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Der Doppelgänger.

Roman.


I.

Vor zwei Jahren, es war im Herbste, stand ein alter Herr still vor sich hin schauend an dem Eisengitter, das den Vorplatz der Börse umschließt, und betrachtete neugierig das Gedränge der Kommenden und Gehenden auf der Treppe. Man konnte es dem alten Herrn gleich ansehen, daß er ein Fremder hier sei, denn sein langer blauer Rock, sein Hut mit der breiten Krämpe, seine Stiefel, die hoch bis ans Knie hinauf gingen, und der ganze Mann in seiner steifen Ehrbarkeit und Schwerfälligkeit kündeten in jeder Falte den ehrsamen Bürger aus der Provinz an.

Als er eine Zeit lang seinen schweren Körper auf das mächtige Bambusrohr mit Elfenbeinknopf gestützt und mehrere Male bedenklich mit dem Kopfe geschüttelt hatte, begann er ein leise gemurmeltes Selbstgespräch, dessen Endresultat war, daß er plötzlich die Hand an seinen Hut legte und zu einem eben an ihm hinstreifenden Herrn höflich sagte:

Um Vergebung, mein Herr, was ist das für ein Gebäude?

Es ist die Börse, antwortete dieser, indem er einen schnellen Blick auf den Frager warf und weiter ging.

Vielen Dank! rief der alte Herr ihm nach, und mit derselben lauten Stimme setzte er hinzu: Ist mir lieb, daß ich es weiß.

Der Andere sah noch einmal zurück, dann wendete er sich um, und sagte verbindlich:

Haben Sie vielleicht ein Geschäft an der Börse?

Ich? rief der alte Herr erstaunt und fast erzürnt, nein! Gott sei Dank, ich habe nichts zu schaffen mit dem Raubneste.

Ein sonderbares spöttisches Lächeln lief durch das Gesicht des kleinen Mannes, der vor dem fremden Herrn stand. Seine Augen kniffen sich unter der goldenen Brille zusammen, die auf einer langen gebogenen Nase saß; er schien mit sich zu Rathe zu gehen, ob er den groben alten Menschen verlassen und auslachen oder ob er sich noch ein wenig mit ihm belustigen solle. Inzwischen trat er einen halben Schritt näher und sagte mit einer Art Katzenfreundlichkeit:

Sie sind jedenfalls ein Fremder, mein Herr?

Zu dienen, erwiderte der alte Herr. Ich bin aus Westpreußen und seit manchem Jahr nicht in der Hauptstadt gewesen, die wie Sodoma und Gomorrha geworden ist.

Sie haben sehr strenge Ansichten mitgebracht! erwiderte der Kleine; aber Sie haben wohl Recht, Lug und Trug nimmt überhand in der Welt.

Und die es hemmen sollten, fördern es! fiel der alte Herr eifrig ein. Was haben wir nicht schon Schreckliches gehört von dem Unheile, das aus diesem Hause hervorgeht, wo man Hab und Gut, Ehre und Gewissen verliert, und wo eine Rotte heilloser Gauner und Spitzbuben ungestraft ihre Mitbürger betrügt und beraubt!

Es ist in der That ein entsetzliches Unglück, sagte der Andere, aber es ist doch ein wunderlich seltsames Schauspiel, diese Rotte zu betrachten. Sie sollten es sich in der Nähe ansehen.

Schönen Dank! sagte der alte Herr trotzig. Ich habe allen Respect vor dem Wespenschwarme, der da drinnen steckt.

Es ist unendlich wahr, was Sie sagen! sprach der Kleine; hört man aber den Leuten zu, die dort hausen, so haben sie viele Entschuldigungsgründe. Sie zwingen Niemanden, an ihrem Treiben Theil zu nehmen. Dem Glücke, dem Gewinne, sagen sie, jagt die ganze Welt nach; an der Börse aber herrscht die vollste Freiheit, sie ist ein Kampfplatz des feinsten Wettens aller geistigen Thätigkeiten.

Alle Wetter! was sagen Sie da? schrie der alte Herr. Jedes Wort ist eine Lüge!

Ich glaube es auch nicht, fuhr Jener schmeichelnd fort, aber ich kann es sehr wohl begreifen. Heut zu Tage will Jeder reich werden, Gold ist das höchste Gut dieser Welt, und wie schwer ist es zu erwerben! Ein kühner Schlag, ein Tag, eine Stunde kann aus dem Bettler einen Krösus machen, und es ist eine leichte Arbeit obenein, man rührt keine Hand dabei.

Müßiggang ist aller Laster Anfang! rief der alte Herr. Wenn ich Macht hätte, ich wollte sie schon curiren, die Nichtsthuer da! wollte sie mitnehmen nach Westpreußen, sollten graben und hacken lernen, sollte ihnen schon bekommen!

Das ist ein vortrefflicher Plan, erwiderte der kleine Mann, heftig lachend, schade nur, daß er nicht auszuführen ist. Sie sind also jedenfalls Gutsbesitzer in Westpreußen?

Besitze da ein Gut, sagte der alte Herr, und könnte die ganze Gesellschaft nützlich verwenden in Ställen, Scheunen, Aeckern, Wiesen und Feldern.

Ein köstlicher Gedanke, wenn ich mir die Schaar versinnliche! Ich muß Ihren Namen wissen, mein verehrter Herr.

Ich heiße Burgau, versetzte der alte Herr, bin so ein Mann aus der alten Zeit, ohne Flitter und Schminke, freue mich, daß Sie auch so denken, wie es scheint.

Der Kleine machte einen tiefen Diener, aber er that sich großen Zwang an, um ernsthaft zu bleiben; als er jedoch nach einigem Hin- und Herreden seinen Namen nannte, schien der alte Herr Mißtrauen zu fassen.

Kaufmann Korn, sagte er; habe allen Respect vor dem Stande und bin gewiß, daß von gutem Schrot und Korn ist, was Sie sagen; danke jedoch nochmals bestens für Ihr Anerbieten, mich in das Haus zu führen, das ich von ganzem Herzen verachte und verabscheue.

Mein theurer Herr von Burgau, entgegnete der Kaufmann achselzuckend, Niemand kann Ihnen mehr beistimmen, als ich, allein die Umstände verlangen manche Opfer, der Handel ist ein großes Lotto, wo man spielt, um zu gewinnen. Sie spielen doch gewiß auch in der Lotterie?

Freilich spiele ich, sagte der Gutsbesitzer, aber …

Kein Aber, mein gnädiger Herr. Sie spielen und glauben eine erlaubte Handlung zu thun, weil der Staat nichts dagegen hat, der seine lieben Staatsbürger in Gottes Namen spielen und die Meisten verlieren läßt, dabei aber jährlich einen hübschen Gewinn einstreicht.

Es ist Blutgeld, Sündengeld! brummte der alte Herr.

Aber Sie helfen ihm ja selbst dazu, sagte Herr Korn boshaft lachend; und was thut man nun an der Börse? Man spielt ein Börsenspiel, ein Lotto, bei dem der verständige Spieler eine bei Weitem größere Aussicht auf Gewinn hat als in der das Volk demoralisirenden Lotterie, welche der Staat selbst herruft und beschützt und sie festhält trotz aller Stimmen, die sich dagegen erheben.

Der ehrliche alte Herr wußte im Augenblicke nichts darauf zu antworten. Er war verlegen durch diesen Einwurf, und sein Gegner benutzte dies, indem er triumphirend sagte:

Ackerbauer und Hirten haben wohl die ersten Staaten gegründet, aber Handel und Wandel hat diese erst groß machen können, hat die Menschen erzogen und gebildet, hat alles hervorgerufen, was wir besitzen, und wird erfinden und schaffen, was geschaffen werden kann. Gold baut jetzt Throne und stürzt sie um; ohne Gold sind die mächtigsten Herren nichts; gibt der Rothschild kein Gold, so können sie keine Kriege führen. So erhalten die Banquiers und die Börse den Frieden auf Erden und führen das goldene Zeitalter herbei, wonach die Menschen nun schon seit Jahrtausenden schmachten. Darin ruht die Weisheit, das Leben und aller Segen, und nur Narren und Dummköpfe können die beseelende Kraft verachten, welche darin liegt, Gold zu machen. Gold mit Verstand und Glück in die Hand zu bekommen, ist das höchste Ziel der Menschenkinder, denn mit Gold kann ich Alles. Kann ich bezahlen, bin ich Herr, und der Bettler, der Lump, der Habenichts ist mit Recht ein Taugenichts; denn taugte er etwas, so würde er wissen, wie er Gold erwirbt. Nur wer Gold hat, kann Segen verbreiten, Gutes thun, Gutes wirken, ein guter Mensch sein. Wer arm ist, ist auch schlecht; das weiß die hohe Obrigkeit am besten, denn der Arme und der Schlechte stehen bei ihr auf einer Stufe.

Der alte Herr sperrte den Mund vor Verwunderung bei dieser Sprache auf und sah mit seltsamen Blicken den Sprecher an, der seine blitzenden schlauen Augen auf ihn heftete, plötzlich aber abbrach und nach dieser Abschiedsrede lachend sagte:

Ich muß in dieses Sodoma und Gomorrha jetzt hinein, mein werther Herr. Wollen Sie mich begleiten, so will ich Ihnen manche Männer, besonders aber Einen zeigen, der Ihren Beifall vielleicht gewinnen und einige ungerechte Vorurtheile, welche Sie gegen alle Geldmänner hegen, zerstören wird. Wollen Sie?

Eine sonderbare Neugierde faßte in diesem Augenblicke den alten Herrn.

Gut, ich will, sagte er.

So kommen Sie, fuhr der Kaufmann fort. Ich bin überzeugt, es wird Sie nicht gereuen.

Lächelnd über den wunderlichen Zufall, der ihn in das Gedränge von Leuten führte, welche er als das verruchteste Gesindel zu betrachten sich gewöhnt hatte, stieg Herr von Burgau neben seinem gefälligen Führer die Vortreppe hinauf und befand sich plötzlich im dichtesten Getümmel der Börsenmänner, die ihn fortschoben, stießen, drückten und keineswegs freundlichere Empfindungen für sich bei ihm erweckten. Er sah sich, wie mit einem Zauberschlage, in eine fremde, unbekannte Welt versetzt, belebt von Wesen, deren Sprache er nicht kannte und deren Geberden und Gesichtszüge ihm Widerwillen einflößten.

Die großen Säle waren vollgepfropft von Menschen, die in tausend Schlangenlinien sich um und durch einander wanden. Ihre geschwinden suchenden Blicke schienen, wie die der Raubvögel, irgend eine Beute zu erspähen, auf welche sie losstürzten, ohne auf Anderes Bedacht zu nehmen. Der ganze Haufe, schreiend, lachend, finster blickend und wild gesticulirend, kam ihm vor wie ein Schwarm von Hottentotten oder Beduinen, der auf irgend einem Jahrmarkt-Theater eine Vorstellung seiner schrecklichen Nationalsitten geben will.

Zahlen, fremde Namen, Procente, Achtel, Viertel, Tantièmen, Agio, Spesen und manche andere unbekannte Wörter schwirrten dem alten Herrn dabei um den Kopf, und alle Augenblicke hätte er sich die Ohren zuhalten mögen vor dem heiseren vielstimmigen Geschrei der kleinen Agenten und Pfuschmäkler, die überall umherzogen, Actien der zahllosen Eisenbahnen ausboten oder sie zum Kauf suchten. Er wurde im Bemühen, den Eiligen auszuweichen, gestoßen, sein Hut verbogen und zerdrückt, auf seine Füße getreten, und während er selbst ein wenig ängstlich in dieser unbekannten Welt sich überall doppelt höflich entschuldigte, nahm kein Mensch darauf Bedacht, ihm Aehnliches zu erweisen.

Dagegen erregte die ungewohnte Erscheinung nach und nach eine gefährliche Aufmerksamkeit, welche sich immer mehr zu steigern schien, je länger der alte Herr blieb und je ängstlicher und fremder er sich benahm. Man witzelte in frecher Weise über sein Aeußeres, betrachtete ihn durch Brillen und Lorgnetten, schrie sich ungezogene Bemerkungen zu über den Pachter, der vermuthlich den Getreide- oder Viehmarkt suche, und als der alte Herr einige sehr ernste und zornerfüllte Blicke unter seinen grauen Wimpern auf die Rotte schoß, welche eine Art Kreis um ihn zu bilden begann und ihn immer merklicher verhöhnte, entstand ein allgemeines Gelächter, das überall wiederhallte.

Der Aerger kochte ihm gewaltig in der Brust auf, und heimlich überlegte er, was am besten sei: still und so schnell wie möglich davon zu gehen oder gegen diese kläffende schaamlose Schaar den Platz zu behaupten. Sein Führer und Begleiter war verschwunden, nachdem er ihn ersucht hatte, ihn an der Stelle zu erwarten, wo er ihn gelassen, und trotz alles Umherblickens konnte ihn der alte Herr nicht entdecken.

Er wußte nicht, daß eben dieser freundliche Führer ihm den ganzen höhnenden Schwarm auf den Hals schickte, um seine Blasphemieen gegen die Börse damit rachsüchtig zu strafen. Er stand wie ein Lamm in seiner Unschuld und fand es endlich doch gar nicht unbelustigend, dem tollen Treiben zuzuschauen und nebenher Gesichterstudien zu machen. Nach und nach richteten sich seine Blicke fast ausschließlich auf einen Herrn, der ihm gegenüber an dem Bogenpfeiler des vorderen Saales lehnte und dessen Gestalt und Wesen dem Gutsherrn aus Westpreußen ein ganz besonderes Interesse abnöthigten.

Es war ein schöner junger Mann, schlank von Wuchs, mit großen blitzenden Augen und edel geformtem Gesichte, dessen natürliche Blässe von der Hitze und dem Gewühl eine leichte Färbung angenommen hatte. Dunkles, ein wenig gekräuseltes und glänzendes Haar fiel auf seine hohe Stirn, und mitten zwischen den abgefeimten und gemeinen Physiognomieen dieses Haufens gieriger Spieler sah er fast wie eine höhere Erscheinung aus, denn eine solche Folie mußte ihm doppelt zu Statten kommen. Nachlässig lehnte er an dem Pfeiler, und seine Hand, mit einem funkelnden Ringe geschmückt, hielt eine Schreibtafel, in welcher er von Zeit zu Zeit etwas eintrug.

Ein ganzer Schwarm von Mäklern und Agenten umringte diesen jungen Mann, welcher, wie der alte Herr zu bemerken glaubte, von ihnen mit einer Art Bewunderung und Ehrfurcht betrachtet wurde, die sich deutlich in ihren Blicken und Höflichkeitsbezeugungen kund gab. Er dagegen betrachtete diese Menschen mit Gleichgültigkeit oder Geringschätzung, flüsterte hier dem Einen ein paar Worte zu, winkte ihnen Gewährung oder lehnte ihre Anträge ab, doch Alles ohne einen Zug seines Gesichtes zu verändern, ohne aus seiner Stellung zu weichen, ohne irgend eine Bewegung zu machen, die einen Antheil oder eine Erregung verrathen hätte.

Wenn das auch eines von diesen Kindern des Satans ist, sagte der alte Herr zu sich selbst, so ist er dem gefallenen Engel zu vergleichen, der zu etwas Anderem bestimmt war. Aber ich glaube es nicht, es kann nicht so sein.

In diesem Augenblicke bemerkte er seinen kleinen Freund und Führer dicht neben dem Unbekannten, dem er mit der Hand auf die Schulter schlug und lebhafte Worte an ihn richtete, wobei er laut lachend herüber sah, und es war dem alten Herrn, als sage ihm Jemand, daß von ihm zwischen den Beiden die Rede sei.

Während jene Beiden sprachen, wurde er selbst immer stärker gedrängt, gestoßen, unverschämt angepackt und verhöhnt. Er wand sich und bog sich, wich zurück und war im Begriffe, seinen Stock mit dem Elfenbeingriff fester zu fassen und eine drohende Stellung einzunehmen, als er bemerkte, daß der Unbekannte langsam ein schwarzes Glas an einer schwarzen Schnur aus der Weste zog, ihn einen Augenblick betrachtete, dann aber plötzlich sich aufrichtete und mit schnellen Schritten durch den Haufen seiner Bedränger ihm nahte.

In der nächsten Minute war er neben ihm, und indem er ihm die Hand bot, sagte er mit wohlklingend männlicher Stimme:

Einer meiner Freunde hat mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft verschaffen wollen, Herr von Burgau. Meine Geschäfte sind noch nicht beendet, aber es wird mir zum Vergnügen gereichen, wenn Sie eine kurze Zeit bei mir verweilen wollen.

Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er den alten Herrn mit sich fort an den Platz, welchen er verlassen hatte, und gewiß war der Schutz, den er gewährte, ein mächtiger; denn plötzlich war der Lärm gestillt, die Spötter schwiegen und bildeten eine Gasse, durch welche sie ihr Opfer ruhig abziehen ließen.

Ich danke Ihnen sehr, sagte der Gutsbesitzer, als sie den Pfeiler erreicht hatten; denn er erkannte, daß er aus einer fatalen Lage befreit worden sei. Man hat mich Spießruthen laufen lassen und sicher Schlimmes mit mir im Sinne gehabt. Obwohl ich nun nicht begreife, was ich verschuldet, will ich es demüthig hinnehmen als Strafe für meine unzeitige Neugier, und mich hüten, je wieder darein zu verfallen.

Wenn man den Bären neckt, erwiderte sein Beschützer lächelnd, soll man nicht in seine Höhle laufen.

O, freilich! rief der alte Herr, und wer nicht zu den wilden Thieren gehört, hat hier nichts zu suchen.

Gewiß nicht, oder er muß es verstehen, sie zu zähmen.

Sie verstehen es also ohne Zweifel?

Der alte Herr erhielt keine Antwort, denn sein Beschützer hatte mit Leuten zu rechnen und zu sprechen, die sich um ihn drängten, allerlei Namen nannten, Zahlen, Preise und Procente. Es handelte sich um hohe Summen, von denen Burgau der Kopf schwirrte, und ein innerer Schauder ergriff ihn, wenn er daran dachte, wie diese Menschen hier sich viele Tausend und Hunderttausend Thaler zum Kauf und Verkauf anboten, während zehn Schritt von ihnen auf der Straße halbverhungerte Bettler in Lumpen standen, die durch ein paar Groschen glücklich gemacht werden konnten.

Ich verstehe es allerdings, sagte der Unbekannte endlich, indem er das Gespräch wieder aufnahm.

Und ich habe die Proben davon, versetzte Burgau. Sie scheinen als König hier zu gebieten.

Sie haben Recht, ich bin einer der Herrscher dieses Reiches, entgegnete er mit stolzem Nachdruck.

Indem er dies sagte, lächelte er, wie ein Held, der aus vielen Schlachten als Sieger hervorgegangen ist und die Ueberzeugung seines Glückes und seines Ruhmes in sich trägt. Der alte Herr sah ihn mit Theilnahme und einer gewissen Furcht an, die fast unwillkürlich ihn ergriff.

Ist dieses Reich aber auch so fest gegründet, daß es von Revolutionen und Entthronungen nichts zu fürchten hat? fragte er, indem er seinen Nachbar freundlich anblickte.

Es kam ihm vor, als liefe ein trüber Schatten durch die großen Augen des jungen Herrn; doch schnell, wie ein Gedanke, war er wieder verschwunden.

Mein Reich, rief er, froh gelaunt auf die Frage eingehend, steht fester und sicherer, als die meisten Reiche unserer Tage. Ich bekriege meine Gegner durch geschickte Operationen, besiege sie, ohne sie zu erzürnen, beglücke tagtäglich meine Unterthanen und Anhänger, die dafür mit Ergebenheit meinen Thron umringen, keine Theilung der Rechte von mir verlangen, sondern zufrieden mit dem sind, was ich ihnen gewähre, und mir und meiner Einsicht vertrauen, die sie noch nie getäuscht hat. Sehen Sie, Herr von Burgau, so regiere ich, immer im Kriege begriffen und doch geliebt und geachtet, und gebe denen, die meine Freunde sind, Gelegenheit, Wünsche und Hoffnungen zu erfüllen, welche ihnen sonst unerreichbar und unmöglich wären.

Der alte Herr war sichtlich bewegt. Seine Blicke richteten sich schnell und ungewiß auf den Mann, der so kühn von seiner Macht redete. Die geheimen Gedanken seiner Seele spiegelten sich in seinen Augen wieder; wie ein Seufzer klang es, als er langsam sagte:

Ich begreife, daß Sie viele Freunde haben müssen.

Gewiß, war die Antwort, aber ich würde stolz sein, wenn Sie mich zu den Ihrigen zählen wollten.

Ich bin Ihnen sehr verbunden, erwiderte der alte Herr verlegen, allein meine Freundschaft kann so leicht Niemanden beglücken.

Die Freundschaft eines redlichen Mannes beglückt immer, und wenigstens glaube ich, daß Sie Wohlwollen für mich empfinden.

Ein warmes, wahres Wohlwollen! sagte Herr von Burgau mit Herzlichkeit, indem er ihm die Hand reichte. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber ich habe es vom ersten Augenblicke an empfunden, als ich Sie sah.

Nicht weniger als ich, entgegnete sein Nachbar, und meine Freundschaft für Sie gibt mir ein Recht auf Ihr Vertrauen. Sie haben etwas in Ihren Mienen und Blicken, was mich betrübt.

Ich? fragte der alte Herr lächelnd.

Sie sind von einer Sorge bedrückt, von einem Kummer geängstigt.

Ich weiß nicht, was Sie da alles in meinem Gesichte lesen können! versetzte der alte Herr, und das Lächeln starb auf seinen Lippen.

Ich will es Ihnen sagen, fuhr der junge Mann fort.

Meine Worte haben Ihre Wünsche angeregt, und diese fremde Welt, welche Sie umgiebt, bringt das Verlangen nach Erfüllung derselben in Ihr Herz. Sie sehen hier einen Strom von Gold fließen, und man sagt Ihnen, wie leicht es sei, aus seinen Wellen zu schöpfen. Die Begier, dies zu thun, schimmert in Ihren Blicken.

In meinen Blicken! rief der alte Herr erschrocken, seine Augen mit der Hand bedeckend, o, nein, nein!

Ich weiß, mit welcher Verachtung Sie darüber sprechen, und dennoch ist es so. Sie bedürfen nothwendig Geld …

Nicht für mich, gewiß nicht für mich! versicherte Burgau in größter Verlegenheit. Ich bin ein alter Mann mit geringen Wünschen, lebe still auf meinem Gütchen, das mir so viel giebt, als ich brauche.

Ich bin überzeugt, daß keinerlei eigene Schuld und keine Habgier Ihnen jene Wünsche einflößt.

Der alte Herr warf einen dankbaren Blick auf seinen Freund, der mit dem Tone bestimmter Ueberzeugung sprach.

Sie haben Recht, sagte er; aber mag es auch fremde Schuld sein, ich fühle es eben so tief und will Ihnen nicht länger läugnen, daß ich eine Summe Geldes suche. Ich habe die Reise hierher gemacht in meiner Herzensangst, um vielleicht hier Hülfe zu finden. Es handelt sich um eine Familien-Geschichte, die mir vielen Kummer macht. Mein Gütchen ist verschuldet genug. Die Zeiten sind schwer, Geld nicht zu bekommen; mein ältester Freund, den ich heute noch aufsuchen will, ist meine letzte Hoffnung.

Bei Ihrem jüngsten Freunde wollen Sie vorüber gehen! sagte der Nachbar vorwurfsvoll.

O, wenn ich hoffen dürfte! erwiederte Burgau verlegen niederblickend; wenn es Ihnen möglich wäre – wenn Sie auf Hypothek mir 2000 Thaler leihen wollten, ich würde den Himmel segnen, der mich hierher geführt hat. Sie haben in dem Documente wirklich Sicherheit, denn mein Gut ist weit mehr werth, als was ich darauf schulde; überdies sollen die Zinsen redlich bezahlt werden, und meinen innigsten Dank, meinen herzlichsten Dank …

Er schwieg, denn der junge Freund schüttelte ernst den Kopf. Ich bin kein Capitalist, Herr von Burgau, entgegnete er, kein Mann, der von Zinsen lebt und Hypotheken gebrauchen kann. Ich bin Speculant, Börsenmann, Banquier, der jeden Tag sein Geld nöthig hat.

Dann freilich … ja, dann haben Sie Recht, sagte der alte Herr kalt.

Allein, fuhr Jener fort, diese Eigenschaften schließen nicht aus, daß ich gern helfe, wie ich kann, und Ihnen Rath und Beistand ertheile, wie ich es vermag. Sie sind hier an einem Orte, wo man kühn das Glück versuchen muß. Wohlan denn, machen Sie die Probe.

Ich? rief Burgau erschrocken. Was muthen Sie mir zu?!

Eine Theilnahme an der großen Zeitbewegung, sprach der Speculant lächelnd, einen raschen Griff in die Speichen des Rades der Frau Fortuna. Ich habe hier hunderttausend Thaler Actien-Quittungsbogen einer sehr beliebten Bahn gekauft, zum Preise von einhundert und neun Procent. Ich will sie Ihnen zu demselben Preise überlassen. Morgen ist der Erste, der Tag der Abrechnung.

Wollen Sie mich verspotten? fragte der alte Herr erzürnt. Was kann mir das helfen? Ich – hunderttausend Thaler! ich besitze dermalen nicht so viele Dreier.

Sie haben auch diese nicht nöthig, fuhr der Freund lächelnd fort; Sie haben nichts zu thun, als mein Anerbieten anzunehmen.

Aber ich verstehe keine Sylbe von dem ganzen Handel.

Sie haben nichts zu thun, als bis morgen einen Käufer für Ihren Kauf zu suchen, der Ihnen vielleicht einen Vortheil gewährt.

Ich gebe einhundert eilf, rief eine Stimme hinter dem Pfeiler hervor, wenn Sie mir den Posten überlassen, Herr von Burgau!

Der alte Herr sah sich verwundert um und erblickte den kleinen behenden Mann, der ihn hierher geführt hatte. Er kniff unter seiner goldenen Brille die Augen voll Spott und Schelmerei zusammen und schrie im krähenden Tone:

Sagte ich Ihnen nicht, daß es gut sein würde, wenn Sie mich begleiteten? Machen ein brillantes Geschäft, gleich zum Anfange, und kommen dazu, wie der Prophet zur Offenbarung. Wenn das kein Glück ist, gibt es keines in der Welt. Nun, wollen Sie einhundert und eilf?

Ich begreife nichts, begreife wahrhaftig nichts! sagte Burgau, der seinen Kopf schwindeln fühlte; und wenn Sie sich einen Spaß, ein Spiel mit mir erlauben, so sollten Sie bedenken, daß es kein großer Ruhm ist, einen fremden, unerfahrenen alten Mann zu verspotten.

Davon bin ich weit entfernt, versicherte der Banquier.

Und ich noch viel mehr! schrie Korn. Die Sache ist verteufelt ernst.

Sie haben von mir Actien gekauft, im Werthe von hunderttausend Thalern.

Ich muß recht sehr bitten, nein! rief der alte Herr erschrocken.

Sie haben gekauft zu hundert und neun, hier werden Ihnen nun sofort hundert und eilf dafür wieder geboten.

Es fragt sich, ob Sie den Handel eingehen wollen, Herr von Burgau.

Ein plötzliches Verstehen kam über den alten Herrn.

Er sah seinen jungen Freund mit Ueberraschung, Verlegenheit und Rührung an. Schaam und Stolz rangen in seinem Gesichte, er wußte nicht, was er antworten sollte. Er schüttelte den Kopf und legte seine Hand in die seines großmüthigen Beschützers.

Mein Herr, sagte er mit gepreßter Stimme, ja, ich weiß nicht einmal Ihren Namen.

Nennen Sie mich Hermann, antwortete dieser.

Nun wohl, Herr Hermann, ich verstehe, was Sie beabsichtigen, allein es ist mir unmöglich …

Was ist Ihnen unmöglich? fragte der Speculant. Ich rathe Ihnen, abzuschließen, der Vortheil ist nicht gering; Sie haben in Wahrheit Glück, Herr von Burgau.

Aber ich kann es nicht annehmen, sagte der alte Herr mit Anstrengung.

Ich sehe nicht ein, was Sie daran hindern sollte, versetzte Hermann kalt. Wäre der Cours gesunken, ich würde unnachsichtlich von Ihnen die Differenz erhoben haben. Sagen Sie daher mit Einem Worte, ob Sie verkaufen wollen. – Gut, ich sehe, Sie wollen; so erlauben Sie, daß ich das Geschäft mache. Du kaufst also von Herrn von Burgau den Posten?

Ja, und nehme ihn morgen ab, erwiderte Korn.

Von mir, der ich mich zum Verkaufe bekenne, fuhr der Andere fort; allein da Herr von Burgau wahrscheinlich morgen nicht mehr hier ist, so zahlst Du sofort die Differenz.

Auf der Stelle, sägte der Banquier, sein Portefeuille ziehend. Er nahm vier Bankscheine heraus und hielt sie dem alten Herrn hin. Nehmen Sie, sagte er, hier ist die Differenz. Aber, mein Gott, nehmen Sie doch! fuhr er fort, sich an der staunenden Bestürzung Burgau's weidend. Es ist kein Traum und kein Spaß, oder wenn es ein Spaß ist, so muß es jedenfalls ein kostbarer Spaß genannt werden, denn es sind richtige zweitausend Thaler.

