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Novelle.
An einem der letzten Julitage des Jahres 1688, zeitig am Morgen, der sonnenhell über London aufgegangen war, befanden sich in einem der königlichen Gemächer des Palastes von Whitehall zwei Herren, die dann und wann ein halblautes Gespräch führten, oft aber ihre finstern und mißmüthigen Gesichter lauschend gegen die große Seitenthür des Zimmers wandten. Der eine war der gehaßte und gefürchtete Lord Sunderland, Minister Jacob des Zweiten und die rechte Hand zu Allem, was der König that, der andere der Pater Edward Petre, vom Orden Jesu und Beichtvater Sr. Majestät, eine nicht minder wichtige Person in der Geschichte des letzten Stuarts, der ihn so eben trotz des lauten Schrecken- und Abscheurufes im ganzen Lande, zum Kabinetssekretär und Mitglied des Staatsraths ernannt hatte.
Der Lord war ein großer dürrer Herr mit goldner Ehrenkette auf dem braunen geschlitzten Seidenrock, in welchem er stattlich und stolz aussah. Seine Perrücke schloß sich dicht an eine runde hohe Stirn und diese war voller Falten, welche sich bis auf die starke Nasenwurzel hinab zogen. Mit eingekniffenen Lippen und schnellblickenden Augen ging er auf und ab, die schmalen Hände, welche halb unter den glänzenden faltigen Krausen verborgen waren, auf den Rücken gelegt und nur zuweilen stand er vor seinem Gefährten still, der schwarz und schweigend auf einem der großen gestickten Sammetstühle mit gewaltiger Lehne Platz genommen hatte.
Pater Petre war klein und behend, geschmeidig und freundlich, aber sein langer Kopf hätte für einen weit größern Körper gepaßt. Er war Jesuit, erzogen in der Kunst der Verstellung und im heiligen Eifer für seines Ordens Sache, und doch warf man diesem gefürchteten Priester vor, daß er ein schlechter Jesuit sei, denn er war einer jener ungestümen Fanatiker, die ihre Schlauheit ihrer Heftigkeit zum Opfer bringen, und die Ränke der geduldigen Heuchelei vergessend, lieber mit Messern schneiden, als mit vergifteten Nadeln tödten.
Zu Allem was der König gethan, hatte Petre getrieben und Sunderland war das stets willige Werkzeug der Ausführung gewesen. Er suchte frühere Opposition durch ein Uebermaß von unterthäniger Knechtschaft gut zu machen; jetzt aber war etwas geschehen, das diese beiden Vertrauten des Königs im höchsten Grade unruhig und bestürzt machte. – Der König hatte, nachdem er katholische Offiziere überall in Heer und Flotte geschoben, nachdem er katholische Lords in den Geheimrath gebracht, katholischen Priestern Stellen gegeben, katholische Kirchen und Jesuitenschulen in London errichtet, seinen Plan England zu bekehren, mit mehr Ungestüm weiter verfolgt, als selbst Petre gut hieß. –
Jakob bekehrte an seinem Hofe, wer sich irgend bekehren ließ. Lord Sunderland war einer der ersten gewesen, der in Messe und Beichtstuhl ging; wer widerstand, mußte weichen. Die treuen Freunde des Königs, Rochester und Sommerset, wurden fortgeschickt, dazu hatte Petre gerathen; die protestantischen stolzen Lords, die Grafen von Shrewsbury, von Devonshire und Danby, sammt vielen Anderen durften nicht mehr in Whitehall erscheinen, statt ihrer gingen Quäker aus und ein, darunter William Penn, der Mann der Wahrheit im breit gekrämpten Hut. Dissenters aller Art, die zu Tausenden vor Kurzem noch in den Gefängnissen gesessen hatten und nun befreit waren durch des Königs Gnade, der laut bei allen Gelegenheiten ausrief, dass es Jeder hörte, er werde nicht ruhen, bis er volle Gewissensfreiheit und Gleichberechtigung geschaffen hätte. Diese Verfolgten riefen allein dem Könige Beifall und rühmten seine Gerechtigkeit.
Das englische Volk aber wollte von solcher Gleichberechtigung nichts hören, die ihm Katholiken und Abtrünnige aller Art über den Hals brachte. So viel war von dem alten finsteren puritanischen Geiste aus Cromwells und der Republik Zeiten übrig geblieben, daß man Alles eher vertragen mochte, als Papisten und papistische Wirthschaft, mit denen die ganze Willkür der Königsmacht in tausend Fäden zusammenhing.
Karl der Erste war gefallen in dem Kampfe gegen die Heiligen im Lande, hauptsächlich darum, weil er die Freiheiten des Volks, die Rechte des Parlaments mit Füßen trat. Gräuel ohne Gleichen bedeckten das Land der Erbweisheit mit Blut und Elend sonder Maß, bis endlich König, Hof und Junkerschaft in dem Blutmeere untergingen, das sie heraufbeschworen hatten.
Karl der zweite hatte dann das englische Volk mehr noch geknechtet als sein Vater, aber trotz aller tyrannischen Gewalt, trotz seiner Lüste und seiner Schande war er klug genug die Religion zu schonen. Mißtrauisch gegen den heimlichen Katholiken auf dem Thron, hatte das Parlament die strengsten Maßregeln ergriffen und Karl hatte sie alle bestätigt, selbst die Testakte Ein Gesetz, das das englische Parlament 1673 von Karl II. erzwang. Es schrieb für jeden staatlichen Beamten – zusätzlich zum Suprematseid (der die oberste Kirchengewalt der Krone betraf) – zwingend noch einen weiteren Eid vor, der schriftlich unterzeichnet werden musste. Mit diesem Testeid erklärte der Proband, die Transsubstantiationslehre, das heißt die katholische Lehre der Wandlung der eucharistischen Gestalten von Brot und Wein in den wahrhaftigen Leib und das Blut Christi, zu verwerfen. Die Testakte schloss somit bekennende Katholiken nicht nur von allen Staatsämtern, sondern auch von der Mitgliedschaft im Parlament aus.. Er wagte es nicht, an dem Glauben dieser Puritaner zu rütteln, darum ließ er die Katholiken köpfen und hängen und bestätigte die Bluturtheile der schuldlosen Schlachtopfer, die seine treuesten Freunde waren. Er mordete dafür die Männer des Volks; aber bei aller seiner Willkür konnte er es nicht hindern, daß gegen diese das Parlament neue Schranken baute, daß die Habeas-Corpus-Akte 1679 vom englischen König Karl II. auf Druck des Parlaments erlassenes Gesetz. Kein Untertan der englischen Krone darf dem zufolge ohne gerichtliches Verfahren in Haft gehalten werden. Ein Beschuldigter ist innerhalb kurzer Zeit einem Richter vorzuführen, und die wiederholte Verhaftung wegen desselben Delikts ist unzulässig. von ihm genehmigt werden mußte, trotz des Geschrei's, man könne mit ihr nicht regieren.
