.
Aller Augen richteten sich auf die junge schöne Frau, alle Blicke folgten ihren Blicken, welche freudig den suchten, dem sie allein Freude zu machen wünschte, und als sie endlich von Beifall begleitet schüchtern zurückkehrte, war sie der Gegenstand zahlloser Fragen und Bemerkungen.
Was Aurelie auch beabsichtigt haben mochte, ihren Triumph gegen die Unbedeutendheit ihrer Nachfolgerin anschaulicher zu machen, oder den Glanz ihres edlen Talents gegen diese rohe Natürlichkeit hervorzuheben, es war jedes Falls verunglückt. Sie mußte es hören, daß einer der anwesenden Kunstkenner ein Urtheil fällte, das ihre Eitelkeit nicht wenig verletzte, denn er pries diese schöne silberhelle Stimme über Gebühr, und vermaß sich, daß Herz und Seele darin wohne, wie er es selten gehört habe.
Dieser kleine Vorfall gab Anlaß zu einer wichtigen ihm nachfolgenden Begebenheit. Aurelie war am nächsten Tage unmuthig, und keine Bitten konnten sie bewegen, einer Einladung Folge zu leisten. Polenz ging endlich allein, nachdem die erste kleine häusliche Scene zwischen den Vermählten erfolgt war. Er hatte alle seine Schmeichelworte erschöpft und fühlte sich sehr versucht, sein männliches Ansehn geltend zu machen, aber er unterdrückte nach den ersten gewechselten Reden seine Erregtheit, wendete sich gegen das Fenster und sagte für sich:
Es ist auch vielleicht gar nicht so übel, wenn man sie ihren Launen überläßt. Denkt sie etwa, daß ich darunter leiden soll, so irrt sie gewaltig, und je eher ich ihr das beweise, um so leichter wird sie davon befreit.
So empfahl er sich denn, und ging allein. Aurelie ließ ihn gehen, deckte die Hand auf ihre Stirn und blieb verstimmt in ihrer Stellung, bis ihre Mutter herein trat, der ihr Beistand, Herr Bernauer folgte.
Man sah es der alten Dame an, daß irgend ein wichtiger Gegenstand ihr Gemüth beschwerte. Ihr Schritt war ungewöhnlich schnell und beweglich, und ihr Gesicht geröthet.
Ich bin sehr aufgeregt, sagte sie schon von weitem; wer konnte das aber denken. Alles stürmt auf mich ein, mein Leben zu verbittern und meinen Jammer zu erhöhen.
Liebe Mama, erwiderte Aurelie, was es auch sein mag, ich bitte Dich, verschone mich heut mit Deinen Vorwürfen.
O! rief die Präsidentin, wenn es das wäre, ach ja, ich hätte wohl Grund dazu, denn auch von Euch bin ich in meinen Erwartungen bitterlich getäuscht. Polenz ist ganz in die alte böse Weltlust zurückgefallen, und alle Tage giebt es hier sündige Freude genug, die mich tief betrübt; aber was kann ich anders thun, als beten und hoffen, daß der Herr es bessern möge, wie unser würdiger Freund, Herr Bernauer, es auch verheißt; allein heute hat ein anderer Schlag mich getroffen. Es ist eine Schmach und eine Schande für uns. Doch Jesus Sirach sagt: »Traue nicht den unschuldigen Blicken, es lauert Verstellung und Bosheit dahinter.« Das sagt er, aber man versteht ihn nicht.
Es geht mir durchaus eben so, Mama, wie dem armen Jesus Sirach, sagte Aurelie.
Du wirst mich aber sogleich verstehen. Denke Dir, es ist eine saubere Geschichte mit Randau und seiner Heirath.
Aurelie richtete sich überrascht auf. Was ist damit? fragte sie.
Es ist Alles erlogen, sagte die Präsidentin erschöpft. Himmlischer Vater, lauter Schande und Entsetzen! Eine Beamten-Tochter, ich dachte es mir wohl, er sagte nie etwas Bestimmtes und hatte eine Art seine Rede abzubrechen, daß Einem das Fragen verging; aber es war zu merken, es müßte etwas dahinter stecken. Nun ist es heraus. Sie ist eines Küsters Tochter. Ein gewöhnlicher alter Küster mit dem Klingelbeutel, der endlich von seinem Posten kam, weil er dumme Streiche gemacht hatte, das war der Vater, und ob sie wirklich verheirathet sind, Gott verzeihe es mir! ich weiß nicht einmal, ob es zu wünschen ist – das steht noch sehr dahin.
Liebe Mama, erwiderte Aurelie, woher weißt Du das?
Erzählen Sie es ihr, fuhr die Präsidentin fort, indem sie sich zu dem Prediger wandte, ich bin zu schwach dazu.
Bernauer sah die junge Dame bedeutsam an und zog einen Brief heraus, den er ihr reichte.
Man schreibt mir aus Erfurt, sagte er; es war ein Zufall, daß ich einem Freunde dort von der Heirath Ihres Herrn Cousins etwas mittheilte, so bin ich zu dieser allerdings nicht allzuerfreulichen Nachricht gelangt.
Aurelie hatte das Papier durchflogen, und schien den lebendigsten Antheil zu nehmen. Neuhaus, Küster an der St. Sebaldus-Kirche, las sie, hat allerlei Widersetzlichkeiten gegen seine Vorgesetzten, vielleicht auch Veruntreuungen begangen – wurde mit einer kleinen Pension entlassen und starb zuletzt in tiefster Armuth. Seine Tochter Marie war ein hübsches Mädchen, auch nach Möglichkeit gut erzogen, schneiderte, nähte und dergleichen, sein Sohn war Tapezier und wanderte aus, – das Mädchen soll von einem Fremden, der sich in sie verliebte, geheirathet oder doch mit fortgenommen worden sein.
Da haben wir es, sagte die Präsidentin. Mit fortgenommen. Es ist empörend! Mit offenen Armen haben wir sie empfangen, und auf Du und Du ist die Freundschaft geschlossen.
Sind diese Nachrichten gewiß? fragte Aurelie.
Sie sind durchaus begründet, erwiderte der Hülfsprediger mit einem Seufzer.
Daun müssen wir sie geheim halten, fuhr die Dame fort, und Sie als ein Freund unseres Hauses werden gewiß diese Bitte erfüllen.
Ich stimme Ihnen bei, sagte Bernauer nach einer kleinen Pause, und indem er die Hand der Präsidentin beruhigend drückte, fügte er hinzu: Die gnädige Frau hat Recht, Niemand soll gegen sein eigen Fleisch und Blut zu Gericht sitzen.
Aber ich will den Menschen und die – die Person, ich weiß nicht, wie ich sie nennen soll; ich will sie nicht wieder sehen, denn ich könnte meine Verachtung nicht zurückhalten.
Aber Mama, sagte die Tochter, Du bist eine so vortreffliche Christin, und willst so unversöhnlich handeln?
Wäre ihr Vater ein Rath oder meinetwegen ein Künstler, oder wäre er, wenn es nicht anders sein könnte, ein bloßer Handwerker, rief die Präsidentin kläglich, ich wollte es überwinden und denken, die verderbte Zeit bringt es so mit sich; es muß so kommen, wenn die Weissagungen Johannes sich erfüllen sollen; aber ein abgesetzter, spitzbübischer Küster und sie eine Schneidermamsell, die mit ihm in die Welt läuft, die er uns mit der größten Frechheit präsentirt und als ein Wunder von Tugend vorstellt, das ist zu viel, das kann die beste Christin nicht vertragen.
Ueber Etwas, erwiderte Aurelie, kann ich Dich beruhigen, denn verheirathet ist er, daran darf kein Zweifel sein. Ich kenne Gustav zu gut; er ist seinen sonderbaren Gedanken über das gleiche Recht aller Menschen gefolgt und hat einer augenblicklichen Neigung sich zum Experiment überliefert. Was daraus erwächst, ist seine Sache, allein ich kann mir nun vieles erklären. Darum also seine gänzliche Zurückgezogenheit, darum diese fortgesetzte Beschäftigung mit Büchern, der Unterricht, den er ihr ertheilt; ihre Schüchternheit, ihre Ausflüchte über ihr früheres Leben und die seinen, ihre Nähnadel und die Küchenkünste. Es kann nicht anders sein. O! armer Gustav, das ist eine lange, harte Prüfung.
Das fehlte noch, daß Du ihn bedauerst, sagte die Mama vorwurfsvoll.
Ich bedaure ihn allerdings, versetzte die Tochter nachdenkend.
Was willst Du nun thun?
Nichts, Mama. Was wir erfahren haben, kann durchaus keine Aenderung bewirken; ich werde Marien eben so freundlich und herzlich empfangen, wie es bis jetzt geschehen ist.
Die Präsidentin stand voller Eifer auf. So ist denn Alles hier verwirrt, oder ich habe meine gesunden Sinne verloren, rief sie. Wer sich wegwirft, darf sich nicht wundern, wenn er unter dem Kehricht seinen Platz erhält, und Du, die Du stets so viele Anforderungen machst, was bewegt Dich, hierbei gar keine machen zu wollen?
Mama, sagte Aurelie, bedenke, daß Gustav unser naher Verwandter ist, und, um in der Sprache der Bibel mit Dir zu reden, bedenke auch, daß wer seine Hand in Pech taucht, sich selbst besudelt. Genug davon. Lieber Herr Bernauer, beruhigen Sie die Mama, und zeigen Sie ihr, was eine Christin und eine Präsidentin thun muß.
Der Hülfsprediger trat mit seinem sanften Lächeln näher, allein die alte Dame hielt auch seiner Beredsamkeit keinen Stand, als sie sah, daß er wirklich Aurelie beipflichte, wendete sie sich nach der Thür und sagte:
Wenn ich Sie hören muß, so soll es jetzt wenigstens nicht sein, sondern wenn ich mich gesammelt habe. Kommen Sie nachher zu mir herunter.
In welche schlimme Lage haben Ihre Nachrichten uns gesetzt, sagte Aurelie, als sie mit Bernauer allein war.
Und dennoch, erwiderte er, glaube ich, daß sie Ihnen willkommen waren.
Bei dem scharfen Blick des Geistlichen erröthete Aurelie unwillkürlich. Sie empfand von je an gegen ihn ein Gefühl der Abneigung oder der Furcht, das sich unerklärlich in ihr festgesetzt hatte. Bernauer war jung, groß und wohlgebildet; seine feinen Gesichtszüge hätten ohne den starren Blick seiner dunklen Augen und die Gemessenheit aller seiner Bewegungen für ausdrucksvoll und schön gelten können. Die unerschütterliche Ruhe und Kälte darin gab ihnen das Gepräge einer weltentsagenden Strenge, und weder das stille Lächeln noch die gefällige Schmiegsamkeit seiner Sitten konnten den Eindruck ganz überwinden, den er als ein Wesen besonderer Art machte. Gute Werke und Handlungen der Wohlthätigkeit waren in Fülle von ihm bekannt; er war, obwohl selbst arm, doch ein thätiges Rüstzeug frommer Stiftungen und Vereine, und in Verbindung mit vielen angesehenen Männern und Frauen, deren Vertrauen er im hohen Grade besaß.
Aurelie hatte sich ihm nie genähert, und doch fand zwischen ihnen eine Vereinbarung statt. Sie hinderte ihn nicht, der Rathgeber ihrer Mutter zu sein, denn was er that, war ihren Absichten bisher nirgend entgegen gewesen; ja er hatte ihr häufig wesentlich gedient, indem er die Besorgnisse der Präsidentin zu zerstreuen, ihre Klagen zu beschwichtigen wußte.
Auch ihrer Verbindung mit Polenz war er günstig gesinnt, und der Freiherr erfreute sich der besondern Theilnahme des Geistlichen, obwohl Aurelie keinen Augenblick gezweifelt hatte, daß er sehr wohl wußte, wie er den Schein dieser Frömmigkeit zu deuten habe. Bernauer flößte ihr Furcht und Vertrauen zu gleicher Zeit ein. Furcht, weil sie ihm die schärfste Beobachtungsgabe zutraute. Vertrauen, weil er jene nie zu ihrem Nachtheil angewendet, und so stand sie jetzt vor ihm, ungewiß, was sie erwidern sollte, als er leise, zu sprechen fortfuhr, und mit seiner ausdrucksvollen Stimme sagte:
Willkommen, so sollte ich meinen, müßte Ihnen eine Nachricht sein, welche Ihnen beweisen kann, wie verwildert die sittlichen Grundsätze eines Mannes sind, dem Sie einst Ihr Herz geschenkt hatten.
Sie haben recht, erwiderte Aurelie; doch starke Gemüther lassen sich leicht zu Thaten verleiten, welche die Verdammniß der Welt nach sich ziehen. In solche Irrthümer können die Edelsten verfallen, während die Andern, die Schwächlinge, den Stab über sie brechen und doch selbst im Schlamm des Lebens untergehen.
Ein bitteres Lächeln, das auf ihren Lippen schwebte, wußte Bernauer wohl zu deuten. Er schwieg und sagte erst nach einer Pause:
Wir haben über Randau schon früher gesprochen, Sie werden mir jetzt mehr beistimmen, als damals. Ich will nicht läugnen, daß ein edler und stolzer Geist in ihm wohnt, doch einer der sich weit überschätzt. Glauben Sie mir, er ist der Mann nicht, der so unangefochten alle Verhältnisse der Welt zerbricht und sehr müßte ich mich täuschen, wenn –erwartungsvoll.
Bernauer blickte sie bedeutsam an:
Wenn nicht ein Gefühl der Reue auch in diesen verhärteten Kopf gedrungen wäre.
Beide schwiegen. Endlich sagte der Geistliche:
Ich habe Ihnen noch etwas mitzutheilen. Sie lasen in dem Briefe, daß Frau von Randau noch einen Bruder hat.
Der Tapezier. Wo ist er?
Er befindet sich hier.
Hier!
Ja, hier, ohne daß er bis jetzt weiß, wo und wer seine Schwester ist. Er ist zwei Jahre lang in Paris gewesen. Als er zurückkehrte, wußte ihm Niemand Nachricht zu geben, was aus ihr geworden sei. Seit acht Tagen ist er nun hier.
Woher wissen Sie das Alles? fragte Aurelie erstaunt.
Er brachte einen Brief an mich mit und durch meine Bemühungen erhielt er Arbeit.
Die Baronin sah den Geistlichen an, der sein Auge fest und klar auf sie richtete.
Ich bin entfernt davon den Zorn meiner Mutter zu theilen, sagte sie endlich; aber die Umstände gestalten sich so dringend, so bedenklich, daß es räthlich scheint, wenigstens zu beweisen, es finde keine Täuschung mehr für uns statt. Will Randau dann seinem Verhängniß folgen, so – ich sehe kein Mittel. – Meinen Sie nicht?
Und will er umkehren, so öffnet sich dem Reuigen ein Weg des Erbarmens, sagte Bernauer mit seinem geheimnißvollen Lächeln.
Aurelie zitterte leise.
Ich will den Menschen sehen, der ja auch mein Verwandter ist. Der Geistliche bewegte beistimmend den Kopf. Ich werde Ihnen den jungen Neuhaus zusenden, sagte er, und mit einer seiner langsamen tiefen Verbeugungen empfahl er sich.
Am nächsten Tage fuhr die Baronin zu Randau und lud ihn selbst zu einem kleinen Feste auf den nächsten Abend ein. Sie war so liebenswürdig und geistvoll, daß der ernsthafte Cousin von ihrem Frohsinn angesteckt schien, und die Einladung mit sichtlichem Gefallen annahm.
Ist es Recht, sagte Aurelie vorwurfsvoll, daß Du Deine schöne, liebliche Frau versteckst, als wäre es die Eifersucht, die sie Dich also bewachen heißt. Da sitzen die beiden Menschen allein und abgesperrt hinter finsteren Mauern, dicke Bücher auf dem Tisch, und höchstens steckt der würdige Professor Sydow die rothe Nase mit der Brille zur Thür hinein und macht seinen sarkastischen Launen Luft. Fort mit allen Grillen und aller Flitterwochenzärtlichkeit! Nehmt Theil an der bunten Beweglichkeit des Lebens und kämpft ein wenig mit gegen die große Strömung.
Das ist so übel nicht, erwiderte Randau, aber wir wollen uns vielmehr von der Strömung treiben lassen, liebe Marie, und unser Schiffchen danach einrichten. Der Winter ist im Abzug, einige Bälle, Concerte, Theater, Gesellschaften würden nicht schaden; endlich leben wir uns doch wieder selbst, und warum sollen wir unsere Talente und unsern Witz nicht eben so gut glänzen lassen, wie jeder Andere.
Köstlich! rief Aurelie, ich finde Dich auf dem besten Wege zur innern Reform Deiner selbst und werde Dir Polenz zuschicken, um Dich darin zu verstärken. Da hast Du das Vorbild des Mannes nach der Mode.
Seit einigen Tagen habe ich ihn kaum auf Augenblicke gesehen; er schwärmt von Blume zu Blume und sammelt Honig.
Das Lächeln ihrer Lippen wurde zum lauten Lachen, als Marie sich an Gustav schmiegte, beide Arme um seinen Hals schlang und, ihn küssend, rief:
O! das ist abscheulich, ich würde mich todt grämen um solchen treulosen Schmetterling.
Du gutes Herz, sagte Aurelie, laß ihn los und hindre nichts. Auch Schmetterlinge haben ihre Lieblingsblume zu der sie zurückkehren, wenn sie des Gaukelns müde sind, wer aber von ihnen verlangt, sie sollen diese allein immer umschweben, der muß fürchten, daß es ihnen eintönig und langweilig wird und sie für immer verscheucht. Alle Männer sind Schmetterlinge, sie lieben alle den bunten Wechsel, auch die ernsthaftesten, und die strengen Moralisten, das sind die schlimmsten.
