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Der Majoratsherr.


1.

Im Circus war eine glänzende Vorstellung, in welcher alle Berühmtheiten des Herrn Franconi, bald als Schäferinnen, bald als Römerinnen, auf sattellosen Rennern der Wüste oder auf prächtig gezäumten und geschmückten Rossen die Arena durchkreuzten. – Die schlanken Künstlerinnen Corali Ducos, Pauline Cuzent und Mademoiselle Mathilde hatten zahllose Beweise stürmischen Beifalls erhalten; denn Logen und Sperrsitze waren gefüllt mit der Crème der jungen und alten Cavaliere der Gesellschaft. In den Logen saßen viele Damen, welche zu den ersten Kreisen gehörten, die Sperrsitze waren von Officieren der Gardereiterei und deren Freunden in Besitz genommen. Goldblitzende reiche Uniformen, junge schöne und übermüthige Männer, voller Lebensmuth und Lust zu Abenteuern, bildeten einen dichten Phalanx Das aus dem Griechischen stammende Wort hat grammatisch dort das weibliche Geschlecht, wie es heute auch im Deutschen verwendet wird. Das Grimm'sche Wörterbuch verzeichnet das Wort in den 1820er Jahren jedoch als grammatisch männlich, und so wurde es im 18./19. Jh. gebraucht., der seine Aufmerksamkeit und seine Huldigungen zwischen den edlen Damen und den berühmten Amazonen theilte, welche die Lind, die Grisi, die Taglioni und die Rachel des Circus darstellen und von manchen dieser jungen ritterlichen Herren, jede für sich, höher geschätzt werden mochten, als alle Kunst und Künstlerschaft zusammengenommen.

Jetzt war eine Pause eingetreten, welche von einem Theil der Cavaliere benutzt wurde, um in den innersten und heiligsten Räumen einen Besuch abzustatten. Ein minder begünstigter Theil wandte seine Aufmerksamkeit ungetheilt den Logen zu oder versuchte die Genüsse der Conditorei. Ganz vorn am Rande der letzten Bank war ein Herr stehen gebeten, der ein Ordensband um den Hals und einen Stern auf der Brust trug. Er hatte den Fuß auf die Balustrade gesetzt und sprach mit einem der Stallmeister, der sehr ehrfurchtsvoll und unterthänig sich bei jeder Antwort verbeugte. Der Herr hatte, trotz aller dieser Merkzeichen seines Ranges, aber weder ein vornehm feines, noch aristokratisch stolzes Gesicht. Seine Züge waren ziemlich aus dem Groben geschnitten. Ein Mund mit breiten Lippen, eine etwas gedrückte Nase, graue Augen, die beweglich und berechnend aussahen, eine gut gewölbte Stirn, durch welche querüber eine starke Falte lief, und braun-röthliches Haar, das zu ergrauen begann, ließen sich beim ersten Anblick bemerken. Ein dünner Backenbart lief dem Herrn bis ans Kinn, und mehr ergraut als das Haupthaar, faßte er auf eine sonderbare Weise das Gesicht ein.

In dem Augenblicke, wo der Stallmeister mit einer letzten tiefen Verbeugung die Abschiedsworte des besternten Herrn erwiderte, wandte sich dieser mit einer entlassenden Handbewegung zu den Logen um und rief zu einer derselben, in welcher zwei Damen saßen, ein paar Worte hinauf, die eine gewisse Aufregung unter den Umstehenden bewirkten.

Die eine der Damen nickte lächelnd, indem sie mit ihrem Fächer eine dankende oder grüßende Bewegung machte; dann sprach sie lebhaft zu ihrer Begleiterin, deren sanftes Gesicht sich zu ihr neigte.

Sie haben den prächtigen Schimmel gekauft, Excellenz? fragte ein junger Officier.

Boucher soll ihn mir morgen vorführen, war die gleichgültige Antwort. Meine Frau wird ihn versuchen, und wenn er ihr zusagt, wird sie ihn behalten.

Er ist famos dressirt, sagte der Officier, dabei ganz reines Blut. Jede Bewegung ist edel, tausend Thaler sind nicht zu viel.

Der Herr lächelte mehrmals und machte ein beistimmendes Zeichen. Gleich darauf klemmte er die Augen zusammen, als wollte er schärfer sehen, und nahm dann sein großes Doppelglas in Schildpatt, um zwei Herren zu betrachten, welche so eben in eine kleine Seitenloge traten, die noch leer war. Nach einem augenblicklichen Beschauen ließ er das Glas sinken, und über sein Gesicht zog, schnell verfliegend, ein hoher Grad von Verwunderung, dem ein Zucken seiner Lippen folgte, als sei, was er erkenne, ihm nicht besonders angenehm. Er machte eine Bewegung, als wolle er sich abwenden; als aber einer der Herren ihn starr anblickte und sich leicht verbeugte, erwiderte er den Gruß und stieg dann über die Bänke fort, bis an den Logenrand, wo er die Hand ausstreckte und mit der größten Freundlichkeit zu sprechen begann.

Sieh da, mein lieber Aurel, ich bin entzückt, Sie unverhofft hier zu finden! rief er so laut, daß es Aufmerksamkeit erregte. Ich nahm mein Glas, war aber doch zweifelhaft, weil Ihre Tante mir vor kaum drei oder vier Wochen erzählte, daß Sie in Kairo oder Syrien, Arabien oder Palästina, ich weiß nicht, wo, Straußenritte und Löwenjagden hielten und mit einem englischen Freunde einige kleine Abstecher nach Tibet oder Nepaul, oder zu den Afghanen und Caschmir-Fabricanten am Indus machen wollten, um alle unsere Damen mit neuen Shawls zu beglücken.

Eine gewisse spöttische Lustigkeit, oder Bosheit, glänzte in den grauen Augen des Herrn, die er über den Fremden hin und her gleiten und auf dessen Nachbar abirren ließ, welcher ohne ein Zeichen von Theilnahme sich auf dem Sessel ausgestreckt hatte, die Füße kreuzte, den Kopf mit dem Hut in den Nacken reckte und den Rococo-Kronleuchter aufmerksam zu betrachten schien, der den Circus mit hundert Gasflammen beleuchtete.

Der junge Mann antwortete inzwischen mit höflicher Kälte:

Meine Tante hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Mein letzter Brief war wirklich aus dem Kloster am Sinai; aber er ist vor neun oder zehn Monaten geschrieben worden. Seit jener Zeit bin ich mit meinem Freunde am Indus gewesen; doch habe ich keinen Shawl mitgebracht, da die Göttinnen, denen meine Huldigungen sonst geweiht waren, mich ohne Zweifel längst gänzlich vergessen haben.

Es wäre kein Wunder, theurer Aurel! rief der Herr lachend. Damen vergessen geschwind, und wie lange sind Sie fort?

Beinahe vier Jahre.

Es ist mit vier Monaten meist schon zu viel. Doch ich will nicht ungerecht sein. Meine Frau sprach noch vor einigen Tagen von Ihnen. – Da ist sie, dort in der Loge. Ich will Sie hinführen, oder gehen Sie zu ihr. – Aber da kommen die Pferde, man wird gleich anfangen.

Es scheint in der That das Beste, wenn ich heut am Schlusse mich einen Augenblick vorstelle.

Gut. Wollen Sie mit uns speisen, Aurel?

Ich bin nicht allein, erwiderte der junge Mann, sich verbeugend und mit einem Seitenblick auf seinen Gefährten, der immer noch in den Kronleuchter sah.

Ah so! sagte der ältere Herr hinübersehend. Ihr Freund, wie ich denke, und dem Anschein nach ein Reisebegleiter?

Der mit unserer Sprache ziemlich unbekannt ist, antwortete Aurel. Ein Engländer, Herr Rodney.

Von Familie?

Sein Bruder ist der Earl von Portland.

Die Musik hatte inzwischen begonnen; das Gespräch, leiser geführt, mußte abgebrochen werden, die Zuschauer suchten ihre Plätze.

Adieu! rief der Herr. Kommen Sie morgen Vormittags zu uns und laden Sie Ihren Freund zur Begleitung ein. Ich habe so eben für Leonor einen persischen Schimmel gekauft. Wenn Sie keine Shawls aus dem Reiche des Schahs mitbrachten, so haben Sie vielleicht besser an edle Rosse aus Korasan gedacht. – Nicht? Nun, kommen Sie jedenfalls, wir wollen Sie erwarten.

Er entfernte sich und stieg über die Bänke fort, während der junge Mann seinen Platz wieder einnahm und einige Augenblicke die beiden Damen in der entfernten Loge betrachtete, welche im Gespräch mit den Umstehenden so saßen, daß sie weder seine Unterredung gesehen hatten, noch genau gesehen werden konnten.

Die Vorstellung begann von Neuem; aber Aurel nahm wenig Theil an den luftigen und halsbrechenden Sprüngen und Scenen der berühmten Reiter und den Schärpentänzen der Künstlerinnen. Seine Augen flogen unruhig umher und wandten sich immer wieder jener Loge zu, die er so lange beobachtete, bis sein gleichgültiger Gefährte sich endlich zu ihm hinbeugte und in ziemlich gutem Deutsch sagte:

Was haben Sie denn vor, dear Count? Sie scheinen in einem gelinden Fieber zu sein.

Ich möchte mich überzeugen, ob Vergangenheit und Gegenwart wirklich verschiedene Zeiten sind, erwiderte Aurel lächelnd.

Und Sie denken dabei noch mehr an eine vermittelnde Zukunft, welche beide in sich aufnimmt, sagte Rodney.

Vielleicht haben Sie Recht. – Sehen Sie die Dame dort im weißen Hut?

So viel man von ihr sehen kann, ja. – Ist sie schön?

Ich glaube, Sie werden es finden. – Sie haben den Herrn bemerkt, mit dem ich sprach.

Sie haben ihm gesagt, ich verstehe kein Deutsch.

Warum?

Ich wußte nicht, wie ich mich seiner Einladung schnell entledigen sollte.

Und deßwegen machten Sie mich stumm, lächelte Eduard Rodney. Aber wenn das seine Frau ist, und wenn sie schön ist, warum, zum Henker! gingen Sie nicht und ließen mich ruhig sitzen, statt jetzt, wie ein Derwisch, rechts und links sich neben mir umzuwenden und mir alle Behaglichkeit für diese edlen Reitkünste zu rauben? – Wollen Sie jetzt still sitzen?

Ich denke, nein, sagte Aurel.

So thäten Sie wahrlich besser, dem graubärtigen Gentleman zu folgen, der, wie ich sehe so eben mit den Damen spricht.

Er wird ihnen erzählen, daß er mich aufgefunden hat, und seinen Ärger mit einigen faden Späßen versüßen.

Ärgert er sich über Sie? fragte Sir Eduard.

Zu meinem Troste glaube ich es.

Sie sind ihm gefährlich gewesen, will ich annehmen.

Ich denke es noch zu sein.

Und dabei ladet er Sie ein?

Weil er weiß, wie gern ich komme. Ich hoffe das Ende dieses Spectakels, der mir Ohrenschmerzen macht, nicht abzuwarten, um wenigstens heut jeder weitere Begegnung zu vermeiden.

Die Damen sehen sich um, sagte Rodney. Bei Gott! sie ist schön. Blicken Sie auf, ihre Augen suchen Sie.

Aurel klatschte der Tochter des Banditen Beifall, die eben vom Pferde gefallen war, dann wandte er sich zu Rodney und flüsterte ihm zu: Ich mag nicht hinsehen, ich kenne diese Schönheit aus nächster Nähe.

Und der Graubart, ihr Mann – wer ist er?

Mein naher Vetter. Er heißt wie ich, Derschau, ist Graf, Standesherr und Wirklicher Geheimerrath.

Er sieht wie ein Mönchsaffe aus. Wie kann der Narr eine so schöne Frau haben?

Beneidenswerthe Narrheit! Aber wie kann die schöne Frau einen solchen Mann nehmen?

Höchst erklärlich und alltäglich, erwiderte Rodney. Die schönsten Frauen nehmen oft die häßlichsten Männer. Dieser ist Graf und ohne Zweifel reich.

Der Reichste mit im Lande.

Dann ist es sehr verzeihlich, sagte Sir Eduard kaltblütig. Ich hätte ihn wahrscheinlich auch genommen.

Damit er Sie nicht nimmt, theurer Freund, wenigstens für heute Abend uns nicht noch beide festhält und in seine Höhle schleppt, um uns jammervoll langsam zum Tode zu peinigen, lassen Sie uns die Flucht ergreifen. Ich lese eine geheime Tücke in seinen raubgierigen Augen, ein Attentat auf Ihre Ruhe, bester Rodney; er bringt Sie um mit Fragen und Witzen.

Ich spreche kein Wort Deutsch, fiel Eduard Rodney sehr ruhig ein. Nix German!

Aber er radebrecht ein verzweifeltes Englisch, bei dem Sie Gesichter schneiden müssen, wie ein Gehängter.

Rodney ergriff seinen Hut, und ohne ein Wort zu sagen, ging er hinaus, mitten in einem Wirbel der betäubenden Musik. Eilig folgte ihm sein Freund nach.

Die Equipage des Hotels, in welchem sie Wohnung genommen hatten, und mit deren Hülfe sie hieher gekommen waren, wartete draußen, da die beiden Reisenden nur kurze Zeit im Circus verweilen wollten. – Der Kutscher sprach mit einem Manne, welcher sogleich bescheiden sich entfernte, als sein Bekannter gerufen wurde, aber Graf Aurel blieb stehen und wandte sich nach ihm um.

Bist Du es, Franz? fragte er. Ja, wahrlich, Franz Willner, mein ehrlicher, guter Franz! Ich freue mich, Dir so unverhofft, gleich in den ersten Stunden meiner Rückkehr, zu begegnen. Wie geht es Dir?

Der junge Mann, welcher also angeredet wurde, hob sein offenes Gesicht ganz belebt vor Freude zu dem vornehmen Herrn auf und starrte ihn eine Minute lang sprachlos an. Mit der einen Hand hielt er seinen Hut, die andere schüttelte der Graf, bis er aus seiner Überraschung sich erholt hatte. –

Es geht mir gut, erwiderte er dann, aber Sie, Herr Graf? – Die Freude ist mir ins Herz gefahren – Oho! Ihnen geht es gleichfalls gut. Sie sehen frisch und wohl aus, besser als damals, wo ich Sie zuletzt sah.

Ich will Dich aufsuchen. Wo wohnst Du, fragte Aurel.

Franz nannte die Straße und das Haus.

Mein Schild steht an der Thür, sagte er mit einigem Nachdruck: Franz Willner, Schlossermeister.

Also ansässig! rief der Graf. Das höre ich gern von Dir.

Seit einem halben Jahre, und Ostern denke ich zu heirathen.

Der Kutscher knallte scharf über seine unruhigen Pferde fort, und Rodney, der schon im Wagen saß, rief in englischer Sprache hinaus:

Sie sind im Stande, mich hier erfrieren zu lassen, um genau zu wissen, ob die Hochzeit des albernen Burschen am Sonntag oder Montag sein soll.

Ich komme jedenfalls und wohl morgen schon, sagte Aurel. Gehab' Dich wohl, Franz. Hast Du einen Platz im Circus?

Bei meiner Braut, Herr Graf.

So laß sie nicht allein, weil's immer gefährlich ist, Bräute allein zu lassen, fuhr der junge Herr lachend fort, indem er in den Wagen stieg, der sogleich sich in Bewegung setzte.

Was seid ihr Deutschen für ein sonderbares Volk! sagte Rodney. Zu Haus, wie auf der Reise, findet sich an jeder Ecke irgend ein Ding, bei dem ihr stillstehen, es betrachten, begrüßen und, wenn es irgend angeht, mit ihm reden müßt. Ist es kein Fürst, Graf oder Freund, so ist es der Freund eines Kutschers, und wenn von Heirathen gesprochen wird, so verwandelt sich jeder Schlossermeister in den leibhaftigen Sohn der cyprischen Göttin.

Dieser da, erwiderte Aurel lachend, hat in seinem trockenen, mageren Gesichte zwar sehr wenige Ähnlichkeit mit dem verführerischen Schirmherrn der Liebe, aber es ist ein wackerer Gesell, der mich gut kennt, und obenein mein Milchbruder.

Was ist das für ein Dornenstück deutschen Lebens? fragte Rodney gähnend.

Der Sohn meiner Amme, der seiner Mutter Milch entbehren mußte, damit ich das genösse, was naturgemäß ihm bestimmt war.

Und für diesen Raub sind Sie ihm Dankbarkeit schuldig?

Ach, er ist glücklicher als ich! sagte Graf Aurel. Er braucht mich nicht. Er hat gelernt, was ihn nährt; sagt mit Stolz, daß es ihm wohl gehe. Er hat ein Herz, das ihn liebt, und eine Hütte, die seinen Frieden einschließt.

Und Ostern heirathet er, der deutsche Pinsel! rief Rodney, während er ausstieg, denn der Wagen hielt vor dem Hotel.


2.

Am nächsten Morgen war der Geheimerath Graf Bodo Derschau, wie gewöhnlich, schon sehr früh in seinem Arbeitszimmer beschäftigt. Er war ein ungemein thätiger Geschäftsmann, der, wie ein geborener Selbstherrscher, sein Reich regierte, seine großen Güter, Ämter und Capitalien in guter Ordnung hielt, dabei im Staatsrathe saß, provincielle Angelegenheiten verwaltete, auf Kreis- und Landtagen erschien und, als Standesherr, geborener Reichsrath war. –

Ein einziger Secretär bildete seine ganze Hülfe; aber dieser bewährte Diener war von derselben Construction wie sein Herr, und paßte zu ihm, wie ein Ergänzungswinkel zum rechten. Mit einem Winkel hatte er auch die größte Ähnlichkeit; denn sein Oberleib bildete aus Gewohnheit immer eine etwas schiefe Linie, dabei war er so platt, dünn und lang, wie aus zwei Strichen zusammengesetzt; und seltsamer Weise ging die Weisheit der Vorsehung selbst darauf ein, indem sie ihm den Namen Winkel zugetheilt hatte.

Der Secretär Winkel kannte alle Angelegenheiten seines Herrn aufs genaueste. Er war eingeweiht in jede Affaire des Grafen, schrieb eine ausgezeichnete Hand, rechnete mit wunderbarer Sicherheit und Geschwindigkeit, führte die Bücher mit äußerster Genauigkeit, war rechtskundig und welterfahren, besorgte den schriftlichen Verkehr im weitesten Umfange und hatte in allen geschäftlichen Dingen ein zuverlässiges Urtheil. Er war daher bei dem Grafen, was man die rechte Hand nennt. Es geschah nichts ohne Winkel. Unermüdlich fleißig, war er immer auf dem Platze, bei Tag und Nacht zu Sr. Excellenz Befehl, und immer in derselben schiefen, gebückten Stellung, immer mit derselben unterthänigen Ernsthaftigkeit, immer mit dem klugen, durchdringenden Blicke ausgerüstet, der an der Lippenbewegung des Herrn hing und beim ersten Worte wußte, was jener wollte.

Der Secretär Winkel war seit dreißig Jahren im Dienste des Grafen und so alt wie dieser, also dicht an seinem fünfzigsten Geburtstage; aber er hatte sich niemals verändert und sah genau noch eben so aus, wie damals, als er Schreiber, Kammerdiener, Commissionär und geheimer Rath des jungen Grafen wurde. – In dieser Stellung hatte er viel erfahren, was die Welt nicht wissen durfte; alle Aventuren seines Herrn waren durch seine Hände gegangen, und dessen Leben lag vor ihm wie ein Buch, an welchem er schreiben geholfen und allerlei Ohren und Kniffe in die Blätter gemacht hatte. – Der Diener war der innigste Vertraute seines Herrn und verdiente, es zu sein; denn selten waren zwei Charaktere in allen ihren Neigungen, Fehlern und Leidenschaften ähnlicher und stimmten, in allen Richtungen sich ausgleichend, so gut überein.

Graf Bodo's vorherrschender Zug war Liebe zum Besitz und zum Gelde. Er war, trotz seines Reichthums und des äußeren Prunkes, welchen Stand und Name ihm auflegten, ein Mann, der keinen Groschen zu viel ausgab und aufs genaueste handelte, wo er bezahlen sollte. Mit derselben Gewissenhaftigkeit, wie er in seinem Haushalte verfuhr, um Alles aufs billigste einzurichten und dennoch ein glänzendes Äußeres der Welt zu zeigen, verfuhr er auch gegen seine Pächter, Schuldner, Diener, und wer irgend mit ihm in Geschäften stand. – Der Geheimerath Graf Derschau hätte verdient, an der Spitze eines großen Handelshauses zu stehen, das er berühmt gemacht haben würde.

Er war ein scharfsinniger, klar blickender Speculant, der einen bewundernswürdigen Calcul über Gelingen oder Mißlingen einer Unternehmung aufstellen konnte und einen guten Theil jedes Tages damit zubrachte, zu rechnen und zu combiniren, Pläne auszusinnen, wie sein Geld sich mehre und wie er Vortheile erzielen könne. Alle diese Gedanken schüttete er in den Busen des getreuen Genossen Winkel aus, der immer noch daran zu bessern und auszubilden wußte.

Graf Derschau besaß große Galmei- und Eisengruben, er trieb einen mächtigen Holzhandel in seinen Wäldern, er hatte Fabriken der verschiedensten Art auf seinen Gütern; doch für alle diese weitläufigen Geschäfte wußte er sich Compagnons zu suchen, die bedeutende Geldeinlagen machen konnten und die Ausführung der technischen Einrichtungen, wie auch Betrieb und Verwaltung übernahmen, auf jeden Fall hin aber ihm contractlich bedeutende Renten, als Minimum, zugesichert hatten.

Mit seinem getreuen Seretär bildete er die Ober-Rechenkammer, und mit dem Eifer eines Spürhundes verfolgte Winkel jeden Tag, von früh bis spät, Jahr ein, Jahr aus, jedes Zeichen eines Fehlers, einer Nachlässigkeit oder eines Unterschleifs in den Haufen der verschiedenartigsten Rechnungen, Nachweise oder Belege. Jede Zahlung mußte aufs pünctlichste einlaufen, oder Winkel war bei der Hand mit einem anmahnenden Schreiben; jede Pacht- und Contract-Bedingung, wäre sie auch noch so gering gewesen, mußte aufs genaueste erfüllt werden; denn Winkel, der Alles wußte und Alles beobachtete, stand, als Cherub, mit dem Schwerte des Gesetzes da und kannte weder Schonung noch Nachsicht.

Ein so trefflicher Hüter und Bewahrer seines Gutes mußte dem Grafen werth und theuer sein, und wirklich war er ihm aufrichtig zugethan, so weit dies überhaupt möglich war. Herr Heinrich Winkel wurde von seinem Gebieter mit zahllosen Zeichen der Zuneigung beehrt, wie denn der Geheimerath überhaupt ein ungewöhnlich spaßhaft und wohlgelaunter Herr war, der mit einer gewissen offenen Herzlichkeit sich herabließ, selbst mit den Ärmsten und Letzten zu scherzen; allein wenn Graf Bodo seinem Vertrauten auch Alles im reichsten Maße bewilligte, so empfing dieser doch Eines eben so knapp, wie jeder Andere, nämlich Geld, weil es dem Grafen angeboren war, Geld, so viel als irgend möglich, für sich allein zu behalten.

Trotz dessen war der Secretär aber ein wohlhabender Mann, dem man sogar bedeutende Reichthümer nachsagte. – Er war unverheirathet, wohnte im Hause des Grafen, begleitete diesen überall hin, bekam, was er brauchte, aus der gräflichen Küche und hatte somit für nichts zu sorgen. Sein geringes baares Gehalt, das niemals, so lange er sich im Dienste des Grafen befand, erhöht worden war, hätte nun allerdings wohl schwerlich ihn reich machen können; aber der Secretär hatte der Mittel und Wege genug, um seine Stelle einträglich zu machen. In seinen Händen lag die Abschließung, Verlängerung und Erneuerung aller Contracte und Geschäfte; jedes Gesuch an den Grafen kam zunächst an ihn und bedurfte seines Vortrages und Fürwortes; von seiner Darstellung und seinem Einflusse hing sehr häufig Gewährung oder Verweigerung ab.

Es war daher nicht zu verwundern, daß dem Gerüchte nach, höchst bedeutende Summen in die stets offene Tasche des dienstfertigen Winkel geflossen sein sollten, und offenbar wußte und billigte sein Gebieter diese Ährenlese. Denn manche Geschäftsmänner, welche diesen Tribut zu vermeiden wünschten, den Secretär bei Seite schoben und direct mit dem Grafen verhandeln wollten, fanden zu ihrem Erstaunen, daß dieser es ganz eben so machte, wie einst König Jakob von England mit seinem Premier-Minister Sunderland, d. h. er ließ sich auf nichts ein, sondern fragte nur, ob sie schon mit seinem Secretär in Richtigkeit wären, was jedes Mal denn auch die Verständigung zur Folge hatte.

Wenn es Verleumdung war, daß, wie in England, König und Minister die als Bestechung ausgepreßte Summe theilten, so war wenigstens das gewiß, daß der Geheimerath Vergnügen daran empfand, seinen Günstling auf anderer Leute Kosten reich zu machen, und daß, je reicher Winkel wurde, desto geiziger, boshafter und habgieriger er sich erwies, und wiederum: je weiter sich diese edlen Eigenschaften entwickelten, desto mehr der Graf ihn zu lieben und zu achten schien.

An dem Morgen nun, wo Graf Bodo in seinem Arbeitszimmer so eifrig beschäftigt war, befand sich auch der Secretär an seinem Platze, neben seinem Herrn, und legte diesem eine Reihe Briefe zur Unterschrift und eine große Zahl abgeschlossener Rechnungen und Rechnungsauszüge vor, welche er mit Erläuterungen begleitete. –

Der Graf trug einen bequemen türkischen Schlafrock, auf dem Kopfe ein rothes gesticktes Käppchen, ein Shawl war nachlässig um seinen muskelvollen, gewaltigen Hals geschleift. Der Secretär stand dagegen eng eingeknöpft, wie immer, in seinem hechtgrauen Röckchen mit niedrigem Kragen, gebückt und jedes Winkes gewärtig. Sein schmaler, dreieckiger Kopf saß auf dem langen Halse, wie ein Flaschenkürbiß, der auf einen Stock gesteckt wurde. Das blondbraune, etwas dünne Haar war, außerordentlich glatt gestrichen, lang über den Scheitel gelegt, und aus den kurzen Rockärmeln streckten sich die dürren Arme und Finger mit wunderbarer Gelenkigkeit, wie Spinnenbeine, über die Papierblätter aus.

Das macht sich ja sehr gut, Winkel! sagte der Graf beifällig nickend, indem er ein Papier durchsah. Die Zahlungen sollen geleistet werden, in drei Monaten Geld und bis dahin acceptirte Wechsel; dann für das nächste Jahr tausend Thaler mehr. Ich denke, wir können dies annehmen.

Es wäre wohl möglich, erwiderte der Secretär, daß mit einiger Verzögerung und einigen Einwänden noch immer einige Hundert Thaler mehr heraus gepreßt werden könnten. Der Pachter Gersfeld schwört zwar, er sei halb ruinirt durch die schlechten Jahre und bezahle zu hoch; er muß sich aber doch fügen und wird sich fügen, wie er sich schon der höheren Forderung gefügt hat.

Warum muß er sich fügen? fragte der Graf lachend. Hat er dich noch nicht genügend befriedigt, Winkel, daß du so streng mit ihm bist?

Erstens, sagte der Secretär unerschütterlich, hat er zu viel in das Gut gesteckt. Er kann nicht gehen, ohne sein ganzes Vermögen da zu lassen. Zweitens weiß er, daß, wenn er geht, Ew. Excellenz die tausend Thaler mehr von Jedem bekommen; drittens aber rechnet er darauf, daß es ihm künftig besser gehen werde.

Die Menschen rechnen immer auf bessere Zeiten, Winkel, und das ist eine der schönsten Einrichtungen Gottes. Wenn sie nicht glaubten und nicht hofften, würden sie nicht zu regieren sein, und es würde übel aussehen in der Welt.

Dieser Gersfeld hat noch ganz besondere Hoffnungen, fuhr der Secretär fort.

Es muß immer eine Anzahl Narren geben, die etwas Besonderes für sich haben wollen, sagte der spaßhafte Graf.

Wegen des jungen Herrn Grafen Aurel, sprach Winkel gleichgültig weiter, indem er die Papiere ordnete.

Was ist mit dem jungen Grafen Aurel? rief der Reichsrath, Hand und Feder auf den Tisch legend.

Der gnädige Herr war eine Art Jugendfreund von dem Menschen, dem Pachter Gersfeld, sagte der Secretär. Der junge Herr Graf haben ihm auch vor sechs Jahren, durch sein gnädiges Fürwort bei Ew. Excellenz, die Pachtung unter den billigen Bedingungen verschafft; es ist somit kein Wunder, wenn er meint, daß künftig einmal – wie solche Leute denken, Excellenz, sie glauben …

Hier warf Winkel einen schwermüthig betrachtenden Blick auf seinen Gebieter, indem er zugleich den Kopf schüttelte und seinem langen Gesicht den Ausdruck strengen Ernstes gab.

Sie glauben, Winkel – was glauben sie? lachte der Geheimerath, indem er einen der Knöpfe am hechtgrauen Rocke seines Vertrauten festhielt. – Sie glauben, der junge Graf Aurel wird einmal Majoratsherr werden, und dann wird die goldene Zeit kommen? Das ist der Glaube, den alle Völker von den Kronprinzen haben, Winkel. Ein sehr schöner Glaube – aber was kann da nicht alles geschehen, um die Freude zu Wasser zu machen! – Sage aufrichtig, Winkel, giebt es Menschen, die sich auf meinen Tod freuen?

Gnädigster Herr, erwiderte der Secretär, Sie pflegen häufig selbst zu sagen, die Menschen seien ein nichtswürdiges Gesindel; wie sollte sich nun nicht unter diesem eine gute Zahl elender Subjecte finden, die sich über jedes Unglück freuen und selbst den Tod Ew. Excellenz mit Freuden vernehmen, obenein, da es einen giebt …

Hier zuckte Winkel die Schultern so hoch zusammen, daß sie über seinem langen Halse sich an die Kopfseiten preßten.

Der Geheimerath sah still vor sich hin und sagte dann halb mit sich selbst sprechend: Er ist gestern zurückgekehrt.

Es ist bedauernswürdig! flüsterte Winkel, einen hohlen Seufzer ausstoßend.

Was? Wer! rief sein Gebieter heftig.

Wenn es so kommen sollte! fuhr der Secretär fort. – Er würde alles zerstören, umwälzen, vernichten, was sorgenvolle Arbeit und rastloser Fleiß geschaffen haben.

Es ist noch nicht so weit, Winkel, sagte der Graf spöttisch, dein Weizen wird noch lange blühen. Ich habe nicht die geringste Lust, ihm Platz zu machen, und wenn er auch fast noch einmal so jung ist, wie ich, so sieh mich an. Siehst du eine Falte? Siehst du, daß ich alt werde? Wer weiß, wer zuerst fort muß von uns! und dann …

Er schlug die grauen scharfen Augen zu dem Secretär auf, der auf der Stelle wußte, was sein Herr meinte.

Excellenz sind ja auch jetzt erst seit vier Jahren vermählt, fiel er ein, und wenn der Himmel Ihnen einen Erben gibt, so ist es zugleich sein höchster Wille, daß der Herr Graf Aurel nicht Majoratsherr wird.

Und alle die Hallunken, die sich auf meinen Tod freuen, sind gepritscht, lachte der Reichsrath.

Aller Zwiespalt, aller Kummer hört auf, sagte Winkel. Wollte der Himmel, daß wir recht bald diesen gesegneten Tag erlebten!

Ich sah ihn gestern im Circus ganz unverhofft, Winkel, sprach der Geheimerath leiser, und will dir gestehen, daß ich lieber eine Klapperschlange gesehen hätte. Was will er hier? Warum kommt er zurück? Was hat das zu bedeuten?

Es wäre in jeder Beziehung eine Gnade Gottes, wenn Ew. Excellenz einen Erben besäßen, sagte der Vertraute noch einmal; nicht allein, daß die reichen Güter der erlauchten Linie erhalten blieben, wir wären damit auch über den Umstand fort, jährlich die bedeutende Summe von dreitausend Thalern zahlen zu müssen, welche in Folge der Familienpacte der Majorats-Inhaber seinem legitimirten Erben zu zahlen hat, sobald dieser das zwanzigste Jahr erreicht.

Du meinst also, er sei gekommen, um das Geld zu holen? fragte Graf Bodo.

Es geht stark in das zweite Jahr, daß er nichts eingefordert hat, antwortete Winkel.

So werden wir ihn vielleicht rasch los, wenn wir ihn befriedigen.

Der Secretär zuckte wieder in seiner Weise die Schultern.

Der gnädige Herr Graf hat sich gestern Abend dahin ausgesprochen, daß er vor der Hand das Reisen aufgegeben habe.

Woher weißt du das? fragte der Geheimerath.

Ich weiß es von einem Freunde. Der Herr Graf ist gestern, als er aus dem Circus kam, noch sehr lange mit dem englischen Herrn beisammen gewesen, der in seiner Gesellschaft ist. Sie haben beide bis Mitternacht Wein getrunken, geraucht und sehr viel gesprochen, was leider Niemand verstanden hat, da es theils leise, theils in einer fremden Sprache, vermuthlich in der englischen, geschah.

Winkel, sagte der Geheimerath verwundert, sonderbarer Weise weißt du mehr von ihm, als ich!

So viel ist gewiß, versetzte der Secretär, daß in dem Gespräche mit dem Engländer von allerlei alten Geschichten die Rede war. Der Name Leonor wurde oft genannt, eben so Ihr Name, mein gnädigster Herr, und einmal rief der junge Herr Graf in deutscher Sprache: So bin ich um meine Braut gekommen, von der ich aufs zärtlichste geliebt zu sein glaubte. Er war reich, ich arm, aber Sie haben Recht, der Eine ist so viel werth wie die Andere. Ich bin auf eine schaamlose Weise betrogen worden. Diese Menschen sind zu Allem fähig. Es thut noth, ihnen scharf auf die Finger zu sehen.

Wer hat das gehört? fragte der Geheimerath. Du selbst?

Ich selbst, gnädiger Herr. Ich war gestern auch im Circus, sah den Herrn Grafen und hielt es für meine Pflicht, mich näher zu erkundigen.

Du bist ein Schatz! sagte der Graf nach einem augenblicklichen Schweigen. Du folgtest ihm nach?

In den römischen Hof, wo sie bis jetzt wohnen, und da ich dort bekannt bin, so gelangte ich in ein Zimmer neben dem, welches der Herr Graf inne hat.

Hast du weiter etwas gehört? fragte Graf Bodo.

Leider verstehe ich kein Englisch, sagte Winkel seufzend. Aber haben Sie die Herren heute eingeladen?

Der Graf nickte. –

So ist es richtig, fuhr der Secretär fort. Sie lachten darüber. Er erlaubte sich eine Bemerkung, die jedoch jedenfalls auf etwas Anderes Bezug haben muß.

Welche Bemerkung?

Er sagte – doch Sie ärgern Sich nur, Excellenz.

Ich ärgere mich nie, du alter Narr!

Er sagte: Bereiten Sie Sich auf ein miserables Frühstück, gesalzen durch eine Flut ungesalzener Plattheiten. Geizig und fühllos ist er immer gewesen, über das Ärgste wußte er zu spotten. Aber ich müßte mich sehr irren, oder der graue Sünder ist bald am Ende. Er hat sich sehr verändert, sein Körper sieht aufgedunsen, wassersüchtig aus. Was er zusammenscharrte, muß er dem überlassen, dem er es am wenigsten gönnt, und darin liegt eine Nemesis, die er kennt und der er doch nicht entgehen kann.

Der Geheimerath hatte sich in den Sessel zurückgelehnt, sein Gesicht färbte sich dunkler, er ballte die Hand mit der Feder zusammen, daß sie zitterte. Plötzlich aber lachte er laut auf. –

Und das, meinst du, hätte er von mir gesagt? rief er aus.

Ich behaupte nichts, Excellenz, der Himmel bewahre mich! erwiderte der gebückte Winkel. Er hat es gewiß von irgend einem Dritten gesagt; ich berichte nur, was ich vernommen habe.

Wer weiß, von wem die Rede war! sagte der Geheimerath. Wassersüchtig, aufgedunsen, grauer Sünder, Plattheiten! Du bist ein Narr, Winkel. – Ich habe ihn erziehen lassen, habe ihn unterstützt, auf Universität geschickt, große Kosten an ihn gewandt, und noch jetzt lebt und reis't er aus meiner Tasche; denn was seine Tante ihm gibt, ist unbedeutend. –

Er stützte den Kopf auf den Arm und sah einige Minuten lang vor sich hin, während der Secretär ihn mit Blicken betrachtete, aus denen ein geheimes Entzücken glänzte. Seine Augen nahmen jedoch sofort den Ausdruck der Demuth und der unterthänigsten Stille an, als der Geheimerath sich aufrichtete, die Feder nahm, die Briefe unterzeichnete, die Papiere durchlas und seine Geschäfte rasch und schweigend abmachte. Erst nach einer langen Zeit sagte er:

Was den Grafen Aurel, meinen Vetter, betrifft, Winkel, so fahre fort, ihn genau zu beobachten; ich hoffe es dir zu erleichtern. Ich will wissen, was er treibt, mit wem er umgeht, welche Absichten er hat, wie er sich äußert und was er von mir spricht und denkt. – Du bist zu klug, um weiterer Instruction zu bedürfen; doch wende Alles an, ihn auszuforschen. Im Übrigen ist es wahr, daß mein Vetter dein besonderer Freund nie sein mochte, so wenig, wie du ihm mit Zärtlichkeit anhingst. Sei also doppelt vorsichtig, und nun arbeite weiter und laß dich nicht stören.

Der Graf stand auf, der Secretär legte die Papiere zusammen.

Was aber den Pachter Gersfeld betrifft? fragte er.

Er soll fort! rief den Geheimerath von der Thür zurück. Da er so viel von dem jungen Herrn hofft und mein Ende so sehnsüchtig wünscht, so wollen wir ihm Zeit geben, es in aller Ruhe zu erwarten. Schreib ihm, die Rückstände müßten sofort beschafft werden; das Weitere würde sich dann finden. – Haben wir erst das Geld, sagte er lächelnd, so mag er sehen, wo er bleibt. Suche inzwischen immer nach einem sicheren Manne, und sorge für dich selbst. – Doch das brauche ich dir weiter nicht zu empfehlen.

Mit einem gnädigen Kopfnicken ging er hinaus, und Winkel verbeugte sich so tief, daß er ein rechter Winkel wurde. Dann setzte er sich und schrieb und rechnete drei Stunden lang, ohne aufzublicken, bis er ans Fenster des Zimmers lief, das auf den Hof des Hotels hinaus ging.

Da stand der Graf mit zwei Herren und besichtigte ein prachtvolles Roß, das ein Bereiter an der Leine hielt, und auf der Galerie stand die Gräfin, hinter dem Glasvorbau und den tropischen Pflanzen, die ihn schmückten, und lehnte den Arm auf die Schulter des Fräuleins Beate von Lebel, ihrer Gesellschafterin.

Winkel sah mit einem Blicke Alles. Er sah, wie die Damen aufmerksam hinunter blickten, wie sie sich seitwärts beugten, um nicht etwa das stolze Roß zu betrachten, sondern den beiden Herren ins Gesicht zu sehen, welche sich von ihnen abwandten. Er sah auch, wie der Geheimerath sich anstrengte, um ungemein rüstig, rasch und jugendlich zu sein; zu gleicher Zeit aber wurde die spottsüchtige Freude, welche er darüber empfand, zu einem grimmigen Hohn, der seine Augen zusammen zog und seinen langen, zähen Lippen ein Lächeln abzwang. Er sah gerade vor sich den Grafen Aurel und blickte in dessen blühende, jugendliche Züge mit dem Ausdruck des rachsüchtigsten Hasses.

Dieser Haß war alt. Aurel hatte ihn frühzeitig hervorgerufen durch unverhüllte Verachtung des Vertrauten seines Vetters. Aber Winkel hatte dem Geheimerath nicht alles gesagt, was er gestern gehört. Er hatte Aurel sagen hören, daß der elendeste aller Schufte der Rathgeber und Gehülfe seines Verwandten sei, und jetzt stand er hinter dem Fensterkreuze, lauernd und betrachtend, und murmelte leise vor sich hin:

Wie hübsch er aussieht, wie gesund und frisch! aber wart, wart! Wir wollen dafür sorgen, daß er so blaß wird, wie damals, als er auf Reisen ging. Und wenn es möglich ist, he, he! wollen wir ihm das Wiederkommen verleiden.


3.