Burgau streckte mechanisch die Hand aus, ein Zittern lief durch seinen Arm – er schien noch immer unschlüssig.

Stecken Sie die Scheine in Ihre Brieftafel und lassen Sie uns gehen, sagte Hermann. Ich denke, Sie erzeigen mir die Ehre, mit mir zu Mittag zu speisen.

Er führte den alten Herrn hinaus, der kein Wort sagte. Herr Korn folgte den Beiden und ließ einen verächtlichen Blick über sie hingleiten. Draußen setzten sich die Drei in einen Wagen und fuhren in eines der ersten Hotels, wo ein prächtiges Mahl sie erwartete.


II.

Erst als der Abend dämmerte, war ihr Diner beendet und das letzte Glas auf das Wohl des alten Herrn geleert. Sein treuherziges, offenes Wesen hatte die beiden Speculanten in sehr verschiedener Weise ergötzt. Der eine hatte ihn durch verstelltes Eingehen in seine Gedanken und Ansichten angereizt, derb auszusprechen, was er dachte, und ihn heimlich ausgelacht, der andere seine Erzählungen und Ermahnungen mit Theilnahme und Wohlwollen angehört. Denn Herr von Burgau war, obwohl er selbst ein Börsengeschäft gemacht und zweitausend Thaler in der Tasche hatte, doch keineswegs dadurch bekehrt und ein Lobredner der Speculation geworden. Von Champagner angeregt, hielt er zuletzt noch eine Rede an die beiden Herren, bei der ihm die Thränen in den Augen standen und seine Stimme vor Rührung zitterte.

Meine lieben jungen Freunde, sagte er am Schlusse, ich muß jetzt von Ihnen scheiden und werde Sie vielleicht nie wieder sehen. Meinen Dank haben Sie abgewehrt, auch wird es mir sauer, von einer Sache zu sprechen, bei der ich mein Gewissen nicht rein fühle. Wenn es nicht sein müßte, wenn ich anders könnte, ich würde … ich möchte …

Jeden Tag ein solches Geschäft machen! rief Herr Korn lachend dazwischen.

Nie – niemals in meinem Leben, sagte der alte Herr feierlich; aber da mein Dank schweigen muß, so hören Sie meinen letzten guten Rath.

Er wandte sich an Hermann und drückte ihm die Hand.

Sie, fuhr er fort, Sie haben ein Gesicht, das nicht zu dem Gewerbe gemacht ist, welches Sie treiben. Menschenliebe und ein edler Geist ist in Ihren Augen zu lesen, die aber einen Abglanz des Widerwillens Ihrer Seele, einen Zug der Schwermuth und Verachtung die darinnen sitzen, angenommen haben. Sie sind ein junger Mann, der zu etwas Besserem geboren wurde, als Tag für Tag an dem Pfeiler zu stehen, gierig zu sinnen, wie man Procente verdient, und dem ganzen gierigen Haufen als Vorbild zu dienen, der kein Herz im Leibe hat, keine Seele in der Brust und keine Gedanken im Kopfe, als den Einen: wie Geld erworben wird.

Vielleicht nehmen Sie uns mit nach Westpreußen, sprach Herr Korn scheinbar demüthig.

Kaiser und Könige, erwiderte der alte Herr stolz, haben die Last ihrer Krone von sich geschleudert und sind beim Hacken und Graben gesund geworden.

Aber es fehlt uns nicht an Gesundheit und Wohlergehen, mein theurer Herr! rief der kleine Mann; auch sind wir äußerst genügsam, wie Sie bemerkt haben werden, denn wir haben weder diesen köstlichen Fasan verzehrt, noch den vortrefflichen Champagner ausgetrunken. Endlich kann ich Ihnen versichern, daß Männer von hohen Würden und Geburtsvorzügen sich sehr geehrt fühlen, in unserer Nähe zu sein.

Der alte Herr hatte eine Antwort auf der Zunge, die er nicht aussprach, aber er faßte mit sonderbarem Lächeln an seine Tasche, wo er die vier Bankscheine trug, und warf einen Blick über die reich besetzte Tafel.

Werden Sie auch immer Freunde haben, immer Gesundheit und frohen Muth, auch ohne Champagner, Fasanen und Gold? fragte er. Sterne und Ordensbänder thun es nicht; die Achtung der guten Menschen, oder deren Verachtung, das innere Bewußtsein, der Friede im Herzen, das Gute.

Merke dir die Moral, rief Herr Korn seinem Nachbar zu, und denke immer daran, dein gutes Geld nicht leichtsinnig zu verschleudern.

Dabei fällt mir ein, daß ich Sie verlassen muß, sagte der alte Herr, indem er aufstand. Ich will einen alten Freund aufsuchen, der, wäre er hier, Ihnen gewiß noch weit weniger gefallen würde mit seinen ernsten Lebensansichten.

Wir würden ungemein erfreut sein, ihn kennen zu lernen, entgegnete Korn höflich.

Von Jugend auf war er ein Muster strenger Sitte aber auch von Treue und Biederkeit.

Also Ihr Ebenbild, Herr von Burgau! rief der Speculant spöttisch.

Ich wollte es, versetzte der alte Herr, dann – wäre ich sicherlich nicht hier – murmelte er für sich.

Aber wollen Sie uns nicht den Namen dieses Mannes ohne Furcht und Tadel nennen?

Recht gern. Vielleicht können Sie mir sagen, wo er wohnt. Er ist Capitän außer Dienst und heißt Georg Wernher.

Wernher? fragte Korn. Nein, ich kenne ihn nicht.

Weißt du etwas von einem solchen Tugendmuster, Hermann?

Der Gefragte verneinte es. Seine Wohnung wird jedoch in dem Adreßbuche zu finden sein, setzte er hinzu.

Korn rief nach dem Adreßbuche, schlug es auf, suchte und sagte lachend:

Wahrhaftig, da steht er; dachte ich mir's doch; draußen, wo die letzten Häuser sind – Wernher, Capitän a. D., Müllerstraße, und hier das lateinische E. bedeutet Eigenthümer … Eigenthümer in der Müllerstraße. Das muß ein Palast sein! Er wohnt sicher auch allein darin.

Er ist von jeher eine Art Einsiedler gewesen, sagte der alte Herr; daran erkenne ich ihn. Es ist wohl weit nach der Müllerstraße?

Am äußersten Ende der Welt liegt sie, das ist das Einzige, was ich Ihnen zu sagen vermag, gab Korn zur Antwort. Es ist das eine romantische Wildniß, wohin Philosophen, verfolgte Unschuld, gemißhandelte Tugend, verspottete Edle aller Art und die Mühseligen und Beladenen dieses Lebens sich retten. Die Menschen leben paradiesisch dort, sogar zuweilen als Trogloditen. Wundern Sie sich daher nicht, wenn der würdige Capitän Sie in einem unterirdischen Schlosse empfängt.

Burgau sah ihn mißmuthig an, ohne ihn recht zu verstehen.

Es ist in der That sehr weit, sagte Hermann, und es dämmert schon. Ich will Sie begleiten und Ihnen den Weg andeuten.

Er nahm seinen Hut, gab Korn einen Wink, ihn zu erwarten, und führte den alten Herrn hinaus, der rüstig und lebhaft sprechend neben ihm herschritt, bis er bemerkte, daß sein Gefährte wahrscheinlich wenig davon gehört hatte; denn die Hände auf den Rücken gelegt und den Kopf tief gesenkt, schien er mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein.

Burgau rührte seinen Arm an und sagte theilnehmend:

Was fehlt Ihnen, lieber Herr Hermann? Sie sehen blaß und verstört aus. Sie sind krank.

Krank? O, nein, antwortete der Angeredete mit einem schwachen Lächeln, nur ermüdet, bedrückt, im Kampfe mit meinem bösen Stern. –

Er richtete sich auf und reichte dem Gutsbesitzer die Hand.

Wir müssen scheiden, sagte er, Ihr Weg führt dort hinunter. Nehmen Sie einen der Wagen da, er wird Sie zu Ihrem Freunde bringen; mein Weg trennt sich hier von dem Ihren.

Doch nicht für immer? sagte der alte Herr herzlich.

Nicht für immer, ich will es hoffen; aber hören Sie meine letzte Bitte. Wo es auch sein mag, daß wir uns jemals wieder finden, denken Sie nicht mehr an diese kurzen Stunden unserer Bekanntschaft. Versprechen Sie mir, mich zu vergessen; ja, geloben Sie mir, daß keine Erinnerung an mich. und an die Erlebnisse dieses Tages in Ihnen zurück bleibt. Lassen Sie Alles ein Traum sein, der am Morgen verblaßt und verschwindet.

Er sprach mit einer Aufregung, die sein blasses Gesicht färbte. Ich verstehe Sie, sagte Burgau. Sie wollen, daß ich gegen Jedermann von der edlen Hülfe schweigen soll, die Sie mir leisteten. Was Sie begehren, soll geschehen, soweit ich es vermag.

Ich nehme Ihr Wort an, entgegnete Hermann, indem er ihm die Hand zum Abschiede drückte. So sinkt denn der Schleier der Vergessenheit zwischen uns von diesem Augenblicke an. Dort stehen die Wagen, mein Herr. Leben Sie wohl!

Ein vortrefflicher junger Mann, sagte der alte Herr tief gerührt, als er im Wagen saß. Großmüthige Seele. Er will nichts wissen von dem, was er gethan hat, will mich selbst nicht mehr kennen, und verlangt, daß ich nie von ihm und seinem Thun rede. Das ist freilich auch das Beste, was geschehen kann, fuhr er nach einer Pause fort, denn wenn ich die Sache erzähle, wie sie ist, werden es die Einen nicht glauben, die Anderen aber allerlei schlechte Deutungen daran knüpfen und Ruf und Ehre in Gefahr bringen. Darum mag es so geschehen, wie er es will; meine ewige Dankbarkeit wird ihm bleiben.

Unter solchen Selbstbetrachtungen des alten Herrn rollte der Wagen zum Thore hinaus und hielt endlich an einem Orte still, wo die Straße sich mit einer anderen kreuzte, welche breit, dunkel und mit hohen Bäumen besetzt, sich zu beiden Seiten ausdehnte. Niedrige Häuser und schlechte Hütten lagen in Zwischenräumen, die mit Hecken geschlossen oder mit Feld- und Ackerstücken gefüllt waren, welche der blasse Schimmer des aufgehenden Mondes und das letzte Dämmerlicht des Tages kenntlich machten.

Der Kutscher trat an den Schlag und bat den alten Herrn, hier auszusteigen, weil der tiefe Sand und sein ermüdetes Pferd ihm nicht weiter zu fahren erlaubten.

Sie können gar nicht fehlen, sagte er. Die Häusernummern laufen dort hinauf; es kann nicht weit sein.

So getröstet, begann der alte Herr seine Wanderung; doch nach den ersten hundert Schritten schon konnte er sich einer trüben Empfindung nicht erwehren. Die kleinen Häuser sahen kläglich und düster aus. Mit ihren blinden Scheiben und niederen, schiefen Thüren, Schmutz und Unrath vor ihren Schwellen und überall Kennzeichen ihres Verfalls und der Nachlässigkeit der Armuth, die keinen Sinn für Ordnung hat, blickten sie ihn an wie Leichenstätten der Freude, von welcher ihre Bewohner nichts mehr wußten. Der eben aufgehende Mond ließ sein falbes, kaltes Licht über die zerbröckelten Wände streifen und über die schwarzen Büsche, aus denen die dürren Blätter, vom Nachtwinde abgestreift, in die Lüfte wirbelten.

Ein Gefühl der Furcht ergriff den alten Herrn, der scheu umherblickte und mit langsamen Schritten weiter ging. In welcher dieser traurigen Hütten sollte er seinen Freund suchen? Er wußte es nicht und fand niemanden, den er fragen konnte.

Seltsame Gedanken schlichen sich in seinen Kopf. So dicht bei der großen, lebenvollen, glänzenden Hauptstadt, befand er sich in einer öden, wilden Gegend, wo die Menschen zerstreut zwischen Sand und Föhren wohnten, wie Beduinen der Wüste. Seine Augen durchforschten die weite Ebene, welche todt und unermeßlich sich in ferne Wälder verlief, deren schwarze Säume den Horizont einfaßten. Und hier sollte Georg Wernher wohnen und leben, hier in dieser Stadt des Elendes, der Bettler, der Laster und des Unglücks? Ein schneidender Schmerz lief durch sein Herz; denn was mußte ihn getroffen haben, welch fürchterliches Geschick hatte sein Leben vergiftet, um ihn hier wieder zu finden! Er durchlief, während er zögernd weiter ging und unruhig still stand und sich bedachte, alle Erinnerungen seiner früheren Tage.

Wernher hatte ein hübsches Vermögen besessen, er war, was man von guter Familie nennt, und der einzige Sohn seiner Eltern. Als Knabe schon galt er für ein merkwürdiges, frühreifes und hochbefähigtes Kind. Wie ein Löwe stark und muthig, war er auch im Lernen und Begreifen allen seinen Spielgefährten weit überlegen, aber nie mißbrauchte er seine Kraft; ein strenges Rechtsgefühl und ein eiserner Wille machten ihn zum Freunde und Schirmherrn aller Unterdrückten.

Das war es auch, was ihn früh in ein stürmisches, abenteuerliches Leben warf. Von der Universität entwich er, um mit Schill's tapferer Schaar jenen ruhmvollen traurigen Kampf zu bestehen. Nur ein glücklicher Zufall rettete ihn vor dem Loose, erschossen zu werden wie ein Verbrecher, gleich so vielen wackeren Gefährten. Er floh übers Meer, kämpfte in Spanien, kam zurück, um an dem großen Kriege und an Schlachten Theil zu nehmen, in denen das edelste Blut des Vaterlandes verspritzte für den Freiheitstraum und Lebensfrühling Deutschlands, der aus dem rothgedüngten Boden erblühen sollte.

Als er sein Hoffnungen getäuscht sah, zog er sich zurück, nicht ohne den Zorn der Mächtigen auf sein Haupt zu laden. Weder Auszeichnung noch Pension war ihm zu Theil geworden. Mit solchem Sinne und solchem Muthe mußte er Vielen wie ein Narr erscheinen, und seine rauhe Wahrheitsliebe, sein Stolz und seine Unbeugsamkeit vermehrten die Zahl derer, die ihn verspotteten oder haßten.

Als Burgau ihn nach Jahren wiedersah, kam er in die Heimath, um alles zu verkaufen, was er besaß, und die Erbschaft einer Tante in Empfang zu nehmen. Er war damals in der Blüthe des Lebens und der Kraft, und bezauberte alle Herzen durch Gestalt, Würde und Sitte; aber er stieß die Meisten bald wieder zurück durch seine sonderbaren Grundsätze und durch die Kühnheit seiner Reden, die den Meisten wie die Eingebungen eines Tollhäuslers klangen.

Nur Einer von Allen hielt zuletzt noch an ihm fest, dieser Eine war Burgau, in dessen geheimsten Herzensfalten sich ein ähnliches Bewußtsein regte, ohne daß er die Kraft gehabt hätte, es offen auszusprechen. Als Wernher abreis'te, führte er lange Zeit noch einen Briefwechsel mit ihm, bis auch dieser zuletzt einschlief. Er wußte aus diesen Briefen, daß Wernher geheirathet hatte und Witwer geworden sei, daß er ein Kind besaß, an dem er mit großer Zärtlichkeit hing, daß er in der Hauptstadt lebe, und daß es ihm wohl gehe, aber auch, daß er mehr als je seinen schroffen Sonderbarkeiten anhänge, die ihn zum Gespötte gemacht und endlich selbst Burgau zu toll und thöricht erschienen waren.

In seinem letzten Briefe hatte Wernher geschrieben: Hat die Welt einmal dir einen rechten Kummer angethan, und brauchst du Hülfe, so erinnere dich, daß du einen Bruder hast, – und an diesen Brief dachte Burgau jetzt, als wiederum eine Reihe von Jahren vergangen, in denen er nichts mehr von dem Capitän gehört hatte. In äußerster Bedrängniß fiel es ihm ein, bei dem Jugendfreunde Hülfe zu suchen, den er mit einer gewissen Furcht in seinem Herzen verehrte, wie die Völker des Alterthums den zornigen und eifrigen Gott ihrer Väter, vor dessen strafendem Grimme sie sich demüthigten.

Auf der ganzen Reise nach der Hauptstadt hatte der alte Herr mit Bangen an den Augenblick gedacht, wo er dem Freunde seine Bitte gestehen würde. Er sah ihn vor sich, wie er ihn oft gesehen, den stolzen, eisernen Blick auf ihn gerichtet, und eine heiße Röthe stieg in sein faltiges Gesicht.

Welch ein Glück also, als er, umherirrend zwischen dem Verlangen, Wernher aufzusuchen, und dem Widerwillen, ihm gestehen zu müssen, was ihn dazu getrieben, durch eine seltsame Schicksalsfügung in Besitz der Summe gelangte, welche ihm nöthig war! Das Entzücken darüber hatte alle seine Bedenklichkeiten gehoben, und mit Hülfe des Glaubens aller guten Christen hatte er sich überzeugt, daß es Gottes Wille also gewesen sei, der in höchster Noth seine rettenden Engel sende, gleichviel, in welcher Gestalt, selbst als ein Paar gierige Börsenspeculanten; denn wunderbar sind die Wege, die der Herr weiß, um durch Böses Gutes zu schaffen.

Jetzt konnte er dem edlen Freundschaftstriebe folgen und sich ohne Rückhalt an des alten Freundes Brust werfen, wozu die größte Sehnsucht in ihm war; als er jedoch diese öde Steppe und diese trübseligen Hütten betrachtete, wurde jeder Schritt, den er that, ihm schwerer und schwerer. Ein fürchterliches Gewicht hängte sich an seine Füße, und leise fühlte er an seine Tasche nach den Bankscheinen; denn es ward ihm immer gewisser, daß, wer gekommen, hier etwas zu holen, sehr wahrscheinlich nicht wieder gehen würde, ohne gegeben zu haben, und dazu war er in seinem edlen Kummer sogleich fest entschlossen, obschon ein Seufzer bei dem Gedanken ihm die Brust zusammenzog.

Dieser Seufzer verhallte jedoch nicht ganz ungehört, obwohl der alte Herr nicht vermuthen konnte, daß er ein menschliches Ohr erreiche; denn einsam und gänzlich verlassen bog sich die Straße um eine scharfe, dunkle Ecke und verengte sich zwischen Weißdorn-Hecken, aus deren wildem Gewirr hohe, weißglänzende Birken aufstiegen, die ihre rauschenden Kronen scharf in der klaren Luft abspiegelten.

Von dem letzten Hause war Burgau ein Stück entfernt, und es kam ihm jetzt vor, als sei kein weiteres mehr hier vorhanden. Er hatte Licht in einer der Hütten bemerkt und fragen wollen, allein mißtrauisch zog er sich davon zurück, denn drinnen am Tische saßen vier oder fünf stämmige Gesellen. bei einer mächtigen Schüssel Kartoffeln. Der Lampenschein fiel auf ihre lang herabfallenden Haare und auf ihre rohen, trotzigen Gesichter. Ihre rauhen Stimmen schallten zankend und streitend in die Nacht hinaus, und der alte Herr ging weiter, denn es schien ihm nicht gerathen, Menschen zu stören, welche Messer in den Händen hatten und denen er den besten Willen zutraute, ihm für die kleinste Bemühung wenigstens als zudringliche und kühne Bettler so viel abzupressen wie möglich.

An der Biegung der Straße blieb er stehen; denn nicht allein irrten seine Blicke vergebens suchend nach einer menschlichen Wohnung umher; plötzlich kam es ihm auch vor, als rege es sich unter den Gebüschen und zwei dunkle Gestalten ständen dort, die leise Worte wechselten, welche als unverständliches Gemurmel sein Ohr erreichten. Je länger er hinsah, um so gewisser war er, sich nicht zu täuschen, und kein geringes Erschrecken ergriff den alten Herrn, als er die beiden Gestalten sich bewegen und langsam auf ihn zuschreiten sah. Er war unentschlossen, ob er fliehen oder sie erwarten sollte. Die öde, einsame Gegend, die Armuth ihrer Bewohner, die Entfernung von jeder Hülfe paßte zu einem räuberischen Beginnen, und Burgau fiel es in diesem Augenblicke ein, was Herr Korn spottend von diesem Asyle der verfolgten Unschuld gesagt hatte.

Indeß hatte er weder Zeit noch Lust, umzukehren. Er war ein beherzter Mann, der so leicht nicht in Furcht gerieth und trotz seiner Jahre sich auf seine Kraft, seine Geistesgegenwart und sein dickes Bambusrohr verlassen konnte. Er knöpfte daher seinen Rock fest zu, entschlossen, jeder Gefahr die Stirn zu bieten, und ging den nächtlichen Wanderern entgegen, die noch immer ihr leises Gespräch fortsetzten.

Hätte er hören können, was sie sagten, so würde alle seine Sorge schnell geendet haben, oder wäre es heller Tag gewesen, so hätte er nie dergleichen empfunden. Es waren zwei jugendliche Männer, beide in Mäntel gewickelt und die Mützen, welche ihre Kopfbedeckung bildeten, tief ins Gesicht gezogen. Der alte Herr drückte sich, als er in ihre Nähe kam, dicht an die Hecke, der Weg war jedoch so schmal, daß er an ihnen vorüberstreifen mußte, was schweigend und eilig geschah, ohne daß von beiden Seiten ein Wort gewechselt wurde.

Burgau kam es vor, als höre er unter den Mänteln Waffen klirren, und aufathmend murmelte er:

Es sind Soldaten, Officiere, wie es scheint; nun, wahrhaftig, da hätte ich mir alle Noth sparen können. – Im Augenblicke hörte er auch einen der Herren ziemlich laut sagen: Er ist es nicht! was seinen Gefährten zu einem Lachen bewog, welches die letzte Spur der Besorgniß bei dem alten Herrn fortnahm.

Nach einigen Schritten stand er still und bemerkte, daß die beiden Herren es eben so machten.

Was, zum Henker! sagte er sich, soll ich thun? Ich laufe hier in der Irre umher, Gott weiß, wohin, vielleicht in Sumpf und Haide. Die Beiden dort wissen sicher besser Bescheid hier als ich, was ist also vernünftiger, als sie zu fragen?

Mit diesem Entschlusse wendete er um und bot den Unbekannten einen Gruß, der höflich erwiedert wurde.

Meine werthen Herren, fuhr er dann fort, ich bin gänzlich fremd hier und suche die Wohnung eines gewissen Capitän Wernher, könnten Sie mir vielleicht Nachricht darüber geben?

O, antwortete einer der Herren mit lustigem Tone, Sie konnten sich an keine bessere Quelle wenden. Hier ist ein Mann, der mit verbundenen Augen Sie führen kann.

Sage lieber, dem eine blinde Gottheit selbst zum Führer dient, fiel der Andere ein.

Nun, wie dem auch sein mag, rief Burgau erfreut, jedenfalls bin ich Ihnen äußerst dankbar für jede Mittheilung.

Sobald Sie noch fünfzig oder hundert Schritte gegangen sind, sagte der eine der Herren, werden Sie rechts am Wege einen Gartenzaun finden, von dem Sie hier nichts entdecken können, der Hecken wegen; eben so wenig sieht man etwas vom Hause, das drinnen zwischen den Bäumen liegt. An der Pforte ist eine Klingel: ziehen Sie diese, so wird man öffnen.

Wir können den Herrn ein wenig begleiten, fügte der Andere hinzu, indem er vorwärts ging.

Viel tausend Dank, sagte Burgau; ich war im Begriffe umzukehren, denn ich zweifelte daran, mich zurecht zu finden.

Sie waren noch nie in diesem verdammten Winkel? fragte der Eine lachend.

Noch nie. Ich war überhaupt in meinem Leben nur zwei Mal in der Hauptstadt.

Und da hat man Besseres zu thun, als hier umherzustreifen, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist.

Allerdings, sagte der alte Herr; aber der Capitän ist mein alter Freund, und wenn er auch am Ende der Welt wohnte, würde ich ihn aufsuchen.

Sie sind also ein Fremder? fragte der Andere.

Zu dienen, mein Herr.

Aus Preußen.

Woher wissen Sie das?

Ich höre es an der Sprache, sagte der Herr, und um so leichter, da ich Ihr Landsmann bin.

Nun, das freut mich wahrhaftig! rief Burgau mit allem Entzücken eines Mannes aus der Provinz. Ich bin aus R. – er nannte den Namen des Ortes.

Und Sie heißen Burgau, Dietrich von Burgau, und haben sich auf den Weg begeben, Ihrem Schwester-Sohne in der Hauptstadt in eigener Person einen Besuch zu machen.

Wie?! rief der alte Herr zweifelnd und erstaunt, wäre es möglich – es kann nicht anders sein! – Der Mond fiel in diesem Augenblicke hell auf das Gesicht des jungen Herrn. Du bist es selbst, Oskar! schrie er freudig und streckte die Hand aus; will denn heute Alles mir den Kopf verwirren?! Wie kommst du hierher?

Der Offizier hielt den Onkel in seinen Armen und sagte lachend und halb laut:

Ich fürchte, daß ich schon mehr als einmal dazu beigetragen habe, Ihnen den Kopf wirr zu machen, theuerster Onkel. Heute den ganzen Tag habe ich mit Sehnsucht an Sie gedacht.

Ich glaube es, betheuerte der alte Herr, indeß war ich zwei Mal in deiner Wohnung, ohne dich zu finden.

Sie gingen langsam weiter. Der Neffe entschuldigte sich durch Dienstgeschäfte und beantwortete die Frage des alten Herrn, was ihn in Nacht und Nebel hierher geführt, mit einem leichtsinnigen Lachen, indem er zugleich mit dem Finger auf das Gebäude deutete, das hinter der Gartenwand zwischen Fichten- und Lerchenbäumen herschimmerte.

Was mich herführt? sagte er, Sie sollen es wissen. Das Haus dort.

Wernher's Haus? Du kennst den Capitän also?

Nein, aber es ist eine Fügung des Himmels, daß Sie sein Freund sind. Sie werden mich bei ihm einführen, ich werde endlich in diesen Dachsbau gelangen, der so undurchdringlich ist, wie Turandot's Zauberschloß, und alle Kunst aufbieten, mir die Gunst und den Beifall seiner Bewohner zu erwerben.

Wie es scheint, wirst du Kunst nöthig haben, entgegnete der alte Herr.

O! rief der junge Offizier, wenn es allein des mürrischen, düsteren Mannes geschehen sollte, der in dem abgelegenen Landhause ein Leben voll Lächerlichkeiten führt, würde ich mir nicht die geringste Mühe geben; aber er besitzt einen Schatz, köstlicher gibt es keinen, und er hütet ihn mit mehr Sorgfalt, als je ein Geizhals es gethan hat.

Ich verstehe, sagte der alte Herr. Wernher hat eine Tochter, der du nachläufst und ein Mittel suchst, ein Verständniß mit ihr anzuknüpfen.

Sie zürnen ohne Noth, erwiderte der Officier. Durch Zufall habe ich die junge Dame zuerst gesehen, nie habe ich mich ihr genaht, nie sie gesprochen. Ihr Vater ist ein Cerberus, der kein fremdes Gesicht leiden mag, als etwa die Gesichter seiner elenden, halbwilden Nachbarn. Seit einigen Wochen bin ich hieher gewandert, habe dieses Haus umkreis't und, unter den Büschen versteckt, den Gesang einer lieblichen Stimme gehört, die sich nicht absperren läßt durch Thüren und Mauern, oder ich habe mein Auge an eine Spalte gelehnt und dem flatternden weißen Gewande nachgeschaut, das durch die Gänge zwischen den Blumen hinflog. Das ist Alles.

Sage dem guten Onkel nur immerhin die volle Wahrheit! lachte sein Gefährte. Sage ihm, daß du ein paar Blumensträußchen, ein paar schmeichelnde Verse über die Mauern fliegen ließest, welche ohne alle Beachtung blieben, bis eines Tages ein Kopf über die Zinnen dieser Festung schaute, nicht der Kopf des lieblichsten aller Mädchen, sondern ein sehr finster und faltig blickendes, strenges Haupt, das in deutlicher Weise sich erklärte, und dem neugierigen, unverschämten Menschen, welcher diese Mauer umschlich, eine höchst spaßhafte, aber höchst ernste und philosophische Vorlesung hielt, die damit endete, daß er ihn, ohne ihn zu sehen – denn Jener hielt sich weislich versteckt – in gemessener Weise aufforderte, sich zum Teufel zu scheeren.

Der junge Officier lachte laut. Ich läugne es nicht, sagte er, es ist die Wahrheit; aber was thut es? An Ihrer Hand, mein theurer Onkel, werde ich durch diese Pforte in Frieden eingehen. Sie stellen mich als Ihren Neffen vor; Niemand kennt mich, Niemand weiß, daß ich der Lauscher war, dem die Strafpredigt gehalten wurde. Ich begleite Sie sogleich.

Das wirst du bleiben lassen! entgegnete der alte Herr, der an die Gitterthür trat und aufmerksam durch die Stäbe blickte.