Sie drohte mit dem Finger schalkhaft zu Gustav hin, der zur Abwehr in die dunkelblauen, vertrauungsvollen Augen seiner Frau blickte und sagte dann:
Gott behüt' Euch! morgen kommt hübsch zeitig; wir wollen auf Mittel sinnen die Schmetterlinge zu bändigen.
Am nächsten Abend fuhr Randau mit seiner Frau wirklich schon früh zu Aurelien, welche sie mit freudiger Genugthuung empfing. Sie warf einen ihrer strahlenden, siegenden Blicke auf Gustav, der in der elegantesten Modetracht vor ihr stand und über seine Metamorphose lächelte, während er selbst mit Wohlgefallen die reizende Cousine betrachtete.
Die schöne edle Gestalt in der vollendetsten und prachtvollsten Gewandung, mit Allem geschmückt, was die Kunst der Toilette und die Erfindung des Luxus zu geben hatten, schwebte gebietend, vom geistigen Zauber höher beseelt, vor ihm auf und ab. Jedem hatte sie etwas Treffendes zu sagen, Jeder hatte zu bewundern und sich glücklich zu preisen, in allen Blicken malte sich eine Anbetung so vieler Reize, und als nun die schöne Frau mit Marieen lebhaft sprechend Randau Arm in Arm entgegenkam, lief eine wunderbare Glut durch sein Herz, die ein nie gefühltes Bangen darin erweckte.
Du sollst mit uns gehen, Gustav, sagte Aurelie, ich will Dir etwas zeigen, was ich zum Schlußfeste für diesen Winter vorbereite.
Nämlich ein Theater, fiel eine Stimme ein, das drüben im großen Saale so eben in voller Arbeit ist.
Aurelie erblickte hinter sich den Professor und rief zürnend:
Sie sind der ewige Ueberall und Nirgend, dafür sollen sie jetzt nicht allein uns begleiten und nochmals sehen, was sie schon gesehen haben, sondern sie sollen auch in der Comödie mitspielen.
Gut, rief der alte Herr, ich bin dabei und werde meine Rolle nicht verderben. Wir können gleich anfangen und Probe halten; ich denke wir bekommen ein hübsches Intriguenstück fertig, und wenn es etwa noch an einer nöthigen Ueberraschung fehlen sollte, an einer Catastrophe des Stückes –
Marie stieß einen plötzlichen, lauten Schrei aus, denn in dem Augenblick richtete sich dicht vor ihr ein Arbeiter auf, der am Boden sitzend etwas nähte und nun stand er in seiner weißen Jacke und Schürze bildsäulenartig vor den beiden Damen.
Da haben wir gleich eine hübsche Scene, rief der Professor, aber Marie ließ den Arm der Baronin los und sagte zitternd:
Jakob! Wäre es wahr, Jakob!
Der junge Mensch warf Alles von sich was er hielt, und faßte mit seinen rauhen Händen ungestüm die geputzte Dame an, die er an seine Brust drückte und küßte.
Marie! rief er, Schwester Marie, o mein Gott! welche Freude. Du bist hier! Mein Kopf ist ganz verwirrt, – ich kann es noch nicht fassen, denn –
Er betrachtete sie und die Baronin, dann die Herren und sein Gesicht wurde ernsthaft. Er ließ die Hände sinken, es antwortete ihm Niemand.
Aurelie wendete sich langsam zu Randau und zum erstenmale erblickte sie diesen in einem Zustande, der den äußersten Grad der Verwirrung und einer Schaam ausdrückte, die ihre tödtliche Blässe über sein Gesicht deckte. Seine Lippen zuckten krampfhaft und seine Augen nahmen einen verzweiflungsvollen Glanz an, als er Aureliens leise Stimme neben sich hörte, die gegen den Professor gewendet diesem zuflüsterte:
Diese Scene muß dramatisch heißen, aber sie gehört nur in ein Lustspiel, wenn ein Irrthum dabei obwaltet und ein solcher muß es sein, denn ich kann nicht denken, daß es Wahrheit sein könnte.
Mein Bruder, sagte Marie freudig, die Hände des Arbeiters fassend; mein lieber, guter Jakob, hier ist mein Mann, ich bin verheirathet, Gustav –
Sie wendete sich mit Lebendigkeit zu Randau und verstummte vor seinem drohenden, starren Blick.
In dem großen Raume brannte nur ein Licht, das seinen ungewissen Schein über diese Gruppe warf. Im Nebensaale polterten und lärmten die Kameraden des Tapeziers, unbekümmert um das, was sich in ihrer Nähe zutrug, und zwischen den Gesellschaftszimmern und diesem öden Raume lag eine ganze Reihe stiller dunkler Gemächer.
Aurelie schien zuerst einen Entschluß zu fassen.
Es ist also wirklich Dein Bruder, liebe Marie? fragte sie.
Mein Bruder Jakob, erwiderte diese. O! er war immer brav und ich liebte ihn sehr.
So ist es gut, daß wir allein sind, fuhr Aurelie beruhigend fort. Der junge Mann wird über dies zufällige Zusammentreffen gewiß schweigen, und morgen lassen sich ohne Zweifel Mittel und Wege finden, um diese Familienangelegenheit zur allseitigen Zufriedenheit auszugleichen. Ist es nicht so am besten, Gustav?
Morgen, ja, erwiderte dieser noch immer verwirrt und mit abstoßender Heftigkeit. Ich werde zu ihm schicken, wir wollen sehen, doch heut – es ist am besten wir verlassen diesen Ort.
Er nahm Mariens Hand und als wollte er sie von dem Gegenstande seines Abscheu's für immer trennen, trat er mit verletzendem Stolz zwischen sie und den Arbeiter.
O! Gustav, sagte die zagende, junge Frau schmerzlich, Du thust mir weh. Gute Nacht, Jakob, morgen –
Sie wagte es nicht zu vollenden, was sie sagen wollte und sie konnte auch nicht, denn plötzlich schien der Hochmuth, welcher Randau ergriffen hatte, auf den armen Bruder überzugehen. Er trat einen halben Schritt näher an den vornehmen Mann, der seine Schwester fortführte. Der Schimmer des Lichts fiel auf seine trotzige Stirn und zeigte seine zürnenden Augen.
Halt! sagte er, indem er Randau's Arm berührte, einen Augenblick halt, mein Herr. Wer Sie auch sein mögen; haben Sie Marien geheirathet, so ist es kein gutes Zeugniß für das Glück und die Zukunft meiner Schwester, daß Sie mich mit Schaam von sich stoßen. Gerade so kann es Marien auch gehen, wenn Sie finden werden, daß der reiche Herr sich schämen muß, ein Mädchen aus dem Volk genommen zu haben. Sein Sie ohne Sorge, ich werde schweigen und Sie niemals belästigen, denn ich kann arbeiten. Du aber, Schwester, wenn's Unglück über Dich kommt, dann rufe Deinen Bruder Jakob, der bleibt Dir treu in jeder Noth.
Er drehte sich um, nahm seine Arbeit von der Erde auf und setzte sich das Licht zurecht. Randau erwiderte kein Wort. Aurelie führte ihn hinaus, Marie folgte mit dem Professor, und während die Baronin leise ihrem Cousin versicherte, sie sei überzeugt, Niemand werde ein Wort von dem was vorgefallen erfahren, Alles aber sei mit Klugheit und Geld rasch abzuthun, drückte Sydow den Arm der traurigen jungen Frau und sagte in seiner Weise:
Aufgepaßt, liebes Kind, nicht geweint und geklagt, sondern Kopf in die Höh'. Laß den Hochmuthsteufel nur sein Spiel treiben, zuletzt kommt die Beschwörung von selbst und das Tüchtige arbeitet sich durch.
Aurelie schien dafür sorgen zu wollen, den geheimen Kummer ihrer Gäste zu zerstreuen. Den ganzen Abend über beschäftigte sie sich fast ausschließlich mit Randau, und wußte die Unterhaltung so lebendig und wechselnd zu gestalten, daß wenig Zwang dazu gehörte, die innere Erregtheit hinter dem Anschein einer äußern Glätte gesellschaftlicher Theilnahme zu verstecken.
Als Randau in seine Wohnung zurückkehrte, hatte er seine Entschlüsse gefaßt und war völlig beruhigt. Er hatte den Professor gebeten, ihn zu begleiten, um, da es noch nicht so spät sei, ein Stündchen mit ihm zu plaudern. Von Marien sich trennend, hatte er sie zärtlich geküßt und ihr süße Worte zugeflüstert, daß sie ruhig schlafen und träumen möge.
Der Professor setzte sich dann in dem Zimmer seines Schülers und Freundes zurecht, brannte eine Zigarre an, lehnte sich in die Kissen des Sophas und verfolgte mit halbgeschlossenen Augen die heftigen Schritte, mit welchen Randau auf und ab ging, die Arme gekreuzt und den Kopf tief niedergesenkt.
Endlich sah der Professor nach der Uhr, ließ sie repetiren, indem er sie an ein Glas hielt, daß die Schläge hell klangen und sagte dann:
In einer halben Stunde geh ich nach Haus. Was Du mir zu sagen hast, wäre gut, wenn es bald gesagt würde.
Was ich Ihnen sagen kann, mein väterlicher Freund, erwiderte Randau, haben Sie längst errathen.
Die dumme Geschichte mit dem plötzlich aufgetauchten Schwager, sagte der Professor, ja das ist der Fluch der bösen Thaten unserer Zeit, die alle Ehrfurcht und alle Scheu aus den Herzen ausgerissen hat. Im vorigen Jahrhundert machte wohl auch dann und wann ein vornehmer Mann einen dummen Streich, wie man es nannte, und der Liebesgott ging mit allen Grundsätzen nobler Gesinnung davon; ja es hat Könige und Fürsten gegeben, die arme Baderstöchter und dergleichen heiratheten, was auch nicht viel was Besseres ist, als eine Küstertochter, aber die Sippschaft wagte darum nicht sich hochmüthig vorzudrängen, sie nahm demuthsvoll mit den zugeworfenen Brocken vorlieb.
Ich bin nicht hochmüthig, erwiderte Randau, ich habe es bewiesen.
Richtig, sagte der alte Herr, aber wer kann auch so etwas erwarten? Fällt da plötzlich so ein Schwager vom Himmel und was für ein Schwager?! Ein Kerl, der in dem Heidenneste Paris gesteckt hat, unter Communisten und Sozialisten, mitten unter den gräulichen Lehren von Volksgleichheit, von gleichen Ansprüchen aller Menschen an den Gütern dieser Erde, von Arbeiterassociationen und Coalitionen, von Gedanken über Organisation der Arbeit, Gedanken über gleiches Recht aller Wesen am Glück, kurz mitten in den Grundsätzen, die ich häufig genug gehört in früherer Zeit sowohl, wie zuweilen noch jetzt.
Von mir, rief der junge Mann erröthend, es ist wahr, aber nennen Sie es Lüge, Täuschung, Vorurtheil, ich kann nicht anders. Es ist mir ein unerträglicher Gedanke –
Diesem Menschen in der leinenen Schürze die grobe Hand zu drücken, lachte der Professor, ich glaub' es wohl; es ist keine Kleinigkeit und gegen alle Sitte und Gebrauch.
Verspotten Sie mich, ja, verlachen Sie mich, fuhr Randau erregter fort, ich verdiene es vielleicht. Gott ist mein Zeuge, ich liebe Marien und werde sie immer lieben, aber es giebt eine Grenze, die man nicht ungestraft überschreiten darf; und ich – ich! –
Er vollendete nicht, was er sagen wollte, aber er faßte Sydow's beide Hände und sagte dringend:
Helfen Sie mir. Er soll fort, er soll nach Paris, wohin er will; ich werde Geld geben, so viel er fordert, aber er soll morgen fort; schnell und für immer.
Sachte, lieber Freund, versetzte der alte Herr, Dein Geld hilft hier nichts, denn ich sage Dir, es ist mit dem trotzigen Burschen nichts anzufangen. Alles was Du mir jetzt vertraust, habe ich mir selbst gedacht, und wie ihr vergnügt zusammen waret, schlich ich mich leise wieder in den Theatersaal und tippte den Jakob an. Element! was ist das für ein Starrkopf. Ich machte ihm die Sache süß wie Zuckerbrei, zeigte ihm Deine Großmuth und volle Börse im schönsten Lichte, es rührte ihn aber nicht im Geringsten. Hier will ich bleiben, sagte er, und nichts soll mich forttreiben, denn ich muß wissen, was aus meiner Schwester wird. Mein kleines Erspartes reicht hin mich hier niederzulassen; auch habe ich eine Braut, ein liebes gutes Kind, mit einigem Vermögen, die kommt und ich heirathe sie nächstens; das Uebrige wird unser Fleiß fügen und das Glück.
Was ist nun zu thun? fragte Randau heftig.
Ich weiß es nicht, versetzte der alte Herr. Das Einzige wäre, Du sprächst selbst mit ihm. Es ist nicht zu läugnen, fuhr er dann nach einer langen Pause fort, dieser junge Mensch hat etwas, was Achtung abnöthigen kann. Er hat die Energie eines muthigen Mannes, der sein Herz unter dem groben Hemd stolz schlagen fühlt. Er ist ein Narr, das ist wahr; er könnte Dein Geld nehmen und verschwinden; denn das sogenannte Glück der Erde wohnt überall, aber er ist fanatisch genug, das nicht zu wollen. Du hättest hören sollen, wie er sagte: Ich will nicht! aber er kann sicher sein, ich werde mich ihm nie aufdrängen. Wenn Dir das genügt, so laß ihn laufen; ich glaube wahrhaftig, der Kerl hält Wort und verhungert lieber, ehe er ein Almosen nimmt.
Randau ging mit düstern Mienen auf und ab, dann schlug er beide Hände vor seine Stirn, die sich röthete.
Endlich sagte er:
So will ich fort, sobald als möglich, weit, versteckt – ich muß mich verstecken.
Als ob Du das Licht zu scheuen hättest, versetzte der alte Herr. Nur der wagt sein Auge nicht zu erheben und muß die Menschen fliehen, den das Gewissen drückt.
Hören Sie mich an, erwiderte Gustav, indem er sich in einen Stuhl warf, und einen scheuen Blick durch das Zimmer schickte, ja, mein Gewissen, meine Ruhe, machen es mir zur Pflicht. Ich war glücklich; wäre ich nie hierher zurückgekehrt, ich wäre es noch. Marie ist ein Engel an Liebe, ihr Herz ein Juwel, der mir ganz gehört. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie oft ich Betrachtungen und Vergleiche anstellte, und wie ich mich selig pries. Eines Tages aber – eines Abends – Aurelie sang und ihr Blick ruhte auf mir, dieser Blick hatte etwas Bezauberndes. In irgend einem finstern Winkel meines Kopfes sprang ein Gespenst auf und glitt durch meine Adern. Ein Schauer lief über mich hin, ein Gedanke, heiß und glühend, jagte durch mein Gehirn und zerstach es. Ich wollte ihn ausreißen und vermochte es nicht; eine schreckliche Macht, der ich nicht mehr entrinnen konnte, zwang mich immer wieder in jene Augen zu sehen, und was ich darin las, brannte, wie Feuer in mein Herz. Ich mußte etwas denken, was ich nicht wollte; ich mußte Vergleiche ziehen, vor denen ich zitterte. Ich mußte mich darin versenken, von einem Glück träumen, das ich von mir gestoßen, und so träufelte ein Tropfen schwarzer Reue nach dem andern giftig in meine Brust. Verstehen Sie das, verstehen Sie mich ganz, mein Freund?
Der alte Herr richtete die funkelnden großen Gläser seiner Brille auf den Verstummenden.
Nur zu gut verstehe ich Dich, sagte er dann. Das ist es also? Armes Kind, ich habe es wohl gefürchtet. Die Sünde hast Du in Deiner Brust aufgeweckt oder vielmehr: Die hat sie aufgeweckt, welche von jeher wußte, daß in ihren schwarzen Augen ein Klapperschlangenzauber ruht.
Sie sind ungerecht, erwiderte Randau. Aurelie trägt nicht die geringste Schuld. An diesen elenden Menschen gefesselt, der ihrer so wenig würdig ist, wird mit jedem Tage die Gewißheit ihres Unglück lebendiger hervortreten. Diese Empfindung liegt in ihren Blicken; ich habe sie verstanden, es ist meine Schuld, ich habe sie dahin gebracht. O! wenn Sie wüßten, wie tief verständig sie ist, und wie sehr sie mich gerührt hat mit ihren Bitten für Marie und ihrer zarten Sorge für Erhaltung unseres Glücks; wenn Sie das Alles wüßten!
Der Professor stand auf und sagte:
Bis morgen wollen wir es bedenken, aber schon heut steht es fest, daß Du Recht hast, wenn Du fort willst und fort mußt, je eher je lieber. Mag der Jakob bleiben oder nicht bleiben, es ist gleichgültig. So groß und so nahe habe ich die Gefahr nicht vermuthet, und so schwach einen Mann nicht geglaubt, den ich für eine Art Auserwählten hielt. Es ist aber alles eitel Bruch- und Flickwerk an dem ganzen Menschenplunder. Du wache und sei standhaft, sonst hält Dich der böse Feind beim Haar fest, und wen er da hat, der ist nach alter und neuer Sage ganz und gar verloren.
Es gingen einige Tage vorüber, in denen sich nichts änderte. Die demüthige Marie wagte es nicht, von ihrem Bruder zu sprechen, und Randau schien sich vorgenommen zu haben, durch so viel Güte und Liebe, wie er immer für sie sammeln konnte, ihr sein Schweigen darüber zu vergüten. Zuweilen nur verfiel er in Traurigkeit und eine heftige Unruhe trieb ihn umher, aus der er sich gewaltsam zu befreien suchte. Aurelie kam nicht, doch sie schrieb, daß sie unwohl sei, und bat um Besuch, einen Wunsch, den Marie erfüllte, aber entsetzt zurückkam, denn sie war Zeuge eines sehr traurigen und ernsten Vorfalls gewesen.