Der Geheimerath führte seine Gäste in die Gesellschaftszimmer, und hier umarmte er seinen Vetter in herzlicher Weise, nachdem er Eduard Rodney, so gut er es in englischer Sprache vermochte, bewillkommt hatte.

Mein theurer Aurel, sagte er, heut erst kann ich mich recht über deine Ankunft freuen, die mich gestern fast bestürzt machte, da sie so unerwartet über mich kam. Du erlaubst mir doch, daß ich Dich wieder mit dem alten herzlichen Du anrede, wie es ehemals Sitte bei uns war? fügte er dann lächelnd hinzu, und indem er ihn nochmals umarmte, sprach er leiser an seinem Ohr: Es soll Alles vergeben und vergessen sein zwischen uns, nicht wahr, Aurel? –

Er legte beide Hände auf seines Vetters Schultern und klopfte ihm die Wangen. –

Größer kannst du nicht geworden sein, denn in deinem Alter wächst man nicht mehr, aber männlicher, stärker, kraftvoller bist du geworden, und blühend siehst du aus, wie ein Halbgott. – Wie findest du mich dagegen?

Ein wenig stärker und voller geworden, aber sonst ganz wie ehemals, war die Antwort.

Aber meine graue Mähne, sagte der Geheimerath, lachend an seinen Bart fassend, deutet nur zu sichtlich an, daß es mit der Jugend vorbei ist.

Es zeigen sich graue Haare auch bei mir, erwiderte Aurel. Rodney, der wenige Jahre älter ist, weiß sie nicht zu verbergen. Dennoch aber ist er, was Jugendkraft und Körperstärke betrifft, der kräftigste Mann, den ich je gesehen habe.

Wie schade, daß er gar kein Deutsch versteht!

Nicht ein Wort, fuhr Aurel fort. Eben so wenig Französisch oder irgend eine andere Sprache. Er gehört zu der nicht kleinen Zahl mannigfach begabter Männer seines Volkes, denen das Sprachtalent gänzlich mangelt und welche deßwegen sich auch keine Mühe geben mögen, eine andere Sprache zu erlernen.

Als die reizende englische mit ihren gesangvollen Klängen, spottete der Geheimerath. Nun, wir wollen sehen, wie wir mit ihm fertig werden. Leonor versteht etwas davon und lernt fleißig von ihrer Gesellschafterin, die ganz teufelmäßig verengländert ist. Im letzten Winter kam die Wuth in die Gesellschaft, Englisch zu lernen. Mit den Franzosen wollte kein Mensch mehr zu schaffen haben. Die revolutionäre Sprache hat etwas Verpestendes, man fühlt sich unangenehm davon berührt. Auch die Literatur hat den Geruch davon angenommen, das conservativste Buch ist rebellisch; also Englisch. – Aber, sagte er, sich lachend unterbrechend, davon ein ander Mal. Ich fürchte beinahe, jetzt werden wir nächstens das Englische abschaffen wegen revolutionären Ansteckungsstoffes. Was ist Sir Eduard? Whig oder Tory?

Seine ganze Familie gehört den entschiedenen Tories an, erwiderte Aurel.

Das ist gut, sagte der Geheimerath, einen freundlichen Blick auf Rodney werfend, der sich ans Fenster gestellt hatte und höchst gleichgültig vor sich hinsah. Er sieht etwas stark langweilig aus, das heißt englisch langweilig, stumm und geistreich. Gut, er wird uns durch kein unnützes Geschwätz compromittiren. Davor muß man sich jetzt besonders in Acht nehmen. Aber, mein lieber Aurel, ich hoffe, du bleibst nun bei uns und entschädigst deine Freunde für deine lange Abwesenheit. Du hast doch deine Tante heute besucht?

Ich habe die theure, würdige Frau gesehen, entgegnete Aurel, und habe ihre gütigen Hände geküßt, die mich segnend und freudezitternd empfingen.

Der Geheimerath unterdrückte eine Antwort, aber in seinen Augen lag eine Lustigkeit, die er nicht ganz zurückzwingen konnte. –

Eine sehr würdige Frau, in der That, ehrwürdig und christlich streng, wie eine Heilige, sagte er; schade, daß sie uns so selten beglückt! Leonor ist voller Schwärmerei für sie, alle tugendhaften Seelen müssen sie bewundern, alle Armen verehren sie, wie eine Mutter, weil sie Allen gibt. – Die Armen und die Tagediebe, mein lieber Aurel, nennen jeden Mutter oder Vater, der ihnen Geld in die Hand steckt, mit Ausnahme einer kleinen Rotte undankbarer Bösewichte, die ihre Wohlthäter obenein hassen und wohl gar auf ihren Tod lauern. Du mußt einmal selbst darüber Erfahrungen machen können. – Doch jetzt sage mir, ob du bei uns bleiben willst?

Ich will allerdings bleiben, erwiderte der junge Graf; denn ich bin müde und möchte, nachdem ich Vieles gesehen und erfahren, meine Vorräthe ordnen und für mich verwenden.

Vortrefflich! rief der Geheimerath. Du hast immer poetisches Talent, eine blühende Phantasie gehabt. Du mußt schreiben. Bücher, von Cavalieren geschrieben, sind Mode geworden. Der Verstorbene hat die Bahn gebrochen, du bist ein lebendig Gewordener; hast Abenteuer erlebt, Griechinnen, Türkinnen, Koptinnen, Araberinnen, maurische und spanische Mädchen in allen möglichen Situationen gesehen. Das gibt Schilderungen, bei denen unsere Damen und alle empfindsamen, schönen Seelen lachen, weinen oder erröthen können. – Erröthen, das ist die Hauptsache! Herzklopfen bekommen, ha, ha, Aurel! – Es ist doch schade, daß Sir Eduard nichts von unserer Sprache versteht. Wie interessant er aussieht, wie aus Marmor gehauen! Er muß höchst liebenswürdig erzählen können, unsere Damen können sich in Acht nehmen.

Der Geheimerath fiel in seine boshafte Art, witzig zu sein, und Aurel ließ ihn sprechen, obwohl er nach und nach in Unruhe gerieth, welche sich durch die lebhaftere Farbe seines Gesichts und durch den Unmuth in seinen Augen erkennen ließ. Endlich sagte er:

Ich bin nicht Willens, über meine Reisen etwas zu veröffentlichen, obwohl mein Buch kein uninteressantes werden würde.

So mußt Du uns um so mehr erzählen, fiel sein Verwandter ein. Abends beim Thee klingen die wunderbaren Historien zu Wasser und zu Lande am schönsten. Leonor liebt Mährchen leidenschaftlich, und wir müssen Dich festhalten, theurer Aurel, denn man wird sich um Dich drängen. Für Grönländer, Mohren, Buschmänner und ähnliche Ungeheuer muß man Geld ausgeben; solchen Weitgereis'ten aber, den man umsonst haben kann, für eine Tasse Thee und ein paar dünne Butterschnittchen, hält Jeder fest.

Aurel mußte herzlich lachen über den Vergleich, der treffend genug war und dessen, gegen ihn selbst gerichtete Spitze, er verachtete.

Ich werde mich von allen neugierigen Gesellschaften möglichst fern halten, sagte er, da ich sehr wohl weiß, welche Freuden und Genüsse sie bieten.

Männer von Geist, wie Du und Dein Freund, sind freilich an andere Gesellschaft gewohnt, fuhr der Geheimerath beifällig fort, und wer den geheimnißvollen Orient bereis'te, brahmanische Weisheit, Hindus und Bajaderen kennen lernte, dem müssen unsere Salonmenschen höchst fade vorkommen. Fade, gemacht, blasirt, egoistisch, unnatürlich, ha ha! Es ist mit der Cultur eine eigene Sache. Ist es nicht so? – Aber, mein lieber Aurel, wohin willst Du Dich zurückziehen? – Moralisirt, wie ihr wollt, sagt Hamlet, die Welt geht doch vorwärts. – Ich biete Dir mein Haus an, Aurel, Du kannst Dich einrichten, wie Du willst. Im Garten-Pavillon kannst Du leben, wie Rousseau, nach einem System de la nature.

Ich danke, sagte der junge Graf in entschiedenem Tone. Ich habe Rodney bei mir, von dem ich mich nicht trennen kann.

Den bringen wir auch unter, fuhr der Geheimerath fort. Du mußt, Aurel, Du darfst es mir nicht abschlagen. – Im Übrigen wohnst Du ja kaum bei mir, sondern in Deinem Eigenthum. – Du bist mein Erbe, und ich habe meine Gründe. – Wäre es auch nur, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, um unnützen Schwätzern die Freude zu verderben, Geschichten zu erfinden; denn daran wird es nicht fehlen. – Doch da ist Leonor!

Bei diesen Worten öffnete sich die Thür des Nebenzimmers, und die Gemahlin des Geheimerathes trat herein, gefolgt von ihrer Gesellschafterin. Die Gräfin näherte sich lächelnd. Ein leichtes Roth färbte ihre Stirn, aber ihre schönen Augen leuchteten klar und sicher, und an der unbefangenen, formenvollen Art ihrer Begrüßung konnte der schärfste Blick nicht entdecken, daß Graf Aurel ihr einst eine größere Theilnahme eingeflößt habe.

Nach einigen raschen Fragen über seine Reisen und seine Rückkehr wurde ihr Sir Eduard vorgestellt, und mehr mit ihm, als mit Aurel, spann sich die Unterhaltung fort. Die Gräfin sprach Englisch und entschuldigte ihre Unvollkommenheit darin, indem sie zugleich das Fräulein herbeirief, die wartend im Hintergrunde stehen geblieben war.

Herr Rodney findet hier eine größere Meisterschaft, wie ich glaube, sagte sie. Meine Freundin Beate von Lebel, die einige Jahre in England gelebt hat und deren Güte ich alles verdanke, was ich von dieser reichen, ausdrucksvollen Sprache kenne, wird meine Vertheidigung übernehmen.

Rodney war bei dieser Anrede aus der stumpfsinnigen Gleichgültigkeit erwacht, welche er bis jetzt behauptet hatte. Sein edles Gesicht nahm einen etwas belebteren Ausdruck an, die stattlichen Formen seines Körpers wurden geschmeidiger, und seine höfliche Haltung war die eines Gentleman, der Damen gegenüber zu Huldigungen bereit ist.

Er beklagte sein Mißgeschick, nur Englisch zu verstehen, indem er zugleich sein Glück pries, sich plötzlich so reich dafür entschädigt zu sehen. – Seine kalten Augen waren dabei groß und glänzend geworden, und während er seine Zuhörerinnen sichtlich anregte, standen Aurel und dessen Verwandter fast unbeachtet neben ihm. – Der Geheimerath war erstaunt über diese unerwartete Belebung der Gliederpuppe und gewisser Maßen froh, als ein Diener an der Thür erschien, der dort eine stumme einladende Verbeugung machte.

Sie frühstücken mit uns, sagte er, oder, wie heißt es, Sir Eduard? Sie nehmen Ihren Lunch mit uns. Rodney verbeugte sich steif und reichte der Gräfin den Arm, Aurel bot den seinen dem Fräulein, der Geheimerath folgte nach.

Es war ein fröhliches kleines Mahl, das so ausgesucht fein wie möglich war, weil der Geheimerath es so befohlen hatte. Die Mittheilung seines Secretärs hatte ihn dazu bestimmt, eine Probe abzulegen, daß sein verrufener Geiz Verleumdung sei. Mit lauernder Miene sah er zuweilen, sowohl seinen Vetter, wie den Engländer, an, und er glaubte zu bemerken, daß Beide einige Mal fragende Blicke wechselten, die ihn sehr belustigten.

Die Unterhaltung wurde, Rodney's wegen, zum Theil auf Englisch geführt, wobei der Geheimerath wenig mitsprechen konnte. Er war daher um so mehr darauf gewiesen, theils zu beobachten, theils seine Gäste zu ermuntern, theils Aurel in Beschlag zu nehmen, während Rodney fortgesetzt von den Damen durch Mittheilungen und Fragen in Athem erhalten wurde.

Aurel hörte zerstreut und mit halben Ohren zu, was sein Vetter ihm über mancherlei Personen, gesellschaftliche Ereignisse und endlich auch über Staats- und politische Affairen mittheilte. – Es machte dem Geheimerath Freude, zu sehen, wie er damit die Gedanken seines jungen Verwandten durchkreuzte, der immer geneigt schien, sich in seine eigenen Betrachtungen zu versenken, und, unmuthig über seinen Peiniger, diesen doch nicht abschütteln konnte, sondern hören und antworten mußte.

Du gehörtest vor deiner Reise auch zu den Unzufriedenen, sagte der Geheimerath endlich lachend, die von der großen Freiheits-Göttin träumten, welche allen Menschen dasselbe Anrecht auf das Füllhorn ihrer Gaben gegeben hat, die ihnen von einigen bevorrechteten Kasten wegescamotirt worden sind.

Ich weiß in der That kaum, was ich ehemals war, antwortete Aurel erröthend; allein ich empörte mich, wie ich denke, gegen die Bevormundung, welche den beschränkten Unterthanen-Verstand erfunden hat.

Gegen die hohe weise Bureaukratie! rief der Geheimerath; o! daran würdest du vollkommen recht gethan haben; doch du gingst viel weiter, guter Aurel. Du sprachst zuweilen sehr erhitzt von Menschenrechten, Tugend, gleichmäßiger Freiheit und gleichmäßigen Rechten und Ansprüchen; kurz, du warst ein Demagoge, ein Volksbeglücker.

That ich das, sagte der junge Mann, so habe ich freilich gesündigt, und bessere Erkenntniß ist während dessen über mich gekommen. Die Menschen sind ein so niedrig stehendes, verderbtes, selbstsüchtiges Geschlecht, daß es Thorheit oder Wahnsinn ist, zu hoffen, daß sie jemals zu einer wahren Freiheit gelangen werden.

Bravo, Aurel! lachte der Geheimerath, indem er ihm sein Glas zum Anstoßen hinhielt. Auch du, Brutus, auch du gehörst zu den Geheilten! Aber weißt du, daß damals, als du plötzlich fortgingst, es nicht Wenige gab, die das Gerücht verbreiteten, der Weltschmerz hätte dich ergriffen und die Regierung dir einige Winke gegeben, dich zu entfernen?

Wenn das wirklich der Fall war, erwiderte der junge Mann mit einem festen Blicke auf seinen Verwandten, so gab es mehrere Personen, welche dem widersprechen konnten.

Nun, du bist wieder bei uns, sagte Graf Bodo, und verzeihe, liebe Leonor, wenn ich deine Aufmerksamkeit auf uns lenke; aber ich bereite dir jedenfalls die größte Freude, wie ich denke, wenn ich dir mittheile, daß unser theurer Aurel bei uns wohnen wird. Wir laden auch Sir Eduard ein, die Inseparables dürfen nicht getrennt werden. Der Pavillon in der Gartenfront hat sechs Zimmer, das paßt für Beide, und Niemand ist genirt. Wir kommen zusammen, wie es uns gefällt. Keinerlei Zwang darf uns auferlegt werden; denn wir lieben die Freiheit, als constitutionelle Staatsbürger, aber wir sind auch socialistisch genug, um unsere Gesellschaft angenehm zu organisiren. Sir Eduard ist ein verwegener Reiter, er hat mit Aurel auf Dromedaren die Wüsten durchflogen, somit werden Beide deine Morgen-Spazirritte verherrlichen. Aurel ist ein Virtuos, der mit Liszt und Thalberg sich messen kann, und seine Stimme war ja immer der Stolz unserer ästhetischen Thee's. – Er wird wieder mit dir spielen und dich begleiten, Duette singen und Romanzen. Ich bin entzückt, Aurel, daß wir dich wieder haben, und empfehle dir ganz besonders die Musik, die das Herz veredelt, Löwen und Tiger zähmt. – Keinen Widerspruch, Aurel, du mußt unsere Wünsche erfüllen. Wir bitten alle darum. Sage ihm doch, Leonor, daß du es wünschest, dir wird er nichts abschlagen. Selbst unsere kleine Freundin Beate wird es gern sehen, einen solchen Lion in nächster Nähe zu haben.

Der Hohn im Gesichte des Geheimerathes trat im Sprechen immer stärker hervor und zog seine Mundwinkel zusammen, während seine grauen Augen sich hinter zahllosen Falten halb versteckten und vor Vergnügen leuchteten. Er nahm die Hand seiner Frau, die er zärtlich wiederholt küßte, als sie in einigen abgebrochenen Sätzen den Befehl befolgte, der ihr geworden war; aber ihre Worte klangen keineswegs besonders einladend, und ihre Blicke schienen Aurel aufzufordern, nicht darauf einzugehen.

Du himmlischer Engel! du bist unwiderstehlich, wie immer, rief Graf Bodo. Aurel kennt das, er kann nicht länger ungerührt bleiben. Ja, meine Herzens-Leonor, wir werden schöne Tage verleben. Ich bin unendlich glücklich, Aurel, und hoffe, wir sind es Beide. Leonor vervollkommnet sich immer mehr. Ich verziehe sie, aber sie ist ja mein einziges Gut. Was nützen Reichthümer, wenn man keinen Gegenstand hat, dem man Alles und sich selbst zu Füßen legt? Mein Gott! ich – ich bin ein einfacher Mann, ein Mann, der, wie Cincinnatus, sein Gericht Rüben auf seinem Acker verzehren könnte. Ich könnte der tugendhafteste Republicaner sein, der mit Stolz seinen zerrissenen Rock trägt; aber meine schöne Frau liebt den Glanz, die Pracht, die Gesellschaft, und ich bin ein schwacher und nachsichtiger Gemahl. –

Bei jedem Satze küßte er die Hand der schönen Frau von Neuem, die schweigend dazu lächelte, während Aurel über diese widerliche, heuchlerische Zärtlichkeit innerlich empört war. –

Du mußt sehen, fuhr Graf Bodo fort, daß Leonor es versteht, ihren Ruf, als Zauberin der Gesellschaft, zu bewahren, durch zauberische Feste, die den feinsten Duft der Lebenscrême athmen, und du wirst hingerissen werden, Aurel, du wirst dich aussöhnen mit deinem Überdruß an den exquisiten Leuten.

Der junge Mann war in großer Verlegenheit, wie er sich aus dieser üblen Lage ziehen sollte. Er sah, wie fest die Absicht seines Vetters wurzelte, ihm seine Gastfreundschaft aufzudrängen, und wollte er keinen offenen, plötzlichen Bruch herbeiführen, so bot sich ihm kaum ein Mittel dar, davon loszukommen. Dem entgegen fühlte er den heftigsten Widerwillen, sich dem häuslichen Kreise des Grafen anzuschließen, welcher boshaft genug war, ihn schon heute fühlen zu lassen, was ihn erwartete. Mit der Gräfin täglich beisammen zu sein, beleidigte seine Empfindungen. Seine Erinnerungen drängten sich zu einem Gefühle zusammen, das, wunderbar gemischt aus den verschiedensten Leidenschaften, ihn bei ihrem Erscheinen ergriffen hatte; dann aber wußte er es gewiß, daß er niemals ganz vergessen konnte, was sie an ihm gethan hatte.

So schön und lächelnd, wie sie ihn empfing, und so unbefangen sie ihn behandelte, war er dennoch überzeugt, sein Anblick sei ihr unangenehm. Und wie hätte es anders sein können? Sie war gequält und gepeinigt, wie er selbst, durch die Forderung ihres Mannes und unverkennbar wünschte sie, daß er es bemerke, als sie, die Augen nochmals zu ihm aufhebend, mit einem spöttischen und messenden Blicke die letzten Worte des Geheimerathes begleitete.

Ich muß, sagte Aurel, dennoch mich vor allen Lockungen verwahren, da ich Verpflichtungen der Freundschaft für Rodney habe, er aber, wie ich fast mit Gewißheit voraussetzen muß, Ihren gütigen Vorschlag nicht annehmen wird.

Nicht annehmen? fiel der Geheimerath ein. Warum sollte er meine freundliche Bitte zurückweisen?

Weil er glauben wird, das Angenommene nicht erwidern zu können.

O, Possen! lachte Graf Bodo, das wäre ein falsches Zartgefühl. Engländer sind überdies praktische Leute, und selbst wenn er auf den Gedanken käme, daß eben nicht gerade seinetwegen sich ihm mein Haus öffne, so wird er deine Freundschaft um so höher schätzen. – Aber da sitzt er ja zur Stelle und starrt uns an, mit der Ruhe des guten Gewissens. Sage ihm, um was es sich handelt, oder ich will es selbst thun. Theurer Sir Eduard, ich lade Sie ein, Ihre Wohnung bei mir zu nehmen. Wollen Sie? Es wird mir Freude machen.

Die Augen aller Theilnehmer dieser Scene hingen mit gespannter Erwartung an Rodney, der sich steif höflich verbeugte und langsam, ohne eine Miene zu verziehen, erwiderte:

Ich glaube eine so freundliche und herzliche Einladung nicht ablehnen zu dürfen, die mir die Ehre verschafft, in Ew. Excellenz Nähe zu sein und der edlen Dame des Hauses meine Ehrfurcht bezeugen zu dürfen.

Diese Antwort war überraschend und entscheidend.

Der Geheimerath schüttelte Rodney die Hand und sah mit triumphirendem Lächeln Aurel an.

Es ist also abgemacht! rief er, ich werde auf der Stelle die Zimmer in Bereitschaft setzen lassen. Du bist ganz roth vor Freude geworden, Leonor; aber du kannst es nicht mehr sein, als ich selbst es bin. – Jetzt strenge deine Erfindungsgabe an, damit wir unsere Gäste unterhalten. Morgens Spazirritte, oder im Park, oder Studien, oder Galerieen und Museen, Besuche und Vorbereitungen. Mittags ein ausgewählter kleiner Kreis, Abends Concert, Theater, Ball-Gesellschaft, so wird der Winter schon vergehen. – Du mußt dich vorstellen lassen, Aurel. Leonor wird dich in die geistvollsten Kreise einführen. Bei der Prinzessin Karoline wird wöchentlich einmal gelesen, Göthe kritisirt, Gedichte gemacht; bei der Fürstin Waldstein findest du alles, was Geist hat, und Leonor selbst hat ihre Abende, wo Gelehrsamkeit, Kunst, Wissenschaft, kurz, alle Musen einen olympischen Duft durch mein armes Haus verbreiten.

In diesem Tone fuhr Graf Bodo fort zu sprechen, bis endlich nach und nach festgesetzt wurde, daß am Abend die beiden Herren ihren Einzug halten und als Familienglieder betrachtet werden sollten. Der Graf blieb der liebenswürdige Wirth und in unerschöpflicher guter Laune, so daß er erst nach zwei Stunden seinen Gästen erlaubte, sich zu entfernen. Endlich waren sie gegangen, und nach einigen leisen Worten der Gräfin entfernte sich auch das Gesellschafts-Fräulein, während sie selbst sich in eine Ecke der Bergere setzte und die Rückkehr ihres Gatten erwartete, der seinen Verwandten durch die Vorzimmer begleitete.

Nun, Leonor, rief er im Hereintreten laut lachend, das ist ein köstlicher Spaß; ich hoffe, daß Du damit zufrieden bist.

Ich finde nichts darin, was einem Scherze ähnlich sähe, war ihre Antwort.

Nichts, mein Kind, nichts? sagte er, näher tretend; warum denn nicht? Aurel krümmte sich wie eine Katze, der Nußschalen unter die Füße gebunden werden sollen. Er berührte Deine Hand etwa, wie ein Kaninchen, das im Käfig der Schlange, in eine Ecke gedrückt, nicht mehr weiß, wohin, und vor Entsetzen beim Anstreifen des grausamen Feindes schaudert.

Ein herrlicher Vergleich! erwiderte die schöne Frau, die Augen erhebend. – Haßt er mich oder fürchtet er mich so sehr?

Beides, sagte der Geheimerath, Beides! – Warum soll er Dich nicht hassen, Leonor? Der arme Junge hat einige bittere Erfahrungen gemacht. Und warum soll er Dich nicht fürchten, theurer Engel? Er traut Dir ganz sicher alles mögliche Üble zu.

Er lachte von Neuem nach seiner Weise laut und scharf, indem er auf und ab ging und die Röthe im Gesichte seiner Frau mit Vergnügen aufsteigen sah. Das ist ja eben so spaßhaft, fuhr er dann fort; aber ich will ihn hier haben, in meiner Nähe, unter meinen Augen, weil es das beste Mittel sein wird, ihn zu zwingen …

Er brach bei diesem Worte ab und sagte, indem er dicht an die Bergere trat:

Du mußt mir nicht böse sein, Leonor; Du weißt, daß ich alles thue, was Du willst, und wirst mir glauben, daß ich diesen Menschen, der meinem Leben aufgedrungen ist, durch Verhältnisse, die zu zerreißen nicht in meiner Macht steht, weit von mir stoßen würde, wenn es nicht besser wäre – auch Deinetwegen besser wäre –, ihn unter Aufsicht zu nehmen.

Was mich betrifft, war die Antwort der Gräfin, so weiß ich nicht, was mein Wohl mit ihm zu schaffen hat. Wenn ich jedoch bedenke, was einst zwischen uns sich begab, fügte sie mit einem leisen Lächeln hinzu, so scheint es mir allerdings gerechtfertigt, daß ich nur mit innerem Widerstreben daran denken mag, ihn oft zu sehen und seine Nähe zu ertragen.

Der Geheimerath schlug lustig in die Hände.

Leonor! rief er, sich zu ihr beugend, ich denke, Du bist darüber hinaus und hast die alten Geschichten vergessen. Was war es doch? ja, richtig. – Aurel hatte eine Liaison mit Dir begonnen; ich lernte Dich durch ihn kennen, und Du wähltest mich, woran Du jedenfalls recht thatest. – Was konnte er Dir bieten mit seiner schmalen Apanage? – Die ganze Welt, das heißt alle Vernünftigen, stimmte Dir bei und lachte ihn aus, denn er benahm sich wie ein Narr, bis er endlich davon lief. – Jetzt nach beinahe vier Jahren ist er wiedergekommen und hat, wie ich beim ersten Blicke sah, seinen Groll unvergessen mitgebracht. Was kann also Besseres geschehen, als ihn mit Beweisen unserer Güte überhäufen? und wie kann er unschädlicher, lächerlicher sein, als in der Rolle, die ihm zugetheilt wird, wenn Du willst?

Und so viel Zwang, so viel – Unwahrheit flüsterte die Gräfin.

Heuchelei, wie man es nennen könnte, fuhr er fort; wer heuchelt denn aber nicht in dieser argen Welt? – Vergiß Eines nicht, theure Leonor, vergiß nicht, daß dieser junge Mann der Erbe meiner Güter ist, wenn nicht – er zuckte spöttisch mit den Lippen – wir irgend ein Mittel finden, ihn um diese schöne Hoffnung zu bringen. – Ich bin kein Mann, der todte Capitalien sammelt; alles, was ich erworben und was mir zufließt, steckt in den vielfachen Unternehmungen, Fabriken und Anlagen, die den Ertrag meines Besitzes verdoppelt und verdreifacht haben, aber auf Jahre hinaus noch bedeutende Summen fordern. Ich weiß nicht, warum ich nicht anders operire, aber es ist einmal so, und wenn ich heute stürbe, würde er morgen Alles nehmen, selbst dieses Haus. – Alles! und Du … Du … Es würde von ihm abhangen, sagte er nach einem augenblicklichen Schweigen, wie großmüthig er sein wollte.

Ich verzichte auf seine Großmuth, rief die Gräfin erröthend, und ihre Mienen drückten einen hohen Grad von Entrüstung aus. Gibt es Mittel, ihm zu entgehen? fügte sie langsamer und leiser hinzu.

Ich hoffe – o ich hoffe! erwiderte der Graf; und eben deswegen will ich ihn hier haben. – Sei geduldig, Leonor, und sei folgsam. Lache mit ihm, scherze, fessele ihn an Dich, schlage jeden Weg ein, der dies bewirken kann. – Sei unbesorgt. Er ist immer ein Phantast, ein Tugendnarr gewesen. Denke daran, süßer Engel, daß, wenn er dieses Mal aufwacht aus seinen Täuschungen, sein Wüthen nur lächerlich sein muß. –

Er küßte die schöne Frau auf die Stirn und ging hinaus.


4.

Am Abend, als es dämmerte, suchte Aurel seinen Milchbruder auf, und nach einiger Mühe fand er Straße, Haus und Werkstatt, wo der junge Meister allein bei seiner Arbeit war.

Aurel bot ihm die Hand, Franz Willner hob die seine in die Höhe. Ich weiß doch nicht, sagte er, ob meine rußigen Finger einschlagen dürfen.

Warum? fragte der Graf.

Weil's Ihnen leid werden könnte, wenn's Unglück geschehen ist, erwiderte Franz lachend. Eine Arbeiterhand ist hart und färbt wohl gar ab.

Höre, Franz, antwortete Aurel, als er den jungen Meister festhielt, es hat sich nichts in den vier Jahren an mir und in mir geändert. Nenne mich Du, wie ehemals, und habe mich lieb, wie ich Dich lieb habe: als einen Freund, der in aller Noth treu aushält.

Das ist ein Wort! sagte Franz, und es würde falsch und hochmüthig sein, wenn ich nicht aufrichtig es annehmen wollte. – So will ich denn Aurel sagen, wie ich es immer gethan habe, und wenn Du der alte Aurel bist, so setze Dich zu mir; denn ich bin bei einer Arbeit, die fertig werden muß, weil sie in einer Stunde abgeholt werden soll.

Können wir plaudern? fragte der Graf.

Plaudere so recht von der Leber fort, lachte der Meister. Aber warte nur einen Augenblick. –

Er sprang in eine Seitenkammer und kam mit einem Holzstuhle zurück. –

So, sagte er, das ist ein Sitz, wie er sein muß. – Mein Gesell ist heute in die Herberge gegangen, wo Auflage gehalten wird. Ich habe einen Gesellen, Aurel, und werde in nächster Woche noch einen brauchen können. In der Kammer können zwei gut schlafen. Ein Bett besitze ich schon, und ein zweites habe ich heute gekauft. Ein neues, breites, rief er lustig nickend, weil ich es selbst brauchen will.

Ah, ich verstehe, sagte Aurel. Aber Betten sind Sache der Braut. Bringt sie Dir nichts mit?

Weiß es nicht, und frage nicht danach, versetzte Franz. An einer Ausstattung wird's ihr nicht fehlen; sie ist auch sonst guter Leute Kind.

Erzähle! erzähle! sagte der Graf, und eine Cigarre anzündend, rückte er den Stuhl gegen den Schraubstock, stützte sich mit dem Arme darauf und schlug die Füße über einander. –

Der junge Meister beschäftigte sich inzwischen mit einem großen Schranke von Eisen, der kunstvoll und fein gearbeitet, von ihm überall genau besichtigt und mit leisen Feilstrichen da und dort noch nachgeholfen wurde. Er versuchte die Schlösser und Riegel, zog alle Schrauben an, und bei dieser Arbeit erzählte er seine einfache Geschichte, die wenig Bemerkenswerthes bot. – Er war fleißig gewesen, hatte an Geschicklichkeit zugenommen, hatte gespart und vor einem halben Jahre ein Mädchen kennen gelernt, die ihm, wie er sagte, das Herz aus der Brust gezogen hatte mit ihren blauen, listigen Augen.

Nun bin ich so weit, sagte er dann aufblickend, wie ich sein will. Ich habe die Werkstelle hier gekauft und habe Arbeit, die sich lohnt.

Was ist es für ein Schrank da? fragte Aurel.

Eigentlich mein Meisterstück, erwiderte Franz. Ein Geldspinde von neuer Art, mit allerlei Sicherheits-Vorrichtungen, kunstvollen Schlössern und geheimen Fächern, die so leicht Keiner öffnet; er müßte denn wissen, was ich weiß. – Ist es aber nicht sonderbar, fuhr er lachend fort, daß wir, die wir nichts haben, dafür sorgen müssen, daß die reichen Leute ihre Schätze und ihre Geheimnisse gut verwahren? Wir mit unserer Arbeit und unserem Schweiß müssen unsere Köpfe anstrengen, um Mittel zu entdecken, damit die Reichen ruhig schlafen können. – Und das ist ein Schrank, fuhr er fort, indem er mit dem Hammer an das klingende Metall schlug, worin viel Mammon liegen wird, den wir vielleicht besser benutzen könnten, wenn wir ihn hätten.

Du hast dies Geldspinde also verkauft? fragte Aurel.

Gestern, sagte Franz.

An einen Kaufmann oder Banquier?

An Jemand, der alles das ist und noch weit mehr, erwiderte Franz. Ich habe sonst keine Furcht vor Einem, mag er heißen, wie er will. Unter dem feinen Rock und hinter dem Stern steckt doch zuletzt nur ein Mensch, wie ich auch bin. Aber wie er gestern hier war und da saß, wo jetzt der Stuhl steht, und sprach von Eisen und Eisenzöllen, von seinen Hütten und Gruben und Hammerwerken, seinen tausend Arbeitern, die er ernährt, und seinem Einflusse auf Gesetz und Recht, da ging mir ein Schauer durch den Kopf, daß ein Mensch so viel vermag, während ich mit allem meinem Willen nicht über den Kreis meines Armes hinaus kann.

So ist das Leben, sagte Aurel lächelnd. Doch alle diese kleinen und großen Kreise sollen sich friedlich vereinigen und verschmelzen. – Wer ist der Mann, der Dich so furchtsam gemacht hat?

Einer, antwortete Franz mit sichtlicher Scheu, den Namen zu nennen, der Dir auch schon hart in den Weg getreten ist.

Der Reichsrath? mein Vetter? rief Aurel überrascht. Wie kommt er zu Dir? Und gestern, sagst Du?

Sprechen müssen wir davon, sagte der junge Meister; aber die Sache ist nicht von gestern. Vor ein paar Wochen schon kam der Secretär zu mir und sah mein Werk da an. Du kennst den alten Herrn Winkel, der des Grafen rechte Hand ist?

Ich kenne ihn, erwiderte Aurel.

Er ist ein Mann, fuhr Franz fort, der eben nicht zum besten aussieht; aber wenn man ihn zum Freunde hat, kann man Manches erreichen.

Und Du – Du hast ihn zum Freunde? fragte Aurel.

Die Sache ist so, erklärte Franz: Meine Braut, Johanna – ja, ich hätte es vielleicht eher sagen sollen … Er strich mit der Hand über seine Stirn in die Höhe … Sie ist im Dienste der Frau Gräfin, Jungfer bei ihr, und eben deßwegen – das ist die Ursache – ja, das ist die wahre Ursache, weßhalb Herr Winkel mir gewogen ist – weil, nämlich die Frau Gräfin es sehr gut mit Hannchen meint und ihr versprochen hat, ich solle für das ganze Haus die Arbeit erhalten, auch weiter von ihr empfohlen werden.

So, nun ist es heraus, sagte Franz, als der Graf schwieg. – Ich mußte es Dir sagen, und wußte nicht, ob es meinem lieben Aurel unangenehm zu hören wäre, aber es ist einmal so, und ich kann es nicht ändern. – Ganz recht war es mir niemals. Die Gräfin ist eine stolze Dame, die immer nur auf Vergnügen sinnt und nichts verlangt, als Pracht und wie sie die Erste sein will, die von Allen bewundert wird. – Der Graf ist genau, aber für die Frau wirft er das Geld mit vollen Händen fort. Da ist ihm nichts zu theuer. Er ist ganz närrisch, eine so schöne junge Frau zu haben, die ihn allen Anderen vorzieht, obwohl er alt ist und häßlich aussieht.

Wer weiß! rief Aurel auflachend.

Nein, nein! sagte Franz eifrig, Hannchen hat mir vielerlei erzählt. Was ich sage, weiß ich von ihr, und es war wenig Gutes, obwohl sie es immer entschuldigen wollte; aber was … nun ja, was Sachen betrifft, die eine Frau nicht thun darf, so hat sie geschworen, daß die Gräfin keinen Gedanken für andere Männer hat. Es ist Alles Eitelkeit, Alles Hochmuth, aber sie hat kein Herz, wie Hannchen meint. Es kann sich Keiner rühmen, irgend eine Gunst von ihr erlangt zu haben, obwohl, wie Hannchen sagt, es mehr als Einer schon versuchte. Das weiß der Graf recht gut, und eben darum ist er so stolz darauf, daß sein weißer Ziegenbart ihr mehr gilt, als Jugend und Schönheit.

Der junge Meister saß noch immer auf der Erde, bald lehnte er sich tief in den Schrank hinein und arbeitete dort, bald machte er eine kleine Pause und zog seinen Körper zurück, um weiter zu reden. Ein Licht stand neben ihm und beleuchtete sein jugendliches Gesicht, das allerdings nicht schön war, aber in welchem Kraft und Tüchtigkeit sich einnehmend ausdrückten. – Sein langes, dunkles Haar flog um die breite Stirn; seine Augen hatten eine durchdringende Tiefe, und sein Mund war schmal gebildet.

Der Graf ist nun zwei Mal bei mir gewesen, sagte Franz, und hat um den Schrank gehandelt, wie ein Jude, bis ich ihn endlich billig gelassen habe. Was sollte ich machen? Hannchen's wegen mußt' ich thun, was irgend angeht, und dann die Arbeit im Hause, die Herr Winkel mir verschafft hat. So aber sind die reichen Leute, rief er aufspringend: sie zwacken uns oft, wie Blutsauger, und werfen doch für ihre Eitelkeit und ihre Leidenschaften zehnfach so viel in einer Minute fort.

Nimm Dich vor dem Grafen in Acht! sagte Aurel. Und was Deinen Freund, den Secretär Winkel, anbelangt, so ist es der größte Schuft, den die Sonne bescheint.

Pst! murmelte Franz, den Kopf vorbeugend. Spricht einer vom Wolf, so ist er da. Ich höre ihn auf der Treppe husten; das muß er sein!

Aurel ergriff seinen Hut und deutete auf die Kammer. Ich will dort warten, bis er fort ist, sagte er leise. Er darf nicht wissen, daß ich Dich gesehen habe.

Aber er weiß es schon, versetzte Franz.

Wer hat es ihm gesagt?

Ich selbst, gestern. Er war mit uns im Circus – mit mir und Hannchen. In meiner Freude sagte ich ihm Alles.

So verschweige ihm heute wenigstens, daß ich hier war, flüsterte Aurel, indem er in die Kammer schlüpfte, während eine Hand draußen den Drücker an der Thür der Werkstatt faßte.

Gleich darauf hörte er die sanfte und einschmeichelnde Stimme des Secretärs, und durch eine Spalte in der schlechten Pforte der Kammer konnte er die beiden schiefen Linien deutlich sehen, aus denen Winkel zusammengesetzt war. – Der ganze Abscheu, den er gegen diesen Mann hegte, erwachte in ihm und flüsterte ihm die Überzeugung ein, daß irgend eine Schurkerei den Secretär zu den Freundschafts-Beweisen und Lobsprüchen antrieb, mit welchen er den arglosen jungen Meister überhäufte.

Nun, ich komme trotz des schlechten Wetters, lieber Willner, sagte Winkel. Natürlich mehr, um Sie selbst zu besuchen, als um den Auftrag des Grafen zu erfüllen. Der Schrank ist doch ganz fertig?

Fix und fertig, antwortete der Meister. Wenn der Herr Graf mir nicht gesagt hätte, er wolle ihn selbst abholen lassen, so hätte ich ihn schon abgeliefert.

Der Graf ist immer gütig, immer einsichtsvoll und über alle Maßen praktisch! rief Winkel. – Sie werden ihn noch kennen lernen, mein lieber Freund, und seinen Geist bewundern. Immer gütig, sage ich, lieber Willner. Er spart Ihnen die Transportkosten; seine Pferde und Leute müssen gleich hier sein. Dazu ist er ein Menschenkenner, wie er selten vorkommt. Er erkennt jedes Talent, schätzt Jeden nach seiner Nützlichkeit, nicht nach Rang, Geburt oder Geld. Im Vertrauen, Willner, er achtet Sie sehr hoch. Sie haben ihm außerordentlich gefallen, und geben Sie Acht, Willner, ich glaube Ihnen sagen zu können, es wird nicht lange dauern, und er hat einen Platz für Sie.