Vor ihm lag ein ziemlich großer Garten mit schön geordneten Beeten. Er glaubte ein Gewächshaus zu bemerken, das sich an das höhere bewohnte Gebäude lehnte, welches hinter dem Kranz der Bäume hervorblickte. Die Erzählung seines Neffen hatte schon die schwerste Last von ihm genommen, jetzt schien es ihm gewiß, daß sein Freund nicht so unglücklich sei, wie er gedacht; denn allem Anscheine nach war diese Besitzung kein Aufenthalt der Armuth und des Elends; der alte Freund nicht in eine düstere nackte Hütte verwiesen, um die Philosophie der Verzweiflung an sich selbst zu studiren.

Das wirst du bleiben lassen! sagte er noch einmal, indem er die Klingel zog, deren lauter Schall durch das heftige Bellen eines großen Hundes beantwortet wurde.

Geh nach Hause, Oskar, fuhr er fort, morgen in der Frühe werde ich Dich aufsuchen. Wir werden dann sehen, was weiter zu thun ist.

Die Schritte eines Kommenden ließen sich hören, und nach einigen rasch und leise gewechselten Abschiedsworten zogen sich die beiden jungen Männer zurück, während der alte Herr neugierig und erwartungsvoll dem Lichtscheine entgegen sah, der sich zwischen den Büschen zeigte.

Es war ein altes, hinfälliges Mütterchen, die langsam näher kam und bei der Frage, wer da sei, ihre Laterne gegen die Gitterstäbe hielt, um den Fremden zu betrachten.

Müssen Sie heute noch den Herrn sprechen? fragte sie.

Ja, heute noch, antwortete Burgau.

Es ist also wohl eine besondere Angelegenheit?

Sehr besonders, versetzte der alte Herr.

Die Frau öffnete die Thür, scheuchte den großen Hund zurück, der knurrend um den Fremden schlich, und nöthigte Burgau, ihr zu folgen, indem sie ihm voranschritt. Als er hinter den Bäumen war, lag das Haus vor ihm, vom Scheine des Mondes matt überzittert. Es war ein ziemlich großes Land- oder Gartenhaus, nach der Bauart des vorigen Jahrhunderts. Nur aus Einem Stockwerke bestehend, trug es ein gebrochenes Giebeldach mit Mansarden nach beiden Seiten. Die großen Fenster gingen bis tief zur Erde nieder, und zwischen ihnen in der Mitte der Hauptlinie führte eine hohe Glasthür in einen Saal, aus welchem ein schwacher Lichtschein schimmerte.

Die Führerin öffnete diese Thür, und Burgau trat in ein weites Gemach, das überall die Spuren vergangener Herrlichkeit zeigte. Ein Kamin von schwarzem Marmor bildete eine tiefe Nische und theilte die Wand an der Längenseite; Tapeten von jener alten gewirkten Art, Jagden und tropische Landschaften darstellend, voll Palmen, Kameelen, Karawanen-Zügen und Mohren und Türken in schrillenden Gewandungen füllten die großen Felder. Ein dunkles Paneelwerk, dunkler noch als dieser vergilbte und verstaubte Schmuck der Mauer, umzog ihren Fuß und fand seine Harmonie in der schweren, vergrauten, aber schönen Decke von Stuck, die mit ihrer großen Rosen-Guirlande, mit posaunenden Engeln und erhaben gearbeiteten Genien, welche aus den Ecken hervorschwebten, eine eben so alttreffliche Meisterarbeit zu sein schien, wie die Malereien des Mittelstücks, wo auf blauem Sternengrunde ein Kranz himmlischer Gestalten sich mit Blumenwinden beschäftigte.

Burgau warf einen flüchtigen Blick auf alle diese Dinge und einen längeren auf die wenigen Geräthe des Saales. Ein großer Tafeltisch stand in der Mitte, und um ihn lehnten eine Anzahl Holz- und Binsenstühle. Die Fenster waren von breiten Blumengestellen eingefaßt, auf denen zahlreiche Topfgewächse standen; aller übrige Raum war leer, nur an der Längenseite bemerkte er in den Ecken zwei gewaltig große Schränke, einfach und roh gearbeitet, die eben nicht zum Ausputz dienten und in ihrer Armuth, verbunden mit dem wüsten Aussehen dieses Hauptgemachs des Hauses, seine geheimen Befürchtungen wieder aufweckten.

Er folgte inzwischen der alten Frau weiter, die eine Seitenthür öffnete, aus der ein heller Lichtstrahl in den öden, halbdunkeln Raum fiel, und mit lebhafter Bewegung sah er in demselben Augenblicke sich dem lange gesuchten Freunde gegenüber. Eine Astral-Lampe stand auf dem Tische in der Mitte eines mit ähnlichen Tapeten, wie die des Saales, geschmückten Zimmers. Der Tisch war gedeckt, eine dampfende Schüssel stand darauf, und in dem Lehnsessel der Thür gegenüber saß die hohe, stattliche Gestalt des Hausherrn, bereit, wie es schien, die Abendmahlzeit zu beginnen.

Hier ist ein Herr, der Sie durchaus heute noch zu sprechen wünscht, sagte die Frau, indem sie herein trat.

Wo ist er? fragte der Hausherr, sich aufrichtend.

Hier, antwortete Burgau, und er trat von der Schwelle in den hellen Schein des Lichtes.

Mit einem ernsten und forschenden Blicke betrachtete ihn der Capitän, dann ohne Ueberraschung streckte er die Hand nach ihm aus, und sagte mit bewegt klingender Stimme:

Du bist es, Dietrich: ich möchte sagen, mein Herz erkannte dich eher, als mein Auge. Sei willkommen, mein alter Freund, sei herzlich willkommen bei denen, die dich lange schon erwartet haben!

Die beiden alten Herren blieben vor einander stehen und betrachteten sich. Ihre Hände hielten sich umfaßt, als wollten sie den Bund der Freundschaft erneuern, den sie in braunen Locken einst geschlossen hatten. Und jetzt waren diese erblaßt und verschwunden. Das Alter hatte seine Falten auf ihre kahlen Stirnen gelegt, die elastische Gliederung verändert, und den Stempel der Vergänglichkeit ihren Zügen aufgedrückt. Sie suchten beide in ihren Erinnerungen nach dem Bilde der Jugend, das ihnen vorschwebte, und verglichen das Sonst und Jetzt mit dem schwermüthigsten Ernste gereifter Männer, vor denen der Wächter des großen Geheimnisses des Lebens, der Tod, blaß und traurig vorüber schwebt, und ihr ablaufendes Zeitmaß schüttelt.

Im nächsten Augenblicke glänzten jedoch ihre Blicke wieder in Freudigkeit. Der Capitän fand die Züge seines Jugendgenossen wieder und sah ihn auch als Greis noch rüstig und tüchtig vor sich stehen; wie viel mehr aber war dies an ihm selbst zu bewundern. Sein großer Körper schien ungebeugt von der Last der Jahre; er trug das Haupt im Nacken, so stolz und frei, wie Burgau es immer gesehen und eine ehrfurchtsvolle Liebe vor dieser Kraft und Würde gefühlt hatte. Die glänzenden, dunklen Augen blickten so kühn, wie sie es je gethan, doch noch strenger und befehlender, und nur die Falten auf seiner Stirn, das ergraute dichte Haar und die dunklere Röthe des Gesichts hatten sein Aeußeres verändert.

Nach einer schweigenden Minute riß sich der Capitän aus seinen Betrachtungen und überließ sich der Freude des Wiedersehens. Einer herzlichen, langen und brüderlichen Umarmung folgten rasche Fragen und Antworten, welche zur ersten Verständigung hinreichten, dann drehte er sich um und sagte:

Laß mein Haus das deine sein und theile mit uns, was wir haben. Mein größter Schatz ist mein Kind, meine Tochter Sophie, der Trost meines Lebens. Da ist sie, und neben ihr steht mein Sohn, mein Pflegesohn und unser täglicher Gesellschafter, dem du dreist die Hand drücken und ihn Freund nennen kannst, denn er verdient es. Er ist aus besserem Stoffe gemacht, als die meisten Leute jetzt sind.

Er deutete auf den Hintergrund des Zimmers, den der Lampenschein matt erhellte, und Burgau richtete jetzt seine Aufmerksamkeit auf die beiden Personen, welche sich ihm langsam näherten.

Ein junges Mädchen, schlank und zart gebaut, ein Lächeln der Freude in dem anmuthigen Gesicht, dessen große blaue Augen einen wunderbaren, schwärmerischen Glanz darüber ausbreiteten, trat ihm zuerst entgegen. Schöne dunkelblonde Locken fielen ihr auf Hals und Nacken nieder und wurden durch ein schwarzes Band gehalten, das über ihrer hohen Stirn einen dunklen Streif zog.

Der alte Herr war ergriffen von dieser heiteren Erscheinung, der das volle Gepräge der Jugend und der Unschuld so sichtlich aufgedrückt war. Er dachte in diesem Augenblicke an den entzückten Ton, mit dem sein Neffe von ihr gesprochen, und verzieh ihm seine Narrheit, wie er es genannt, weil er fühlte, daß diese ansteckend sei.

Nun, wahrlich, sagte er, ihre Hand ergreifend und mit aller Galanterie, deren er fähig war, ich habe ein Recht, mich Ihnen vertraulich zu nahen und Ihr Freund im wahren Sinne zu heißen. Eine Stimme in meinem Herzen ruft mir in diesem Augenblicke zu, daß diese Stunde von Wichtigkeit ist für uns beide, denn ich … Sie …

Er verlor den Faden und murmelte einige unverständliche Worte, indem er seine Blicke voll Bestürzung, Erstaunen und wachsender Verwirrung auf den jungen Mann richtete, welcher hinter Sophien stand und kein Anderer war, als sein Beschützer, sein großmüthiger, unbekannter Helfer von der Börse.

Im ersten Erschrecken glaubte er sich getäuscht zu haben; denn statt des eleganten Anzuges trug der Fremde jetzt einen dunklen Ueberrock, den er bis an den Hals zugeknöpft hatte. Aber es war sein blasses Gesicht mit den großen, schwermüthigen Augen, es war sein glänzend dunkles Haar, das lang an diesem schönen Kopfe herunter fiel; es war das sonderbare Lächeln, das von den Mundwinkeln leise zuckend ausging und weich durch seine Züge lief, mit welchem er jetzt den alten Herrn anblickte.

Seine Augen ruhten dabei mit befehlendem Ernst auf ihm und schienen ihn zu fragen, ob er vergessen habe, welches Abkommen sie bei ihrer Trennung getroffen hätten.

Nun, rief Wernher lachend, du kommst aus dem Texte, Dietrich, und siehst dafür meinen Hermann so eindringlich an, als wolltest du die Fortsetzung deiner Liebesbetheurung an ihn richten.

Hermann! sagte Burgau vor sich hin.

Hermann Selbitz ist sein ehrlicher Name, fuhr der Capitän fort. Sein Vater hat an meiner Seite gefochten und ist aus der Welt gegangen, um ihn mir darin zurück zu lassen. Ich habe ihn groß gezogen; er hat meine Liebe reich vergolten und vergilt sie alle Tage.

Herr Selbitz ist – Kaufmann? fragte der alte Herr, indem er ihn starr ansah.

Kaufmann? rief der Capitän lachend; wie zum Henker geräthst du auf einen solchen Einfall? Hermann hat studirt, er ist ein paar Jahre Lehrer und Erzieher bei dem Sohne eines großen Herrn gewesen, den er auf Reisen begleitete, bis er den aristokratischen Staub von seinen Füßen geschüttelt hat. So ist er zu mir zurück gekehrt, treibt seine Studien weiter in aller Stille, und ist mein lieber Freund und Sohn, bis wir sehen, was weiter aus ihm wird. Da hast du seinen Lebenslauf in aller Kürze. Aber du scheinst ihn förmlich zu anatomiren. Habt Ihr vielleicht Euch früher schon einmal begegnet?

Ich wüßte nicht, daß ich jemals die Ehre gehabt hätte, antwortete der junge Mann.

Der Ton dieser Stimme erregte Burgau noch mehr.

In der That, rief er aus, diese Aehnlichkeit ist seltsam!

Ich hätte schwören wollen, daß wir vor gar nicht langer Zeit uns erst sahen.

Jedenfalls werden Sie durch eine Aehnlichkeit getäuscht, versetzte Hermann, und wiederum ruhte sein Blick kalt, prüfend und ohne merkliche Bewegung so fest auf dem alten Herrn, daß dieser zweifelnd und verwirrt eine Entschuldigung stammelte, die Wernher unterbrach, indem er ihm beim Arme ergriff, an den Tisch führte und mit einem gewissen Ungestüme auf einen der großen Sessel schob.

Unsere Vorfahren, sagte er, haben es stets so gehalten, daß sie mit Speise und Trank ihre Gäste empfingen; von dieser alten guten Sitte laß uns nicht abweichen. Iß mit uns, was der Herr bescheert hat, und du, Sophie, bringe uns eine Flasche und Gläser, mein Kind, wir wollen das Fest begehen, so gut wir es vermögen.

Burgau, der von dem glänzenden, späten Diner, dem er beigewohnt, noch mehr als zu sehr gesättigt war, wagte dennoch keine Entschuldigung. Eine Eierspeise, eine große Schüssel vortrefflicher Erdäpfel, schwarzes kräftiges Brod und frische Butter waren die Bestandtheile dieses ländlichen Mahles; aber der alte Herr war kaum im Stande, wenigstens dem Scheine nach, zuzulangen. Mit um so größerer Verwunderung bemerkte er, welche heroische Eßlust sein vermeinter Beschützer entwickelte, der es darin dem Capitän ganz gleich that.

Als die Flasche kam und der alte Rheinwein seinen Duft aus den Schaumperlen der Gläser verbreitete, hob Wernher das seine auf und stieß mit Burgau an.

Auf die alten Zeiten und das alte brüderliche Leben! rief er ihm zu; damals aber schmeckten dir die einfachen Gerichte besser, als jetzt, wo du, wie es mir scheint, auch schon zu den Verwöhnten gehörst. Du mußt ein Weilchen mit uns leben – fuhr er fort, als der alte Herr sich entschuldigte –, um den verlorenen Appetit wieder zu bekommen, den wir in Arbeit und Einfachheit uns erhalten haben. Wir sind von der alten guten Sorte. Von uns sehnt sich Niemand nach Champagner und Fasanen; wir wissen nicht, wie solche Leckerbissen schmecken, und verachten von ganzem Herzen die elenden Gesellen, welche darin ihr Glück finden.

Der alte Herr fühlte sich von den Fasanen sehr getroffen und glaubte einen Augenblick, Wernher wisse etwas von seinem Abenteuer. Er sah lächelnd zu Hermann hinüber, allein dieser blieb durchaus ruhig und that so fremd, wie vorher. Er zwang sich nun, so viel zu essen, als er vermochte, um den Vorwurf der Verwöhntheit von sich abzuwälzen, lobte die Einfachheit, verdammte die Verfeinerung und brachte den Capitän bald dahin, einzugestehen, daß er noch immer der alte ehrliche, treue Dietrich sei, der sein reiches Gemüth sich bewahrt habe.

Die beiden Freunde vertieften sich nun in mannigfache Gespräche, die den Austausch ihrer Schicksale bildeten, und Burgau hatte dabei am wenigsten zu erzählen. Er war unter verhinderten Entschlüssen, sich zu verheirathen, und dem Widerstreben seiner Neigungen gegen alle jungen Damen, die er kennen lernte, alt geworden, bis er es am gerathensten fand, nicht mehr daran zu denken.

Das Schicksal hatte ihn gütig mit einem mäßigen Vermögen und einer vortrefflichen Haushälterin bedacht, welche seine Lieblingsgerichte ausgezeichnet zu bereiten verstand. Sein kleines Haus war ein gastfreies Haus, und der Eigenthümer ein viel zu geselliger und angenehmer Mann, um nicht zahlreiche Bekannte zu besitzen. Was sein Gut abwarf, davon blieb regelmäßig beim Jahresschlusse auch kein Thaler übrig. Er hatte Bedürfnisse mancherlei Art; zudem besaß auch er einen Neffen, der, wie die Neffen es häufig thun, dem guten Onkel zuweilen höchst lustige und klägliche Briefe schrieb, die immer darauf hinaus liefen, es möge endlich einmal ein goldener Regen auf diesen stets durstigen Boden fallen. Dieser Neffe, an welchen er auch jetzt dachte und seine Mittheilungen abbrach, war eben so wohl der bittere Tropfen in dem Kelche seiner Freuden, wie der Sonnenstrahl, welcher wärmend und belebend in die Winterschauer seines irdischen Daseins drang.

Was Du mir da sagst, rief der Capitän, ihm herzlich die Hand drückend, mahnt mich an alte, durchlebte Zeiten! Glück auf, Dietrich! du bist in dem Kreise, den das Schicksal dir zugemessen, ein guter, treuer Mensch geblieben, hast dir dein warmes Herz erhalten und Gutes gethan, so weit deine Hand reichte. So habe auch ich meine Tage gelebt, habe immer gestrebt, glücklich zu sein und glücklich zu machen.

Du hast dich aber, wie es mir scheint, sehr zurück gezogen, entgegnete Burgau.

Von dem großen Haufen, von der so genannten Welt! rief Wernher; ja, da hast du Recht: aber ich habe mich nicht von ihr zurück gezogen, sondern sie sich von mir. Sie verachtete mich, fuhr er lachend fort, doch bei Weitem nicht so sehr, wie ich es ihr zurück gab.

Und doch bliebst du dicht in ihrer Nähe? fragte der alte Herr lächelnd.

Dicht in ihrer Nähe, ja wohl, sagte der Capitän. Seit meine Anna starb, wohne ich in diesem Winkel. Hast du nie gehört, daß es Wesen giebt oben in den wilden Gebirgen der Erde, die bei den schrecklichsten Abgründen sich eine Hütte bauen und von dort durch Eis und Schnee alltäglich ausziehen, um verlorene Wanderer aufzusuchen? Sie können die Abgründe nicht ausfüllen, können die Lavinen nicht aufhalten, können die Schrecknisse nicht vermindern; aber sie thun, was sie können, um ein paar Unglückliche zu erretten. Das versuche ich hier auch, Dietrich, und es glückt mir zuweilen.

Du hast noch immer deine alten Träume und Grillen, sagte der alte Herr lächelnd.

Wohl versetzte der Capitän, die Grillen habe ich noch und will nimmer davon lassen. Ich hasse Unrecht, Gewalt und Schlechtigkeit, welchen Namen sie auch haben mögen, mehr noch als früher, aber ich härme mich kein Jota darüber. Meine Welt habe ich für mich, freue mich daran, so viel ich kann, lebe darin, so lange es währen wird, und stoße die von mir, die keinen Theil daran haben können. Laß sie mich immerhin einen Narren heißen, – jedem Narren gefällt seine Kappe! und die meine steht mir ganz vortrefflich; du sollst sehen, ob sie mir nicht paßt.

Er hörte auf zu sprechen, denn die alte Dienerin und noch eine andere, welche kaum weniger Jahre zählte, traten herein und räumten den Tisch ab, was still und geschäftig geschah. Silberglänzendes Haar fiel unter den Mützen der beiden Frauen hervor, deren Reinlichkeit und Freundlichkeit Burgau auffiel. Sophie that einige leise Fragen an sie und lächelte ihnen zu; der Capitän erkundigte sich nach einigen häuslichen Dingen, was sie ohne Blödigkeit, aber doch in einer Art beantworteten, der man es anmerkte, sie wollten gern dem Herrn ihre aufmerksame Ergebenheit zeigen.

Das blonde, schöne Kind des Capitäns lächelte so freundlich bei den Scherzen ihres Vaters und ihre blauen Augen nahmen einen himmlischen Glanz an, wenn sie sich zu ihrem düsteren, schweigenden Nachbar wendete; wenn aber dieser ein paar Worte redete, um auf eine Frage Antwort zu geben, schien der Klang seiner tiefen Stimme eine Art Zauber auf sie zu üben, denn unverwandt betrachtete sie ihn mit Blicken, in denen die Empfindungen ihrer Seele ausströmten.

Als der alte Herr dies einige Male beobachtet hatte, war er überzeugt, daß hier zwei Wesen in Liebe sich gefunden, deren Bande nicht leicht zu lösen seien, und ein Mißbehagen über diese Entdeckung ergriff ihn gegen seinen Willen. Wer konnte denn dieser bevorzugte Mensch sein, wenn er nicht der war, für den er ihn halten mußte? War er der Börsen-Speculant, so war er ein Taugenichts, der Vater und Tochter auf abscheuliche Art betrog. War er es nicht, war er wirklich der arme Gelehrte, welche Aussicht hatte er dann auf Erfüllung seiner Hoffnungen?

Dieses wüste alte Haus, dieser Garten und seine Hecken schienen die Trümmer des Glückes zu umschließen, das Wernher einst besessen. Der Capitän hatte in Träumereien und phantastischen Einfällen verschleudert, was er einst von seinen Vätern ererbt; denn so viel glaubte Burgau aus Allem zu erkennen und aus den Gesprächen heraus gehört zu haben, daß Jeder in dieser Familie um das tägliche Brot arbeite, so viel er könne.

Wernher hatte ihm mitgetheilt, daß er Blumen, Früchte und Gemüse aller Art auf den Markt in die Stadt schicke und dort verkaufen lasse; er hatte ihm auch gesagt, daß er Ländereien umher gepachtet habe, deren Anbau er betreibe und deren Ertrag er ebenfalls verhandle. Wollte etwa dieser blasse Büchermensch mit Schwieger-Papa und Frau gemeinschaftlich den Kramhandel fortsetzen, oder was konnte das Ende sein?

Alles, was er dachte, verwirrte den alten Herrn immer mehr. Das schöne Mädchen machte einen fast wehmüthigen, reizbaren Eindruck auf ihn. Er konnte sich vorstellen, wie ihre liebliche Erscheinung den jungen Offizier entzückt hatte; zugleich aber sagte er sich, daß das keine Liebe und keine Frau für seinen Neffen wäre, weil diese ganz andere Eigenschaften besitzen müßte.

Indem er dies alles still durchsann und seine Augen auf die beiden jungen Leute heftete, welche ein wenig zurückgezogen vom Tische neben einander saßen, heimlich sprechend und sich zulächelnd, redete der Capitän mancherlei in seiner ernsten, belehrenden und doch immer ein wenig, wie Burgau sich selbst sagte, phantastischen Weise, die von Jugend auf ihm eigen gewesen.

Seine Tochter und Hermann wurden bald in das Gespräch gezogen, das sich über die verschiedensten Gegenstände bewegte, und Burgau konnte nicht umhin, zu bemerken, daß Sophie, deren natürliche und kindliche Offenheit sein lebhaftes Interesse erregte, über die Tages-Begebenheiten, die Lebensverhältnisse und selbst über Staatsereignisse und über gesellschaftliche Ordnung und Einrichtungen besser unterrichtet sei, als er je dies an einem Mädchen bemerkt. Ihre Urtheile waren rasch und bestimmt, ihr Empfindungs-Vermögen aufs äußerste lebhaft und empfänglich, dabei ihr ganzes Wesen voll Güte, und ihr unbefangenes Vertrauen so groß, daß sie den alten Herrn sogleich Du nannte, ihm in naiver Art erklärte, wie lieb sie ihn habe, und seine Zuneigung so hoch steigerte, daß er sie endlich mit wahren Liebesblicken betrachtete.

Du weißt es nicht, Dietrich, sagte Wernher endlich, indem er seiner Tochter Hand ergriff, du weißt es nicht, was es heißt, so ein herziges Kind zu haben, dessen Herz ein Tempel Gottes ist, um ihn darin anzubeten.

O, Vater! lachte das junge Mädchen, du, der beste und wahrste unter den Menschen, bist doch eben so blind in deiner Liebe, wie andere Väter.

Weil ich wahr bin, kann ich nicht blind sein, entgegnete er. Sieh, Dietrich, das ist keine Salon-Puppe, kein Mode-Dämchen, keine von unseren noblen Fräulein, die Alles in der Welt können und verstehen, nur nicht das, was sie eigentlich verstehen sollten; aber frage sie nach mancherlei guten und nützlichen Dingen, frage sie nach der Geschichte der Menschen, nach dem Leben der Natur, nach den Zuständen und Gestaltungen der Völker, und sie wird dir Antwort geben können. Hermann und ich, wir sind ihre Lehrer gewesen, und ich glaube, wir dürfen stolz auf diese Schülerin sein.

Denke jedoch nicht – fuhr er nach einer Pause fort, in welcher er Sophien in seine Arme zog, – daß sie nichts weiter thut, als aus Büchern Weisheit lernen. O, nein, sie weiß, daß sie arbeiten muß, und arbeitet mit Liebe und Lust. Da ist kein Pflänzchen und kein Körnchen, das sie nicht beim rechten Namen zu nennen weiß. Darum ist sie auch mein Garten- und Blumenmeister, bindet die schönsten Sträußchen, welche wir auf den Markt schicken, giebt Lehre und Unterricht mit hoher Weisheit und ordnet und verkauft die Sämereien, welche wir sammeln. Das giebt freilich keine Sammtfinger, die kleinen Hände sind ihr hart und arbeitsrauh geworden, aber sie sind darum dennoch fein und appetitlich und wissen sich zu regen und zu wenden, daß es eine Lust ist.

Der alte Herr blickte mitleidig auf die Hände des jungen Mädchens, welche ihr Vater dem Freunde hinstreckte, was sie ohne sich zu sperren geschehen ließ.

Arbeit ist ein Gesetz der Natur, Georg, sagte er, das wissen wir, doch jedes Ding in seiner Weise. Was dem Einen wohl ansteht, paßt nicht für Alle; wäre das der Fall, so könnte deine Tochter nicht allein Blumen binden und Samen sortiren, sie könnte auch mit ihren Körben selbst zu Markte ziehen und sie feil bieten.

Und das hat sie auch wirklich schon gethan! erwiderte der Capitän.

Wie! rief der alte Herr erschrocken, auf dem Markte gesessen? So toll kannst du nicht gewesen sein!

Auf dem Markte gesessen und Blumen und Früchte verkauft, fuhr Wernher ruhig fort, und bei alle dem, alter Freund, steht sie da eben so gut und ohne Makel wie vorher; ja, ich habe sie seit jener Zeit noch lieber, wenn es möglich ist, das zu behaupten.

Nun freilich, sagte Burgau nach einer Pause fast zornig, du hast von jeher die Sitten der Menschen gering geachtet, bedenkst aber nicht, wie gefährlich ein solches Unterfangen ist.

Gefährlich, wenn man die Bande nicht zerbrechen kann, welche die Kasten unterscheiden, den Menschen umklammern, versetzte Wernher, sonst aber durchaus ohne Gefahr und Nachtheile. Die alte Elisabeth, unsere Verkäuferin, war krank, so ging Sophie hin statt ihrer, verkaufte den ganzen Vorrath mit Glück und Vergnügen und kam mit gefüllter Tasche nach Hause, voller Freude, der treuen, guten Frau einen Tag der Ruhe geschenkt zu haben.

Alter Freund, fuhr er ernster werdend fort, ich weiß, was du sagen willst, aber du kennst uns nicht. Glaube mir, die Menschen sind besser, als sie scheinen, und wenn sie schlecht wurden, habt ihr sie dazu gemacht. Reicht ihnen die Hand und richtet sie auf, statt sie von euch zurückzustoßen, und wenn du hassen und verachten willst, Dietrich, dann hasse die mit Unversöhnlichkeit, die ihre Blutsauger und Peiniger ausmachen: die Wucherer, die Schwelger, die Drohnen der menschlichen Gesellschaft, die tief verdorbene Klasse derer, welche nach Gold und Genuß jagen, nicht aber die, deren Leben voll Arbeit, Elend und Entbehrungen ist, und welche also die Lastthiere dieser Welt bilden.

Es trat ein Schweigen ein, denn Burgau wünschte dieses Gespräch zu enden, das ihm peinlich wurde. Er sah mit Schrecken und Bedauern, wohin die sonderbare Philosophie seines Freundes diesen geführt hatte und wie schroff und verderblich sich seine Grundsätze bewährten. Es war ihm unheimlich zu Muthe, er fühlte sich verstimmt und dachte daran, sich zu entfernen.

Plötzlich aber faßte Wernher seine Hand, und als erkenne er, was Burgau vorhatte, sagte er:

Du darfst uns nicht für Vandalen halten, Dietrich, nicht für Wesen, die in Rohheit und Stumpfsinn untergehen. Bleibe noch ein Weilchen bei uns, dann wird Hermann dich begleiten; morgen aber komme, wann du willst, und sieh zu, wie wir, es am Tage treiben. Laß uns unsere Abendandacht halten, Sophie! fuhr er fort, seiner Tochter zärtlich zuwinkend, nimm dein Instrument; und zu Hermann: Oeffne das Fenster, mein Sohn. Der Abend ist schön wie ein Sommerabend; laßt Luft und Licht herein, laßt mich den ewigen Himmel und seine Sternendecke sehen.

Schweigend thaten die Beiden, was er ihnen hieß. Hermann schlug die grünen schweren Vorhänge auf und öffnete die hohen, Fenster. Das Mondlicht lief glänzend über das stille Gemach. Die kleine Lampe schien davor zu erlöschen. Draußen rauschte es leise in den Tannen- und Lerchenbäumen, und die Weinranken nickten zitternd herein.