Mitten in den Kämpfen des alten Königs das Volk demüthig zu machen, das Parlament in Vergessenheit zu bringen, mitten unter Prozessen, Foltern, Verbannen, Hängen und Köpfen, starb Karl der Zweite plötzlich am Schlagfluß. Jakob war König, der Katholik, der Mann, den man verabscheute, der schon zweimal verbannt und wieder berufen war, den eine mächtige Partei in blutig gestraften Verschwörungen der Krone verlustig erklären wollte, er saß jetzt auf dem Throne und sein Herz dürstete nach Rache. –
Bald sah man einen Aufstand und neue Schaffotte. – Graf Argyle Archibald Campbell, 9th Earl of Argyll (1629-1685), war einer der Köpfe der protestantischen Gegner des Königshauses. Er lebte seit 1681 im holländischen Exil. Bei der »Monmouth Rebellion« sollte er von Schottland aus in England einmarschieren. Die Invasion scheiterte, er wurde gefangen genommen und am 30. Juni 1685 hingerichtet. endete so, darauf Herzog Monmouth Siehe Anm. 11.; mehr als 500 Edle und Männer aller Stände schlachtete der Oberrichter Jeffreys hinterher. Alles aber ertrugen diese Engländer. Sie sahen des Volkes beste Freunde flüchtig, sterben und zu Bettlern gemacht, ja sie hätten noch vielmehr ertragen, nur das Eine nicht, nur nicht, daß die Testakte aufgehoben, daß katholische Priester öffentlich Messe lasen, daß Gewissensfreiheit sein sollte. –
Katholiken im Heere und an den Universitäten, Jesuiten im Geheimenrath, katholische Bischöfe im Oberhause – das Alles hatte der König in drei Jahren durchgesetzt. Nun aber wachten die Gottseligen im Lande wieder auf; die Habakuks und Hesekiels predigten von Neuem auf den Märkten, die Konventikel erstanden, beschützt vom Volke, und überall erscholl die Stimme der Begeisterten gegen den fluchbeladenen Moloch auf dem Throne, der den alten Sauerteig Roms wiederum über England bringe. Dies geschah zu derselben Zeit, wo in Frankreich Ludwig der Vierzehnte das Edikt von Nantes zerriß, wo die Protestanten mit Hunden in die Kirchen gehetzt und vogelfrei gemordet wurden. – Ludwig war der Freund und Verbündete Jakobs, und wer wußte es nicht, daß man in Whitehall über die Jagd der Ketzer jubelnd frohlockte. Was mußte bald genug das Loos des englischen Volks sein!
Aber wie wild und verkehrt auch der Sinn der Günstlinge des Königs war, sie erschraken doch, als Jakob sich nicht zurückhalten ließ die Gewissensfreiheit öffentlich zu proklamiren, aus eigner Machtvollkommenheit ohne das Parlament zu fragen, ohne die Gesetze zu beachten. – Die Testakte sollte aufgehoben werden und weil es mit dem alten Parlament nicht ging, löste es der König auf und berief ein neues. Da wurden alle Hebel der Verführung und Bestechung in Bewegung gesetzt, die Städte bedroht, die Beamten eingeschüchtert, ihnen die Absetzung angekündigt, wenn sie nicht wählten oder ihren Einfluß nicht anwenden würden, die Wahlen zu leiten wie die Regierung wolle. Dennoch aber sah Jakob bald, daß er keine Majorität haben würde; so verschob er das Parlament, bis er ihrer gewiß sein werde.
Alle diese Vorgänge, vermischt mit Gewaltthaten und Ueberschreitungen der königlichen Macht, reizten auch die ruhigsten Männer. – Der König stellte den Satz auf, er habe das Recht, nach seiner Weisheit die Strafgesetze zu suspendiren. Den Testeid verbot er und befahl nun den Bischöfen die Gewissensfreiheit von allen Kanzeln nach jedem Gottesdienst zu verkündigen. Aber die Bischöfe weigerten sich. Kirche und Staat, riefen sie, seien in Gefahr, des Königs Befehl sei ein Machtspruch, der die Gesetze des Landes umstoße. –
Bis dahin hatten Sunderland und Petre den König geleitet und getrieben, als er aber weiter ging, als er sieben Bischöfe in den Tower werfen und ihnen den Proceß wegen Hochverraths machen ließ, baten und warnten sie vergebens. König Jakob wies auf den Himmel und schwor, zu Gottes Ehre müsse er sein großes Werk vollenden. König sei er und mächtig genug, meuterische Unterthanen und ketzerische Bischöfe zu strafen. Sein Volk wolle er beglücken und wie er für dessen irdisches Heil sorge, so auch für das ewige Heil verlassener und verführter Seelen. Die Verräther aber, die Schreier, die Treulosen, die Feinde Gottes und des Königs werde er züchtigen und zermalmen. Er glaubte an sein Recht und baute auf seine Macht. Seine erschrockenen Räthe wagten es nicht ihm zu sagen, daß Volk, Offiziere und Soldaten vor den gefangenen Bischöfen niederstürzten, als diese in den Tower gingen und um ihren Segen baten.
Heut aber war der Tag wo diese glorreichen Gefangenen vor ihren Richtern, den Geschwornen, standen. – Schon in den letzten Jahren Karls des Zweiten war es durch die Ränke der Minister dahin gekommen, daß die alten Freiheiten und Rechte immer weiter geschmälert wurden. Man preßte den Städten ihre Freiheitsbriefe ab, hier mit Gewalt, dort mit Drohungen und List, und gab sie ihnen nicht eher zurück, bis sie sich gefallen ließen, daß der König fortan die Bürgermeister und die Sheriff's bestätige. Versage er die Bestätigung zwei Male, so möge er die Stelle nach eigener Wahl besetzen. –
In den Händen des Sheriffs, dieses bürgerlichen höchsten Beamten in jeder Grafschaft, ruhte aber die Ernennung der Geschwornen. Bisher hatten die Gerichte noch häufig genug den absoluten Herrscherwillen zu Schanden gemacht, und manchen angeklagten Vertheidiger der Volksrechte freigesprochen; nun aber war das rechte Mittel gefunden, um so leicht keinen, den man hängen wollte, durchschlüpfen zu lassen. Man ernannte durch die Kreaturen des Hofes, die man zu Sheriffs machte, Geschworne, wie man sie für jedwede Verurtheilung gebrauchte, und Schaaren falscher Angeber und falscher Zeugen vollendeten die furchtbare Rechtslosigkeit dieser Zeit, bis endlich, um das Volk vor dem verruchten Mißbrauch solcher Macht zu schützen, vom Parlament eben jene Habeas-Corpus-Akte durchgesetzt wurde, welche noch immer der Stolz und die Sicherheit jedes Engländers gegen Gewalt und Unrecht ist.
Mit aller Sorgfalt waren nun wohl zu dem Processe der Bischöfe die Geschwornen auserlesen worden, dennoch aber regte sich die bängste Furcht in den beiden Staatsmännern des Königs, daß ein freisprechendes Urtheil erfolgen könne, und sie täuschten sich nicht, wenn sie dies als das Schlimmste erachteten. Wäre ein Graf oder Herzog zu richten gewesen, wegen Treubruch, Aufruhr oder Verschwörung, sie hätten Geschworne genug gefunden, die blindlings ihr: Schuldig! ausgesprochen, allein diese Bischöfe, angeklagt, weil sie die Landesgesetze nicht freventlich verletzen, weil sie die verhaßten Katholiken nicht für gleichberechtigt erklären wollten, waren Heilige und Märtyrer selbst in den Augen der gewissenlosesten und ergebensten Werkzeuge der Regierung.
Vor den Thüren des Gerichtshofes lagerten unabsehbare Volksschaaren, dichtgedrängt seit vielen Stunden, und harrten des Richterspruches, der noch immer nicht kommen wollte. Den ganzen Tag über hatte das Verhör gewährt, die besten Vertheidiger hatten gesprochen. Am Abend waren die Geschwornen in ihr Berathungszimmer geführt und dort, der Satzung gemäß, so lange eingesperrt worden, bis sie einig seien; allein die ganze Nacht war vorüber gegangen und noch immer blieben die Meinungen getrennt.