Während er sprach, hatte er mit dem Lichte in der Hand den Schrank von allen Seiten, nach außen und innen, betrachtet und sagte dem Verfertiger nun viele Lobsprüche über die Schönheit und Feinheit seiner Arbeit. – Er probirte die Bramaschlösser Das Bramahschloss ist ein im 18. Jh. in England von Joseph Bramah (1748-1814) entwickeltes Sicherheitsschloss. und bewunderte die Leichtigkeit, mit welcher der kleine Schlüssel die gewaltigen Riegel und Stangen bewegte. –

Sie sind ein Künstler, Willner, ein geborner großer Künstler, sagte er. Dieser Schrank, an dem nicht eine Fuge zu bemerken ist, und der so mancherlei geheime Behältnisse enthält, ist ein Kunstwerk, das ich, für mein Theil, weit höher achte, als ein Bild von einem gewissen Raphael oder dergleichen, das nichts ist, als ein Stück Leinwand, auf welches Farben gepinselt werden. – Das ist Phantasterei, Modesache; die Allermeisten glauben sich lächerlich zu machen, wenn sie über solche alte Scharteke nicht außer sich gerathen; dieser Schrank dagegen ist reelle Kunst, ein Wunder des menschlichen Geistes. Es ist enorm, Willner, es ist eine Schöpfung. – Nun zeigen Sie mir geschwind die geheimen Fächer. Wo stecken sie? Das Geheime, Versteckte, das ist meine Sache. Darum bin ich Geheim-Secretär. Haha!

Franz zeigte ihm mehrere geheime Behälter, die unmerklichen Knöpfe, an welchen gedrückt werden mußte, die Federn, welche dann aufsprangen, und die Fächer, welche sich vorschoben. – Der Secretär des Grafen musterte diese Einrichtungen mit neuen Lobsprüchen.

Aber, sagte er dann, es ist noch ein ganz geheimes Behältniß da, wovon Se. Excellenz mir erzählt hat. Ist es nicht so, Willner?

Ja, erwiderte der junge Meister, es ist noch eine Abtheilung da; aber, als ich sie dem Grafen zeigte, hat er mir verboten, irgend Jemandem das Geheimniß mitzutheilen.

Auch mir nicht? fragte Winkel, ihm lustig zunickend, und indem er seine grauen Augen weit öffnete und seinen langen Kopf in eine wackelnde Bewegung setzte, fing er noch stärker zu lachen an. – Wahrhaftig, auch mir nicht? schrie er. Das ist prächtig, über alle Maßen lustig!

Der Graf hat Keinen ausgenommen, sagte Franz ernsthaft.

He, he! das ist meiner Seele ein Spaß! Mir will er es nicht zeigen, selbst mir nicht! schrie Winkel, indem er seine mageren Hände an einander rieb. Ich denke wohl, Sie wissen, Willner, daß Se. Excellenz vor mir kein Geheimniß hat, niemals hatte und niemals haben wird. – Wenn ich nicht mehr zu bewahren hätte, als das, lieber Freund, wäre es wenig genug. Der Graf wird es mir selbst sagen, ehe ich ein Wort darum verliere.

Das wird er ganz gewiß thun, erwiderte Franz.

So, so, sagte Winkel hustend und seine Hand auf die Schulter des Meisters legend. Sie sind gewissenhaft, Willner, ich will auch gar nicht weiter danach fragen, wenn Sie es mir nicht freiwillig zeigen wollen. Wollen Sie?

Nein, sagte Franz, es würde gegen meine Pflicht sein.

Recht so! recht so! rief der Secretär, ihn angrinsend. Jetzt sehe ich, daß Sie schweigen können, und daß man sich auf Sie verlassen kann. – Ich habe Hannchen vorher gesprochen. Sie hat mir Grüße aufgetragen.

Danke, danke! antwortete Franz. Ich hoffe sie noch heute Abend auf ein Stündchen zu sehen.

Es wird nicht angehen, fürchte ich, versetzte Winkel. Es ist viel Lärm heute im Hause. Graf Aurel ist doch heute bei Ihnen gewesen?

Der Schlosser bückte sich nach dem Hammer, um den Secretair nicht anzusehen; dabei sagte er mit einiger Anstrengung:

Er ist nicht bei mir gewesen, wobei er in Gedanken sich über die Lüge beruhigte, weil Aurel noch bei ihm war.

Aber es hat hier Einer geraucht, fuhr Winkel fort, indem er die Flügel seiner mächtigen Nase weit öffnete, und es ist ein sehr angenehmer feiner Geruch, der mich gleich auf die Vermuthung brachte, daß Sie vornehmen Besuch gehabt haben.

Ich habe keinen vornehmen Besuch gehabt, versetzte Franz mit so viel Ehrlichkeit, daß der Secretär des Grafen von der Wahrheit überzeugt war. –

Ich glaube Ihnen, lieber Willner, ich glaube Ihnen mehr als jedem anderen Menschen, sagte er mißtrauisch umherblickend. O, der liebe Graf Aurel wird heute auch wenig Zeit gehabt haben, sich zu Ihnen zu begeben; allein wenn er erst bei uns im Hause wohnt …

Bei Ihnen – bei Sr. Excellenz wohnt? fragte Franz erstaunt.

Jetzt wußte Winkel gewiß, daß der junge Graf nicht hier gewesen sein konnte, denn die Verwunderung des Schlossers war über alle Maßen groß und völlig ungekünstelt.

Wenn Sie es mir nicht versicherten … sagte Franz, als Winkel sich noch weiter schief verbeugte, als gewöhnlich, und ihm spöttisch zunickte.

So glaubten Sie es nicht! fiel er ein. – Ha, ha! Sie kennen die Welt zu wenig, Willner.

Aber die Gräfin … Aber damals? fragte Franz kopfschüttelnd.

Bah, bah! sagte Winkel, mit den Fingern schnippend; das sind alte, vergessene Geschichten. Viel Wasser ist seitdem den Berg herunter gelaufen, und große Herren sind klug und weise, mein junger Freund. Ich habe damals den lieben Grafen Aurel in einem Zustande gesehen, als sei er rasend und werde eine schreckliche That thun. Ich habe gehört, wie er Fluch und Schmach über die treulose Dame seines Herzens ausschüttete und endlich Beide der Verachtung und Strafe Gottes und der Menschen überlieferte, und heute – passen Sie auf, Willner – heute habe ich gesehen, wie er der edlen Frau Gräfin die Hand küßte und so liebenswürdig süß schmeichelte, als sei nie etwas zwischen ihnen vorgefallen.

Das that er! rief Franz vorwurfsvoll, indem er, unwillkürlich die Kammerthür anstarrte.

He, he! erwiderte der Secretär hustend und lachend, vergeben ist süß, und warum soll man nicht, wie ein kluger Mann, sich in etwas finden, das abgemacht und nicht zu ändern ist? – Denken Sie, Willner, wenn Hannchen untreu würde, einen Anderen nähme, der ihr besser gefiele, oder überhaupt einen Gegenstand fände, einen großmüthigen, reichen Freund etwa, der sich ihrer besonders annähme. Wie? Was sagen Sie?

Eine Unruhe ergriff den jungen Meister. Er zuckte mit den Armen und mit den Lippen und sagte dann, den Hammer, den er in der Hand hielt, heftig auf sein Werkstattbrett werfend:

Reden Sie nicht davon, Herr Winkel, es wird nimmermehr geschehen!

Es wird nicht geschehen; nein, es wird nicht geschehen! Aber denken Sie sich, Willner, wenn der Freund Sie nach Jahren in sein Haus nöthigte, und die alte Geliebte, das schöne Hannchen, Ihnen die Hand reichte und Sie bäte, zu kommen und bei ihr zu wohnen. Wenn Sie sie täglich und stündlich sehen könnten, und sie blickte Sie an mit der alten Liebe und den süßen Augen und flüsterte leise Bitten in Ihr Ohr. – Hehe, he!

O, o! sagte Franz, ich würde aber auf keinen Fall kommen.

Winkel krümmte sich ganz zusammen, indem er recht aus dem Zwerchfell lachte und mit seinen langen Fingern streichelnd an Willner's Armen herunterfuhr.

Sie sind, was man einen ehrlichen, einfachen Menschen nennt, Willner, sagte er, und deßwegen achte ich Sie so hoch, und weil Hannchen auch so eine gute einfache Seele ist, darum wird sie für Ihr Glück sorgen, und ich werde ihr beistehen, so viel ich kann; was aber den lieben Grafen Aurel und meine schöne Gräfin betrifft, so möchte ich Ihnen ein Wort im Vertrauen sagen. Voraus gesetzt, daß Sie schweigen können.

Schweigen kann ich, antwortete Franz.

Winkel hob den Finger in die Höhe und drehte den Kopf, als ob er auf ein Geräusch horchte. Pst, sagte er, Sie können schweigen, das weiß ich.

Das geheime Schubfach, hehe! – Es kann doch Keiner hören, was wir sprechen?

Wer sollte uns hier hören können? Aber es ist vielleicht besser, wenn ich nichts weiß.

Die Hand darauf, daß Sie Niemandem etwas davon mittheilen! fuhr Winkel fort, ohne auf den Einwand zu achten.

Wenn's so sein muß, will ich die Hand darauf geben, sagte Franz, obwohl sein Gesicht starken Widerwillen ausdrückte.

Ich weiß nicht, rief der Secretär indem er sich setzte, den Ellbogen auf sein Knie stemmte und sein Kinn in seine Hand legte – ich weiß wahrhaftig nicht, weßhalb ich mich so sehr zu Ihnen hingezogen fühle, Willner. Aber es ist so – es ist meine Schwachheit für Freundschaft. Und das kommt wohl daher, setzte er nachdenkend hinzu, weil ich so allein in der Welt stehe, ohne Frau und Familie, ohne Verwandte und dergleichen Heuschrecken, die zum Ausplündern immer bereit sind. – Euch habe ich lieb, Euch Beide, Hannchen und Sie, Willner, und darum – wenn Sie Geld brauchen, wenn ich helfen kann mit Rath und That, so klopfen Sie bei Winkel an, dreist an. Ich habe Geld, für Sie habe ich Geld! immer! und was es auch sein mag, für Sie ist allezeit Geld da.

Hannchen hat mir gesagt, wie freundlich Sie für uns gesinnt sind, sagte Franz, der Winkel's ausgestreckte Hand schüttelte.

Gut, fuhr der Secretär fort, ich bin mehr als freundlich für Euch Beide gesinnt, und verlassen Sie sich darauf, Willner, es soll Ihnen wohl gehen, aber – weise muß der Mensch sein, wenn etwas aus ihm werden soll. Sei weise und habe Geld! das ist die goldene Lehre, die Jeder sich einprägen muß. –

Er legte den Finger an die Nase und sah den jungen Meister vertraulich lächelnd an.

Was nun unseren Grafen Aurel anbelangt, fuhr er fort, so wird er also bei uns wohnen, und wie ich Ihnen sagte, Willner, unser Herr – ich sage »unser Herr«, denn Sie sollen bald in seinem Dienste sein – hat seine väterlichen Absichten dabei. Er will den jungen Grafen wie seinen Sohn betrachten, ihn als Sohn behandeln, der Welt zeigen, daß er ihn liebt und daß Alles vergeben und vergessen ist.

Das ist sehr gut, sagte Franz.

Er soll nicht in schlechte Hände gerathen, unter Menschen, die ihn aufreizen und Böses aussäen! rief Winkel. – Da ist die alte Tante des Grafen, und da sind Andere, die ihn bald in ihren Garnen haben würden. – Nun können Sie bei dem guten Werke gute Dienste leisten.

Ich? sagte Franz; was kann ich thun?

Mir alles sagen, was Sie sehen und hören, erwiderte Winkel. Auch der Geringste ist oft das Werkzeug Gottes und hilft zu guten Werken. Sie können zum Beispiel zuweilen mit dem Grafen sprechen, er kommt zu Ihnen. Sie können ihn besuchen. Sie können ihm sagen, wie hoch Sie den Geheimerath verehren, und nebenbei auch, was Sie von mir denken, Willner. Sie können – ich denken, mit gutem Gewissen – ihm von mir erzählen, und wenn er sich an mich wenden, mit mir näher bekannt werden will, so könnte ich ihm nützlich werden; denn ich weiß Alles, ich sehe Alles, ich höre Alles und bin ein bescheidener, ehrlicher, zuverlässiger Mann, der von dem lieben Grafen stets mit der größten Verehrung spricht und ihn immer vertheidigt hat.

Ja, das will ich thun, sagte Franz eifrig. Das will ich herzlich gern thun.

Aber Vorsicht und Verschwiegenheit! fuhr der Secretair warnend fort; denn mit solchen Herren ist nicht zu spaßen. Er darf kein Wort davon wissen, daß wir über ihn gesprochen haben; allein was Sie hören, Willner, berichten Sie mir. Was er über den Geheimerath denkt, über die Gräfin denkt, was er Ihnen mittheilt …

Er wird mir wenig mittheilen, fiel Franz lachend ein.

Bah! sagte Winkel, es gibt eine Art, zu fragen, und Sie können das. Sie sind ein einfacher Mann, kennen ihn von jung auf. Was Sie fragen, klingt ganz unbefangen, und was Sie ihm erzählen glaubt er.

Ich werde auch mein Leben lang weder lügen noch heucheln! rief Franz.

Gott bewahre! pfui, wer wird das thun! Wahrheit, Wahrheit! Aufrichtigkeit und immer ein gutes Gewissen! – Da kommen die Leute nach dem Schranke. Wissen Sie was, Willner, kommen Sie mit zu mir; Hannchen werde ich einen Wink geben. Wir setzen uns zusammen und plaudern, trinken ein Gläschen und sind vergnügt. Also kommen Sie, und Keinem ein Wort!

Der Meister ging den Arbeitern entgegen, welche der Graf schickte, und unter seiner Leitung und Winkel's Aufsicht wurde der schwere Schrank, in Decken eingehüllt, vorsichtig aus dem Kellergewölbe über den Hof auf den Wagen getragen.

Ich komme sogleich nach, rief der Meister zurücklaufend; nur meinen Rock will ich anziehen. –

Er sprang die Stufen hinunter und riß die Thür auf.

Aurel stand mitten in der Werkstatt.

Hast Alles gehört? fragte er.

Alles, sagte der Graf. – Sie wollen Dich zum Spion machen.

Ich bin keiner, erwiderte Franz.

Aber Du sollst es sein. Sage dem Spitzbuben, daß ich mich seiner mit vieler Freude erinnere und sehr gern seine werthe Bekanntschaft erneuern würde.

Ich glaube, er könnte Dir nützlich sein, und vielleicht …

Was vielleicht?

Meint der Graf es doch ehrlich, und Winkel – er ist gegen uns ja aufrichtig – bietet mir sogar Geld an und hat uns lieb – ich meine Hannchen und mich.

Aurel lachte, indem er den ehrlichen Franz mit einem sonderbaren Blick betrachtete.

Nun, Willner! schrie der Secretär die Treppe hinunter, ich warte hier. Wir wollen uns zusammen auf den Wagen setzen.

Aurel blies das Licht aus und ging dicht hinter Willner aus der Werkstätte in den Vorflur. Franz schloß die Thür ab.

Hier bin ich, sagte er.

Und hier bin ich, sagte Winkel, der die Stufen im Finstern herunter gestiegen war und dicht neben Aurel stand. – Warum haben Sie denn so laut aufgelacht?

Es ist meine Art so, wenn ich lustig gestimmt bin.

Hehe! und Sie sind lustig gestimmt. Guten Handel gemacht, frohe Aussichten, ein mächtiger Gönner, eine hübsche Braut und der liebe Graf Aurel, der edle Freund. – Sachte, sachte! schrie er laut auf; Sie treten meine Füße entzwei! Gott erbarme sich! Willner, wie können Sie so ungeschickt sein? Ich bin eiskalt geworden!

Aurel zog sich zurück, und der arme Meister stotterte Entschuldigungen, die Winkel mit Vorwürfen beantwortete. Endlich war er die Treppe hinauf gehinkt und ließ sich von Willner fortführen, bis nichts mehr von ihm gehört wurde.

Der Graf sprang dann auf die Stufen hinauf, und den Hut in die Augen gedrückt, eilte er aus dem Hause, eben als der Wagen fortfuhr, auf welchem Winkel den besten Platz eingenommen hatte.


5.

Nach einigen Tagen waren die Gäste des Geheimenrathes in ihrer neuen Wohnung eingerichtet und hatten sich in die Rollen gefunden, welche durch Rodney's Beschluß ihnen zugetheilt waren.

Die geräumigen Zimmer des Pavillons waren bequem ausgestattet und boten einen, unter anderen Verhältnissen angenehmen Aufenthalt.

Eine Woche mochte ungefähr vergangen sein, als Rodney in einem großen Lehnstuhle saß, die Füße über zwei andere ausstreckte, die Arme auf das Fensterbrett stützte und in den Garten hinuntersah, der im Spätherbst allerdings nicht den Anblick gewährte, den er zur Frühjahrszeit bot. Eduard Rodney schien ernsthaften Betrachtungen nachzuhangen; denn er kaute an seinen Nägeln, besah seine Fingerspitzen und richtete seine Augen auf die schwankenden Gipfel der alten Bäume, deren melancholisches Rauschen zu ihm drang. –

Ein dünner Nebel legte sich auf die Grasplätze und umspann mit seinen feinen Schleiern den Tag, der widerspänstig diese abzuschütteln suchte. Dann und wann hätte man glauben sollen, es müsse ihm gelingen, wenn ein hellerer Lichtstrahl durch die nackten Zweige fiel; aber bald war es wieder der Kampf eines Sterbenden, der sich gegen den Tod wehrt, dessen kalte Hand auf Minuten nachläßt, doch nur, um so sicherer zuzugreifen.

Mitten in diesem Nachsinnen hörte Rodney die Thür öffnen, und da er in der tiefen Fensterwölbung saß, so konnte er eben so wenig leicht bemerkt werden, wie er sich die Mühe gab, sich umzuwenden.

Es ist Niemand hier, rief nach einigen Augenblicken eine frische Mädchenstimme. Komm herein, Franz, Dein Graf ist nicht zu Hause.

Er scheint überhaupt wenig zu Hause zu sein, antwortete Franz. Seit er hier ist, habe ich ihn kaum einmal auf ein paar Minuten gesehen.

Rodney drehte langsam den Kopf um und sah in dem Spiegel, ihm gegenüber an der Wand, die Kammerjungfer der Gräfin, die ihren Bräutigam in das Zimmer zog. – Es war ein kleines, wohlgewachsenes und nett geputztes Jüngferchen mit zierlichen Flechten und lebhaften Augen. Nicht mehr ganz jung, aber mit frischen Farben, langen goldenen Ohrringen, einer Broche, die ihr Kragentuch festhielt, und dänischen Handschuhen.

Der hat zu viel Arbeit, sagte sie lachend. Alle Tage haben wir Gesellschaft, und ein Aufhebens ist es mit ihm, als könnte Niemand ohne ihn leben.

Er verdient es auch, sagte Franz. Er ist sehr gut.

Er ist sehr hübsch, lachte Hannchen, das ist noch viel besser. Wir sind ganz bezaubert von ihm.

Wer ist bezaubert?

Alle! rief die Jungfer, sogar Herr Winkel; denn mit dem hat er gestern gesprochen, so liebenswürdig, daß Winkel sagte, er hätte weinen können. Er hat ihn bedauert über seinen bösen Fuß, den er Dir lange nicht vergessen wird, und hat ihm die Hand gedrückt mit einer Zärtlichkeit, die andere Leute eifersüchtig machen würde, wenn Winkel das Glück hätte, eine Dame zu sein.

Schade darum, versetzte Franz lachend; aber wer sind denn die anderen Leute, die eifersüchtig sein könnten?

Pst! sagte Hannchen, ihn auf den Mund tippend, das geht Dich nichts an. Es soll mich aber sehr wundern, was daraus wird.

Hier im Hause? fragte Franz.

Bei Tag und Nacht, bei Regen und Sonnenschein, des Morgens und Abends immer im Dienst, erwiderte die Jungfer, lustig umhertanzend. Immer galant, immer in ihrer Nähe, und wenn er wüßte, was ich weiß

Was weißt Du denn, Hannchen?

Sage mir aufrichtig, Franz, rief sie, an ihm aufsehend und schelmisch lachend, bist Du eifersüchtig?

Gar nicht, sagte er. Dummes Zeug! Warum sollte ich denn eifersüchtig sein? Manche Bekannte haben mir freilich allerlei in den Kopf setzen wollen, aber – ich gebe nichts darauf.

Schlechte Menschen finden sich immer, fiel sie verächtlich ein.

Schlechte mögen es weniger sein als leichtgläubige. Weil Winkel – ha ha! Winkel! weil er … Ach, ich will gar nicht weiter davon sprechen.

Herr Winkel ist wie ein Vater zu mir, sagte Hannchen mit beleidigter Würde. Aber siehst Du Franz, wie Dein Graf bist Du nicht; Du bist manchmal so ernsthaft und siehst so finster aus, daß man sich fürchten möchte. Dein Graf ist immer lustig und ein Courmacher der schlimmsten Sorte.

Macht er Dir auch etwa die Cour? fragte Franz.

Was das anbelangt, so nebenher, warum denn nicht? erwiderte sie ihm, einen Knix machend; aber sei nicht bange, er hat hier viel zu viel zu thun, um mir gefährlich zu werden. Es ist eine einzige Geschichte, Franz, und wenn die alte Excellenz nicht ein Mann wäre, der das Gras wachsen hört, so könnte er eifersüchtiger sein als Du.

Auf wen denn eifersüchtig? sagte Franz verwundert. Auf den Grafen Aurel? – Narrenspossen! der hat darin den Grafen kennen gelernt.

O, Du Lamm! rief Hannchen lachend. Alte Liebe rostet nicht, das ist eine bekannte Sache. – Dein Graf ist verliebt bis über die Ohren; wer sich die Augen nicht mit Gewalt zuhält, muß es merken, obwohl er natürlich so thut, als wäre es nicht wahr. Den halben Tag ist er mit der Gräfin zusammen, begleitet sie überall hin, reitet mit ihr spaziren, führt sie in Theater und Concerte, spielt und singt mit ihr, wobei er denn freilich zuweilen den Schein annimmt, als ob er sich plötzlich besänne und dem Gesellschafts-Fräulein, unserem Fräulein Beate, seine Huldigungen widmete.

Bei der kann er's mit Recht thun, wenn er es thut, sagte Franz.

Gott, Franz, rief Hannchen, sei doch nicht einfältig! Unser Gesellschafts-Fräulein ist so eine von den armen Fräuleins, die um Gottes willen ins Haus genommen werden und die erste Kammerjungfer spielen. – Meine Gräfin thut auch zuweilen so, als wollte sie den Leuten merken lassen, dein Graf interessire sich für Fräulein Beate; aber nicht einmal eifersüchtig kann sie darüber werden, denn es wäre zu lächerlich, und glauben thut's Keiner.

Was, lächerlich! erwiderte der ehrliche Franz. Ich habe sie kaum einmal gesehen, aber sie sieht fein und freundlich aus.

Passabel häßlich ist sie, lachte Hannchen; eine miserable Figur und dabei so arm wie Hiob. – Bescheiden, o ja, sehr bescheiden; in den Kopf wird sie sich so leicht nichts setzen.

Was ist denn da in den Kopf zu setzen? sagte Franz. Es kommt doch bloß darauf an, ob Graf Aurel sie liebt.

Liebt! schrie Hannchen, das ist es ja eben, wie kann er sie denn lieben?! Es ist ja eine Waise, die gar nichts hat, und er wird unermeßlich reich, wenn er die großen Güter bekommt. Ja, wenn sie noch schön wäre, wie meine Gräfin, Schönheit entschuldigt alle dummen Streiche. Dein Graf kann anklopfen, wo er will, bei Fürstinnen und Prinzessinnen. Meine Gräfin wird schon für ihn sorgen, fügte sie schelmisch lächelnd hinzu.

Ob arm, ob reich, sagte Franz, seine Geliebte freundlich anblickend, danach fragt ein richtiger Mann nicht, und was Aurel betrifft, so kann er ja, eben weil er reich ist, um so eher eine Arme nehmen.

Aber es ist immer unpassend, erwiderte Hannchen stolz, wenn man sich unter seinen Stand verheirathet. Das Geld thut es auch nicht allein; es ist die Verwandtschaft und woher man stammt.

Ja, dann bist Du übel fortgekommen! rief Franz lustig. Denn meine Mutter – Gott habe sie selig! die gute Frau war eines armen Dorfhirten Tochter und heirathete einen Soldaten, der Diener bei Aurel's Vater, dem alten Obersten, und mein leiblicher Erzeuger war.

Sei doch still! schrie Hannchen, und behalte Deinen noblen Stammbaum für Dich. Überhaupt, Franz, mußt Du manierlicher werden.

Was soll ich werden? Was meinst Du? sagte er empfindlich.

Manierlicher, Du Hitzkopf! rief sie lachend. Wenn ich erst Deine Frau bin, werde ich Dich waschen und putzen, bis alle Welt sagt: Seh' einer den jungen Meister, der sieht aus wie ein Graf.

Ach, Hannchen, sagte Franz, sie an sich ziehend, das Aussehen thut es nicht, und die vornehmen Verwandten verläugnen und verlassen uns. Aber hier drinnen sitzt es. Da bin ich, trotz meiner schwarzen Hände, roth und weiß, wie ein König, und keiner, der Gold und Seide trägt, kann Dich so lieben, wie ich es thue.

Laß mich los, laß mich los! schrie sie halb laut. Halt ein – ach! – dieser letzte Laut der Überraschung galt Herrn Eduard Rodney, der bisher lautlos in seiner Ecke gesessen hatte, jetzt aber eine Bewegung machte, seine Füße von dem Sessel zog und seinen Kopf um die Pfeilermauer hervorstreckte.

Er sah ganz wie gewöhnlich, ernsthaft und unbeweglich aus; als aber Hannchen, die sich schnell gefaßt hatte, ihm zulächelte, einige entschuldigende tiefe Knixe und schelmische Achselzuckungen machte, indem sie zugleich den erschrockenen Franz leise am Rockschoß fortzog und mit ihm den Rückzug begann, fing Rodney laut an zu lachen. Er grüßte das Paar mit mehreren Handbewegungen, für welche sich Hannchen dankbar verbeugte und ihrem Geliebten einen Stoß versetzte.

Grüße ihn doch, sagte sie laut, es ist ja der englische Herr.

Und er hat Alles gehört! flüsterte Franz.

Keine Sylbe hat er verstanden, der ist so gut wie stumm und taub, fuhr Hannchen fort, indem sie noch immer mit ihren blitzenden Augen zu Rodney sprach, welcher aufgestanden war, die Arme über einander kreuzte und ihr nachblickte.

Was ist es doch für ein Unglück, rief das junge Mädchen mit einem Blicke des Bedauerns, wenn ein Mensch gar kein Deutsch versteht! Und es ist doch so leicht, die kleinsten Kinder können es lernen.

Rodney fing noch heftiger an zu lachen, und als Franz die Thür zudrückte, hörte er, wie der Engländer schnell und laut sprach.

Pst! sagte eine Stimme von der oberen Treppe herunter, und unwillkürlich schauerte Franz zusammen und ergriff Hannchen's Arm, um die Flucht zu nehmen.

Hieher, hieher! fuhr die Stimme fort, und ein langer grauer Arm streckte sich durch eine Öffnung des Geländers.

Es ist ja Herr Winkel, Franz, rief Hannchen, und im nächsten Augenblick steckte der Secretär seinen Kopf über die Brüstung und ließ sein hustendes Lachen hören. – Kommen Sie herauf, Fräulein Hannchen, sagte er, und bringen Sie den furchtsamen Bräutigam mit. – He he! warum ängstigen Sie sich, Willner? – Bringen Sie ihn, Fräulein Hannchen, wir wollen ihn zu einem Manne machen.

Hannchen sprang die Treppe hinauf, und Franz folgte nach. Der Secretär führte sie durch eine Reihe unbewohnter Mansarden über den ganzen Flügel des Hauses fort, bis er zuletzt in dem großen Arbeitszimmer anlangte, dem gegenüber seine eigene Wohnung lag.

Aber was haben Sie denn oben in den leeren finsteren Kammern gethan? fragte Hannchen. Haben Sie einen Schatz gesucht?

Meinen Schatz, grins'te der Secretär, ihr die Wange streichend. He he! was Sie gut rathen können, Fräulein Hannchen! – Ich gehe da oben spaziren, wie andere Leute auf den Straßen oder in Gärten, um mich zu erholen. Da sah ich vom Fenster aus Sie und Willner über den Hof kommen und wollte wissen, was das zu bedeuten hatte.

Ich wollte dem Grafen Aurel Hannchen ordentlich vorstellen als meine Braut, sagte Willner.

Und darum haben Sie sich so geputzt, Fräulein Hannchen? fiel Winkel ein. Die goldenen Ohrringe, die Broche vor dem Kantenkragen und neue Handschuhe an. Ha ha! Der liebe Graf Aurel weiß, was Schönheit ist, mit und ohne Kanten. – Es ist schade, daß Alles umsonst war. – Setzen Sie sich, Fräulein; hier ist ein Stuhl, Willner. – Da steht auch Ihr Geldspinde, und es liegt jetzt was darin, woran wir alle genug haben würden, wenn es uns gehörte.

Gold! rief Hannchen.

Bah! sagte Winkel, Gold und Geld weniger noch als Papiere, Documente, Schuldverschreibungen, wichtige Contracte und dergleichen. Der Geheimerath hat mir noch nicht einmal das Geld für Willner gegeben. Große Herren denken immer, andere Leute können warten. Brauchen Sie's nothwendig, Willner?

O, warum nicht! antwortete der junge Meister. Es wäre mir wohl lieb, von wegen … er sah Hannchen an … weil ich allerlei kaufen muß.

Aha, aha! sprach Winkel, Hannchen auch ansehend und den Finger hoch hebend, merkst Du was? er will nicht länger warten! Na, wir wollen es überlegen. Der Geheimerath ist jetzt nicht in der besten Laune. Die Feste kosten viel, die neuen Einrichtungen, die neuen Pferde, und der liebe Graf Aurel.

Der auch? fragte Hannchen.

Der auch! rief Winkel spottend. Wir haben ihm vor drei Tagen erst sechstausend Thaler baar gezahlt, und wer weiß, was er uns noch kosten wird! – He he! der kann uns noch viel kosten.

Er sah nach dem Schranke hin und betrachtete dann dessen Verfertiger, der ungeduldig den Hut in der Hand drehte. – Willner will fort, sagte er, und ich denke, er nähme Sie am liebsten gleich mit, Fräulein Hannchen. Ist es nicht so, Willner? Aufrichtig, ist es nicht so?

Freilich ist es so, Herr Winkel! rief Franz.

Was das für ein selbstsüchtiger Mensch ist! lachte der Secretär. An mich denkt er nicht, an Keinen denkt er, nicht einmal um seinen vornehmen Freund kümmert er sich und vergißt ganz und gar, was ich ihm gerathen habe.

Pst! fuhr Winkel fort, als Franz sprechen wollte, handeln ist besser als Worte machen. Der Geheimerath ist anders, der vergißt nichts. Zu Neujahr wird ein Hüttenmeister gebraucht auf dem großen Hammer- und Walzwerke, das uns gehört. Das wäre eine Stelle für den Willner, sagte er heut zu mir. Eine Stelle mit achthundert Thalern, freier Wohnung und allerlei sonstigen Annehmlichkeiten.

Franz! ach, wie himmlisch! rief Hannchen, die Hände faltend.

Allerliebste kleine Frau Hüttenmeisterin! schrie Winkel, seine Lippen spitzend, indem er seinen Arm um ihren Leib legte und mit der Hand sanft über ihr hübsches Gesicht strich. Da ist ein nettes Häuschen, darin werden Sie wohnen, und im Sommer kommt der Graf nach seinem Schlosse, und ich komme mit und wohne bei Ihnen.

Ist es denn auch wahr? fragte Hannchen.

Wahr und gewiß, sagte der Secretär. Ich kann alles, was ich will; aber – Willner muß auch thun, was er soll.

Alles wird er thun, Alles! rief Hannchen eifrig. Er müßte ja gar keine Vernunft haben, lieber guter Herr Winkel. Rede doch, Franz, sage doch unserem Wohlthäter, daß Du ein gefühlvoller Mensch bist.

Das versteht sich, freilich! Alles, was ich thun kann, was recht ist, sagte Willner, dem das Blut ins Gesicht gestiegen war.

Was recht ist vor Gott! erwiderte Winkel mit einem frommen Blicke nach oben. Nichts weiter, als was ich schon gesagt habe.

Ein Wagen fuhr in den Hof, und bei dem Gerassel der Räder und dem Stampfen der Pferde lief Winkel ans Fenster, und Hannchen folgte ihm nach.

Da kommt die Frau Gräfin! rief der Secretär; und Graf Aurel hat die Damen begleitet. Was es für ein prächtiger junger Herr ist! Wie er galant ist! wie er die gnädige Gräfin aus dem Wagen hebt! Wie er lachen kann und was für Augen er im Kopfe hat! Wie Sonnen! Wie Feuerräder! – Der Geheimerath ist auch ganz entzückt von ihm, Alle sind entzückt von ihm …

Er flüsterte seiner Nachbarin etwas leise ins Ohr, was sie mit einem leichten Nicken des Kopfes beantwortete, und sagte dann laut:

Aber nun ist's Zeit, wir müssen uns trennen; Jeder an seine Geschäfte, liebe Kinder. Gehen Sie mit Hannchen, Willner, ich will hier nachsinnen, was sich zum Besten für Euer Glück thun läßt. Und morgen früh kommen Sie zu mir, ich will Ihnen Geld verschaffen, und sollte ich's von meinem eigenen geben.

Ach, Sie sind immer edelmüthig, immer gut! rief Hannchen mit Begeisterung. Ich könnte Ihnen die Hände dafür küssen.

Winkel that seine langen Arme weit auf, und Hannchen hielt demüthig still, als er ihre Lippen mit einigen väterlichen Küssen, wie er sagte, berührte.

Nun geht, sprach er dann würdevoll, und hören Sie, Willner, Eines wollte ich Ihnen noch mittheilen, im Falle Sie unseren lieben Aurel sprechen: Sagen Sie ihm, was volle Wahrheit ist, daß ich sein unterthäniger Verehrer bin und jeder seiner Winke mir Befehl sein wird. Sollte er irgend meiner Dienste benöthigt sein, so könnte er – das vergessen Sie nicht – auf mich rechnen und von mir sehr viel erfahren, was ihm angenehm sein würde.

Ich werde es nicht vergessen, sagte Franz, indem er Abschied nahm und Hannchen folgte.


6.

Der Geheimerath hatte einige Tage darauf ein glänzendes Diner veranstaltet, welches nach seiner Gewohnheit keines war, das von zahlreichen Gästen, sondern allein von »Auserwählten« getheilt wurde. Für die große Menge, sagte er, sind die Bälle, die Abend-Gesellschaften, die Salon-Tage; für den kleinen Kreis, der höhere Genüsse zu würdigen weiß, gibt es nur Diners. – Er hatte mit Vorbereitungen und Geschäften den Vormittag zu thun gehabt, und traf, als er zurück kehrte, seine schöne Frau schon angekleidet in den Empfangzimmern.

Das ist mir lieb, Leonor, rief er, daß ich Dich finde. Du bist zum Entzücken, mein Engel! –

Er küßte sie auf die Stirn und führte sie in dem Zimmer auf und ab, indem er von dem Feste und von einzelnen Eingeladenen sprach, allerlei Neuigkeiten erzählte und endlich ein lautes Gelächter erhob und an seine Stirn faßte, als fiele ihm etwas ein.

Denke Dir, Leonor, sagte er, wir werden einen merkwürdigen Besuch erhalten, einen Gast, der sich selbst eingeladen hat.

Wer? fragte die Gräfin stillstehend.

Cousine Schönburg.

Die Präsidentin! Aurel's Tante!

Die fromme, würdige Präsidentin! rief der Geheimerath. Ich habe sie längere Zeit nicht gesehen und hätte auch nichts dagegen, wenn es noch recht lange so geblieben wäre. Heute aber kam sie mir in den Weg und hielt mich fest, um mit ganz enormer Zärtlichkeit mir für mein schönes Empfinden als Mensch und Christ zu danken.

Sie blasphemirte also, sagte die Gräfin, indem sie mit ihrem Fächer ihren Gatten spielend auf die Schulter klopfte.

O Du Schelm! rief der Geheimerath. Als ob ich kein Christ wäre! ich, der ich allein drei Kirchen gebaut habe. – Aber, alles Ernstes, Leonor! sie dankte mir mit herzlichen Worten, daß ich Aurel die Hand zu einer Versöhnung geboten habe, welche sie sehr glücklich mache, und wie ein Wort das andere gab und sie hörte, es sei heute ein kleiner Kreis an unserem Tische vereint, bat sie sich das Vergnügen aus, auch daran Theil nehmen zu dürfen. – Beruhige Dich, fuhr er lachend fort, als er die Wirkung seiner Nachricht in dem Gesicht der schönen Frau erblickte, sie wird erst unseren Thee verschönen helfen und hofft ihren theuren Aurel, der alle Liebenswürdigkeiten vereinigt, dann immer noch anzutreffen.

Aurel, erwiderte Leonor, versäumt fast keinen Tag, um diese geliebte Tante zu besuchen. Sie hätte daher wohl bis morgen Geduld haben können.

Und er gedeiht in Frömmigkeit und Tugend, sagte der Geheimerath spottend. Ich muß gestehen, er überrascht mich durch die Klugheit, Leichtigkeit und Sicherheit, mit welcher er sich bewegt. Sein Charakter hatte sonst immer etwas Ernstes und Zurückhaltendes. Er war ein Träumer, er liebte die Einsamkeit, er machte Gedichte, er schwärmte in Gefühlen – und konnte damit hinreißen, fügte er hinzu, indem er einen seiner boshaften Seitenblicke auf seine Frau warf. – Seit den zwei Wochen, daß er bei uns ist, habe ich ihn abgehetzt bis zum Mitleid. Er hat, auf Seele und Gewissen! keine Stunde Ruhe gehabt. Von Gesellschaft ist er in Gesellschaft gestoßen worden. Morgens in aller Frühe habe ich ihn heimgesucht und seinen Kaffee mit Zeitungen, Geschäfts- und Familien-Geschichten und allerlei vergnüglichen Mittheilungen versüßt; dann hat er mit Dir und Beaten musicirt, oder er hat Dich begleitet, oder ihr habt ihm Aufträge ertheilt, und dann hat er Besuche machen, Einladungen annehmen, lachen, scherzen, heiter und witzig, geistreich und unterhaltend sein müssen, bis Mitternacht oder noch weit später. –

Derschau's Augen funkelten vor Vergnügen, bis sie einen Ausdruck boshaften Ärgers annahmen.

Ich habe wirklich geglaubt, ihn dabei störrig und hartnäckig werden zu sehen, fuhr er fort, mürrisch, grob und bitter gelaunt; aber zu meinem Erstaunen ist er geschmeidig, wie ein olympischer Kämpfer, seine Augen sind so muthwillig blitzend, wie von wahrer Lust und Befriedigung, und ich fürchte beinahe, rief er, sich in einen Armstuhl werfend, die Ermattung fällt auf uns selbst zurück.

Und was dann? fragte die Gräfin.

Der Geheimerath sah einige Minuten vor sich hin, seine Stirn bedeckte sich mit dicken Falten. Plötzlich hob er den Kopf und blickte seine Gattin mit einem sonderbaren Lächeln an. –

Was dann? sagte er leise; das ist Deine Sache, lieber Engel. – Wie reizend Du aussiehst, Leonor! Der arme Junge könnte mich fast dauern. Ich könnte es ihm verzeihen, wenn er vergäße, daß Minuten, Stunden, Jahre nie wieder zurück gebracht werden können, was todt ist, nie wiederkehren kann.

Eine schwache Röthe färbte das Gesicht der Gräfin. Sie hob den Finger auf und drohte damit, ohne zu sprechen.

Er muß fort! flüsterte Graf Bodo, indem er ihre Hand nahm und küßte; lange kann ich es nicht mehr ertragen. Fort, je eher, desto lieber, mit diesem Stock von Engländer, der geduldig stundenlang sitzen und vor sich hinstarren kann, ohne zu sehen und zu hören. Mögen sie in Nubien und China Entdeckungen machen, hier will ich ihn nicht haben. Er soll fort! Ich will keinen Menschen in meiner Nähe dulden, dessen Gesicht mich alle Tage an meinen Tod erinnert, der, wie ein Spion, mich umschleicht, in dessen Blicken ich, trotz aller Verstellung, seine geheimsten Gedanken lese, der mich haßt mit geheimem, rachsüchtigem Haß und der – Böses gegen uns im Schilde führt. – Sei gewiß, was er auch thun mag, es ist nur Böses, sagte er leise vor sich hin.

Ich glaube es nicht, erwiderte Die Gräfin.

Hast Du mit ihm Dich ausgesprochen? – er mit Dir? fragte der Graf.

Nein, erwiderte sie, wir vermeiden es beide, aber …

Nun, aber? fiel er ein.

Ich glaube, wir werden bald auf dem Punkte sein, es nicht länger vermeiden zu können.