Während dessen holte Sophie aus dem Nebengemach eine Harfe, die sie sorgsam bis in die Nähe des Fensters trug, wohin ihr Vater einen der Sessel gestellt hatte. Dort nahm sie Platz, und als sie mit ihren Fingern rasch die Saiten durchfuhr und ihnen volle, schöne Accorde entlockte, vergaß Burgau seinen Unmuth, denn sowohl das Instrument wie die Spielerin waren nicht von gewöhnlicher Art. Das dunkle Gemach, die schimmernde Gestalt des jungen Mädchens im Mondesglanze, ihr zum Himmel erhobenes Gesicht, das so kindlich schön und fromm in den lichtvollen, strahlenden Himmel blickte, und die leise verklingenden Töne der Harfe versetzten ihn in eine höhere Stimmung.

Er fühlte in seinem Herzen einen Strom von Empfindungen, der ihn sanft und tief bewegte; er fühlte Gedanken sich erheben, die den Regungen seiner Seele Inhalt gaben. Sein Auge wurde feucht, seine Hand legte sich in die Hand des Freundes, er drückte diese voll Liebe und saß träumerisch in Erinnerungen und Vorstellungen von dem Glücke eines schönen, stillen Familienlebens an dessen Seite, während die Harfe bald voller, bald leiser klang und endlich eine süße Stimme sie begleitete, der er mit Entzücken zuhörte.

Sein einsames Alter trat endlich melancholisch vor ihn hin und sah ihn kopfschüttelnd aus hohlen Augen an.

Glücklicher Georg! murmelte er, du hast eine Tochter, doch ich – ich – ich habe einen Neffen, der sie liebt, sagte eine leise Stimme in ihm, und wieder verlor er sich in Träumen, bis er mißmuthig Hermann anblickte, der im Schatten am Fenster saß, die Arme über seine Brust gekreuzt und seine großen Augen fest auf die Sängerin gerichtet.

Er wendete sich ab und sah, wie die Thür leise geöffnet wurde, durch welche zum Erstaunen des alten Herrn die beiden Mägde, begleitet von dem Gärtner, hereinschlüpften. Sie setzten sich nieder und hörten andächtig der Musik zu, welche nach einiger Zeit lebendiger wurde; Sophie forderte Hermann auf, etwas mit ihr gemeinsam zu singen, und Beide begannen nun, Schiller's Hymnus an die Freude vorzutragen, dem ein paar andere Lieder folgten, in welchen die Stimmen bald antworteten, bald sich unterstützten und trefflich zusammen paßten.

So war wohl eine Stunde hingegangen, als der Capitän, welcher still in seinem Stuhle gesessen hatte, sich erhob und bestimmend sagte:

Laßt es genug sein für heute, meine Kinder, denn es ist spät geworden, und wenn der Tag graut, ruft er uns zur Thätigkeit. Willst du morgen wieder kommen, Dietrich, und unser Gast sein? –

Ich komme gewiß, entgegnete der alte Herr; nur weiß ich nicht, wann es angeht, da ich ein Geschäft mit meinem Neffen abzumachen habe.

Wie! fragte Wernher, du hast einen Neffen hier?

Den Sohn meiner Schwester. Er ist Offizier.

Der Capitän bedachte sich einen Augenblick, dann sagte er lächelnd:

Du mußt es wissen, Dietrich, ob es für ihn paßt, in unserer Gesellschaft zu sein, d. h. ob ihm unsere spartanische Suppe schmecken wird. Glaubst du, daß er sich hier gefallen könne, so bringe ihn mit, ich überlasse das dir und deinen Ansichten.

Ich werde es bedenken, erwiderte der alte Herr, und in diesem Augenblicke war er fest entschlossen, seinen Neffen nicht hierher zu führen. Der Patriarch da mit seinen gewaltigen, starrsinnigen Ansichten war kein Mann für den leichtfertigen Offizier, und was konnte er auch hier wollen bei der armen, arbeitsamen Gärtner-Familie, die in ihrer grünen Klause ein dürftiges, verschlossenes Pflanzerleben führte?

Aber mit väterlicher Zuneigung nahm er von Sophien Abschied. Mein liebes Kind, sagte er, ich muß dich so nennen, mein Herz macht dich dazu, habe Dank für die Freude, welche du mir bereitet hast. –

Er küßte sie auf die Stirn, kindlich schlang sie die Arme um seinen Hals und erwiederte seine Liebkosungen.

Mein Vater hat mir so viel von dir erzählt, erwiederte sie, daß ich dich kannte, lange, ehe du kamst, und doch voll Sehnsucht war, den Mann zu sehen, der mir als liebes Bild vorschwebte.

Und nun siehst du dich in deinen Erwartungen getäuscht, sagte er.

O, nein! versetzte sie, sein graues Haar streichelnd. Du siehst so gut und gerecht aus, daß ich dich gleich lieb hatte und immer lieb haben will.

Der alte Herr ging ganz bewegt an ihrem Arme durch den Garten bis an die Pforte; es war ihm weich und warm im Herzen! Sie zeigte ihm die Beete und die Bäume und plauderte ohne Rückhalt aus, was sie dachte.

Komm morgen, so bald du kannst, lieber Vater Burgau, sagte sie, ich bin gewiß, es gefällt dir bei uns trotz der Einsamkeit und Stille unseres Lebens. Der Tag wird sonnig und warm sein, sieh, wie die Räder des großen Wagens leuchtend über den Himmel fahren! Ich will dir die schönsten Georginen pflücken und dich bekränzen; du sollst unseren Wein und unsere Birnen proben, es gibt keine besseren weit und breit. Hermann muß uns Nüsse schlagen, und ich schäle sie dir; dem Vater nehmen wir die beste Flasche aus dem Keller, und wenn du Lieder liebst und meine arme kleine Harfe dir gefällt, singe ich dir, was ich weiß. Wir geben dir alles gern, was wir haben – ist das nicht schön, kannst du mehr von uns wollen?

Besseres kann kein König geben! rief Burgau entzückt, und er versprach, so bald als möglich sich einzufinden.

Hinter ihm schlug mit dem letzten Glückwunsche die Thür zu; er ging auf dem schmalen Stege vorwärts und sah sich nicht um, oder wollte sich nicht umsehen, denn seinen weichen Empfindungen schnitt sich ein unheimlicher Gedanke ein, sobald er an seinen Begleiter dachte. Er wußte nicht recht, was er thun sollte. Sollte er eine Erklärung von dem Manne fordern, der ihm wohlgethan und in dessen Geheimniß ihn der Zufall wunderlich geworfen, oder sollte er schweigen und dieses Geheimniß ehren, seines Wortes eingedenk, ihre erste Begegnung als einen Traum zu begraben? Er war dazu bereit, doch sein Gewissen sträubte sich heftig, und während er die Schritte des Mannes, den er ausforschen und zum Bekenntniß bringen wollte, hinter sich hörte, sann er auf den Anfang eines entscheidenden Gespräches, ohne ihn finden zu können.

Schweigend gingen sie Beide längere Zeit neben einander her; denn auch Hermann sprach kein Wort – er schien die Anrede zu erwarten, um danach handeln zu können. Es war eine peinliche Stille, während sie durch die Stadt der Armuth wanderten und nur das dürre Laub, das sich um ihre Füße wickelte, melancholisch eintönig mit ihnen weiter rauschte. Erst als sie die große Straße erreichten, machte der alte Herr einen Versuch, dies Schweigen zu brechen. Der Schein der ersten Laterne beleuchtete das Gesicht seines Nachbars. Mit einem schnellen Blicke durchmusterte er die Züge desselben und wäre beinahe gefallen, wenn ihn Hermann nicht gehalten hätte; denn er stolperte über einen abschüssigen Stein in der schlecht gepflasterten Straße.

So geht es, wenn man sich auf üblen Wegen befindet, sagte er scherzend.

Und doch ist es unmöglich, immer über eine geebnete Straße zu gehen, entgegnete der junge Mann.

Aber der gerade Weg ist doch stets der beste! antwortete der alte Herr mit Nachdruck und sah ihn bedeutsam an.

So sagt man, versetzte Hermann lächelnd; doch man bedenkt nicht, daß die geraden Wege nicht immer zu haben sind.

Es trat eine kleine Pause ein, und Burgau hatte eine gewichtige Frage auf der Zunge, als sein Nachbar fortfuhr:

Das Beste, was geschehen kann, ist meines Erachtens, wenn Jeder den Weg geht, den er für den besten hält oder, von Umständen gezwungen, wählt. Sehe man dann zu, ob man zum Ziele gelangt, und hüte sich Jeder, einen Stein darauf zu werfen, welcher Andere zum Straucheln und Fallen führen kann!

Burgau war von dieser Antwort betroffen und unterdrückte, was er sagen wollte.

Sie gehen ohne Zweifel schon lange bei meinem Freunde Wernher ins Haus? sagte er.

Seit mehren Jahren, antwortete Hermann. Es ist der einzige Ort auf Erden, wo ich froh bin; man muß es sein im Kreise so vortrefflicher Menschen.

Der einzige Ort auf Erden, wo er froh sein kann! murmelte Burgau vor sich hin. Ach, der Unglückliche!

Sie haben Wernher also sehr lieb? fragte er weiter.

Wer sollte ihn nicht lieb haben! Er ist der beste, der edelste aller Menschen, trotz so mancher Vorurtheile, trotz seiner Heftigkeit und seiner Strenge im Verdammen derer, die seinen Grundsätzen widerstreben.

Ich begreife es, erwiderte der alte Herr. Es ist ein wunderlicher Heiliger, der von der Welt die Tugenden verlangt, welche er selbst übt. Um so mehr sollte jeder, der ihm nahe steht, sich hüten, ihn zu täuschen; denn welche Stunde des Schreckens und des Abscheues müßte es für ihn sein, wenn Wernher es einmal entdeckte, daß die ihn betrogen hätten, denen er sein ganzes Herz zuwandte!

Als Burgau dieses sagte, hatte er unwillkürlich seine Hand auf Hermann's Arm gelegt, den er zusammenpreßte.

Sie standen auf einem kleinen, freien Platze, und ein mitleidiges Gefühl ergriff den alten Herrn, als er die Wirkungen seiner strafenden Ermahnungen erblickte.

Wie vernichtet stand dieser vor ihm, den Kopf niedergebeugt, die Arme schlaff an dem Körper herabgesunken.

Seine Hand war schwer und kalt, wie die Hand eines Todten; ein krampfhaftes Zittern lief darüber hin, wie ein schmerzhaftes Nervenzucken.

Armer, junger Mann! sagte Burgau, glauben und vertrauen Sie mir, der ich mit Liebe und Dankbarkeit Ihnen zugethan bin und Verpflichtungen gegen Sie habe, die mich auf immer zu Ihrem Schuldner machen. Welche doppelte und seltsame Rolle haben Sie sich aufgelegt? Was haben Sie vor, was bewegt Sie dazu? Durch welche Mächte, durch welche Leidenschaften wurden Sie in solche Bahnen gerissen, und warum täuschen Sie die, welche Sie lieben? Oeffnen Sie Ihr Herz einem Freunde, vertrauen Sie mir, was Sie quält; ich will zu rathen und zu helfen suchen.

Während dieser Zusprache hatte sich Hermann aufgerichtet und blickte den alten Herrn ruhig an.

Ich verstehe Sie nicht ganz, Herr von Burgau, sagte er; doch wie es scheint, haben Sie irgend etwas erlebt, bei dem ein mir äußerlich ähnliches Wesen betheiligt sein muß.

Wie! rief der alte Herr erstaunt und unwillig, Sie wollen läugnen, daß ich Sie vor wenigen Stunden erst an der Börse fand? Sie wollen läugnen, daß Sie dort sich meiner in einer Weise annahmen, die zu edelmüthig, zu großmüthig ist, um sie Ihnen jetzt und hier zu wiederholen?

Ja, gewiß, versetzte Hermann mit überzeugender Bestimmtheit, ich werde dies läugnen und muß es läugnen; denn nie habe ich Sie gesehen, nie Ihnen einen Dienst geleistet, nie hat mein Fuß die Börse betreten; was hätte ich dort auch thun sollen? Jetzt erst, fuhr er dann fort, während Burgau ihn starr betrachtete, erkläre ich mir Ihre ersten seltsamen Begrüßungen im Hause des Capitäns. Ich weiß nicht, in welchen Beziehungen zu Ihnen das Wesen steht, das mir als Doppelgänger dient; aber wie diese auch sein mögen, ich muß Sie dringend bitten, sich aller Umstände genau zu erinnern, da ich in der That nicht weiß, was ich Ihnen bekennen soll.

Sie werden mich aber dennoch nicht täuschen, sagte Burgau hartnäckig. Zwar habe ich Ihnen mein Wort gegeben, unsere Bekanntschaft zu vergessen oder doch auf ewig in meinem Herzen zu begraben, allein ich halte es für Pflicht, meinem Freunde den ganzen Vorgang nun mitzutheilen, um der Ehre und Wahrheit willen.

Ich kann Ihnen nur Recht geben und werde morgen selbst darum bitten, versetzte Hermann.

Unmöglich, unmöglich! schrie der alte Herr zornig, ich kann mich nicht irren, denn ich habe Sie zu lange und zu genau betrachtet. Noch in dem Gasthofe, wo ich Ihnen gegenüber saß, als Sie den Fasan zerlegten und das Bruchstück mit so vieler Kunst herausschnitten, als Sie den Champagner in hohen Bogen Perlen und Schaum schlagen ließen, sagte ich mir: Dieser junge Mann kann Alles und versteht Alles mit derselben Meisterschaft, Alles an ihm ist eigenthümlich, um ihn von jedem Anderen zu unterscheiden.

Fasanen, Champagner? sagte Hermann lachend. Mein würdiger Herr von Burgau, in welcher frohen und übermüthigen Gesellschaft sind Sie denn gewesen? Ich – Champagner! Nun, wenn niemals der Himmel Ihre Augen gestärkt hat, so mag er es in diesem Augenblicke thun! vielleicht steckt ein Restchen des Festes doch noch in irgend einem Winkel Ihres Kopfes; morgen werden Sie klarer sehen. Ich bin jetzt ganz beruhigt; hier ist Ihr Gasthof – schlafen Sie wohl, Herr von Burgau.

Haben Sie denn auch keinen Bruder, keinen Zwillingsbruder? fragte der alte Herr, halb verlegen, halb zweifelhaft ihn bei der Hand festhaltend.

Weder Bruder noch Schwester! sagte Hermann, noch immer lachend, ich bin der Einzige meines Stammes.

Ich hoffe auf den lichten Morgen, Herr von Burgau, der meine Aehnlichkeit mit Ihrem unbekannten Freunde wohl merklich zerstören wird. Sie werden gut schlafen, wie ich denke; wollen Sie aber mein einsames, stilles Stübchen aufsuchen, so bin ich so ziemlich in Ihrer Nähe zu finden, dort in jener Straße das dritte Haus im vierten Stockwerk. Sie werden weder Fasanen noch Champagner antreffen, nur Bücher und bestaubtes Papier, aber einen herzlichen Empfang, und wir werden gemeinsam zu lachen haben.


III.

Herr von Burgau wachte am nächsten Morgen etwas spät und unmuthig auf. Er hatte noch lange über die Erlebnisse des gestrigen Tages nachgedacht und konnte sich noch immer nicht recht darein finden; indeß waren seine Ueberzeugungen über die Identität des glänzenden, reichen Börsenmannes und des armen Candidaten doch etwas wankend geworden. Er konnte durchaus keinen Zusammenhang zwischen Beiden finden, und begriff allerdings nicht, wie und warum sich der Eine in den Anderen verwandeln sollte; aber die Aehnlichkeit Beider war zu seltsam. Je mehr er im Gedächtnisse sie verglich, um so gewisser ward er seiner Sache; und wenn er die Blicke, Worte und verfänglichen Reden des Candidaten bedachte, dann bestärkte er sich immer wieder von Neuem darin, daß er sich nicht irren könnte.

Endlich schlief er ein, und als er aufstand, war er mehr mit seiner Familienangelegenheit, als mit den Doppelgängern beschäftigt, deren Erinnerung ihm fatal wurde.

Habe ich nicht genug mit meinen eigenen Angelegenheiten zu thun, sagte er verdrießlich, daß mir das auch noch passiren muß? Es kann sein, daß ich mich wirklich getäuscht habe, und dann ist es nicht im Geringsten erwünscht, wenn ich heute etwa dem Georg und seinem ganzen Hause meine Abenteuer und Schicksale auftischen soll. Lügen mag ich nicht, und sage ich die Wahrheit, so ist diese eben nicht gar fein für mich; habe ich aber auch wirklich Recht, und bleibt der Bursche bei seinem Läugnen, so werde ich herunter capitelt von dem Alten und ausgelacht von den Jungen, wo nicht gar Knechten und Mägden als Beispiel aufgestellt, wie es alten Schwelgern und Trunkenbolden gehe, gerade so wie es einst die Spartaner mit ihren Heloten machten. Meinetwegen also sei es, wie es sei, und komme es, wie es komme, so thue ich am besten, mir die Finger nicht zu verbrennen. Ich will mit Klugheit verfahren, um so eher, da ich – hier hob er sein Taschenbuch auf – dem jungen Manne jedenfalls tief verpflichtet bin und Verschwiegenheit gelobt habe.

Er kleidete sich rasch an, denn es war ziemlich spät geworden, und er mußte fürchten, den Neffen wiederum zu verfehlen, der über die Schwere des Dienstes, über das viele Exerciren und die Menge seiner Amtspflichten sich gestern schon beklagt hatte. In größter Eile rannte der alte Herr daher in die endlosen Straßen hinein, fragte rechts und links, um sich zurecht zu finden, und kam im Schweiße seines Angesichts endlich nach drei Viertelstunden so weit, daß er keuchend die Treppen eines großen Hauses hinanstieg, wo Oskar im zweiten Stockwerk wohnen sollte.

Die braun gebeizten Stufen, die Nischen, in denen Büsten und Statuen standen, die großen Fenster, von farbigem Glase zusammengesetzt, welche vom Dache bis zur Erde reichten, vor Allem aber die tiefe Ruhe in diesem palastartigen Hause waren für Burgau bemerkenswerthe, aber wohlthuende Zeichen, auf die er seine Schlüsse baute.

Er wohnt in einem schönen, stillen Hause, sagte er, aus welchem aller Lärm verbannt ist; das deutet auf Ordnung und Sinn für ein geregeltes Leben. Und dennoch – doch wer weiß! Schein kann täuschen, aber der solideste junge Mann kann in Verlegenheiten verwickelt werden, die, wenn einmal die Bahn dazu gebrochen wurde, kein Ende nehmen; denn laßt den Teufel euch bei einem Haare fassen, so hat er euch ganz.

Hier hielt der alte Herr athemlos inne, denn er stand oben auf der Vorflur, und betrachtete die großen Flügelthüren, deren Messing-Beschläge sie noch stattlicher machten. Er suchte mit den Augen umher und entdeckte an der Einen eine Karte, welche bei näherer Besichtigung den Namen seines Neffen trug.

Richtig bin ich also, rief er triumphirend, indem er ziemlich stark klopfte; aber es antwortete Niemand. Der arme Junge hat mich abermals vergebens erwartet! murmelte er bedauernd vor sich hin.

Unter dem Drucke seiner Hand öffnete sich jedoch die Thür, und Burgau blieb einen Augenblick überrascht und unschlüssig an der Schwelle stehen. Dämmerndes Licht fiel durch die herabgelassenen Vorhänge auf das große Gemach, dessen blaue Tapeten den Tagesschein zurückwarfen, welcher deutlich genug die malerische Unordnung kenntlich machte, welche aller Orten hier herrschte.

Auf dem Tische standen die Reste eines am Abend hier genossenen Mahles, dazwischen eine Anzahl leerer Flaschen sammt ganzen und zerbrochenen Gläsern, halbverrauchten Cigarren, deren Asche, umhergestreut, zwischen angebrannten Fidibussen hervorsah und auf dem weinnassen, befleckten Tischtuche das feste Land und die Inseln darstellte. Eine Menge Toiletten-Gegenstände der verschiedensten Art lagen auf den Seitentischen und dem Schreib-Bureau wild durch einander; die Schlüssel staken, die Kasten waren halb geöffnet, auf den Stühlen lagen Kleidungsstücke, über ihnen Sporenstiefel, und der alte Herr schüttelte sehr bedenklich den Kopf und schritt langsam bis in die Mitte des Zimmers, indem er fortgesetzt schweigend dieses Wirrsal betrachtete.

Eben so schweigend näherte er sich einer Seitenthür, welche ein wenig geöffnet war, und sein erster Blick traf den theuren Neffen, der in tiefem Schlafe mitten in einem großen Bette lag, neben welchem eine ungeheuer lange Pfeife lehnte, deren Bernsteinspitze noch jetzt einladend über den Lippen des Schlafenden hing. Der schöne lockige Kopf des jungen Mannes war vom Morgenlichte glänzend eingefaßt, seine männlich gebräunten Züge trugen den Stempel der Kraft und Gesundheit, und bei allem geheimen Aerger fühlte der Onkel doch ein so mächtiges Wohlwollen für den ausschweifenden Neffen, daß er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

Er setzte sich auf den Stuhl neben das Bett und murmelte nach einer langen Betrachtung: Er ist jung, voll Jugendlust; wer fragt da nach der Vorsicht und Weisheit des Alters! Gebaut wie ein Athlet, hat er keine Sorgen, die den Schwächling drücken.

Er streckte die Hand aus und schüttelte den Schlafenden, der sich auf die andere Seite warf, ohne die Augen zu öffnen, und verdrießlich sagte:

Laß mich schlafen, zum Teufel! Das war eine lange, schwere Sitzung! Wecke mich in einer Stunde.

Dazu habe ich keine Zeit! antwortete Burgau. Steh auf, wenn du von deinem Schwelgen dich erholen kannst.

Beim Tone dieser Stimme richtete sich der junge Officier auf und erkannte den Besuch. Sie sind es, Onkel! rief er. O, Verzeihung für meine Nachlässigkeit!

Ich fürchte, Oskar, sagte der alte Herr, daß wenn ich verzeihen soll, ich sehr viel zu verzeihen haben werde.

Zugestanden, theuerster Onkel, versetzte der junge Mann lachend; aber dieses Mal bin ich weniger schuldig, als Sie denken. Mein unverhofftes Zusammentreffen mit Ihnen hatte mich gestern unbeschreiblich glücklich gemacht; ein paar Cameraden besuchten mich, und finden Sie es nicht in der Ordnung, daß wir ein Glas auf Ihr Wohl leerten, wie auf das Wohl einer oder einiger anderen Personen? Erzählen Sie mir, wie es Ihnen ging. Wie hat man Sie aufgenommen? Was sagte der alte grimmige Gärtner und meine Angebetete? Ist sie nicht schön wie ein Engel, Onkel, ist sie nicht ein himmlisches Wesen? Heute begleite ich Sie, Sie müssen mich einführen, ich trotze allen Hindernissen. O, Sie wissen nicht, wie ich nach diesem Augenblick schmachte, und seit Wochen ohne Ruhe und Lebenslust bin!

Nun, sagte der alte Herr, ironisch umherblickend, ich habe die Beweise vor mir und denke in keinem Falle die Zahl deiner Thorheiten zu vermehren. Ueberhaupt muß ich Dir erklären, daß dein Leben mir Kummer macht. Du hast mir Briefe geschrieben, die mich das Aergste befürchten ließen. Du hast Schulden gemacht, die du Ehrenschulden nennst; du hast dir Verweise zugezogen und sogar merken lassen, daß, wenn deine Fehler nicht schnell gut gemacht werden könnten, du den Abschied nehmen müßtest. In schwerer Sorge und Angst um dich bin ich nun selbst gekommen; doch statt einen Reuigen zu finden, sehe ich den alten Leichtsinn, und welche Schlüsse soll ich daraus ziehen?

In dieser Weise fuhr der alte Herr fort, dem Neffen eine lange scharfe Strafpredigt zu halten, welche dieser mit Fassung anhörte, bis der Oheim sich müde gesprochen hatte. Dann begannen seine Entschuldigungen, die er so gewandt wie möglich vortrug, häufig sich selbst anklagte und seine Bekenntnisse mit moralischen Betrachtungen würzte, welche erkennen ließen, daß er sehr wohl wisse, wo und wie er gefehlt habe. Vieles legte er auch den Verhältnissen, in denen er lebte, und dem Zufalle zur Last. Sein Stand forderte von ihm manche Ausgaben und brachte kostspielige Gewohnheiten mit; er war umringt von reichen jungen Leuten, die noch weit mehr Schulden machten als er, und konnte sich manchen sogar als ein Muster von Einschränkungen und Mäßigungen darstellen.

Glauben Sie, theurer Onkel, sagte er, daß ich den Kummer empfinde, den ich Ihnen verursache; ich sehe und erkenne Alles, aber Einiges vermag ich nicht zu ändern, und zu Anderem fehlt mir die Weisheit. Ich muß, wie man zu sagen pflegt, mit den Wölfen heulen; man würde mich sonst verspotten, mich zurücksetzen, würde mir sagen, daß wenn ich die Mittel nicht hätte, um theure Pferde zu halten oder Feste feiern zu helfen, ich besser thäte, in irgend einem dunklen Grenzstädtchen bei einem Linien-Regimente meinen Platz zu suchen. Das kann ich nicht und will ich nicht, aber denken Sie nicht böse von mir. Ich bin kein Verschwender, kein Wüstling, bin Ihrer Liebe und Sorge nicht unwürdig, und hoffe es Ihnen zu beweisen.

Der Oheim war halb erweicht; denn diese Betheurungen wurden mit Energie ausgesprochen, und die Ermahnungen des alten Herrn riefen neue löbliche Grundsätze hervor. Als Oskar jedoch wieder auf Wernher und dessen Familie zurück kam, erklärte ihm Burgau bestimmt, daß er ihn dort nicht einführen würde, obwohl der Capitän es erlaubt habe.

Wenn dieses wirklich Ihr Ernst sein sollte, Onkel, rief der junge Offizier, so würde ich mich eindrängen, selbst gegen Ihren Willen.

Und was willst du da, unbesonnener, junger Mensch? fragte Burgau, der innerlich erfreut von dieser Heftigkeit war. Der Capitän ist ohne Vermögen, und seine Tochter, selbst wenn du den thörichten Gedanken hegen solltest, um ihre Gunst dich zu bewerben, liebt einen Anderen.

Ich fürchte Ihre Abschreckungs-Theorie durchaus nicht, entgegnete Oskar lächelnd. Wenn aber Alles so ist wie Sie sagen – lassen Sie mich mit eigenen Augen sehen, was ich zu hoffen oder zu fürchten habe.

Ich will deine Thorheiten nicht unterstützen! rief der alte Herr. Dieses Mädchen, so lieb ich sie habe, so gut und schön sie ist, kann niemals dir angehören.

Wissen Sie das so gewiß, fragte Oskar, daß Sie wie das Schicksal vor mich hintreten können, um über mein Heil oder Unheil zu entscheiden? Halten Sie mich nicht für so verblendet von einer augenblicklichen Neigung, daß ich mich nicht gefragt hätte, was möglich oder unmöglich sei. Ich habe auch überlegt, weiß vielleicht Einiges, was Sie nicht wissen, kenne die Schwierigkeiten, welche sich meinen Wünschen entgegen stellen, aber bin auch Mann genug, um mich nicht abschrecken zu lassen. Ich will selbst sehen und hören, und Sie müssen mir dieses gestatten; denn was soll Ihr Freund glauben, wenn Sie mir verwehren, mich ihm vorzustellen? Welche Begriffe von Ihrem Neffen, seinem Leben und seiner Ehre soll er sich machen?

Der junge Mann hatte den rechten Ton und den rechten Punkt getroffen. Burgau sann einen Augenblick nach, dann sagte er:

Darin kann ich dir nicht Unrecht geben, und obwohl es mir noch immer scheint, es wäre besser, du bliebest fort, so kann ich doch nicht länger widerstehen. Komm also um zwölf Uhr zu mir, wenn es dir behagt, der Gast des Capitäns bei einem einfachen Mittagsmahle zu sein; oder komm später nach, ich werde dich ihm ankündigen.

Ich werde Sie begleiten, erwiderte Oskar, und Theilnehmer aller Genüsse sein, die unser warten.

Er überhäufte den gefälligen Oheim mit Danksagungen und Betheurungen, bis dieser endlich sein Taschenbuch hervorzog, um seinen Besuch auf belohnende Weise zu schließen.

Hier ist das Geld, das du nöthig hast, sagte er, indem er mit zitternder Hand die vier Bankscheine hervorzog und langsam auf das Bett legte. Wenn du wüßtest, Oskar, was es mir kostet, dir es geben zu können! Grundsätze, Gewissen, die strenge Ehrenhaftigkeit meines ganzen Lebens sind dabei in Conflict gerathen, und nie während meines Daseins auf Erden habe ich mich so tief gedemüthigt gefühlt, als in dem Augenblicke, wo ich diese Scheine einsteckte, um dir zu helfen.

Die tiefe Betrübniß des alten Herrn und der Ausdruck des Grames in seinem faltigen, gesenkten Gesichte machten einen lebhaften Eindruck auf den sanguinischen jungen Mann. Er schlang beide Arme um seinen Oheim und rief mit heftiger Empfindung:

Ach, Onkel, ich bin nicht werth, daß Sie so viel leiden! Wenn es wahr ist, daß Ehre und Gewissen dabei zu Schaden kommt, so nehmen Sie das Geld zurück, ich will es nicht, ich werde mir anders zu helfen suchen. Geben Sie es dem schändlichen Wucherer wieder, von dem Sie es unter schweren Opfern borgten; es brennt mir auf der Seele, ich kann es nicht nehmen.