Als sie das Zimmer Aureliens kaum betreten hatte, erschien die Präsidentin, in der Hand mehrere Papiere, welche sie mit vieler Heftigkeit zusammengedrückt auf den Tisch warf, und ohne Mariens Gegenwart zu beachten im größten Zorne sagte:
Ich will fort aus diesem Hause. Was man auch sagen mag, ich will fort von hier, denn in Sodom und Gomorra konnte es nicht ärger hergehen.
Liebe Mama, sagte die Tochter, was hat man Dir wieder gethan?
O! spotte nur, rief die alte Dame. Es soll Alles vergolten werden, so steht es geschrieben. Hier lies diese Papiere und dann spotte weiter.
Was enthalten denn diese wichtigen Schriften? fragte Aurelie ruhig.
Was sie enthalten? Schulden! Es sind unbezahlte Rechnungen; Briefe von Leuten, die sich an mich wenden; sogar ein Schneider ist dabei, der eine Landstands-Uniform bezahlt haben will; und wie Polenz lebt, wie Du lebst, jeder in den Tag hinein, jeder nur gierig nach der Lust, der Eine sündiger wie der Andere; ich kann und will es nicht länger dulden.
Liebe Mama, versetzte Aurelie, bedenke wenigstens, daß hier in meiner Wohnung noch eine dritte Person zugegen ist, der wir Achtung schuldig sind.
Ah, sagte die Präsidentin mit einer spöttischen tiefen Verbeugung, unsere gnädige Cousine aus Erfurt. Ja, allerdings, das hätte ich beinahe vergessen. Das Eine paßt zum Zweiten; die Sünde zur Schlechtigkeit, das Laster zur Schande. Geht ihr nur hin, der Tag der Abrechnung wird schon kommen. Lüge und Leichtsinn werden ihren Lohn erhalten.
Um Gotteswillen, rief Marie erblassend, was habe ich Ihnen gethan.
Mamsell oder Madame, erwiderte die alte Dame, merken Sie sich, aller Betrug dauert nur kurze Zeit, und wer sich in eine Gesellschaft drängt, wohin er nicht gehört, wer sich anmaßt, was ihm nicht gebührt, wer herein kömmt und hat kein hochzeitlich Kleid an, der soll in die Finsterniß geworfen werden, da wird sein Heulen und Zähnklappen. So kann es Ihnen auch gehen, wenn etwa Ihr Herr Gemahl von seiner Tollheit aufwacht.
Aurelie hatte diese dornige Rede nicht gehindert; erst als Marie zitternd mit todtenbleichem Gesicht und schwankend einige Schritte nach der Thür that, eilte sie ihr nach und schloß sie beruhigend lächelnd in ihre Arme.
Du sollst nicht gehen, sagte sie, Du darfst mich nicht verlassen. Die Schmähungen werden uns gemeinsam zugetheilt; ich bitte Dich, mir zur Liebe, sie anzuhören und Dich nicht zu kränken.
Der Zorn der Präsidentin wuchs durch diese Nichtachtung, er ward jedoch zum höchsten Grad angefacht, als jetzt plötzlich Polenz in's Zimmer trat, der in der glücklichsten Laune zu sein schien. Er tanzte gleichsam durch die Thür, und breitete die Arme gegen Aurelien aus, indem er aus einer Opernarie einige zärtliche Worte sang. Als er die Präsidentin erblickte, ließ er die Arme zwar sinken und versuchte ein ernsthaftes Gesicht zu machen; allein es glückte ihm schlecht. Er war in zu lustiger Gesellschaft gewesen; der Champagner glühte in ihm; der Zwang kam ihm unerträglich vor. Er faßte daher die Hand seiner Schwiegermutter und sagte mit der größten Freundlichkeit:
Theuerste Mama, Sie sehen entsetzlich angegriffen aus. Das sind die Folgen der strengen Andacht, gegen welche man sehr auf seiner Huth sein muß.
Sie – Sie! rief die Dame. O! warum bin ich nicht mehr auf meiner Huth gewesen. Lesen Sie das da! –
Sie reichte ihm die Papiere, welche Polenz mit größter Seelenruhe las, zusammenfaltete und einsteckte.
Es sind Rechnungen, allerdings unbezahlte, sagte er, aber sie sollen bezahlt werden, die Esel. Was ist da weiter, theure Mama? Auf Cavalier-Parole! ich sehe nichts dabei. Schulden, nun ja, ich habe Schulden, allein wir haben ja Vermögen.
Er neigte sein weinerhitztes Gesicht zu der Präsidentin und lachte ausgelassen.
Verzeihung, rief er, ich bin mit einem paar alter Kameraden zusammen gewesen, und teufelmäßig lustig ist es zugegangen. Was soll auch das Betschwesterwesen? Man hat mich genug damit gehänselt. Das Leben muß man genießen, der Wein muß goldig fließen. Es lebe die Liebe, es lebe der Wein!
Ungeheuer! rief die Präsidentin außer sich. Ein Trunkenbold, ein Heuchler – o, mein Gott!
Sie sank in den Stuhl zurück und ihre ausgestreckte Hand fiel langsam nieder, ihre Lippen bewegten sich, aber nur unverständliche Laute drangen hervor. Aurelie flog mit einem Schrei des Schreckens zur Hülfe. Ein Arzt wurde gerufen, er erklärte die Erkrankung für einen Schlaganfall, verordnete Aderlaß und Ruhe, und machte ein bedenkliches Gesicht.
Mit diesen Nachrichten war Marie nach Haus gekehrt. Sie hatte in der Theilnahme für das Unglück der Präsidentin ihren Schmerz über die eigenen Kränkungen vergessen, und rechnete diese fast ganz der krankhaften Gemüthsstimmung der Präsidentin zu, aber es war ihr unmöglich, ihrem Manne die Anschuldigungen zu wiederholen, welche sie erfahren hatte.
Es lag zum ersten Male eine Entfremdung zwischen ihr und dem Geliebten, zum ersten Male fiel ein finsterer Schatten auf ihre Seele, die betäubt und ängstlich auf Versöhnung hoffte. Sie dachte darüber nach und stand an einer Kluft, aus der ein kalter Hauch sie schaudernd berührte; denn getragen von ihrer Liebe und deren gläubiger Kraft war es ihr nie eingefallen, daß die Welt, in welche sie Randau geführt, etwas anders sein könne, als eine Vervollkommnung ihres Glücks, das ihr ein großes Loos zugeworfen. Sie hatte sich fremd, schüchtern, unheimlich in den neuen Verhältnissen gefühlt, aber durch Lehre und Beispiel das Peinliche darin überwunden.
Jetzt dachte sie darüber nach, was Randau bewogen hatte, ihre Abkunft zu verheimlichen; sie fügte seine harte Abweisung ihres armen Bruders hinzu, dann die giftigen Worte der Präsidentin und eine schreckliche Ahndung ihrer Verachtung glitt durch sie hin; jener Verachtung, die seit den Zeiten des Paradieses den Herrn vom Knecht, den Braminen vom Paria schied.
In tiefen Gedanken saß sie allein, als ein Mann unter dem Fenster still stand, der zu ihr empor blickend langsam seinen Hut zog. Sie sah herab, es war ihr Bruder Jakob. Ihr Herz schlug laut. Sie fühlte eine jähe Angst; Furcht und Schrecken kämpften mit den heiligen Rechten der Natur, dann aber winkte sie ihm zu und eilte selbst hinaus, um ihn an der äußern Thür zu empfangen. Mit zitternder Hand zog sie den Widerstrebenden in ein kleines Vorzimmer, und sah bittend in sein ernsthaftes, finster blickendes Auge.
Schwester Marie, sagte der junge Arbeiter. Verzeihe mir; ich konnt's jedoch nicht lassen, einmal mußte ich Dich sehen und sprechen.
Ach, Jakob, erwiderte sie freudig, wie herzlich habe ich mich danach gesehnt. Aber sprich leise, man könnte uns hören.
Man könnte uns hören, versetzte Jakob, indem er den Hut in seiner Hand um die gebrochenen Krempen drehte, und man darf mich nicht hören.
Sie hielt seine Hand fest, die er zurückziehen wollte, plötzlich schlang sie beide Arme um seinen Hals und küßte ihn unter Thränen.
Mein lieber, lieber Jakob! rief sie, sieh nicht so finster vor Dich hin, ich habe Dich ja so lieb.
Der Arbeiter hatte den Hut fallen lassen und hielt die Schwester in seinen Armen. Sein Gesicht hatte sich verklärt, seine Augen leuchteten, wie Sterne, darin.
Hast Du mich denn wirklich noch lieb, meine kleine Marie, sprach er bewegt. Gott lohne es Dir in Ewigkeit! Es thut gar zu wehe, wenn man denken soll, der Hochmuth kann Schwester und Bruder trennen.
O! sprich nicht so, denke nicht so von mir, rief Marie.
Aber er, Dein Mann, fragte Jakob langsam. Bist Du glücklich, Marie?
Sehr glücklich, unaussprechlich glücklich, erwiderte sie, während ein helles Roth über ihr Gesicht lief, denn das bange Klopfen ihres Herzens mahnte furchtsam an Alles, was sie in den letzten Stunden gedacht und erlebt.
Die Geschwister überließen sich nun in einem langen Gespräch einen Austausch ihrer Schicksale, das endlich aus der Vergangenheit zur Gegenwart und Zukunft überging, und eben hatte der junge Mann seiner Schwester erklärt, daß es seine Absicht sei, sich in der Residenz ansässig zu machen, weil er sich tüchtig fühle, in seinem Geschäft gut zu bestehen und keinem zu weichen, als im Nebenzimmer sich Randau's fester Schritt hören ließ.
Es ist mein Mann, sagte Marie bebend und hastig aufstehend. Lebe wohl! Jakob. Dort hinaus, die Thür nach dem Flur. Lebe wohl.
Sie wollte ihn verlassen.
Nein, Schwester, erwiderte der Arbeiter mit lauter Stimme, ich will nicht wie ein Dieb fortschleichen, wo ich ein Recht habe frei und offen zu handeln.
In dem Augenblick öffnete Randau die Thür. Jakob hielt seine Schwester an der Hand und machte eine anstandsvolle Verbeugung, dann hob er furchtlos seine Stirn auf und sah den Mann, der sich seiner so tief geschämt, fest und fragend an.
Randau war überrascht, aber die finstere Falte verschwand sogleich und mit einer Art freundlicher Herablassung reichte er Jakob die Hand.
Es ist mir lieb, sagte er, Sie hier zu finden, denn schon wollte ich selbst Sie aufsuchen, um mit Ihnen aufrichtig über unsere Verhältnisse zu sprechen, die, wie ich wünsche, sich zum Besten zwischen uns ordnen und gestalten sollen.
Er küßte Marien, welche sich dankbar an ihn schmiegte, streichelte ihr Haar, that ein paar zärtliche, scherzende Fragen und setzte sich dann in einen Lehnstuhl, die junge Frau auf sein Knie ziehend, während er ihren Bruder einlud, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
Nach Manchem fragend und das Gespräch über viele Dinge leicht fortleitend, kam Randau endlich auf das Wesentliche; allein alle seine freundlichen Anforderungen und Anerbietungen, dem jungen Handwerker es angenehm zu machen, einen andern Ort für Begründung seines bürgerlichen Wohls zu suchen, blieben ohne Erfolg. Man merkte es wohl, daß die Gereiztheit über diese Weigerung sich in Randau's Antworten mischte, doch wußte er das ruhige Aeußere zu bewahren.
Es thut mir leid, sagte er endlich kalt, so wenig Uebereinstimmung bei uns zu finden, denn was ich Ihnen vorgeschlagen, dünkt mich für uns Beide das Vernünftigste und Beste. Ich bin nicht stolz, nicht von Anmaßungen befangen, ich denke, daß ich das bewiesen habe; allein ich überlasse es Ihnen, zu beurtheilen, ob nicht in unserer Zeit doch zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft eine Grenze liegt, die wir beachten müssen, weil sie mit Sitten, Gewohnheiten und Gesetzen nicht allein, sondern tiefer liegend mit allen Lebensverhältnissen, mit Bildungszuständen, mit der ganzen geistigen Verkettung der Menschen eng zusammenhängt.
Ich verstehe, sagte der Handwerker gelassen. Es kann keine Gemeinschaft zwischen uns sein, denn meine Hände, mein grober Rock sowohl, wie meine Sprache und mein Umgang sind dagegen.
Behüte mich Gott, daß ich das verachte! fiel Randau ein. Das Ehrenwerthe, wo es sein mag, soll nicht von mir verkannt werden, und doch, so fatal es klingen mag, doch kann sich nur das Passende zusammenfinden.
Sie haben Recht, versetzte Jakob, indem er aufstand und sein großes klares Auge mit Ueberlegenheit auf den unmuthigen Schwager richtete, das Passende sollte sich stets zusammenfinden. Sie jedoch haben das nicht bedacht, und ich will nicht darunter leiden. Lassen Sie mich meinen Weg gehen und gehen Sie den Ihren; hier haben Sie die Hand eines Arbeiters darauf, wir werden uns nicht begegnen, so lange – er wandte den Blick auf seine Schwester – es nicht nöthig ist.
Randau schlug ein und Beide betrachteten sich einen Augenblick mit freundschaftlicher Empfindung.
Sie sind ein wackerer Mann, sagte Randau, und in allen Fällen, wo Sie Hülfe brauchen, wird diese Ihnen nie fehlen.
So schließen wir einen gegenseitigen Vertrag, erwiderte Jakob lächelnd. Kann ich helfen, wo und wie es sei, soll's redlich geschehen. Keine Mühe wird mir zu groß, kein Weg zu weit und keine Arbeit zu schwer sein. Gottes Segen mit Dir, Schwester Marie.
Er reichte ihr die Hand und küßte die Thränen von ihrem Gesicht, welche leise daran niederflossen. Marie flüsterte ihm ein leises Lebewohl zu; als er aber hinaus war, sagte sie erregt:
Ist es nicht ein tüchtiger Mann, besser, verständiger als viele? O, Gustav! es verwirrt sich in meinem Kopfe, ich werde irre an Manchem was ich erlebt habe.
Nur nicht irre an mir, erwiderte er lächelnd, indem er sie in seine Arme zog. Laß uns diesem wüsten engen Treiben entfliehen, meine geliebte Marie. Der Frühling erwacht, wir wollen zu ihm hinaus. Laß uns sehen wie er den alten Winter besiegt, neuer Lebensmuth wird in unsere Herzen dringen.
So geschah es, daß eine Woche später Randau mit seiner Gattin auf sein Gut reiste, das acht Meilen von der Hauptstadt, mitten in Waldgehegen und zwischen seeumspülten Hügeln lag.
Die Präsidentin war noch immer schwer erkrankt. Trauer und Mißbehagen wohnten in dem großen geschmückten Hause, dessen Bewohner ganz ohne Kenntniß blieben, daß Randau die Residenz verlassen hatte, bis eine formenvolle Abschiedskarte sie damit bekannt machte.
Ich will von ihnen für immer scheiden, für immer diesen Umgang abbrechen, sagte Randau zu sich selbst, als er im Wagen saß und froher athmete, als das neu grünende Land sich aufthat, von dem die Märzsonne den letzten Schnee schmolz.
Am Abend war das Herrenhaus erreicht. Es war wohnlich eingerichtet, und obwohl der Raum nicht groß, das Gut selbst nicht bedeutend war, so bot es doch alle Annehmlichkeiten, die ein einsamer, von der Natur begünstigter, und von Kunst und Geschmack verschönter ländlicher Besitz bieten kann. Ein Instrument, eine kleine Bibliothek und mancherlei zierlicher Schmuck der Zimmer und Schränke beschäftigte mit Aufstellen und Ordnen die ersten Tage. Es gab zu berathen, zu überlegen, zu verändern, und in heiterer Geschäftigkeit flog die junge Frau nach allen Orten, Treppe auf, Treppe ab. Ihre helle Stimme klang durch das Haus, lange war sie nicht so unbefangen glücklich gewesen. Dann wurde der Garten untersucht, der Verwilderung entgegen gewirkt, zu Blumenpflanzungen und edlem Obstbau neue Einrichtungen getroffen. Randau entwarf Zeichnungen zu einem neuen Gewächshause, während es draußen heftig regnete und Marie über seine Schulter da und dort auf die Blätter tippte und Verbesserungen machte.
Abends standen die Dienstleute horchend unter den Fenstern, denn innen klangen Lieder und schöne Melodien, und leise bewunderten die friedlichen einfältigen Menschen, was so ein hochgebornes, besseres Wesen alles lernen und treiben könne; leise sprachen sie auch davon, wie schön, wie gut und lieb die Dame sei, und wie ernst, und doch freundlich und verständig, der junge Gutsherr.
Zuweilen kam Besuch. Der alte Pfarrer fand sich ein. Sonntags war er ein gewisser Gast; der rüstige Verwalter trat dann einer Whistparthie bei, und wenn die Sonne heiter schien, pilgerte Marie in's Dorf hinab, wo bald alle Kinder sie kannten, die Eltern mit milden Worten sie begrüßten, ihr dankbar nachblickten und sich davon erzählten, wie doch gar kein Stolz in der schönen gnädigen Frau zu finden wäre. Hätten sie gewußt, daß eines armen Küsters Tochter ihnen so lächelnd zunickte, ihre Kinder liebkoste und sie beschenkte, o! sie würden kaum weniger üble Urtheile gefällt haben, als die Leute in der Stadt.