Ah, ich begreife! rief Graf Bodo, und die Düsternheit verschwand aus seinem Gesichte. – Du bist gütig und theilnehmend für ihn, suchst seine Freundschaft zu gewinnen, und Deine Blicke – es sind köstliche, kummervolle, innige Blicke. Eine wundervolle Komödie! Du spielst, wie eine große Künstlerin, Leonor!

Es ist sonderbar, erwiderte die Gräfin nach kurzem Schweigen lächelnd und den Kopf in ihre feine Hand stützend – es ist sehr sonderbar, daß wir uns über diesen Gegenstand unterhalten.

Zum letzten Male, wenn es sein kann, erwiderte er; denn ich denke, Leonor, wir wissen beide jetzt, um was es sich handelt. – Aurel, sagte er leise, aber nachdrücklich, ist mein Erbe, wenn – ich kinderlos bleibe. Nach den Bestimmungen des Familien-Statuts kann er nur eine Frau aus einer Landes-Familie mit wenigstens sechszehn Ahnen nehmen. – Er ist der letzte Majorats-Erbe, es ist kein Anderer mehr vorhanden, der durch Verwandtschaftsrecht Ansprüche machen könnte. In diesem Falle bin ich berechtigt, über den ganzen Besitz zu verfügen, und darum ist es nothwendig, daß er nie heirathet; für alles übrige läßt sich dann sorgen.

Bei diesen letzten Worten trat das Gesellschafts-Fräulein herein, der Sir Rodney folgte. – Fräulein Beate verbeugte sich ein wenig verlegen, als sie den Geheimerath sah, der mit schlecht verstecktem Ärger über die unwillkommene Störung sie empfing.

In solchen Fällen pflegte Graf Bodo immer möglichst boshaft sich zu belustigen, er ließ es auch jetzt daran nicht fehlen. Nachdem er Rodney die Hand geschüttelt und ihm einige Worte gesagt hatte, wandte er sich zu der jungen Dame, die er mit seinen scharfen Augen genau zu betrachten und zu bewundern schien. –

Heirathen darf er nie! wiederholte er nochmals; aber das geht nicht etwa auf unseren geistvollen Freund hier. Auf Ehre und Gewissen, Fräulein Beate, Sie haben nicht nöthig, zu erschrecken, obwohl es der fürchterlichste Ausspruch ist, den eine Dame hören kann. Ist es nicht so? sagen Sie selbst – ist es nicht schrecklich, von einem Wesen zu hören: es darf nicht heirathen?

Fräulein Beate senkte die Augen nieder und erröthete wie Purpur, dann blickte sie zu der Gräfin bittend auf, als wollte sie bei ihr um Schutz flehen.

Aber die Gräfin stützte den Arm auf die Bergere und schien wenig Lust zu empfinden, ihrer Freundin zu Hülfe zu kommen. Sie beobachtete Beatens Gesicht und lächelte über Rodney, der steif daneben stand, wie jemand, der nicht begreift, um was es sich handelt.

Ich werde mich mit diesen entsetzlichen Dingen nicht einlassen, erwiderte die Gesellschafterin endlich, indem sie einen scherzhaften Ton annahm.

Haha! rief der Geheimerath, damit sollen Sie nicht fortkommen. Sie finden es also doch entsetzlich? – Was denken Sie, Sir Eduard? Fragen Sie ihn, Fräulein Beate, was er davon denkt. Geben Sie Acht, er begreift uns; er ist zu geistvoll, um uns nicht zu begreifen. In Ihrer täglichen Gesellschaft, ersetzt die Empfindung die Sprache, so ist er ganz Empfindung geworden! – Nein, bei meiner armen Seele, ich scherze nicht! Wie ein Tanzmeister spazirt er umher, ganz erfüllt von dem Bewußtsein, daß er heirathen darf.

Der spaßhaft gelaunte Reichsrath hatte die Hand des armen kleinen Gesellschafts-Fräuleins genommen, die das Ziel seines Witzes geworden war, und stand lächelnd vor ihr in der artigsten, galantesten Weise, während Rodney sich der Gräfin genähert hatte, die ihn einlud, Platz zu nehmen, was Sir Eduard that, indem er dem Grafen und dem Fräulein den Rücken zukehrte und ein Gespräch begann, ohne das Gelächter hinter sich zu beachten.

Was Sie bezaubernd Toilette gemacht haben! fuhr der Graf inzwischen fort. Fräulein Beate, ich warne Sie. Es sind heute mehrere Diplomaten bei uns; behüte Gott uns vor Unheil, das ganzen Völkern verderblich werden, zu einem Kriege mit England führen, die Civilisation oder Aufklärung, ja, die Aufklärung des Jahrhunderts erschüttern könnte! Aber Sie sind ja ganz weiß mit einer himmelblauen Schärpe. Die Unschuld mit dem Gürtel der Grazien. Englischer Geschmack, das heißt der Geschmack eines Engels! Haha! gut, daß Sir Rodney ein so ausgezeichnet dröhnendes Organ hat und Niemand uns hört. Aber in unserem Zeitalter der Unschuld ist Alles unschuldig, und was das Heirathen anbelangt, so behandelt die Aufklärung des Jahrhunderts diese veraltete Sitte mit philanthropischer Weisheit.

In dieser Weise wurde das arme Gesellschafts-Fräulein von dem launigen Herrn noch eine Zeit lang unterhalten und sie vertheidigte sich gegen ihn, so gut sie es vermochte, indem sie zugleich bemüht war, ihn in Gränzen zu halten, die er nicht der Mühe werth hielt, bei ihr zu beobachten. – Endlich benutzte sie eine Gelegenheit, um sich zu entfernen, was den Geheimerath sehr ergötzte.

Also wirklich in die Flucht geschlagen, sagte er lachend zu der Gräfin, der Rodney stumm gegenüber saß. Aber sie sieht heute ganz passabel aus und überläßt uns dennoch den geistreichen Anbeter, dem es nicht darauf ankommt, sie ein paar Stunden lang anzusehen und gar nichts zu sagen.

Welche Grausamkeit! erwiderte die Gräfin lächelnd.

Rodney wandte sich langsam um, als suche er etwas; da er aber fand, daß Beate nicht mehr im Zimmer war, schlug er einen Fuß über den anderen und steckte seine Hände in die Taschen seiner Weste.

Wo waren Sie heute, Herr Rodney? fragte die Gräfin.

Ich habe Briefe geschrieben und dann Musik gehört.

Beate spielte. – Sie hören es immer gern.

Miß Beate ist eine große Künstlerin, sagte er.

Sehr liebenswürdig! rief der Graf.

Sehr liebenswürdig, erwiderte Rodney, mit dem Kopfe nickend.

Ein überaus edles, reines Gemüth, fügte die Gräfin hinzu.

Gewiß, sagte Sir Eduard.

Und schön! flüsterte der Graf, indem er Stirn und Augen emporzog.

Beautiful! sprach Rodney kopfnickend.

Ach, dieser Pinsel! murmelte der Graf auf Deutsch und leise, indem er sich abwandte, denn er konnte den Spott nicht länger unterdrücken. Ich glaube wirklich, er ist von ihrer Schönheit hingerissen.

Und wenn er es wäre, erwiderte die Gräfin, zu ihm hingebeugt, da er wie ein zärtlicher Gatte sich mit ihr zu beschäftigen schien, so wäre er es vielleicht nicht einmal allein.

Nicht allein? – Wer noch?

Wenn es Jemand wäre, der, wie Du sagst, nicht heirathen darf.

Wer? Er! rief der Graf, aber nach einem Augenblicke fing er heftig an zu lachen. – Ich glaube wahrhaftig, sie hat sechszehn Ahnen, sagte er, und es wäre eine standesmäßige Partie. Schief, häßlich, mittelmäßig, untergeordnet, wie sie ist, wäre ihm ein solcher Schatz zu gönnen, aber auch diese Seligkeit darf er nicht genießen. – Doch dazu hat er in Deiner Nähe zu viel Geschmack, solche Lächerlichkeit wird er nie begehen. Diese Schönheit bleibt unserem langweiligen Nachbar unangetastet, der ohne Zweifel jetzt in den süßesten Träumen schwelgt.

Rodney saß noch immer in derselben Stellung und sah so ernsthaft auf den Teppich, als zählte er dort die gewirkten Blumen und Knospen.

Verzeihung, Herr Rodney, sagte die Gräfin entschuldigend, wenn wir Sie so ungestört Ihren Gedanken überlassen.

Das ist zuweilen ein großer Vortheil, erwiderte Rodney, ohne eine Bewegung zu machen.

Was er artig und aufrichtig ist! lachte der Graf. Laß ihn bei Tisch mit seiner Angebeteten die Sache ausmachen. Er wird tiefsinnig denkend verschlucken, was ihm vorgesetzt wird, ohne eine andere Empfindung dabei zu haben, als Sehnsucht nach Rindfleisch und Pudding. – Laß ihn ruhig sitzen, Leonor; aber ich bitte Dich, mache, daß wir sie beide los werden, und schicke dann doch gelegentlich auch die große Künstlerin aus dem Hause. – Sie nimmt einen Ton an, der ihr nicht zukommt.

Mit der einnehmendsten Galanterie küßte der Graf, während er sprach, fortgesetzt die Hand seiner Gattin, und seine Worte klangen so schmeichelnd und unschuldig, als sagte er ihr die lustigsten Neckereien. – Rodney blickte seitwärts darauf hin und nickte lächelnd und gravitätisch.

Wie der steinerne Gast, der uns seinen Segen giebt! rief der Graf, und in der muntersten Laune ging er den Gästen entgegen, denen jetzt ein Diener die Thür öffnete.

 

Nach einer Viertelstunde füllte sich der Raum. Es war keine große Zahl, nur einige zwanzig Personen und fast nur Herren; aber es waren auserlesene Kenner, die in der Kunst des Genusses lange und sorgfältige Studien gemacht hatten. So wenig manche von ihnen Geschmack an der Literatur finden mochten, so war doch keiner darunter, der nicht Rumohr und Vaerst Carl Friedrich Ludwig Felix von Rumohr (1785-1843), deutscher Kunsthistoriker, Schriftsteller, Zeichner und Maler, Agrarhistoriker, Gastrosoph, Kunstsammler und Mäzen. – Friedrich Christian Eugen Baron von Vaerst (1792-1855), preußischer Offizier, Schriftsteller, Theaterdirektor. selbst besaß oder doch mehrmals gelesen hatte. Viele hätten aus ihren reichen Erfahrungen Nachträge schreiben und der Nachwelt wichtige Entdeckungen mittheilen können, die sich vielleicht wirklich einst unter ihrem Nachlaß finden.

Die Jugend war von diesem Diner ausgeschlossen, weil gewöhnlich in der Jugend die Zunge zwar manche schätzenswerthe Eigenschaft besitzt, nur nicht die eines gebildeten Geschmackes. Alle Gäste des Geheimerathes waren daher im höheren Alter, mehrere von stattlichem Umfang, die Übrigen mit derjenigen Rundung des Unterleibes versehen, die dem Kenner Achtung einflößt; auch lag in allen Gesichtern der süße und begehrliche Ausdruck des epikuräischen Zuges, welchen geheimnißvoll der lüsterne Gott seinen Geweihten aufzudrücken pflegt.

Der Graf führte die Eintretenden seiner Gemahlin zu, und da die meisten zu den vertrautesten Freunden des Hauses gehörten, so bildete sich bald ein kleiner Kreis um die Damen, während Andere in der Mitte des Salons den Grafen umringten. – Es waren zwei Diplomaten dabei, welche mystische Winke über die neuesten Wendungen in der Politik fallen ließen; mehrere hohe Beamte, die über eine eben erlassene Ministerial-Ordre flüsterten, welche Gesinnungstüchtigkeit, Muth und Ausdauer in jeder schwierigen Lage befahl; endlich ein Ober-Kammerherr und entfernter Verwandter, der die interessantesten Anekdoten der Hofgeschichte, Äußerungen und Scherze der höchsten Personen, unter dem beifälligsten Gelächter seiner Zuhörer erzählte.

Bei alledem aber war die Aufmerksamkeit doch eigentlich nur gering und eine gewisse Unruhe in der kleinen Gesellschaft, ähnlich der Unruhe der Erwartung, welche im Theater vor Aufgehen des Vorhanges sich äußert, wenn die Stunde geschlagen hat und noch immer die Bühne geschlossen bleibt.

Der Ober-Kammerherr sah mit einem langen, tiefsinnigen Blicke dem Bedienten in Gala nach, der an der Thür des Speisesaals sich aufgepflanzt hatte, um mit einem Ruck die Flügel zu öffnen, aber auf einen Wink seines Herrn wieder verschwand.

Als der Diener die Pforte des Heils hinter sich zuklappte, öffnete der Kammerherr dafür seine Nasenflügel, und mit großer Genugthuung sah er, daß die Gesichter seiner Freunde und Nachbarn dieselbe Richtung genommen hatten, ihre Gedanken sich demselben Mekka zuwandten. Eine ahnungsvolle Stille lag in ihren Zügen, eine gewisse Sehnsucht trübte ihre Augen, ein sanftes Lächeln aber, das von Mund zu Mund lief, verbreitete allgemeine Beruhigung.

Der Ober-Kammerherr senkte die Augen und ließ einige flüchtige, angenehme Betrachtungen an seiner Seele vorüber ziehen. Er roch Trüffeln, pikante Saucen, Pasteten, Gratins, Marionaisen. Er stellte eine geheime Untersuchung an, ob dieser Duft, den er jetzt einzuziehen glaubte, von Haselhühnern, Poularden oder Fasanen herrühre, und er entschied sich endlich für Haselhühner, weil er diese am liebsten aß. Endlich aber war er mit seiner Geduld zu Ende; denn seiner Phantasie schwebte ein Austern-Salat vor, der, wie der Geheimerath ihm mitgetheilt, als neue Erfindung seines Koches, gleich nach der Suppe gegeben werden sollte.

Er zog den Grafen in eine Ecke und flüsterte ihm ins Ohr:

Was heißt denn das heute, Derschau? Auf wen warten wir denn?

Auf meinen Vetter Aurel, erwiderte der Geheimerath.

O, Jugend, du hast nie Tugend! seufzte der Ober-Kammerherr. Der Austern-Salat wird sein feinstes Bouquet verlieren. Warum auch diesen Böotier einladen?!

Er ist mein Hausgenosse, sagte der Geheimerath.

Warum ist er Dein Hausgenosse? fuhr der Ober-Kammerherr vorwurfsvoll fort. – Man findet das überhaupt ziemlich seltsam, Derschau, obwohl man Deine Absicht erkennt.

Erkennt man, so? fiel der Geheimerath lächelnd ein.

Du willst Dich mit Deinem Erben versöhnen, fuhr der Freund fort, willst der Welt ein erhabenes Schauspiel geben. Man weiß nicht, was größer ist, die Resignation von seiner oder das Vertrauen von Deiner Seite. – Aber verlaß Dich nicht auf seine Dankbarkeit, Derschau, fürchte vielmehr Alles von ihm; denn wenn er dankbar wäre, würde er uns jetzt nicht so unwürdig warten lassen.

Da ist er ja! rief der Geheimerath.

Gott sei Dank! antwortete der Ober-Kammerherr neu belebt.

Der Geheimerath ergriff seinen säumigen Vetter beim Arm, während in der ganzen Gesellschaft eine freudige Bewegung entstand und der galonnirte Bediente die Flügelthüren blitzschnell aufriß. – Die vorwurfsvollen Blicke, welche den jungen Missethäter trafen, zerrannen und hefteten sich wohlgefällig auf ihn. Er schien erhitzt und etwas athemlos zu sein.

Der Geheimerath stellte ihn in Eile den Diplomaten und einigen anderen Personen vor, welche ihn noch nicht kannten. Der schöne, junge Erbe mit glänzenden Augen und dunklem Haar war eine Sonne der Zukunft. Was vermochte er nicht alles noch zu thun! Welche lange Reihe köstlicher Diners konnte er geben! Was war seine Freundschaft werth!

Es ging Aurel im Kleinen, wie es den Kronprinzen im Großen geht. Jeder suchte ihm mit Worten und Blicken sein Wohlgefallen zu bezeugen, und ein beifälliges Gelächter begleitete die Neckereien des Grafen, der außerordentlich zärtlich war und Aurel mit väterlich verliebten Augen ansah.

Wenn ich ihn betrachte, sagte er zu dem Ober-Kammerherrn und den Umstehenden, regt sich in mir, ich weiß nicht, was. Ist es Bewunderung, Stolz oder väterliche Freude an diesem meinem letzten Blutsverwandten? Ja, ich darf es gestehen, ich bin stolz auf ihn; denn er besitzt nicht allein das, was man körperliche Vorzüge nennt, in hohem Grade, weit mehr sind es sein Geist, seine Kenntnisse, sein gediegenes Wissen, seine Reisen, seine Erfahrungen, die edelsten Eigenschaften eines Mannes, welche ihn auszeichnen.

Die Zuhörer nickten beifällig und belohnten mit Blicken voll Bewunderung den tugendhaften Geheimerath, der so viele Liebe für seinen jungen Verwandten besaß.

Nichts, nichts! rief der Reichsrath auf eine leise Bemerkung des Ober-Kammerherrn. Wenn sich das Herz hingezogen fühlt zu einem Wesen, dem man sich innig verwandt ahnt, so können Wolken kommen, die den Himmel trüben, aber die Sonne wird dadurch niemals ausgelöscht, sie scheint nur um so glänzender bald wieder.

Aurel hatte der Gräfin den Arm geboten und führte sie in den Speisesaal. Der Geheimerath sah ihnen entzückt nach, und dann blickte er die Gesellschaft an, als wollte er sagen: Seht, wie glücklich ich bin, daß das geschehen kann! Hierauf bot er einer der Damen den Arm, und das Diner begann.


7.

Es währte viele Stunden und war so ausgesucht, daß selbst der Ober-Kammerherr endlich gestand, er habe selten so gegessen. Alles, was gegeben werde, sei in gleicher Weise meisterhaft und unübertrefflich, und was die Anordnungen der Tafel betreffe, so sei Derschau eben so reich wie geschmackvoll, um das Außerordentlichste darin zu leisten.

Silber- und Goldgeschirr, Krystall, gediegene Tafelaufsätze und alles, was der feinste und theuerste Luxus zu ersinnen vermag, gaben Gelegenheit, die Aussprüche des Ober-Kammerherrn von allen Seiten zu wiederholen. Die vollkommenste Befriedigung und Bewunderung sprach aus den competentesten Richtern, deren Lob und Dank den Geheimerath mit Stolz erfüllen konnte. Er dachte keinen Augenblick daran, was dieses Gastmahl kostete, und rechnete nicht etwa ängstlich zusammen, wie ein Mann, der mit seinem Gelde und seinen Gesellschaften vornehmer Leute Gunst und Besuch einkauft. Er war kein Emporkömmling, kein Banquier, kein reichgewordener Speculant, er war der stolze Reichsrath, auf dessen Silberschüsseln das große Familienwappen vor zweihundert Jahren eingeschnitten wurde, der Pocale umhergehen ließ, aus denen Kaiser und Könige getrunken hatten, und der mit höhnender Verachtung daran dachte, daß man ihn geizig nenne, während er für das beifällige Lächeln dieses erwählten Kreises sich vornahm, nächstens wieder ein Diner zu veranstalten, das Alles in den Schatten setzen sollte.

Wenn er fort ist, wenn ich ihn los bin, sagte er in sich hinein, dann soll ein Fest gefeiert werden, von dem der Ober-Kammerherr, so lange er lebt, schwören soll: Ich habe nie so gut gegessen! –

Glückselig lächelnd und sich neigend hob er sein Glas und sagte, nach allen Seiten sich verbeugend:

Dieses letzte Glas als Dankopfer für die Ehre, welche mir widerfährt, zugleich aber auch auf das Wohl meines theuren Vetters und Freundes, der endlich in mein Haus und in meine Arme zurückgekehrt ist. Wenn ich es nicht mehr vermag, Freunde und liebe Gäste in diesen Räumen zu versammeln, wird er es übernehmen. – Dann, Aurel, dann laß die alten Gläser klingen, gefüllt mit altem Wein und gedenke meiner mit derselben Liebe und Freude, wie ich jetzt Dein Wohl ausbringe.

Die Gesellschaft erhob sich; der Graf schüttelte seinem Vetter beide Hände, hierauf umarmte er ihn aufs herzlichste und sagte lebhaft:

Deutsch und ehrlich wollen wir bei einander stehen ohne Falsch und Hinterlist. – Du und ich und ich und Du, und hier ist Leonor; laß sie in unserem Bunde sein, die so innig wie ich selbst Dein wahrhaftes Glück wünscht.

Eine gewisse feierliche Stimmung war bei diesem unerwarteten Trinkspruche und dessen Folgen über die Gäste gekommen; aber der Geheimerath konnte mit Genugthuung bemerken, wie vortheilhaft der Eindruck war, den seine gewinnenden, herzlichen Worte hervorgerufen hatten. Es war ein öffentlicher und offener Versöhnungsact; Aurel selbst schien bewegt. Er zog die Hand der Gräfin mehrere Male an seine Lippen und sagte ihr, was seine augenblickliche Stimmung ihm eingab.

Als er sie aus dem Saale führte, fühlte er ihren Arm in dem seinigen zittern, und in seinem lächelnden Gesicht drückte sich eine schmerzliche Ergriffenheit aus. –

Ich habe eine Bitte an Sie, sagte er leise, eine Bitte, die ich längst wagen wollte, zu der ich mich mehr als je berechtigt fühle, die Sie nicht mißdeuten werden. Sagen Sie mir, wann und wo ich ohne Zeugen eine Unterredung mit Ihnen haben kann.

Er erhielt keine Antwort; denn während er zu ihr sprach, wandte sie den Kopf fort und blieb dann stehen, um zu hören, was Fräulein Beate ihr zuflüsterte.

Wollte sie nicht antworten? – Aurel's Gesicht nahm einen trüben Ernst an. Im Augenblick aber wandte sich die Gräfin zu ihm zurück und sagte lebhaft:

Ich werde Ihnen später antworten; doch blicken Sie dort hin, Graf Aurel, dort ist der würdige Gegenstand Ihrer zärtlichen Aufmerksamkeit.

Die Gespräche waren verstummt, und alle Augen richteten sich gegen die große Eingangsthür, an deren Schwelle der Reichsrath so eben eine Dame empfing, die einen seltsamen Gegensatz zu dieser glänzenden, mit Orden und Sternen bedeckten und mit dem theuersten Putz geschmückten Gesellschaft bildete.

Es war eine hochbetagte, fast ärmlich aussehende Frau. Klein und in sich hineingesunken, außerordentlich mager, faltig gelb in dem langen trockenen Gesicht, schienen ihre Füße diesen leichten Körper doch nicht tragen zu wollen. Sie ging sehr langsam und stützte sich auf einen Stock. Ihr schwarzes Seidenkleid war verblichen und von einem Schnitt, als sei es mit ihr alt geworden; dicht um den Hals, um Schultern und Leib hatte sie ein großes weißes Tuch gebunden, und auf dem Kopfe trug sie eine eben so alterthümliche schwarze Haube mit breiten Streifen und Puffen, unter denen ihr silberweißes Haar in langen störrigen Scheiteln sich hervordrängte.

Diese greise Frau wurde von dem stolzen Reichsrath mit allen Zeichen hoher Achtung empfangen. Er küßte ihre kleine, verwelkte Hand und führte sie sorgsam weiter, indem er seinen entzückten Dank für einen so seltenen Besuch aussprach.

Ja, es ist lange her, erwiderte die alte Dame lächelnd, indem sie still stand, sich umschaute und die prächtigen Lustres, Spiegel, Damast-Tapeten und Seidenbehänge zu betrachten schien. Viele Jahre sind vergangen, seit ich zum letzten Male hier zu Mittag aß. Es war zur Zeit Ihres Vaters, Cousin Bodo, der liebte die Einfachheit von damals – ja, damals aß man beim Könige wie beim Bürger ungefähr zu derselben Stunde sein Abendessen, wo man sich jetzt zum Diner niedersetzt.

Die Stimme der alten Präsidentin war weit kräftiger und schwerer als ihr Körper, und in ihren Augen, die das Alter blöde und halb blind gemacht hatte, leuchtete eine gutmüthige Schelmerei, als sie zu dem Grafen aufsah.

Und wer ist hier? Wer kommt hier? fuhr sie fort, als die Gräfin sich ihr näherte. –

Leonor neigte sich zu ihrer Hand nieder, sie hob sie empor und küßte sie auf die Stirn. –

Auch wir, sagte sie mit demselben Lächeln, das einen hohen Grad von Milde und Güte in ihr scharfes und zusammengezogenes Gesicht brachte, ja, auch wir, liebe Cousine Leonor, haben uns lange nicht gesehen. – Warum warten Sie, bis eine alte Frau endlich sich aufmachen muß, um die Kinder dieser Welt mitten in ihrer Lust aufzusuchen? – Ah! da ist Aurel! fuhr sie fort, und ihre Züge hellten sich in einen Ausdruck so großer Liebe auf, als flösse Jugend neu in ihren Adern. Das ist ein Freund, der bei mir aushält; wenn ich ihn sehe und höre, kommt etwas in mein Herz, wie ein Ton aus alter Zeit. Aus der Zeit, wo meine besten Erinnerungen herstammen, Cousin Bodo, aus der Jugendzeit, von der wir alten Leute immer denken, es sei doch damals ganz anders gewesen; weit besser, weit schöner, die Menschen gerechter, ihr Thun und Lassen menschlicher.

Sie setzte sich auf den Armstuhl, den der Graf selbst herbei schob, während sie Aurel's Hand festhielt.

Die Gräfin setzte sich an die andere Seite, mehrere Damen umringten sie. Der Ober-Kammerherr theilte inzwischen den Diplomaten und einigen anderen Herren in aller Kürze etwas aus der Lebensbeschreibung der alten Frau mit.

Es ist die Präsidentin von Schönburg, sagte er flüsternd, Tante des Grafen Aurel, seiner Mutter älteste Schwester, und Cousine unseres Reichsrathes. Sie muß an achtzig Jahre jetzt haben – ein kostbares Dessert für unser Diner, meine Herren! – Er hielt sich mit dem Zeigefinger die Nase zu und fuhr dann, abgewendet von der alten Frau, fort: Ich glaube, unser Freund würde nicht ganz so aufmerksam sein, wenn die Präsidentin nicht kinderlos und sehr reich wäre.

Aber ihr nächster Erbe ist doch jedenfalls Graf Aurel? fragte einer der Herren.

Theuerster Baron, sagte der Ober-Kammerherr, wofür sind denn die Legate? Die alte Dame hat wenigstens eine halbe Million, und ich weiß die Zeit, wo Gräfin Leonor eine Art Schooßkind von ihr war.

Ja, damals! kicherte ein dicker Ministerial-Director, indem er sein rosiges Kinn hoch aus der weiten weißen Binde aufhob und einen vielsagenden Blick auf Aurel und die ganze Gruppe warf.

Sie sehen ja, wie Alles versöhnt ist, erwiderte der Ober-Kammerherr; Graf Aurel weint Freudenthränen der Rührung auf die Hände seiner ehemaligen Braut, die der glückliche Vetter ihm fortkaperte. Alle wollen glücklich sein und glücklich machen, warum soll die würdige Präsidentin also nicht mit einem Legatchen von fünfzig, achtzig oder hunderttausend Thalern die liebenswürdige Gräfin Leonor bedenken und die Vierte im Bunde sein?

Unter leisem Gelächter und mancherlei Spott wurde das Gespräch fortgesetzt, und nach den Andeutungen des Ober-Kammerherrn war jetzt Allen ein Licht über die Absichten des Geheimeraths aufgegangen.

Wie lange wird er denn noch diniren, flüsterte der Ober-Kammerherr dem Gesandten ins Ohr. Dieses Aufschwellen ist nicht Gesundheit, und dazu der kurze Hals! Er schont sich auch nicht, sitzt viel, arbeitet wie ein ordinärer Mensch, der hinter dem Schreibtisch groß geworden ist, und zwingt sich, frisch und lebhaft zu sein, was er nur durch Reizmittel bewirken kann. – Starken Kaffee, halb Rum oder Arrac, braut ihm früh Morgens schon sein Factotum, der Secretär Winkel, sonst würde er die Feder nicht gut halten können; dann Madeira oder Burgunder zum Frühstück, und Mittags eine volle Ladung, die bis Abends vorhält. – Geben Sie Acht, Baron, er wird uns überraschen – der Ober-Kammerherr nickte sehr behaglich –, und dann ist Aurel Herr. Es ist somit ein ganz pfiffiges Geschäft ihn zu versöhnen und zum Freund und Vertrauten zu machen.

Während dieser ganzen Zeit saß die Präsidentin, als Gegenstand vieler Sorgfalt und Zärtlichkeit, auf dem großen Polsterstuhle. Der Geheimerath hatte ihr selbst eine Tasse Kaffee gebracht, und Gräfin Leonor hielt geduldig die schwere Silberschale, in welcher der Zucker lag. – Die alte Dame scherzte über die ungewohnte Arbeit, um acht Uhr Abends Kaffee zu trinken. und plauderte lächelnd über die Ausnahme, welche sie heute mache, während sie sonst um diese Zeit ans Zubettgehen denke.

Das aber, fuhr sie dann fort, indem sie den Gästen nachsah, die sich nach und nach mit einigen leisen Worten, einer Verbeugung oder auch ganz in der Stille entfernten, so daß nur Wenige zurück blieben, ja, das ist auch alles anders geworden, als zu meiner Zeit. – Gott sei Dank, daß ich alt bin und nicht viel mehr sehen werde! Mein liebster Wunsch ist erfüllt. Ich habe Aurel noch ein Mal gesehen, und wenn meine trüben Augen auch sein Gesicht nicht mehr so genau erkennen wollen, so habe ich dafür doch an anderen Dingen gemerkt, daß er froh und gesund heim gekehrt ist. Gesund an Seele und froh im Herzen, lieber Cousin Bodo.

Und so soll er uns auch bleiben, erwiderte der Graf, indem er Aurel die Hand drückte.

Das ist gut, sagte die Präsidentin, ihre zitternde Hand auf Beider Hände legend. Des Himmels Segen möge darauf ruhen! Milde und gütig lenkt Gott den Sinn seiner Kinder und weckt die Gewissen auf, daß sie Liebe säen und Vertrauen ärnten. Nehmen Sie den Dank einer alten Frau, lieber Graf Bodo, und auch Sie, liebe Leonor; das Beste was ich Ihnen zu geben habe. – Aurel, mein theures Kind, sei ihnen treu, ein Freund, ein Bruder! Ach! Du bist jung, Dein Weg durch dieses Pilgerleben kann noch lang sein, vor Dir noch viel irdisches Glück liegen, das Dir seine Blüthen reicht. – Prüfungen kommen über uns, damit wir uns bessern und gereinigt werden – doch wer ist das dort? Wer ist hier noch mit uns? fragte sie, sich unterbrechend.

Fräulein Beate von Lebel, meine Gesellschafterin und liebe Freundin, sagte die Gräfin.

Beate hatte sich in den Hintergrund zurückgezogen, wo sie an einem der kleinen Pfeilertische saß, an dessen anderer Seite Sir Eduard Platz genommen hatte. Dieser beschäftigte sich damit, ein Stückchen Papier oder seine Namenskarte mit irgend einer Notiz zu beschreiben, und blickte nicht auf; das Gesellschafts-Fräulein aber näherte sich dem Lehnstuhle der Präsidentin und beantwortete mehrere Fragen mit so sanfter, wohlklingender Stimme, daß ein wahrhaftes, theilnehmendes Gefühl die alte Dame zu ergreifen schien. Sie richtete ihr Ohr gegen den Schall und stand dann auf, um Beaten dicht an ihr geschwächtes Auge zu bringen. –

Der Kronleuchter warf sein Licht mit vollem Glanze auf das erröthende Gesicht des Fräuleins, die, von beiden Armen der alten Frau festgehalten, leise lächelnd den Blick niederschlug und ihn dann ermuthigt wieder erhob. – In dieser Erregtheit verschönte sie sich, und die Präsidentin hatte nicht Unrecht, zu sagen:

Ich habe Sie gesehen, Fräulein von Lebel, als Sie ein Kind waren; damals waren Sie blaß und kränklich, jetzt ist ein stattliches Fräulein aus dem Kinde geworden, und Ihre Stimme klingt so rein und klar, wie die Stimme eines guten Engels.

Sie ist auch ein lieber, herzenslieber Engel! rief die Gräfin, indem sie Beaten umarmte und küßte. Wohlthun, vergeben, für Andere bitten ist ihre Freude.

Gottes Segen auf Ihr Haupt dafür, mein Kind! sagte die Präsidentin. O, wie wohl thut es mir, ein solches Urtheil über Sie zu hören, das, wie es gegeben wurde, aus innigster Überzeugung kam! Ich habe Ihren Vater gekannt, mein liebes Fräulein, es war ein ehrenvoller Officier und ein sehr braver Mann; auch Ihre Mutter habe ich gekannt, die mit großer Geduld und Treue viele schwere Prüfungen ertragen hat.

Sie waren ihre Wohlthäterin, flüsterte Beate mit leiser Stimme, sich auf die Hand der alten Frau niederbeugend.

Eine tröstende Freundin bin ich ihr gewesen, sagte die Präsidentin, und auch Ihre Freundin will ich sein, mein Kind.

Innigen Dank, o, innigen Dank! erwiderte Fräulein Beate. Sie haben viel, sehr viel auch für meine Geschwister gethan, als ich es nicht vermochte.

Und warum, mein theures Kind, warum sind Sie niemals im Hause der Witwe gewesen und haben mir die Freude gemacht, Sie als eine blühende Jungfrau zu sehen?

Beate erröthete, aber nach einigen Augenblicken sagte sie gefaßt:

Ich bin gewiß sehr strafbar, denn ich konnte zweifeln, ob ich es wagen durfte, mich zu Ihnen zu begeben.

Die Präsidentin lächelte. Sie erkannte in dieser Antwort die verborgene Wahrheit, daß Beate nicht gewagt hatte, sich ihr zu nähern, da sie wußte, wie die, von denen sie abhing, urtheilen wurden.

Alles an Ihnen ist hold und schicklich, erwiderte die alte Frau. Kommen Sie recht bald zu mir, es soll mir wahre Freude machen, Sie zu hören – da ich nicht gut mehr sehen kann.

Fräulein Beate, fiel der Graf ein, der seinen Spott über diese Verherrlichung nicht länger unterdrücken konnte und ihn in seiner Weise anwandte, ist, wenn man so etwas behaupten darf, auch besser zu hören, als zu sehen. Wenn ihre Stimme schon die Herzen ergreift, so ist ihr Gesang und ihr Spiel entzückend und bezaubernd; und wenn der selige Orpheus nicht wirklich todt wäre und der Tod jemals etwas zurück gäbe, könnte man glauben, er sei verwandelt wieder auferstanden.

Dieser rohe Einfall, den der Graf allein belachte, wurde mit Schweigen aufgenommen. Erst nach einer Pause sagte die alte Dame:

Selbst die Götter der blinden Heiden konnten dem Zauber der Musik nicht widerstehen, die in den christlichen Herzen wahrer und guter Menschen eine himmlische Veredelung und Heiligung bewirken muß. – Ja, kommen Sie zu mir, mein liebes Kind, ich will Sie auch hören und Ihnen doppelt dankbar für den Trost sein, den Sie mir bringen. Aurel hat sonst wohl mir Lieder und Gesänge gesungen und mein altes Instrument in Bewegung gesetzt. Als mein Mann noch mein Gefährte auf Erden war und ich die schwarze Witwenhaube noch nicht trug, haben wir frohe Tage gesehen, und mehr als Eine junge Künstlerin, deren Talent er ausbilden ließ, hat uns dafür mit ihren Gaben erfreut.

Der Präsident war ein Kunstfreund – Kunstnarr, sagte er in sich hinein –, der viel Geld darauf verwandt hat, Talente zu bilden! rief der Graf. Die Talente haben einen großen Verlust erlitten, aber Geld ist das große Zauberwort, Dankbarkeit, Gesang, Saitenspiel, kurz, Alles auf Erden zu kaufen.

Die Präsidentin schwieg abermals einige Minuten, dann sagte sie lächelnd:

Man kann Vieles kaufen, aber wahre Liebe und die Achtung derer, welche Achtung verdienen, läßt sich nicht mit Geld einhandeln. – Wer aber, fuhr sie dann fort, auf weltliche Güter bei mir hofft, würde sich betrogen finden. Ich habe vor einiger Zeit mein Testament gemacht und den Armen gegeben, womit Gottes Güte uns bedachte. Wenn Er mich einst abruft, der meine Tage gezählt hat, wird mein Haus ein Stifthaus für Verlassene werden. Ich habe Alles wohl überlegt, Cousin Bodo, und zu meiner Freude ist mein lieber Aurel ganz mit mir einverstanden.

Der Geheimerath schien von dieser Mittheilung sehr überrascht. Er sah seine Gattin an, die ungläubig lächelte. –

Das ist viel, das ist stark! rief er. Aber es ist socialistisch; es gehört zu den neuesten Zeit-Ideen, das Eigenthum als Armengut zu betrachten.

Was können wir davon mitnehmen? erwiderte die alte Frau mit sanfter Stimme; aber wie viele Thränen können wir trocknen, wie viele Leiden mildern! Aurel wird das nicht missen, was ich ihm entziehe; denn er wird von seinem Überflusse noch Manches abgeben können, dafür bürgt mir sein Herz und sein wahres Christenthum. Wenn er aber anders denken sollte – so habe ich ihm gesagt und sage es nochmals –, so will ich meinen Willen seinem unterordnen.

Sie wandte den Kopf nach dem jungen Manne, der still neben ihrem Stuhle saß, und streckte ihre Hand aus, die er ergriff und in entschiedenem Tone sagte:

Alles, was du thust und gethan hast, liebe Tante, ist recht und gut gethan. Dein Wille ist mir so ehrwürdig, daß ich ihn vollziehen würde, wäre er auch nicht verbrieft und besiegelt.

Ich danke Dir! ich danke Dir! rief die Präsidentin. Ich weiß, daß das nicht leere Worte sind. Dafür wirst Du glücklich sein auf Erden und reichlich entschädigt werden durch Güter, die der Herr in Deine Hand legt.

Großmüthig wie ein König! fiel der Reichsrath lachend ein, indem er aufstand und seine grauen Augen voll Hohn und Ärger blitzend nach allen Seiten ausschickte, bis sie auf dem unglücklichen Gesellschafts-Fräulein ruhen blieben. – Unsere liebe Beate kann viel lernen, wie man Vermögen und Schätze zum Heile der Welt verwendet, fuhr er fort; und wenn Aurel einmal reiche Güter besitzt, dann ist es ein wahres Unglück, daß er durch eigensinnige Anordnungen närrischer Vorfahren darin gehindert wird, sie auszustreuen unter die Lieblinge des Himmels, die nichts haben. Wenn das nicht wäre, Cousine Schönburg, auf Seele und Gewissen! ich würde es ganz eben so machen, wie Sie, und Aurel würde, wie ich überzeugt bin, gewiß damit einverstanden sein.

Die Präsidentin erhob sich aus ihrem Lehnstuhle und nahm ihren Stock zur Hand, indem sie Aurel herbei winkte. –

Meine Zeit ist abgelaufen, sagte sie, und darum gute Nacht. – Herzlichen Dank, Cousin Bodo; mein guter Aurel wird Ihre Freundschaft schätzen und Ihre Liebe vergelten. Kommen Sie bald in das stille Haus der Witwe, theure Leonor; und halt! – wer ist das, wer steht dort? fragte sie. Ist es Beate?

Es ist mein Freund, Sir Eduard Rodney, erläuterte Aurel.

Der leider nicht Deutsch versteht, fügte die Gräfin hinzu.

Aber sehr geistreich ist, sagte der Graf.

Die Präsidentin machte einige Schritte, bis sie dicht vor dem Engländer stand und ihn ganz nahe betrachten konnte, was Sir Eduard mit größter Kaltblütigkeit aushielt.

Geistreich nennen die Menschen oft die Schlechtesten, begann sie dann, indem sie ihm die Hand reichte; aber Aurel hat mir von Ihnen erzählt, wie gut und standhaft Sie sind, und wie manchen treuen Beistand er bei Ihnen fand.

Aber, liebste Cousine, er versteht Sie ja nicht! rief der Graf lachend.

Ja, das ist wahr, sagte die alte Frau; aber er wird es merken, daß ich seine dankbare Freundin bin, und meine liebe Beate kann es ihm sagen. – Ich erwarte Sie alle bei mir, doch Beate wird mich morgen besuchen. Ich bitte darum; morgen, mein Kind, und dann recht oft.

Der Geheimerath kehrte an der Thür um und zog seine Gattin leise zurück, die weiter mitgehen wollte.