Der Hof, die Stadt, das Land, der König selbst, Alle harrten mit leidenschaftlicher Erregtheit des Ausganges und hier finden wir nun im königlichen Empfangszimmer die beiden vertrautesten Räthe ihres Herrn, düster blickend, und mit gefurchten Stirnen, jeden Augenblick eines Boten gewärtig, der die übelste Nachricht bringen konnte.
Ich wollte, sagte Lord Sunderland, indem er vor seinem schwarzen Kollegen stillstand, daß die zwölf dickköpfigen Pfahlbürger und Landjunker endlich Erbarmen mit uns hätten und unserer Ungewißheit ein Ende machten. – Ist es nicht ein schmachvoller Zustand, Petre, von solchen Schuften abzuhängen, die aus Kramläden und Werkstätten in die Gerichtssäle gerufen werden, um Recht zu sprechen! Wie ist es in Frankreich, in Deutschland, in Spanien, in allen Ländern anders, wo die fürstliche Macht ungebeugt feststeht, aber hier, hier – er murmelte unverständliche Worte, indem er seinen Spaziergang fortsetzte.
Der Pater Petre hob seinen langen Kopf mit den tief ausgehöhlten Backen langsam auf und erwiederte dann sanft, wie er immer that, und mit wohlklingender Stimme:
Ihr seid zu rasch, Mylord, zu ungeduldig. Warum hat der heillose Widerstand des Parlaments es mit englischer Hartnäckigkeit nie gestattet das römische Recht einzuführen? – Helfe uns die gnadenreiche Gottesmutter nur über diese Prüfung glücklich fort, die unser gnädigster Herr im heiligen Eifer ganz gegen meine Warnung begonnen hat.
Wir warnten vergebens, erwiederte der Lord, und sollte er diesmal siegen, so glaubt mir, Petre, es wird unser Rath noch oft verachtet werden. Aber Ihr habt Recht. Sind wir mit diesen Bischöfen fertig, so werden wir es auch mit Parlament und Geschwornen, die seit dreihundert Jahren gegen die königliche Macht rebellisch ankämpften, und wie gedemüthigt sie auch oft ganze Menschenalter lang waren, doch immer wieder von Neuem aufstanden und ihre Rechte, Geld zu bewilligen und Gesetze zu machen, unter Blut und Gefahren aufrecht erhielten.
Das kam daher, sagte der Jesuit lächelnd, weil man nie den Muth hatte, für immer mit ihnen zu enden.
Den Muth! erwiederte der Lord mit der Regung eines Engländers – denkt an Karl den Ersten, aber die Kraft fehlte; doch jetzt – Er wendete sich rasch nach der Thür um, die eben geöffnet wurde.
Ha, Jeffreys! rief er dem Eintretenden entgegen. Da kommt der Mann, den wir brauchen. Wie steht es in Westminsterhall?!
Der berühmte Lord Oberrichter Jeffreys, jetzt Lord Kanzler, der Mann mit dem blutigen Gesicht und der blutigen Hand, den seine Zeitgenossen mit Schrecken betrachteten, und welchen die Nachwelt mit Verwünschungen bedeckte, wie sie wenigen Sterblichen zu Theil geworden sind, blieb an der Thür stehen und nahm sein Barret ab, indem er zugleich eine tiefe Verbeugung machte.
Lord Jeffreys war breit und plump. Seine plebejische Abkunft aus der unteren Klasse des Volkes drückte sich deutlich seinem ganzen Wesen aus; wäre aber dieser furchtbare Mann, mit dessen Namen die englischen Mütter ihre schreienden Kinder zu Bett jagten, im schlichten Rocke eines Bürgers unbekannt erschienen, er würde als einer jener wohlwollenden fröhlichen Aletrinker und Beefsteakesser gegolten haben, die jedem ihrer Mitmenschen einen guten Tag gönnen, im Gefühle, daß sie ihn selbst gerne genießen. –
Der dicke Kopf des Lords, unter seiner ungeheuren lockigen Perrücke roth und gesund hervorblickend, zeigte in den breiten und vollen Zügen eine tüchtige Portion Unverschämtheit neben wenigstens eben so vielem lächelnden Selbstvertrauen. Hellblaue, freundliche und raschblickende Augen belebten sein Gesicht, dessen mächtige Kaumuskeln und aufgeworfene Lippen einen Mann verriethen, der die Freuden der Tafel liebt, und einem wohlgenährten Handelsherrn der City anzugehören schien, welcher nach vollbrachter Arbeit alle Sorgen vergißt. –
Hinter dieser fast unschuldigen Außenseite waren jedoch die gefährlichsten und wildesten Leidenschaften verborgen. Die verruchteste Blutgier, die verschlagenste Nichtswürdigkeit, die schlaueste Berechnung um Unglückliche zu verderben. Man sagt es diesem schrecklichen Manne nach, daß er nie ein Erbarmen gefühlt, und je reiner, je erwiesen schuldloser sein Opfer gewesen sei, um so mehr ihn die teuflische Lust gefaßt habe, es dem Henker zu überliefern. Von dem Tage an, wo die standhaften Vertheidiger der Lehre vom Rechte des Volks, sich mannhaft zu erheben gegen Tyrannei und Unterdrückung, wo die Häupter der edlen Lords William Russel und Algernon Sidney von ihm dem Henker überliefert wurden, war der neue Lord Oberrichter ein Gegenstand des tiefsten Abscheues geworden. Aber dies gestählte Werkzeug der Gewalt wäre unmöglich gewesen, wenn die ganze Zeit nicht seine Mitschuld übernommen hätte. –
Die Geschworenen verurtheilten willig den hochherzigen Sidney, als Jeffreys statt des zweiten Zeugen eine Handschrift des Angeklagten beibrachte, seine berühmten Diskourses, die vom Widerstand gegen tyrannische Gewalt handelten, und an demselben Tage sprach die Universität Oxford ewige Verdammniß aus über die Lehre, daß alle bürgerliche Gewalt vom Volke ausgehe und ein Fürst, welcher nicht nach den Gesetzen regiere, sein Recht auf den Thron verwirkt habe.
Fünf Jahre hatte Jeffreys gewüthet und das Blut von Tausenden, die er gemordet, konnte das gutmüthige Lächeln seines Gesichts nicht fortschaffen. Da stand er so froh gelaunt, so heiter um sich blickend, so schelmisch den finstern Priester und den stolzen ärgerlichen Staatssekretair betrachtend, als wolle er mit ihnen irgend einen possenhaften Scherz ausführen.
Wie es in Westminsterhall steht, wollt Ihr von mir wissen, Ihr Herren? fragte er näher tretend. Gut, sollte ich meinen, vortrefflich, will ich behaupten. Ich fürchte sehr, daß ich diesen armen Bischöfen, die ich von Herzen beklage und bedaure, bald einige traurige Stunden verursachen muß.
Scherzen Sie nicht, Jeffreys, sagte der Lord mit gefurchter Stirn. Ich fürchte, Ihre Geschworenen lassen uns diesmal im Stich.
Ah! rief der Kanzler lachend, das wäre entsetzlich, ich würde allen Glauben an die Menschheit verlieren.
Aber, fiel Petre ein, wie ist es möglich, daß, um ein Urtheil zu finden, zehn volle Stunden vergehen können?
Ein Beweis, murmelte der Staatssecretär, daß diese Schufte zähe sind, sich verkriechen vor dem Gesindel, das ihre Thür belagert, und dessen Geschrei sie die öffentliche Stimme nennen.