Du täuschest dich, entgegnete der alte Herr. Das Opfer ist gebracht und kann nicht wieder zurück genommen werden; auch ist es von anderer Art, als du denkst. Nimm das Geld, mein Kind, tilge deine Verpflichtungen, aber versprich mir feierlich, bei der Asche deiner Mutter, die dich über Alles liebte, bei meiner Liebe und meiner Sorge um dich, einem besseren Genius zu folgen.

Ich will, Onkel! antwortete der junge Mann gerührt. Nicht vergebens sollen Sie mir meine arme Mutter ins Gedächtniß gerufen haben; ich will Ihnen folgen, theurer Onkel, und habe Energie genug, auch zu können, was ich will.

Nach einer halben Stunde war der alte Herr überzeugt, daß diesem feurigen jungen Menschen nur eine leitende Freundeshand fehlte, um ihn in edlen Gedanken stark zu machen, und heimlich sann er darüber nach, ob nicht Wernher's Bekanntschaft und der Eintritt in diese Familie, wie es auch sonst kommen möchte, doch von Wirkung für seinen verwöhnten und irrenden Neffen sein müßte.

Endlich verließ er ihn, nachdem sie ihre Verabredungen erneut hatten; doch draußen auf der Straße setzte er die Betrachtungen fort, welche ihn beschäftigten.

Oskar ist von Grund aus gut und jeder edlen Regung zugänglich, sagte er. In Wernher's Haus findet er die strenge und einfache Tugend guter Menschen, und leicht wird er den Kern von der Schale unterscheiden. Er wird dadurch gebessert und geläutert werden; selbst wenn Schmerz über ihn kommt, ein großer Lebensschmerz, wenn er einsieht, daß seine flüchtige Neigung zu Sophien der tiefen, edlen Liebe, welche ihm entgegen strebt, weichen muß, wird es ihn bessern und erheben. Hermann wird sein Freund werden, und welchen Einfluß kann dieser ernste Mann über ihn gewinnen! Ich will mit ihm sprechen, sagte er lebhaft, und will ihn bitten.

In diesem Augenblicke blieb der alte Herr plötzlich, wie vor Schreck erstarrt, stehen und sah gerade vor sich hin einem Wagen nach, der schnell an ihm vorüber rollte Zwei edle Pferde zogen einen eleganten Phaeton, den ein betreßter Kutscher lenkte; auf den seidenen Polstern aber lag, zurück gelehnt, ein junger, schwarz gekleideter Herr, und auf den ersten Blick erkannte Burgau in diesem seinen Freund von der Börse. Er streckte die Hand aus, um an den Hut zu greifen, und es kam ihm vor, als sähe er das leise lächelnde Zucken seiner blassen Lippen; doch im nächsten Augenblicke rollte der Wagen vor ihm hin, und wie lange er auch nachsah, der Herr blickte nicht zurück.

Das war er! rief Burgau so laut, daß die Vorübergehenden ihn lachend anstaunten; es war Hermann – Hermann Selbitz oder Hermann der Speculant es ist dasselbe – bei Gott! Da ist kein Zug, der anders wäre. Es ist doch Tag: das ist meine Hand, das sind meine Augen, ich kann mich nicht länger täuschen. –

Er ging einige rasche Schritte, dann stand er still.

Wo wollte er wohnen, wo war es? fragte er sich. Es war nicht weit von mir, ich kenne die Straße, das dritte Haus im vierten Stockwerke. Es ist eine Lüge der frechsten Art! Er im vierten Stockwerke, er in einer Dachstube! dieser duftende Mensch, der sich von englischen Rennern in seidenen Wagen ziehen läßt! Jetzt soll er mir nicht entkommen!

Mit der größten Hast trat er den Rückweg an und stand in kurzer Zeit vor dem bezeichneten Hause, dessen Stockwerke er lächelnd mit den Augen maß.

Es sind wirklich vier, sagte er, und die obersten Dachstuben scheinen mir ärmlich genug zu sein. –

Vorsichtig stieg er die Treppen hinauf, welche steil und gewunden aufwärts führten. – Ein paar trübe, kleine Fenster streuten ihr spärliches Licht über die ausgetretenen Stufen und führten in einen kleinen Hof, von hohen Mauern umgeben, deren Feuchtigkeit von keinem Sonnenstrahle getrocknet wurde.

Lieber Himmel, murmelte der alte Herr seufzend, welch ein Gefängniß ist dieses schwarze, wurmstichige Haus, und wie viel Sorge muß darin wohnen! – Als er drei Treppen zurück gelegt hatte, wußte er nicht recht mehr, ob er am Ziele sei. Er ging hin und her und faßte an eine Thür, an welcher ein kleines Schild klebte, dessen Schrift er nicht erkennen konnte.

Nach einigem Warten hörte er einen Riegel zurück schieben, und plötzlich steckte eine alte Frau ihren Kopf durch die Thürspalte und fragte, wer da sei.

Ich suche die Wohnung eines gewissen Candidaten Selbitz, sagte Burgau.

Noch eine Treppe höher, die Thür gerade zu, versetzte die Frau.

Er wohnt also wirklich hier? Ist er zu Hause?

Sehr wahrscheinlich, er geht selten bei Tage aus.

So bin ich doch neugierig, wer dieser Selbitz ist, dachte Burgau bei sich, indem er die steile Treppe hinaufstieg. Oben fiel das Licht hell durch ein Dachfenster, und er sah ein Papier mit der großen Aufschrift: Hermann Selbitz, an der Thür kleben. Einen Augenblick blieb er horchend stehen – Alles war still, – dann klopfte er entschlossen an.

Herein! rief eine tiefe Stimme, und ein unwillkürlicher Schauder lief über den Rücken des alten Herrn. Mit einem krampfhaften Drucke riß er die Thür auf, und von dem hohen Schreibpulte, halb vergraben unter Folianten und aufgethürmten Büchern, hob sich ein Kopf empor, der sich ihm zuwandte und freundlich entgegen lächelte. Es war der Börsenmann, Zug um Zug. Der alte Herr war keines Wortes mächtig.

Verzeihen Sie, Herr von Burgau, sagte Hermann, ihm entgegen gehend, wenn ich Sie im Hausgewande empfange und mitten in die Unordnung eines Lebens führte, das zum guten Theile hinter Büchern und Papier verbracht wird.

Verzeihen Sie selbst, entgegnete der alte Herr verwirrt, wenn ich Sie in Ihren Arbeiten störe.

Mir ist es wahrlich lieb, wenn ich dann und wann herausgerissen werde, antwortete der Gelehrte, indem er eine Anzahl Folianten von dem kleinen Sopha warf und Platz machte. Setzen Sie sich hier, Herr von Burgau, es ist der einzige Ort, den ich Ihnen anbieten kann.

Darf ich fragen, was Sie so anhaltend beschäftigt? fragte Burgau.

Sprach- und Geschichtsstudien der sublimsten Art, entgegnete Hermann. Ich bin seit Jahren mit einer Vorgeschichte der Deutschen und der Aufsuchung ihrer ursprünglichen indischen Heimat beschäftigt und denke, ihre Ursitze durch Vergleichungen der Wurzelwörter mit dem Persischen, Griechischen, dem Sanskrit und der Kaisachi- und Wisma-Sprache zu beweisen.

Damit beschäftigen Sie sich?! rief der alte Herr im höchsten Erstaunen; und er hörte mit starren Blicken den gelehrten Mittheilungen zu, welche Hermann ihm geläufig vortrug, der endlich sagte:

Es ist ein mühevolles, schwieriges Studium, in welches ich heute, wie alle Tage, seit dem ersten Lichtschein mich versenkte; Sie dürfen mir daher um so eher glauben, daß ich mich herzlich freue, Sie bei mir zu sehen.

Wie können Sie aber solche Anstrengungen und Entbehrungen ertragen? fuhr Burgau fort. Dieses enge, dunstige Stübchen, dieser Bücherhaufe und die endlosen wunderbaren Charaktere auf so vielen vergilbten Blättern würden mich toll machen. Zudem – er warf einen langen Blick rund über die grauen Wände und über das schlechte Bett im tiefsten Winkel – zudem, sagte er mitleidig und kopfschüttelnd, scheinen Sie in keiner Weise sich das Leben zu erheitern.

Nicht durch Fasanen und Champagner, lieber Herr von Burgau, entgegnete Hermann lachend, während der alte Herr erröthete, davon weiß ich allerdings nichts; aber dennoch besitze ich viele Lebensfreuden und glückliche Stunden, welche andere Sterbliche nicht kennen.

Mit andächtiger Bewunderung hörte Burgau ihm zu, und wie er das große, dunkle Auge des jungen Mannes in edlem Feuer glänzen sah, drang ein Strahl der Verehrung vor dieser entsagenden Größe in seine Brust. Er streckte die Hand nach ihm aus und drückte die seinige theilnehmend, indem er in der Tiefe seines Herzens ihm allen ungerechten Verdacht abbat.

Ich fühle mit Ihnen, was Sie erhebt, sagte er, und doch ergreift mich ein Kummer um Ihr blasses Gesicht und um dieses stille, anscheinend so thatenlose und hinbrütende Leben.

O, trauern Sie nicht darum! versetzte Hermann. Im großen Weltgetriebe muß es auch blasse und farblose Lippen geben, und wenigstens sind die meinen weder von Krankheit noch von Elend so geworden, wie sie sind.

Irren Sie sich nicht in mir, fuhr er mit Blicken fort, deren sonderbare Gewalt und ironischer Ausdruck Burgau in neues Erstaunen setzte, ich bin ein wunderlich organisirtes Wesen. Ich kann diese fahle Schlangenhaut abthun, um schnell in eine neue, bunte und glänzende zu schlüpfen, worin Sie mich kaum wieder erkennen würden. Wenn ich diesen Rock ausziehe, diese Feder von mir werfe, denke ich nicht mehr an diese Bücher und ihren Staub. Glücklich, ihnen entronnen zu sein, eile ich zu Wernher, bis ich wieder hierher zurück kehre und mit neuer Lust zu meinen alten Büchern greife.

Aber zu welchem Zwecke greifen Sie dazu? fiel Burgau ein, welche Absichten haben Sie für Ihre Zukunft?

Absichten?! fragte Hermann. Daß doch die Menschen stets nach Absichten fragen, bei allem, was einer thut, als könne man nicht einer Sache selbst wegen, eben weil man nicht anders kann, sie ausführen! Ließe man den menschlichen Geist sich frei entwickeln, hemmte, verdammte und unterdrückte man nicht, was man als bös und verderblich verschreit, während man das so genannte Gute erhebt und preis't, so würde es anders mit der Menschheit stehen.

Das ist eine sonderbare Philosophie, sagte der alte Herr.

Und doch die einzige stichhaltige, versetzte Hermann. Fragen Sie unsere Weisen, was sie bis jetzt heraus geklügelt haben.

Aber wenn ich Sie recht verstehe, entgegnete Burgau, so nehmen Sie an, daß Gutes wie Böses der Rechtfertigung nicht bedürfe, Niemand auch das Recht habe, den Guten zu loben oder den Bösen zu strafen.

So ist es, sagte Hermann, oder vielmehr so sollte es sein; und wäre es so, führte Liebe und göttliches Erbarmen das Regiment auf Erden, so würde das Böse von selbst verschwinden. Statt dessen, fuhr er fort, indem er Burgau bedeutsam anblickte, bevormundet Jeder die menschliche Freiheit, richtet über Bös und Gut nach seinem Maßstabe und verwirft die, welche nicht da hinein passen.

Herr Selbitz, sagte der alte Herr unruhig und verlegen, ich weiß nicht … aber ich muß glauben, daß die Anwendung Ihrer Worte auf mich Bezug haben soll.

Ganz ohne Zweifel soll sie das, antwortete Hermann lachend; denn haben Sie mir nicht selbst bekannt, daß mein Doppelgänger Ihnen wohlgethan hat? und dennoch waren Sie voll Eifer, ihn oder vielmehr mich anzuklagen und zur Rechenschaft zu ziehen!

Ist es so gemeint, so muß ich allerdings um Vergebung bitten!

Sie sind also von Ihrem Irrthume zurück gekommen?

Ich muß wohl, denn es ist unmöglich, daß Sie und er Ein Wesen sein können.

Aber Sie sollen uns Ihr Abenteuer heute mittheilen, ich bin sehr begierig darauf.

Ich werde es nicht thun, sagte Burgau verlegen; dringen Sie nicht in mich, ich kann es um so weniger, da auch mein Neffe ein Zuhörer sein würde, was ich zu vermeiden wünsche.

Die Erwähnung seines Neffen gab dem alten Herrn Gelegenheit, Hermann im Voraus mit seinen Wünschen bekannt zu machen. Er schilderte Oskar als einen fähigen, strebsamen Kopf, der freilich manche Eigenschaften besäße, welche nicht zu dem ernsten, strengen Sinne Hermann's passen möchten, aber wohl eines Freundes Hand werth wäre, die ihn bei guten Vorsätzen unterstützte, wozu er mit herzlicher Bitte den jungen Gelehrten aufforderte.

Dieser hörte aufmerksam zu und entgegnete dann lächelnd:

Freundschaft, Herr von Burgau, läßt sich weder erbitten noch erzwingen; sie ist eine so zarte Blume, wie die Liebe, die nur in verwandten Herzen aufblühen kann. Ich werde Ihren Neffen kennen lernen, und wenn das sympathetische Gefühl in uns ist, das zwei Menschen einander näher führt, werden Ihre Wünsche erfüllt werden.

Ich bin damit zufrieden, sagte der alte Herr; aber ich muß Ihnen etwas vertrauen, was eben so wohl Ihre Theilnahme erregen, wie Ihre Unruhe erwecken kann. Oskar hat Wernher's Tochter gesehen; er findet sie schön und liebenswerth.

Ich stimme ihm durchaus bei.

Aber, fuhr Burgau fort, werden Sie dieses immer so ruhig sagen, wenn mein Neffe Sophien zu gefallen strebt?

Eine leichte Röthe überzog Hermann's Gesicht.

Sie scheinen mir einen Nebenbuhler ankündigen und mich beruhigen zu wollen, sagte er, aber ich bedarf dessen nicht. Sie haben recht gesehen, Herr von Burgau, wenn Sie meinen Herzensantheil an Sophien entdeckt haben. Doch nie ist zwischen uns beiden ein Wort darüber gesprochen worden. Sophie ist frei, nichts bindet sie. Ist ihre Liebe die rechte, glaubt sie an mich, wie ich an sie glaube, so mag ihr nahen wer da will, ich habe nichts zu besorgen; giebt sie jedoch einem Anderen den Vorzug, so habe ich mich nicht zu beklagen oder irgend einen Anspruch zu machen; auf keinen Fall aber würde ich deshalb mit eifersüchtigem Hasse einem Nebenbuhler zürnen, der werth ist, mein Freund zu sein. Ich würde ihm, sagte er mit tiefer, trauriger Stimme, nur mehr Glück wünschen, als mir zu Theil wurde.

Nun, Gott sei Dank! so bin ich ganz beruhigt, rief Burgau, Hermann beide Hände drückend. Trefflicher junger Mann, Sie haben das edelste, reinste Herz und nichts zu fürchten; aber es war mir peinlich, Ihnen jemanden empfehlen zu wollen, der, an meiner Hand eingeführt in jene Familie, Ihnen leicht Unmuth und Kummer verursachen könnte.

Lassen Sie jetzt Ihre Arbeiten ruhen und begleiten Sie mich, fuhr er fort. Die Mittagsstunde ist da, mein Neffe erwartet mich sicher schon mit Sehnsucht, denn er ist ganz erfüllt von dem Verlangen, die neuen Bekanntschaften zu machen.

Hermann lehnte diese Aufforderung ab. Ich will meinem unbekannten Nebenbuhler den Vorrang lassen, sagte er lächelnd, da ich bisher so viel vor ihm voraus hatte. Meine Arbeiten hindern mich, Sie zu begleiten; ich komme jedoch sobald es mir möglich ist.

Als keine Widersprüche halfen, empfahl sich Burgau und kletterte vorsichtig die steilen Treppen hinunter, indem er bei jeder Stufe den armen guten Hermann bedauerte, welcher in solcher Spelunke wohnen müsse. Er verglich dieses traurige Haus mit der schönen bequemen Wohnung seines Neffen, verglich die beiden jungen Männer überhaupt und sagte dann vor sich hin:

Jeder ist in seiner Weise bemerkenswerth; wenn ich aber ein Mädchen wäre, so nähme ich doch lieber den frischen, wilden, kräftigen Oskar – und allzu sicher darf der blasse Gelehrte da oben im Dachstübchen doch nicht sein, daß er nicht ausgestoßen wird von zwei rothen Lippen und einem blonden Schnurrbart. Ein Soldat ist ein verführerisches Wesen, welchem selbst die kleine Gärtnerin so leicht nicht widerstehen wird.


IV.

An der Thür seines Gasthofes fand Burgau seinen Neffen schon auf- und abgehend, und er war wirklich ein schöner junger Mann, der einem Nebenbuhler gerechte Besorgniß erregen konnte. Ohne Aufenthalt drängte er den Oheim in einen wartenden Wagen, und Beide fuhren den langen Weg zum Thore hinaus, unter Gesprächen, in welchen Burgau sich bemühte, dem jungen Offiziere Verhaltungs- und Klugheitsregeln zu ertheilen.

Endlich, nachdem sie die öde Straße durchwandelt hatten, wo jetzt das helle Sonnenlicht die kleinen schiefhangenden Häuser beschien und alle ihre Mängel deutlich machte, während es den letzten Rest nächtlicher Romantik davon abstreifte, standen sie an dem Gartenthore des Capitäns und ließen die Hausglocke schallen. Dieses Mal sprang eine jugendliche Gestalt durch die Fichten- und Lerchenbäume, welche die Thür rasch öffnete und mit beiden gehobenen Armen Burgau um den Hals fallen wollte; nur waren sie an den Unrechten gekommen, denn Oskar war der Nächste, und ihre Hände sanken von seiner Brust zurück, während sie ein wenig bestürzt, aber doch mit der Lust, ihren Irrthum fröhlich zu belachen, vor Beiden stehen blieb.

Da bist du endlich, rief sie Burgau zu, indem sie sich zu dem Greise wandte, wir haben dich längst erwartet. Und dieser ist dein Neffe, dessen Bekanntschaft du uns versprochen hast?

Mein Neffe, der die Zeit kaum erwarten konnte, so begierig war er, auch dich kennen zu lernen.

Seien Sie uns willkommen, sagte Sophie, und freundlich reichte sie ihm die Hand, indem ihre strahlenden Augen mit sichtlichem Wohlgefallen den Offizier aufmerksam musterten. Sie heißen Oskar, das ist ein schöner Name, und wie ähnlich sehen Sie dem Onkel! nur sind Sie jung und schön, aber es sind dieselben Züge. O, wie wird mein Vater sich freuen, wenn er das sieht! Er hat mir oft gesagt: Burgau war einer der schönsten, kräftigsten Männer, die man sehen konnte.

Sie lief den Gang hinauf, den Namen ihres Vaters rufend; Burgau und Oskar folgten langsamer nach; aber ein solcher Empfang mußte natürlich das Blut des jungen Mannes heftiger erregen und seine Einbildungskraft beflügeln.

Indem sie zwischen den Bäumen hervortraten, kam ihnen der Capitän schon entgegen. Die hohe Gestalt des Hausherrn, sein mächtiger Körper, mit einem grünen Gartenrocke bekleidet, das stolze Gesicht von einem breiten Strohhute beschattet, unter welchem die dichten grauen Locken hervorquollen, machte einen eigenthümlichen Eindruck auf den jungen Herrn.

Er würde Ehrfurcht davor empfunden haben, wenn der Capitän nicht am Arme einen großen Gartenkorb getragen hätte, der bis obenan mit Blumentöpfen gefüllt war und welchen er auch nicht von sich that, während er Burgau begrüßte und beide Gäste willkommen hieß. Er schüttelte mit seiner großen, von der Erde, mit der er gewirthschaftet, schwarz gefärbten Hand die weißbehandschuhten Finger des Offiziers unmanierlich derb, betrachtete ihn ernsthaft, bis dieser Ernst sich in zutrauliche Herzlichkeit verschmolz, und sagte mit seiner markigen Stimme:

Das ist ein Burgau, Sophie hat Recht, es ist dein verjüngtes Ebenbild, Dietrich. Geht hinein, ihr lieben Freunde! Sophie, führe unsere Gäste; an Geplauder wirst du es nicht fehlen lasse. Ich komme sogleich, laßt mich nur erst meine Blumen in den Vorrathsraum bringen.

Sophie nahm Oskar's Hand und sagte:

Ich will Sie führen; der Onkel kann nachfolgen, er weiß hier Bescheid. Sehen Sie, dieses ist unser Blumensaal, unsere Schule und unser Verkaufs- und Handelsgewölbe; dort aber wohnen wir, und der gedeckte Tisch erwartet uns seit einer halben Stunde.

Sie führte ihren Gast in das Nebenzimmer, und dieser warf einen lächelnden Blick auf die Vorzeichen der Herrlichkeiten, welche ihn erwarteten. Die Teller von grobem Steingut, die Löffel von Zinn, die Messer und Gabeln in Hornschalen ließen geringe Hoffnungen aufkeimen; dennoch weckten sie ein genugthuendes, einladendes Gefühl, denn Alles sah so reinlich und sauber aus, und das ganze Gemach mit seiner Holztäfelei und seinen grünen Weinvorhängen, durch welche die Sonne goldig herein glänzte, schien zur Ruhe und zum Wohlsein aufzufordern.

Der junge Offizier konnte sich nicht enthalten, seine Gedanken zu äußern.

Sie wohnen da in einem alten, trefflichen Hause, sagte er. Es ist behaglich und heimisch, so klösterlich still, und so voll sinnender Einsamkeit, daß man in ein Heiligthum der schönen Blumengöttin zu treten glaubt.

Er warf dabei einen feurigen Blick auf Sophien, die ihn freundlich betrachtete.

Dieses Haus, sagte sie, hat ursprünglich einem reichen Herrn gehört, dem das Land umher eigen war und welcher sich mit Pracht und Genüssen umringte. Jetzt hat es bescheidene Insassen, aber das alte Kleid ist ihm geblieben. Keine Feste werden mehr hier gefeiert, keine Damen und Herren in seidenen Gewändern durchrauschen mehr diese stillen Gemächer; ich sehe noch zuweilen in meinen Träumen die steifen, ernsthaften, bepuderten Gestalten des vorigen Jahrhunderts kopfschüttelnd an meinem Bette stehen, und ihre goldenen Fächer wehen kalt über mein Gesicht. Zuweilen kommt es mir vor, als winkten sie mir, aber ich möchte um keinen Preis mich zu ihnen gesellen.

Sie verachten also die Herrlichkeiten der Welt, sagte Oskar.

Ich verachte sie nicht, das wäre unrecht; doch ich kenne sie nicht und fühle keine Sehnsucht nach ihnen. Ich bin so glücklich und froh, daß ich nichts zu wünschen habe.

Der alte Herr störte dieses Gespräch nicht. Er ging auf und ab, während die jungen Leute redeten, und beobachtete seinen Neffen, der sich an den Plaudereien und Fragen Sophiens ergötzte und, ohne Zwang darauf eingehend, in einer Viertelstunde so vertraut mit ihr war, wie kaum in Monaten mit einer jungen Dame, die in den Gesellschaftsformen geschult wurde. Er hatte sich vorbereitet und den ganzen Morgen sein Benehmen studirt; aber Alles wurde von dieser einfachen Natürlichkeit über den Haufen geworfen, deren Harmlosigkeit ihn überwältigte und fortriß.

Endlich kam der Capitän und brachte Gläser und Flaschen mit zur Ehre seiner Gäste.

Seit Jahren, sagte er, ist kein Wein auf meinem Tische gewesen, denn unsere Regel ist Genügsamkeit und Entbehrung dessen, was Ueberfluß scheint; aber wir wissen auch Ausnahmen zu machen an Tagen großer Freude.

So sollte man fast meinen, du hättest wenige freudige Tage erlebt, erwiderte Burgau.

Im Gegentheile! antwortete Wernher, jeder Tag brachte mir dieselbe Lust und Freudigkeit, so daß ich keine Ausnahmen fand. Unser Wasser ist vortrefflich klar und kalt, Hermann und Sophie trinken kein anderes Getränk, und ich wie meine ganze Hausgenossenschaft, wir verlangen nichts Weiteres. Wir bilden einen echten Mäßigkeits-Verein aus freiem Willen und Ueberzeugung, ohne jedoch irgend einen Eid zu leisten; denn du sollst sehen, daß uns auch Wein vortrefflich schmecken wird.

Dem alten Herrn fiel bei Hermann's Erwähnung ein, daß dieser noch immer fehle, und er theilte seinem Freunde mit, daß er ihn besucht und ihn vergebens zur Begleitung aufgefordert habe.

Er wird wahrscheinlich nicht kommen, sagte Wernher; denn alles Fremde ist ihm störend. Selten ist er zu bewegen, einen halben Tag müßig auszuhalten und ihn den gesellschaftlichen Freuden zu widmen.

Er ist also menschenscheu, wie ein echter Gelehrter! lachte der junge Offizier. Es sollte mir leid thun, seine Bekanntschaft nicht zu machen, auf welche mein Onkel mich so begierig gemacht hat.

Hermann, entgegnete der Capitän, ihn scharf anblickend, ist ein Schatz für den, dem er Freund sein will. Ich habe nie einen wahrhafteren Menschen kennen gelernt. Seine Kenntnisse sind groß, seine Bildung vollkommen; aber weit höher noch steht mir sein reines Gemüth, das Jeden zwingt, ihn eben so sehr zu lieben, wie man seinen Verstand achten muß.

Diese Lobrede, welche einen geheimen Neid bei dem erweckte, an den sie gerichtet war, wurde durch die Aeußerungen des alten Herrn vermehrt, der seine Bewunderung für Hermann nicht zurückhielt. Oskar hörte es gedankenvoll an; es war ihm lieb, daß Sophie sich nicht im Zimmer befand, denn ohne Zweifel hätte auch sie den Urtheilen beigestimmt und seine eifersüchtigen Empfindungen erhöht.

Wie es scheint, sagte er zu sich selbst, sind sie alle von diesem Phönix bezaubert, der ein Heiliger und Wunderthäter sein muß, oder ein Lindwurm, mit dem St. Georg selbst nicht kämpfen möchte. Dennoch will ich es versuchen, der Preis ist es werth, und bis zum Augenblicke lese ich nichts in diesen Blicken, was mich abschrecken könnte.

Sophie öffnete jetzt die Thür und erschien mit dem großen Suppennapfe, den sie vor ihren Vater niedersetzte. Dann faltete sie andächtig die Hände und blieb hinter ihrem Stuhle stehen. Der Capitän nahm das Käppchen von seinen grauen Locken, und der alte Herr sah sehr feierlich aus und zwang seinen Neffen dadurch, ein Gleiches zu thun, als Wernher mit erhobener Stimme sagte:

Ich danke dir, du Lenker des Weltalls, für die lieben Gäste an meinem Tische und für die Speisen, welche uns sättigen. Gieb allen deinen Wesen Freude und Frieden, errette sie endlich aus Noth und Elend, und laß sie gut und froh werden.

Der Lieutenant war sehr geneigt, sich über diese spießbürgerliche Frömmelei zu belustigen; aber der alte Mann mit seinem schönen greisen Haupte sah wie der Oberpriester des unsichtbaren Wesens aus, zu dem er betete, und der Ton seiner Worte hatte etwas, vor dem der Spott erstarb.

Nach wenigen Minuten waren die Gäste auch in voller Eßthätigkeit, und als der Capitän die Gläser füllte und lustig anstieß, fand der junge Herr, daß trotz aller Frömmigkeit es doch gar nicht so übel hier sei.

Die einfachen Gerichte schmeckten vortrefflich, der Wein war ausgezeichnet gut, und der Reichthum an schönen Früchten aller Art, welche als Nachtisch aufgesetzt wurden, konnte das größte Gastmahl verherrlichen. Er stimmte daher auch mit Begeisterung in die Preisreden seines Oheims ein und sprach dem Backwerke um so tapferer zu, als Sophie ihm erklärte, daß sie es selbst bereitet habe.

Sie führen also in eigener Person die Oberaufsicht im Hauswesen? sagte er.

Ich bin meines Vaters Haus- und Hof-, Küchen- und Kellermeister, entgegnete sie. Finden Sie das nicht recht?

Nichts ist des Lobes würdiger. Ich leere mein Glas auf die häuslichen Tugenden unserer schönen Wirthin.

Der Capitän füllte es von Neuem und schien mit Vergnügen die muntere Offenheit seines Gastes zu betrachten. Er führte lange Gespräche mit ihm über Heerwesen und Soldaten, über militärische Einrichtungen und Gebräuche, über Standes-Vorzüge und Vorurtheile, und aus diesen Gesprächen entwickelten sich Streitpunkte, welche beide Theile lebhaft verfochten und welche der alte Herr, dem dabei etwas bänglich zu Muthe wurde, vergebens zu vermitteln suchte.

Laß deinen Neffen offen sagen, was seine Meinung ist! rief Wernher. Frei und frisch muß jeder Mann seine Ueberzeugung aussprechen, das ist besser, als hinter dem Berge halten und heucheln, was man nicht glaubt.