Je weiter der Frühling vorrückte, um so mehr dehnten sich die Spaziergänge aus. Aus dem Garten in den Park, aus dem Park in den Wald, wo in hohen glänzenden Buchenkronen die Finken schlugen, wo Käfer summten und Schmetterlinge, und am Fuße der Hügel blaue Seewellen die Schilfwälder bogen, über welche Kibitze und Rohrsperlinge mit lustigem Geschrei flatterten.
Die Blüthen brachen auf und das junge Geblätter, Nachtigallen schlugen im Hollunder, der jährliche Wonnetraum der Natur kam und verrann; er weckte Leben und Liebe überall und richtete betrübte Herzen hoffnungsvoll wieder auf. Marie war noch glücklicher, liebender und sehnsüchtiger nach Glück und Liebe. Ihr Gedanke war Er, für den sie lebte. Immer sann sie darauf, wie sie ihm gefallen möchte, wie sie seinen Beifall erringen könnte.
War er fern, so ging sie ihm entgegen und erwartete ihn an irgend einer Stelle versteckt, wo er es nicht vermuthete; kam er nicht, so faßte sie eine Angst um ihn, die nicht eher verschwand, bis sie ihn wieder sah. Ein Schleier um seine klaren Augen, eine kleine Wolke auf seiner Stirn, ein einziger ernster Blick setzte sie in Schrecken. Sie durchforschte jeden kleinen Zug in seinem Gesicht, sie hatte es studirt, es entging ihr nichts; sie erkannte jede Stimmung und Regung, die ihn bewegte.
Zuweilen wurde diese ängstliche Sorge Randau unbequem, und einige Male wies er kurz Mariens theilnehmende Fragen und Bitten zurück; aber bald ergriffen von ihrer stillen Trauer, geschah es nur, um inniger zu empfinden, daß er mit überschwenglicher Liebe geliebt sei. Und doch lagerten sich zuweilen Schatten auf seinem Herzen, eine Unruhe, ein Unmuth, eine zehrende Glut, die er vergebens zu verbergen strebte.
Randau war ein Landmann geworden. Er nahm sich der Aufsicht des Gutes und dessen Verbesserungen lebhaft an, doch diese Thätigkeit genügte ihm nicht. Nachdem die Zeit vorüber gegangen, wo ihm die Beschäftigung neu war, empfand er eine Leere, die niederdrückend auf ihn wirkte. Einsam schweifte er, das Gewehr in der Hand, durch die Waldgehege und sah vom Saume derselben auf die Felder nieder, wo die Saaten reiften.
Zuweilen, wenn er zurückkehrte, hörte er dann Mariens Stimme im Park. Sie suchte ihn. Er hörte sie das schöne Lied Hoffmanns von Fallersleben singen, sein Lieblingslied: »Und auch sogar die Eichen und Reben werden grün. O Herz, das sei dein Zeichen, o, Herz, sei stolz und kühn!« – aber sein Herz schlug muthlos, ein sonderbares Gefühl, das Widerstreben gegen jedes Begegnen ergriff ihn, und er kehrte um, sie fand ihn nicht.
Aus der Hauptstadt hatte Randau zeither wenige Nachrichten erhalten; denn seine Verbindungen waren im Grunde gering, und Sydow, fast der Einzige, der dann und wann Briefe sandte, ließ doch niemals eine Nachricht über das einfließen, was er am liebsten gehört hätte und nach dem zu fragen er sich doch scheute.
So gingen Wochen und Monate hin. Der Hochsommer kam heran, die Felder wurden leer und die wechselnden Gemüthsstimmungen des jungen Gutsherrn traten greller, als je, hervor. Bald war er mild und weich und lebte einen schönen Tag voll Zufriedenheit und Liebe, allein der nächste schon warf ihn in ein schwermüthiges Verstummen, das er dann gewöhnlich mit körperlichem Unbehagen zu verdecken strebte.
Marie litt in diesem oft jähen Umschlagen die Angst und Freude eines Wesens, das in den Wogen eines unendlichen Meeres bei jeder nahenden Welle Todesfurcht, bei jedem Sonnenblick neue Lebenshoffnungen empfindet. Sie war so abhängig, so furchtsam, so dienstfertig lachend und ernsthaft, wie ein Kind, und ertrug die Tyrannei der Launen eines unzufriedenen Gebieters, wie eine Sklavin, welche knieend um Gunst ringt. Sie wußte nicht, daß einem stolzen Willen gegenüber, man nicht ungestraft keinen Willen haben darf.
Eines Abends war Randau weit durch den Forst gegangen, wo dieser von den letzten Hügeln in fremde Feldmarken abfiel, und eine Ebene besetzt mit Dörfern und Menschenwohnungen, bis an den Rand des Gesichtskreises, hinlief. Er setzte sich unter eine mächtige Buche und blickte lange nach einer goldig funkelnden Thurmspitze, die in weitester Ferne im Schimmer der scheidenden Sonne sichtbar ward.
Endlich zog er ein kleines Fernrohr aus der Tasche und nun traten die weißleuchtenden Mauern eines großen Gebäudes näher, das auf einem grünen Abhange gebaut war. Er sah die Fensterreihen, das schwarze Dach von Schiefer, den Balkon in der Mitte, dessen Flügelthüren geöffnet waren. Lange und oftmals sah er hin und schien sich zu bemühen, mehr zu erkennen, bis er zuletzt das Glas in das Gras warf, und, die Arme kreuzend, mit einem tiefen Seufzer den Kopf senkte.
Plötzlich hörte er den Gallop eines Pferdes. Im Hohlwege zu seinen Füßen zwischen den Haselnutzbüschen flatterte ein Schleier; eine Dame auf großem, schwarzem Roß sprengte kühn und leicht hervor. Ihr schwarzes Reitkleid, der schwarze Hut, unter dem hervor dunkle, windbewegte Locken flatterten, Alles gab ihr das Ansehn einer Erscheinung, vor der er ein geheimnißvolles Grauen und doch ein sinnbetäubendes Entzücken empfand.
Einen Augenblick war er gelähmt unter dem Eindruck, dann sprang er auf. Ein Zweig brach, den er ergriffen hatte, und als er Aurelie rufen wollte, blickte sie auf und sah ihn oben an der Buche stehen.
Die Reiterin hob den Arm grüßend und winkend auf. Ihre Augen ruhten forschend auf ihm, die seinen durchirrten ihr blasses, von einem leichten, frischen Hauch belebtes Gesicht, das im dämmernden Schein des Abends einen Zug des Schmerzes und ein Lächeln gestillter Sehnsucht enthielt.
Gustav, rief sie hinauf, willkommen! Es ahnte mir, daß ich Dir begegnen würde. Seit drei Tagen wohne ich in Langenau. Ich hielt es nicht mehr aus, ich mußte Dich – Euch Alle sehen.
Ich komme zu Dir hinunter, erwiderte Randau, den jähen Abhang prüfend, wo es am leichtesten geschehen könnte.
Bleib! erwiderte sie, ein Abgrund trennt uns und noch fehlt die Brücke, welche Dich sicher zu mir bringt. O! mein Freund, vieles hat sich geändert, und was ist übrig geblieben? Allzuviel das der Aenderung bedarf.
Und was doch keines Menschen Macht zu ändern vermag, erwiderte Randau.
Alles, Alles kann eines Menschen fester Wille, antwortete Aurelie; nur die Schwächlinge fürchten sich und wissen nicht, was Wille heißt. Lebe wohl, Gustav. Komm zu mir, ich habe Dir vieles zu sagen. Drüben am See liegt meine Meierei. Ich bin morgen dort in der Frühe, wenn Du willst, kannst Du mich finden. Lebe wohl.
Sie winkte ihm den Abschiedsgruß und das edle Pferd flog mit seiner leichten Last davon. Bald sah der Nachschauende die schwebende Gestalt zwischen den Hebungen des Bodens versinken, bald wurde sie durch sonnige Luft getragen und hinter ihr schwamm der lange weiße Schleier, wie der gespenstische Silberstreif, weicher der Bahn des Kometen nachzieht.
Das ganze plötzliche Erscheinen der schwarzen Reiterin war so wunderbar, so schnell gekommen und verschwunden, daß es blitzartig wirkend in Randau's Kopf tausend wild zerknickte Gedanken, ein Chaos unermeßlicher wüster Qual, und jähe Schattenbilder eines neuen Paradieses hervorrief.
Er sah ihr nach, bis seine durstigen Augen sie verloren, und aus dem Duft des Abends, aus jenen weichen Nebellinien, die nach und nach alle Ferne zudeckten, glaubte er noch immer den Hufschlag und das Schnauben des Renners zu hören. Die blasse, hohe Stirn Aureliens war ihm zugewendet. Er sah zwei glänzende Augen, die immer heller, immer freudiger funkelten und alles Dunkel durchbrechend ihm entgegen zogen. Sterne der Nacht, glühende Welten des Himmels schienen sie ihm die Augen einer Gottheit zu sein, die mit irdisch sinnlichem Begehren ihn folterten. Als er endlich aus diesen Träumen sich aufrüttelte, seufzte er tief über die Wahrheit, welche strafend vor ihn hin trat.
Es war spät, als er endlich zurückkehrte, und Marie empfing ihn mit zaghafter Freude, hinter der sie ihren Kummer verbarg. Eintöniger war es noch nie in dem öden Hause gewesen. Die beiden Gatten saßen sich gegenüber ohne zu sprechen. Randau stützte den Kopf in seine Hand; er hatte nicht das Herz Marien freundlich anzublicken. Ein schuldiges Gefühl bedrängte ihn, aber er konnte und wollte ihr nichts davon gestehen. Es war ihm unmöglich von Aurelien und ihrem Begegnen ein Wort zu sprechen. Sinnend verglich er, was er besaß mit dem was er missen mußte. Wie anders, wenn die schöne, stolze Frau hier geboten hätte! Welch andres Leben dann, welche Lust, welcher Reiz! – Eine bittre, vernichtende Empfindung zuckte um seine Lippen, er ballte die Hand und griff in's Haar, daß es schmerzte.
O! Gustav, bat Marie leise, sage mir nur das Eine, sage mir, ob Du krank bist?
Krank? antwortete er im rauhen Tone, wie quälst Du mich wieder! Es ist nicht mehr zu ertragen. Krank! nun ja, mir ist nicht wohl. Aber ich bitte Dich, es bringt mich um, wenn ich jeden Tag diese Inquisition bestehen muß.
Sie wagte nicht weiter zu fragen, und eine Stunde verging nach der anderen, endlich erfolgte eine Art Aussöhnung. Randau nahm ihre Hand und küßte sie.
Laß uns Frieden schließen, sagte er, es thut mir weh, wenn ich Dich betrübt sehe. Ich weiß, wie lieb Du mich hast, doch mußt Du durch ängstliche Gebehrden und Worte nicht meine Mißstimmungen zu erhöhen suchen. Du kannst nicht denken, wie sehr mich das peinigt.
Ich möchte Dich so gern heiter und froh sehen, erwiderte sie leise, und weiß doch nicht, wie ich es anfangen soll.
Gutes Kind, sagte er, ich glaube Du läßt es am besten gehen, wie es geht. Die Schatten des Lebens ziehen vorüber. Es ist kein Tag ohne Wolken, man muß sie ausregnen und stürmen lassen, wenn die Sonne wiederkommen soll.
Eine unruhige und schlaflose Nacht ging vorüber, in welcher Randau Beschlüsse faßte, die er immer von neuem verwarf, und kämpfend mit geheimen Wünschen und Neigungen den Morgen hereinbrechen sah, ohne zu einem Siege gelangt zu sein. Der Schimmer des jungen Tages fiel auf das Gesicht seiner schlafenden Frau. Er konnte ihre freundlichen Züge erkennen, die zu lächeln schienen; ihr blondes, ringelndes Haar floß über die weißen Kissen, ihre Hände lagen still auf der Brust gefaltet, er hörte kein Athmen, er sah keine Bewegung, der tiefe Friede, welcher über der Schlafenden ausgebreitet lag, war ein Gottesfriede der Vollendung. –
Plötzlich faßte ihn ein entsetzlicher Gedanke. Es kam ihm vor, als sei sie gestorben, und eine schreckliche Angst trieb ihn auf; die wilden Schläge seines Herzens wollten seine Brust zersprengen. Zitternd beugte er sich über Mariens Bett und lauschte. Er wagte es nicht, sie zu berühren, aber wie er die Augen auf ihr Gesicht heftete, bewegten sich ihre geschlossenen Lippen und flüsterten seinen Namen.
Sie träumt von mir, sagte er gerührt, o! mein Gott, und ich – ich!
Er deckte die Hände vor die erhitzte Stirn. Leise verließ er das Zimmer und trat in den schönen, kühlen Morgen. –
Der Thau hing in Millionen funkelnden Tropfen an allen Blumen und Blättern, ein Strom kühler gewürziger Luft kam ihm entgegen und besänftigte seine Empfindungen, daß er, durch die Gänge weiter gehend, endlich sich einem ruhigen Nachdenken überließ.
Wohin, sagte er zu sich selbst, soll diese Zerfallenheit führen, die nicht allein mich mit ihren zerrüttenden Folgen bedroht, sondern ein zweites Wesen namenlos elend machen muß? Sagte sie nicht gestern, daß eine Kluft zwischen uns liege, über welche noch keine Brücke geworfen wäre? Diese Kluft zu füllen ist unmöglich! Warum also verderbliche, frevelhafte Versuche machen, warum sich dem Abgrunde nahen, der uns verschlingen muß?
Er ging weiter und weiter durch den Park in den Wald, bis er an derselben Stelle stand, wo ihm gestern Aurelie begegnet war. Noch lag der frisch gebrochene Zweig auf dem Sand, den der Huf ihres ungeduldigen Rosses aufgewühlt hatte. Träumerisch starrte er darauf hin. Das Gefühl banger Unruhe kehrte in seine Brust zurück. Er blickte über die Landschaft; da lag in der Ferne der Meierhof unter grünendem Gebüsch und vorwärts zog es ihn, und wieder zurück. Zweimal setzte er den Fuß auf den fremden Boden, ohne sich entschließen zu können, bis er zuletzt doch weiter ging, mit jeder Minute hastiger, als fliehe er vor einem unsichtbaren Verfolger.
Endlich schritt er auf schmalen Stegen über Moorgründe am Seeufer fort und sprang über den Graben, der die Gartengehege des Meierhofes einfriedigte. Sonnenschein lief über die Wiesen, auf denen bunte, große Kühe brüllend umher sprangen; ein Hirt blies den kunstlosen Reigen auf der Rohrschalmei und überall schwärmte die Thierwelt singend und brummend durch die üppigen grünen Felder.
Unter den hohen alten Bäumen in der Nähe des Hauses war es dagegen dunkel und stumm. Oben vergitterte sich das zahllose Geäst und streute kühlen Schatten und Ruhe über einen Raum, der völlig verlassen schien.
Zur Seite lag der Meierhof versteckt hinter Schwarztannen, die eine Mauer darum zu ziehen schienen, und langsam näherte sich Randau den Gebäuden, als er in einer Rotunde von Lindengebüsch Aurelien erblickte, die, als erwarte sie ihn, am Eingange stand.
Sie reichte ihm schweigend die Hand.
Du kommst früh, sagte sie, und doch habe ich schon nach Dir ausgesehen.
Ich komme, erwiderte er, weil es mir ist, als müßten wir so schnell als möglich uns zu verständigen suchen.
Aurelie blickte ihn fragend an. –
Meine Mutter ist todt, begann sie nach einem kurzen Schweigen, ich bin allein hier; Niemand wird uns stören.
Darum also dies schwarze Kleid? erwiderte Randau. Arme Aurelie!
Sie ist todt, wiederholte sie, indem sie mit dem Gast den Baumweg hinab ging, wohl ihr, sie hat viel gelitten. Seit jenem Tage, wo der Schlaganfall sie niederwarf, ist sie nicht wieder aufgestanden. Nun bin ich vereinsamt.
Du warst an ihrem Todtenbett?
Nein. O! Gustav, das ist eine lange, schmerzliche Geschichte. Sie wollte mich nicht sehen, wollte Niemanden sehen, und wenn Bernauer nicht gewesen wäre, hätte sie mich enterbt und ihr ganzes Vermögen frommen Stiftungen vermacht. Durch die Fürsorge dieses seltsamen Menschen bin ich den Verlusten entgangen, aber kann mich das trösten um Leiden, die ihre Spuren tief und deutlich genug in mein Gesicht gegraben haben?
Randau schlug den Blick zu ihr auf, und war es der Schatten der Bäume, oder die Regungen ihrer Seele, er fand bestätigt, was sie sagte. Ihre großen Augen lagen tief in bläulichen Ringen; ihr sonst so stolzes, ruhiges Blitzen hatte jetzt einen leidenschaftlichen Ausdruck angenommen, alle Züge ihres schönen Gesichts waren schärfer ausgeprägt. Bewegt von diesen Bemerkungen, stand Randau still, und aus tiefer Brust hervor sagte er leise:
Du bist unglücklich, Aurelie!
Bist Du denn glücklich? erwiederte sie. Antworte nicht, Gustav, ich sehe tief und genau. Aber kann es anders sein? Es mußte so geschehen.
Randau senkte den Kopf schweigend nieder und Beide gingen nebeneinander weiter, bis Aurelie sagte:
So bezahlen wir arme Menschen die Irrthümer unseres Lebens immer mit unserer besten Habe; wir bezahlen sie mit dem Recht auf Glück, das ein Gott in unsere Wiege legte, bis endlich nichts davon übrig bleibt, nicht einmal so viel, um eine Leichenrede daraus zu machen.
Und wer, fragte Randau gepreßt, wer warf uns in diese Kümmernisse, aus denen nur die Leichenrede hilft?
Still, sagte sie, was hilft es uns, das zu bedenken? Was hilft es dem Schiffbrüchigen, darüber nachzugrübeln, wie es kam, daß sein Fahrzeug untersank? Er soll nur bedacht sein, rüstig schwimmend Land zu erreichen, ehe seine Kräfte ganz erlahmen.