Wer wird sich um Nichts so sehr erhitzen, erwiederte Jeffreys spottend, und von den ehrenwerthen Männern, die das höchste Gericht bilden, und im Namen des Volks, Angesichts Gottes, Recht sprechen, so nachsichtslos denken! Wenn es lange währt, ehe ein Urtheil gefunden wird, so freue ich mich sehr darüber, Mylord Sunderland, denn es liegt der Beweis für alle Welt klar und offen darin, mit welchem Ernst und welcher Gewissensstrenge die Herren Geschworenen diese wichtige Sache behandeln. Eine ganze Nacht über sitzen sie beisammen und verachten Hunger und Durst, um ihre Ueberzeugungen aufrecht zu erhalten. Offenbar haben sich zwei Parteien gebildet und höchst wahrscheinlich wird zuletzt diejenige siegen, welche am längsten das Fasten ertragen kann. Nun sitzt nicht allein Michael Arnold, der würdige Brauer des Palastes auf der Geschwornenbank, sondern ich kenne auch noch zufällig einen der Herren Geschworenen, einen Mann, dünn vom Körper, blaß, klein, fast durchsichtig, man könnte ihn durch eine Nähnadel ziehen. Dieser treue Patriot war in seiner Jugend Laienbruder in einer der verborgenen geistlichen Anstalten an der Westküste; jetzt ist er Schneider in London, ein eifriger Christ, Schüler der frommen Väter Jesu, die zu unserer Freude endlich hier einziehen und lehren durften, und ich sage Ihnen, Sir Edward, wenn selbst alle übrigen eilf, was nicht zu glauben, eines Sinnes wären, dieser vortreffliche kleine Schneider eher vor Hunger umkommen, als sich ihnen fügen würde.
Denken Sie nun die markige Gestalt Sir Roger Langley's, des Baronets, die runden Bäuche der drei Kaufleute, das dicke Gesicht des reichen Kohlenhändlers und die fette Zunge des ehrlichen Thomas Wilstorn, des Aldermann aus der City, welche sämmtlich dort schwitzen, und Sie werden mir recht geben, daß ich leider besorgen muß, die unglücklichen Bischöfe werden schuldig befunden, und wenn es unserem gnädigsten Herrn so gefallen sollte, eine Spazierfahrt nach Tower-Hill machen, wie so mancher vor ihnen, der es nicht dachte.
Die beiden Staatsmänner lächelten über die lustige Mittheilung des Kanzlers, der inzwischen seine Wolkenperrücke lüftete, über die Hitze klagte und endlich mit dem Finger nach der Thür deutend, im leiseren Tone fragte, ob der König schon sichtbar geworden sei. –
Sunderland gab eine verneinende Antwort. –
Wie er es gewöhnt ist, sagte Petre, stand Se. Majestät auch heute früh auf, hörte die Messe, und arbeitete dann angestrengt in seinem Kabinet, bis er jetzt im Familienkreise das Frühstück einnimmt, das einfacher ist, wie das eines gewöhnlichen Bürgers.
Aber seit den sechs Wochen, daß die Königin ihm einen Thronfolger geboren hat, sprach der Kanzler, ist der König sichtlich neu beseligt und gestärkt.
Gott und die heilige Jungfrau, versetzte der Jesuit, haben ihm endlich den höchsten Wunsch gewährt, als es kaum mehr gehofft werden durfte. – Ein Prinz ist geboren worden, als sicheres Zeichen, daß die Gnade des Himmels mit uns ist. – Diese Gewißheit macht den König froh und freudig und treibt ihn an mit erneuter Energie sein großes Werk auszuführen.
Es wird bald Zeit sein, sagte Jeffreys, ein paar Beispiele an den armen Verblendeten zu geben, welche die Freude Sr. Majestät verunglimpfen. –
Der Kanzler spielte damit auf die vielen hämischen Gerüchte an, welche die Echtheit der Geburt des Prinzen von Wales James Francis Edward Stuart (1688-1766), » the Old Pretender« (der alte Thronanwärter), der Sohn Jakobs II. von dessen zweiter, katholischer Ehefrau Maria di Modena. Sofort nach der Geburt des Prinzen tauchten Zweifel über seine Legitimität auf; er sei in Wirklichkeit nicht ein leiblicher Sohn Jakobs, sondern ein von den Jesuiten der Mutter untergeschobenes Kind. Diese war zwar bei seiner Geburt erst 29 Jahre alt, hatte aber zuvor bereits elf Geburten hinter sich gebracht (davon sechs Fehlgeburten), von denen kein Kind mehr am Leben war; ein einziger Sohn hatte 1677 nur einen Monat lang gelebt. Bereits am 30. Juni 1688, zwanzig Tage nach der Geburt des Thronfolgers, forderten sieben britische Magnaten Jakobs Schwiegersohn Wilhelm III. von Oranien brieflich zur Intervention in England auf. Zum Prinzen von Wales ernannt wurde James am 4. Juli 1688. Auf Grund der von der Glorious Revolution erzwungenen Abdankung seines Vaters 1688 verlor er diesen Titel. Der Act of Settlement von 1701 schloss ihn von der Thronfolge aus, und 1702 wurde er zudem durch Parlamentsbeschluss geächtet; damit waren ihm alle britischen Adelstitel formell aberkannt. in Zweifel zogen. – Man leugnete die ganze Schwangerschaft der Königin und streute in Erzählungen und Flugschriften aus, das Kind sei in einem Bettwärmer in das Zimmer gebracht und unter der Bettdecke verborgen worden. Je mehr man diese schmählichen Gerüchte zu widerlegen suchte, um so mehr wurden sie verbreitet und geglaubt. Denn in Zeiten wie diese findet das Unglaubliche Eingang, wenn es den Parteien zusagt.
Oh! rief Sunderland, laß sie immerhin ihren Faden abspinnen, er würde nur länger werden, wenn man daran ziehen hülfe; stört man ihn nicht, so reißt er von selbst. – Aber ich weiß einen anderen Ort, wo die Geburt dieses Kindes Gesichter hervorgerufen hat, die ich wohl gesehen haben möchte.
Drüben im Haag, lachte Jeffreys. Es ist sonderbar genug. Der Erbstatthalter und Schwiegersohn Wilhelm Prinz von Oranien, Statthalter der Niederlande, verehelicht mit Jakobs ältester Tochter Maria; durch die »Glorreiche Revolution« 1688/1689 wird er als Wilhelm III. König von England. unseres gnädigen Herrn hat selbst keine Kinder und sollte im Grunde erfreut sein über die Geburt seines kleinen Schwagers. Doch so ist es mit dem Ehrgeiz! – Glauben Sie aber nicht, meine theuren Herren, daß dicht in der Nähe Sr. Majestät vielleicht noch größere Unzufriedenheit herrscht?
Laßt die unschuldige Nähe zufrieden, warf Sunderland spottend ein, die mit ihrem Est-il possible Jakobs jüngere Tochter Anna Stuart, die auf Anweisung Karls II. im protestantischen Glauben erzogen worden war, heiratete 1683 den protestantischen Prinzen Georg von Dänemark, Bruder des dänischen Königs Christian V. Nach Wilhelms von Oraniens Tod 1702 war er Prinzgemahl der englischen Königin Anne. Er starb 1708. Auf seine Lieblingsredewendung spielt Sunderland an. genug zu thun hat. –
Die Prinzessin Anna, sagte Petre, hat allerdings Leibeserben »Genug zu thun« verweist auf die insgesamt 17 Schwangerschaften Anna Stuarts, von denen 12 Fehlgeburten oder Totgeburten waren; vier Kinder starben im Kleinkindalter (zwei davon an den Pocken), und ein chronisch kranker Sohn, William Henry, der Herzog von Gloucester, starb im Alter von 11 Jahren. Als Königin hinterließ Anne daher keinen Thronerben., und sie sowohl, wie ihre Schwester Marie und deren Gemahl, der Erbstatthalter, sind Protestanten. Ich glaube, Lord Jeffreys mag nicht ganz unrecht haben.