Er lachte laut auf und sagte dann mit gedämpfter Stimme:

Ist es möglich, kindischer und dümmer zu handeln? Ihr ganzes großes Vermögen den Armen zu geben, eine Stiftung dafür zu decretiren, die, Gott weiß, welchen Faulenzern und Tagedieben zu Gute kommt! Und er – er nennt das würdig und weise! – Welche Aussichten für mich, wenn er einmal vergeuden und verschwenden könnte, was ich mühsam erworben.

Die Gräfin legte den Finger auf den Mund und sah nach dem Tischchen hin, wo Rodney seine Brieftasche zusammen packte.

O, der ist unschuldig, unschädlich! fuhr der Graf fort; aber nur noch kurze Zeit Geduld! – Vielleicht ist es gut so, Leonor; Gottes Wille, wie die Einfaltspinsel sagen. – Sie verschenkt ihr Vermögen, weil er doch genug und noch mehr als genug hat. Das heißt, wenn ich ihm den Platz räume – ich ihm lasse, was mein ist, haha! – Was sprachst Du mit ihm?

Nichts von Bedeutung.

Nichts von Bedeutung? So laß uns gehen, selbst Sir Eduard rüstet sich. – Wir werden alle ein wenig müde sein, Herr Rodney. Da kommt Aurel zurück. – Nun, Aurel, die würdige Tante ist fort? Welch frommes Gemüth! Welche Kindlichkeit und übergroße Herzensgüte!

Wären Viele so, wie sie, erwiderte Aurel, so würde es anders um die Leidenden in der Welt stehen.

Gewiß und wahr! rief der Geheimerath. Wir würden das Paradies wieder haben, und die Feigenblätter würden eine große Rolle spielen.

Aurel sah vor sich nieder, dann sagte er:

Ich kam heute ein wenig spät und bitte nachträglich um Entschuldigung. Die Ursache war, daß ein Jugendfreund mich aufsuchte, um dessentwillen ich ein paar Worte mit Dir zu sprechen wünsche.

Sprich, mein Freund. Ist es der kunstvolle Schlossermeister, der Dich zu seinem Fürsprecher gemacht hat?

Nein, erwiderte der junge Mann, es ist der Ökonom Gersfeld, der eines Deiner Güter gepachtet hat und es jetzt ruinirt verlassen soll.

Der! ich erinnere mich, sagte der Geheimerath. Aber was kann da geschehen? Er bezahlt die Pacht nicht, folglich muß er das Gut verlassen.

Die unglücklichen Jahre haben Gersfeld heruntergebracht, fuhr Aurel fort. Er wird sich erholen, wenn man ihm Zeit läßt. Wirft man ihn hinaus, so ist er ein Bettler. – Das kann Dein Wille nicht sein; ich bitte Dich inständigst um Nachsicht.

Die Pachtung ist leider schon anderweitig vergeben, sagte der Geheimerath, sonst würde ich Deinetwegen, mein lieber Aurel, gewiß gern thun, was Dir Freude macht.

Sie ist glücklicher Weise noch nicht vergeben, erwiderte Aurel.

Der Geheimerath sah ihn forschend an und wiederholte:

Sie ist vergeben!

Ich ging zu Winkel, der mir sagte, es könne noch Alles so gemacht werden, wie es mir – oder vielmehr wie es Dir recht sei.

Der gute Winkel! er ist immer gefällig! sagte der Geheimerath; aber ich selbst habe sie vergeben, und mein Wort – ich breche nie mein Wort! – Er blickte in das dunkel geröthete Gesicht seines Vetters und freute sich über den Zorn, den er darin entdeckte.

Wenn man aber damit ein schweres Unrecht begeht, eine Härte, die vernichtend für eine ganze Familie wird, so kann eine bloße Zusage doch gewiß nicht binden, rief der junge Mann. – Es ist empörend zu denken! fuhr er fort, als er sah, daß der Graf sich zu seiner Gattin wandte.

Es ist noch immer der alte Hitzkopf, Leonor! rief der Reichsrath. – Wir wollen es überlegen, bis morgen, und irgend ein Ausweg wird sich schon finden. – Fordere ihn zu einer Partie auf, Leonor, oder laß ihn mit Rodney Schach spielen, damit sein Blut sich abkühlt. – Einigkeit! Freundschaft! Treue! mein lieber Aurel; was die würdige Tante uns als Lohn unseres Lebens hinstellte. Ich schenke Dir mein ganzes Vertrauen, mehr als irgend einem Menschen auf Erden, also vertraue auch mir. – Und nun guten Abend, ich werde in einer Stunde aus dem Casino zurück kommen. – Er legte Aurel's Hand in die Hand der Gräfin, als er sich rasch entfernte.

Nach einigen Minuten kehrte er jedoch durch eine andere Thür zurück, den Hut auf dem Kopfe. Das Zimmer war leer, die beiden Herren hatten die Gräfin in die Wohngemächer der Familie begleitet. Der Geheimerath schritt auf das Consoltischchen zu, wo Rodney gesessen hatte, und griff nach einem Zettelchen, das unter dem goldenen Gesimse lag. – Er las es eilig und lachte dazu. – Dann legte er es wieder an seinen Platz und stellte sich hinter den Fenstervorhang. – Nach einigen Minuten kam Fräulein Beate, die ein paar scheue Blicke nach allen Seiten warf, dann das Blättchen nahm, entfaltete, es las und nachdenkend die Hände sinken ließ. – Der Graf sah ihr gerade ins Gesicht und fand es voller Verwirrung und Zweifel. Plötzlich aber hob sie Augen und Hände wieder auf, ihre Finger verschränkten sich wie zur innigen Bitte, ihr Gesicht strahlte vor Freude. Sie verbarg das Blättchen und entfernte sich schnell.

Die Tugend siegt, und die Jugend ist schön! rief der Reichsrath, indem er lachend aus seinem Versteck schlüpfte und dem kleinen Fräulein behutsam folgte.


8.

Der Secretär Winkel saß an diesem Abend in seinem Stübchen, und neben ihm saß Hannchen, und vor ihm auf dem Tische stand eine schöne Bowle von Krystall, und dicht am Rande des Tisches standen zwei halbgefüllte Gläser; an der anderen Seite aber saß Franz Willner in einem Lehnstuhle, und während die beiden Anderen viel Scherz trieben und sich neckende Worte sagten, blickte der junge Meister schweigend und grämlich bald in sein Glas, bald in die Astrallampe, bald mit großer Anstrengung nach dem Sopha hinüber.

Der Secretär Winkel hatte den Arm um Hannchen's Leib gelegt und sprach mit ihr, indem er dann und wann ihr das Tuch zurecht zupfte, oder ihr Kinn anfaßte, oder ihre Wange streichelte, oder ihre Finger drückte.

Wie ein Vater ist mir zu Muthe! rief er, als Franz jetzt plötzlich den Kopf aufhob – denn es kam ihm vor, als hörte er ein Geräusch, das von einem Kusse herzurühren schien. Wie ein Vater mitten unter seinen Kindern – Willner, trinken Sie Ihr Glas aus. Der Trank ist gut. Nicht wahr, Hannchen?

Sehr gut, sagte Hannchen, indem sie ihr Glas leerte, während Franz das seine stehen ließ. Vortrefflich! köstlich!

Wir verstehen auch etwas von der edlen Kunst, das Beste gut genug für uns zu finden! rief Winkel lachend. – Ich möchte kein Graf oder Prinz sein, um alle Schätze nicht. – So eingeschnürt und eingepreßt vier, fünf Stunden bei Tische zu sitzen, ist eine Qual, und überhaupt, Willner, was haben denn die Vornehmen für großes Glück? – Es ist ein ewiger Zwang, keine Wahrheit, keine Einfachheit und keine Natur. – Was sitzen wir hier gemüthlich beisammen! und da steht eine Pastete, da ist eine ganze Schüssel voll Braten und hier ein Bowlchen von Ananas, Champagner und ganz feinem Rheinwein, den kein Fürst stehen ließe. – Geht es hier oben beim Secretär Winkel nicht besser her, als da unten beim Grafen? Hehe! Sorgt der arme Winkel nicht für seine Freunde? Hehe! Hannchen, habe ich Recht oder nicht?

Sie haben immer Recht, sagte Hannchen, und sind der großmüthigste Mann, den ich je gesehen habe.

Es wird noch besser kommen, kleines Hannchen, es wird noch besser kommen, lachte und hustete Winkel zu gleicher Zeit. Ich werde väterlich sorgen, es soll Euch an nichts fehlen. –

Der Schlossermeister sah ihn starr an, denn es kam ihm wieder so vor, als habe der Secretär Hannchen geküßt. –

Sie haben mehr Glück als ein König, Willner! rief Winkel. Sie bekommen einen Schatz, wie ihn kein König hat – trinken Sie Ihr Glas aus, Hannchen soll leben!

Ich fürchte nur, Sie werden Hannchen noch mehr verwöhnen, sagte Franz mürrisch.

Noch mehr verwöhnen? schrie Winkel. Noch mehr verwöhnen? Pfui, Willner, schämen Sie sich!

Bin ich denn so verwöhnt? fragte Hannchen empfindlich.

Bescheiden wie ein Hühnchen, wie ein Vögelchen, wie ein Eichkätzchen! rief der Secretär. Er ist ein Barbar!

Ich meine nur, sagte Willner, reuig verwirrt, es wird Dir nicht gefallen, wenn es bei uns einfache Kost giebt, die Du selbst kochen sollst.

Ach! die armen, feinen Händchen, die weißen Händchen! rief Winkel, indem er ihre Fingerspitzen küßte. Sie müssen ein Mädchen halten, Willner, ein tüchtiges arbeitsames Mädchen.

Franz schüttelte den Kopf und brummte etwas vor sich hin.

Sehen Sie! rief Hannchen weinerlich, so kränkt er mich, als ob ich nicht gern Alles thäte!

Sie hielt sich ihr Tuch vor die Augen. Der junge Meister streckte die Hand über den Tisch aus; und sagte lebhaft:

Sei doch kein Närrchen! Ich habe Dich lieb, es ist ja Alles nur, weil ich Dich lieb habe.

Ein Mädchen müssen Sie ihr halten, Willner, fiel Winkel ein; ich will's bezahlen.

Ich bezahle es schon selbst! rief Franz. Aber, Hannchen, sei gut, ich kann's nicht mit ansehen.

Geben Sie ihm die Hand, Hannchen, sagte der Secretär; künftig wird er artig und gehorsam sein.

Hannchen zog das Tuch fort und zeigte ihr halb versöhntes, halb schmollendes Gesicht.

Was es für ein himmlisches Herz ist! schrie Winkel; kein Zorn und kein Ärger, lauter Liebe und Versöhnung. Küssen Sie ihr die Hand, Willner, die kleine, allerliebste Hand, und bitten Sie ab.

Franz wußte nicht recht, was er abbitten sollte; aber Hannchen hielt ihm großmüthig die Hand hin, und er that wie ihm geboten war. Winkel rief ihm dafür ein lautes Bravo zu, worauf er Hannchen gerührt umarmte.

So, meine Kinder, sagte er, Frieden und Einigkeit! das muß ein guter Vater wünschen. Und nun, Willner, noch ein Glas, und dann sollen Sie uns Neuigkeiten mittheilen. – Gestern ist der liebe Graf Aurel wieder bei Ihnen gewesen; was hat er zu meinen gehorsamsten Empfehlungen gesagt?

Der junge Meister sah in sein Glas und schien zu überlegen; aber Winkel hatte ihm tüchtig eingeschenkt, dazu war er aufgeregt, das Herz saß ihm also mehr auf der Zunge, als gut sein mochte.

Sehen Sie, Fräulein Hannchen! rief der Secretär, die Achseln zuckend, was hilft da alle meine Freundschaft und väterliche Zuneigung?

So rede doch, Franz! rief Hannchen, heftig auffahrend. Rede doch! Es ist ein schreckliches Benehmen gegen einen Wohlthäter, der sich unser so warm annimmt. Dein Graf thut nichts, der kann nichts thun und wird nichts thun, denn wer weiß …

Hier faßte Herr Winkel Hannchen's Arm und sagte mit sanfter Stimme:

Lassen Sie sich von Ihrer edlen, gefühlvollen Seele nicht zu weit hinreißen, Fräulein Hannchen. Der junge Graf Aurel ist ein höchst liebenswürdiger, großmüthiger und ausgezeichneter Herr, und man weiß nicht, wie Alles in der Welt kommen kann. Der Geheimerath ist sterblich, wie wir, weil er ein Mensch ist und wir alle Menschen sind; die natürliche Folge wäre dann, daß der liebe Graf Aurel Alles erbte; jedenfalls also ist es gut, einen Freund an ihm zu haben, auch wenn man sich sagen muß, daß es möglich wäre, er könnte nichts nützen.

Sie sind immer der Klügste! rief Hannchen voll Bewunderung.

Dumm! seufzte Winkel, an seine Stirn schlagend, ganz dumm, wenn es darauf ankommt, meinen Mitmenschen zu dienen. Nun aber reden Sie, lieber, guter Willner. Ich hoffe, Sie haben Ihrem hohen Freunde Alles gesagt.

Ich habe ihm Alles gesagt, antwortete der junge Meister, aber … Er steckte die Hand ins Haar und machte ein höchst schläfriges Gesicht, während seine Augen funkelnd und bedeutungsvoll in Hannchen's Gesicht schauten … ich weiß nicht, ob ich Ihnen die Antwort mittheilen kann, denn erbaulich und angenehm ist sie eben nicht.

Nicht, wirklich nicht? lispelte Winkel lächelnd, und die obere Linie seines Körpers neigte sich schief über den Tisch fort zu Franz hin. – Nun, was thut es? fuhr er dann fort, ich kann Alles hören. Ein Gerechter muß viel leiden können. Verschweigen Sie mir nichts, Willner, kein Wort.

Franz lehnte sich ebenfalls über den Tisch, die beiden Köpfe begegneten sich beinahe auf der Mitte.

Was er mir sagte, begann er mit nachdrücklicher, aber gedämpfter Stimme, bestand darin: Ich lasse dem Herrn Winkel ein für alle Mal danken und hoffe mit ihm niemals in Berührung zu kommen, am wenigsten einen Dienst von ihm anzunehmen. Und Du, so sagte er nämlich zu mir – fuhr Franz fort –, Du sei auf Deiner Hut, daß er Dich, oder Deine Braut, oder euch beide nicht auf infame Weise betrügt; denn er ist ein abgefeimter Heuchler, ein Mensch, der nicht Eine ehrenwerthe Eigenschaft besitzt, der aber mit dem kältesten Blute jede Niederträchtigkeit begehen kann.

Bei den letzten Worten zog Herr Winkel seinen Kopf langsam zurück und ließ sich in die Ecke des Sopha's fallen. –

Das sagte er also? fragte er.

Ja, das sagte er, Wort für Wort, erwiderte Willner.

Pfui! wie abscheulich, wie erbärmlich! rief Hannchen.

Nicht doch, flüsterte Winkel, mit der Hand winkend, nicht doch, mein liebes Kind; aber ich danke Ihnen, Hannchen, für diesen Beweis Ihres Vertrauens, ich danke Ihnen, Willner, für Ihre Aufrichtigkeit. Der liebe Graf Aurel ist sehr zu bedauern. Sein Kopf ist erhitzt, er hat stürmisches Blut, sieht Feinde und Verräther um sich, wo Freundschaft und Liebe ihm die Hände reichen. – Was sagte er von dem Geheimerathe und von der Frau Gräfin?

Nichts als Gutes, sehr viel Gutes, antwortete Franz.

Sehen Sie wohl, fuhr der Secretär lächelnd fort, so sind große Herren. Sie müssen immer Einen haben, der ihre Fußstöße in Empfang nimmt, an dem sie ihre üble Laune auslassen. – Aber das schadet nichts. Gar nichts! – Was ist darauf zu geben? Nichts ist darauf zu geben! Ist doch der liebe Graf Aurel vor wenigen Stunden hier in diesem Zimmer gewesen, hat da gesessen, wo Sie jetzt sitzen, Fräulein Hannchen, und hat meine Hände gedrückt, mich theurer Freund genannt, so sanft und theilnehmend, wie Sie es zuweilen thun.

Das ist nicht wahr! rief Willner heftig. Das ist eine Lüge!

Franz! pfui! schäme Dich! schrie Hannchen.

Es ist eine Lüge, fuhr der junge Mann fort, indem er die geballte Faust auf den Tisch legte und seine Augen weit und drohend aufmachte. Das thut Aurel nicht. Hieher kommen! Das wird er nie thun, dazu – dazu – o! alle Wetter, ja, es muß heraus – dazu verachtet er die Heuchelei viel zu sehr. Winke, wie Du willst, Hannchen, es ist einmal nicht anders, und gesagt muß es werden! Ich habe es auch satt, und mag's biegen oder brechen, die Vaterschaft will ich so wenig haben, wie die besondere Freundschaft. Gelernt habe ich genug, um mich zu nähren, und Dich zu nähren, einfach, wie's recht ist, mit allerlei Plage; aber wenn Du mich liebst, wird's mit uns gehen ohne ihn. Gott weiß, was er alles verspricht und was davon wahr wird! Doch mein Geld für den Schrank habe ich bis zur Stunde nicht bekommen können, und nun ist's gut. Ich will von keiner Stelle wissen, will von ihm nichts wissen. – Und damit ist's aus mit uns, Herr Winkel; damit ist's genug, sagte er ruhiger, vom Tische aufstehend.

Wie roh! wie ordinär! wie gräßlich! rief Hannchen, ihre Hände zusammenschlagend. Ich glaube, er ist verrückt geworden!

Lassen Sie ihn, Fräulein Hannchen, lassen Sie ihn, sagte der Secretär, sanft winkend; wir sollen segnen, die uns fluchen.

In diesem Augenblick wurde an die Thür geklopft, und fast zugleich damit trat Graf Aurel herein. Winkel eilte hinter dem Sopha hervor und ließ Hannchen's Hände los, die er in den seinen hielt. Der ehrliche Franz aber starrte den Grafen an, wie eine Erscheinung. Er warf seine Blicke auf den Secretär, der sich demüthig so weit vornüber beugte, daß er beinahe wieder ein rechter Winkel wurde, und jählings kam es ihm ein, daß doch Alles nicht wahr sei, was er sehe und höre, daß er träume, schlafe, behext sei, oder wirklich verrückt sei, wie Hannchen gesagt hatte.

Aber es war Alles Wahrheit. – Aurel blieb in seinen großen Mantel gehüllt, er hatte den Hut in die Augen gedrückt und schien ganz von den Dingen erfüllt zu sein, die ihn hierher geführt hatten. Gegen seine sonst so milde und freundliche Weise sah er verstört und düster aus, und ohne einen Blick auf Franz zu werfen, sagte er zu dem geschmeidigen Secretär:

Ich störe Sie in Ihrer Ruhe, Herr Winkel, aber ich habe ein nothwendiges Wort im Vertrauen mit Ihnen zu reden.

Hohe Ehre für mich, gnädigster Herr Graf, eine unschätzbare Ehre, erwiderte Winkel, die langen Hände reibend; in einer einzigen Minute bin ich zu Ihrem Befehl. –

Er wandte sich triumphirend zu Willner um und deutete auf die Thür, während Aurel sich langsam zum Fenster kehrte. In seinen Augen funkelte ein unermeßlicher Hohn; seine Nase schien sich der Stirn nach in die Höhe zu ziehen, die Nasenflügel dehnten sich aus, das ganze magere, steinerne verschlossene Gesicht war von Bosheit verzerrt, wie das Gesicht eines großen Affen, dem ein Hauptstreich gelungen ist. Im nächsten Augenblick aber lächelte Winkel, sanftmüthig wie ein Kind, und Franz seine Hand bietend, sagte er mit größter Herzlichkeit des Tones: Gute Nacht, lieber Willner; ich denke, wir fahren in unserem freundschaftlichen Streite morgen fort und verstehen uns dann besser. Und Sie, Hannchen, setzen Sie ihm den Kopf zurecht und vergessen Sie nicht, was ich gesagt habe. –

Wo ich rathen und helfen kann, geschieht es gern, immer gern.

Ohne die Hand anzunehmen, die Blicke zur Erde gerichtet, und ohne ein Wort zu erwidern, ging Franz hinaus. Hannchen folgte ihm.

Winkel blieb stehen, gebückt, mit dem tief unterthänigen und doch lauernden Blicke, seine Hände sanft reibend und bereit, seine Verbeugung zu wiederholen, sobald Aurel eine Bewegung nach ihm machen würde; aber der junge Graf rührte sich nicht. Herr Winkel verharrte daher in seiner Position, ohne auch nur durch ein Räuspern seine Nähe kund zu geben.

Endlich sagte Aurel, ohne sich umzuwenden:

Die hellen Fenster gegenüber sind die Zimmer der Gräfin?

Ja wohl, gnädigster Herr, die Zimmer der Frau Gräfin, erwiderte Winkel geschmeidig. Es sind deren drei und dann das Schlafzimmer. Von dort geht es durch den Corridor zu den Zimmern Sr. Excellenz und dann die Treppe hinauf durch die Seiten-Galerie in die Geschäftszimmer. Es ist ein ausgezeichnetes Haus, ein sehr bequemes Haus. Von allen Seiten führen Thüren und Gänge durch die Flügel, und wer nicht gesehen sein will, he he! – hustete und lachte Herr Winkel, – der hat durchaus nicht nöthig, sich sehen zu lassen.

Es entstand eine neue Pause; plötzlich aber drehte sich der junge Graf um und sah den Secretär mit einem langen, scharfen Blicke an, der so durchbohrend war, daß Winkel, trotz seiner unerschütterlichen Kaltblütigkeit, ihn nicht ganz standhaft ertragen konnte.

Ich glaube, sagte Aurel, indem er einen Stuhl nahm und auf einen anderen deutete, ohne seinen Mantel abzulegen und seinen Hut vom Kopfe zu nehmen, wir können aufrichtig und ohne Zwang sprechen.

Warum sollten Sie sich zwingen, gnädigster Herr? erwiderte Winkel, sich ehrerbietig zusammen ziehend. Was mich betrifft …

Was Sie betrifft, fiel der Graf ein, so müssen Sie genau wissen, was ich von Ihnen denke.

Aurel's Augen betrachteten ihn vom Wirbel bis zu den Füßen, dann fuhr er tonlos fort:

Sie, sind der, welcher Sie immer waren, und vergebens würde es sein, wollten Sie mich glauben machen, daß Sie sich geändert hätten.

Bei dieser Voraussetzung, erwiderte Winkel sanft, würde ich Ihnen, gnädigster Herr, nicht zu widersprechen wagen.

Nein, sagte Aurel, wir kennen uns zu genau. Aber Sie haben mich wissen lassen, daß Sie geneigt wären, mir Dienste zu leisten. Sie haben Franz beauftragt, mir zu sagen, daß Sie im Stande seien, mir Manches mitzutheilen, was mir nicht allein angenehm, sondern auch von großem Nutzen sein könnte. Haben Sie das gethan?

Winkel warf einen scheuen Blick nach der Thür, dann sprach er mit gedämpfter Stimme:

Ja, gnädigster Herr, aber ich bitte …

Gut, erwiderte der Graf leiser, Ihr Zugeständniß muß die Basis unserer Unterhandlungen sein. – Ich verlange nichts umsonst von Ihnen, eben so wenig, wie Sie dieses Wort kennen. Herr Winkel, ich bin kein Knicker, kein Egoist, kein gemeiner Wucherer. Ich will bezahlen, Sie sollen damit zufrieden sein. Ich will einen Pakt mit Ihnen machen, fuhr er mit dem Ausdrucke der tiefsten Verachtung fort, und will Ihnen meine Ehre verpfänden, daß ich pünktlich halte, was ich verspreche. – Sie kennen mich, daß mein Wort unverbrüchlich ist, und werden daher keine Schrift verlangen, die gefährlich sein und Ihnen nichts helfen würde.

Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Graf, sagte der Secretär.

Die Kaltblütigkeit, mit welcher er diese Worte sprach, schien den jungen Mann noch tiefer zu beleidigen. Er schwieg einige Augenblicke, um zu überlegen, dann fuhr er hastig fort:

Wir wollen so kurz als möglich sein. Ich will Ihnen sagen, was ich weiß und was ich wissen möchte. Ich weiß, daß ich dem Grafen, meinem Vetter, zur ungelegenen Zeit zurückgekehrt bin. Seine Freundschaft für mich ist Maske, ist Heuchelei. Er möchte mich fortschaffen, je eher, desto lieber. Ist es nicht so?

Es wird so sein, wie Sie sagen, erwiderte Winkel, ruhig und geschäftsmäßig trocken; die Ursache ist leicht zu erklären.

Aurel sah ihn fragend an, der Secretär fuhr in demselben Tone fort:

Se Excellenz weiß, daß es gegenwärtig keinen anderen Erben der großen Güter giebt, als Sie, gnädigster Herr. Sie sind ganz unerwartet zurückgekehrt, ehe irgend eine Vorbereitung getroffen werden konnte. Man hatte Sie hier halb vergessen, bis Sie plötzlich Sr. Excellenz lebend, jung und blühend vor Augen traten. Der Gedanke ist ihm unerträglich, Ihnen Alles hinterlassen zu müssen, und da die Frau Gräfin ihm keine Hoffnung auf eigene Familie bis jetzt bietet, so ist Ihre Anwesenheit ihm noch weniger erfreulich. Wenn es daher möglich wäre, Sie so mit Widerwillen an den hiesigen Verhältnissen zu erfüllen, daß Sie sich zu einer neuen Reise entschlössen, und wenn es dazu käme, daß Sie, vielleicht durch Zorn oder Ärgerniß bewogen, auf lange Zeit nicht wieder erschienen, so könnte es leicht sein …

Bei diesen Worten schwieg der Secretär und verzog sein faltiges Gesicht zu einem sonderbaren Lächeln.

Reden Sie, sagte Aurel.

Es könnte sein, daß Sie alsdann, im Falle selbst der Herr Graf nicht mehr unter den Lebendigen weilte, einen anderen legitimen Erben vorfänden.

Sie meinen, murmelte Aurel, die Gräfin – könnte …

Gnädigster Herr, sagte Winkel so leise, daß seine Worte zum Hauche wurden, bedenken Sie, um was es sich handelt. Es ist um geringeren Besitz schon Ärgeres geschehen. Ein Kind läßt sich finden, und Leute lassen sich finden, die für Geld alles thun, alles wagen und alles beschwören, was man von ihnen fordert. Es hat sich schon eher begeben, fuhr er mit seinem gespenstischen Husten und Lachen fort, daß ein König einen Kronprinzen brauchte, und er wurde geboren und war ein Prinz und wurde ein König. Niemand merkte es ihm an, daß er eigentlich aus dem Stalle stammte.

Eine tiefe Stille trat ein, dann hob der junge Mann heftig seine Hand auf und ließ sie langsam wieder fallen. –

Ich traue ihm Alles zu, mehr noch als das, sagte er vor sich hin. – Hat er mit Ihnen je davon gesprochen?

Ich glaube aus eigenen Andeutungen mehr errathen zu haben, als er aussprach, erwiderte Winkel – Zuvörderst sollen Sie fort, das Andere wird sich finden.

Ich werde bleiben, sagte Aurel.

Die stillen Augen des Secretärs erhielten einen helleren Glanz. Sie müssen bleiben, gnädigster Herr, flüsterte er, und wenn Sie meine schwache Hülfe nicht zurückweisen wollen, so wird in diesem Hause nichts vorgehen können, was nicht zu Ihrer genauen Kenntniß gelangte.

Und was – was fordern Sie dagegen, Winkel? fragte der Graf.

Nichts für jetzt, mein gnädigster Herr, sagte der Secretär sanft lächelnd. Beantworten Sie mir zuvörderst eine Frage. Ist es Ihre Absicht, sich zu verheirathen?

Ob ich mich verheirathen will? fragte Aurel, ihn anstarrend. Seltsame Frage! Hat er etwas davon gesagt?

Es ist mir so, erwiderte Winkel, als wenn Franz Willner mir erzählt hätte, daß Sie, gnädigster Herr, nicht an neue Reisen dächten, sondern weit eher seinem Beispiele, wenn ich so sagen darf, nachfolgen würden.

Möglich, daß ich es sagte, möglich, daß ich mit ihm scherzte! rief der junge Mann; aber wenn es so wäre – was bewegt Sie, danach zu fragen?

Winkel lächelte geheimnißvoll, indem er den Kopf senkte und nach der Thür zu horchen schien, zugleich aber den Grafen betrachtete. – Weil ich, flüsterte er, in diesem Falle Ihnen eine Mittheilung machen könnte, die einigen Werth haben würde, wenn …

Machen Sie keine Umschweife, sagte Aurel.

Herr Graf, fuhr der Secretär fort, meine Mittheilung würde großen Werth haben, wenn die Dame, welche Sie wählen, vielleicht kein bedeutendes Vermögen besäße. Das Herz fragt nach solchen Vorzügen nicht, und nicht selten kommt es vor, daß – daß großmüthige Seelen diesen wichtigen Punkt gänzlich übersehen.

Der Blitz aus den zusammengekniffenen Augen des Secretärs, welcher auf den jungen Mann flog, traf, traf diesen so gut, daß er erblaßte. –

Es ist eine natürliche Folge, fuhr Winkel sanft fort, daß Damen ohne Vermögen um so größere Sehnsucht nach den Reizen des Reichthums empfinden, und, wenn ihnen der Versucher erscheint, sie seinen Lockungen erliegen.

Sparen Sie alle Reflectionen, sagte Aurel, finster die Stirn zusammenziehend.

Mit Einem Worte denn, gnädigster Herr: Sie würden eine Wahl ohne Vermögen nicht treffen können, wenn nicht meine Mittheilung Sie dazu in den Stand setzte.

Und was, ums Himmels willen! was ist es? rief der junge Mann. Haben Sie eine Bedingung zu machen, so reden Sie.

Ich habe keine Bedingung zu machen, versetzte Winkel, wenigstens jetzt nicht. Sie wissen, Herr Graf, daß nach dem Familienstatut dem Majoratserben bei seiner Mündigkeit jährlich dreitausend Thaler gezahlt werden sollen.

Ich weiß es gewiß am besten, fiel Aurel lächelnd ein.

Aber Sie wissen nicht, fuhr Winkel fort, daß nach einer Bestimmung, die niemals zur Sprache gekommen ist, weil sie niemals zur Anwendung gelangte, und weil sie als besonderer Nachtrag auch nicht in Abschrift zur allgemeinen Kenntniß gebracht, vielmehr immer geheim gehalten wurde, der Majoratsinhaber dem Majoratserben ein Viertel des Reinertrags der Einkünfte jährlich zahlen soll, wenn dieser nach seiner Mündigkeit eine standesmäßige Ehe schließt, welche alle Bedingungen des Statuts erfüllt.

Ist es möglich! rief Aurel erstaunt. Wo ist das Document?

Ich habe es gesehen, sagte Winkel leise, habe es selbst gelesen. Jetzt hat es Se. Excellenz, vielleicht getrieben von einer geheimen Besorgniß, in einem verborgenen Fache des Geldschrankes untergebracht, den Willner angefertigt hat.

Aber Sie werden es mir zeigen, mir eine Abschrift davon verschaffen können? erwiderte Aurel, indem er die Hand auf Winkel's Arm legte. Fordern Sie, was Sie wollen, ich muß dieses Document haben!

Es gibt nur ein Mittel dazu, antwortete der Secretär mit seinem schlauen Lächeln. Bestimmen Sie den gewissenhaften Willner, Ihnen zu entdecken, wo das Fach ist und wie man es öffnet.

Das sieht aus, sagte der Graf, finster den Kopf schüttelnd, wie etwas, daß ich nicht thun darf.

Bedenken Sie das Eine, erwiderte Winkel, die Achseln zuckend. Bedenken Sie, mit wem Sie zu thun haben, gnädigster Herr. Freiwillig oder auf dem sogenannten geraden Wege werden Se. Excellenz gewiß nicht bewogen werden, das Document vorzulegen. Ein Proceß aber würde bei dem großen Einflusse Sr. Excellenz, und wenn Sie Alles wohl überlegen, gewiß nicht weniger zweifelhaft sein.

Sie haben Recht, erwiderte Aurel; aber was bewegt Sie, Herr Winkel, Ihren Herrn und Wohlthäter mir zu verrathen?

Der Secretär bog sich ohne Verlegenheit unterthänig zusammen und legte beide Hände auf sein Herz.

Ich sehe und höre sehr vieles, flüsterte er, was ich ändern möchte und nicht kann; hier aber steht ein Unrecht vor mir, das wohl zu ändern wäre, und eine Stimme ruft mir zu: Du mußt es hindern, Winkel!

Die Uhr im Hofe schlug die zehnte Stunde, und hastig griff Aurel in sein Gilet und verglich die Zeit an seiner Taschenuhr; zugleich stand er auf und sagte, den Mantel zusammenschlagend:

Es ist spät, ich will es bedenken.

Zwischen heute und morgen liegt eine Nacht, antwortete Winkel, und wieder nahmen seine Blicke den lauernden, bedeutungsvollen Ausdruck an; Sie werden morgen älter sein, als heute, gnädigster Herr – ich wünsche Ihnen die angenehmste Ruhe.

Aurel that einige Schritte, er schien noch etwas sagen zu wollen, aber er unterdrückte es und ging bis an die Thür. –

Nun, Herr Winkel, rief er dort im leichteren Tone, wie es auch kommen mag, es steht geschrieben in alten Büchern, daß Böses oft zu Gutem werde, und der Teufel seine Capelle fordere, wenn man dem Himmel eine Kirche baue. – Daß ich dankbar sein kann, wissen Sie, und daß ich es sein will, dafür birgt Ihnen mein Wort. – Ich möchte nicht jetzt über den Hof gehen. Es gibt einen Gang, wie mir Franz erzählt hat, der von Ihrem Zimmer zu den meinigen führt und den Sie wohl selbst zuweilen benutzen.

Sie haben immer Recht, mein Herr Graf! rief Winkel, unterthänig lächelnd, ich pflege zuweilen auf Entdeckungen auszugehen und bin eine Art Columbus. Hehe! – Nehmen Sie diese kleine Laterne, sie wird Ihnen das nöthige Licht verschaffen; ich selbst begleite Sie lieber nicht, weil ich, wie es mir scheint, Ihnen im Dunkeln besser dienen kann. –

Er gab dem Grafen einige Anweisungen über den Weg, händigte ihm einen Hauptschlüssel ein, der alle Thüren schließen sollte, und empfahl sich dann nochmals, ehrfurchtsvoll gebückt bis zum rechten Winkel.

Und was meinen armen Freund Gersfeld betrifft, lieber Winkel, murmelte Aurel, so verlasse ich mich ganz auf Sie.

Ganz auf mich, gnädiger Herr, ganz auf mich, flüsterte der Vertraute.

So hoffe ich diesen Weg öfter zu machen, sagte der Graf. Rechnen Sie auf meine höchste Erkenntlichkeit. – Gute Nacht!

Hinter der Thür aber stand Winkel mit aufgehobenem Arme und so viel Hohn und Lust, Spott und Entzücken in seinem Gesichte, daß ein Dutzend gewöhnliche Menschen in allen Lebensfällen genug daran gehabt hätten. –

Ich habe ihn! flüsterte er, sich auf den Zehen aufhebend und dünner und länger werdend, als wolle er bis an die Decke wachsen. Ich habe ihn, den Tugendhelden, den stolzen Ritter! Ich habe ihn, und er soll mir nicht entkommen!


9.

Aurel ging inzwischen durch die öden Gänge und Kammern, welche das unbewohnte obere Stockwerk bildeten, und gelangte unangefochten in seine Wohnung. Als er eintrat, sah er Sir Eduard in dem gemeinschaftlichen Salon auf und nieder gehen, ganz dazu angethan, um in wenigen Minuten ins Bett zu steigen. Er hatte einen kurzen graugelben Hausrock angezogen, der, ganz außerordentlich eng und dicht, seinen von Natur langen und schmalen Leib noch länger und dünner machte; ein Paar desgleichen graugelbe Unterbeinkleider und rothe türkische Pantoffeln mit außerordentlich krumm in die Höhe gebogenen Spitzen, endlich eine schwarzseidene Nachtmütze, welche weit über beide Ohren gezogen war, vollendeten seinen Anzug. Sir Eduard hielt seine Hände in beiden Taschen und ging mit weiten, aber langsamen Schritten von einem Ende des Zimmers bis an das andere; worin er sich auch nicht stören ließ, als Aurel eintrat, dem er zunickte, ohne ein Wort zu sagen.

Sie haben mich wahrscheinlich erwartet? fragte Aurel.

Damn! seit einer Stunde beinahe laufe ich hier umher, erwiderte Rodney, da Sie mich verlassen haben, ehe ich Ihnen ein Wort sagen konnte.

Und dieses Wort! rief der junge Mann. Vergebung, mein theurer Freund, ich mußte dem schlimmsten aller Schufte, dem Secretär, nothwendig noch einen Besuch machen.

Der ist der schlimmste noch lange nicht, sagte Sir Eduard zwischen den Zähnen.

Wem geben Sie den Vorzug? fragte Aurel?

Rodney stand einen Augenblick still und schien sich zu besinnen.

Auf mein Wort! murmelte er dann, ich weiß nicht, wer den Kranz verdient; doch so viel ist gewiß, sie machen sich alle ihn streitig. – Was sagte die Gräfin Ihnen so leise ins Ohr, als wir unseren Abschied nehmen wollten und der Graf mich mit seinen Possen beschäftigte?

Sie sollen es morgen erfahren, Rodney, morgen! flüsterte Aurel, indem er ihm die Hand drückte.

Sir Eduard schien weder neugieriger zu werden, noch wurde sein Schritt lebhafter. Er trat bloß dicht heran und sagte, sich in den Zähnen stochernd:

Sie sollten nicht unbewaffnet gehen, dear Count. Nehmen Sie eines von meinen kleinen americanischen Repetir-Pistolen. Sie sind sehr gut.

Danke, erwiderte Aurel; mein Leben ist nicht bedroht. Ich bitte Sie, Rodney, sagen Sie mir endlich, ob Sie das Zeichen erhalten haben.

Sir Eduard nahm das Licht vom Tische und erwiderte gähnend:

Wären Sie früher gekommen, so könnte ich seit einer Stunde schlafen. – Ich glaube, sie war den ganzen Abend über ungewiß, welche Antwort sie mir geben sollte; endlich ganz zuletzt nickte sie mir zu und wandte sich dann schnell fort; denn Ihr liebenswürdiger Vetter hörte nicht auf, uns geistreich zu unterhalten und ihr allerlei lächerliche Dinge über mich zu sagen. – Das ist der beste Spaß dabei, Graf Aurel, daß Sie mich zu einem stummen und tauben Beobachter gemacht haben. Smollet hat einen vortrefflichen Roman geschrieben, in welchem ein Tauber vorkommt, der zwanzig Jahre lang in Paris seine Rolle spielt und die größten Staatsgeheimnisse, die lustigsten und gefährlichsten Geschichten erfährt, weil man sicher ist, daß er gar nichts hört. Eine solche Rolle haben Sie mir zugetheilt, und obenein bin ich jetzt Postillon d'amour geworden! –

Er sah nach der Uhr und fuhr dann fort:

Sie kommen eben zur rechten Zeit. – Gute Nacht, theurer Freund, es ist kalt, nehmen Sie sich in Acht! –

Und mit einem Kopfnicken verfügte er sich in sein Schlafzimmer.

Aurel stieg einige Minuten später leise die Treppe hinunter und befand sich bald unangefochten in dem großen Gartensalon, der während der Winterzeit die Bäume und Gebüsche des Südens aufnahm, die den Garten des Reichsrathes im Sommer schmückten. In doppelten Reihen standen hier Orangen- und Myrtenbäume, mit Granaten und Lorbeern in friedlicher Gemeinschaft. Der Mond warf sein Licht durch die großen Fenster in breiten Silberstreifen auf goldige Früchte und duftende Blüthen, und trennte die schwarzen dichten Schatten, welche den tiefen Raum füllten. –

Strohgeflechte bedeckten den Boden und machten den Schritt Aurel's fast unhörbar. Einige Augenblicke blieb er stehen, als er an der kunstvollen, aus Bäumen und Blumen zusammengesetzten Laube in der Mitte des Saales eine dämmernde Gestalt erblickte; dann aber eilte er ihr entgegen, und Beide verschwanden in der Tiefe der Laube, aus welcher lange Zeit nur das Flüstern ihrer Stimmen hörbar war. – Zuweilen wurden diese wohl ein wenig lauter, zuweilen aber verstummten sie ganz, und endlich schlug die Uhr im Hofe Mitternacht, als diese geheime Zusammenkunft beendet war. –

Aurel hatte den Arm mit dem Mantel um die zarte Gestalt an seiner Seite gelegt und hüllte sie ein; er senkte den Kopf tief zu ihr hinab, das leise Gemurmel seiner Stimme hallte in dem öden Saale wieder. So gingen sie dem Ausgange zu.