So ermuntert zum Widerspruche, setzte Oskar den Streit fort und wurde offener, als er es wohl geworden wäre, hätte der gute Rheinwein des Capitäns nicht auch dabei mitgeholfen. Er machte diesem zuletzt Vorstellungen über seine einsame Lebensweise, erlaubte sich Anspielungen auf dessen seltsame Grundsätze und schlug beim Schlusse des Mahles vor, nach Hause zu eilen, seine Pferde anspannen zu lassen, und eine gemeinsame Spazierfahrt zu unternehmen, um den Nachmittag angenehm an einem öffentlichen Vergnügungsorte zu verleben.

Wohl ausgesonnen! mein junger Freund, entgegnete der Capitän; aber Ihr Vorschlag widerstreitet unseren Gewohnheiten und Geschäften.

Geschäften! rief Oskar. Lassen Sie diese ruhen. Ich habe junge, schöne Pferde, einen bequemen englischen Wagen, und Fräulein Sophien macht es gewiß Vergnügen, einmal durch die Stadt zu fliegen.

Wenn Sophie sich dazu verstehen will, antwortete Wernher, so ist ihr Wille unbeschränkt.

Mein Vater weiß zu gut, erwiderte das junge Mädchen, daß ich am liebsten hier bin und heute überhaupt nicht gemißt werden kann.

Was haben Sie denn so Großwichtiges zu thun? fragte Oskar lachend und gereizt.

Stunden zu geben und gute Lehren zu ertheilen, versetzte sie.

Sie unterrichten? sagte er. Wer hat das Glück, Ihr Schüler zu sein?

Sie werden es sehen; ich glaube sogar, sie sind schon da.

Sie ging nach der Thür zum Saale, öffnete diese und Oskar sah an der großen Tafel wohl ein Dutzend Kinder leise plaudernd stehen, deren ärmlicher Anzug ihm einen leitenden Gedanken brachte.

Bettelkinder! rief er; o, barmherzige Samariterin! Aber Sie könnten sie für heute nach Hause schicken und ein ander Mal wieder kommen lassen.

Gewiß nicht, antwortete Sophie, indem sie einen Blick auf ihn richtete, dessen Vorwurf er verstand, denn diese Kinder haben weniger Zeit zu verlieren, als die Kinder des Glückes.

Der junge Herr sah sie lächelnd an.

So ist es also doch wahr, sagte er, was man sich von Ihnen erzählt, um darüber zu lachen.

Es ist jedenfalls besser, man lacht, als man weint über uns, entgegnete Sophie; doch was hörten Sie so Lächerliches?

Man wollte wissen, sagte Oskar, daß dieses Haus die Freistätte eines Haufens Vagabonden, Bettler, Krüppel und Auswurf aller Art sei, welche hier zu würdigen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft gebildet werden sollten, und daß diese tugendhaften Herren Verbrecher als verkannte Heilige von Ihnen verehrt, gehegt und gepflegt würden.

So verhöhnen die Menschen, was sie nicht verstehen, sagte das junge Mädchen, und ein edler Stolz schimmerte in ihren schönen Augen.

Oskar schwieg, und zum ersten Male wurde er verlegen und erröthete unter den scharfen Blicken des Capitäns, der freundlich sagte:

Mit dem Ausfahren ist es also nichts; aber einen Spaziergang wollen wir gemeinschaftlich machen, und wie ich hoffe, soll er Ihnen auch Vergnügen gewähren.

Burgau, der bisher sich wenig eingemischt hatte und seines Neffen Unterhaltungsgabe bewunderte, nahm die Einladung an, und Oskar konnte sich nicht ausschließen. Er versprach sich nichts vom Gehen, eben so wenig aber vom Bleiben; denn was sollte er hier beginnen, da die einzige Person, für welche er Theilnahme empfand, sich lieber mit schmutzigen Kindern als mit ihm beschäftigte! Er war gekränkt, und doch fühlte er sich angeregt von dem schönen Mädchen, die so ganz anders war, als alle übrigen.

Während die alten Herren sich zum Aufbruche rüsteten und das Zimmer leer stand, öffnete er eine Seitenthür und blickte in ein kleines Eckzimmer, das Sophien gehören mußte. Da stand ihre Harfe, da hing ihr Strohhut, und auf dem Tische lag eine angefangene Näharbeit. Kleine Vögel zwitscherten an dem offenen Fenster, flogen ein und aus, und huschten durch die Blumen und Rankengewächse, welche ein laubiges Gitter davor ausspannten. Es war so friedlich, so still hier und so sauber und duftig, daß Oskar plötzlich sein Herz mit jener heimlichen Wonne schlagen fühlte, die das Versinken in Hoffnungsträume der Zukunft hervorruft.

Einige Minuten blieb er stehen und heftete seine Augen auf alles, was von Sophiens Leben ein Zeichen gab; endlich trat er an die Bücherreihen, welche auf mehreren Brettchen an der Wand aufgestellt waren, und mit einer gewissen Beschämung gestand er sich, daß er viele davon auch nicht einmal dem Namen nach kenne.

Es waren Dichterwerke, die Classiker unseres Volkes, Erzeugnisse der neuesten Literatur, französische und englische Bücher, poetischen oder naturhistorischen Inhalts, endlich mehrere von philosophischer Bedeutung, Untersuchungen über die Zustände der Gesellschaft und dergleichen mehr. Der junge Herr schüttelte den Kopf und griff nach einem, das aufgeschlagen über den anderen lag. Es war Jeremias Bentham's Science de la morale Jeremy Bentham (1748-1832), englischer Jurist, Philosoph; er gilt als Begründer des klassischen Utilitarismus, war einer der wichtigsten Sozialreformer Englands im 19. Jh. und ein Vordenker des modernen Wohlfahrtsstaats. Der genannte Titel ist die französische Ausgabe des aus Manuskripten des Verf. posthum von John Bowring zusammengestellten Werkes » Deontology or, The science of morality« (1834)., auf dessen Titelseite mit zierlicher Handschrift geschrieben stand: »Von meinem lieben Hermann zum Geburtstage erhalten.«

Mit Heftigkeit warf der junge Mann das Buch von sich, und voll bitteren Unmuths über diese Entdeckung sagte er:

Ich hätte es denken können, daß diese abgeschmackte Verbildung von dem gelehrten Herrn aus dem Dachstübchen herrührt. Ein solches Buch als Geburtstags-Geschenk in der Hand eines jungen Mädchens, das ist lustig genug, aber auch traurig genug, denn wohin hat er sie gebracht! Ich hasse diesen Hermann, ehe ich ihn kenne, und wenn ich ihn verderben könnte, sollte mich keine Reue ergreifen. Rede mir Niemand von Freundschaft zwischen uns! Er ist mein Feind, und hier in diesem heiligen Raume, der nie uns beiden gehören kann, schwöre ich ihm Krieg und Verderben.

Er ging leise zurück, denn er hörte die rufende Stimme seines Oheims. Und als er hinaus trat, fand er die Herren schon wartend. Wernher in seinem breiten Gartenhute und einen mächtigen Stock in der Hand, den Hemdkragen über den Rockkragen fallend und seine dichten grauen Locken mit seinem greisen Bart vom Winde in einander gemischt, erregte dem Offizier geheimen Schrecken und flößte ihm den ängstlichen Wunsch ein, es möge ihm wenigstens nicht gefallen, in solchem abenteuerlichem Aufzuge den Spaziergang auf irgend eine besuchte Gegend auszudehnen, wo bekannte Personen sie erblicken könnten.

Burgau, an größere Einfachheit gewöhnt, kannte solche Bedenken nicht; er fand die tüchtige Tracht seines alten Freundes sogar schön, denn sie erinnerte ihn an alte Zeiten, und freudig legte er seinen Arm in den Wernher's und schritt mit ihm ins Feld hinaus, während der Neffe mit dem heimlichen Lachen der Jugend über Gestalt, Tracht und Denkweise der beiden ehrenfesten Greise ihnen nachfolgte.

Der Spaziergang erstreckte sich durch die einsame Straße, deren arme Bewohner zum Theil in ihren kleinen Gärten beschäftigt waren, zum Theil neugierig die Köpfe aus Thüren und Fenstern steckten, als sie fremde Stimmen hörten. Aber durch alle diese harten, verschrumpften Gesichter ging ein Lächeln der Freude beim Anblicke des Capitäns. Sie ließen ihre Spaten ruhen, erhoben sich von ihrer Arbeit, rückten ihre Hüte und Kappen zum Gruße, und nickten dem wohlbekannten Herrn freundlich zu, der da und dort ein »Wie geht's?« durch die Hecken rief und ähnliche Fragen that, die den armen Leuten Freude machten, weil sie sahen, daß es jemanden in der Welt gab, der ein Wort der Theilnahme für sie hatte.

Und daß es kein leeres Wort war, wurde der junge Offizier inne, als sie hinaus in die Felder kamen, wo viele Menschen sich beschäftigten, die Erdäpfel aus der Erde zu nehmen. Sie gingen auf einem schmalen Rain zwischen den Feldern hin, und nach allen Seiten rief der Capitän den Leuten Grüße zu, die sie mit auffallender Freudigkeit beantworteten. Die Entfernteren kamen näher und theilten dem Herrn mit, wie die Aernte lohne. Dankbarkeit glänzte in ihren Augen; sie blickten mit solcher Liebe und Verehrung ihn an, als sei er der Engel der Fruchtbarkeit, welcher durch Edens Gärten wandle, und diese braune, dürre Haide, der nur durch rastlosen Fleiß eine spärliche Aernte abgewonnen werden kann, erscholl von ihrem Freudengeschrei, bis die drei Wanderer endlich den Wald erreicht hatten.

Hier auf einem Hügel am Rande stand Wernher still und wandte sich zu Oskar.

Sehen Sie dort hinunter, sagte er, alle diese Felder waren vor wenigen Jahren noch öde Sandsteppen, kaum im Stande, ein paar Kiefernschößlinge zu nähren. Ich kaufte sie, pachtete, was daran gränzte und nicht käuflich war, und wenn die Bewohner jener armen Hütten, welche damals in schrecklicher Verwilderung lebten, Hülfe suchten, wenn menschliche Wesen, die man Bettler, Vagabonden, Krüppel oder Verbrecher nennt, in ihrem Leide zu mir kamen, suchte ich sie zu trösten und aufzurichten und reichte ihnen keine Gabe, die man Almosen nennt, umsonst, sondern ich verschaffte ihnen das Nothwendige und sorgte für Arbeit auf mancherlei Weise. Diese Felder sind grün geworden durch fleißige Hände; Ordnung ist eingekehrt und Friede, wo Bosheit und Verderben herrschten, und wie manche meiner Bestrebungen auch unbelohnt blieb, ich habe doch so viele Freude erlebt und dankbare Herzen gefunden, so viele gute Menschen entdeckt, die meinen Glauben aufrichteten, daß ich nicht bereue, ihnen Beistand geleistet zu haben.

Sehen Sie nun, fuhr er lächelnd fort, was an den lächerlichen Geschichten ist, die man sich erzählt. Dort arbeitet der Auswurf, mit dem wir uns umringen, und das ist unser Verbrechen, daß wir lieber ihnen Hülfe leisten, als an den Vergnügungen Behagen finden, welche den großen Haufen beglücken.

Burgau drückte seinem Freunde die Hand und sagte gerührt:

Das ist alles gut und schön, du bist der Wohlthäter vieler Armen, die dich segnen; aber ist es denn nöthig, daß du selbst dabei dich von der übrigen Welt zurück ziehst und allen Verkehr mit ihr abbrichst, daß du wie ein Gartenknecht arbeitest und dein ganzes Leben danach einrichtest?

Meinst du, entgegnete Wernher lächelnd, indem er weiter ging, daß es mir zieme, zwischen meinen Worten und Werken und mir selbst einen Unterschied zu machen? Soll ich lehren, was ich selbst nicht übe, und habe ich nicht das Beispiel der größten und besten unter den Menschen vor Augen, die nicht in goldenen Sälen und bei Festen, sondern in Arbeit und Mühen ihre Tage in den Hütten des Volkes verbrachten? Mein Leben ist meinen Wünschen und Grundsätzen angemessen, und die es mit mir theilen, befinden sich glücklich dabei.

Welche Phantasterei! sagte Oskar zu sich selbst. Sie stecken in einer edelherzigen Narrheit, bei der man krank werden und vor Ekel sterben kann. Könnte ich nur das rechte Mittel finden, sie ihnen zu verleiden! Klar schwebt es mir vor, daß dieser Hermann, der so großen Einfluß auf alles hat, was hier geschieht, die eigentliche Triebfeder der tollen Grillen sein muß; könnte man dieses Musterbild stoischer Tugend ihnen entreißen, sie würden abfallen und sich bekehren!


V.

Nach einem langen Umherwandeln durch die Wald-Reviere, welche zwischen ihren Höhen anmuthige kleine Seen verbargen, kehrten sie endlich nach Wernher's Hause zurück, das schon von fern mit seinem hohen Dache wie ein Ritterschloß unter seinen demüthigen Nachbarn hervor sah. Oskar ging langsam hinter den beiden Alten her, deren Gespräche nichts Anziehendes für ihn hatten; denn seine Gedanken verloren sich in Betrachtungen und Wünschen, deren Unerfüllbarkeit er empfand.

Ich bin ein Fremder hier und werde es immer bleiben, sagte er, darum sind meine Empfindungen Thorheiten, wie mein Oheim sie ganz recht genannt hat. Theil an ihrem Leben nehmen kann ich nie, und weder ihre Achtung noch ihre Liebe erringen; ja, sie würden ohne Zweifel Abscheu vor mir empfinden, wenn sie wüßten, wie ich es treibe, stärkeren Abscheu und Ekel noch, als ich ihn vor ihrem Leben hege.

Und warum, sagte er nach einem Schweigen, habe ich denn diesen Abscheu? Ihr Leben ist dem Wohlthun der Liebe, der Arbeit, der stillen Häuslichkeit gewidmet, und ist es nicht ein schuldloses, freudiges Dasein, habe ich nicht gesehen, mit welcher Anbetung alle diese armen Menschen an dem Manne hangen, der sich der Verlassenen und Ausgestoßenen erbarmt?

Wenn ich mein Kleid von mir werfen könnte, fuhr er träumerisch fort, indem er in die rothe Gluth der Sonne blickte, wenn ich meine Neigungen von mir würfe und zu ihnen hinträte und spräche: Nehmt mich auf, liebt mich, ich will euch lieben, will mit euch arbeiten und streben – könnte ich nicht glücklich sein wie sie?

In dem Augenblicke sagte Wernher vor ihm:

Die Macht der Vorurtheile ist stärker als die Wahrheit, und wenn diese auf Augenblicke auch zu siegen scheint, bleibt sie den Meisten doch nur eine Empfindung, die wie ein Lichtblitz durch schwarze Wolken sogleich wieder von der alten Nacht ausgelöscht wird; denn die Menschen dienen ihren Leidenschaften, und der Egoismus duldet keinen Märtyrer.

Aber, fuhr er fort, indem er vor sich hin wies, ist das nicht Hermann, der dort über das Feld geht? Er muß es sein, nach Gang und Gestalt. Was läuft er dem Walde zu? Ist er im Hause gewesen und sucht uns nun auf? Aber er scheint nicht von dort her zu kommen. –

Er rief mit lauter Stimme Hermann's Namen, doch der Wind schien den Schall nicht so weit zu tragen, oder der Angerufene wollte nicht hören. Er ging mit schnellen Schritten den Hügeln zu und verschwand hinter den Spitzen derselben, während Oskar's Blicke sich mit Adlerstärke an ihn hefteten, um seine Züge zu erkennen, was er jedoch nicht vermochte.

Als er sich erbot, ihm nachzueilen und ihn einzuholen, hinderte es Wernher.

Laßt ihn gehen, sagte er, Hermann bedarf oft des Alleinseins, und wenn er nicht gefunden sein will, würde die Mühe doch vergebens sein.

Du fragtest mich, sprach er dann zu Burgau, warum ich es dulde, daß dieser junge Mensch, der mir so lieb ist, sich unter gelehrten Studien begrabe, warum ich ihn nicht in mein Haus nähme und ganz zu meinem Sohne mache? Ich lasse ihn den Weg gehen, der diese Seele läutert und stärkt, und bin gewiß, es ist der beste. Ihm verdanke ich die Kenntniß aller neuen Forschungen, er versorgt uns mit den besten Schriften, und seine Belehrungen befestigen uns alle in unserem Streben. Wenn er müde sein wird, fuhr er dann lächelnd fort, allein in seiner Zelle zu leben und zu denken, wird er einst ganz unser Loos theilen und dann den liebsten Wunsch meines Lebens erfüllen, den ich dir nicht weiter auszulegen habe. Er ist Sophiens Lehrer, ihr Freund und Bruder, bald wird er ihr Gatte und ihres Lebens beste Stütze sein. Dieser Gedanke beglückt mich; denn wenn ich nicht mehr sein werde, weiß ich, daß meine Kinder in Liebe und Treue verbunden zurück bleiben und mein Werk nicht untergeht.

Oskar hörte nicht, was sein Oheim antwortete, denn die Worte des Capitäns verwirrten seine Sinne. Einen Augenblick stand er still, um einen anderen Weg einzuschlagen, und nur mit Mühe bezwang er sich, noch einmal das Haus zu betreten. Er wollte schnell Abschied nehmen, denn er hatte alle Hoffnung verloren, und als er ruhiger überlegte, sagte er sich, es sei das Beste, jeden Versuch und jeden Wunsch zu unterdrücken.

So erreichten sie die Gartenthür, welche Wernher mit einem Schlüssel öffnete, und während er nun den alten Herrn zur Seite führte, um ihm seltene Blumen zu zeigen, wie er früher versprochen, ging Oskar durch die dunklen Nadelbäume weiter und stand plötzlich vor der offenen Saalthür, die ihm hinein zu blicken gestattete. Da saß Sophie mitten unter ihren kleinen Zöglingen, welche Körbchen und Kränze von Strohblumen und Moos flochten und denen sie dabei zur Hand ging, sie ermunterte, lobte, ihnen Fragen stellte, die ihr Gedächtniß übten, ihnen die Blumennamen nannte, ihre Natur erklärte und mit liebenswürdiger Milde und Güte die Aufmerksamkeit der Kinder zu fesseln wußte.

Lange stand Oskar hinter den Zweigen verborgen und betrachtete das Bild, dessen Lieblichkeit ihn immer mehr bewegte. Das schöne Mädchen, mit Blumen bekränzt, die ihr von den Kleinen aufgesteckt waren, saß in der Mitte dieser glücklichen Kinderschaar, und über sie hin warf die sinkende Sonne ihren rothen Glanz und badete sie im Himmelslichte. Wie eine der lieben Heiligen, die ein hoher Meister, gläubiger Begeisterung voll, aus seiner entzückten Phantasie in edlen Farben zum Leben rief, so saß die Jungfrau mit liebenden Blicken lehrend und segnend unter der zarten Kinderschaar, die wie Engel sie umringten, und Oskar wagte es nicht, hervorzutreten, er lehnte sich an den Baumstamm, versunken im Anschauen.

Nach einiger Zeit kamen die beiden Herren zurück, und Sophie stand auf, als sie die Stimmen hörte, und verkündete das Ende der Arbeit. Mitten in dem Getümmel reichte sie den Eintretenden die Hände, und Oskar hörte, wie sie nach ihm fragte.

Ist er nicht hier? fragte Wernher; so ist er durch den Garten gewandert. Ich muß deinen Neffen loben, Dietrich: bei allem Jugendfeuer ist er verständig, und sein Kern scheint mir besser noch als die Schale. Aber sieh hier, fuhr er fort, Sophiens kleine Schaar. Die armen Kinder werden drei Tage in jeder Woche von ihr verschiedentlich mit kleinen Arbeiten beschäftigt, dabei auch unterrichtet und zum Guten angehalten. Was sie arbeiten, wird für sie verkauft; dafür erhalten sie reinliche Kleider, auch die Eltern wohl noch ein Stück Geld. Du kannst nicht denken, wie herzlich dafür ihr Dank und ihre Freude ist, und wie viel Segen dieser Unterricht bringt.

Oskar fand es gerathen, seinen Hinterhalt zu verlassen; denn die Kinder wollten sich entfernen und mußten an ihm vorüber. Er trat zurück und ging durch den Garten, um sich von der anderen Seite dem Hause zu nähern. Sophiens Bild begleitete ihn, und vergebens machte er den Versuch, über ihre Schule und ihre Aufopferung zu lachen. Was er Phantasterei genannt hatte, kam ihm in diesem Augenblicke ganz anders vor. Er nannte es jetzt ehrwürdig und heilig, und dieses junge Mädchen in ihrem Erbarmen schien ihm ein himmlischer Genius zu sein, der hoch erhaben war über alles, was er kannte.

Als er in den Saal trat, kam ihm Sophie entgegen und empfing ihn mit der unschuldigen, bezaubernden Unbefangenheit und Fröhlichkeit, welche nichts von Formen und Rücksichten weiß und doch in ihrer schönen Natur die Gränzen des Rechten und Schicklichen niemals überschreitet. Sie hatte viele Fragen an ihn zu richten, viel von dem Spazirgange zu hören, und knüpfte daran Bemerkungen über die Umgegend und ihre Bewohner, über deren Lage und den Widerspruch ihres Lebens und ihrer Bildung zu dem, was den Leuten in der Stadt eigen, so daß Oskar ihre richtigen Urtheile und ihre Herzensmilde von Neuem bewundern mußte.

Sind Sie noch böse, sagte sie endlich lächelnd, daß ich Sie nicht begleitete?

Wie könnte ich wohl zürnen! entgegnete er, indem sie beide in den Garten hinaustraten und den Weg hinabgingen. Weiß ich doch jetzt, daß alles, was Sie thun und was Sie wollen, in edlen Beweggründen wurzelt.

Und woher wissen Sie das jetzt? fragte sie, ihn zweifelhaft anblickend.

Weil ich überzeugt bin, daß Sie alle Handlungen, die kleinsten selbst nach bestimmten Grundsätzen regeln.

Da irren Sie gewaltig! rief das junge Mädchen. Ich denke nie über das nach, was ich thue, sondern gehorche dem, was mir die Stimme in mir befiehlt, und folge dem Augenblicke der Hingebung. Jemand, den ich sehr liebe und dem ich das Größte zutraue, hat mir gesagt, daß die ersten Regungen der Seele bei guten Menschen stets die wahrsten und besten sind, und meine eigenen Beobachtungen haben gefunden, daß er Recht hat.

Hermann? fragte Oskar halb laut.

Sie haben es gerathen, antwortete sie. Sie müssen ihn kennen lernen; er ist mein liebster Freund auf Erden.

Leider flieht er vor mir, wie es scheint, versetzte Oskar; denn ich bin überzeugt, er mußte uns hören und wollte es nicht.

Wer? fragte sie. Hermann?

War er nicht hier? erwiderte Oskar. Warum wollen Sie es verhehlen?

Er war nicht hier, und fliehen – warum sollte er fliehen? O, nein, das hat er nicht nöthig, er flieht niemals!

Der Ton, mit welchem sie dies sagte, und der Blick, welcher ihre Worte begleitete, hatten etwas Demüthigendes für Oskar. Es kam ihm vor, als vergleiche sie in diesem Augenblicke ihn mit dem Entfernten, und der Triumph ihrer Seele klang wie Spott in seinen Ohren.

Sie sind sehr glücklich, Fräulein Sophie, sagte er gereizt, einen so trefflichen Freund und Führer gefunden zu haben, der nicht weniger zu beneiden ist um eine so gelehrige und treu anhängliche Schülerin.

Ich fühle, daß Sie Recht haben, versetzte sie unbefangen und lächelnd; denn wenigstens ich schätze dieses Glück als das höchste meines Lebens, und glaube auch von Hermann, daß er durch mein Glück selbst beglückt ist. Alle seine freien Stunden lebt er mit mir. Wir haben einen Bund geschlossen, der, wie mein Vater sagt, Zeit und Raum überdauert, und wenn es wahr ist, daß jenseits aller der leuchtenden Welten, welche jetzt über uns aus den feuchten Abendnebeln glänzen, das große Land der Geister liegt, aus welchem die Seelen zur Erde niedersteigen, um hier in Menschen-Gebilden ein Pilgerleben zu beginnen, so glaube ich, daß wir uns schon jenseits kannten und liebten und hier zu unserem Troste uns wiedergefunden haben.

Die Schwärmerei in ihren Augen, welche sie zu dem Himmelsgewölbe erhob, dessen blasser Schimmer ihre Züge erhellte, verwandelte seinen Unmuth in Schmerz.

Der Glückliche! rief er schwankend zwischen Spott und Wahrheit. Sie leben und träumen nur für ihn, doch wir anderen armen Seelen dürfen uns nicht schmeicheln, irgend einen Theil an dieser himmlischen Wahlverwandtschaft zu beanspruchen.

Und warum nicht? fragte sie, ihm die Hand reichend. Auch wir sind uns verwandt, wie alle guten Menschen auf dieser Erde. Sehen Sie, lieber Herr Oskar, das ist auch eine von Hermann's Lehren, und heute habe ich oft schon mit Freude daran gedacht, wie Sie unseren kleinen Kreis vermehren werden und wir alle gemeinsam uns bestreben wollen, in rechter Freundschaft und Lebenstreue unser Glück zu erhöhen.

Sie malte ihm die Bilder aus, welche sie sich von der Zukunft ersonnen, und ahnte nicht, wie tief sie damit in Oskar's Empfindungen einschnitt; denn durch alles, was sie sagte und dachte, zog sich wie ein rother Faden Hermann's Name, sein Denken, seine Erinnerungen, seine Gestalt selbst und seine Eigenthümlichkeiten, welche sie mit der Darstellungsmacht der Liebe beschrieb. Immer tiefer senkte sich das Haupt des jungen Mannes, immer schweigsamer ging er neben Sophien her, bis er endlich ganz stumm war, und in steigender Unruhe das Ende dieses peinlichen Gespräches herbeiwünschte.

Der Rest des Abends verging ihm allzu langsam; denn mit größerer Begier, als die war, welche ihn vor wenigen Stunden trieb, Alles aufzubieten, um endlich in dieses einsame Haus zu gelangen, eilte er nun, um daraus zu entkommen. Er hörte Sophien ihre Lieder singen, und die greisen Diener kamen wie gestern, setzten sich umher und hörten ihrer jungen Gebieterin zu.

Sein Oheim war entzückt von allem, was hier geschah, am entzückendsten von der schönen Sängerin selbst, die er mit Blicken betrachtete wie ein Verliebter; der Capitän endlich saß da wie ein König, stolz und in Träumen seiner Hoheit verloren. Es war ein sonderbares Beisammensein in der milden Sternennacht. Geisterhafte Nebelbilder flogen über den Garten hin und schienen die verklingenden Töne der Harfe fort zu tragen.

Dann und wann schüttelten sich die schwarzen Bäume, streiften mit ihren schweren Schatten Sophiens Stirn und verhüllten die bei ihr Sitzenden. Dann schien die Harfe stärker zu klingen, und die Stimme des jungen Mädchens scholl tiefer und sehnsüchtiger durch die Nacht. Oskar glaubte ihren Augen folgen zu können, die den Geliebten zu erforschen strebten, der, wie eine geheime Ahnung ihm sagte, vielleicht nicht weit von ihr, vielleicht dort im Schatten der Gebüsche lehnte und mit Lust ihren Liebesruf einathmete.

Schade, sagte er endlich leise zu ihr, daß der nicht hier ist, der zu diesen süßen Klagen in seinem Herzen den Wiederhall findet!

Freilich ist es schade, sagte sie; doch es ist ihm unmöglich, sonst würde er hier sein.

Sie haben also keine Besorgniß, kein Bangen um den Entfernten?

Warum sollte ich sorgen? Was nothwendig ist, muß geschehen, und morgen, wenn er kommt, werde ich mich doppelt freuen.

Aber, flüsterte er, wie von einem rachsüchtigen Wunsche, ihr wehe zu thun, getrieben, wenn er nie wiederkehrte?

Unter ihren raschen Griffen erklang ihre Harfe, und ohne eine andere Antwort drangen die frohen Melodieen in die Weite, in welchen sie ihre Zuversicht ausströmte.

Plötzlich riß eine Saite, und mit dem schallenden Tone mischte sich ein langtönender Schrei. Ein großer Nachtvogel flog schnell über ihren Kopf hin, und deckte ihn einen Augenblick mit dem Schatten seiner Flügel. Oskar sprang erschrocken auf, aber Sophie lachte laut und muthwillig. Der böse Vogel! rief sie, wir müssen ihn von uns scheuchen, ehe er mehr Schaden anstiftet.

Der kleine Unfall gab Anlaß zum weiteren Scherze, aber auch zum Aufbruche, der mit der Einladung an Oskar schloß, seinen Besuch bald zu erneuern.

Kommen Sie oft, wenn es Ihnen bei uns gefallen hat, sagte Sophie; ich werde daran sehen, daß Sie mich nicht vergessen haben.

Wenn es möglich ist, murmelte der junge Mann vor sich hin, indem er Burgau folgte, wenn ich es vermag, so will ich dich vergessen bis auf den letzten Gedanken. Nie soll mein Fuß wieder diese Schwelle berühren, nie mich selbst bis in die Nähe dieses Hauses tragen; verflucht sei die Stunde, wo ich meinen Schwur breche!

Was sagst du da? fragte der alte Herr, der sich umwandte, da er seinen Neffen sprechen hörte.