Wenn es erlaubt wäre, plötzlich einen Blick in das Schreibspinde der Prinzessin zu thun, rief der Kanzler lachend, so wette ich Bart und Kopf, es würde an überraschenden Entdeckungen nicht fehlen.
Lord Sunderland wendete sich rasch zu Jeffreys um und indem er auf die große Thür wies, blickte er ihn bedeutungsvoll an.
Ah ich verstehe, fuhr der Kanzler leiser fort. Die Prinzessin ist hier, um Sr. Majestät den besten Morgen zu wünschen, der König aber hofft noch immer seine zärtliche protestantische Tochter in den Schooß der wahren Kirche zu führen. Ich glaube nicht daran, Mylords. – Ich weiß mit Gewißheit, daß geheime Boten unausgesetzt von London ihren Weg nach dem Haag nehmen, und bin noch andern Verbindungen auf der Spur.
Eine neue Verschwörung? fragte Petre zu ihm aufblickend.
Sunderland betrachtete seinen Verbündeten mit Hohn. Welch Glück für den Kanzler, rief er aus, er hat eine neue Verschwörung entdeckt und neue Arbeit bringt ihm neuen Ruhm. – Ich wette, Lord Jeffreys, daß jeder Protestant von einiger Bedeutung diesmal darin verwickelt ist, und die erlauchte Dame dort im Kabinet die Fäden in ihrer kleinen Hand hält.
Spotten Sie nach Belieben, Mylord Sunderland, erwiederte Jeffreys, aber seien Sie gewiß, daß diese Dame seit einiger Zeit mit manchen Männern in Verbindung steht, deren Namen hinreichen, um zu wissen, daß es nichts Gutes sein kann, was sie zusammenführt.
Und wollen Sie uns nicht wenigstens einen dieser schrecklichen Namen nennen?
Warum nicht, sagte der Kanzler. Ich nenne Ihnen den Grafen Shrewsbury, der jetzt häufig bei der Prinzessin und oft noch spät in der Nacht gesehen wird.
William Shrewsbury! rief Sunderland lachend, ja das ist äußerst gefährlich. – Aber vielleicht steht Churchill John Churchill, 1. Duke of Marlborough; er war der Ehemann von Anna Stuarts langjähriger Freundin Sarah. auch auf Ihrer Verrätherliste, theurer Lord Jeffreys?
Wenigstens sind Churchill und Shrewsbury seit einiger Zeit befreundet und mehr als einmal will man sie in vertrauten Gesprächen getroffen haben.
Der Himmel segne Ihre Spione, sagte der Staatssekretär, und schenke Ihnen Ohren, die Gras wachsen hören. Aber auch ich habe Leute, die durch eichene Thüren sehen, wenn es darauf ankömmt, und eben fällt mir ein, gehört zu haben, daß ein gewisses Fräulein, welches im Hause meines vortrefflichen Freundes Jeffreys lebt, als deren Vormund er bestellt wurde und deren zärtlicher Beschützer er ist, vor den Anfechtungen eines entfernten Verwandten des furchtbaren Grafen Shrewsbury sich kaum zu sichern weiß.
Eine dunkle Röthe flog auf einen Augenblick über des Lord Kanzlers Gesicht. Seine Stirn runzelte sich so drohend zusammen, wie im Gerichtshofe, wo er Schrecken damit einzujagen wußte, aber im nächsten Augenblicke war er wieder heiter.
Was Sie nicht Alles wissen Mylord, rief er dann lachend. Lätitia Grey, die unglückliche Tochter eines unglücklichen Vaters Ford Grey, Ist Earl of Tankerville (1655-1701), war schon am Rye-House-Komplott (1683) beteiligt, konnte aber aus dem Tower fliehen und ging nach Holland. Auch nach der »Monmouth Rebellion« konnte er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, hatte nach der »Glorious Revolution« unter William III. sogar Hofämter inne und wurde zum Earl of Tankerville ernannt., ist allerdings mein Mündel und wohnt in meinem Hause, aber gänzlich neu ist mir die Entdeckung, daß ein sittenloser Kavalier es gewagt hätte, sie zu beunruhigen.
Kanzler! Kanzler! erwiederte Sunderland mit dem Finger drohend und laut lachend, ich kenne zwar Ihre große Wahrheitsliebe, aber in diesem Punkte möchte ich doch behaupten, daß nicht ganz umsonst Shrewsbury Ihren Zorn auf sich geladen hat.
Pater Petre hatte bis jetzt still zugehört, was die beiden Herren in seiner Gegenwart verhandelten und es wohl absichtlich thaten, weil jeder wußte, daß der Beichtvater davon am geeigneten Orte und zur rechten Stunde nach seinem Ermessen Gebrauch machen würde. – Plötzlich aber stand der Jesuit auf und indem er sein schwarzes Käppchen abnahm und seinen Körper in eine vorgebeugte erwartende Stellung warf, sagte er mit gedämpfter Stimme: Still, Mylords, still. Der König kommt!
Die Thür wurde geöffnet, König Jakob der Zweite stand auf der Schwelle. Ein Lächeln lief über sein scharfes faltiges Gesicht, als er seine vertrautesten Diener mit einem leichten Kopfnicken begrüßte. –
König Jakob war acht und funfzig Jahre alt, aber er sah noch älter aus, als er war. Sein abgemagerter Körper und die tief eingefallenen Backen gaben ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit seinem Lieblinge, dem Pater Petre, und gewiß hätte dieser König, der sein halbes Leben täglichen Gebeten, Messen und geistlichen Uebungen widmete, während er die andre Hälfte zu oft sehr weltlichen, sinnlichen und verbrecherischen Gelüsten und Handlungen verbrauchte, ein Heiliger der Kirche werden können, wenn ihn das Schicksal, statt ihn auf einen Thron zu rufen, zu einem Bischof oder Abt gemacht hätte. –
Die großen schwermüthigen Augen des Monarchen, deren fanatischer Glanz zu Zeiten seine Umgebungen erschrecken konnte, blickten jetzt voll Wohlwollen umher. Er kam aus dem Zimmer der Königin, die er liebte, von der Wiege seines Sohnes, der sein Herz jung machte, und seine Hand ruhte in der Hand seiner Tochter, der Prinzessin Anna, die ihn begleitete. –
Die vierundzwanzigjährige Prinzessin war damals jung und schön. In ihren stolzen und feinen Zügen und in den dunklen langsamen Augen spiegelte sich die Trägheit und Unsicherheit ihrer Empfindungen wieder, die sie ihr Leben über zum Spielball der Menschen und Parteien machten, welche ihren Launen zu schmeicheln verstanden. –
In ihren reichen Kleidern und hohen Frisuren hob sich ihre nicht große Gestalt lächelnd zur Seite des Königs auf, um dessen Leib sie den Arm gelegt hatte und Jakob sah mit einem Blick der Liebe in ihr offenes Gesicht und dann auf seine Minister, als wollte er ihnen sagen: Seht her, wie ich glücklich bin und was die Einflüsterungen gelten, die von Zeit zu Zeit selbst gegen die Treue meiner eigenen Kinder und selbst gegen diese meine Lieblingstochter mein Ohr zu erreichen suchen.