Was ist das? Was war das? flüsterte die Verhüllte.

Es ist nichts, sagte Aurel, seine Stimme erhebend. Es fiel etwas, ein Stein, oder ein Zweig. Erschrecken Sie nicht und fürchten Sie nichts, wenn ich bei Ihnen bin.

Wenn man uns überraschte! erwiderte sie.

Und wenn man uns überraschte! antwortete er. Zittern Sie nicht davor, ich habe Alles wohl überlegt. Lassen Sie uns gehen, und vertrauen Sie mir ganz. Ich denke, es zum Besten zu wenden.

Ich vertraue und hoffe! sagte sie leise.

Und niemals soll dieses Vertrauen getäuscht werden, erwiderte er laut, indem er sie umarmte.

Das Geräusch im Saale wiederholte sich; Aurel öffnete die Thür und nichts störte auf einige Zeit die tiefe Stille in diesem mit Nacht und weichem Licht gefüllten Raume. Die Bäume standen träumerisch hinter geheimnißvollen Schleiern, dann und wann fiel ein Blatt, und plötzlich rauschte es in den duftigen Kronen, ohne daß eine sterbliche Hand daran gerührt hätte. –

Das Geräusch, welches sich zweimal hören ließ, wiederholte sich endlich zum dritten Male weit lauter; der Schall trug es durch den ganzen Raum; dann war es, als würde eine Thür stark zugeschlagen, deren donnernder Ton von verschiedenen Seiten abprallte und murmelnd verscholl, und nun kehrte das Schweigen zurück, das Spiel des Mondlichtes, das leise Flüstern in den Zweigen, der Strom von Duft, auf welchem Blumengeister und Elfen von einer glänzenden Krone zur anderen schifften, Blätter brechend, lachend, tändelnd und sich erzählend, was sie sahen und hörten.

Aurel war inzwischen durch mehrere Gänge eine mit Decken belegte Treppe leise hinaufgegangen, und vor ihm schwebte, wie ein Schatten, seine Führerin, der er nachfolgte. – In einem Corridor, wo eine Lampe matt brannte, stand sie still und deutete auf eine Thür, durch welche ein Lichtstreifen fiel; in demselben Augenblicke aber, wo diese angelehnte Thür geöffnet wurde, verbarg sie sich in einer Wandnische.

Es war die Gräfin, die einen silbernen Nachtleuchter mit flatternder Kerze trug und ihm lächelnd winkte. – Sie deutete auf ein Seitencabinet hinter einer spanischen Wand und legte den Finger auf den Mund. Dort schläft meine Jungfer, sagte sie, als sie durch das Vorzimmer in ein zweites getreten waren. – Sie ist mir ganz ergeben zwar, allein um keinen Dritten in das Vertrauen zu ziehen, habe ich selbst gewartet, bis ich Ihre Schritte hörte.

Aurel hatte Mantel und Hut auf einen der großen Armstühle gelegt. Er zog die Hand der Gräfin an seine Lippen und erwiderte mit Innigkeit:

Ihr edles Vertrauen findet ein empfängliches Herz. Wie wunderbar, wie seltsam, daß ich in Nacht und Verschwiegenheit zu Ihnen kommen muß, um offen und wahr mit Ihnen zu sprechen! Aber ich komme mit Sehnsucht und Glauben, komme, weil nur in solcher stillen Stunde es möglich ist, Ihnen alles das zu sagen, was ich empfinde, und weil ich gern die Gefühle rechtfertigen möchte, welche mich zu Ihnen treiben, wie zu einem heiligen Werke.

Die Gräfin ging über den blumigen, dicken Teppich, welcher den Fußboden bedeckte, und setzte sich an dem Kamine nieder, auf dessen glänzendes Metallgitter sie die Hand legte, als wollte sie diese kühlen. Verglimmende Kohlen sprühten auf dem Roste in Funken auf und ließen den Feuerschein über ihr Gesicht zittern, auf welches ihre langen Locken niederfielen. Eine kostbare Moderateurlampe Ein besonderes Modell vom Typus der Tisch-Petroleumlampe. brannte auf dem Tische; aber ein Schirm verdunkelte ihre Leuchtkraft, und die dunkelrothen Sammt-Tapeten verschluckten den größten Theil des übrig bleibenden Lichtes. Schwere graue Damast-Vorhänge verhüllten die Fenster, und dieses dämmervolle Zimmer, goldblitzend und mit zahlreichen Gegenständen ausgesuchter Pracht versehen, schien mit erdrückend schwüler Luft angefüllt, die beängstigend auf die beiden darin athmenden Menschen wirkte.

Aurel hatte sich der Gräfin gegenüber gesetzt und betrachtete sie, die das Gesicht halb von ihm abwandte. Sie war im faltigen, weiten Nachtkleide – ihr Gesicht voll Unruhe, ihre Augen erregt und heiß, ihre Stimme, die ihn zum Sitzen einlud, bebend. –

Ich habe, sagte er, ihre Hand ergreifend, seit mehreren Tagen überlegt, was ich Ihnen sagen will, und jetzt mangeln mir die Worte. Kein bitteres, aber ein schmerzhaftes Gefühl zieht meine Brust zusammen. In Einsamkeit und Stille haben die Gedanken eine wunderbare Gewalt, sie verkörpern sich und führen uns unwiderstehlich in einen Zauberkreis, der hohlem Träumen und eitlem Trachten die Farben der Wahrheit gibt, die Vergangenheit mit ihrem Glück und ihren Qualen aus dem Grabe auferstehen läßt.

Die Todten stehen nicht wieder auf, erwiderte die Gräfin leise. Keine Macht im Himmel und auf Erden kann von dem, was geschehen ist, etwas ausstreichen.

Wahr, erwiderte Aurel, aber wir können es durch unseren Willen. – Ich will schweigen von dem, was hinter uns liegt, und lieber von der Zukunft sprechen.

Reden Sie, antwortete die Gräfin, und er fühlte den Druck ihrer Finger. Ich bin eine Büßende, die Schmerzen nicht scheuen darf.

Jahre sind hingegangen, fuhr Aurel fort, wir haben uns beide mit dem Leben verständigt.

Sie haben mich gehaßt, und ich verdiente es, flüsterte sie.

Aber diese Zeiten sind vorbei, sagte er lebhafter. Mit gütiger Hand hat uns das Schicksal wieder zusammengeführt, und ich danke ihm dafür, denn ich finde Sie zufrieden, heiter im Genusse eines glänzenden Looses. – Ich wünsche Ihr Glück, Leonore, und das ist es, woran ich anknüpfen möchte. Ich möchte Ihnen sagen: Sei glücklich! laß uns beide glücklich sein! Ich möchte diese Hand küssen, die ich so oft zärtlich geküßt habe, möchte wieder wie sonst mit gläubigem Vertrauen in Ihre Augen sehen, alles, was ich fühle und empfinde, wie ehemals, in Ihr Herz schütten.

Was sagen Sie da. O, was sagen Sie da, Aurel! rief die Gräfin, verwirrt und mit dunkelgerötheten Wangen ihre Augen zu ihm aufhebend.

Ich sage, theure Leonore, fuhr er fort, daß es ein erhabener Gedanke ist, den ich mit Schwärmerei verfolge.

Sie nickte ihm mit einem schwachen Lächeln zu, und eiliger sprechend fuhr er fort:

So denke ich mir einen Frieden, der uns beide beglückt. Ich bin zu jung, um ohne Wünsche zu sein, zu lebensmuthig, um nicht zu hoffen, zu sehnsüchtig nach Glück, um nicht danach zu greifen, wo es mir seine Hand entgegenstreckt.

Sie werden glücklich sein, Aurel! rief die Gräfin. Alles Glück auf Sie! aber ich … ich …

Sie sind es nicht? fragte er bekümmert.

Kann ich es sein? erwiderte sie dumpf und leise, ihre Hände über ihr Knie faltend, indem sie den Kopf niedersenkte. Fragen Sie sich, kann ich es sein? wiederholte sie mit erlöschender Stimme. Kann ein frevelhaftes Spiel denn glücklich enden?

Ihr Gatte – er liebt Sie?

Ich beklage mich nicht, flüsterte sie. Er ist gütig gegen mich, er gewährt mir Alles, jeder Wunsch wird von ihm erfüllt. – Aber ist das genug? Ist dieser Tand genug? Kann er die Öde eines verarmten Herzens ausfüllen? Glauben Sie, daß es zufriedener, besser dadurch wird? –

Ihre Züge füllten sich mit Bitterkeit, ihre Brust hob und senkte sich ungestüm, und ihre Augen verdunkelten sich durch Thränen.

Was macht das Leben des Bettlers erträglich? sagte sie. Die Ruhe, mit der er es hinnimmt, die Gleichgültigkeit gegen sein Loos. Ich kann nicht gleichgültig sein, Aurel!

Wir können tragen und hoffen, sagte Aurel tröstend.

Was, o was?! rief sie, während eine leidenschaftliche Gluth ihr schönes, bleiches Gesicht belebte. Ich habe diese Leere betäubt, habe mich in das zerstreuende Nichts der Freuden und Vergnügungen gestürzt, habe aus allen Bechern der Eitelkeit, der Gefallsucht, des Hochmuths getrunken, und habe nichts daraus zurückgebracht als den quälenden Durst nach neuer Betäubung, den Durst des Opium-Rauchers, der sich namenlos elend fühlt, bis er von Neuem sich berauscht. – So lange Sie nicht hier waren, Aurel, blieb dieses Elend dumpf und unbestimmt; jetzt, da ich Sie wiedersehe, hat es sein bestimmtes Ziel, seine eiserne Spitze, die in Gift getaucht ist. – Mein Gott! ich weiß nicht, was ich thue, aber wie ein Verbrecher, der nicht anders kann, muß ich meine Bekenntnisse ablegen. Vergebung, ach, Vergebung! das ist alles, was ich fordere. Ich bereue, ja, ich bereue! – Alles, was ich gethan, was ich verbrochen habe, ist gegen mich aufgestanden, und – Sie sind gerächt, mein armer Freund, Sie sind zu gut gerächt!

Theure Leonore, Fassung, Ergebung! sagte Aurel erschüttert. Was soll aus uns werden, wenn wir die Kraft verlieren, unser besseres Selbst aus dem Strome zu retten!

Wo ist Rettung? Wo, wo?! rief die Gräfin, ihr Gesicht in die Hände bergend. Rettung vor mir selbst! Wohin soll ich fliehen? an wessen Brust mein Elend ausweinen? – O, Sie wissen nicht, was es heißt, kein Wesen auf Erden haben, dem man vertrauen, das man ehren, achten und lieben kann und dennoch – ja, dennoch lieben soll!

Gütiger Himmel! erwiderte Aurel, aufs äußerste bewegt, brechen Sie nicht die letzte Brücke hinter sich ab, die vor Verzweiflung schützt. –

Er kniete an ihrer Seite nieder und nahm ihre Hände, die er in die seinen schloß. –

Ich bin bei Dir, Leonore, sagte er. In dieser feierlichen Stunde will ich einen Bund mit Dir errichten, einen Bund zärtlicher, inniger Freundschaft, der uns beide erheben soll. – Freundschaft soll Dich schützen und trösten, treue Herzen voll Liebe sollen die Dunkelheit aufhellen. Was aber ihn betrifft, Deinen Gatten …

Still! flüsterte sie, ängstlich auffahrend, nenne ihn nicht, sein Name jagt mir Schauer ein. Wie ein Gespenst sehe ich ihn überall, und überall gleich schrecklich, im Wachen wie im Traume. Hüte Dich, Aurel, hüte Dich! All sein Sinnen ist auf Dich gerichtet, auf Dein Verderben! – O, wie grauenvoll, verächtlich, schrecklich! Wie stehst Du neben ihm, gleich einem lichten Engel Gottes, und ich – ich bin sein Eigenthum für immer!

Nicht für immer! erwiderte Aurel. Vertraue auf mich, ich fürchte ihn nicht, ich kenne ihn!

Wirklich! rief die Stimme des Geheimerathes hinter ihm. Du kennst mich? kennst mich besser, als ich Dich kannte! – Was thust Du hier zu dieser Stunde? zu Leonorens Füßen? Was soll ich von dieser Scene halten, und was bleibt mir zu denken übrig, nach dieser sonderbaren Entdeckung?!

Der Geheimerath war im Schlafrocke, er trug ein Licht in der linken Hand und stand auf der Schwelle des Schlafzimmers seiner Gemahlin. In der anderen Hand hielt er einen Stockdegen mit kurzer dreischneidiger Klinge, die er vor sich ausstreckte. – In der ersten Bestürzung sprang Aurel auf, ohne ein Wort zu erwidern; die Gräfin verbarg ihr Gesicht mit einem schwachen Schrei in ihrem Tuche.

Ich sehe Licht hinter den Vorhängen schimmern, fuhr der Reichsrath fort, als ich von meiner Arbeit aufstehe und ans Fenster trete. Der Gedanke faßt mich, ein Dieb sei eingebrochen, und ich finde statt dessen meinen lieben Vetter in einer ganz eigenthümlichen Lage.

Du kannst mit Recht Aufklärung von mir fordern, sagte Aurel.

Still! rief Graf Bodo, ihn finster anblickend, ich verlange die Aufklärung nicht. Ich bedaure mich geirrt zu haben, in Dir geirrt zu haben. Ich hätte Dich für weiser, wenn nicht für besser gehalten. Verlaß diesen Ort, geh! Ich denke wenigstens, Du wirst wissen, was hier allein zu thun übrig bleibt. Ich will verzeihen, vergessen, aber fort von hier, fort für immer!

Nicht um meinetwillen, aber Leonorens wegen höre mich, erwiderte Aurel. Die reinsten Absichten haben mich hergeführt.

Die reinsten Absichten! wiederholte Graf Bodo mit Hohn. Gut, es mag so sein. Ich kenne Leonoren, ich weiß sie zu würdigen. Ich denke nichts, was meiner und ihrer Ehre zum Schaden gereichte; aber Du wirst einsehen, junger Mensch, daß ich nichts hören kann und will. Gieb Dein Wort, daß ich Dich morgen zum letzten Mal sehe. Reise und kehre nicht zurück, bis ich Dich rufe.

Ich werde bleiben, sagte Aurel. – Wenn es Deine Absicht ist, mir irgend ein Versprechen abzuzwingen, so irrst Du. Du selbst hast mich in eine Lage gebracht, die mich zwang, mich mit Leonoren zu verständigen. Ich kam hieher mit dem Vorsatze eine aufrichtige Versöhnung zu suchen, einen Bund wahrer und reiner Freundschaft mit ihr zu schließen.

Einen Bund reiner Freundschaft! um Mitternacht geschlossen im Zimmer meiner Frau! erwiderte der Graf verächtlich. Diese Lächerlichkeit, diesen Unsinn willst Du mir aufbinden? –

Er biß die Zähne zusammen, sein Kopf färbte sich dunkelroth, und seine nervige Faust faßte den Degen wie zum Stoße, indem er einen raschen Schritt auf Aurel zu that.

Lüge nicht in Deinen letzten Augenblicken! sagte er mit dumpfer Stimme.

Was der Graf beabsichtigte, ob eine Gewaltthat, ob eine Drohung, blieb unentschieden; denn mit seinen Worten zugleich wurde die Eingangsthür zurückgestoßen, und eine jugendliche Frauengestalt, deren schwarzer Mantel ihr von den Schultern fiel, stand zwischen den beiden Streitenden mit ausgestreckten Armen.

Halten Sie ein! Entsetzlich! Hören Sie mich! rief sie, und zu Aurel gewendet, legte sie die zitternde Hand auf seine Brust, als wollte sie ihn schützen und verbergen. –

Die Überraschung des Reichsrathes war so groß, daß er seine Rache fallen ließ und wie festgebannt auf der Stelle stand, indem er die Erscheinung anstarrte.

Beate! sagte er halb laut, was wollen Sie? Wer heißt Sie, sich einzumischen?

Beate kommt zur rechten Zeit, erwiderte Aurel. Sie kann zunächst bezeugen, in welcher Absicht ich hier getroffen wurde, Sie erwartete mich.

Der Geheimerath hatte sich erholt.

Sie erwartete Dich! schrie er hohnvoll auf, nachdem sie im Gartensaale mit ihrem englischen Freunde ein schmachtendes Stündchen in Nacht und Mondenschein zugebracht hatte! Schande über solch Zeugniß! Aus meinem Hause mit dieser tugendvollen Unschuld!

Du hast das Unglück, trotz aller Wachsamkeit, Dich heute überall zu täuschen, sagte Aurel. In meiner Gesellschaft war Fräulein Beate in dem Gartensaale; meinen Bitten hatte sie nachgegeben, und sie begleitete mich hieher, an der Thür wartend, bis ich der Gräfin, meiner Cousine, alles mitgetheilt haben würde, was ich für unser allseitiges Glück für nothwendig hielt.

Als der Graf schwieg, führ Aurel fort:

Die Lösung der drückenden Verhältnisse, in welche wir uns versetzt sahen, sollte auch Deinen Frieden vermehren. Ich habe zwar wenige Wochen erst Fräulein Beate von Lebel kennen gelernt, aber da ich ihr Hausgenosse bin, so hatte ich Gelegenheit, täglich in ihrer Nähe zu sein. Die Vorzüge ihres Herzens, wie die Reinheit einer edlen Seele riefen Gefühle und Wünsche wach. Ich sprach mit meiner Tante, sie bestärkte mich darin; heute war sie selbst gekommen, um Beaten zu sehen. Ich habe dem Fräulein von Lebel meine Hand angeboten, sie hat diese angenommen. – Das war es, was ich Deiner Gattin mitzutheilen, wofür ich sie zu gewinnen dachte. Ich glaubte eine Verständigung und Versöhnung zwischen uns für alle Zukunft dadurch zu erringen, ein Band des Vertrauens und inniger Freundschaft, an welchem die Vergangenheit mit ihren schmerzlichen Erinnerungen sich auflös'te.

Ah so! – Ja dann, sagte der Geheimerath mit einer boshaften Verbeugung, indem er zu der Gräfin trat, die von dem Stuhle sich erhoben hatte und vor dem Fräulein schweigend zurückwich, als dieses sich ihr nähern wollte – dann kann man seine Glückwünsche dem jungen Paare darbringen. – Vortrefflich gewählt und romantisch ausgeführt!

Ich sehe, erwiderte Aurel mit stolzer Kälte, daß jetzt nichts übrig bleibt, als alle Romantik abzulegen und den einfachen, nüchternen Weg zu gehen. Ich werde meine Braut morgen zu meiner Tante führen, dieses Haus verlassen und meine Verlobung veröffentlichen.

Er bot Beaten den Arm und führte sie aus dem Zimmer. Die Gräfin stand lautlos vor dem Kamine und schien es nicht zu fühlen, daß ihr Gemahl ihren Arm ergriff, den er fest zusammendrückte. Aus seinen Augen brach ein Strom von Haß und Hohn.

Vortrefflich gespielt, Leonor! rief er ihr zu. Wunderbar natürlich! fast zu natürlich! und – schade um die Kunst! – was hat es geholfen?

Sagte er nicht, sie sei seine Braut? fragte die Gräfin.

Der Affe! ja welche Großmuth! und Alles um Deinetwillen! rief er, sich die Stirn trocknend. Aber wir werden sehen, was daraus wird. Ich hoffe, Du bist geheilt? … Er lachte, indem er sie mit Genugthuung ansah – geheilt von allen Zweifeln und allem Elend, auch von der Furcht vor dem Gespenst! – Leonor, das war meisterhaft! – Und der lichte Engel Gottes neben dem düsteren Schatten. – Der Engel, ha ha! und das gräßliche Wesen, das im Wachen und im Traume Dich umschwebt. Vortrefflich! malerisch, dichterisch, entzückend!

Die Gräfin schwankte und hielt sich am Kamine fest. Er fing sie in seinen Armen auf und legte sie in den Polsterstuhl. Sie war ohnmächtig. – Über sie hingebeugt, betrachtete er sie stier, wie ein Wahnsinniger; aber seine Kniee zitterten. Er faßte sich an den Kopf und sagte mit tonloser Stimme:

Keine Seele also, auch diese nicht, der ich Alles gab. – Ganz allein, ich ganz allein! Aber dich habe ich, du mußt, du kannst nicht fort!


10.

Am nächsten Morgen saß der Reichsrath wieder, wie gewöhnlich, auf seiner Arbeitsstube, und neben ihm stand Winkel, mit dem unvermeidlichen Pack Briefe und Papiere zur Unterzeichnung und dem unterthänigen schiefen Rücken. – Der Reichsrath war jovial, er witzelte und belustigte sich in der üblichen Weise; man merkte ihm nichts von den furchtbaren Aufregungen an, die er in der Nacht gehabt hatte.

Winkel, sagte er endlich aufblickend, Du siehst seit einigen Tagen verändert aus, wie es mir vorkommt.

In wie fern, mein gnädigster Herr? erwiderte der Secretär.

Du hast in Deinem Gesicht einen Zug von Sehnsucht und Lüsternheit, von Hoffnungen und Kühnheit, wie ein Bräutigam. Ich glaube, Du bist verliebt.

He, he! hustete und lachte Winkel, indem er mit seinem unermeßlichen Zeigefinger durch das dünne Haar über seinen Scheitel fuhr. – Excellenz Scharfblick ist erstaunlich. Verliebt, he, he! Warum sollte ich nicht verliebt sein? Es ist sehr schön, verliebt zu sein, Excellenz. Die Kaiserin Katharina hat einmal gesagt, sie wäre immer unglücklich, wenn sie nicht verliebt wäre.

Der Graf nahm die rauhe Seite der Feder und schlug damit an Herrn Winkel's Nase. –

Höre, Du alter Taugenichts, sagte er, ich kenne Deine Schliche. Du liegst mir nicht umsonst in den Ohren, den Willner zum Hüttenmeister zu machen.

Excellenz! rief der Secretär betheuernd, es ist der redlichste und brauchbarste Mann, nach meinem bescheidenen Urtheil. Zugleich geschickt und, so simpel er aussieht, ein erfindungsreicher Kopf.

Und was er nicht erfindet, wird von Dir erfunden werden, fiel der Graf ein, oder von dem liebreizenden Hannchen, die gerade so verschmitzt ist, wie ein Kammermädchen sein muß; oder von euch beiden zusammen, und ihr werdet etwas für das weise Haupt des Burschen fabriciren, was ihm zum besonderen Schmuck gereicht. Heda, alter Sünder, nimm Dich in Acht, daß Du nicht doch zuletzt zu den Angeführten gehörst.

Mein gnädigster Herr, sagte Winkel, indem er sehr fromm aussah und dabei unterdrückt lachte, wie sehr verkennen Sie mich! Nichts als väterliche Zuneigung, ein inniges menschliches Gefühl, das Glück des jungen Paares zu begründen.

Der Graf lachte, daß das Zimmer dröhnt:

Heiliger Winkel! erwiderte er dann, großer Menschenfreund, ich habe nichts dagegen. Folge Deiner Menschenliebe, ich will das Meinige dabei thun. Willner soll Hüttenmeister werden, zahle ihm auch das Geld für den Schrank, mit welchem ich sehr zufrieden bin; kurz, thu, was Du willst, ich überliefere Dir diese Angelegenheit als Deine Privatsache. Aber höre, fuhr er dann fort, thu mir dafür den Gefallen und mische Dich nicht in meine besonderen Privat-Angelegenheiten.

Excellenz! rief Winkel, den bekannten rechten Winkel bildend.

Still! sagte der Graf, Du bist ein kluger Mann, aber die Klügsten verrechnen sich zuweilen. – Du speculirst auf die Zukunft, speculire, wie Du willst, nur nicht gegen mich. Halte es mit mir, Winkel, Du kommst besser dabei fort. Graf Aurel kann Dich nicht brauchen. Er sagte mir gestern noch, Du seist der abgefeimteste Spitzbube, den er je gesehen habe. Merke Dir das, lieber Winkel, zur beliebigen Nutzanwendung.

Der Graf sprach mit größter Freundlichkeit und so gleichgültig, wie von einer unbedeutenden Geschäftssache, während er ein Billet faltete und siegelte.

Wenn ein brauchbarer Mensch dumm wird, begann er dann von Neuem, indem er Winkel vertraulich zunickte, so ist er wie Salz, das nicht mehr salzen will; man wirft es fort! Hier dieses Briefchen gib meinem Vetter. Geh gleich und sage ihm dabei, daß Du Dich geirrt hast, daß Gersfeld die Pachtung nicht bekommen kann, daß sie vergeben ist. Setze Dich dabei mit ihm auseinander, kündige ihm den Kauf. – Ich werde nach dem Frühstück wieder kommen, um Deinen Bericht zu hören, und hoffe, Du wirst Dich überzeugt haben, daß mein Rath der beste ist, damit wir länger beisammen bleiben können.

So, sagte er, sein Siegel auf das Blatt drückend, da hast Du das Ding, alter Pfifficus. – Wie siehst Du denn aus! Etwas verdutzt! Erhole Dich in der frischen Luft, mache eine Garten-Promenade, Winkelchen; Morgenluft stärkt das Gedächtniß. Vergiß die Logen-Billette nicht zu heute Abend, und die Beschläge an dem Staatswagen, und laß den Schneider rufen und schreibe an Mentheim wegen der Actien. –

Mit einer langen Reihe ähnlicher Aufträge ging er durch das Zimmer und zur Thür hinaus.

Winkel richtete sich auf und starrte das Billet an.

Es ist sonderbar! flüsterte er. Wenn ein Mensch auch rechtlich und tugendhaft sein will, es geht nicht. Ich kenne seine Augen. Er stellt seinen letzten Versuch mit mir an. Also entweder ich lasse mich fortjagen, oder ich lasse mich nicht fortjagen. Diese Frage muß entschieden werden.

Nach fünf Minuten trat er in den kleinen Saal, wo Aurel und Rodney beim Frühstück saßen. – Thee und Kaffee standen auf dem Tische, auf einer Spiritusflamme röstete sich Sir Eduard Toaste. Es war ein ganz englisches Frühstück. Eier, Schinken und Fleisch lagen auf seinem Teller, und wie es schien, war er vollständig versunken in die Kunst, die leckersten Brodschnittchen eigenhändig zurecht zu machen.

Der Secretär hatte drei Mal leise geklopft, ohne daß ihm geantwortet wurde, und selbst als er es wagte, die Thür zu öffnen, wurde er im ersten Augenblicke nicht bemerkt. Graf Aurel sprach mit dem englischen Herrn sehr angelegentlich, und Winkel zweifelte nicht, daß es eine Sache von Wichtigkeit sein müßte, denn das Gesicht des jungen Mannes sah leidenschaftlich aufgeregt aus. Seine Stirn war roth, und seine Augen funkelten vor Zorn oder Ärger. Leider verstand Winkel wiederum nichts von den hastig und halb laut gesprochenen Worten, weil er nicht Englisch verstand, und weitere Bemerkungen konnte er nicht machen, denn Graf Aurel erblickte ihn und stand rasch auf, indem seine Züge sich zugleich wie in Freude aufhellten.

Herr Winkel! rief er, was führt Sie zu mir?

Zuvörderst, gnädigster Herr, dieses Billet, sagte der Secretär, tief niedergebeugt, die Rechte aber, mit dem Schreiben des Grafen, hoch empor haltend.

Aurel nahm das Papier schweigend an, brach das Siegel und las. Winkel richtete sich auf und versuchte seitwärts einige Blicke auf die Schrift zu thun, indem er zugleich seine feinen Gehörwerkzeuge möglichst anstrengte, um die rasch gemurmelten Worte des Grafen zu verstehen. –

»Du wirst einsehen«, las dieser, »daß Deine plötzliche Verlobung, zu welcher ich Dir nochmals Glück wünsche, und die Überraschungen, welche Du mir damit bereitet hast, es nicht gut zulassen, daß Du heute schon den an sich richtigen Entschluß ausführst, von welchem in dieser Nacht zwischen uns die Rede war. – Die Welt will betrogen sein, oder sie macht uns zur Zielscheibe ihres Hohnes und ihrer Verleumdungen. Ohne alle Weitläufigkeit bitte ich Dich daher, keine Änderung eintreten zu lassen, bis wir auf die schmerzlichen Verluste uns vorbereitet haben. – Meine arme Leonor ist unwohl, doch hoffe ich, sie wird zu Mittag erscheinen können. Nachher spielen wir unsere Partie, Du bist mir Revanche schuldig; dabei können wir plaudern, was uns beliebt. Vergiß nicht, daß heute Abend die neue Oper gegeben wird, Du hast Leonor gestern versprochen, sie zu begleiten. – Ein herrlicher Morgen, ich hoffe, Du machst deinen Spazirritt wie gewöhnlich. Leider habe ich zu viele Geschäfte, um mich Deiner Gesellschaft zu erfreuen.«

Der Namenszug des Geheimeraths schloß dieses Schreiben, auf welches Aurel einige Augenblicke wie ein Träumender starrte. – Endlich sah er Winkel an, der ihn lauernd beobachtete.

Wissen Sie etwas vom Inhalte dieses Schreibens? fragte er.

Nichts, gnädigster Herr, erwiderte der Seretär, keine Sylbe.

Gut; aber Sie wollen mir etwas mittheilen.

Winkel blickte auf Rodney, der mit dem Rücken gegen ihn saß und, als sei er allein, seine Toaste und Eier vertilgte.

Er versteht kein Wort, sagte Aurel. Reden Sie.

Sie haben mich gestern gnädigst gewürdigt, begann der Secretär tief geneigt, daß ich für meine geringen Dienste, welche der Himmel mir vielleicht gestattet, Ihnen leisten zu können, mir eine Gnade ausbitten darf.

Einen festen, bestimmten Preis, Herr Winkel! sagte der Graf. Gestern wußten Sie ihn nicht, heute ist er Ihnen eingefallen. Das ist mir lieb, nennen Sie ihn.

Gnädigster Herr, antwortete Winkel demüthig, alt, wie ich bin, hat Geld keinen Reiz für mich. Ich verlange nichts, als daß Sie mir zusichern, mich niemals zu verstoßen, sondern so lange ich lebe, mich in meinem jetzigen geringen Amte zu lassen, wo ich Ihnen die unterthänigsten und besten Dienste zu leisten vermag.

Der Ausdruck des entschiedensten Widerwillens erfüllte das Gesicht Aurel's. –

Mit einem solchen Versprechen mag ich mich nicht binden, sagte er. Fordern Sie Geld, eine Summe, ein Jahrgehalt, alles, was Sie wollen. Sollte jedoch je das Majorat auf mich fallen, so könnte ich leicht durchgreifende Veränderungen ausführen wollen.

Bei denen ich überflüssig würde, flüsterte Winkel sanft lächelnd. So bescheide ich mich denn, gnädigster Herr.

Ich hoffe, Sie werden deßwegen immer wissen, woran Sie sind! rief Aurel. Ich werde Sie zufrieden stellen. Mein Wort darauf! Was Geld betrifft, so sollen Sie niemals klagen.

Der Secretär verbeugte sich mit Blicken voll Dankbarkeit. Er griff nach des Grafen Hand, welche dieser zurück zog. –

Sagen Sie mir jetzt, fragte Aurel, wie Sie meinen Vetter heute fanden.

Ungemein freundlich, gesprächig und liebreich, sagte Winkel. Er beliebte aufs huldvollste mit mir zu scherzen und trug mir endlich die Besorgung dieses Billets auf, um mich selbst zu entschuldigen, daß ich in Betreff der Gersfeld'schen Pachtung …

Herr Winkel zuckte mitleidsvoll und kläglich die Schultern.

Ich kann es mir denken, sagte der junge Graf. Es soll zu spät sein, Gersfeld soll büßen.

Herr Winkel zog abermals die Schultern bis an seine Ohren und seufzte wehmüthig.

Lassen wir das! rief Aurel erregt; ich werde gut zu machen suchen, so viel ich kann. Aber das Document, Winkel, das Document muß mein sein, wäre es auch nur auf eine Stunde.

Gnädigster Herr, erwiderte der Secretär leise, das Mittel liegt in Ihrer Hand. Ich sagte Ihnen schon gestern, Willner allein kann Auskunft geben.

Gut, sagte Aurel hastig. Ich will mit ihm sprechen, will überlegen.

Thun Sie das, gnädigster Herr, fuhr Winkel fort, für alles übrige will ich sorgen. Es wird mir nicht schwer sein, die Schlüssel zum Schranke bereit zu halten, wenn wir die richtige Stunde beobachten, von welcher ich Sie benachrichtigen kann.

Der junge Erbe nickte ihm stumm zu, und Winkel ging, ohne ein Wort zu sagen, indem er nur den Finger auf den Mund legte und mit einem sonderbaren, halb vertraulichen, halb demüthigen Lächeln den Grafen ansah, wobei er sich unterthänig bückte.

Leise schlich er zur Thür und öffnete und schloß diese fast unhörbar, während Unruhe und Verlegenheit Aurel's Gesicht überdeckten. –

Was sagen Sie, Rodney, was sagen Sie, mein Freund? rief er endlich, als er sich umwandte und seine Hand auf Sir Eduard's Schulter legte.

Ich sage, erwiderte dieser, das letzte Ei aufschlagend und ein ungeheures Stück Schinken zwischen seine Kaumuskeln schiebend, ich sage, daß Sie auf dem besten Wege sind, in die Finger dieses Schuftes zu gerathen.

Wahr, mehr als wahr! murmelte Aurel; aber wenn man Diebe fangen will, darf man sich dann ihrer Helfershelfer nicht bedienen?

Humpf! sagte Rodney, sein Ei auslöffelnd. Es soll Freude im Himmel sein, wenn ein Schelm den anderen betrügt; ob aber ein Gentleman dabei sein darf, ist eine andere Frage.

Wo ist ein Weg? Es bleibt kein Weg! murmelte Aurel. Ich will Alles versuchen, ich will mit ihm ohne Rückhalt sprechen.

Wollen Sie annehmen? fragte Sir Eduard, indem er auf den Brief des Grafen deutete, den Aurel vor ihn hingelegt hatte.

Ich will, weil es das Klügste ist und mir jedenfalls paßt.

Gut, sagte Rodney, den Löffel hinlegend, so wollen wir reiten, um uns Appetit zu machen. Seine Pferde sind gut, sein Diner wird auch gut sein. Im Übrigen bin ich immer stumm und immer Ihr Freund.

11.

Um zwei Uhr trat Aurel in das Speisezimmer; an seinem Arme führte er Beaten von Lebel, welche er schriftlich gebeten hatte, ihn zu diesem Gange zu erwarten. – Beate hatte den ganzen Morgen über ihr Zimmer gehütet, nachdem sie vergebens der Gräfin geschrieben, ihr eine Unterredung zu bewilligen. Sie erhielt die mündliche Antwort, daß es unmöglich sei, weil die gnädige Frau sich zu unwohl fühle. Nach einigen Stunden aber sah sie die Gräfin ausfahren, und kurz vor der Mittagszeit erst kehrte der Wagen zurück.

Beate verlebte die Zeit in bangen Sorgen. Ihr Bewußtsein sagte ihr, daß sie nichts Böses gethan, daß gute Menschen ihr unmöglich zürnen könnten; aber in der Abwesenheit des Mannes, der so überraschend in ihr Leben getreten war, der ihr gesagt hatte, daß er sie liebe, der ihr geschworen, daß er Alles bedacht und wohl überlegt habe, und der so stürmisch ihre Hand forderte, traten die Schatten der Verhältnisse drohend vor sie hin. Daß die Präsidentin alles billigte, was Aurel gethan, war der Stern, der durch diese Nacht brach, und endlich wurde es wieder hell in ihrem Herzen; zitternd vor Freude und demüthig in ihrem Glück, sah sie den Geliebten in ihr Zimmer treten.

Sie haben geweint, Beate, sagte Aurel, ihre Hand festhaltend.

Schüchtern und innig schlug sie die Augen zu ihm auf und erwiderte leise:

Meine Thränen waren keine, die der Schmerz weint; auch Glück und Freude machen die Wimpern naß. Aber, mein lieber, mein theurer Aurel, wenn ich an mich selbst denke, denke, wie ich nichts geben kann, als mich selbst, wie meine ganze Habe dieses Herz ist, wenn ich – sie lehnte sich sanft an ihn und sah ihn bittend an – nein, o, nein, ich zweifle nicht, aber bin ich werth, bin ich würdig, bin ich fähig, Sie glücklich zu machen?!

Beate! rief Aurel, geben Sie mir Ihr ganzes Herz, rein und schön, wie es ist; mehr kann, mehr will ich nicht fordern.

Aber was tauschen Sie dafür ein? erwiderte sie die Augen senkend. Mit Schrecken denke ich daran, was wir erlebten. Was wird der Haß ersinnen, was wird die Mißgunst erfinden! O, lieber, bester Freund, ich wollte Alles gern tragen, aber Sie – Sie! Die Welt ist immer bereit zum Hohne, und wenn es auch Vorurtheile sein mögen, man darf sie nicht ungestraft verachten. Auch edle Männer dürfen es nicht, und wenn ich daran denke, daß ich – ich ein Gewicht werden könnte, das hemmte und drückte!

Sie hob den tief gesenkten Kopf empor, und ihr schüchterner Blick wurde fest, ihr freundliches, fast kindliches Gesicht erhielt einen Ausdruck der Stärke und Bestimmtheit –

Ich bin an Ergebung und Entsagung gewohnt, sagte sie, während ihre Wangen sich rötheten. Meine Hoffnungen waren niemals groß, mein Glück hatte einen engen Kreis, meine Wünsche verloren sich nicht über die Gränzen, die mein Leben mir mit strenger Hand zeigte. Ich bin dankbar für Gottes wunderbare Gnade, die mich empor heben will; aber Rang und Reichthum blenden mich nicht. Ach Aurel! es wäre schrecklich, wenn jene allein mir einst nur bleiben sollten, wenn mein Herz – dieses arme Herz voll Liebe und Treue – zu spät entdeckte, daß in den Streiten der Welt, des Ehrgeizes, der Verhältnisse es zu leicht wöge! – Zürnen Sie nicht, Aurel, o, zürnen Sie nicht!

Nein, sagte er, ich erkenne die Wahrheit. Aber Eines sage mir: Liebst Du mich, Beate?

Sie klammerte beide Hände um seinen Hals und drückte ihren Kopf an seine Brust ohne Antwort.

Und würdest Du mich lieben, auch wenn ich nicht der wäre, der ich sein muß, durch des Schicksals Willen, das alle Menschenloose bestimmt?

Ja, ja! flüsterte Beate innig. O, immer, immer!

Dann hebe Deinen Kopf auf, liebes Mädchen, fuhr Aurel fort. Sieh mich an, sieh in meine Augen, sei stolz und froh, nie werden sie Dir lügen.

Er setzte sich zu ihr, und nach einem langen Gespräche kehrte die Seligkeit einer glücklichen Braut in Beatens Herz ein und erfüllte sie mit den wonnigen Schauern und himmlischen Träumen, die ein Mensch selten zwei Mal träumt.

O, rief sie endlich, als Aurel mahnte, wie stolz bin ich, wie muthig an Deiner Seite! Ich habe mich abgeängstigt vor dem Gedanken, dem Reichsrathe und der Gräfin unter die Augen zu treten; ich erschrak vor meinen Phantasieen, und was die Damen in den Salons sagen würden; jetzt freue ich mich darauf. Beneiden sie mich, um so besser. – Göthe sagt einmal von dem reinen, höchsten Glücke des Lebens, daß es alle irdischen Schrecken von sich werfe, die Seele so kühn mache, daß sie nichts mehr fürchte, und daß das Göttliche in uns zu seiner höchsten Freiheit strebe, um aus dem Geschöpfe den Schöpfer reden zu lassen. So ist mir jetzt zu Muthe. Ich fühle den Willen, um Thaten zu thun, und weiß nicht mehr, was Furcht heißt.

 

In dieser Stimmung trat die Braut an Aurel's Arme in den Salon, wo sein Verwandter, Leonore und Sir Eduard beisammen waren. – Rodney sprach mit der Gräfin, die heiter gestimmt schien und lächelnd ihren Kopf umwandte, als die Thür geöffnet wurde.

Aurel kommt immer etwas zu spät, lachte der Geheimerath, indem er ihm entgegen ging; aber dieses Mal müssen wir es ihm verzeihen! – Ich denke, Rodney weiß um diese Sache, fuhr er fort, und wir dürfen uns keinen Zwang anthun?

Er weiß, was er wissen soll, sagte Aurel.

Als Mitunternehmer am großen Werke, fuhr der Geheimerath mit derselben Lustigkeit fort, gebührt ihm sein vollgemessener Antheil. Fräulein Beate, ich gratulire bei diesem heiteren Sonnenlichte und gedenke des alten Spruches, daß es besser ist, zwei Freunde als Einen zu haben. Sie jedoch, so jung, schön, reizend und mit den höchsten Vorzügen ausgestattet, werden viele Freunde finden, die bereit sind, Alles für Sie zu thun, und zu deren ergebensten ich mich selbst zahle.