Du hast Recht, erwiderte der junge Mann, indem sein Gesicht sich röthete und ein Entschluß sich darin emporrang; sehe Jeder, wie er sich aus der Brandung rette, ehe er auf immer hinabgezogen wird. Die Vergangenheit wollen wir nicht aufwecken, Aurelie, laß uns denn an die Zukunft denken, laß uns Gefahren vermeiden, denen wir nicht trotzen können, ohne zu verderben; wenigstens ich nicht, ich vermag es nicht!
Das heißt, sagte sie lächelnd und ihn forschend betrachtend, Du möchtest, wie der kluge Vogel Strauß, den Kopf verstecken, um den Blitz nicht zu sehen. Es hilft nichts, Gustav, diese Vorsicht ändert nichts.
Und doch muß es so sein, versetzte Randau, ich will und darf Dir nichts verhehlen.
Du kannst mir nichts sagen, mein Freund, was ich nicht längst wüßte, fiel sie ein, und ich will Dich nicht hören, ehe Du mich nicht gehört hast. Wisse denn, sagte sie, indem sie seine Hand ergriff und ihn fest betrachtete, daß ich im Begriff bin, die unwürdigen Ketten zu zerbrechen, welche ich mir selbst angelegt habe. Polenz, der Himmel gebe, daß ich diesen Namen bald verlerne! hat, wie Du voraussagtest, bald genug seine Maske abgelegt, die er, seiner Behauptung nach nur aus Liebe zu mir umgebunden. Aber welch eine Abnahme! Rohheit, Gemeinheit, alle Laster eines verdumpften Gehirns brachen daraus hervor. Er lebte nur, um im wüsten Taumel zu genießen, und so entfloh, was ich an Nachsicht, Achtung oder Hingebung besaß, und an die Stelle der Gleichgültigkeit traten Ekel und Abscheu, bis endlich –
Endlich? fragte Randau, als sie schwieg.
Bis ich mich von ihm trennte, und jetzt – das Ende meiner Scheidungsklage erwarte.
Sie ließ seine Hand los und trat schnell ein paar Schritte zurück. So steht es nun, fuhr sie fort. Ich habe den Muth gehabt, mich frei zu machen, das bedenke, Gustav. Eine Scheidung macht frei! So lösen sich Unglücksketten, die Leichtsinn und unbedachte Neigung knüpften, so trennt sich, was sich nie verbinden sollte. Geh jetzt. Laß mich allein, geh, mein Freund, ich sehe Dich bald wieder. Bedenke Alles, überlege Alles, dann sage mir, was Du thun willst.
Sie schritt den Gang hinauf dem Hause zu.
Aurelie! rief Randau ihr nach indem er ihr folgte.
Sie schüttelte den Kopf verneinend und eilte rascher davon.
Erst nach langem vergeblichem Warten, ob sie nicht zurückkehre, entfernte er sich. Was er gehört, warf einen neuen Brand in sein erregtes Blut. Eine Scheidung macht frei! Er murmelte das schreckliche Wort langsam vor sich hin, es erstarrte in seinem Herzen, und wachte dort wieder auf, um krank machend in seinen Kopf zu schleichen. Aurelie frei, er selbst entledigt von jener Haft, die sich vermessen will, zwei Wesen auf ewig zu verbinden, und Marie –
Er schauderte zusammen vor einem Rauschen im Gebüsch und sah bestürzt am Baume vor sich einen Mann lehnen, der, die Arme gekreuzt und den Hut in die Stirn gedrückt, ihn zu erwarten schien.
Polenz! sagte er, ihn anstarrend.
Du kennst mich gut, erwiderte der Freiherr mit böser Miene. Ich habe Dein rendez-vous nicht stören wollen, allein jetzt ein paar Worte zwischen uns, wenn es gefällig ist.
Sprich, entgegnete Randau, indem er ihm näher trat.
So kalt, so klar und so kurz wie möglich, fuhr jener fort. Noch bin ich nicht geschieden, noch habe ich Rechte auf diese Frau und werde nicht dulden, daß ein Zweiter, ein Mann, der heilige Pflichten bricht, die ihn fern halten sollten, mit einem Worte: daß Du Dich Aurelien näherst, um Euren Verrath zu vollenden.
Wenn es der Mühe werth wäre, Dich eines Anderen zu überzeugen, erwiderte Randau, so würde meine Rechtfertigung nicht schwer werden. Ich bin Dein Nebenbuhler nicht.
Aber Du willst mein Nachfolger werden, rief Polenz höhnend, und ich beneide Dich nicht darum. Wie mir Unglück prophezeit wurde, so will ich es Dir verkündigen. Es ist wahr, ich habe leichtsinnig gehandelt. Ich dachte an ein heiteres Leben voll Freuden, und im Anfange schien sich Alles vortrefflich zu gestalten; doch Aurelie liebt den Glanz des Lebens nur aus Eitelkeit, und statt der Feste und Freuden kamen bald die Tage der Reue. Ermüdung folgte der Zerstreuung, Launen verbitterten allen Genuß, die Welt verlor jeden Reiz für sie, und im Grunde ist dies thörichte, leidenschaftliche, eigensinnige Weib weit ärger, als ihre Mutter. Der heuchlerische Pfaffe Bernauer ist im noch höheren Grade Rathgeber und Gehülfe bei ihr, als bei jener.
Wenn Du so über Aurelie und die Trennung Deiner Ehe denkst, erwiderte Randau, so ist es arge Thorheit, Dich um ihr Thun und Lassen zu kümmern.
Meine Ehre erfordert, daß ich diese bewahre, sagte der Freiherr.
Und was habe ich mit Deiner bedrohten Ehre zu schaffen?
Ich stelle das Verlangen an Dich, keine geheimen Zusammenkünfte zu halten, bis wir getrennt sind, und fordere Dein Wort darauf.
Das wirst Du nicht erhalten, erwiderte Randau, obwohl ich es geben könnte.
Nimm Dich in Acht! rief Polenz drohend; – Du sollst mir Rechenschaft geben für Alles, was Du thust.
Randau maß ihn mit einem stolzen Blick.
Fordere sie, wenn es Zeit ist, sagte er, jetzt habe ich keine Geduld, Tiraden anzuhören.
Er sprang über den Graben und ging langsam den Weg am Seeufer hin. Der Freiherr blieb stehen und blickte ihm zornig nach.
Wenn es Zeit ist, schrie er hinterher, ja wohl, die Zeit wird kommen, und bei Gottes Thron! ihr sollt nicht über mich lachen.
Als er dies sagte, war er nicht mehr allein, denn wenige Schritte hinter ihm trat Bernauer aus einem Seitenwege und machte eine tiefe Verbeugung, als Polenz sich umwandte und ihn erblickte.
Ich will Ihnen die Frage sparen, wo ich herkomme, polterte er dem Geistlichen entgegen. Ich komme von Langenau, um Zeuge eines zärtlichen Stelldicheins zu sein, das mir die Hoffnung nimmt, einen letzten Versuch zu einer Wiedervereinigung zu machen.
Sie haben von einem solchen Versuche auch nichts zu erwarten, mein gnädiger Herr, erwiderte der Geistliche ernsthaft. Ihre Ehe ist so gut wie getrennt, zudem haben Sie selbst erkannt, daß dies für beide Theile das Beste sei und damit die Lösung eines Bandes erleichtert, das nicht länger zu halten war.
Ich habe es leider auf Ihren überredenden Rath gethan, erwiderte Polenz finster.
Und hoffentlich bereuen Sie es nicht, versetzte Bernauer. Sie haben durch diese Einwilligung Vortheile erreicht, welche Ihnen schwerlich sonst geworden wären; ich sollte daher denken, daß nichts Sie beunruhigte. Jener Mann dort –
Mein glücklicher Vetter, fiel Polenz höhnisch ein, ich werde ihm den Weg zu verlegen wissen.
Glücklich nennen Sie ihn? sagte Bernauer mit einem leisen Achselzucken. Ich glaube kaum, daß er sich selbst so heißt. Was wollen Sie thun? Wollen Sie etwa der Welt das schreckliche Schauspiel eines Zweikampfes zwischen Verwandten geben? Weshalb? Um eine Frau, die sich von Ihnen getrennt hat, unüberwindlicher Abneigung wegen, welche auch Sie zu empfinden vorgegeben haben. Was aber kann der Erfolg sein, mein gnädiger Herr? Ihr Tod! denn ich müßte mich sehr täuschen, oder Ihr Gegner hat eine sichere Hand und ein Herz ohne Furcht. Giebt es also keinen andern Weg der Ausgleichung, als diesen?
Welchen? sagte Polenz erwartungsvoll.
Wege der Milde und einer süßen menschlichen Rache, wenn man es Rache nennen kann, erwiderte Bernauer lächelnd. Ich setzte den Fall, es sollte wirklich geschehen, daß Randau sich mit Ihrer Gattin verbände, so ist doch eine zweite Scheidung nöthig. Wie, wenn es Ihnen nun gelänge, dort gleichsam das Vergeltungsrecht zu üben. Es ist eine liebliche Erscheinung, die schüchterne junge Frau Ihres Vetters; ein Herz voll Liebe, Nachsicht und Güte, wie es nicht leicht gefunden werden kann. Glücklich fühlt sie sich nicht in dieser Ehe, oder wenn man –
In Polenz Augen flammte ein rachedürstiges Feuer.
Wahr, unterbrach er ihn, ja, bei Gott! Sie haben Recht. Sie wecken einen Gedanken in meiner Seele auf, der mir nie eingefallen wäre.
Ich aber habe ihn längst gedacht, versetzte Bernauer. Haben Sie nur Muth, Vertrauen. Ich bin Ihr Freund, Herr von Polenz; bei allem was ich that, war und bleibe ich das. Hören Sie weiter, was ich Ihnen zu sagen habe.
Er zog den aufhorchenden und nachdenkenden Freiherrn mit sich fort, und Beide verloren sich in die dichten Gehege.
Randau war inzwischen heimgekehrt und der erste Mensch, den er erblickte, war der Professor Sydow, der im Garten umherlief und alle Blumen betrachtete.
Er eilte ihm entgegen und rief schon von weitem:
Heil und Segen über den früh aufstehenden Gutsherrn, der da mit der Sonne hinausschreitet, um seine Garben reifen zu sehen!
Und Heil und Segen über den treuen Freund, der endlich seine Versprechungen erfüllt, erwiderte Randau, ihn herzlich begrüßend.
Beide gingen nun Arm in Arm dem Hause zu, lebhaft sprechend, denn der Professor hatte viel zu erzählen, und er hörte nicht auf, bis er an der Thür war, und Mariens Kleid rauschte.
Nun, Sie kleine schreckhafte Frau, rief er ihr entgegen, da ist er ja und vollkommen heil und ganz, weder vom Wolf gefressen, noch in einen Abgrund gestürzt, wovor man in diesem gesegneten Lande hinlänglich bewahrt bleibt.
Randau entschuldigte seine frühe Entfernung mit einem Geschäft in der Heide, aber er konnte doch nicht ganz seine Verlegenheit unterdrücken, als der Professor plötzlich sagte:
Ihr klagt über Einsamkeit, aber es wird bald hier lebendig werden, wie ich denke. Die Präsidentin, Deine Tante, ist todt, sie hat die Scheidung ihrer Tochter von dem frommen Polenz nicht mehr erlebt. Gestern hat sie das Gericht ausgesprochen, und wie ich hörte, ist Aurelie seit einigen Tagen schon auf ihrem Gute dicht in der Nähe. Hast Du sie noch nicht gesehen??
Das Nein, welches Randau erwiderte, war ein schnell herausgestoßenes, und das Gespräch, welches nun folgte, ein entsetzlich peinigendes für ihn. Er sollte Verwunderung und Theilnahme für Etwas zeigen, was er schon kannte, und verbergen, was sich an diese Begebnisse für ihn knüpfte.
So sehr er nun auch bemüht war, unbefangen zu scheinen, kam es ihm doch vor, als ruhten die Blicke des Professors beobachtend auf ihm, ja selbst die argloseste aller Frauen nährte vielleicht einen geheimen Verdacht, denn mit auffallender Lebendigkeit rief sie aus:
Was kann Aurelien abhalten zu uns zu kommen? Es wäre doch wunderbar, wenn sie in unserer Nähe sein sollte, ohne ein Verlangen zu haben, Dich zu sehen.
Zu stolz zu einem Gewebe von Lügen, wußte Randau keine Antwort zu geben, als die, daß unter den waltenden Umständen es erklärlich sei, wenn Aurelie die Einsamkeit vorzöge; dann brach er das Gespräch ab, und wußte es zu vermeiden, so wenig wie möglich auf einen Gegenstand zurückzukommen, dessen Nennen ihn schon unruhig machte.
Er war froh, daß der alte Herr so viele Gelegenheit fand, sich mit Marien zu beschäftigen, die ihm tausend Dinge zu zeigen und gar vieles zu erzählen hatte. Sie führte ihn durch das Haus und alle Baulichkeiten desselben; er mußte Alles sehen und bewundern, bis unter das Dach und in die Keller steigen, und da Randau gern und willig an diesen lustigen Promenaden Theil nahm, und bei den Scherzen des Professors und der Freude seiner Gattin sich sein Herz erleichterte, kam ein behagliches Verhältniß zu Stande, das am Mittagstisch sich vervollständigte und Marien beglückte, denn seit langer Zeit hatte sie Randau nicht so angeregt und gesprächig gesehen.
Nur von Zeit zu Zeit schien dieser vor sich selbst zu erschrecken. Ein plötzlicher Ernst verdrängte die fröhliche Miene, und sein Auge senkte sich verlegen, als suche es etwas zu verbergen.
Ich finde aber, sagte der Professor endlich, daß das Landleben Dir noch nicht allzugut bekommt, und der alte Schelm, der Horatius, mit seinem beatus ille, qui procul negotiis Glücklich ist jener, der fern von den Geschäften ist. (Horaz, Epoden 2.) und den nachfolgenden schönen Redensarten nicht immer Recht hat. Du bist mager geworden, bist blaß, zerstreut. Was hast Du denn nöthig mager zu werden? Ist die Küche so schlecht?
Es ist Hausmannskost, erwiderte Randau.
Aber vortrefflich, über die Maßen appetitlich, rief der alte Herr, und alles so wohl bereitet, daß man immer wieder hungrig wird, wenn man hinblickt. So geht es aber den verwöhnten Leuten, fuhr er nach einem scharfen Blicke fort, sie bedürfen ganz besonderer Reizmittel, um Genuß zu finden, und wählen das Unverdaulichste, das Gefährlichste, das Allerunpassendste, blos weil es neu und sonderbar ist.
Ich hoffe, sagte Marie mit einem traurig freundlichen Lächeln, Gustav wird sich wohler fühlen, wenn wir mehr Gesellschaft haben.
O, Liebe, versetzte Randau, seine Empfindlichkeit bezwingend, welche Grillen hast Du wieder? Das sind die Reizmittel, mich immer magerer zu machen; aber trinken Sie Ihr Glas aus, und lassen Sie uns hinaus in's Grüne, in's Freie, es weht erquickend durch die Bäume draußen.
Er stand auf und die beiden Männer gingen allein durch den Park. Der Professor blies den Rauch seiner Cigarre in großen blauen Wollen weit vor sich hin, und neben ihm schritt sein junger Freund, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt. Keiner sprach, bis endlich, als sie auf einen freien Platz gelangten, wo riesige Eichen ihre ungeheuren Kronen dicht ineinander flochten, Sydow sich umwandte und seine Hand auf Randau's Arm legte.
Hier, sagte er, ist der rechte Ort; da ist auch die Bank noch, wo ich oft mit Dir gesessen habe, als Du ein Knabe warst und Deine jugendlichen Bekenntnisse vor mir ausschüttetest. Hier hast Du mir Deinen Zorn, Deine Schmerzen, Deine Hoffnungen mitgetheilt und feierlich gelobt, als ein Mann durch die Welt zu schreiten, der Wahrheit und Recht höher achten will, als der Menschen Wohlgefallen. Und was ist es nun, das Dich wider Dich selbst treibt? Ich sehe einen leisen Zug geheimen Grams um die freundlichen Augen Deiner Frau und auf Deiner Stirn steht es geschrieben, daß Du die Ursach davon bist.
Wenn eine Schuld hier ist, so müssen wir sie wechselseitig tragen, erwiderte Randau, und doch haben Sie Recht. Sie ist gut, sie ist schön, sie ist die Liebe selbst; ich wollte es wäre anders.
Bemäntle nichts mit Selbstanklagen, sagte Sydow; es giebt nichts Traurigeres. Es sind die Aushülfsmittel aller unverbesserlichen Schwächlinge.
Sie beurtheilen mich hart, bei Gott! ich verdiene das nicht, rief Randau erröthend. Ich kämpfe einen harten Kampf; täglich, stündlich kämpfe ich ihn.
Welchen Kampf?
Den meines Gewissens gegen mein Verlangen, murmelte der junge Mann.
Gewissen! fiel der alte Herr höhnisch ein, jagst Du Dich mit solchen Narrenspossen umher? Ist Dein Gewissen noch nicht auf dem Reibeisen der Gedanken zerrieben worden und ein Rest von dem Dinge übrig geblieben, das nur den Wesen gehört, die ohne ein vollendetes Bewußtsein ihrer Göttlichkeit sich den Launen des Augenblicks überlassen?