Während dessen hatte der König einige Schritte vorwärts gethan und wie man sah, war er in kriegerischer Tracht, was selten geschah. Er trug den Rock seiner rothen Reitergarde, lange Stiefeln mit großen goldenen Sporen und am breiten Bandelier ein Schwert mit brillantenem Griff. –
Lächelnd streckte er die Hand gegen Sunderland aus und sagte leutselig:
Ich habe meine Früharbeiten bereits beendigt und denke nun einen Ritt ins Lager zu machen, um einer Uebung meiner getreuen Regimenter beizuwohnen. Wenn es nicht von äußerster Wichtigkeit ist, was Ihr mir vorzutragen habt, Lord Sunderland, so mag es bis morgen bleiben.
Es giebt nichts, erwiederte der Staatssekretär mit hofmännischer Geschmeidigkeit, was dem Willen Ew. Majestät sich nicht unterordnen könnte.
Mein Wille! rief Jakob, ja, so sagt ihr alle, und so faßt es die Menge auf. Aber, bei der Gnade Gottes! mein Wille ist nichts, als meine innigste Ueberzeugung, so zu handeln, daß ich mit Ehren vor den Richterstuhl des Höchsten treten kann.
Salus populi suprema lex esto! murmelte der Kanzler.
Wohlgesprochen, Lord Jeffreys, fuhr der König fort, Tag und Nacht schwebt des Volkes Wohl mir vor. Was hätte ich denn von einem Leben, wie es mir geworden ist; von den unendlichen Mühen und Sorgen eines Lebens, um das mich kein Londoner Bürger beneiden kann, wenn mir nicht das Bewußtsein bliebe, daß ich das zeitige und ewige Wohl des Volkes, welches Gott mir gegeben, wahre und errette aus den Schlingen des Lasters und Verderbens?
Alle Lüge und List des Teufels, sagte Petre, sein Haupt noch tiefer neigend, wird untergehen vor der heiligen Größe Ew. Majestät, den Gott gesandt hat, um die Sünden dieses verderbten Volkes zu versöhnen. Wie er Jesus Christus sandte, seinen eingebornen Sohn, um die Welt zu erlösen, so sendet er jetzt wiederum seinen Erwählten und beschirmt ihn gegen alle Verräther.
Sie haben den Sohn Gottes gekreuzigt, erwiederte der König, und würden mit dem Erwählten des Herrn noch weniger Umstände machen, – wenn sie könnten. – Aber, sprach er weiter, und ein leises zuckendes Lächeln bewegte seine blutlosen Lippen, ich habe ihnen gezeigt, was es heißt, sich gegen mich auflehnen und verschwören, und werde es ihnen weiter zeigen, wenn sie mich dazu zwingen.
Ew. Majestät sind der Urquell aller Gnade und Milde, sagte der Kanzler.
Der König hob das düstre Auge langsam zu Jeffreys auf.
Ich bin kein Blutmensch, erwiederte er; Gott weiß es, daß ich Erbarmen in mir trage. Aber das Böse muß an der Wurzel ausgerottet werden. Unkraut muß der Fuß zertreten, auch wenn es roth und weiß blüht! Wer mein Feind ist, ist Gottes Feind. Ich will nichts als Gutes; wer sich mir aber widersetzt, verräth Gott und den König.
Wehe dem, der giftiges Gewürm nicht tödtet! murmelte Petre halblaut.
Sunderland betrachtete die Prinzessin, die bewegt schien und vor sich nieder blickte, als sei sie erschrocken über das, was sie hörte. Die Lehre von der Unfehlbarkeit des königlichen Willens, der zu Gottes Willen gestempelt wurde, und diese Rechtfertigung der langen Reihe furchtbarer Gewalt- und Blutthaten durch den Ausspruch des Verraths gegen die absolute Willkür des Königs, der im fanatischen Wahnsinn alles Recht und alle Selbstständigkeit eines ganzen Volks, als Verbrechen gegen Gott und gegen dessen Stellvertreter ausrief, schien sie mit geheimer Unruhe zu erfüllen.
Die Halsstarrigkeit und Hartnäckigkeit dieses Volks auf seine eingebildeten Rechte ist leider noch größer wie die milde Weisheit Ew. Majestät und die Schonung, mit welcher die Richter verfahren, sagte der Lord, indem er den König und Jeffreys lächelnd anblickte.
Hah! die Richter! fuhr der König lebhaft auf. Wie steht es mit den Bischöfen, Lord Kanzler? Was sagen Eure Geschworenen zu dem Frevel, der unseren höchsten Befehlen angethan ist?
Sie sitzen noch beisammen in Westminsterhall, erwiederte Jeffreys in seiner lustigen, unverschämten Weise, aber ich bin überzeugt, zur Frühstückszeit werden sie fertig sein.
Des Königs dunkles Gesicht wurde noch ernster. Sind das Männer, sprach er, die so lange Zeit brauchen, um zu finden, was klar zu erkennen ist. Steht der Ungehorsam dieser hoffärtigen Priester nicht so fest, wie Whitehalls Palast! –
Er trat mit dem Fuß hart auf, wie er immer that, wenn er heftig wurde und fuhr mit rascher Handbewegung fort:
Die Geschwornen sind ein Ueberbleibsel aus der rohsten Zeit des Rechtszustandes. Bei Sachsen und Gothen gebräuchlich, sind sie unpassend für civilisirte Völker, die längst das römische Recht angenommen haben. Wenn mir Gott und die heilige Jungfrau – er bekreuzte sich andächtig – Gnade gewähren, soll es auch an diesen Reformen nicht fehlen, die England zum Standpunkt anderer Nationen erheben.
Der Staatssekretair warf einen langen Blick auf Petre und den Kanzler. –
Für jetzt, sagte er dann, dürfen uns die Geschwornen wohl geringe Sorgen machen. Sie werden vorsichtig ausgewählt und Kinderklappern darf man dem Volke, als Spielzeug, wohl gönnen.
Festina lente! murmelte der Priester, als der König ihn anblickte. Ich glaube wohl, mein königlicher Herr kann sicher sein, daß bescheidene, getreue und verständige Männer jetzt die Richterbänke besetzen.
Und immer, sagte die Prinzessin ermuthigt, dürfte es gefährlich sein, dem Volke die Geschwornen zu nehmen, was wohl auch nicht meines königlichen Herrn Vaters ernstlicher Wille ist.
So! rief der König erheitert, indem er mit der Hand über ihr Gesicht strich, und was meinst Du denn, was mir dafür geschehen könnte?
Lord Jeffreys wird eine bessere Antwort darauf geben können, als ich, erwiederte die Prinzessin.
Ah, Jeffreys! rief der König; er würde freilich ein gutes Theil auf seine Schultern nehmen müssen, die breit genug dazu sind. – Aber was hört man in London? Wie sprechen unsere guten Bürger? Was sagen sie zu dem Prozeß? Wie sehen die Gesichter aus, Sunderland, die Euch begegneten?
Es scheint, versetzte der Lord, als ob Ihre königl. Hoheit die Prinzessin, Besorgnisse geschöpft hat aus den Gruppen, welche auf den Straßen zusammen stehen, oder aus dem Schreien, Fluchen und wilden Lärm, der aus den Whiskyläden und Schänken herausschallt.
Sie lärmen also, sagte Jakob.
Der Pöbel weiß nie etwas Besseres zu thun, es ist seine Art so, sprach der Kanzler.