Die Worte, mit großer Geschmeidigkeit gesprochen, wurden zum bittersten Hohn im Munde des Reichsrathes; aber Beate nahm sie mit ganz anderer Würde auf, als Graf Bodo es voraus setzte. Bisher hatte sie Kränkungen und Spöttereien mit demüthiger Geduld ertragen, oder sie sanft und scherzend von sich abzuleiten gesucht; jetzt richtete sie sich stolz auf und betrachtete den Beleidiger mit so verächtlicher Hoheit, daß dieser hochmüthige und selten zu verwirrende Mann davon getroffen und zum Schweigen gebracht wurde.

Excellenz, sagte das kleine Fräulein, ich habe nur Einen Freund, dem ich diesen edlen Namen gebe, meinen Bräutigam und Erwählten, Ihren nahen Verwandten, den Grafen Aurel von Derschau. Ich schätze mich glücklich, damit Ihrer erlauchten Familie anzugehören, ich vertraue Ihrer gütigen Versicherung um so lieber, auf Ihre verwandschaftliche Theilnahme rechnen zu dürfen, weil Ehre und Selbstachtung dies bedingen. Ich nahe Ihnen mit der freundlichen Bitte, mich als eine Berechtigte aufzunehmen, die Ihnen treu und wahrhaft entgegen tritt.

Der Graf war durch diese Anrede außer Fassung gebracht, er konnte die rechten Worte nicht finden.

Nach einer höflichen Verbeugung wandte er sich zu seiner Gattin um. –

Unsere theure Cousine, sagte er, ist höchst liebenswerth, höchst achtungsvoll! Bei meiner Ehre, ich bin entzückt, Leonor, wir werden versöhnt in die Zukunft blicken. Doch für jetzt nichts weiter. Unser Diner wartet; ich denke, wir lassen uns so unbefangen, wie möglich, den Appetit nicht verderben.

Er bot mit diesen Worten dem Fräulein seinen Arm. Aurel folgte mit der Gräfin, die ihr Schweigen nicht brach. Rodney schloß sich ihnen an.

Das Mahl war aber dennoch eines, das die Eßlust nicht besonders fördern konnte, obwohl Alles gethan wurde, um die Unbefangenheit aufrecht zu erhalten. – Die Gegenwart der Diener hinderte jede Anspielung auf die Verhältnisse. Der Reichsrath erzählte lustige Geschichten und was ihm gerade einfiel, aus allen möglichen Ecken und Winkeln seines Gedächtnisses. Er hielt das Gespräch lebendig, zog alle Personen hinein, sogar die Bedienten, brachte die verschiedensten Dinge zum Austausch und belustigte sich mit Rodney, der mit wunderbarer Consequenz schweigend aß und essend schwieg, ein bedeutendes Quantum der verschiedensten Speisen verschwinden ließ und mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit Glas auf Glas leerte, weil Graf Bodo ihn unaufhörlich nöthigte. Die beiden Herren schienen eine Wette gemacht zu haben, wer das Meiste zu leisten vermöchte, und der Graf selbst rief endlich lachend, daß es ihm vorkäme, als führe er die Scene aus der Edda auf, wo Thor und Locke im Reiche der Riesen sich in der edlen Kunst des Essens und Trinkens messen und jämmerlich geschlagen werden.

Dies war auch ohne Zweifel hier der Fall; denn während Sir Eduard mit demselben ernsten und farblosen Gesichte fortfuhr, seine eindringlichen Exercitien an den Weinen und Schüsseln des Nachtisches zu machen, war der Kopf des Grafen dunkelroth, seine Adern hoch aufgelaufen, seine Augen gläsern und seine Zunge etwas schwer und ungewiß. – Er war daran gewohnt, stark zu essen und zu trinken; aber heute hatten vielleicht seine Gedanken und deren Aufregung störend auf ihn eingewirkt, und obwohl er genau wußte, was er that, und nirgend aus seiner Rolle fiel, so waren seine Scherze, sein Gelächter und seine lebhaften Bewegungen doch so gesteigert, übermüthig und auffällig, daß die Gräfin aufathmete, als sie das Zeichen zum Aufstehen geben konnte.

Auch sie schien jedoch etwas von dem Zauber größerer Milde zu empfinden, der gesättigten Menschen nicht allein, sondern auch den grimmigsten Geschöpfen eigen ist. Sie nahm sanft und gütig Beatens Arm und führte sie in eines der zierlichen Seiten-Cabinette, wo unter einer Laube von Epheu und zwischen Blumennischen eines jener kleinen zweisitzigen schwellenden Sophas stand, welche die Franzosen mit sinnreicher Bezeichnung Causeuses genannt haben. – Hier blieben die beiden Damen allein, während der Geheimerath nach den Schachfiguren rief und Rodney in Büchern und Zeitungen blätterte, die auf dem großen Tische lagen.

Nicht weit von ihm stellte ein Diener das gewürfelte Marmortischchen auf, an welches sich die beiden Grafen niederließen, und nachdem der Kaffee umhergereicht war, begann das Spiel, das eine Zeit lang die einzige Unterhaltung bildete. Nach einer Viertelstunde war jedoch der Geheimerath in die Enge getrieben und nach einigen fehlerhaften Zügen so umstrickt, daß der König matt gesetzt war.

Deine Königin hat gesiegt, Aurel, sagte er lachend. Möge sie immer siegen, ich wünsche es ihr von ganzem Herzen.

Ich nehme Deinen Glückwunsch an, erwiderte der junge Mann, und wünsche, daß jedes Matt ihr so leicht gemacht werde.

Der Geheimerath lächelte boshaft.

Königinnen, rief er aus, sind hohe Damen, die ein zahlreiches Gefolge Ritter, Läufer, Marschälle und Diener aller Art nöthig machen, und diese hier – er tippte auf Aurel's Königin – tritt so stolz auf, daß ihr Hofstaat und ihre Wünsche keine geringen Anstrengungen erfordern dürften.

Du irrst, antwortete Aurel lächelnd. Ihr Sinn ist bescheiden und demüthig, ihr Stolz nur wider den Gegner mit allem Recht gerichtet, und ihre Wünsche sind leicht zu erfüllen.

Bei Deinen Mitteln, sagte der Reichsrath und Deinen Aussichten ist Stolz gut angewandt. Deine Königin wird doch ein Haus machen?

So weit es sich für sie schickt und es ihr Rang verlangt, wird sie es thun.

Herrlich! rief der Reichsrath; ich sehe, Du bist vorsichtiger und berechnender verfahren, als ich dachte. Deine Königin besitzt ohne Zweifel verborgene Schätze, oder eine reiche alte Tante öffnet dem jungen Gemahl ihre festzugeschnürten Geldtaschen.

Ich glaube, das alles wird nicht nöthig sein, um meine Königin würdig in die Welt zu führen, da ich selbst die nöthigen Geldtaschen besitze.

Du? fragte Graf Bodo.

Oder Du für mich, erwiderte Aurel.

Ah, ich! Mich meinst Du – Das ist spaßhaft! Aber von Herzen gern, mein edler, großmüthiger Vetter, wenn es mir irgend möglich wäre; doch leider – bin ich weit ärmer, als Du glaubst.

Du irrst durchaus, wenn Du meinst, daß ich irgend ein Opfer von Dir verlange, sagte der junge Mann.

Kein Opfer! Daran erkenne ich Dich.

Nur die Erfüllung des Familien-Statuts fuhr Aurel fort, nach welchem mir bei meiner standesmäßigen Verheirathung – und ich denke, dagegen läßt sich nichts sagen – ein Viertheil der Einkünfte des Majorats zukommt. –

Aurel heftete seine Augen fest auf einen Verwandten, weil er bei dieser Enthüllung einen heftigen Ausbruch des Zornes oder ein Zeichen großer Bestürzung erwartete; aber er täuschte sich gänzlich. – Das Einzige, was der Geheimerath that, war, daß er mit dem Ausdruck völligen Nichtverständnisses seinen Vetter bat, ihm die Worte noch einmal zu wiederholen, und daß er dann laut auf lachte und Aurel mitleidig und theilnehmend ansah.

Ich weiß nicht, sagte er, wer Dir das aufgebunden hat; aber das weiß ich, daß es ein großer Narr oder ein großer Taugenichts gewesen sein muß.

Du läugnest es also? fragte Aurel so ruhig, als er konnte.

Ich läugne es, weil es eine Lüge ist, erwiderte der Graf. Du kennst das Familien-Statut so gut, wie ich selbst.

Aber es existirt ein Nachtrag, der in Deinem Besitze ist.

Mein lieber Aurel, sagte der Geheimerath mit überlegenem Hohne, wenn Du Deine Königin darauf angewiesen hast, so, fürchte ich, wird sie ihren Hofstaat bedeutend einschränken müssen.

Du solltest gerecht sein, es nicht zum Aeußersten treiben, erwiderte Aurel nach einem augenblicklichen Schweigen. Aber darf ich von Dir Gerechtigkeit verlangen?

Nicht doch, sagte der Geheimerath lächelnd, wer wird leidenschaftlich werden? Du störst unser Übereinkommen, aber ich verzeihe Dir.

Du mir verzeihen! rief Aurel. Du hassest mich. Gott weiß es, worauf Du jetzt sinnst; aber warum hassest Du mich? Ist es das irdische Gut, das Du einst mir überantworten sollst? Wollte Gott, ich könnte es Dir hinwerfen! Unrecht hat es denen entzogen, welchen es rechtmäßig zukommen sollte. Aber es ist so, Du kannst es nicht ändern, und ich kann es nicht. Mit seiner Hülfe hast Du mir einst genommen, was mein war. Was willst Du jetzt noch?

Nichts, theurer Freund, nichts! sagte Graf Derschau. Wir wollen der Eine nichts vom Andern, Jeder behalte, was er hat. Aber Du wirst die Damen aufmerksam machen. Ich hoffe, Du gönnst uns das Vergnügen Deiner Gegenwart in der Oper?

Aurel blickte finster vor sich nieder, er zitterte vor Zorn. Seine Hand ballte krampfhaft die Schachfiguren zusammen, und wie er die Augen aufhob, sah er das Gesicht seines Verwandten mit boshaftem Triumphe erfüllt.

Es ist unmöglich, erwiderte er, daß dieses Verhältniß länger dauern kann. Sei gerecht, ich bitte, ich beschwöre Dich darum. Was that ich Dir je zu Leide, um Deinen Haß zu verdienen? Ich suche eine aufrichtige Versöhnung. Liebe und Vertrauen zwischen uns würde Heuchelei sein, aber wir können ruhig neben einander gehen. Du läugnest das Vorhandensein jener geheim gehaltenen Bestimmung, läugnest es bei Deinem Ehrenworte?

Lieber Aurel, rief der Graf lachend, laß uns davon aufhören. Auf Ammen-Märchen gebe ich mein Ehrenwort nicht. Laß uns noch ein paar Tage leben, ohne den Schein zu verletzen; zeige Dich mit Deiner Braut öffentlich, begünstige sie öffentlich, bereite die Welt auf das Unerwartete vor – ich rathe das alles zu Deinem Besten. – Dann erkläre Dich, bringe Fräulein von Lebel zu Deiner Tante, ziehe Dich zurück von mir, meide fortan jede nähere Berührung, aber laß die äußere Schranke fortbestehen. Wir kennen uns beide, fuhr er fort, und ändern läßt sich nichts mehr. Ich mache Dir keine Vorwürfe, vielleicht irre ich mich auch. Du bist jung, phantasievoll, leidenschaftlich, Du siehst mich in Deinem Lichte. Genug davon! Die Straße ist breit, wir haben nicht nöthig, uns anzustoßen. Ich habe es gut gemeint, habe Dein Bestes gewollt, Du hast den eigenen Weg vorgezogen. Wenn ich in der Folge irgend etwas für Dich thun kann, soll es gern geschehen, aber niemals so, wie Du es meinst. Eine Heirath auf meine Kosten, nach dem, was zwischen uns vorgefallen ist, kann nicht nach meinem Geschmacke sein. Oder meinst Du, ich solle den Hofstaat bezahlen?

Nichts sollst Du bezahlen, sagte Aurel. Ich will weder ein Almosen von Dir, noch etwas, wofür ich zu danken hätte. Ich will nichts, als was ich mit Recht fordern kann. – Ich werde Beweise dafür suchen.

Gut, theurer Vetter, gut! rief der Reichsrath, seine Hände reibend. Es wird ein angenehmer, lustiger Proceß werden, der viel Geld kosten kann.

Ein Proceß, bei dem Ehre, Name und Ruf verloren gehen wird, so lustig das zu sein scheint, erwiderte der junge Mann stolz. Noch ist es nicht so schlimm in diesem Lande, um nicht selbst die Ersten und Höchsten zur Rechenschaft zu ziehen; und jetzt, indem ich Dich verlasse, sage ich Dir, daß ich nicht ruhen will, bis ich vor aller Welt aufgedeckt habe, wie es mit der Moral eines Mannes steht, der die Gesetze machen hilft.

Die Damen waren aus dem Cabinet getreten.

Beatens Wangen glühten; die Gräfin schien erregt und verletzt. – Es wurde kein Wort gesprochen, Aurel verbeugte sich kalt und führte das Fräulein hinaus; jetzt aber eilte Leonor zu ihrem Gemahl, und beide Hände ängstlich auf seine Brust legend, sagte sie entsetzt:

Mein Gott, was ist geschehen? Du siehst wie der Tod aus! – Furchtbar! Du bist ganz kalt! Soll ich Hülfe rufen?

Es ist nichts, ich bitte Dich, sei ruhig, erwiderte er. – Dieser Elende! Ich hatte nicht geglaubt, daß es mich angreifen könnte – ich brachte ihn zur Raserei, ich wußte, daß es so kommen mußte. – Er beschimpfte mich, aber, bei Gott! er soll es büßen büßen, bis ich ihn zertreten habe, verachtet, verzweifelnd! Sei ganz ruhig, Leonor, sei ganz ruhig!

Wie viel Unglück bringt dieser Mann über uns! murmelte die Gräfin seufzend.

Du sollst Genugthuung haben, volle Genugthuung, fuhr der Reichsrath fort. Aber was hattest Du mit Deiner ehemaligen Kammerjungfer? Sie sah wie eine Furie aus. Was hat sie Dir gethan?

Sie hat mich behandelt, wie ich es verdiene, sagte die Gräfin. Sie forderte mein Vertrauen, ich zeigte ihr die Zukunft und nannte es leichtsinnig gewagt, mit einem Manne von so beschränkten Mitteln, der die ganze Welt gegen sich haben würde, ein übereiltes Bündniß zu schließen. Sie unterstand sich, mir zu antworten, daß ich einmal in demselben Falle gewesen sei, aber …

Daß Du einsichtsvoller, vernünftiger gewesen bist, fiel er ein, als die Gräfin dunkel erröthend schwieg. Kein Wort mehr, Leonor, kein Wort! Ich denke, sie soll bald ein ander Lied anstimmen, morgen schon, Leonor, denn heute noch …

Hier wandte sich die Gräfin um; Beide standen sprechend am Fenster, wohin Graf Derschau sie geführt hatte, und leise tippte sie auf den Arm ihres Mannes und deutete auf Rodney, der, ein Buch in der Hand haltend, in welchem er Kupferstiche betrachtete, so eben eine Bewegung gemacht hatte.

Ist der liebenswürdige Schwätzer auch noch hier? fragte der Graf, Rodney verächtlich anlächelnd; doch was thut es? laß ihn sitzen. Ich sage, heute noch soll er genug haben, für den ganzen Rest seines Lebens, um für immer gebrandmarkt, mit Schimpf und Schande bedeckt zu sein. – Sorge nicht, Leonor, er fängt sich in seinen eigenen Schlingen. Was ihn trifft, bereitet er sich selbst. Er hat einen prächtigen Plan gemacht, mir den vierten Theil meiner Einkünfte abzunehmen. – Der Schuft, Winkel, ist ihm dazu behülflich gewesen; jetzt hat er sich besonnen; aber erst den Einen, dann den Anderen, ich treffe sie nach der Reihe. – Er soll haben, was er wünscht, er soll es haben; aber sagte ich Dir nicht, er dürfe nicht heirathen, er müsse fort – fort, daß ich nie mehr dieses süße, geistvolle Gesicht sehe? – Und er soll fort, fort mit dem Burschen da, der, dickhäutig und langweilig, wie ein Klebpflaster abgerissen und hinausgeworfen werden muß, wenn wir ihn los werden wollen.

Nun, mein theurer Sir Eduard, fuhr er, höflich sich neigend und sehr freundlich, fort, indem er sein Englisch zusammenraffte; wann gedenken Sie uns zu verlassen?

Rodney legte das Buch nieder und sagte gleichmüthig: Ich habe noch keine Zeit bestimmt. Ich bin überhaupt Herr meiner Zeit; es kommt mir auf Monate und Jahre nicht an. Ich bleibe, wo es mir gefällt, und hier gefällt es mir so gut. Sie machen mir so viele Lust zum Bleiben, daß ich die Unruhe zum Gehen verloren habe.

Sie entzücken mich, Sir Eduard! rief der Reichsrath. Es wäre auch zu betrübt, wenn Sie Ihren Freund verlassen wollten, ohne seine Vermählung abzuwarten.

O, richtig, Count Aurel will heirathen, sagte Rodney. Sehr gute Wahl. Sie werden angenehm überrascht sein.

Außerordentlich angenehm! Aber doch auch höchst schmerzlich, wenn ich bedenke, daß mir mein lieber Aurel entrissen wird, der mir wiederum Sie entreißt. Es ist eine Kette von Verlusten.

Rodney blickte den Grafen theilnehmend an, indem er ihm zunickte.

Aurel wird seine Braut zu seiner Tante fuhren, es vorziehen, in ihrer Nähe zu wohnen. Auch Sie werden ganz natürlich uns verlassen.

Ich werde bleiben, sagte Rodney mit tröstender Festigkeit.

Bleiben! rief der Reichsrath. Unmöglich, theurer Sir Eduard! Ich kann dieses Opfer nicht annehmen. Ich darf nicht, so schwer es mir wird. Wir müssen Abschied nehmen, müssen uns trennen.

Nein, sagte Rodney den Kopf schüttelnd, es soll nicht geschehen. Ich werde Aurel aufsuchen und ihn mit meinem Entschlusse bekannt machen. Ich bin so erfreut, in Ihrer Nähe zu sein; Sie beweisen mir so große Theilnahme, ich fühle mich so angezogen und erheitert, daß ich bleiben will, so lange ich kann.

Er steckte seine Hand in die Westentasche, nahm seinen Hut und sah nach der Uhr. – Also eine neue Oper heute, fuhr er fort. Sehr gut! – Wir sehen uns dort.

Meine Loge ist ganz besetzt, theurer Sir Eduard.

Wahrhaftig? Dann muß ich einen anderen Platz nehmen. – So reiten wir morgen früh.

Ich glaube kaum, daß meine Pferde disponibel sind, sagte der Reichsrath mit seinen schärfsten und hohnvollsten Blicken; überhaupt aber …

So reiten wir übermorgen, fiel Rodney ohne die geringste Regung ein, indem er sein Halstuch zurecht rückte und einen Blick in den Spiegel warf. Mylady, den schönsten Tag. Excellenz, nochmals meinen Dank. Auf mein Wort, ich bleibe!

Die Pest! rief Derschau hinter ihm her, kann nicht fester in einem Pelze sitzen, als dieser treue Freund uns anklebt. Er hat in Ägypten Nilpferde gejagt und ihre undurchdringliche Haut sich übergestreift. Der gehörnte Siegfried hatte doch Eine Stelle, wo er angreifbar war, dieser hat gar keine. Es bleibt nichts übrig, als ihm einfach dürr zu sagen, daß seine Zeit um sei, und das soll morgen geschehen. – Ich muß zu dem Ober-Kammerherrn, Leonor! – Sei vergnügt, mein süßes Herz, und denke nicht mehr an den schwarzen Schatten – Haha! wie Du roth wirst. Adieu, mein Engel! Ich liebe Dich mehr, als je, und will Dich rächen, um Dich mit Reichthum und Glück zu überhäufen.

Gräfin Leonore setzte sich auf den Stuhl, wo Aurel gesessen hatte. Ihre Hand spielte mit den Schachfiguren, Thränen fielen heiß und unaufhaltsam darauf nieder.


12.

Der Abend dämmerte bereits, als Aurel in die Werkstatt seines Freundes trat, dessen Feile und Hammer noch in voller Thätigkeit waren. Franz Willner hörte bei dem Lärm seiner Arbeit die ersten Schritte des Grafen nicht, bis dieser ihm auf die Schulter klopfte und ihn anredete.

Aurel! sagte Willner, indem er das Werkzeug fortlegte, sich aufrichtete und ihm die Hand bot, während er mit der andern den Schweiß von der Stirn wischte.

Da bist Du ja, sei willkommen!

Es lag etwas Starres und Kaltes in seinen Worten, nicht der herzliche Ton von früher war darin, und in seinem Gesicht fehlte der zufriedene, glückliche Zug. Er sah ernsthaft und verschlossen aus.

Was gibt es denn, Franz? fragte der Graf. Es ist etwas mit Dir vorgegangen, was Dich drückt. Bist Du in Verlegenheit gerathen, wo ich helfen könnte?

Danke Dir, Aurel, danke Dir! rief der junge Meister lebhafter, indem er unwillkürlich wieder zu seiner Feile griff und über das mattglänzende Metall fuhr.

Du wirst Dir die Augen verderben, sagte Aurel. Komm her und sage mir Bescheid.

Ja, die Augen, die muß ich mir erhalten, erwiderte Franz; arbeiten ist ein Trost, ein großer Trost, lieber Aurel. Wenn es ganz schwarz im Herzen ist, wenn es da drinnen schmerzt und ärger brennt, als mein weiß glühend Eisen, dann ist die einzige Hülfe Arbeit! Dabei rafft ein Mensch sich auf, da kommen ihm Gedanken und Vorsätze, da wirft er all seine Noth hinein, seinen Schmerz, seinen Zorn und seine Rache, und es kommt ein besserer Geist über ihn. Ja, Arbeit ist eine wahre Gotteshülfe. Arbeiten muß man, um nicht zu verzweifeln; was ich heute geschafft habe, ist sonst wohl in drei Tagen nicht fertig geworden.

Aurel hörte theilnehmend erstaunt zu.

Und was, fragte er dann, hat Dich dazu bewegt, diesen Trost der Arbeit vor Verzweiflung zu suchen?

Ich kann es Dir in wenigen Worten mittheilen, antwortete Willner nach einigem Bedenken; Du mußt mir aber versprechen, nichts dazu zu sagen, keine Einwürfe zu machen oder mich umwandeln zu wollen. Denn was ich thun muß, ist wohl überlegt. Da helfen keine Worte mehr, es muß gehandelt werden, und kein anderer Trost ist da, als eben die Arbeit und, was von innen kommt, das rechte Gewissen.

Es ist aus mit mir und Hannchen, fuhr er hastiger fort. Ich habe eingesehen, wir passen nicht, es würde uns beide schlecht gehen und könnte mich wohl in Elend und Verbrechen bringen. Darum müssen wir's lassen, und ich habe alles, was ich gehofft, aus meinem Herzen gerissen und mit Hammer und Feile die Wünsche heraus geklopft. So bald will's freilich nicht gehen, muß aber gehen. – So, nun weißt Du es, und sage nichts dazu, weder Ja noch Nein; denn mit solchem Streich muß Jeder sich selbst abfinden. Es ist damit wie mit einer Wunde: man muß den Schmerz tragen, wie man kann, Bedauern hilft nichts.

Ich will thun, was Du richtig verlangst, erwiderte Aurel; aber meine Hand kannst Du nehmen, wackerer Franz, und glauben kannst Du, daß ich Dein wundes Herz erkenne und mit Dir fühle.

Es entstand eine lange Pause, während die beiden jungen Männer Hand in Hand bei einander standen. Der arme Arbeiter senkte den Kopf nieder und seufzte; auf seiner blassen Stirn sammelte sich der letzte Schimmer des Tageslichts und zeigte seine milden, kummervollen Gesichtszüge.

Wenn es ein Mann wäre, vor dem man sich bücken müßte vor Achtung, ein Mann, besser als ich, murmelte Franz, so wollte ich denken, es könnte nicht anders sein; aber ein Schelm, ein verkrüppeltes Wesen nach innen und außen – ich kann es nicht begreifen.

Verachte sie, sagte Aurel.

Nein, erwiderte Franz, es ist mehr Mitleid als Haß in mir; aber vorbei muß es sein, das weiß ich gewiß.

Armer Franz! rief der Graf; ich beklage Dich, weil ich Dein Leid zu gut kenne. Doch sei getrost, Du mußt vergessen lernen.

Willner schüttelte finster den Kopf. Ich werde arbeiten, sagte er mit Entschlossenheit; arbeiten, da wird es gehen!

Und ich, antwortete Aurel, ich will Dein Freund bleiben mit Rath und That. Ich komme zu Dir, Franz, um Dich um etwas zu bitten.

Gern, gern, erwiderte dieser; was es auch sein möge, ich will's thun.

Du hast für den Reichsrath, meinen Vetter, einen Geldschrank gemacht.

Ja, erwiderte Willner, und habe das Geld noch nicht bekommen.

In dem Schranke sind geheime Fächer, fuhr Aurel fort.

Franz nickte.

Sage mir, wie man sie öffnet, flüsterte der Graf.

Der junge Meister blickte ihn durchdringend an, Aurel erröthete. –

Man will mich täuschen, mich betrügen, mir mein Recht vorenthalten, sagte er. Es handelt sich um ein Document, Franz, auf dessen Besitz oder nur Einsicht das Glück meiner Zukunft beruht. – Ich will nichts, als mich überzeugen, daß es vorhanden ist. – Was sagst Du? Du willst nicht? Meine Ehre zum Pfande, daß ich nichts weiter beabsichtige. – Ich scheue mich, Dir Lohn anzubieten, Geld zu versprechen, aber mein Geld …

Nicht um alles, was Du mir geben und versprechen könntest, rief Franz, würde ich Dir dabei helfen. – Ich darf nicht, und auch Du – der Schrank ist sein Eigenthum, das Papier ist sein – oder wenn es nicht so ist, zwinge ihn, aber nicht so. – Wer hat es Dir gesagt? Der Secretär? – O, jetzt begreife ich seine Vertraulichkeit, eure Unterredungen – aber er ist falsch, er ist ein Heuchler, ein Schurke – sogar gegen seinen Herrn, und er wird Dich verderben, denn er haßt Dich, ich weiß es gewiß.

Aurel versuchte vergebens alle Überredungskünste, Franz war nicht zu erschüttern. –

Du wirst mir gewiß zürnen, sagte er demüthig, als er den Grafen mit finsterem Gesicht nach seinem Hute greifen sah, aber Du bist zu rechtlich und gut, um mir nicht zu vergeben. Du darfst das geheime Fach nicht öffnen; hüte Dich davor! sie haben Böses mit Dir im Sinne; und Du wirst es nimmermehr thun, denn es wäre ein Verbrechen! – Ja, ich sage es noch einmal, ein Verbrechen wäre es, das Dich herabwürdigte. Du kannst es nicht thun, Aurel, mag es kommen, wie es will. Lieber Alles ertragen, lieber Unrecht leiden, als Unrecht thun. Gottes Hand ist allmächtig. Er kann Dir morgen geben, wonach Du verlangst; streckst Du heute Deine Hand danach aus, so kann er Dich verderben, und Du mußt sagen: Mir ist recht geschehen.

Seine Worte hatten etwas Erschütterndes und Rührendes, Aurel wurde davon ergriffen.

Vielleicht sprichst Du als Prophet, sagte er, vielleicht ist es Dein Starrsinn, der mich verdirbt. Ich will nicht mit Dir rechten, jedenfalls ist Deine Weigerung entscheidend. Sie soll nichts zwischen uns ändern – lebe wohl!

Er ging hinaus, Franz that ein paar Schritte, als wollte er ihn zurück rufen, dann blieb er stehen und schlug die Augen nieder. – Ohne ein Wort zu sagen, machte er Licht und begann seine Arbeit mit doppeltem Eifer.

Nach einiger Zeit aber wurde die Thür abermals geöffnet, und dieses Mal war es eine junge Dame in Hut und Seidenmantel, welche leise hereinschlüpfte und den Meister mit ihren freundlichen Grüßen erschreckte.

Hannchen! rief er halblaut, und seine Augen blieben starr offen.

Ich bringe Dir Geld, sagte sie. Herr Winkel hat es mir gegeben. Das Geld für den Schrank, Franz, er hat es endlich von dem Grafen bekommen; und was er gut ist! er bat mich, es Dir doch heute noch zu bringen, obwohl Du es gar nicht verdienst, Du Bösewicht. Sieh her, da ist es eingewickelt. Zähle es und unterschreibe die Quittung, die dabei liegt. Aber ich bin so froh, Franz, fuhr sie fort, während sie das Päckchen aufband, so froh, daß ich Alles vergesse und vergebe; denn denke Dir, was Winkel uns ausgewirkt hat. Du sollst Hüttenmeister werden, der Graf hat es ihm fest versprochen. Morgen wird er Dich rufen lassen, damit Du Dich bedankst. Sechshundert Thaler, ein eigenes Haus, Garten, Wiese, Feuerung und allerlei und eine Tantième dazu, wie sie es nennen. – Die Gräfin ist in der Oper, ich konnte es nicht aushalten, ich mußte her zu Dir. Gott, Franz, freue Dich doch! Du brauchst nicht mehr in der schmutzigen Werkstatt zu stehen, feilen und schwitzen, brauchst nicht mehr auf dem Hofe in der Ecke zu wohnen. Es soll ein sehr hübsches Häuschen sein, ganz neu gebaut, man sieht das Gebirge aus jedem Fenster. Die Gräfin gibt uns die Aussteuer, wir kaufen hübsche Möbel hier aus den Magazinen. – Und wann soll denn die Hochzeit sein, Franz? fragte sie lächelnd und verschämt thuend, indem sie den Arm auf seine Schulter legte.

Hast Du meinen Brief erhalten, Hannchen? erwiderte er, die Augen niederschlagend.

Ach, es ist ja dummes Zeug! sagte sie lachend. Du bist eifersüchtig; es ist närrisch genug von Dir. Der alte Winkel ist ja krumm und lahm, der kann doch nicht schrecklich sein. Man läßt sich seine Späße gefallen, weil er uns wohl will; dazu ist er reich, hat keinen Menschen, der ihm angehört. Ich bitte Dich, Franz, denke doch nach und sei vernünftig. Wenn Du Hüttenmeister bist und ich die Frau Hüttenmeisterin …

So sind wir erst recht in seinen Händen! murmelte Franz.

So ist er den größten Theil des Jahres weit von uns, kommt nur ab und zu zum Besuch, das läßt sich aushalten. Und wie lange kann er denn noch leben? Er hustet ja schrecklich – wer weiß, was geschieht, und wir sind die Erben!

Der junge Mann wurde erregt, seine Augen glänzten. –

Siehst Du wohl, sagte Hannchen, man muß an sich und an die Zukunft denken, nicht mit dem Kopf an alle Ecken rennen. Jetzt ist Winkel unser Freund, mit Freunden muß man Nachsicht haben, muß ihnen auch zu Gefallen leben. Wenn der Geheimerath morgen schickt, hast Du nichts zu sagen als Ja. Winkel hat Alles abgemacht. Aber einen Gefallen sollst Du ihm thun, das hat er mir aufgetragen. – Es ist von wegen des Schrankes: Du sollst ihm sagen, wo das geheime Fach ist, und wie es geöffnet wird.

Nichts da! rief der Meister heftig; ich will nicht!

Er will es bloß wissen, um dem Grafen zu zeigen, daß er es auch kennt. Lieber Franz, sage es mir, bat sie schmeichelnd, indem sie sich dicht vor ihn hin stellte und ihm in die Augen blickte. Wenn Du mir gut bist, mußt Du es sagen.

Höre an, Hannchen, erwiderte Willner, und alle Röthe verschwand aus seinem Gesichte; ich weiß nicht, was mit dem Schrank und dem Fache los ist, aber was Gutes kann es nicht sein. Graf Aurel ist hier gewesen, Winkel hatte ihn abgeschickt, und ich habe es nicht gesagt. Nun kommst Du, aber ich sage es Dir eben so wenig.

Eben so wenig?! rief Hannchen, zwischen Bitte und Heftigkeit schwankend. Lieber, guter Franz, Du mußt es mir sagen Ich weine mich todt.

Sagen will ich Dir, was ich muß, fuhr Willner fort. Hier ist meine Werkstatt, und ich bin der Meister darin und will es bleiben. Will weder mit dem Grafen mehr etwas zu schaffen haben, noch mit seinem Secretär. Mag er zum Hüttenmeister machen, wer Lust dazu hat. Ich will nicht!

Du willst nicht? schrie Hannchen auf. Du hast den Verstand verloren!

Ich habe ihn wieder bekommen, sagte Franz Ich will nicht, und weil Du nicht willst, wie ich will, Hannchen – weil Du die Werkstatt verachtest und in der Hofecke nicht wohnen willst – weil der Putz Dir lieber ist als ein ehrlicher Mann – weil meine Arbeiterhand Dir zu hart ist und mein Hemd zu schwarz – weil Du Plane machst mit dem Winkel und seiner Freundschaft und seiner Erbschaft und weil – ja, weil wir in keinem Stück zusammen passen und niemals nicht zusammen passen werden, darum, Hannchen, muß es so sein – ja, muß es so sein und bleiben, wie es in meinem Briefe steht, und hier ist die Quittung!

Hannchen stand wie versteinert; sie hatte alle ihre quecksilbrige Beweglichkeit und die flüssige Zunge verloren. Ihre Lippen zitterten, ihre Stirn war gelb geworden. –

Ist es Dein Ernst, Franz? fragte sie.

Willner seufzte leise, aber er richtete rasch den Kopf auf und sprach mit fester Stimme:

Es muß so sein, Hannchen, um Dich sowohl wie um mich. Ich bin zu einfach für Dich, Du willst zu hoch hinaus und kannst nicht anders. Nimm einen Mann, der besser paßt, und Gott mache Dich glücklich. Wenn aber Unglück über Dich kommt, dann wird Franz Willner Dir beistehen, so viel er vermag; denn Dein Freund wird er bleiben, so lange er die Augen offen hat.

Die Augen offen hat! rief Hannchen bitter lachend – die Augen offen hat! ja, daran liegt es eben Du hast sie nicht offen! – Ach, was bin ich für eine Thörin gewesen! rief sie, die Hände über ihr Gesicht deckend; aber es geschieht mir recht. – Wir passen nicht zusammen, das ist wahr; nein, wir passen nicht zusammen. – Auf Nimmerwiedersehen also. Leben Sie wohl, Herr Willner – Bemühen Sie sich nicht, ich finde meinen Weg allein. O ja, ich finde ihn.

Franz stand mit dem Lichte in der Hand, seine Füße zitterten. Er ging langsam zur Thür, Hannchen war schon die Treppe hinauf. Schweigend kehrte er um, steckte das Licht auf das Eisengestell, und wieder begann er zu arbeiten – lange, lange Zeit eintönig und eifrig, bis er die Uhr schlagen hörte– Plötzlich warf er die Feile fort, und die Hände geballt an seine Brust drückend, rief er hastig und dumpf vor sich hin: Ich kann nicht mehr, es geht nicht mehr!

Ich muß fort, hinaus, ich weiß nicht wohin – aber ich kann es nicht länger bei mir aushalten!


13.

Als Hannchen nicht weit von dem Hotel des Grafen um die Ecke bog, sah sie einen Herrn in weitem blauem Mantel langsam an der Gasflamme hingehen, und sie erkannte sogleich den Geheimerath, dessen scharfem Blicke sie ebenfalls nicht entgangen war. Er rief sie an, indem er ihr näher trat, und kein geringes Erstaunen bemächtigte sich ihrer, als er dürr und bestimmt fragte, ob sie von Willner komme und was er gesagt habe. –

Du hast ja rothe Augen, Mädchen, fuhr er fort, als sie stockte, hast geweint! Ich will wetten, der hartnäckige Bursche ist grob geworden und hat Dir jede Auskunft verweigert.

Ach, so ist es, gnädigster Herr, es ist nur zu wahr! erwiderte Hannchen. Ach, Excellenz, was ich unglücklich bin! Er hat mich abscheulich behandelt.

Der Reichsrath ließ sich Alles erzählen, dann tröstete er sie. –

Er wird Dich schon wieder lieben, sagte er endlich, ich übernehme die Vermittlung. Hüttenmeister soll er werden, und daß er weder dem Winkel, noch dem Grafen Aurel, noch endlich Dir etwas vertraut hat, macht, daß ich ihn noch höher schätze.

Hannchen war beruhigter.

O, gnädigster Herr, sagte sie, Sie sind so gütig und gerecht, aber es bleibt doch jedenfalls schlecht von ihm, daß er mir es nicht sagte und in seiner Eifersucht mir die Thür wies.

Das soll er Dir abbitten, fiel der Graf ein; was aber den Winkel betrifft, so hat er nicht ganz Unrecht, ihm nicht zu trauen. Ich traue ihm auch nicht, und wenn ich Dir rathen soll, mache es, wie wir Beiden. – Du bist ein pfiffiges Mädchen, Hannchen, ich will Dir einen Auftrag geben. Was ich Dir sage, bleibt jedoch ganz unter uns, kein Mensch darf ein Wort davon erfahren. Wenn Du verschwiegen und treu bist, will ich Dich besser belohnen, als Winkel es jemals thun könnte.

Ach, Excellenz, lispelte Hannchen lächelnd, Kammerjungfern sind zum Schweigen geboren. Sie müssen taub und stumm sein, wenn sie ihr Fortkommen haben wollen. Was Sie mir befehlen, will ich mit Freuden ausführen und eben so schnell vergessen.

Der Graf war inzwischen mit ihr von der hellen Straße abwärts in ein schmales Gäßchen getreten, das zu Stallgebäuden und Gärten führte, und nach einer Anzahl Minuten schlüpfte Hannchen allein daraus hervor, zog die Klingel am Hotel ihres Herrn und eilte an dem Thürsteher vorüber, der verdrießlich aus seinem Fenster sah.

Das große Haus war ungewöhnlich still, nirgends Licht in den Zimmern, die Vorhänge niedergelassen, kein Mensch zu sehen. Nur oben, wo der Secretär haus'te, war es hell, und im anderen Flügel glänzte ein matter Schein aus dem Vorgemache der Gräfin. Hannchen ging über den Hof fort und leise die Treppe hinauf, die zu dem Corridor führte, in welchem der Secretär wohnte.

Als sie die Thür öffnete, saß Winkel an seinem Schreibpulte vor einem Rechenbuch, das seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm; aber sein feines Ohr hatte längst ihre Nähe wahrgenommen. Er hielt den Mittelfinger seiner linken Hand auf eine Zahl im Buche, mit der Rechten nahm er den grünen Schirm ab, den er sich aufgesetzt hatte; den Kopf wandte er der Thür zu und nickte Hannchen wohlgefällig entgegen. –

Da bist Du ja endlich, Kind, sagte er, und ganz außer Athem, ganz erhitzt. Mein allerliebstes Engelchen, ich habe Dich mit Sehnsucht erwartet. Setze Dich hier her, Hannchen. – Was machst Du denn für ein Gesichtchen? Ich will nicht hoffen, daß der Franz Dich geärgert hat? daß er es mit Dir gemacht hat, wie mit seinem erhabenen Freunde, dem Grafen Aurel?

Ist der Graf hier gewesen? fragte Hannchen.

Eben ist er fortgegangen, sagte Winkel, die Hände reibend und mit großem Ergötzen, keine zehn Minuten ist er fort. Ganz blaß, ganz niedergeschlagen, sehr moralisch gesinnt, aber sehr schwermüthig. Es ist eine einzige Geschichte, Hannchen, eine gottvolle Geschichte. Haha! Es kommt Alles darauf an, wie man sie betrachtet, so ist sie zum Lachen oder zum Weinen eingerichtet; aber große Herren sind wie ganz gewöhnliche Menschen, wo es sich um Mein und Dein handelt, und es macht Vergnügen, zu sehen, wie gut sie es mit einander meinen, wie sie sich lieben, wie sie sich helfen, was sie für einander thun wollen, haha!

Ein unermeßlicher Hohn füllte Winkel's spitzes Gesicht, dann fuhr er, die Schultern hin und her ziehend, fort:

Aber die Sache ist ernsthaft, und alle unsere prächtigen Entwürfe gehen zu Grunde, wenn Willner nicht gebeichtet hat.

Es wird nichts zu Grunde gehen, sagte Hannchen stolz.