Ach! sagte Randau schmerzlich, wie tief schneiden Ihre Worte in mein Herz. Sie haben Recht, so sollte es sein. Die Kraft des Geistes, die Macht der Gedanken sollte uns über jede Gewissenspein erheben; wir sollten beschließen und ohne Wanken handeln können. Aber wer steht so hoch, wer ist so kalt und sicher, daß das Leben mit seinem Glück und Leid ihn nicht in ein Gewühl widerstreitender Empfindungen ziehen könnte; daß es nicht glühende Stacheln in sein Herz drückte, ihm verwegene, verbrecherische Wünsche einhauchte und diese ihn erkennen ließe, um den Kampf der Pflichten mit der Gier nach Erfüllung dessen, was die Leidenschaften begehren, so entsetzlich wie möglich zu machen?
Pflichten? versetzte der alte Herr strafend. Es giebt keine Pflichten für den freien Mann. Nenne es mit einem besseren Namen, nenne es den Kampf der Neigungen, welcher in jedes Menschen Brust seinen Kriegs-Schauplatz hat und dort seine Schlachten schlägt. Das Gute streitet da mit dem Schlechten, das Gerechte mit dem Ungerechten, die niederen, unedlen Gelüste mit den edelsten und erhabensten Forderungen schöner Seelen.
Und wer geht aus diesem Kampf hervor ohne tief schmerzliche Wunden! rief Randau mit banger Stimme.
Alles wägt sich ab nach der sittlichen Kraft, die in uns wohnt, erwiderte der alte Herr. Kannst Du Dich auf diese gestützt erheben, kannst Du siegen über böse Geister, so können die Wunden keine so gefährlichen sein. Was aber ein Mensch auch thun mag, das thue er ganz. Er folge den Neigungen, denen er nicht widerstehen kann, er gebe denen den Sieg, die ihn erringen, allein er blicke nicht schmerzlich, nicht mit Reue auf das zurück, was er von sich stößt. Wähle was Du willst, doch sei fertig mit Dir selbst; ehe Du das nicht sein kannst, bist Du nicht zum Manne gereift. Du spielst mit Deinen Entschlüssen, mit Deinem Glück und Leben wie ein Kind mit Seifenblasen. Unwahr, unklar ist ein solches Treiben. Ein ewiges Schwanken zwischen Gut und Böse, zwischen dem Schaum der Empfindungen und der bittern Reue einer täglich reifenden Erkenntniß. So wird Alles lose um uns; Glück und Unglück, glatt wie Schlangen, wechseln ihre Farbe und verwandeln sich, so steht man endlich am Grabe und fällt hinein mit einem letzten Seufzer um ein leidenvolles verlornes Dasein.
Der Professor war aufgestanden; er that einige Schritte und kehrte zurück, indem er sich vor Randau stellte, und seine alte, abgemagerte Hand auf dessen Schulter legte.
Sieh' mich an, sagte er: Siebenzig Jahre habe ich gelebt und manchen Kampf bestanden, manchen Wurf nach dem Glückstempel gethan und fehlgeworfen, manche Widerwärtigkeit ertragen, und meine Schmerzen in eine Brust verschlossen, wo es auch einmal glühte und stürmte. Aber Reue habe ich nicht gekannt. Weißt Du warum nicht? Weil ich mir vornahm, nie etwas zu bereuen, was aus den Folgen meiner Entschlüsse entsprang.
Dann kennen Sie freilich die Foltern nicht, die ein Schwankender hat, sagte Randau. Sie wissen nichts von dem Streit. O Himmel! nennen Sie es Neigungen, nennen Sie es Pflichten – mit welchen schwächere Wesen ringen.
Der Wille thut es! rief der alte Herr. Die Macht, die Hoheit des Willens, daran mußt Du glauben. Wolle das, was Du für das Beste, für das Sittlichste erkennst, und Du bist gerechtfertigt zu aller Zeit.
Wollen Sie mich hören, meine Bekenntnisse hören und mir Ihren Rath ertheilen? fragte Randau.
Nein, erwiderte der Professor, das werde ich bleiben lassen. Ich will von der innern Geschichte Deines Streit's nichts wissen. Handle, wie ein Mann handeln muß, ich übernehme nicht die geringste Verantwortung dafür, und wenn Du mir sagtest: heut will ich die ermorden, der ich Glück und Liebe geschworen, und morgen mich selbst, ich würde antworten: Thue es, wenn es Dein Wille ist, doch thue es schnell und mit fester Hand, wenn Du ein Mann bist.
Stimmen im Garten bewirkten, daß der Professor sich umblickte und durch das Laub der Bäume zwei weibliche Gestalten entdeckte.
So wahr ich lebe! rief er, da ist sie ja, da ist Aurelie, und Marie hängt wie eine Rose an diesem schwarzen Dornbusch. Auf, Gustav! hüte Dich vor den Stacheln, Du Mann des Gewissens.
Die beiden jungen Damen kamen näher, und schon von weitem rief Marie mit freudiger Stimme: Hier ist sie, Gustav, hier hast Du sie endlich, und sie ist schöner und liebenswürdiger als sie je gewesen.
Ich hoffe, erwiderte Aurelie, indem sie ihre Hand in die ihres Verwandten legte, daß Du dies Urtheil bestätigst, wie wenig auch die Meisten einstimmen mögen; denn verbergen will ich es Euch nicht, daß nach deren Ermessen ich gänzlich umgewandelt sein soll. Meine Schönheit ist dahin. Ich mußte es ansehen und anhören, wie man unbarmherzig gewisse Fältchen in meinem Gesicht kritisirte, und seit ich aufhörte ein Mittelpunkt der guten Gesellschaft zu sein, seit meine Säle sich schlossen, und der Flitterkram, wie meine gute Mama es nannte, mich anwiderte, seit dieser Zeit ist es auch um meinen Ruf und um mein Geistreichsein geschehen. Der arme Polenz! fuhr sie mit einem verächtlichen Zucken ihrer Lippen fort, wie hat man ihn bedauert. Wie sehr wurde er seiner bittern Täuschungen wegen beklagt, als ich mit Hülfe und Rath meines bewährten Freundes Bernauer seinen Verschwendungen entgegentrat, die mein Vermögen bedrohten, und als ich nun gar der Stadt den Scandal einer Scheidung gab, o! wie war man da zu meiner Verdammung thätig. Welche Histörchen wurden ersonnen, welche köstlichen Geschichten verbreitet.
So bleibe nun bei uns, sagte Marie tröstend; ach! wie viel mußt Du gelitten haben. Die Menschen sind böse! riefst Du mir einst zu, allein nicht alle Menschen sind es. Wir wollen Dich lieben, Dich vertheidigen, und da wir einsam sind, und Gustav – o! Du weißt nicht, wie oft er an Dich dachte und sich betrübte – da Gustav Dich so lieb hat, so werden wir gewiß Deinen Kummer lindern und tragen helfen, bis die Freude wiederkehrt.
Die herzlich gesprochenen Worte schienen auf Aurelien einen tief empfundenen Eindruck zu machen. Sie schlug beide Arme um die junge Frau und ihre Augen erhielten einen feuchten Glanz, als sie sie küßte und dann mit leiser schneller Stimme sagte:
Du guter Engel! sprich nicht so zu mir. Wir müssen Alle standhaft sein, und ich vor Allen, wenn ich leben will. Ich darf nicht fragen, was die Menschen, die guten und schlechten von mir sagen.
Die kleine Gesellschaft ging nun sprechend durch die Wege des Park's und kehrte dann nach dem Hause zurück. Das Gespräch wurde lebendiger und heiterer, und erstreckte sich über Vieles was aus der Vergangenheit Erinnerungen gab. Aurelie wußte durch Geist und freundliche Anregung die stockenden Fäden immer von neuem anzuknüpfen, und Niemand sah es ihr an, daß sie mit einer großen inneren Unruhe kämpfte, welche die eigentliche Triebfeder dieser lebhaften Theilnahme war.
Nur in wenigen unbewachten Augenblicken hefteten sich ihre Blicke fest und fragend auf Randau, der, wie es schien, gewaltsam die seinen ablenkte, und fast in ähnlicher Weise, wie Aurelie selbst, gezwungen war, fröhlich zu sein und zu scherzen, während sein Blut in der heftigsten Aufregung durch alle Adern klopfte. Vergebens dachte er daran, was der Professor von den Mahnungen des Gewissens gesagt hatte; er konnte es nicht überwinden. Es gab ein Gewissen für ihn, das seine grausamen Finger, glühend und kalt, ihm um Kopf und Herz preßte, und er wagte es nicht, den alten Freund anzusehen, welcher, als der Schweigsamste und Gleichgültigste von Allen, ruhig ihm gegenüber saß, und Aurelien mit seiner Gegenwart die meiste Besorgniß einflößte.
Nach einiger Zeit standen die beiden Damen auf und entfernten sich. Aurelie hatte von baldiger Rückkehr gesprochen und Marie noch Manches auf ihrem Herzen, was sie ihr gerne vertrauen wollte.
Sie gingen auf und ab unter den Bäumen, während Randau häusliche Geschäfte mit dem eben hereingetretenen Verwalter des Gutes besprach.
Wir froh bin ich, sagte die junge Frau, daß Du Du hier und bei mir bist. Du darfst uns sobald nicht verlassen.
Und doch wird mein Aufenthalt, wie ich denke, nicht lange währen, erwiderte die Freundin.
Nicht, fragte Marie erschrocken; ach! das zerstört alle meine Pläne, die ich mit Dir hatte. Wohin willst Du denn?
Fort in die Welt, sagte Aurelie. Wohin, ist gleichgültig; aber fliehen, weit fliehen wird nöthig sein. Ich bin jetzt frei.
Ist das recht? fuhr Marie fort. Kaum einem Strudel des Lebens entronnen, willst Du Dich von Neuem hineinstürzen?
Glaubst Du, sagte Aurelie rasch, daß ich das könnte? Nein. O! wie beglückt ist es, einsam zu wohnen in schönen Gebirgen, an einem großen strahlenden See, in einem Landhause von Myrthen und Orangen umringt, durch deren duftendes Geblätter keine Sonne dringt, oder am Meere, über welchem der Mond groß und leuchtend hängt, wenn unten die Wellen klingen.
Du schwärmst! rief die junge Frau lächelnd und staunend. Beide schwiegen, – die Worte hallten in Mariens Seele wieder. Ja, das ist schön, sagte sie endlich leise, aber – ein Paradies ist eine Einöde, wenn man es allein bewohnen soll; die Einöde wird zum Paradies, wenn der, den wir lieben, mit uns dort wohnt. Geh nicht allein, liebe Aurelie, fuhr sie ängstlich fort; es ist so fürchterlich, allein und voll Schmerzen der Verlassenheit zu sein. Du bist reich, jung und schön; Du kannst noch glücklich werden. Es giebt gewiß ein Herz, das Deiner werth ist; Du wirst es finden. Dann nimm es und liebe es treu, und wohne mit ihm, wohin Gott Dich führt.
Kann das geschehen? fragte Aurelie.
Es muß geschehen, fiel die junge Frau ein. O! wollte doch der Himmel, daß ich dazu beitragen könnte.
Vielleicht! antwortete Aurelie, indem sie einen langen festen Blick auf sie richtete, aber plötzlich wandte sie sich ab und preßte die Hand auf die Stirn – Vielleicht legt ein Gott mein Schicksal in Deinen Willen, sagte sie leise, doch Glück und Leid verschwistern sich und spielen mit den Sterblichen ihr grausames Spiel.
Man muß nicht zu viel erwarten, erwiderte Marie lächelnd; man muß gefaßt und stark sein. Sieh auf mich zum Beispiel, ich habe auch meinen Kummer und meine schweren, bangen Tage.
Aurelie blieb stehen und sah sie fragend an.
Glaube nur, flüsterte Marie, ich habe Stunden, in denen ich recht traurig bin. Wenn Gustav so ernst ist, so schwermüthig, kalt, dann denke ich wohl, sein Herz hat sich von mir abgewendet. Ich lese sein Unglück in den umflorten Augen.
Hast Du nie daran gedacht, ihn zu verlieren? fragte Aurelie.
Verlieren? Wie meinst Du das? Todt! Zuweilen habe ich es gedacht, doch es ist zu entsetzlich, ich konnte es nie ausdenken.
Und doch muß was sich liebt, sich lassen, fuhr die Freundin fort. Wir müssen das Theuerste begraben, und zurückbleiben, um es zu beweinen. Das ist das Loos der Menschen.
Du hast Recht, sagte die junge Frau beruhigt; wir müssen ergeben sein und geduldig.
Wenn nun aber, wie Du sagst, Gustavs Herz sich von Dir wendete. Wenn das wirklich geschähe, Marie, wenn er eine Andere einst liebte, fuhr Aurelie mit gesteigerter Stimme fort, wenn er Dich verließe. Hast Du das schon bedacht?
Die junge Frau sah die Freundin mit Erstaunen an.
Das ist ja unmöglich, rief sie; o! wie kannst Du das aussprechen.
Tausendmal ist es in der Welt geschehen, sprach Aurelie, und wird immer wieder sich begeben. Männer von Geist und starkem Willen schließen oft Herzensbündnisse, die keine guten Früchte tragen. Alles Neue wird alt, jeder Reiz wird reizlos, und die Zeit löst auf, was ohne geistigen Zusammenhang sich durch Laune oder Sinnenlust verband. Höheren Naturen genügt die bloße Natürlichkeit nicht; ihnen genügt keine Herzensgüte, keine Einfachheit der Sitten und die löblichen Eigenschaften einer liebenswürdigen Kindlichkeit der Empfindungen. Sie wollen an eine ebenbürtige Seele ihre Seele lehnen, die das Echo ihrer inneren Welt ist; die ergänzt, was ihnen fehlt. Wenn sie das vermissen, tritt die Leere ihres Lebens schmerzlich vor sie hin; ihre Täuschungen brechen zusammen, und mit Reue erkennen sie, was sie unglücklich machte.
Marie hatte aufmerksam zugehört, sie athmete heftig. Die Blässe ihres Gesichts bezeugte, welche Wirkung diese gefährlichen Worte auf sie gemacht hatten.
Unglücklich! rief sie dann, o nein! Wenn ich das wüßte, wenn ich zum Ertragen solches Elends bestimmt wäre, unglücklich sollte Gustav nicht sein. Aber wohin hast Du meinen Kopf geführt; wie grausam bist Du gegen mich! Du hast einen Gedanken aufgeweckt, der mich lange qualvoll peinigen wird.
Liebes Kind, erwiderte Aurelie, wir müssen uns Alles denken können, und je mehr wir uns mit Verhängnissen bekannt machen, die uns, heut oder morgen, treffen können; um so besser für uns, wir werden es dann gefaßt ertragen. Du mit Deinem stillen, sanften Herzen wirst Thränen haben, die Dich trösten, und den Glauben der Ergebung, der zur Ruhe hilft. Doch laß uns abbrechen, ich will Dir etwas Freudigeres erzählen. Dein Bruder –
Mein armer Jakob! fiel Marie ein, wie geht es ihm?
Er ist dort drüben auf meinem Gute mit einem halben Dutzend Arbeitern beschäftigt, die Zimmer neu auszuschmücken. Ja, liebe Marie! das ist ein tüchtiger Mann, an dem Du in aller Noth eine feste Stütze haben wirst. Er ist verheirathet, sein Wohlstand mehrt sich sichtlich, denn die Reichsten und Ersten wenden sich an ihn. Dabei ist er höflich und doch nicht demüthig, verständig und geschickt. Jeder muß das achten und loben.
Dankbar drückte Marie Aureliens Hand. Es that ihr wohl, aus diesem Munde das Lob ihres Bruders zu hören. Sie dachte an Gustav und wünschte, daß er es gehört haben möchte, denn er kam so eben mit dem alten Herrn von dem Perron ihnen entgegen.
Aurelie aber sagte:
In einigen Tagen sollst Du ihn sehen und, sprechen, jetzt schweige davon und laß uns scheiden. Ich muß zurückkehren.
Trotz aller Bitten blieb sie diesem Vorsatz treu.
Ihr Wagen war bald bereit, und erst als sie schon Abschied genommen hatte, fand sie einen günstigen Augenblick, mit Randau einige Worte zu sprechen. Marie suchte nach einem Handschuh, den Aurelie nicht finden konnte, und der Professor war aus dem Zimmer gegangen, als wollte er nichts sehen und hören.
Morgen Abend, sagte sie, geht der Mond um neun Uhr auf. Ich liebe es, seinen blassen Glanz durch die schwarzen Tannen auf den See fallen zu sehen. Sie sah Randau lächelnd an und reichte ihm die Hand. So lebe wohl, fuhr sie leiser fort, Du weißt –
Marie kam herbei, sie hatte nichts gefunden.
Nun wohl, scherzte Aurelie, ich lasse ihn zum Pfande hier für den Ritter, der ihn aufheben und mir wiederbringen wird.
Sie stieg in den Wagen und winkte ihre Abschiedsgrüße, als das Gefährt um die Biegung der Straße rollte, indem sie den andern Handschuh hoch emporhielt.
Die drei Zurückbleibenden hatten am Abend viel von ihr zu sprechen, mehr noch hatte jeder geheim zu denken.
Am nächsten Tage war Sonntag, und als die Glocken in der Frühe läuteten, stand die junge Hausfrau mit dem Gesangbuch bereit zum Kirchgange, und erwartete den Professor, der endlich munter die Treppe herunter kam.
Da bin ich, sagte er, ich habe geschlafen wie ein Dachs, und die ganze Predigt schon fix und fertig geträumt, dennoch will ich sie gern noch einmal hören. Aber wo ist der gestrenge Herr?
Der geht nicht mit, erwiderte Marie. Er geht gar selten in's Gotteshaus.
Und könnte es doch recht sehr brauchen, versetzte Sydow, denn die Moral schadet Niemanden, hilft aber sehr oft in allerhand Nöthen.