Nein, fiel die Prinzessin lebhaft ein, es ist kein Pöbel, der auf den Straßen beisammen steht, auch habe ich kein wüstes Toben und Geschrei vernommen. Ehrbare Leute gingen mit finstern Mienen, die Augen niedergeschlagen, stumm und ohne Gruß bei mir vorüber. Volkshaufen stehen und sitzen schweigend um Westminsterhall, den Spruch der Geschwornen erwartend. In allen diesen Gesichtern ist deutlich zu lesen, daß sie auf das Aeußerste gefaßt sind und das Schrecklichste sie nicht mehr erschreckt.
Ei, meine Tochter, rief der König mißmuthig, Du siehst mehr als andere Leute. Daß Vielen nicht gefällt, was ich thue, weiß ich wohl. Es ist ein hartes, von Verläumdern, Phantasten, Betrügern und Ränkemachern aller Art aufgehetztes Volk, das weder meine höchste Macht und meine Rechte, noch meine Einrichtungen, die ihm Heil bringen, erkennen will; aber besorge nichts, ich will diese finsteren Gesichter wohl wieder glatt machen.
Läßt sich die Liebe und Treue eines Volkes anders erwerben und sichern, als durch Treue und Liebe, die alle Rechte ehrt? flüsterte die Prinzessin, indem sie sich an den Vater schmiegte.
Welche Worte sind das? fragte Jakob rauh. Wer hätte je mehr Treue und Liebe geübt, wer sein ganzes Leben gearbeitet dafür? Ich achte das Recht, ich liebe das Volk, aber die Gesetze Englands sind Gesetze des Königs, so haben die Oberrichter erklärt. –
Jeffreys! murmelte Sunderland dumpf zwischen den Zähnen. –
Mein Recht muß nicht dadurch gekränkt werden, fuhr Jakob fort, und – Gottes höchstes Recht, setzte er feierlich hinzu. Wer gab Dir solche Worte ein, die so wenig für Dich passen?
Die Prinzessin beugte sich tief nieder; sie war erblaßt vor dem düstern Ernst ihres Vaters. Seine mißtrauischen Blicke liefen über ihre Züge hin und bohrten sich darin fest, seine Augen nahmen den grimmigen Glanz an, den sie gesehen hatte, als Karl Stuarts unglücklicher Sohn, der Herzog von Monmouth, einst gebunden vor ihm auf den Knieen lag und vergebens um sein Leben flehte. Die sog. Monmouth-Rebellion: Der illegitime Sohnes Karls II., James Scott, 1. Duke of Monmouth, hatte sich selbst am 20. Juni 1685 zum König erklärt. Die Rebellion endete mit der Niederlage der Rebellen in der Schlacht von Sedgemoor und der anschließenden Hinrichtung von James Scott im Tower. Jakob begann daraufhin, seinen Untertanen zu misstrauen. Seine Richter bestraften die Rebellen hart, allen voran George Jeffreys, den man bald den ›Hängerichter‹ nannte. Die Öffentlichkeit hielt ihren König schon bald für barbarisch und grausam. Um sich selbst vor weiteren Rebellionen zu schützen, betrieb Jakob den Aufbau eines großen stehenden Heeres. Da er Katholiken als Führer mehrerer Regimenter einsetzte, geriet er in Konflikt mit dem Parlament, das im November 1685 vertagt wurde und während der Herrschaft Jakobs nie wieder zusammentreten sollte. Es mochte ihr dabei einfallen, daß dieser König, der ihr Vater war, mit erbarmungsloser Blutgier gemordet und geraubt hatte, daß er kein Mitleid und keine Schonung kannte und Jeffreys, sein Henkersknecht, neben ihr stand. – Sie zitterte heftig.
Wer war es? rief der König mehrmals und plötzlich schienen seine Gedanken eine bestimmte Richtung zu nehmen. Hah! Er – nicht wahr – Er! sagte er heftig. Der kluge weise Rathgeber im Haag Siehe Anm. 6., der Mann von Eis und Stein, der seine Fäden um England und um die Herzen meiner Kinder spinnt, der für meinen Sohn keinen Raum im Kirchengebet hat, dessen Diener London durchschleichen, Briefe bringen, mit Briefen gehen. Er hat es Dir eingeflüstert!
Mein königlicher Herr und Vater, sagte die Prinzessin sich aufrichtend, wer konnte es wagen, Dein Ohr mit solchen schwarzen Einflüsterungen zu füllen? Liebe und Treue haben mir eingegeben, was aus zu großer Besorgniß für Dein Wohl gegen meinen Willen auf meinen Lippen laut wurde.
Ei Närrchen! sprach der König, der ihre Thränen stillte und sie küßte, denn eben so schnell wie Zorn und Verdacht ihn überkommen, waren sie wieder verronnen. Ich höre so leicht auf kein Geschwätz und kenne meine Kinder; aber besorge nichts von den finsteren Gesichtern. Draußen im Lager habe ich zwölf Bataillone und vierzig Schwadronen, nebst eben so vielen Kanonen beisammen, die auch ihre Gesichter machen und eine Sprache sprechen, vor der die Gesichter der guten Bürger sich wohl erheitern werden. Auch liegen auf der Themse ein paar Dutzend Schiffe, mit meinen Matrosen besetzt, die ihren alten Admiral Jakob war 1660 zum Lord High Admiral ernannt worden und damit Oberbefehlshaber der Royal Navy während des zweiten (1665-1667) und dritten Englisch-Niederländischen Seekriegs (1672-1674). nicht im Stich lassen werden. Fürchte Dich also nicht, und um Dir das Herz froh zu machen, begleite mich und sieh selbst, was es heißt, von Treue und Liebe empfangen zu werden.
Ja, die Soldaten, sagte Anna lächelnd seine Hände küssend, sind meinem theuren Vater ganz ergeben.
Nun also, rief Jakob zufrieden, was willst du mehr? – Wer das Schwert hat, hat die Macht! Mein getreues tapferes Heer wird für Ruhe und Ordnung sorgen und die finsteren Gesichter zum Lachen oder Weinen bringen, wie es eben sein muß. – Ha! diese treulosen General-Staaten, welche mir meine sechs Regimenter vorenthalten und sie verführt haben, gegen meinen Willen zu bleiben. Wie viele Offiziere sind zurückgekommen, Sunderland?
Im Ganzen 36 und 22 Gemeine, sagte der Lord. Man hat jede mögliche Verlockung angewandt, sie zum Ungehorsam zu verleiten.
Da siehst Du ein Stückchen von unserem geliebten Schwiegersohn im Haag, der alle meine Gegner und Feinde um sich sammelt, fuhr der König fort. Wahrlich, wenn ich nicht wüßte, daß er mir nicht schaden könnte, ich sollte das Böseste von ihm glauben.
Wo ist Dein Gemahl? fragte er, als alles schwieg. Wo ist unser geliebter Sohn, Prinz Est-il possible?
Ich habe ihn seit einigen Tagen nicht gesehen, versetzte die Prinzessin mit abwehrender Gleichgültigkeit. Historisch wird die Ehe als durchaus harmonisch beschrieben.
So laßt uns gehen, sagte der König. Der Morgen ist schön, ein königlicher Tag kommt, meine Garden erwarten mich. Meine Generale sind im großen Saale versammelt, auch Churchill ist da! –
Er lächelte seiner Tochter zu, Lord Sunderland öffnete die Thür. Der König war in der heitersten Stimmung.
Als die Schritte des Königs draußen nicht mehr gehört wurden, richteten sich die drei Minister aus ihren ehrfurchtsvoll gebeugten Stellungen auf und sahen sich lächelnd an.
Se. Majestät ist heut sehr gnädig, sagte der Kanzler.