Ich sagte, erwiderte dieser, daß Sie ganz Recht hatten, mich einen Thoren zu schelten und mich zu warnen, dieses Haus zu betreten.

Du bist also beim ersten Begegnen geheilt worden?

Vollkommen, Onkel, vollkommen!

Nun, das ist mehr, als ich erwartete, fuhr Burgau fort. Du hast dich schnell überzeugt, daß dieses Mädchen nicht für dich paßt; das ist vernünftig und gut.

Ihr Leben und das meine sind durch eine Mauer von Erz geschieden.

Aber du mußt gestehen, daß es treffliche Menschen sind, die viel Gutes thun.

Nun ja, ich läugne es nicht, erwiderte der junge Mann, sich gegen die Zumuthung sträubend, aber sie thun es verkehrt und bilden Zerrbilder einer Welt, die man zum Spotte jetzt auf die Theaterbretter bringt und Emancipations- oder Communisten-Komödien tauft.

Rechne das alles ab, sagte der alte Herr, so bleibt doch noch genug übrig, dir eine nähere Verbindung ganz zu widerrathen. Du kannst keine Frau ohne Vermögen brauchen, und ich habe mich heute mehr noch als gestern überzeugt, daß Wernher's Tochter auf wenig Mitgift zu rechnen hat.

Da irren Sie, Onkel, erwiderte Oskar. Ich habe Erkundigungen eingezogen, schon ehe Sie kamen, und ich weiß, daß der Capitän mehr besitzt, als Sie glauben. Das Haus ist sein Eigenthum ohne alle Schulden, sein Landbesitz ist nicht gering; überdies hat er in Schlesien ein bedeutendes Gut von Sophiens Mutter ererbt; endlich fehlt es ihm auch nicht an baaren Summen. Sein Handel mit Blumen, Früchten, Gemüsen und Gartengewächsen bringt weit mehr ein, als er bei seiner übermäßigen Mäßigkeit verbraucht; seine Wohlthaten aber kosten ihm eben nicht allzu viel, denn Almosen giebt er nicht, er macht den Leuten nur Vorschüsse, die sie ihm wieder erstatten müssen. Ich bin daher überzeugt, daß er bedeutendes Vermögen besitzt und dieses immer mehr vergrößert.

Meinst du? sagte der alte Herr nachdenkend; dann freilich fielen meine Einwürfe fort.

Die meinen aber bleiben stehen, erwiderte sein Neffe. Mögen sie Schätze häufen, mögen sie, was sie besitzen, ihren Hirngespinnsten opfern, mir gilt es gleich. Ich danke Ihnen, Onkel, Sie haben mich glücklich geheilt.

Er nahm von dem alten Herrn Abschied, als dieser in die Nähe seines Gasthauses gelangt war, und entfernte sich, indem er versprach, am nächsten Morgen ihn aufzusuchen, um sein Führer bei den mancherlei Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt zu sein.

Burgau aber schaute nachdenkend hinterher und sagte endlich bedenklich:

Diese plötzliche Resignation ist durchaus kein gutes Zeichen. Er drängt seinen Zorn, seine gekränkte Eigenliebe und Eitelkeit in sein Inneres zurück, und glaubt das Feuer damit zu ersticken. Armes Kind! Dieser Zustand trotziger Selbstverspottung ist schlimmer, als jeder andere, denn er hindert die aufrichtige Bekehrung.


VI.

Mit langsamen Schritten begann Burgau seinem Neffen zu folgen, den er in der Ferne noch erkennen konnte, und wie er im Schatten der Häuserreihe hinging, wußte er sich selbst kaum eine Rechenschaft zu geben, warum er diesen nächtlichen Spaziergang unternähme.

Ich wünsche nur zu wissen, sagte er endlich zu seiner eigenen Beruhigung, welcher Art die Aufregung der Gefühle bei Oskar ist; ob er seinen Frieden mit sich selbst in der Einsamkeit seiner Wohnung sucht, oder umherirrend, grübelnd und zerfallen mit sich selbst eines Beistandes bedarf, den ich ihm vielleicht zu leisten vermag. –

Unter diesen Vorsätzen blieb er in steter Aufmerksamkeit hinter dem Gegenstande seiner Sorge, der nichts um sich her zu beachten schien und endlich, als er in eine der Hauptstraßen gelangte, seinen Verfolger so beruhigt hatte, daß dieser überzeugt war, er könne ihn verlassen. Sein letzter Blick auf den jungen Mann machte ihn jedoch von Neuem aufmerksam; denn Oskar war stehen geblieben, und sprach mit einem Herrn, der ihm begegnet sein mußte. Nach einigen Minuten kehrten Beide um, und kaum hatte Burgau Zeit, sich zur Seite zu wenden, als sein Neffe am Arme des Anderen vorüber ging.

Sie müssen mit, ich lasse Sie nicht los, sagte Oskar mit lauter Stimme.

Aber, lieber Freund, es ist wirklich fast zu spät, entgegnete sein Begleiter.

Nicht doch! wir treffen Gesellschaft, und wenn nicht, so sind wir beiden uns auch genug, antwortete der Offizier. Ich trage heute etwas mit mir herum, was Thaten verlangt.

Nun, so kommen Sie, sagte der Andere, wenn es nicht anders sein kann.

Der alte Herr umklammerte mit beiden Händen den Knopf seines Stockes und sah den Sprechenden nach. Er verstand nicht Alles, aber die Stimme des Unbekannten, seine Gestalt und die Umrisse seines Gesichtes machten ihn beben.

Mein Gott! sagte er, kann es so sein? ist das wirklich mein hülfreicher Beschützer, oder bin ich bezaubert und toll geworden, daß mir alle Menschen, welche irgend eine Aehnlichkeit mit ihm haben mögen, vorkommen, als sei er es selbst? Es war seine Stimme, war sein Körper, ja, ich kann nicht anders, er war es selbst! Doch wie ist das möglich, daß er Oskar kennt, ihn Freund nennt und mit ihm jetzt – ich weiß nicht, wohin – geht?

Rasch eilte er den Beiden nach, allein bald wurden seine Schritte langsamer.

Ich kann mich ihnen nicht anschließen, sagte er; denn wenn er es wirklich sein sollte, in welche Lage setze ich dann meinen Neffen! Schlau, wie dieser Mann ist, muß er augenblicklich begreifen, daß meine Geldnoth von Oskar herrührte und sein großmüthiges Geschenk diesem zu Gute gekommen ist.

Und dennoch, fuhr er fort, kann ich jetzt nicht gehen; wenigstens muß ich wissen, wo sie bleiben und was sie beginnen wollen.

Nach einiger Zeit sah er die beiden Herren in ein großes Haus treten, dessen erleuchtete Fensterreihen ihm ein großes Gasthaus anzukündigen schienen. Unruhig wandelte er eine halbe Stunde lang auf und ab, wartend, ob sie nicht zurück kehren würden. Aber sie kamen nicht, und unschlüssig, ob er gehen oder bleiben solle, stand er in der finstern Ecke am Thorwege, als plötzlich ein Mann an ihm hinging und die Treppe hinauflief, in welchem er sogleich den kleinen Herrn Korn erkannte.

Nun kann ich mich nicht länger täuschen, flüsterte Burgau.

In dem Augenblicke aber hörte er eine Stimme, wahrscheinlich die eines Aufwärters, sagen: Die beiden Herren befinden sich in dem hinteren Saale; Sie müssen hier über die Galerie gehen, wenn Sie zu ihnen wollen.

Ah, rief Herr Korn, so sind sie wohl bei guter Arbeit?

Der Aufwärter lachte.

Freilich, entgegnete er, sehr gute Arbeit. Ich glaube aber, es geht heute dem Herrn Lieutenant ans Leben.

Was ist das? sagte der alte Herr erschrocken, als es eben still war. Es geht ihm ans Leben? Wem? Oskar?!

Eine düstere Ahnung flog durch seinen Kopf. Mit leisen Schritten stieg er die Stufen hinauf und blickte forschend umher. Dort führte eine Thür in einen Corridor und eine zweite auf die Galerie. Vorsichtig ging er über die Bleibedachung und beobachtete die Fenster, welche mit langen Wettervorhängen bedeckt waren.

Plötzlich sah er Lichtschein zwischen diesen vordringen und hörte Stimmen, welche ihm bekannt waren. Er faßte mit seinen zitternden Fingern den Vorhang, drängte sich hinter diesen und warf einen Blick durch den Spalt der inneren, halb zusammengezogenen Gardinen in das erleuchtete Zimmer. Dieser Blick sagte ihm Alles, und regungslos blieb er stehen, von Schmerz, Zorn, Theilnahme und Widerwillen ergriffen.

Drei Schritte von ihm stand in dem Gemache ein Tisch, mit Lichtern besetzt an seinen Ecken, und zwischen diesen sich gegenüber saßen Oskar und Hermann, beide ihre volle Aufmerksamkeit den Kartenblättern zuwendend, welche sie in den Händen hielten. Vor jedem der Spieler lag ein Goldhaufe auf einem Tischchen, zur Seite standen eine Flasche Champagner und halb geleerte Gläser; auf der anderen Seite aber hatte sich Herr Korn aufgepflanzt, die Arme gekreuzt, zwischen den Lippen eine dampfende Cigarre und in dem vorgebeugten Gesichte lauernde Erwartung und schadenfrohe Lust.

Der alte Herr stand lange da, ohne sich zu regen. Er konnte genau sehen, wie das Gesicht seines Neffen von Leidenschaft glühte und zuckte, als sein Gold verschwand und endlich alles, was er besessen, zu seinem Gegner hinüber floh. Und dieser saß kalt, still, mit der gleichgültigen Ruhe, welche dem echten Spieler eigen ist, dem leidenschaftlichen jungen Herrn gegenüber.

Ruhig, wie die Hölle! sagte der alte Herr zitternd zu sich selbst; nur zuweilen schien es, als würfe er einen Blick des Unwillens auf seinen Gegner, der die Karten immer wieder ergriff, als wolle er das Glück ertrotzen. Als der Tisch leer vor Oskar war, schien ihn ein Nachdenken zu ergreifen. Er starrte vor sich hin, legte die Hand an seine Brieftasche, zog sie schnell aber wieder zurück und machte einen Versuch, aufzustehen.

Dem Himmel sei Dank, murmelte Burgau, er gehört noch nicht zu den ganz Verlorenen! Aber es war nur ein Augenblick des Schwankens gewesen, denn plötzlich hatte er sein Taschenbuch gezogen, und mit einem raschen Griffe warf er die vier Bankscheine, das theure Geschenk feines Oheims, vor sich hin.

Die nächste Partie um diesen da! rief er und schob eines der Papiere in die Mitte.

Herr Korn nahm den Schein, und indem er ihn betrachtete, öffneten sich seine kleinen, listigen Augen mit einem Ausdrucke der Ueberraschung, welcher selbst Oskar'n nicht entging.

Nun! fragte er, Sie starren die Zeichen und Nummern auf dem Dinge da an, wie ein Hauptbuchhalter der Staatscasse, dem ein nachgemachter Bankschein präsentirt wird. Ich hoffe, Sie finden nichts Verdächtiges?

Gott bewahre das schöne Papier, erwiderte Korn lachend, und erhalte es seinem rechtmäßigen Herrn sammt den anderen, welche dazu gehören!

Burgau war in fieberhafter Angst. Er hob die Hand mehr als einmal auf, um eine der Scheiben zu zertrümmern und gewaltsam die Raserei seines Neffen zu hindern; aber er ließ sie wieder sinken, denn das Gefühl der Schaam und Schande jenen beiden Männern gegenüber überwältigte ihn. Er konnte nicht daran zweifeln, daß Korn die Scheine an den Nummern erkannt hatte, und mochten seine Gedanken sein, welche sie wollten, es war dem alten Herrn unmöglich, jetzt hervorzutreten, um ihm Aufklärung zu verschaffen.

Und während er seine starren Blicke auf das Spiel heftete und schrecklich dabei litt, nahm dieses den Ausgang, welchen er erwartete. Dem ersten verlorenen Scheine folgte der zweite, und durch die verzweiflungsvolle Verdoppelung des hohen Satzes auch der dritte und vierte. Mit krampfhafter Gewalt faßte Oskar die Karten und schleuderte sie auf den Tisch, und indem er sich zu bezwingen und ruhig sein Unglück zu belächeln suchte, trug jeder seiner Züge den schrecklichen Stempel seiner inneren Qualen.

Korn betrachtete ihn mit Hohn, und seine Trostesworte klangen wie erbarmungslose Lügen. Er reichte dem kahl Gerupften ein volles Glas Champagner und wollte durchaus auf besseres Glück anstoßen; aber er blieb derselbe höfliche, freundliche Mann, als Oskar mit einem wilden Blicke das Glas so heftig zurückstieß, daß es ihm aus der Hand flog und der Inhalt ins Gesicht spritzte.

Plötzlich trat Oskar zu Hermann, der ruhig am Tische sitzen geblieben war und mit der Hand seine Stirn bedeckte.

Wollen Sie, sagte er mit trotziger Hast, mir Credit bis morgen geben, so lassen Sie uns weiter spielen.

Bis morgen? erwiderte Hermann langsam.

Beim Teufel, ja! schrie Oskar. Was ich besaß, haben Sie in der Tasche, und was ich verliere, sollen Sie bekommen, auf Cavalier-Parole!

Das große Auge des Banquiers ruhte fest auf ihm.

Sein bleiches Gesicht röthete sich, und wie die Klapperschlange mit ihrem Blicke die Geschöpfe, welche sie tödten will, umgarnt, so sah er sein Opfer mit unbeschreiblicher Ueberlegenheit an. Der alte Herr draußen am Fenster fühlte die Gewißheit, daß sein Neffe verloren sei; doch im nächsten Augenblicke bemerkte Burgau, wie er mit demselben einladenden Lächeln, das ihn genöthigt hatte, seine Großmuth zu benutzen, auch jetzt von Neuem zu den Karten griff.

Sie haben Recht, sagte er, daß Sie das Spiel nicht abbrechen, wo es Ihnen nur Verlust gebracht hat. Lassen Sie uns noch einmal versuchen, vielleicht sind Sie jetzt glücklicher.

Glücklicher, murmelte Burgau aufathmend vor sich hin, weil er es so will! Er hat beschlossen, Erbarmen zu üben! –

Und so war es auch.

In einer Viertelstunde hatte der junge Offizier zurückgewonnen, was er verloren, und eine ähnliche Summe darüber war sein, als Hermann erklärte, daß es das letzte Spiel jetzt sein müsse. Wie um ihm zu zeigen, daß er in seiner Hand sei, nahm er darin alle Vortheile wahr und gewann es schnell; dann legte er die Karten hin, reichte seinem Gegner die Hand und sagte lächelnd:

Für heute genug, und vielleicht für immer genug, wenigstens was mich betrifft; denn ich habe mir gelobt, kein hohes Spiel wieder zu wagen.

Aber ich bin Ihnen Genugthuung schuldig, erwiderte Oskar, der vergnügt die gewonnenen Goldstücke zusammenscharrte.

So geben Sie mir diese in anderer Weise, indem Sie meinem Beispiele folgen.

Es kam dem alten Herrn vor, als erkenne sein Neffe jetzt erst, was Hermann für ihn gethan und was er ihm zu danken habe. Oskar blieb einige Augenblicke nachdenkend und verwirrt stehen, dann reichte er ihm die Hand und sagte mit Herzlichkeit:

Sie haben Recht; lassen Sie uns Freunde bleiben, ich will diesen Tag und diese Stunde nie vergessen.

Ich vertraue Ihrer Hand und Ihren Zusicherungen, erwiderte Hermann.

Herr Korn hatte den Hut aufgesetzt und drehte sich lustig auf seinen Hacken herum.

So ist's recht! rief er lachend. Ich sei, gewährt mir die Bitte, in diesem Bunde der Dritte! Aber jetzt laßt uns gehen und nach dem glücklichen Ende selig schlafen.

Er öffnete die Thür und trat heraus, Hermann folgte ihm, Oskar blieb zurück und rief nach dem Aufwärter.

Nun, beim Himmel! sagte Korn mit leiser Stimme, du machst dich zum Schutzpatron aller Narren und Taugenichtse. Ich begreife dich nicht.

Du begreifst Vieles nicht, versetzte sein Freund.

Zum Beispiel nicht, wie dieser Mensch in Besitz der vier Bankscheine kommen konnte, welche du in großmüthiger Laune gestern verschenktest und welche heute eine höhere Fügung wieder in deine Hände lieferte, ohne dich weiser zu machen.

Das kann ich dir unterwegs vielleicht erklären.

Aber was hielt dich ab, diesen übermüthigen Narren zu züchtigen, wie er es verdient? Du thust, als wärest du der Gott des Reichthums und gebötest über alle Schätze der Tiefe. Nimm dich in Acht! du weißt, der Boden schwankt unter deinen Füßen.

Diese paar armseligen Thaler können ihn wahrlich nicht fester machen, erwiderte der Banquier verächtlich.

Aber du bist schon seit einiger Zeit nicht mehr Derselbe, sagte Korn. Du zögerst, du schlägst fehl, du geräthst in Verwirrung, und wer im Kleinen nicht richtig und streng handelt, hat für das Große erst recht den klaren Blick verloren.

Schweig! antwortete Hermann stolz, indem er sich abwendete.

Für jetzt, ja, sagte sein Begleiter, aber – murmelte er, indem er an Burgau vorüberging – hüte dich! Ich gebe dich auf, und du bist verloren.

Sie stiegen die Treppe hinunter; Oskar eilte nach einigen Minuten ihnen nach, und der alte Herr schlüpfte aus seinem Verstecke und sah sie vor sich die Straße hinabgehen, während er sich zu sammeln und das Erlebte zu überdenken versuchte. An der nächsten Ecke trennten sich die drei Herren. Oskar schlug den Weg nach seiner Wohnung ein, die beiden Anderen blieben vor einem der schönsten Häuser stehen und sprachen lange und eifrig, ohne daß Burgau ihnen zu nahen wagte. Endlich ging er quer über die Fahrstraße hin und hörte Korn sagen:

Also morgen. Du hast keine Zeit zu überlegen, die Sachen stehen schlecht; ich verlange auf jeden Fall meine Deckung.

Du sollst sie haben, erwiderte Hermann. Gute Nacht.

Er schloß das Haus auf und trat hinein. Burgau blieb stehen. Hier wohnt er also, sagte er, in diesem prächtigen Gebäude. O, welch ein Unterschied zwischen diesen hohen Spiegelfenstern und den kleinen Scheiben des armen Dachstübchens, in welchem sein bescheidener Doppelgänger haus't!

Er heftete die Augen auf die Zimmerreihe im ersten Stockwerk und blickte dem Lichtscheine nach, der von einem Fenster zum anderen die Schritte eines Gehenden begleitete. In seine Betrachtungen versunken, verstrich eine geraume Zeit, bis er endlich, als Alles finster war wie vorher, an seinen Gasthof dachte und umkehrend den Weg einschlug, den er für den richtigen hielt.

Lange überlegte er, ob es besser sei, Oskar morgen mit voller Strenge seinen Leichtsinn vorzuhalten oder zu schweigen und zu warten, und während dieser Untersuchung ging er durch die öden Straßen, bis er zweifelhaft war, ob er sich noch auf dem rechten Wege befinde.

Er stand still und blickte forschend um sich. Die Straße war hell vom Monde beleuchtet, welcher die entgegengesetzte Häuserreihe beschien, und in der Ferne hörte er die Schritte eines Mannes, der langsam sich näherte.

Den will ich fragen, sagte der alte Herr, und schon wollte er den Fremden anrufen, als er zu seinem Erstaunen ihn erkannte. Es war Hermann – das glänzende Licht der Nacht fiel in sein Gesicht und zeigte deutlich jeden Zug desselben. Der Wind schlug den Mantel zurück, in den er seinen Körper gehüllt hatte, und zeigte den forschenden Blicken Burgau's den eleganten Anzug und die blitzende Busennadel an der Cravate. Aber Hermann bemerkte ihn nicht. Er blickte starr vor sich nieder, und Burgau ging im Schatten mit ihm weiter, bis jener drüben still stand, eine Hausthür öffnete und drinnen verschwand.

Das ist die Wohnung Hermann's des Gelehrten, sagte Burgau nach einer langen Pause. Da ist das Fenster im vierten Stocke – und jetzt – es ist Licht drinnen, er ist hinauf gestiegen. Und dieser da und er – diese Beiden – sind es Brüder, ist es ein und derselbe, kann er mich so täuschen und die ganze Welt täuschen – o, der Bösewicht! – ich möchte hinein, hinauf zu ihm, aber was würde es helfen? Er wäre im Stande, mir zu beweisen, daß ich mondsüchtig oder verrückt sei, und was sollte ich machen, wenn er mir kaltblütig riethe, mich nicht in seine Angelegenheiten zu mischen, oder wenn ich Zwei da oben träfe, die – mir sagten, daß ich ihnen zu Dank verpflichtet sei? Ja, das bin ich, und dennoch – mein Kopf schmerzt mir, meine Gedanken verwirren sich, ich weiß nicht, was ich thun soll und muß.

Nach manchem Zögern und Bedenken ging der alte Herr in seinen Gasthof; aber er hatte eine schlaflose Nacht. Immer schwebten ihm die beiden räthselhaften Menschen vor, und je mehr er versuchte, einen Verbindungsfaden zu finden, der das Verwirrte auflös'te, um so wilder drehten sich Gestalten und Verhältnisse durch einander, bis er endlich am Morgen erschöpft einschlief und erst erwachte, als eine Hand ihn rüttelte und eine lustige Stimme sprach:

Heute mir, morgen dir! das ist ein altes, gutes Sprüchwort. Gestern holte mich der gestrenge Onkel aus dem Bette, schalt mich Nachtschwärmer und Siebenschläfer, und heute hätte ich große Lust, ihm die ganze Moral seines tugendhaften Zornes wieder zu geben.

Setze dich hierher, sagte der alte Herr mit strenger Stimme, ich träumte von dir und will dir meinen Traum mittheilen. –

Er faßte den jungen Mann fest ins Auge und begann ihm genau zu erzählen, was er gesehen und erlebt hatte. Er malte ihm die Leidenschaften seines verzerrten Gesichtes am Spieltische, und wie er unter den Händen eines Mannes, durch dessen Erbarmen er allein dem Bankerotte an Ehre und Geld entkommen sei, sich wie ein Wurm gekrümmt habe. Aber er hatte seine Geschichte noch nicht halb beendet, als Oskar mit glühendem Gesicht aufsprang und in Schaam und Bestürzung ausrief:

Hören Sie auf, Onkel! wer hat Ihnen diese Mittheilungen gemacht? Hat er es gethan oder der Zufall oder der böse Feind, gleichviel! Ich kann die Wahrheit nicht läugnen, aber sie bringt mich um.

Er? sagte der alte Herr, wer ist dieser Er? Woher ich es habe, ist bedeutungslos, aber was weißt du von diesem Manne, und wie kommst du zu seiner verderblichen Bekanntschaft?

Sie hat nichts Entehrendes, entgegnete Oskar. Er ist reich, einer der Speculanten, die in unseren Tagen schnell große Vermögen erwerben, dabei ist er nobel in allem, was er thut. Uebrigens kenne ich ihn nicht näher, fuhr er stolzer fort, es ist eine Bekanntschaft wie so viele …

Die man am Spieltische macht, fiel Burgau ein. Aber seinen Namen wirst du wissen?

Er heißt Hermann, sagte der Offizier.

Mit seinem Vornamen, aber wie weiter?

Hermann schlechtweg und ganz und gar, versetzte Oskar.

Dann weißt du nichts! fragte der alte Herr, und kannst es auch nicht wissen; denn wie er mich täuschte, so täuscht er sicher die ganze Welt, und selbst die, welche ihm am nächsten stehen, diesen Korn sowohl, wie Wernher und selbst das Mädchen, die ihn anbetet und für ihn wie für einen Heiligen schwärmt. Sie wissen nichts, sie ahnen nicht, daß ihr Gott an Tugend und erhabener Würde nichts ist, als ein gemeiner Komödiant, ein Spieler, ein Börsenwucherer, ein Elender, der sie betrügt; der in Entbehrungen und Studien ein dem höchsten Wissen geweihtes Leben lebt, doch heimlich in allen Genüssen des Reichthums schwelgt, während sie ihn seiner Entsagungen wegen als ein übermenschliches, reines Wesen verehren.

Onkel, sagte der junge Mann, der staunend und schweigend zugehört hatte, welchen Phantasieen überliefern Sie sich?!

Keine Phantasieen! fuhr Burgau fort, ich bin meiner Sache gewiß. –

Er erzählte alles, was ihm geschehen, und bald gelang es ihm, den Zweifelnden zu überzeugen.

Wenn es so ist, rief Oskar, und seine Augen leuchteten vor Freude, dann ist das Mittel gefunden, Ihren Freund von seinen krankhaften Ideen zu heilen. Dann haben wir auch den Faden, lieber Oheim, an den mein eigenes Glück sich heftet. Ja, das ist der Weg, alle Irrthümer meiner Jugend für immer abzuschwören. Helfen Sie mir, Onkel, helfen Sie mir, das Herz und die Hand Sophiens zu gewinnen, und lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir diesen Gaukler entlarven.

Burgau drückte die dargebotene Hand seines Neffen und lächelte ihm zu; denn auch er empfand in diesem Augenblicke den Wiederschein der Zukunfts-Sonne, welche seinem Neffen leuchtete. Recht, Pflicht, Ehre und Gewissen flüsterten ihm mit bestochener Stimme Beifall zu, und er erhob sich von seinem Bette und sagte:

Wir müssen ihn entlarven, denn dieser Mensch hat zwar mancherlei achtungswerthe Eigenschaften, doch wir müssen den Muth haben, ihn trotz aller Nebendinge, welche uns selbst berühren, in seinem bösen Treiben zu stören.


VII.

Am Nachmittage dieses Tages trafen die beiden Herren zur festgesetzten Zeit zusammen, und Beide waren begierig auf ihre Mittheilungen.

Nun! rief Burgau dem Eintretenden entgegen, was hast du erfahren.

Im Grunde wenig, antwortete Oskar. Ich war bei ihm, nämlich bei dem Herrn Banquier, traf ihn nicht, ging später noch einmal und fand ihn endlich von Geschäftsleuten umringt, die kein vertrautes Gespräch zuließen. Nur beim Abschiede sagte ich ihm, daß mein Oheim, der mich besucht, heute noch abreisen würde, und trotz seiner Gewandtheit sah ich in seinen Augen eine Freude glänzen, die er nicht verbergen konnte. Ich bin fest überzeugt, daß wir ihn sorglos gemacht haben.

Du meinst also, er wird kommen? fragte der alte Herr.

Er wird kommen, und wir werden eine prachtvolle Erkennungs-Scene feiern.

Aber wenn er es doch nicht ist?! begann Burgau auf und ab gehend. Ich habe ihn heute Morgen wieder besucht, den gelehrten Träumer, und Abschied von ihm genommen. Da saß er unter seinen Büchern, und wie er mich herzlich empfing, wie er mir sein Bedauern und seine Theilnahme an meiner Abreise ausdrückte, seine Offenheit, sein herzliches Wesen, alles, was er sagte und was er that, schnürte mir die Kehle zu, wenn ich dachte, daß ich ihn täuschte, um ihn zu verderben!

Mit einem spöttischen Lächeln erwiderte Oskar:

Dieser Mensch hat etwas Zauberhaftes, ich weiß das selbst; allein man findet solche einschmeichelnde Formen oft bei den schlimmsten Bösewichtern, ich hoffe, Sie haben nichts verrathen, Onkel?

Ich hätte es vielleicht gethan, denn zehnmal wollte ich ihm gerade heraus erklären, was ich wußte, sagte der alte Herr traurig; aber immer tratest du und dein Streben dazwischen, und endlich bezwang ich mich und ging, weil es so sein mußte.

Sie haben wohl gethan, es muß so sein! sagte der junge Mann. Lassen Sie uns gehen; ich schwöre Ihnen, Ihre Theilnahme auf keinen gefährlichen Platz zu stellen. Ich nehme die ganze Entwickelung auf mich, Sie werden nichts sein, als Zeuge und leidender Zuschauer.

Er zog den alten Herrn fort. Beide nahmen den bekannten Weg zum Thore hinaus und standen nach einer Stunde vor dem Garten, an dessen geöffneter Thür die alte Dienerin sie mit einem freundlichen Lächeln bewillkommte.

Guten Abend, Mütterchen, sagte Burgau; du stehst so allein als Hüter an der Pforte. Treffen wir deinen Herrn nicht zu Hause?

Ei freilich, erwiderte Elisabeth, und wie wird er sich freuen, Sie zu sehen! Sie gehen alle dort unter den Bäumen auf und ab.

Alle? fragte Oskar. Wer Alle?

Der Herr und seine beiden Kinder.

Ein böses Lachen lief durch Oskar's Gesicht. Der Himmel erhalte ihm diesen Segen! sagte er; ich denke, er kann den Trost brauchen.

Sie gingen zwischen den Bäumen weiter und erblickten den Capitän, dessen lautschallende Stimme ihnen entgegen klang. Er kehrte ihnen den Rücken zu und schlang den linken Arm um seine Tochter, den rechten um Hermann.

Endlich ist er da, der Tag der Freude! rief er.