Sie gingen durch's Dorf in die kleine Kirche von Holz, welche mitten in dem ärmlichen Friedhofe stand, wo auf den niedern Hügeln die Gemeinde sich versammelt hatte, und die Jugend lustig und lachend umhersprang. Ein paar Schafe fraßen in einer Ecke das Gras ab, in einem andern Winkel spazierten Ziegen umher, und zwischen ihnen gingen rothwangige Mädchen in faltigen bunten Röcken, und blonde Burschen im Sonntagsstaat mit Liebesscherz und Worten auf und ab.
Aha, sagte der alte Herr, das ist ein hübsches Bild vom Dies- und Jenseits, jeder kann sich's hinter die Ohren schreiben. Lust und Liebe in der Jugend, sehe jeder, daß er sein Theil davon erhalte; Ernst und Hinfälligkeit im Alter, und zuletzt ein Grab, auf dem das liebe Vieh sich sättigt.
Die Dorfbewohner knixten und zogen die Hüte vor der gnädigen Herrschaft, die Gespräche stockten, die lachenden Jungen bekamen Püffe, die meckernden Ziegen Fußtritte. Dann kam der alte Prediger aus dem Hause des Küsters, welcher ehrerbietig folgte. Hans führte die Grethe ernsthaft auf ihren Sitz, pflanzte sich neben sie und der Gesang begann.
Während dessen war Randau allein, ungestört konnte er sich dieser Einsamkeit überlassen. Er schlug das Buch seines Lebens auf und blätterte Blatt für Blatt durch. Es war eine Selbstprüfung, die ihn der Gegenwart entziehen und Muth für die Zukunft geben sollte.
Und was, fragte er sich endlich, was ist es jetzt, das mich verlockend zu einem Weibe zieht, das früher mir in einem so ungünstigen Lichte erschien? Herrschsüchtig, launenvoll, eitel habe ich sie gekannt, und nun reißt mich ein Zauber fort, der sie hoch über alle Frauen stellt.
Er sprang von der Bank empor, auf der er saß, und sagte mit Heftigkeit:
So soll es nicht mit mir enden. Sydow hat Recht! Mit festem Willen sein Schicksal wählen, muß jeder Mann, und wer ein Schurke sein will, der sei es ganz, er gebe sich nicht den Anstrich der Ehrlichkeit, um seinen guten Namen vor den Menschen zu erhalten.
So ging er sinnend den Weg hinab, als plötzlich sein Auge auf einen aus einem Baumstamm gehauenen Sitz fiel, in dessen Ecke ein Gegenstand lag, den er nicht so schnell erblickte, als er hastig darauf zueilte und ihn aufhob. Es war Aureliens verlorner Handschuh.
Mit zitternder Empfindung der Freude und der Hoffnungslosigkeit betrachtete er ihn. Es fiel ihm ein, daß sie gesagt hatte, es sei das Pfand, das ihrem Ritter gehöre, der es zurückbringen werde, und trübsinnig lächelnd schüttelte er den Kopf. Dann nahm er die Finger und legte sie in die seinen, bis er endlich den Handschuh in die Ecke schleuderte, wo er gelegen, und einige Schritte that, um sich zu entfernen. Aber es waren nur wenige Schritte, dann kehrte er um.
Es ist kein Zweifel, sagte er, Aurelie liebt mich. Sie liebt mich! dies Bewußtsein ist der Donner, der mich betäubt, der Blitz, in dessen Flammen ich mein ganzes vergangenes Leben betrachte. Und ich, fuhr er mit sinkender Stimme fort, was habe ich ihr zu bieten, wenn ich dem Wahnsinn folge, der mich treibt. Ein Herz? – vielleicht; doch nein, kein ganzes Herz. Nie könnte ich selbst in ihren Armen vergessen, daß ich schon einmal lebte und liebte, und Marie.
Gustav! rief eine helle klingende Stimme in der Ferne und er schrak zusammen. Durch die Bäume schimmerte das lichte Kleid Mariens; Randau eilte fort, ihr entgegen; dann stand er still, er kehrte zurück.
Mit brennendem Auge betrachtete er den Handschuh, und plötzlich ergriff und verbarg er ihn auf seiner Brust.
So ging er, seine Gattin zu umarmen, die dem Professor voraneilte.
Das Gesicht der jungen Frau strahlte in schöner Freude, als sie Randau beide Hände reichte und sein mildes Lächeln sah.
Heut, sagte sie, kommst Du mir ganz wunderbar verklärt vor, mein lieber, theurer Freund. Mag es sein, weil es Sonntag ist, oder weil ich in der Kirche alle meine Vorsätze gestärkt fühlte und so recht aus dem Herzen beten konnte: Lieber Gott mache mich gut, und gieb, daß mein geliebter Gustav recht glücklich werde. Und nun sehe ich Dich heiter und froh gestimmt, und denke, mein Gebet hat schon angefangen zu wirken.
Wer weiß, ob Du nicht Recht hast, erwiderte er und unwillkührlich legte er den Arm um sie. Ihr Auge voll unendlicher Liebe schlug sich zärtlich zu ihm empor; sie hob sich auf den Zehen und schlang die Hände um seinen Hals:
Mein Gustav, flüsterte sie, ich möchte Dir etwas vertrauen.
In dem Augenblick fühlte er einen heftigen Schmerz in seiner Brust. Der Knopf des Handschuhes preßte sich darauf, und mit einer jähen Bewegung machte er sich los.
Was ist Dir? fragte Marie erschreckt.
Nichts, erwiderte er. Ein plötzlicher Stich, vielleicht eine Nadel; aber da kommt unser Freund, laß uns hören, ob er sich erbaut hat.
Der Professor nickte ihm zu und antwortete dann:
Du hättest dabei sein sollen; der alte Pfarrer ist ein ganzer Mann, der versteht es, die Herzen seiner Beichtkinder anzufassen. Alle Wetter, wie hielt er ihnen den langen Sündenzettel vor und jeder bekam sein Theil davon. So muß die Sache gehandhabt werden, wem sie Nutzen bringen soll, aber wenn Du auch nicht zugegen warst, es gab doch allerlei, was offenbar auf Dich Bezug hatte.
Was gab es denn? fragte der Gutsherr lächelnd.
Er sprach von den Blinden, die da meinten, sie wandelten im Licht, sagte der Professor; von denen, die stolz seien auf ihr Wissen und wüßten doch nichts von dem, was selig macht; von Leuten, deren Saaten grünten und verdorrten ohne Pflege, die da riefen: Herr, segne mich! und jagten doch den Segen von ihrer Thür. Dabei sah der würdige Mann fest auf Deinen leeren Stuhl und ich konnte deutlich bemerken, wie er sich an diesen wandte. –
Der Scherz, zu dem der alte Herr, wie gewöhnlich, spöttisch hustete und grinzte, schien für Randau empfindlich. Er antwortete mit einiger Erregtheit darauf, und als der Pfarrer bald darauf erschien, kehrte seine frühere Verstimmung zurück. Schweigsam und zerstreut beobachtete er mit Mühe die Formen der Höflichkeit; er sah auch nicht, wie Marie ihn von Zeit zu Zeit traurig beobachtete, und so verging der Tag, dessen Stunden sich für den Gutsherrn zur unerträglichen Ewigkeit ausdehnten.
Mit jedem Glockenschlag vermehrte sich seine innere Unruhe, und als es Abend geworden und die Sterne durch den Wald zu leuchten begannen, war er der Gesellschaft entschlüpft. Man suchte und rief vergebens nach ihm.
Der gnädige Herr, sagte endlich sein Diener, macht, wie es scheint, einen späten Spaziergang. Ich habe ihn gesehen, wie er an den Hügeln, jenseits des Dorfs, hinaufstieg.
Vergebens aber wartete man auf seine Rückkehr. Der Pfarrer empfahl sich und mit jeder Minute wuchs Mariens Angst, die am Arme des Professors endlich durch den Park ging, um wo möglich ihn aufzufinden.
Sein Sie doch ruhig, sagte der alte Herr, als Alles vergebens war, und wenn Sie es über sich gewinnen können, so lassen Sie ihn laufen, bis er von selbst wieder kommt. Solchen widerhaarigen Naturen gegenüber muß man gelassen bleiben.
O! wie könnte ich es wohl, antwortete sie klagend. Sie empfinden nicht, Sie denken nur; aber was nützt es die Gedanken zu befragen, wenn das Herz nicht gehorchen kann. Ich war so froh heut, fuhr sie in steigender Bewegung fort, ich hatte Vertrauen gewonnen, neue Hoffnungen, und plötzlich ist Alles wieder vernichtet.
Das macht, sagte der alte Herr, weil Sie Ihr Vertrauen immer auf einen Zweiten, nicht aber auf und in sich selbst begründen.
Dieser Zweite, versetzte Marie, ist aber mein besseres Selbst. Ich kann nichts empfinden, ohne für und durch ihn zu empfinden. Sie werden mich nicht verstehen; Sie finden mein Leid vielleicht unwürdig, weil ich so schwach bin, es nicht beherrschen zu können; ach! und doch ist es so groß und seit kurzer Zeit so unermeßlich gewachsen, daß ich darunter erliegen werde.
Hören Sie mich an, sagte der Professor, und beurtheilen Sie, ob ich Ihren Schmerz verstehe. Ihr Glück und Ihr Frieden haben sich getrübt. Warum? – Weil in Randau's Seele ein schwarzes Saamenkorn gefallen ist, das seinen Boden dort gefunden hat. Sie wollen es ausreißen, aber Sie verfehlen die Mittel. Ich kenne Gustav genau, und ich will Ihnen einen guten Rath geben, was sonst nicht meine Sache ist. Wenn ein solcher starker in seinen Wurzeln tüchtiger Baum wilde Aeste treibt, so müssen sie abgehauen werden. Man heilt nicht mit weißer Salbe und Rosenpomade eine Krankheit, die Mark und Leben erschüttert, sondern mit Axt und Säge. Vor allen Dingen muß man aber den Grund des Uebels kennen. Oeffnen Sie die Augen, liebe Marie, fragen Sie sich, was hat Randau's Veränderung hervorgerufen? Ein Geist, wie der seine, will Nahrung haben, Anregung; er will im Sonnenglanz wandeln; er ist, wie ein edles Roß, das gegen die Zügel knirscht. Ich möchte Ihnen zurufen, wie der Schmied in Thüringen dem eisernen Landgrafen: Werde hart! Zeigen Sie ihm Ihre Ebenbürtigkeit, den gerechten Stolz der Kränkung, damit er weiß, auch in der hingebendsten Liebe wohnt menschlicher Muth und Seelenadel, nicht die Unterwürfigkeit eines willenlosen Wesens, und wenn er dann nicht zurückkehrt, wenn er noch dem schwarzen Schatten nachläuft, der seinen Handschuh ihm zum Pfande gelassen hat, wenn die sittliche Macht ihn dann nicht aus den Netzen der Sünde reißt, dann gewinnen Sie so viel Kraft, Ihren inneren Frieden ohne ihn zu finden.
Der alte Herr ging schnell davon, Marie blieb allein. Sie hielt sich wankend an einem Baume fest; ihr Herz wollte zerspringen, es schlug mit furchtbaren Schlägen, während ihre Augen sich zum Himmel aufhoben, der so klar und still war. Ihre Gedanken drängten sich auf einen Punkt zusammen, auf Aurelien. Eine entsetzliche Ahnung rang mit der Gewißheit; es wurde Licht um sie, und doch war dies Licht so tödtend, daß sie die Augen davor schloß und die Hände verzweiflungsvoll ringend vor ihrer Stirn wand, um die Gespenster des Schreckens zu verzagen.
Plötzlich hörte sie Schritte vor sich, die Schritte eines Mannes, der langsam sich ihr näherte, und dessen schwarze, hohe Gestalt an den Bäumen hinglitt.
Gustav! rief sie mit halberstickter Stimme, die Arme ausbreitend.
Nein, erwiderte ein fremder Ton, Gustav ist es nicht. Eine Hand faßte die ihre, ein Gesicht beugte sich zu ihr nieder, das sie nicht kannte. Da fiel ein Lichtstrahl aus dem Fenster des Professors herab und flog über den Mann hin.
Herr von Polenz, sagte Marie erschrocken, was führt Sie hierher?
Der Wunsch, Sie zu sehen, erwiderte der Freiherr, der aufrichtige Wunsch, Ihnen nützlich zu sein.
Er schwieg einen Augenblick, als Marie jedoch ihre Hand zurückziehen wollte, hielt er diese fest und bat sie, still zu sein. –
Sie kennen mein Schicksal, begann er, ich will Sie weder damit unterhalten, noch mich entschuldigen, denn mir ist nur das geworden, was ich verdiente. Aurelie hat mich getäuscht, ich sie, unsere Rechnung ist quittirt und zerrissen; Sie jedoch, arme Frau! Sie sind das traurige Opfer einer berechneten Bosheit, die mitleidslos Sie vernichtet.
Ich – ich! – erwiderte Marie bebend.
Wissen Sie, wo sich Randau in diesem Augenblick befindet? fragte Polenz.
Er ist fort, sagte sie mit erlöschender Stimme.
Er liegt zu Aureliens Füßen, in ihren Armen, antwortete der Freiherr.
Ein schwacher Schrei war ihre Antwort; plötzlich aber richtete sie sich auf und ihre Augen glänzten im Zorn.
Es ist nicht wahr, sagte sie stolz: Sie haben diese schändliche Lüge erfunden.
Ich antworte darauf nur das Eine, versetzte Polenz: Wollen Sie sich selbst von der Wahrheit überzeugen, so steht dort am Ausgange des Park's ein Wagen. In einer halben Stunde sind wir an Ort und Stelle, dann mögen Sie Ihre Anschuldigung wiederholen.
Er nahm Mariens Hand und führte sie fort; sie folgte ohne Widerstreben. Der Wagen war bald erreicht, er hob sie hinein und im vollen Lauf der Pferde ging es durch den Wald und über die Ebene bis in die Nähe des Meierhofes, wo Polenz anhielt und auf einem Umwege, im Schatten der Weidenbüsche unbemerkt der Hegung nahte. Der Mond glänzte über den Fluthen des großen Sees und bedeckte die hohen krausen Blattgewölbe der alten Bäume mit seiner Silberdecke; unter ihnen aber war es schwarz und still, nur in Spalten rieselten die leuchtenden Quellen des Lichts am Boden hin und blendeten mit scharfen Begrenzungen das Auge.
Sein Sie still, sagte Polenz flüsternd zu der schweigenden Frau. Gehen Sie langsam von Baum zu Baum bis an den letzten. Die Linden mit ihren breiten Auswüchsen werden Sie bedecken. Gehen Sie.
Er führte Marie einige Schritte, dann ließ er sie los und blieb stehen. Sie entfernte sich langsam. Ihr Herz zitterte, als sie Stimmen zu hören glaubte, doch ging sie weiter an Gebüschen vorüber, wo ein anderer Mann mit verschränkten Armen stand, der ihr aufmerksam nachblickte.
Nach einigen Augenblicken trat er aus seinem Versteck hervor und traf mit Polenz zusammen.
Es ist gelungen, sagte dieser leise; ich hoffe auf eine erschütternde Scene.
Auch ich, erwiderte der Andere; die tragische Katastrophe ist nahe.
Und ich denke, lieber Bernauer, fiel der Freiherr ein, diese wird Alles erfüllen, was wir hoffen. Sie scheint entschlossen zu sein, wie ein Verzweifelnder, und mehr Stärke zu besitzen, als ich ihr zutraute.
Das ist es, was ich erwartete, sagte der Geistliche.
Nur so wird, was ich gehofft, sich erfüllen. Still!
Sie gingen leise zurück, denn im Wege vor ihnen wurden die Stimmen lauter. Randau und Aurelie, Hand in Hand, standen im Schimmer des Mondes kaum drei Schritte von dem dicht bebuschten Stamm, hinter welchem Marie sich verborgen hatte.
Ich wußte es wohl, sagte die stolze Frau lächelnd, Du würdest kommen, um mir mein Pfand zu bringen. Ich habe Dich erwartet.
Dann, erwiderte er, hattest Du mehr Glauben zu mir, als ich selbst.
Aurelie legte die Hand auf seine Schulter, mit der anderen strich sie das tief fallende Haar von seiner Stirn.
Ich lese Unruhe und Zerfallenheit in Deinem Gesicht, sagte sie. Du solltest klar um Dich schauen.
Es darf nicht so bleiben mit uns, Aurelie, erwiderte er seufzend, indem er seinen Kopf an den ihren senkte und der flüsternde Ton seiner Stimme wiederhallte in Mariens Brust.
Die beiden leuchtenden Gestalten standen regungslos vor ihr. Plötzlich richtete Aurelie sich auf und sagte leidenschaftlich bewegt:
Wähle, Gustav, zwischen mir und ihr, laß uns nach langer qualvoller Verdammniß zur Erlösung gelangen. Was hilft es, sich zu kreuzigen, wenn der Opfertod weder hier noch dort Versöhnung bringt? Wähle, hier bin ich und an Deinem Herzen höre meine Schwüre ewiger Liebe. Du liebst mich, Du kannst es nicht läugnen. Ich lese es in jedem Deiner Blicke, daß Du unglücklich und elend bist. Dein Wahn hat Dich dazu gemacht, auch ich bin es gewesen, und ich wäre verzweifelt, wenn die Hoffnung auf Dich, auf eine endliche Vereinigung mit Dir, mich nicht aufrecht gehalten hätte.
Aurelie! – rief Randau. Großer Gott! welche Bekenntnisse.
Du mußt es wissen, fuhr sie fort, denn alle Schranken müssen fallen. So wisse denn, daß von dem Tage an, wo ich Dich in ihren Armen sah, nur ein einziger Gedanke mich beherrschte, der Gedanke, Dich empfinden zu lassen, was Du verloren, bis die Stunde schlüge, wo das Bewußtsein Deines Unglücks über Dich gekommen sei. Diese Stunde mußte erscheinen, denn mir gehörst Du an. Mein Eigenthum bist Du früher gewesen, als das ihre, ich habe ein heiliges Recht an Dich, das nie erlöschen konnte; jetzt fordere ich Dich zurück.