Aha, aha! lachte der Secretär, aufspringend, hat der Vogel gepfiffen? hast ihm die Zunge gelöst, kleine Hexe! Erzähle, erzähle!

Herr Winkel, rief Hannchen, sich aus seinen Händen losmachend, Sie erlauben sich wirklich eigenthümliche Freiheiten!

Wo? Wie? sagte Winkel, seine Nase hoch in die Luft haltend. – Wir sind ja unter uns, Hannchen, und wenn Du wüßtest, was ich alles für Dich thun will, wie ich mein Testament eingerichtet habe, wie ich hier, eben noch ehe Du kamst, in mein Buch sah, mein Geld zusammen zählte und dachte: das alles gehört meinem lieben, einzigen Hannchen … – Rede also, mein Kind, wie wird das Fach aufgemacht?

Das, sagte Hannchen mit Würde, kann ich Ihnen nicht sagen.

Oho! rief der Secretär. Wie so? Was kannst Du mir denn sagen?

Er streckte seinen langen Arm nach ihr aus und lächelte sie zärtlich an.

Was ich Ihnen meinerseits zu sagen habe, Herr Winkel, erwiderte sie, ist, daß ich kein Kind und kein Engel bin, sondern Johanne Rosenbaum heiße.

Ein höchst niedlicher, schlanker Rosenbaum, Fräulein Hannchen, grins'te Winkel, ein höchst appetitlicher Rosenbaum, haha! aber keine Rose ohne Dornen.

Was ich Ihnen von Sr. Excellenz zu sagen habe, fuhr Hannchen fort, ist, daß Sie genau thun sollen, was er Ihnen befohlen hat.

Se. Excellenz, sagte Winkel, seine scharfen Augen aufhebend, aha! das ist es also. Se. Excellenz hat Sie hergeschickt? – Und was hat Se. Excellenz Ihnen weiter aufgetragen, liebes Hannchen? – Ist das Ihre ewige Dankbarkeit gegen einen treuen Freund, der es so gut meint, der Alles thut, um Ihnen gefällig zu sein, der den Franz zum Hüttenmeister macht und väterlich sorgt?

Bitte recht sehr, Herr Winkel, bemühen Sie sich nicht mit der Väterlichkeit! rief Hannchen mit einem höhnischen Knix; und was den Hüttenmeister anbelangt, so erlauben Sie, daß ich selbst dafür sorge. Wenn ich Ihnen einen guten Rath geben darf, so ist es der: seien Sie ja pünktlich in dem, was Se. Excellenz befohlen hat; denn wie ich glaube, haben Sie den gnädigen Herrn sehr aufgebracht. Im Übrigen thun Sie, was Sie wollen, ich wiederhole Ihnen nur, daß Se. Excellenz die größte Pünktlichkeit fordert.

Ohne ein Wort weiter zu sagen, verließ sie das Zimmer, während Winkel sein unterthäniges Lächeln fortsetzte, das er mit wehmüthigen Zuckungen seiner Schultern und bittenden Blicken begleitete. – Nach und nach aber, als Hannchen längst hinaus war, veränderte sich sein Gesicht, bis es mumienhaft fest und kalt aussah. –

Das dumme Mädchen! sagte er, seine dünnen Lippen ein wenig öffnend; sie bildet sich ein, mich nicht mehr zu brauchen, ihr Glück mit dem Tölpel auf eigene Hand zu machen! – Es ist keine Ehrlichkeit in dergleichen Leuten. Das Ei will klüger sein als die Henne, fuhr er kopfschüttelnd fort, aber ich will ihr bald zeigen, daß Se. Excellenz mich nöthig hat und nicht so leicht von sich abthun kann, wie er vielleicht selbst glaubt. Eben dieser Tag soll ihn ganz in meine Hand bringen.

Er hörte nach dem Hofe hinaus, die Uhr schlug eben Neun. Bei jedem Schlage nickte er sanft, dann zündete er einen kleinen Wachsstock an, nahm ein Schlüsselbund von dem Haken an seinem Pult und ging vorsichtig hinaus.

 

Hannchen war inzwischen längst in weiterer Verfolgung ihrer Aufträge begriffen. Lauschend und überlegend stand sie vor der großen Thür des Salons still, den Graf Aurel bewohnte; denn sie hörte gedämpfte Stimmen darin sprechen. Dann beugte sie sich zu dem Schlüsselloche nieder, und an der anderen Seite des Saales erblickte sie den Kamin, und vor demselben saß eine Dame, die sie nicht erkennen konnte, und vor dieser Dame kniete ein Mann, den sie an der Stimme als den jungen Grafen erkannte. Neben ihm kniete eine zweite Gestalt, und beide hielten sich umschlungen, während die Hände der Sitzenden auf ihren Häuptern ruhten.

Der Anblick war so anziehend für Fräulein Hannchen, daß sie mehrere Minuten lang bewegungslos darauf hinsah; aber ihr Erstaunen und ihre Neugier steigerte sich noch mehr, als das knieende Paar aufstand, Graf Aurel die Dame küßte und seine volle, tiefe Stimme vernehmbar sagte:

Große Schmerzen läutern die Seele und machen sie fähig, zu tragen, was das Schicksal ihr auferlegt; große Freude macht mit ihrer Seligkeit uns mild und zur Vergebung geneigt – Dein gütiges, edles Herz weiß nichts von Haß und Rache, aber nicht umsonst hast Du mich ermahnt, dem Manne zu verzeihen, der mich so bitter gekränkt, so schwer gereizt, so grausam verfolgt hat. – Ich vergebe ihm von ganzem Herzen um diese hier, die mir alles ersetzen will, was er mir gethan, die ich liebe, die mich liebt; aber was mein Recht ist, soll mein Recht bleiben! Der Sünde soll man nicht den Sieg lassen, sondern mit ihr darum streiten; vor dem Laster soll man nicht feige fliehen, sondern es bekämpfen. Nein, theuerste Tante, ich habe gelobt, nicht nachzulassen, bis die Wahrheit an den Tag kommt, und was ich zu ihrer Erforschung thun kann, will ich versuchen.

Ach, mein Kind, erwiderte die Dame, und Fräulein Hannchen war nicht mehr in Zweifel, daß es die Präsidentin sei, laß ihm seinen ungerechten Mammon, laß ihm seine Sünden, über die ein höherer Richter einst das Urtheil fällen wird. Welches Ärgerniß vor aller Welt wäre ein solcher Proceß! – Zeugniß sollen wir ablegen zu Gottes Ehre ohne Menschenfurcht, aber wir sollen nicht herauf beschwören, was uns Noth und Trübsal macht. – Es gilt nicht die Ehre dieses verblendeten Mannes allein, es gilt die Ehre unserer ganzen Familie, und so demüthig ich vor Gott bin, so bitte ich doch von ganzem Herzen, er möge mich davor bewahren, solche Schande in der Menschen Mund zu bringen. – Du bist nicht lüstern nach Gold und Schätzen, Du willst friedlich wohnen und genügsam glücklich sein. Das alles ist Dir verbürgt, mein Kind. Alles, was ich habe, soll Dein sein, mein Testament will ich aufheben. – Schüttle den Kopf nicht dazu, Aurel, fuhr sie fort, als sie keine Antwort erhielt; sage Du es ihm, geliebte Tochter, sage es ihm, daß er seinen Zorn dem Herrn überlassen muß, der da wachet Tag und Nacht über die, die seine Kinder sind, und wenn die Stunde der Vergeltung kommt, das Schwert in seine Hand nimmt.

Höre diese mütterliche Bitte, geliebter Aurel, sagte die zweite Dame. Laß den Ungerechten ihren Triumph; wir behalten, was sie uns nicht nehmen können, unser friedenvolles Glück, ungetrübt von ihren Ränken.

Um des Himmels willen! flüsterte Hannchen, es ist Fräulein Beate. Es ist das Gesellschafts-Fräulein!

Well – yes – well! sagte eine harte Stimme hinter ihr, und eine Hand legte sich fest auf ihre Schulter – and who are you?

Die Jungfer stieß einen jähen Schrei aus, denn Sir Eduard, der aus der angelehnten Thür seines Zimmers getreten war und große Filzschuhe über seine Stiefel gezogen hatte, hielt sie so fest, daß sie nicht aufstehen konnte. Die Überraschung wirkte dabei so stark, daß sie im ersten Augenblicke, obwohl eine Lampe oben an der Treppe brannte, deren schwacher Schein bis zur Thür reichte, weder an den englischen Herrn dachte, noch ihn erkannte. Sie sah nur eine unermeßlich hohe Gestalt in einen weißgrauen arabischen Burnus gewickelt und hörte seine rauhen, unbekannten Töne, die ihr wie die Sprache des Fürsten der Finsterniß ins Ohr drangen.

Noch ehe sie aber den Schreck zu überwinden vermochte, wurde die Thür rasch geöffnet, und Graf Aurel, ein Licht in der Hand, stand vor ihr.

O, gnädigster Herr Graf, schrie Hannchen, schamroth und zitternd, ich bin unschuldig, ganz unschuldig!

Wie! erwiderte Aurel erstaunt. Was wollen Sie hier?

Ich wagte es nicht, anzuklopfen, da ich mehrere Stimmen hörte, sagte die Jungfer gefaßter, und wünschte Sie doch so gern zu sprechen.

Mich sprechen? fragte der junge Mann. Wer schickt Sie zu mir? – Franz?

Der eigentlich nicht, antwortete Hannchen mit niedergeschlagenen Augen, aber – ach ja – seinetwegen eben komme ich. – Er hat mich so übel behandelt, hat mir die bittersten Vorwürfe gemacht, die ich gar nicht verdiene. – Seit Jahr und Tag kennen wir uns …

Sie hielt sich die Hände vor die Augen.

Und ich soll Friedensstifter zwischen euch sein? sagte der Graf lächelnd. Ich glaube, daß Franz doch einige Ursache zu seinen Vorwürfen hat

Er ist zu mißtrauisch, fuhr Hannchen klagend fort. Ach, gnädigster Herr, ich weiß nicht, wer Macht über ihn hat, aber er hat mir selbst erzählt, daß auch Sie ihn voller Ärger verlassen haben, weil er es Ihnen abgeschlagen hat, zu sagen, wie das geheime Fach in dem Geldschrank geöffnet wird, als ob es ein Staatsgeheimniß wäre.

Verlegen und hastig hob Graf Aurel seine Hand auf und legte sie auf Hannchens Arm. –

Still! sagte er, ich werde morgen zu Franz gehen.

Wie das Fach geöffnet werden kann, weiß ich ganz genau, fuhr Hannchen fort. Ich habe es oft gesehen, als Franz am Schrank arbeitete, und es selbst geöffnet.

Das haben Sie? Das können Sie? rief der junge Mann.

Es ist ganz leicht, fiel Hannchen ein. In der Ecke rechts ist eine Fuge, gerade zwischen zwei Knöpfen, die man zusammenschieben muß, so öffnet sich die Feder, und das Fach springt auf.

Ohne etwas zu erwidern, ergriff Aurel die Hand seiner Verbündeten und führte sie in das Zimmer.

Es ist Gottes Werk, er schickt uns einen Boten, sagte er erregt und feierlich. – Nein, ich soll keinen Kampf um mein Recht beginnen, dessen Ausgang langwierig und zweifelhaft sein würde, und dessen Verlauf den Menschen ein Schauspiel wäre. – Was ich vergebens zu erreichen strebte, bietet mir jetzt eine höhere Macht, deren Einmischung man nicht Zufall nennen kann. – Dieses einfache Mädchen entdeckt mir das Behältniß, wo die Urkunde liegt. Theuerste Tante, Rodney, Beate, in Gottes Namen! laßt uns alle gehen. Da schlägt es Neun! Um neun Uhr wollte Winkel mich erwarten, wenn ich bis dahin im Besitz des Geheimnisses wäre. Ich bin in dessen Besitz. Zögert nicht, laßt uns eilen. Wir wollen nichts als uns überzeugen. Ich zweifle nicht daran, daß Alles wahr ist, daß wir die Urkunde finden.

Die Aufregung des Grafen war so groß, daß er Beatens und Rodney's Hände ergriff und sie zur Thür drängte; aber Sir Eduard war nicht so leicht zu bewältigen. –

Seien Sie ruhig, Freund, sagte er, und lassen Sie uns überlegen. Vor allen Dingen versichern wir uns des Mädchens da, die so schlau und scheu wie eine Katze aussieht und der ich auf keinen Fall trauen würde. Sie ist im Dienste des Grafen, die vertraute Dienerin der Gräfin. Ich möchte wetten, daß sie sich gern fortmachen möchte, was nicht geschehen darf.

Rodney sprach sehr gelassen und ging dabei nach der Thür, in der er den Schlüssel umdrehte; obwohl aber Hannchen nichts von dem verstand, was er sagte, so zitterte ihr ganzer Körper vor Entsetzen; denn nicht allein, daß sie annehmen mußte, es sei von ihr die Rede, der Engländer zog aus der Tasche seines Burnus ein blitzendes Messer, mit dem er zwar vorläufig nur seine Nägel zu schneiden begann, das aber eine andere, weit gräßlichere Bestimmung haben konnte.

Ihre Kniee wankten unter ihr, als die Präsidentin am Kamin ihr gebot, näher zu treten, und Rodney einen Blick auf sie warf, der eiskalt ihr ins Herz drang.

Mein liebes Kind, sagte die alte Dame, sagen Sie aufrichtig, was Sie von dieser Angelegenheit wissen.

Ich weiß gar nichts, als was ich gesagt habe, erwiderte Hannchen.

Und rein aus Ihres Herzens Antrieb sind Sie hierher gekommen? fuhr die Präsidentin fort.

Bei dieser verfänglichen Frage senkte die Sünderin den Kopf, und einige Augenblicke lang rang sie mit dem Vorsatz, ein Geständniß abzulegen; aber Schaam und Hoffnung stemmten sich ihm entgegen. Der Geheimerath hatte ihr seine Huld und eine reiche Belohnung versprochen, er war mächtiger als alle diese hier. – Hannchen hob daher den Kopf wieder auf und sagte mit leise schwankender Stimme:

Warum ich kam, habe ich dem gnädigen Herrn Grafen mitgetheilt, was ich dabei äußerte, gab mir meine Dankbarkeit ein. Weiter weiß ich nichts. – Es muß beinahe zehn Uhr sein. Die Frau Gräfin wird aus der Oper zurückkehren – erlauben Sie, daß ich mich entferne.

In wenigen Minuten sollen Sie gehen, sagte Aurel, zu dem Sir Eduard heimlich geflüstert hatte, und meine Dankbarkeit wird nie aufhören; aber erst begleiten Sie uns. Sie haben mir erklärt, wie das geheime Fach zu öffnen sei, Sie müssen es selbst öffnen. Es handelt sich um eine gute Sache; ich verspreche Ihnen dafür jeden Schutz, nehme Alles auf mich und will mich für Ihre Zukunft verbürgen. Liebe Tante, der Augenblick ist da. Ihre ehrwürdige Gegenwart bürgt vor jeder falschen Deutung meines Schrittes.

Der Graf sprach in einem so entschiedenen Tone, daß jede Einwendung davor erstarb; zugleich nahm Rodney den Doppelleuchter und stellte sich neben die erschrockene Jungfer, der er schweigend einen so eindringlichen Wink gab, daß sie mechanisch folgsam sich in Bewegung setzte. – Aurel führte die beiden Damen, und alle stiegen die Treppe hinauf in das obere Stockwerk, von wo aus sie durch die Reihe leerstehender Gemächer und durch den anstoßenden Corridor in die Wohnung des Secretärs und zu dem gegenüber liegenden Geschäfts- und Cassenzimmer seines Herrn gelangen konnten.

In diesem großen, von Repositorien umgebenen Raume befand sich seit einiger Zeit Herr Winkel mit dem Wachsstocke in der Hand, leise hin und her wandelnd und den großen grün behangenen Tisch, dessen Umgebungen und die darauf liegenden Papiere untersuchend. Die schwache Flamme des Wachslichtes flackerte dürftig über das düstere Gewölbe, dessen Fenster dicht mit Wettervorhängen bedeckt waren. In allen Ecken war es dunkel, nur über den Tisch reichte der Lichtschein, und alle Augenblicke hob der Secretär seinen Kopf auf, horchte gegen die Wände und Thüren hin und betrachtete dann den massiven, eisernen Schrank, der dem Tische gerade gegenüber an der inneren Wandseite stand.

Es ist doch curios, murmelte er endlich vor sich hin. Er hat mir gesagt, die Schlüssel werde ich bereit finden, wenn ich um neun Uhr hier sein würde, aber sie sind nicht zu sehen. – Er traut mir nicht, flüsterte er leise lachend, er hat sich lieber der Gans anvertraut, als dem alten Fuchs – haha! der alte Fuchs wird aber sein Loch schon finden. – Wenn der ritterliche Herr Graf kommt und die Schlüssel fehlen, so ist Alles aus, und ich weiß nicht, fügte er nachdenklich hinzu, indem er den Finger an seine Nase legte, ob es mir nicht lieb sein sollte. – Was will er eigentlich? Den Majoratserben fangen, ihn als Einbrecher und Dieb behandeln? – Ein schöner Plan, und ich – ich habe ihn ausgeheckt, habe die Zeichnung dazu gemacht, die Fingerzeige gegeben. Was habe ich jetzt davon? himmelschreienden Undank! Er hat mich bei Seite geschoben, behandelt mich als Werkzeug und – Winkel, nimm Dich in Acht! Er hat allerlei Geheimnisse, die nichts Gutes bedeuten, möchte wohl zwei Fliegen mit Einer Klappe schlagen? hehe! – o ja! – hehe!

Das spitze Gesicht füllte sich mit Hohn, plötzlich aber blies Herr Winkel den Wachsstock aus und verschwand mit größerer Behendigkeit unter der niederhangenden Decke des grünen Tisches, als seinem steifen Körper und seinem Alter zuzutrauen war.

Fast zugleich mit diesem eiligen Rückzuge öffnete sich die Thür, welche zu den herrschaftlichen Gemächern führte, und ließ den Reichsrath eintreten. Er trug ein Licht in der Hand, sein blauer Mantel hing noch auf seinen Schultern, als habe er keine Zeit gehabt, ihn abzuwerfen. Er leuchtete über das Zimmer hin, indem er das Licht hoch hielt, und sagte dann:

Er ist noch nicht hier der Schuft; das ist gut, ich muß eilen. –

Mit einigen raschen Schritten trat er an den Schrank und öffnete mit einem winzig kleinen Schlüssel das ungeheure Schloß. Die beiden Eisenstangen schoben sich zurück, ein zweiter Schlüssel bewegte die innere Thür, und die ganze Spinde stand offen.

Der Secretär unter dem Tische hob leise den Vorhang auf und heftete seine scharfen Augen begierig auf seinen Herrn. Dieser stand mit dem Rücken gegen ihn gekehrt, und während er in der linken Hand das Licht hielt, suchte seine rechte an der Wand des Schrankes umher, bis plötzlich mit einem hörbaren Federschlag eine der polirten Stahlleisten zurückgestoßen wurde und das geheime Fach aufsprang.

Gierig verfolgte Winkel jede Bewegung, aber der Körper des Grafen verdeckte vieles, was er that. Der Secretär hörte mehr, als er sah. Er hörte Papiere rauschen, dann gemurmelte Worte, die endlich halb verständlich wurden und sich in Geflüster verloren.

Der Reichsrath hatte einen großen Bogen entfaltet und las die Anfangsworte des darin Geschriebenen.

Das ist es, sagte er, ich will es oben auf legen, um es auf der Stelle zu finden. – Nach einigen Minuten schlug er das Fach zu, aber er ließ beide Schlüssel im Schranke stecken und stand vor diesem still, so zur Seite gewandt, daß Winkel durch eine kleine Öffnung des Vorhanges sein Gesicht sehen konnte.

Es ist Alles bereit, sagte Graf Derschau, ich denke, das Mädchen wird ihre Sache gemacht haben. – Still! was war das? –

Er horchte und schickte sich zum Gehen an. –

Es ist nichts, führ er fort. Der Judas wird in seinem Lederstuhl sitzen und lauern, bis er gerufen wird. Wart! dein Lohn soll nicht ausbleiben, aber er – er! – Bah! er gräbt sich selbst seine Grube was geht es mich an! Er wird kommen, das Zeichen wird gegeben werden, wir werden ihn finden. – Unerträglicher Gedanke, fuhr er langsam fort, mit diesem Bettler zu theilen; zu dulden, daß er von meinem Gelde schwelgt, und endlich ihm Alles zu lassen. – Ich will nicht! – Nein! – Ich will ihn vernichten und dann … es wird ein Erbe zu schaffen sein, der mir besser gefällt.

Winkel hörte die Thür schließen, langsam kroch er aus seinem Verstecke hervor und stand einige Augenblicke im Finstern, bis er vorsichtig auf dem Tische nach dem Schreibzeuge suchte, in welchem gewöhnlich Zündhölzer lagen. –

Er will ihn vernichten, flüsterte er – erst ihn, dann den Judas im Lederstuhle. Steht es so mit uns, Excellenz? – Der alte Winkel soll an die Luft gesetzt werden? Haha! – Aber wir wollen doch sehen, Excellenz, wir wollen doch sehen. – Wenn dieses verdammte Zündholz nur erst brennen wollte, daß ich Licht bekäme! Ich habe gesehen, daß seine rechte Hand nach rechts faßte, dort muß die Stelle sein, wo gedrückt werden muß, um den Kasten zu öffnen. – Wenn ich das Document finde, es nehme, es dem gnädigen Herrn Grafen Aurel bringe, wenn dieser sich gar nicht hieher zu bemühen braucht, was werden Sie dann sagen, Excellenz, was werden Sie dann sagen? – Ein Zeichen geben? Welch Zeichen denn? Ich werde kein Zeichen geben, Excellenz; Sie werden umsonst Dero Ohren anstrengen. – Jetzt, Winkel, heißt es ehrlich handeln, ehrlich und klug zu gleicher Zeit. – Der undankbare, selbstsüchtige, alte Geizhals! Der junge großmüthige Erbe wird mich ganz anders belohnen. Es ist gar keine Frage mehr, was du zu thun hast, Winkel. Heraus mit Deinem Schatze, Du eiserner Narr! Semsi, thu Dich auf! ich weiß, wo Du aus den Angeln gehst. –

Er hatte inzwischen den Wachsstock angezündet und öffnete mit triumphirender Hast die schweren Eisenthüren, die sich so leicht bewegten, als seien sie von Pappe oder Kork. – Sein gieriger Blick blieb eine kurze Zeit auf verschiedenen Haufen und Packen Cassenscheine und Staatspiere, auf aufgestapelten Geldrollen und einem geöffneten Kasten ruhen, der ganz mit Goldstücken gefüllt war. Seine lange knochige Hand streckte sich aus und wühlte mit wonniger Lust in dem Golde, das zwischen seinen Fingern klingend sich bewegte; dann zog er diese Hand zögernd zurück, als würde es ihm schwer, sich davon zu trennen, und zwischen den Zähnen murmelte er:

Das Document will ich ihm schaffen, aber Gold soll er mir geben. Gold soll er mir mit seinem Eide zuschwören, so viel, daß ich darin untertauchen kann.

Er leuchtete in die Ecke des Schrankes und suchte aufmerksam nach einem Kennzeichen der Feder, die das Fach öffnete. Eine Reihe kleiner gelber Metallknöpfe lief dort hinauf, diente als Zierrath und hielt zugleich die Platten zusammen. Winkel betastete jeden, drückte und schob daran und fand zu seiner Freude, daß erst einer, dann zwei ein wenig nachgaben. – Seine Augen funkelten; er entdeckte den feinen Schnitt, in welchen die beiden Stifte nach oben und unten gegen einander gezogen werden konnten. Er versuchte es einzeln ohne Erfolg, plötzlich aber rief er lebhaft:

Ich hab's! ich hab's! sie müssen zusammengedrückt werden. – So! jetzt! – Da rasselt die Feder, ha! – Die Leiste drehte sich, und das Fach sprang auf, aber in demselben Augenblicke gab es einen Blitz – einen heftigen Knall, und mit einem furchtbaren Schrei taumelte der Secretär zurück und stürzte zu Boden. Im Fallen ergriff er den Kasten mit dem Golde, riß ihn heraus und warf ihn über sich. Die Goldstücke klirrten und rollten auf dem Boden umher, der Rest fiel mit dem Kasten auf seinen Leib und bedeckte seine Brust, als er besinnungslos nieder sank.

Was geht hier vor! rief der Reichsrath, welcher rasch die Thür aufstieß und von dem Ober-Kammerherrn und zwei anderen seiner Freunde begleitet herein trat. Die Gräfin folgte, geführt von ihrem Cousin, dem Gesandten, der auf der Schwelle stehen blieb und sein Glas ans Auge hielt. Die Gräfin war mit Blumen und Diamanten geschmückt, sie kam so eben aus der Oper. Eine Wolke Pulverdampf wälzte sich ihr entgegen; sie hielt sich krampfhaft an ihren Begleiter fest, indem sie entsetzt aufschrie.

Der Unselige! sagte der Reichsrath, auf die blutige, regungslose Gestalt leuchtend, er ist todt. Welche verbrecherische, verworfene Absicht trieb ihn her? Er hat das Fach geöffnet, das mit einem Selbstschuß versehen war.

Wer hat es geöffnet? wer ist's? fragte der Ober-Kammerherr.

Aurel! erwiderte der Reichsrath, gegen seine Begleiter gewandt. Alle meine Liebe hat nichts gefruchtet, mein Vertrauen belohnt er durch Verbrechen.

Schafft Hülfe herbei! He, da! Schafft Hülfe!

Die große Eingangsthür that sich auf, und mit Sir Eduard zugleich zeigte sich Aurel, hinter ihnen die Präsidentin und in ihrer Begleitung endlich Franz Willner, der athemlos neben Hannchen stand.

Wer? schrie der Reichsrath, gespensterbleich mit gesträubtem Haar, sich an den Tisch haltend, wer ist es?

Franz kniete nieder und sprang schaudernd zurück.

Der Secretär! rief er, Herr Winkel! Allmächtiger Gott! Es sind seine Kleider, ich erkenne seine Züge. Er athmet noch, er bewegt die Hände! –

Er faßte den Körper mit aller Kraft, setzte ihn in den großen Lehnstuhl des Grafen und schrie Hannchen zu, Hülfe zu holen.

Sieh hin, sagte Aurel, aufs heftigste erschüttert, indem er seine Hand um seines Verwandten Arm legte, das ist Dein Werk. Wo er liegt, sollte ich liegen. Mir war dieses Ende zugedacht.

Was wagst Du in Deinem Wahnsinne, mich zu beschuldigen? murmelte Derschau. Du hast ihn verlockt, hast ihn dahin gebracht, mich zu betrügen, sich dieses Ende zu bereiten.

Still, erwiderte Aurel, Du lügst vergebens. Hier sind zu viele Zeugen Deiner Sünden. Frage dieses Mädchen, die vor einer Minute erst die Wahrheit bekannte, von Willner dazu getrieben.

Ich hoffe, daß dies Niemand glauben wird, sagte der Reichsrath, nach seinem Kopfe fassend. Ist das ein Zeuge? ein Zeuge gegen mich?!

Wenn es nicht genug ist an diesem Zeugniß, sprach Sir Eduard plötzlich in gutem Deutsch, so will ich das meinige dazu legen. Ich bin zugegen gewesen, heute am Tage, als Sie Ihrer Gemahlin Rache versprachen und Winke fallen ließen, die jeder Richter als Beweise erkennen muß, daß dieser Mord Ihre Absicht war.

Er redet! Die Todten stehen auf! Wo ist der Mörder? wo? schrie Derschau mit funkelnden Augen, und wie von Geistesverwirrung ergriffen, ballte er unter wüthenden Geberden seine Hände.

In diesem Augenblicke richtete sich die blutige Gestalt im Lehnstuhle empor, und mit dem ausgestreckten Finger auf den Reichsrath deutend, sprach er das einzige Wort: Mörder! mit schrecklicher Deutlichkeit aus und sank dann mit einem tiefen Seufzer zurück!

Er auch – er auch?! sagte der Reichsrath zurückweichend. Wer noch? wer noch? – Laß uns gehen, Leonor!

Und dies ist die Urkunde! rief Aurel, und er schlug ein Papier auf, das Sir Eduard vom Boden aufgenommen hatte. Hier ist das Document! – In Deine Hände lege ich es nieder, theure Tante, als Beweis meines Rechtes, das ich behaupten und vertheidigen will.

Hülfe! Hülfe! schrie die Gräfin; er stirbt in meinen Armen! – Derschau lag schwer und steif auf ihrer Schulter, beide Arme um ihren Nacken geschlungen. – Ein Arzt und mehrere Diener drangen herein; zitternd und bestürzt, wußte Niemand, was zuerst geschehen sollte.

Das Zimmer lag voll Gold und Blut, der Graf und sein Secretär im Todeskampfe.

Die Diener trugen ihren Herrn auf ein Ruhebett, der Arzt ließ ihm zur Ader, die Damen wurden entfernt. Um den verwundeten Winkel bemühten sich Aurel und Sir Eduard; aber bei der ersten genauen Besichtigung zeigte es sich, daß er bereits verschieden sei. Mehrere große Schrotkörner waren tief in seine Brust gedrungen, sein Gesicht war verbrannt und zerrissen, die Nähe des Schusses hatte die Wirkung tödlich gemacht.

So hätte es mir gehen können! sagte Hannchen weinend. – Welche Schlechtigkeit gegen ein armes Mädchen! Kein Wort hat Se. Excellenz mir davon gesagt, daß, wer das Fach aufmacht, sich todt schießen muß. – Ach, Franz! willst Du mir denn vergeben? Schuld hast Du auch daran, denn hättest Du ein Wort gesagt, so konnte das Unglück nicht geschehen.

Ehe Willner antwortete, kehrte der Ober-Kammerherr zurück, von den übrigen Herren begleitet. Die Diener nahmen den Leichnam des Secretärs und trugen ihn in seine Wohnung, der Ober-Kammerherr gebot Allen, sich zu entfernen, nur Aurel und Rodney blieben zurück.

Wie geht es ihm? fragte der junge Mann.

Gut, sagte der Ober-Kammerherr, so gut, wie es gehen kann. Es ist keine Ohnmacht, Graf Aurel, es ist ein Gehirnschlag. Er wird nicht wieder aufwachen; Sie sind Herr hier im Hause.

Der Himmel weiß es, rief Aurel schmerzlich, daß ich keine Schuld daran trage!

Mit dem Himmel muß sich Jeder abfinden, wie er kann, erwiderte der Ober-Kammerherr; unsere gemeinschaftliche Sorge muß es aber sein, daß die Vorgänge dieser Nacht vor den Menschen verborgen bleiben. Derschau hat mich und diese Freunde unter sonderbaren Umständen heute Abend zu sich eingeladen. Er hielt uns in seinem Zimmer fest, und ich glaube, wir werden darüber einig sein, daß er das, was sich hier ereignete, nicht erwartet hat – was er aber gedacht oder gewollt haben mag, welches auch seine Schuld sein könnte, er nimmt sie mit hinüber. Unsere Pflicht ist es, die Ehre der Familie zu bewahren. Der Secretär war ein Spitzbube, er hat sich erschossen. Graf Bodo neigte zum Schlagflusse. Schreck und Zorn endeten plötzlich sein edles, so vielen Menschen wohlthätiges und nützliches Leben. Ich hoffe, wir finden darin den nöthigen Grund zu diesem schmerzlichen Ausgange.

Wo ist meine Tante? fragte Aurel.

Bei der Gräfin, sagte der Ober-Kammerherr. Sie hat Trost nöthig. – Sie werden ihr Freund und Stütze sein, theurer Graf, fügte er mit einem eigenthümlichen Blicke hinzu, indem er dem Majoratsherrn die Hand drückte.

 

Ein Woche darauf wurde der Reichsrath von Derschau mit großer Pracht und Feierlichkeit begraben. – Die vielen Gerüchte über seinen unerwarteten Tod blieben verwirrt und unaufgeklärt. Keine Hand lüftete die Schleier, im Gegentheil, es wurde Alles gethan, um sie dichter zusammen zu ziehen.

Winkel ward in aller Stille Abends spät auf den Kirchhof gebracht, und die beiden einzigen Personen, welche dem Leichenwagen folgten, trafen erst an der Gruft zusammen. – Auf der einen Seite stand Franz Willner mit gesenktem Kopfe, auf der anderen Hannchen, die leise weinte. Hinter einem kahlen Baum in der Nähe lehnte, tief in seinen Mantel gewickelt, ein Dritter, der dem schwermüthigen, letzten Act des ewigen Verschwindens eines Menschen von der Erde aus der Ferne zuschaute.

Als Alles vorüber war und die Laternen der Totengräber sich entfernten, streckte Hannchen schluchzend ihre Hand nach dem ehemaligen Geliebten aus. –

Ach, Franz, sagte sie, ich bitte Dir Alles tausend Mal ab, und hier an dieser Stelle mußt Du mir vergeben. – Vielleicht bist Du böse, daß ich hierher gekommen bin, fuhr sie fort, aber ich konnte es nicht lassen. Es ist doch gar zu traurig, wenn Einer stirbt, und alle Anderen lachen und höhnen; Keiner weint um ihn.

Nein, sagte Franz, das ist es nicht, das thut mir wohl sogar. – Ich bin auch gekommen, um eine Hand voll Erde auf seinen Sarg zu werfen und zu sagen: Schlaf in Frieden, ich habe Dir vergeben! Aber, Hannchen, – ich weiß nicht, ob es sich mit uns jetzt besser paßt, ob die Ecke auf dem Hofe, die schmutzige Werkstatt und die schwarze Hand Dir nun besser gefallen.

Alles, sagte Hannchen bittend, Alles, Franz. Wohin Du gehst, will ich gehen, was Du willst, soll mein Wille sein.

Der Mann hinter dem Baume trat hervor, es war Graf Aurel. –

Gib ihr Deine Hand, Franz, sagte er, sie wird Deine Liebe jetzt erkennen und vergelten. Was der Schläfer in dieser Gruft auch gesündigt hat, Herr und Diener sind überwältigt worden, und was sie Böses wollten, hat sich in Gutes verwandelt. – Winkel hat ein Testament hinterlassen und darin sein Vermögen Hannchen vermacht; zudem habe ich unter den Geschäftspapieren meines Vetters Deine von ihm unterzeichnete Anstellung als Hüttenmeister gefunden. – Komm morgen zu mir, Franz, ich will Dir Beides zustellen.

Er ging rasch fort, und eine Viertelstunde später führte Franz seine Geliebte nach Hause, die zu weinen aufgehört hatte.

*       *
*

Das Begräbniß des Grafen war vorüber, der junge Majoratsherr hatte das reiche Erbe angetreten, in dem großen Saale waren die nächsten Freunde und Verwandten der Familie beisammen. – Gräfin Leonore, in ihrer schwarzen Wittwentracht, sah wunderbar schön aus. Die Spitzenschleier, welche ihr blasses Gesicht umgaben, die Perlenschnüre in ihrem reichen Haar, und der tiefe schwärmerische Blick ihrer dunklen Augen bildeten ein anziehendes, bezauberndes Bild. Die Präsidentin schien mütterlich besorgt um sie; Graf Aurel sprach lange mit ihr und küßte wiederholt ihre Hände.

Der Ober-Kammerherr sagte lächelnd zu den Umstehenden:

Freude will Leid, Leid will Freude haben. Es ist eine Madonna an Lieblichkeit und Anmuth, und dabei kaum dreiundzwanzig Jahre alt.

Es gibt wirklich eine Vergelterin, erwiderte sein Nachbar, der Gesandte, mit einem Ausdruck, als spräche er einen ewigen Staatsgrundsatz aus; wenn ihr Walten sich je sichtlich offenbart, so denke ich, ist es hier der Fall.

Ein Wittwenjahr in Paris, oder in der Schweiz, oder in Italien, flüsterte der Staatsrath. – Ich höre, Sir Rodney will heute noch fort. Wahrscheinlich bestellt er Quartier.

Graf Aurel hatte seiner Tante und der Gräfin den Arm geboten und trat mit den beiden Damen in die Mitte des Salons. Hinter der Gräfin stand Fräulein Beate, einfach gekleidet, die sanften Augen niedergeschlagen, die Wangen höher gefärbt.

Ein Wort des Dankes und Abschiedes an Sie, meine Freunde, sagte Aurel. Ich bin genöthigt, mehrere Monate auf meinen Gütern, zu verweilen, und dieses Haus wird verlassen stehen. Alle meine Bitten haben nichts gefruchtet. Meine theure, schwesterliche Freundin, Gräfin Leonore – der Ober-Kammerherr drückte dem Gesandten leise den Finger – will nicht mehr hier wohnen. Sie zieht es vor, bei meiner verehrten Tante zu verweilen, um dort die zärtlichste Theilnahme zu empfangen, welche liebevolle Herzen geben können.

Ja, zu Ihnen, zu Ihnen, meine Mutter! sagte Leonore, leise zitternd ihre Lippen öffnend. Wie danke ich Aurel für diesen Zufluchtsort!

Mein armes Kind, erwiderte die alte Frau zärtlich, Gott, der die Blumen wieder blühen läßt, wenn Winterfrost sie getödtet hat, wird auch Deinen Frühling wieder aufwecken.

Der Ober-Kammerherr drückte den Finger seines Freundes nochmals. Graf Aurel fuhr fort:

Sie wissen vielleicht es schon, daß meine verehrte Tante ihr ganzes Vermögen zu einer Stiftung für verlassene, unglückliche Mädchen bestimmt hat. Diese Stiftung soll jetzt ins Leben gerufen werden; Gräfin Leonore wird meine Tante dabei unterstützen und im Lindern fremder Leiden ihr eigenes Leid zu heilen suchen.

Bis zum nächsten Jahre wird es geheilt sein, flüsterte der Gesandte.

Sonderbare Laune der Verliebten! murmelte der Ober-Kammerherr.

Was mich selbst betrifft, sagte Aurel lächelnd, so will ich nicht Abschied nehmen, ohne an ein frohes Wiedersehen zu denken und Ihnen meine – Verlobung mittheilen. –

Er wandte sich um, ergriff Beatens Hand und sagte:

Hier stelle ich Ihnen meine Braut vor!

Die Ueberraschung war vollkommen. Niemand hatte das erwartet, aber man konnte nicht daran zweifeln. – Gräfin Leonore küßte das arme häßliche Mädchen und nannte sie mit Liebesnamen, die Präsidentin hinkte mit ihrem Stocke stampfend umher und sprach mit Begeisterung und in Bibelsprüchen von den Tugenden und der Seelenreinheit dieses kleinen Gesellschafts-Fräuleins, das ihrerseits bescheiden zwar alle Glückwünsche in Empfang nahm, aber durchaus nicht verlegen war und sich lächerlich machte.

Endlich klopfte ein Finger auf Aurel's Schulter.

Er sah sich um, es war Sir Eduard im Reiseanzuge. –

Auf Wiedersehen, dear count, sagte er. Wann wird die Hochzeit sein?

Ich denke, im Mai, wenn alle Lerchen singen, erwiderte Aurel.

Well, sagte Rodney mit seinem gravitätischen Ernst. Am ersten Mai, Mittags, komme ich zum Diner.

Und wohin wollen Sie? fragte der Graf.

Ich habe beinahe noch vier Monate, antwortete Rodney, seine Uhr ziehend. Ich werde nach America gehen, Brasilien kennen lernen und unter Weges Deutsch lernen, um Ihre Reden im Parlamentshause verstehen zu können. – Er schüttelte seinem Freunde mit leisem Lächeln die Hand, machte eine steife Verbeugung vor den Damen und ging hinaus.

Ein unverwüstlicher Reisender! rief der Ober-Kammerherr. Höchst merkwürdig, einzig! Aber darin hat er Recht, Sie müssen so bald als möglich Ihren Sitz als Reichsrath einnehmen.

Um die Aufhebung der Majorate zu beantragen, sagte Aurel. Ich, der größte Majoratsherr, habe das meiste Recht dazu. Meine Kinder, wenn ich deren besitze, sollen mich nicht hassen und über ungerechte Enterbung schreien, ein Bevorzugter, der mir widerwärtig ist, nicht lauernd auf mein Ende warten.

Es wird sich Alles finden, rief der Ober-Kammerherr lächelnd, indem er sich empfahl. Ein liberaler Reichsrath ist eine schöne Sache, Aufhebung der Majorate eine der voranstehenden Forderungen, um Popularität zu erwerben. Ich gratulire zum Volks-Tribun, lieber Graf Aurel – aber vor der Hand ziehen Sie es jedenfalls vor, in weichen Liebesarmen allen Streit um die Majoratsfrage zu vergessen.

In Deinen Armen, geliebte Beate! rief Aurel. Du sollst das einzige Gut sein, das ich niemals aufgebe!


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