Nimm es hin, mein Sohn, das Herz, das dich liebt und für dich schlägt. Wohne mit uns in dieser Wohnung des Friedens und sei glücklich, wie wir es sind. Ich wußte es, diese Stunde mußte kommen, und wenn meine Ungeduld sie endlich herbeiführte, so verzeiht mir – ich habe keine Zeit mehr, auf Glück zu warten.

Er preßte sie beide an seine Brust. Burgau blieb hinter dem Gebüsche und wagte nicht, hervorzutreten; denn in diesem Augenblicke fühlte er die Sichel der Vernichtung in seiner Hand. Der Mann, der ihm wohlgethan, stand ihm gegenüber, sein Gesicht voll Aufregung, seine dunklen Augen von einem edlen Feuer glänzend.

Mein Vater, sagte er, du weißt nicht, wie selig du mich machst und wie ich doch vor dieser Stunde gezittert habe.

Gezittert? fragte Wernher. Liebst Du nicht Sophien?

Statt der Antwort richtete er einen unbeschreiblich innigen Blick auf die Geliebte, die lächelnd und muthig zu ihm aufsah.

Gezittert, antwortete Hermann, weil ich weiß, daß ich ihrer nicht werth bin, und nie weniger, als in diesem Augenblicke.

Du hast seltsame Grillen! lachte der Capitän. Da ist die Priesterin, welche dir Vergebung für alle deine Sünden verkündigt, und ich sage dir: du bist ihrer würdig.

Er wendete bei dem Geräusche, das er hörte, den Kopf und schrie freudig auf.

Herbei, mein alter Dietrich! rief er, du kommst zur schönsten Feier. Sieh dort die beiden umschlungenen Menschen – sie sagen dir Alles.

Niemand kann innigeren Antheil an ihrem Heile und ihrer freudigen Zukunft nehmen, sagte Oskar schnell, und ehe sein Oheim ihn zurückhalten konnte, trat er dicht an Sophien heran; aber voll Erstaunen wich er zurück, und indem er Hermann anblickte, stotterte er verwirrte und verlegene Worte, die eine Art Gratulation bedeuteten, aber von Niemand verstanden wurden.

Nun! rief Wernher lachend, hat den jungen Herrn ein Basilisk gestochen, oder was soll es bedeuten? Liegt es etwa in dem Nervensysteme der Familie Burgau, den Anblick dieses ehrbaren Hermann Selbitz nicht ertragen zu können, oder hat er ein so schreckliches Aeußeres, daß selbst dieser tapfere Offizier davor erbebt?

Eine sonderbare Aehnlichkeit, in der That, eine auffallende Aehnlichkeit mit einem meiner Freunde, sagte Oskar, sich sammelnd, mit einem Banquier Hermann.

Einem Banquier?! schrie der Capitän. Ihr Burgau's leidet an einem ansteckenden Uebel, der Alte da hielt ihn für einen Kaufmann, der Neffe aber geht noch einen Schritt weiter und macht einen Banquier daraus.

Es ist wahr, wir täuschen uns beide und gestehen unseren Irrthum, fuhr Oskar fort, denn mit jedem Augenblicke überzeuge ich mich mehr davon. Mein Freund ist ein wenig größer und stärker, und obwohl die Aehnlichkeit wunderbar ist, obwohl so Manches übereinstimmt, fehlt doch auch wieder Anderes, was ich vermisse. Ist es nicht so, Onkel? rief er, sich zu dem alten Herrn wendend; müssen Sie mir nicht beipflichten?

Allerdings – wirklich – ich sollte meinen, sagte dieser in größter Verlegenheit.

Du kennst den Banquier also auch? fragte Wernher.

Ich denke, erwiderte Burgau mit einem Seufzer, wir kennen ihn alle.

Der Capitän betrachtete mit Mißtrauen die Gesichter, dann ruhte sein Auge forschend auf Hermann, der stolz und den Kopf wie herausfordernd aufgerichtet vor ihm stand. Alle kennen deinen Doppelgänger, sagte er, kennst du ihn etwa auch?

Nach einem Augenblicke der Stille antwortete Hermann ein lautes, festes Ja.

Ja? du kennst ihn und hast uns nie davon erzählt? fuhr der Fragende fort. Was hast du, was geht in dir vor?

Er legte die Hand auf Hermann's Arm, der den Blick zur Erde richtete und keine Antwort gab.

Laß ihn los, sagte Burgau ängstlich, und denke, es giebt Fragen und Lebensverhältnisse, welche kein Mensch selbst denen, die ihm zunächst in der Welt stehen, vertrauen kann.

Nein, entgegnete Hermann, den Kopf erhebend und mit sanfter Gewalt Sophien an sich ziehend, ich bin es müde, zu lügen und Täuschungen zu ersinnen, deren Qualen mich erdrücken. Ich bedarf der Anklage auch in dieser Stunde eben so wenig mehr, wie des Mitleids, und waren Sie, meine Herren, nicht in dieser Minute zwischen mich und mein Bekenntniß getreten, so würdest du, meine geliebte Sophie, und du, mein Vater, gehört haben, daß jener Banquier und ich Eine und dieselbe Person sind.

Es ist nicht wahr! rief Sophie, sich aus seinen Armen erhebend und ihn betrachtend. Jetzt zum ersten Male lügst du!

Ich lüge nicht. Seit einem Jahre führe ich dieses Doppelleben, laß mich mein Bekenntniß vollenden und kurz sein. Ich saß in meiner einsamen Klause und quälte mich mit Studien und Gedanken, während rund um mich die Welt ihren bunten, wirren Lauf ging, unbekümmert um mein heißes Verlangen, ein Staubkorn darin zu ändern. Der Zufall machte mich mit einem Manne bekannt, der die Menschen nur nach der Fähigkeit schätzte, Gold zu gewinnen, um Genüsse zu erkaufen. Seine Gedanken und sein Treiben flößten mir Verachtung und Ekel ein; dennoch aber hatte das, was er sagte und behauptete, Reiz für mich, und seine Philosophie einen Keim von Wahrheit, der, wie mir es schien, richtig angewandt eben so viel Gutes verbreiten konnte, wie er Böses hervorgebracht hat. Gewinne Gold, rief er mir zu, und du kannst Alles! Was hilft deine Weisheit, was nützt deine tugendhafte Schwärmerei, die man verlacht, weil es leere Worte sind? Du rufst dein Wehe über eine Welt, die du nicht kennst, und reichst denen, welchen du helfen willst, einen Stein, der niemals Brot wird! Werde reich, wenn du helfen willst, und hast du Muth, so komm, ich will dir den Weg dazu zeigen. Vor allen Dingen habe Glück, versuche, ob die große Göttin, zu der die Menschen gläubiger ihre Hände erheben, als zu allen Weisheitsgöttern, dir ihre Hand reicht. Stößt sie dich von sich, so bleibe ein Narr, vergrabe dich unter deinen Büchern, predige den Thoren Vernunft, so viel du willst, gleichviel, sie werden dich verspotten. Du wirst fasten, beten, darben, und sie werden dich endlich begraben und vergessen, wie sie tapferere Narren, als dich, schon begraben haben, deren Geduld und Leiden und Göttlichkeit sie rühmen und doch nicht anders geworden sind.

Unglücklicher! sagte Wernher, du gingst?

Ich ging, und die Göttin des Glückes reichte mir ihre Hand. Gold füllte meine Taschen, verwegen prüfte ich die Gunst des Zufalles, aber immer blieb er mir treu. Ich warf mich in den Strom des neuen Lebens und konnte ihm nicht mehr entkommen. Ich sah die Habgier, den Neid, die giftigen, gemeinen Leidenschaften, den höllischen Durst nach Besitz rund um mich her, und meine Verachtung wuchs, doch ich blieb. Werde reich! rief es in mir; spiele, wage, reiß, wenn du kannst, diese rollenden Wellen des Glückes in deine Hände, vernichte diesen gierigen Haufen, der sie dir zuwirft, und wenn du Millionen einst dein nennst, dann wende den großen Raub an zum Heile der Parias dieser Erde.

Und mit diesem Troste fandest du dich ab und ließest die Parias weiter darben! fiel der Capitän mit Bitterkeit ein.

Ich sah, fuhr Hermann fort, wie wenig die edlen Anstrengungen der besten Menschen halfen, um das Loos ihrer leidenden Mitbrüder zu bessern. Kaum gelang es ihnen, eine kleine Zahl nothdürftig zu unterstützen und in ihre verwilderte Verlassenheit einen Schimmer von Menschenwürde und Erkenntniß zu bringen. Ich bedachte dieses und erschien mir wie ein Kämpfer der Menschheit, bestimmt dazu, mit einem seiner schrecklichsten Feinde zu ringen, um ihn zu überwinden.

Und wo sind nun die Schätze, fragte Wernher. Wo sind deine Millionen, wo endeten deine Siege, Knabe, der du es wagst, mit deiner Schande zu prahlen?!

Sie endeten mit meiner Niederlage und Unterwerfung, entgegnete Hermann sanft. Ich wollte einst vor euch hintreten und sprechen: Was Ihr thatet mit allen Euren Sorgen und Entbehrungen, hat nichts geholfen; man spottet, verlacht und betrügt Euch; hier ist Gold, laßt mit diesem mächtigen Hebel alles Guten und alles Bösen uns einen anderen Weg einschlagen, und Ihr werdet sehen, daß ich Recht hatte, mich in Besitz dieses todten und doch so lebenbringenden Metalles zu setzen.

Und nun? fragte Sophie, ihm die Hand reichend.

Nun, sagte er, sich aufrichtend, komme ich arm, wie ich war, denn meine Mühen sind vergebens gewesen. Was das Glück gab, hat es mir genommen.

O, Gott sei Dank! rief Sophie, ihn in ihre Arme schließend. Es war ein grausames Spiel mit dir selbst, ein schrecklicher Traum, mein armer Freund! Nun bist du erwacht und genesen.

In diesem Augenblicke trat Wernher zwischen Beide und trennte sie.

Ich zweifle nicht, sagte er, daß du die Wahrheit gesprochen hast, aber deine Bekenntnisse öffnen einen Abgrund böser Neigungen und innerer Verderbtheit vor meinen Blicken. Eitelkeit, Habsucht und kindische Verblendung haben dich zu den schwersten Irrthümern verleitet, und ein Mensch, der ein Jahr lang die, welche ihn über Alles liebten, so betrügen konnte, wie du es thatest, hat diese Liebe frevelhaft verscherzt. Geh, fuhr er fort, und betritt diesen Garten nie wieder. Denke dir, daß es das Paradies war, aus welchem deine Sünden dich vertrieben. Der Cherub mit dem Flammenschwerte welcher an dieser Pforte Wache hält, sei dein Gewissen; komm wieder, wenn es dir sagt, du dürfest dich uns nahen.

Er reichte ihm die Hand zum Abschiede und wendete sich von ihm.

Sophie heftete einen stillen, sinnenden Blick auf ihn, dann warf sie sich an ihres Vaters Brust und verbarg den Kopf an seinem Herzen.

Eine schreckliche Stille folgte.

Ich habe es erwartet, sagte Hermann ruhig; Ihr thut recht, es muß so sein. –

Er wendete sich um und ging den Weg hinab, ohne Lebewohl und ohne zurück zu blicken.

Das ist zu viel! rief Burgau bewegt. Laß ihn nicht gehen, Georg! Man stößt einen Reuigen nie ohne ewigen Vorwurf von sich, und dieser Irrende bleibt selbst in seinen Fehlern und schwärmerischen Irrthümern ein Mann, den man ehren und achten kann.

Laß uns zurück gehen, antwortete Wernher in einem Tone, der keinen Widerspruch duldete. Die Sonne sinkt, die Nacht wird kalt; ich muß mein Glashaus schließen lassen, sonst geht es meinen Blumen ans Leben.

Halt! rief der alte Herr zornmuthig, so sollst du mir nicht entkommen! Ich fürchte mich nicht vor dir; mag sich deine Stirn auch in die finstersten Falten ziehen, du sollst mich doch hören, denn ich will dir auch ein Bekenntniß ablegen. –

Kurz und klar erzählte er jetzt, was ihm geschehen, verschwieg nichts dabei, schonte weder sich noch seinen Neffen und hielt zu gleicher Zeit dem Verbannten eine Lobrede, welche in Anklage überging, als er zum Schlusse kam.

Und du, sagte er, der du diesen edelherzigen Schwärmer auf immer aus deinem Gedächtnisse streichen willst, müßtest ihn entzückt ans Herz drücken, denn er befolgte nur deine Lehren, aber kühner, größer und begeisterter, als du. Du könntest an ihm lernen, wie nichtig ein vereinzeltes Streben ist, das die Welt bessern und bekehren will, und wie unglücklich, wenn nicht lächerlich, es ausfällt, wenn ein Mensch sich anmaßt, die Grundlagen der Gesellschaft umzukehren.

Das ist die Sprache derer, denen Alles wohlgemacht dünkt! erwiderte der Capitän heftig, die Sprache der Ungerechten und Gesättigten, der Halben, Schwachen und Lasterhaften, deren vertrocknete und falsche Herzen und Hirne voll Hochmuth und Egoismus selbst den Himmel und Gott zum Theilnehmer ihrer Schande machen, nach dessen heiligem Willen alles geschieht, was geschieht, der also alles Elend und alles Unglück, alle Ungleichheit und alle Schmach dieser Welt zu verantworten hat!

Eitler, hochmüthiger Mann du selbst, entgegnete der alte Herr, der du dich unterfängst, alle zu hassen und zu verachten, die nicht so sein wollen, wie du bist! Du wirst keinen Stein des Weltgebäudes verrücken, und mit aller deiner Weisheit bist du nicht so weise, um einzusehen, daß es besser sei, mild und gütig den Fehlenden zu verzeihen, als sie tyrannisch von deinem Herzen zu stoßen.

Die beiden Greise standen sich gegenüber mit erhitzten Gesichtern und messenden zornigen Blicken, während Oskar und Sophie schweigende und theilnehmende Zuschauer bildeten. Endlich sagte Wernher mit seiner stolzen Ruhe:

Es thut mir leid, Dietrich, mich von dir so verkannt zu sehen. Meinen Willen und meinen Glauben kann nichts in der Welt verrücken; meine Grundsätze sind geprüft und stehen fest auf Lehren und Ueberzeugungen, die älter sind als du und ich und viele Menschenleben; dennoch aber haben deine Worte mir Warnungen ertheilt, die ich nicht vergessen werde. Jetzt laß uns Frieden schließen und schweigen.

Dann, sagte Burgau, höre noch eine letzte Warnung. Du fürchtest die Winterkälte der Nacht, Georg, und willst deine Glasthür schließen lassen – fürchte noch weit mehr, daß die schönste und edelste Blume deines Gartens ihr Haupt neigen und wellen wird, wenn du ihr die Sonne entziehst, die ihr bis jetzt Leben gegeben hat.

Der Blick, welcher seine Worte begleitete, brachte ein gerührtes Lächeln in das strenge Gesicht des Capitäns.

Ich danke dir für diese Warnung, mein alter getreuer Freund, sagte er, aber ich fürchte nichts. Meine Blume hat ein starkes Leben, sie kann die Nachtfröste ertragen, und wie die Rose der Wüste, die wunderbare Rose von Jericho, blüht sie freudig und schön, wo alle anderen Blumen verschmachten. Habe ich Recht, Sophie?

Alles, was du thust, Vater, ist recht und wohl gethan, versetzte sie.

Du siehst, wir sind einig und unverbesserlich, fuhr Wernher fort. So laß uns nicht länger streiten. Sophiens Harfe mag, wie einst David's Harfe dem mißtrauischen Saul, auch dir Versöhnung bringen.

Aber dieser Abend verging trübselig. Der alte Herr blieb düster und traurig; er dachte beständig an Hermann und wäre gern gegangen, um ihn aufzusuchen und zu trösten. Auch Oskar'n wollte es nicht gelingen, heiter zu sein. Er konnte es nicht begreifen, wie Sophie ruhig und sorglos wenigstens scheinen konnte, wie sie alle Geschäfte des Hauses abthat, ohne mit einem Blicke zu verrathen, was in ihrem Herzen vorging, und er hielt endlich dieses Herz selbst für erstarrt unter den kalten Händen ihres Vaters, der den Wachs geknetet hatte, bis er Eis geworden war in den Formen seiner angeklügelten Weisheit.

Endlich gingen sie. Wernher begleitete Beide bis an die Pforte. Die Nacht war dunkel, ein kalter Wind blies ihnen entgegen. Der Abschied, den die beiden Freunde nahmen, war noch kälter. Der Capitän sprach nicht vom Wiedersehen auf morgen, er schlug die Thür ins Schloß, und der ernste und dürre Ton seiner Stimme, die ihnen Lebewohl sagte, drückte seine Entsagung aus.

Das ist ein schöner Abschied! rief Oskar, als der alte Herr das Schweigen nicht brechen wollte; ich hoffe, Onkel, Sie werden diesen starrsinnigen, groben Freund so bald nicht wieder aufsuchen.

Ich begreife uns selbst nicht, entgegnete Burgau. Wir waren es, die mit dem Entschlusse herkamen, diesen Hermann zu entlarven und aus dem Hause zu jagen; nun aber sind wir seine Vertheidiger geworden, zanken uns für ihn und werden beinahe selbst hinaus geworfen!

Der junge Offizier lachte laut. Meiner Treu'! Rief er, Sie haben Recht, Onkel. Aber wie ich auf ihn zuging und ihn in seiner ganzen Schlechtigkeit zeigen wollte, sah er mich mit einem Blicke an, der mir Schaam und Schande ins Gesicht trieb. Es war ein Blick so voll Vorwurf, Verachtung, Stolz und Mitleid, daß ich kein Wort finden konnte und einen Eid geleistet hätte, um ihn von allem Verdachte zu reinigen.

Mir ging es nicht besser, brummte der alte Herr; und hat er uns denn nicht auch große, wahrhafte Dienste geleistet, für die wir ihn verrathen wollten, wie Petrus den Herrn, noch ehe der Hahn krähte? O über die tiefe Schwäche in uns, über die Sünde, die unser aller Erbtheil ist! Dieser Hermann ist besser als wir, das empfanden wir in seiner Nähe. Was er da gesagt hat, ist freilich Thorheit, aber es ist die Thorheit einer edlen Seele, die erhabenen Gedanken sich zum Opfer bringt. Nein, ich gebe es noch nicht auf, Wernher zu versöhnen, und sollte ich mich vor ihm so tief demüthigen, wie nie vor einem Menschen. Laß uns den armen Verstoßenen aufsuchen und ihm sagen, daß er noch Freunde besitzt.

Burgau bemühte sich jedoch vergebens, diese guten Vorsätze auszuführen. Es half ihm nichts, daß er unter Lebensgefahr die vier halsbrechenden Treppen nach dem Dachstübchen hinaufkletterte; eben so vergebens klopfte er an der zweiten, prächtigen Wohnung des Speculanten.

Oskar führte ihn endlich in seinen Gasthof, nachdem sie auch die eleganten Kaffeehäuser ohne Erfolg durchsucht hatten, in denen Hermann sonst wohl zu sein pflegte, und versprach, in der Frühe wieder bei ihm zu sein, um die Bemühungen gemeinsam fortzusetzen. Aber schon mit dem ersten Morgenrothe war der alte Herr auf den Beinen und stieg von Neuem die vier Treppen des düsteren Hauses hinauf, weil er überzeugt war, jetzt den unglücklichen jungen Mann zu finden.

Ein Gefühl aufrichtiger Freude belebte ihn, als er den Schlüssel in dem Schlosse der Thür stecken sah und drinnen Geräusch hörte.

Gott sei Dank! rief er; es war mir so unheimlich zu Muthe, als müsse ein Unglück vorgefallen sein. – Er klopfte, öffnete, ohne eine Antwort abzuwarten, und stürzte sich mit einem Freudenrufe auf den Mann, der am Pulte saß und in den Kasten und Büchern wühlte; aber mit unbeschreiblicher Bestürzung prallte er zurück, als nicht Hermann, sondern der kleine Herr Korn ihm sein spitzes, pfiffiges Gesicht entgegen streckte.

Sehe ich Sie in Wahrheit, mein theurer Herr von Burgau, sagte er, und meinen Sie etwa ein zweites Geschäftchen hier abschließen zu können, so muß ich leider Ihnen die Nachricht mittheilen, daß Hermann dabei ganz aus dem Spiele bleiben wird.

Wo ist er? fragte der alte Herr.

Ja, wo ist er?! antwortete Korn. Auf und davon, verschwunden, verschollen, vielleicht – er machte die Pantomime des Kopfabschneidens; vielleicht auch – er legte die Hand um seinen Hals – oder ins Wasser gesprungen, oder ein Pistolenschuß, und Alles vorüber.

Gerechter Gott! schrie Burgau auf!

Was da, gerechter Gott! sagte Korn, der hat nichts damit zu thun. Dieser Narr, dieser Dummkopf, dieser Unsinnige! Es thut mir leid, mich je mit ihm eingelassen zu haben; aber bei solcher Denkungsweise mußte er so enden und keine Hoffnung haben, je wieder herauf zu kommen.

Was hat er denn gethan? fragte Burgau, gefaßt, Entsetzliches zu hören.

Verloren, ungeheure Summen, nicht durch sein Wagen, aber durch seine Unentschlossenheit, seine verdammte Großmuth und seine romantischen Ideen.

Und Sie haben auch dabei eingebüßt?

Ich? keinen Groschen! wie überhaupt kein Mensch einen Groschen. Aber darin liegt ja seine Thorheit! Es haben Viele verloren, viel Geld verloren, die respectabelsten Männer; aber sie haben accordirt, haben sich abgefunden, Vergleiche geschlossen unter der Hand und ihr gutes Geld in der Tasche behalten. Hätte er mich beauftragt, ich hätte die Sache arrangirt. Statt dessen bezahlt er gestern alles, was er zu bezahlen hat, tilgt seine Verpflichtungen, verkauft, was er besitzt, bis er nichts mehr sein nennt, und schreibt mir dann einen Brief, den ich heute Morgen erhalte, worin er mir sagt, es sei aus mit ihm für diese Welt, und mich auffordert, mich hierher zu begeben, seine armseligen Bücher und seine ganze Habe zusammen zu packen, zum Trödler zu bringen und damit den Rest seiner Schulden zu decken.

Wo ist der Brief? fragte der alte Herr.

Hier, sagte Korn, lesen Sie selbst; da ist auch die Liste seiner Schulden bis auf Heller und Pfennig. Lumperei! es sind kaum hundert Thaler; aber komisch genug, daß er, der vor ein paar Tagen, wo er wissen mußte, wie es mit ihm stand, noch zehn Mal größere Summen hinwarf, um seinen großmüthigen Launen zu fröhnen, jetzt Rock und Wamms vertrödelt, um seine Schulden zu bezahlen.

Die bezahle ich, fiel Burgau ein. Lassen Sie Alles liegen, wie es liegt, den Brief geben Sie mir.

Vortrefflich! erwiderte Korn, so bin ich den Kram los. Werden Sie sein Testaments-Executor und verwahren Sie dieses letzte Document seiner Thorheiten als ein Zeichen dankbarer Erinnerung.

Der alte Herr schwieg und ließ sich nicht irren. Er schloß die Thür zu, steckte den Schlüssel ein und drehte verächtlich dem Speculanten den Rücken, als dieser eine neue Spötterei vorbrachte. Schmerz und Trauer im Herzen, nahm er einen Wagen und fuhr zu Wernher hinaus, voll Angst vor den Enthüllungen, die er zu machen hatte, und voll Zorn über den starrsinnigen Freund.

Vielleicht, sagte er sich, ist doch noch zu helfen. Vielleicht gelingt es, den Verzagenden zurückzurufen, wenn Wernher ihn öffentlich auffordert und ihm Versöhnung und Verzeihung verspricht. Er und Sophie, sie müssen beide helfen! Aber wenn es zu spät sein sollte, wenn der Unglückliche wirklich Hand an sich gelegt, ach, wie furchtbar muß ihr Vorwurf, wie entsetzlich muß ihre Reue sein!

Mit zitternder Hand zog er den Ring an der Pforte.

Der ferne Glockenton kam ihm wie Grabgeläute vor, und je länger er warten mußte, um so bänger wurde es ihm im Herzen. Endlich, nachdem er das Läuten noch zwei Mal wiederholt hatte, kam der alte Gärtner herbei, der bei den Beeten arbeitete.

Wo ist der Capitän? fragte Burgau, als der Mann ihn befremdet anblickte.

Er ist verreis't, sagte er. Wissen Sie es nicht, lieber Herr?

Verreis't? rief Burgau erstaunt. Unmöglich! ich habe ihn gestern Abend spät verlassen; er theilte mir nichts davon mit.

Heute früh, es war noch Nacht, sind sie abgereis't, sagte der Gärtner. Der Herr, unser Fräulein und die beiden alten Frauen, die im Hause waren. Das Haus ist verschlossen, ich bin allein hier. Sie können sich selbst überzeugen.

Und wann kommen sie wieder? fragte Burgau.

Ich weiß es nicht, sie haben es mir nicht gesagt, erwiderte der Alte, die Achseln zuckend.

Der alte Herr kehrte niedergeschlagen nach der Stadt zurück und irrte vergebens den ganzen Tag umher, um eine Spur von Hermann zu entdecken. Er fand nichts. –

 

Am nächsten Morgen las er in den Zeitungen:

 

»Wieder hat das Börsenspiel ein Opfer gefordert. Ein junger Speculant, H., welcher sich mit außerordentlichem Glücke in die gewagtesten Unternehmungen stürzte und ein großes Vermögen in kurzer Zeit erworben hatte, ist in Folge der eingetretenen Krisis eben so schnell um alles gekommen, was er besaß. Da er seine Verpflichtungen nicht erfüllen konnte, ist er verschwunden, hat aber Briefe zurückgelassen, welche seinen Selbstmord außer Zweifel setzen. Der Körper des unglücklichen H. ist gestern mit zerschmettertem Kopf in der Nähe gefunden worden.«

 

Burgau ließ das Blatt fallen. Zitternd drückte er die Hände in die Augen, bis diese überströmten, und mit wankenden Schritten eilte er in seinen Gasthof, packte seine Habseligkeiten zusammen und verließ die Hauptstadt, nachdem er seinen Neffen beauftragt hatte, Hermann's kleine Schulden zu bezahlen, die Bücher und was sonst geblieben, als Andenken, zugleich aber als eine schreckliche Lehre zu betrachten, wohin ein edler Mensch durch Spiel gerathen könne.

Der traurige Vorgang hatte auch auf den jungen Offizier einen bleibenden tiefen Eindruck gemacht. Er versprach nicht allein dem alten Herrn Umkehr von allem Leichtsinn, sondern er hielt auch Wort, und einige Monate später empfing Burgau die Versicherung, daß ein ernsteres Streben in seinem Neffen erwacht sei, durch dessen Entschluß, sich in die Kriegsschule aufnehmen zu lassen.

Aber der Herbst und der Winter vergingen Burgau traurig in seiner Einsamkeit. Er konnte seine Abenteuer nicht vergessen und die Gestalten nicht los werden, welche sich immer von Neuem aufdrangen. Vergebens hatte er Oskar'n angespornt, zu erforschen, wohin Wernher und Sophie sich begeben, und in jedem seiner Briefe gefragt, ob sie noch nicht zurückgekehrt seien. Die beständige Antwort war, daß das Gartenhaus öde und der alte Gärtner der einzige Mensch sei, der es bewohne. Da verlor der alte Herr den Muth, je wieder etwas von seinem wunderlichen Freunde und dessen schöner Tochter zu hören, und als der Frühling kam, dachte er weniger an ihn und kehrte zu seinen früheren Freuden und Lebensgewohnheiten zurück.

Eines Tages aber begab es sich, daß inmitten einer kleinen Gesellschaft, die in Burgau's Hause versammelt war, plötzlich der Postbote eintrat und einen Brief brachte, dessen Aufschrift ein freudiges Gefühl im Herzen des alten Herrn hervorrief.

Von Georg Wernher! rief er, und Alle horchten auf, denn Burgau hatte ihnen einen guten Theil von dem, was er erlebt, nicht verschwiegen.

Als er den Brief mit Hast aufriß, hingen daher die Blicke der Gesellschaft an dem Papiere, und als eine Karte heraus fiel, griffen zehn Hände danach und fingen sie auf.

Was steht darauf? fragte der alte Herr. – Der Gefragte las:

 

»Als Neuvermählte empfehlen sich
Sophie Selbitz und Hermann Selbitz.«

 

Und hier im Briefe, nehmt und les't es, sagte der alte Herr, sich an dem Stuhle festhaltend.

»Mein alter Dietrich, komm zu uns nach Schlesien und sei ein Zeuge meines Glückes und deß meiner Kinder. Hermann, von mir noch am Abende jenes Tages, den du kennst, aufgesucht, hat uns hierher begleitet. Er mußte fort aus jenem Kreise; er mußte todt sein für seine bisherige Welt, darum haben wir auch den Nachrichten über seinen Tod nicht widersprochen und werden es nie thun. Aber er lebt in Sophiens Armen, er ist glücklich, wir alle sind es, und ich glaube fast, wir haben uns gegenseitig gebessert. Du wirst mit uns zufrieden sein; komm und laß uns nicht warten.«

Ich komme! rief Burgau in freudiger Begeisterung; morgen reise ich, aber heute laßt das glückliche Paar hoch leben, so lange eine Flasche im Keller ist!

Und am anderen Morgen fuhr der alte Herr gen Schlesien, in die grünen Berge, wo treue, glückliche Freunde ihn erwarteten.

 


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