Und wie vermöchte ich den Abgrund auszufüllen, der uns trennt, sagte er erschüttert.
Durch den Muth Deiner Liebe, durch einen einzigen kühnen Entschluß, der Deine Banden sprengt, erwiderte sie. Alles habe ich vorbereitet, es bedarf nur Deines Willens. – Ich bin frei. Der größte Theil meines Vermögens ist in baaren Summen in meinen Händen, das Uebrige gesichert. Ich bin vorbereitet, eine weite Reise zu machen mit Dir, mein Geliebter. Führe mich, wohin Du willst, ich folge Dir.
Und Marie! murmelte Randau kaum hörbar.
Sie wird weinen, klagen und sich trösten, sagte Aurelie. Unglücklich will sie Dich nicht sehen; wisse, daß ich sie vorbereitet habe.
Das thatest Du? fragte er erschrocken.
Noch mehr, fuhr sie fort. In ihrer Begeisterung für Dein Glück schwor sie mir zu, sie würde entsagen und dulden können, wenn sie wüßte, daß sie die Ursache Deines Kummers sei. Sie wird sich in Unvermeidliches zu finden wissen; zärtliche Sorgfalt wollen wir tragen, daß das, was ihr Leben irgend versüßen kann, ihr in Fülle bleibe. O! Alles, Alles für sie, nur das Eine nicht und vielleicht –
Ich kann es nicht denken, rief Randau, indem er die Hände vor seine Stirn schlug, ich kann es nicht fassen, es vernichtet mich. Laß mich allein, laß mich gehen. Lebe wohl, Aurelie. Ihr Bild, ihr blasses trauriges Bild; ich sehe es dort, überall, da am Baume, in meinem Herzen. Lebe wohl! –
Noch einen Augenblick, dann geh, sagte sie. Du willst Ruhe finden und ich kenne Dich. Dein starker Kopf wird über die Schwäche eines edlen Herzens sich erheben. Es giebt keinen Ausweg, Gustav, sprach sie mit starker Stimme, indem sie ihre Arme um seinen Nacken legte, nur dieser eine führt zum Frieden mit Dir selbst. In meinen Armen sollst Du ihn finden. Seligkeit und Glück des Lebens – sie drückte brennende Küsse auf seine Lippen – ist nur bei Dir und mir allein! So lebe wohl, rief sie, sich losreißend, und morgen sei bereit. Morgen um diese Stunde sei hier, und dann keine Trennung mehr, keine, so lange ein irdisches Dasein reicht.
Randau verschwand in der Tiefe des Ganges und Aurelie blickte ihm nach, bis ein Rauschen an den Bäumen sie aufmerksam machte. Sie blickte hin, und der Ton der Frage erstarb auf ihre Lippen. Gespenstisch langsam trat Marie vor sie hin.
Du hast gehört, was hier vorging? fragte Aurelie, erschrocken zurückweichend.
Alles, erwiderte sie.
Und wer – wer führte Dich hierher? fuhr die Nebenbuhlerin heftiger fort.
Polenz, sagte Marie, ich danke es ihm.
Nun wohl – vielleicht ist es Fügung zu nennen, wenn er Antheil an Dir nimmt. Böses verwandelt sich oft in Gutes.
Sie trat gefaßt näher.
Du weißt nun Alles, sagte sie. Jetzt segne oder verdamme die, welche diese Qual über Dich bringt, aber sprich, was Du thun willst. Gustav liebt mich, willst Du ihn frei geben?
Ich will, erwiderte die blasse Frau.
O! Marie, rief Aurelie, wie edel und schön ist Deine Seele! Ich könnte vor Dir niederfallen in den Staub, um zu Dir zu beten.
Frevle nicht! erwiderte Marie, ihre Hände abwehrend; nicht Du, er allein empfängt dies Opfer. O! Himmel, für ihn nimm mein Leben, nimm Alles, was ich geben kann. –
Sie trat von Aurelie zurück und sagte mit Festigkeit:
Fürchte nichts, ich werde tragen können, was ich tragen muß; ich weiß es wohl, daß auch ich einen Theil der Schuld zu büßen habe. Halte mich nicht zurück; aber erfülle eine Bitte. Sende mir morgen meinen Bruder Jakob, alles Andere wird sich nach Deinen Wünschen gestalten.
So ist es beendet! sagte Aurelie tief athmend, als sie mit Bernauer an der Grenze des Geheges stand und den Wagen, der Marie und Polenz trug, rasch davonrollen sah. Morgen öffnet sich eine neue Welt für mich, deren ahndungsvolle Wonne mich berauscht.
Es öffnet sich vor Ihnen ein edleres besseres Leben, antwortete der Geistliche, das, wie ich hoffe, Sie beglücken wird.
Und Sie stimmen mir bei, mein theurer Freund, daß ich ohne Vorwurf bin für das Leid, das mein Glück hervorruft?
Jeder Mensch, erwiderte Bernauer mit strengem Ernst, strebt zu erreichen, was er begehrt. Saamenkörner streut der Säemann aus; was des Allgewaltigen Wille gedeihen läßt, sei es gut oder böse, es hat seinen Zweck und dieser muß sich erfüllen.
Am nächsten Morgen war Marie geschäftig einige Kisten und Kasten mit Kleidern, Wäsche und was ihr bescheidenes Eigenthum war, zu füllen, als der Professor sie bei dieser Arbeit überraschte.
Was ist denn das, sagte er, erstaunt sich umschauend. Es sieht ja aus, als wollten Sie eine Reise machen.
Das will ich auch, versetzte sie mit Ruhe, ich will in die Stadt zurückkehren.
Und Gustav? fragte der alte Herr.
Ich kann nicht sagen, was aus ihm geworden sein mag. Er ist nicht nach Haus gekommen, vielleicht hat er bei einem Nachbar Obdach gefunden.
Und das berichten Sie so gelassen! rief Sydow erstaunt. Das freut mich; so ist es recht. Fort mit aller Empfindelei und selbst mit der wahren Empfindung für jetzt, wenn es besser werden soll. Diese Nacht scheint Sie zur Erkenntniß geführt zu haben.
So ist es wirklich, antwortete die junge Frau, ihre Bewegung unterdrückend; ich weiß jetzt bestimmt, was ich thun muß, und bitte Sie, mich nicht daran zu hindern.
Das fällt mir auch gar nicht ein, lachte der alte Herr. Zeigen Sie ihm Ihren Willen; lassen Sie sich nicht von der Reise abhalten. Eine Reise, eine Entfernung ist eine vortreffliche Erfindung, um in unzufriedenen Eheherren die Liebessehnsucht wieder anzublasen.
Aber wer kommt da Fremdes, fuhr er fort und blickte durch's Fenster. Da ist er ja.
Gustav! sagte sie, sich zitternd an einen Stuhl haltend. Mein Gott! gieb mir Stärke. –
In diesem Augenblick trat Randau herein und blieb an der Schwelle stehen. Er war blaß und, wie es schien, sehr ermüdet, aber ein freundliches Lächeln erhellte sein Gesicht.
Was geht hier vor? fragte er, verwundert umherblickend.
Denke Dir, begann der Professor, Deine Frau hat sich vorgenommen, keinen Tag länger in dieser verwünschten Einsamkeit zu bleiben. Sie will fort.
Ist das Dein Wille, meine liebe Marie? sagte Randau sanft, indem er ihre Stirn küßte.
Sie nickte ihm zu, ohne zu sprechen, dann deutete sie mit dem Finger auf die kleinen Koffer und sagte leise und mit Anstrengung:
Weniges ist darin, was mein ist, dies und hier dieser kleine welke Strauß, drei Blumen, Gustav, die Du mir am Hochzeitsmorgen gabst, sie sollen mich begleiten.
Und mich, rief er in heftigster Bewegung, mich wolltest Du zurücklassen?
Du bist frei! sagte sie mit Anstrengung ihre Hand auf ihr Herz drückend. Ich weiß Alles, Du sollst nicht unglücklich sein.
Unglücklich, elend, namenlos elend wäre ich nur ohne Dich! schrie Randau auf, und mit liebender Gewalt preßte er sie an sein Herz. Wenn Du Alles weißt, so wisse auch das, daß ich in dieser traurigen Nacht büßend mich wieder fand und erlöst zu Dir zurückkehre. Ja, wir wollen fort, heute noch, aber ich mit Dir; es ist unmöglich, daß es anders sein könnte.
Er hielt sie in seinen Armen lange und fest, und immer lächelnder und sanfter wurden ihre Blicke, bis sie endlich zitternd und in Thränen sagte:
Ich kann Dich nicht aufgeben. Sterben will ich für Dich, aber ach! hättest Du gestern mich nicht von Dir gewiesen, vielleicht – denn, Gustav, ein zweites Wesen fordert Deine Liebe, es würde seinen Vater von mir fordern.
Mit einem Schrei des Entzückens sank Randau zu ihren Füßen, ein unnennbares Gefühl des Glücks überkam ihn.
Thränen tropften heiß auf ihre Hände, die er mit seinen Küssen bedeckte. – Da trat ein Mann herein, den im ersten Augenblick Niemand bemerkte, bis Marie ihn stehen sah.
Jakob, rief sie, mein Bruder! und ihr bittender Blick wandte sich auf Randau, als sie leise hinzufügte: Aurelie hat ihn mir zugesandt.
Du hast mich fordern lassen, Schwester, begann der Tapezier, und die Frau Baronin hat es so eilig gemacht, daß ich sogleich fortgelaufen bin, weil ich dachte, es sei irgend ein Unglück geschehen, bei dem ich helfen könnte.
Randau reichte ihm die Hand. Nur um Zeuge unseres Glücks zu sein, erwiderte er freundlich, und damit ich Gelegenheit habe, alles Unrecht offen zu bekennen, sind Sie zu uns gekommen. Lassen Sie uns wahre Freunde sein, Jakob, und glauben Sie mir, der letzte Rest vom alten bösen Sauerteig des Hochmuths ist in mir verarbeitet und vernichtet.
Es ist eine rauhe harte Hand, die ich Ihnen reiche, erwiderte der Arbeiter stolz und froh lachend, aber lieber Herr, mein lieber Freund, wenn ich Sie so nennen darf, Jakob Neuhaus hat einmal keine andere, und gerade heraus gesagt, er glaubt, daß sie in ihrer Art mehr werth ist, wie manche zarte und weiche.
Und ich schlage ein und sage ja, rief Randau. Ich will diese Hand in Ehren halten und den tüchtigen Mann dazu, dem sie gehört.
Der Professor drängte sich an seinen Schüler, und in seiner Freude verlor er die Brille, die er von den Augen warf, als er Randau heftig an's Kleid faßte und schüttelte.
Wer hat nun gesiegt, schrie er, die Pflichten oder die Neigungen? Das bloße alberne Gewissen, die von ihm gebotene Reue oder der sittliche Wille?!
O! fort mit allen Abstractionen, rief Randau, indem er die beglückte Frau in seine Arme schloß. Diese hat gesiegt! Ihr Bild lebte tief in meiner Brust, und als die rechte Stunde gekommen war, durchbrach es alle Nebel und Gespinnste. In wahrer Liebe lebt die höchste Sittlichkeit.
In Frohsinn verging der Tag, bis am Abend Randau, Marie und der alte Herr in den Wagen stiegen, der sie auf die nächste Poststation führen sollte, von wo aus sie in die Residenz zurückkehrten. Die Vorbereitungen dazu waren in aller Eile getroffen worden. Dem Verwalter wurde die Nachsendung alles Benöthigten übertragen. Der Gutsherr war entschlossen, eine Zeit lang in der Hauptstadt zu verweilen, dann aber eine Reise anzutreten, und bei der Rückkehr mit frischer Kraft sich in die Bewegung des Lebens zu werfen, um zu nützen und zu fördern, so viel er vermöge.
Marie stimmte mit allem überein, und der Professor fand es recht und wohlgethan, daß ein Mann von Muth und Willensstärke und obenein ein Mann von Vermögen, die Hände nicht in den Schooß lege, sondern tüchtig strebe um für Förderung des Wahren und Rechten, für das Wohl Aller sich zu bemühen.
Du, rief er endlich, Du mit Deinem zähen Geist des Widerstrebens, mit Deinem Rechtsgefühl und der Gesetzkenntniß, die Du besitzest, bist ganz gemacht für den Kampf unserer Zeit. Was würde daraus geworden sein, wenn Du mit der tollen Frau davongelaufen wärst, um in irgend einem Thale bei Mandeln und Citronen zu wohnen? In Reue und Gewissenspein hättest Du kümmerlich geendet.
Randau drückte ihm die Hand. Seine Gedanken flogen zurück nach dem einsamen Meierhofe am See, wo Aurelie ihn mit stolzer Gewißheit erwartete. Im Mondenglanze hörte er Pferde schnauben; ein Reisewagen, hoch bepackt, stand halb im Schatten der Schwarztannen verborgen. Aurelie ging mit großen unruhigen Schritten auf und ab. Aufhorchend, ungeduldig die Hände ballend und ihre großen heißen Augen über die hellglänzenden Felder ausschickend, um den Geliebten zu entdecken, eilte sie durch die Gänge und endlich stieß sie einen Laut der Freunde aus, denn vom See herauf kam ein Mann, an dessen leichtem elastischem Gange sie Gustav erkannte. Laut und zärtlich seinen Namen rufend, trat sie mit offenen Armen ihm entgegen, und – stand vor Jakob Neuhaus, der rasch durch das Gebüsch sprang und Aurelien schweigend ein Blatt überreichte, das sie ohne Frage nahm und im Meierhofe verschwand.
Gewaltsam riß sich Randau von diesen träumerischen Gebilden los, aber sie hatten ihm Wahrheit gezeigt. Jakob hatte der unruhig Wartenden fast in jener Weise einen Brief übergeben, und jetzt stand Aurelie, bleich wie eine Todte, und starrte auf die Buchstaben der Schrift. Diese war von Mariens Hand.
»Ich habe Dir,« so lautete sie, »zwar mein Wort gegeben, Gustav's Banden zu lösen, und willig zu dulden und zu leiden, aber nur in der Voraussetzung, daß sein Herz mir nicht mehr gehörte. Von dieser schrecklichen Täuschung bin ich befreit. Seine Schwüre ewiger Liebe wiederholen sich in diesem Augenblick. In seinen Armen, die mich umschlingen, schreibe ich diese Zeilen an Dich; nichts kann und wird uns trennen. Lebe wohl, Aurelie! Du wirst nach dieser Mittheilung meinen Frieden nicht mehr trüben wollen, denn Du kannst es nicht. Lebe wohl!«
Lebe wohl! rief Aurelie mit hohler Stimme aus tiefster Brust, indem sie den Brief fallen ließ und mit einer heftigen Bewegung den Hut von ihrem Kopfe riß. Ihre Augen erhielten den Glanz des Wahnsinns; sie zitterte und wankte; ein convulsivisches Zucken lief durch ihre Züge.
In diesem Augenblick trat Bernauer durch eine Nebenthür herein, wo er unentdeckt schon lange gestanden hatte. Langsam näherte er sich Aurelien und hielt sie aufrecht, indem er sie zu einem Lehnstuhl führte.
Trösten Sie sich, Frau Baronin, sagte er, hören Sie auf den höchsten Trost.
Es giebt keinen Trost für mich, murmelte sie, die Hände ringend. Verloren! verloren! ich habe nichts mehr zu hoffen, und Sie, o! Sie selbst – ich folgte Ihrem Rath!
Gott züchtigt die Sünder, erwiderte der Geistliche ernst und stark; Gott erlaubt uns auch der Sünde zu dienen, damit sie offenbar werde. Er ruft die Finsterniß hervor, damit das Licht leuchte; er prüft die Herzen in Versuchungen und erbarmt sich ihrer in tiefster Noth.
Schmach, Schande, Sünde über mich! rief Aurelie schwer athmend. O, meine Mutter! Du hast es vorhergesagt. Ich ersticke! Helfen Sie mir – retten Sie mich – verlassen Sie mich nicht!
Einen nur giebt es im Himmel und auf Erden, sagte Bernauer feierlich, der sich aller Verlassenen annimmt. Zu ihm fliehen die Mühseligen und Beladenen, zu ihm die Sünder und Verlornen. Fliehen Sie in seine Arme, dort allein ist Trost und Ruhe auch für Sie. Und war es nicht eitle Lust, schwere Sünde, fluchwürdige Verdammniß, die Sie trieb, an den heiligen Geboten Gottes zu freveln? fuhr er drohend fort; steht das Gewissen nicht mahnend jetzt vor Ihnen? Nagen nicht Qualen der Hölle nun an Ihrer Seele? Retten Sie diese, retten Sie diese schuldbelastete Seele von ewiger Pein; nur Reue, wahre Reue, Gebet und Buße, nur die allliebende Mutter, die heilige christliche Kirche, deren Schooß allen Sündern geöffnet ist, die da kommen und ihre Knie umfassen, nur diese hat Rettung für Sie. Außer ihr ist ewige Verdammniß!
Aurelie lag in tiefer Ohnmacht; Bernauer beugte sich über sie hin. Das geheimnißvolle zuckende Lächeln lief über sein Gesicht, als er sie betrachtete.
Sie ist gerettet, murmelte er, weiche von ihrem Haupte! Und mit seiner Rechten zog er die heiligen Zeichen des Kreuzes ihr über Gesicht und Brust; dann sank er auf sein Knie und betete lange.
Die Baronin von Polenz lebt jetzt in Rom, bußfertigen Uebungen hingegeben unter der leitenden Aufsicht ihres Beichtigers, des Paters Bernauer vom Orden des heiligen Ignaz von Loyola.