Sehr wohlgelaunt! bemerkte Lord Sunderland.
Sehr aufrichtig! fügte der Jesuit hinzu.
Warnt ihn, Sir Eduard, haltet ihn auf, sprach der Staatssekretär eindringlich. Laßt nichts geschehen, was er bereuen und zurücknehmen müßte.
Die Gnade Gottes erleuchtet, was Se. Majestät thut, erwiederte Petre.
Bah! rief der Lord, ich zweifle nicht daran, aber dennoch kann ein Mißverständniß stattfinden. – Der König scheint seinen Soldaten mehr als seinen Rathgebern zu vertrauen. Mögen jene das letzte Mittel sein; aber er irrt sich, wenn er glaubt, daß die Schwerter Alles vermögen.
Sie vermögen wenigstens sehr viel, sagte Petre lächelnd. Wenn man die Geschichte der Völker studirt, sieht man, wie die Macht der Kaiser und Könige lange Jahrhunderte hindurch getragen und gehalten wurde durch die Speere und Schwerter ihrer Legionen.
Aber vergeßt nicht, fiel Sunderland ein, wie häufig diese Soldaten auch Kaiser und Könige entthronten, wie diese Spielwerke wurden in den Händen ihrer Prätorianer. Denkt, daß Könige, die ihren Thron den Schwertern danken, auch nur Soldaten zu Genossen und Räthen bedürfen. Denkt an Cromwell, an Fairfax Thomas Fairfax, 3. Lord Fairfax of Cameron, während des Englischen Bürgerkriegs General und Oberbefehlshaber des Parlamentsheers, der New Model Army. Er wurde zum Vorsitzenden des Gerichts ernannt, welches über den König urteilen sollte. Als er jedoch feststellen musste, dass das Ziel des Verfahrens die Hinrichtung des Königs war, nahm er sein Amt nicht mehr wahr. Nach dem Tod Karls I. zum Befehlshaber der Truppen in England und Irland ernannt, gab er im Jahr 1650 sein Amt auf, worauf Cromwell seine Stelle einnahm. 1660 gehörte Fairfax als Abgeordneter dem Parlament an, welches die Wiederherstellung der Monarchie beschloss und führte die Abordnung an, die Karl II. aus dem Exil zurückholte., an Monk George Monck, bis 1644 royalistischer Soldat, kämpfte seit 1650 als General unter Oliver Cromwell. Seine Unterstützung für gemäßigte Parlamentarier, die die Monarchie wiederherstellen wollten, erwies sich als entscheidend dafür, dass Karl II. im Mai 1660 seinen Thron wiedererlangte, der ihn mit dem Titel Duke of Albemarle und anderen hochrangigen Positionen belohnte.! Denkt an das Ende, Sir Eduard! setzte er leiser hinzu.
Und denkt an Rom, theurer Freund, sprach der Kanzler. Herrscht Rom mit Schwertern jetzt, seit einem Jahrtausend beinahe, über die Welt? Es herrscht mit einer großen Idee, welche die Menschheit begeistert und in den Kampf treibt. Seine Lehren über ewige Wahrheit und Recht sind zu Legionen geworden; es darf mit dem Fuß auf den Boden stampfen und sie wachsen überall hervor. So muß man die Menschen erziehen. Man kann der halben Welt die Köpfe abschlagen, die andere Hälfte aber muß überzeugt sein, daß es mit allem Recht geschieht. Immer nur Rechtsgründe, immer Beweise! Nie etwas, was Alle beleidigt; nie das Aeußerste, so lange es nicht sein muß, und keine rohe Soldatengewalt ohne Rechtsunterlage und Richterbegleitung. Die Richter, die Gesetze, die Prozesse und Urtheile, das sind die rechten Mittel; die Schwerter müssen nur das gute Recht schützen und seine Ausübung sichern.
In dem Augenblick trat ein Herr herein, der die letzten Erklärungen des Kanzlers an der Thür mit anhörte, und dann in französischer Sprache sagte:
Vortrefflich und weise docirt, gelehrter Herr Kanzler, aber haltet die Schwerter geschliffen und versäumt nichts, denn wahrlich, es ist nöthig, jede Stunde bereit zu sein.
Es war der französische Gesandte Barillon, das treuste und eifrigste Werkzeug seines Herrn, Ludwig des Vierzehnten, seit einer Reihe von Jahren der geschickte Unterhändler in London, der alle die schmachvollen Jahrgelder und Subsidien an Karl den Zweiten und an Jakob, wie an die Günstlinge, Hofleute und Minister der letzten Stuarts zahlte. Klein und behend von Körper, war Barillon eben so groß als Hofmann, wie als Diplomat. – Sein Einfluß unter Karl dem Zweiten verschaffte ihm den Namen des Regenten von England; Jakob, voll Eigensinn und größerer Herrschgier, suchte sich von ihm frei zu machen und fiel doch immer wieder unter seine Botmäßigkeit zurück. Denn man brauchte französisches Geld und Barillon hielt die Taschen zu, bis er hatte, was er wollte.
Wo ist der König? fragte der Gesandte, sich an Petre wendend. Ich habe Se. Majestät um Gehör zu bitten.
Der König ist im Lager, erwiederte der Jesuit.
So muß ich ihn dort aufsuchen, fuhr Barillon fort. Das Lager ist der rechte Platz für meine Neuigkeit.
Ist sie von so kriegerischer Bedeutung? fragte der Staatssekretär.
Meine Herren, erwiederte der Gesandte lächelnd, sie ist so kriegerisch und so bedeutend, daß jeder Engländer sein Schwert umschnallen sollte, sobald er sie hört. – Aber, wie befindet sich Se. Majestät?
Im besten Wohlsein! sagte Petre.
Aufgeregt durch die drängenden Ereignisse, fügte Sunderland hinzu.
Der Prozeß der Bischöfe! rief Barillon. Die Straßen Londons sind mit Menschenmassen angefüllt. – Was will der König im Lager? – Sollte er die Absicht haben, im Fall diese widerspenstigen Priester freigesprochen werden, Gewalt anzuwenden? – Ich widerrathe es durchaus. Es ist keine Zeit zum Durchführen des königlichen Willens. Dieser ganze Prozeß war gefährlich und jetzt ist nichts besseres zu wünschen, als eine Verurtheilung, der ein Akt der Gnade und Milde folgt.
Sunderland schüttelte leise den Kopf, der Jesuit richtete düster den Blick zu Boden.
Gewiß! ganz gewiß! fuhr der Gesandte fort, und indem er dicht an Petre und die Minister herantrat, sagte er mit bedeutungsvoller, langsamer Deutlichkeit:
Bei Nymwegen werden 10 000 Mann zu Fuß und 4000 Reiter in aller Stille gesammelt, eine niederländische Flotte von 60 Kriegsschiffen wird im Texel zusammengezogen. – Mein Herr, der König, weiß genau, wem dies gilt. Die Niederlande haben überall Frieden, aber in allen Städten Hollands wimmelt es von flüchtigen Engländern, und wie es hier und in Schottland steht, darf ich Ihnen, meine Herren, nicht ausmalen. – Hütet Euch alle, der Teufel ist los! Ist es da Zeit, Bischöfe zu hängen? – Seht Euch London an, jede Unbesonnenheit kann schreckliche Folgen haben.
Wenn die Bischöfe frei gesprochen werden, sagte der Staats-Sekretär, – was soll der König thun?
Gute Miene zum bösen Spiel machen, versetzte Barillon, leicht die Schultern zuckend, und – sie morgen zur Tafel einladen.
Unmöglich! murmelte Sunderland mit einem geheimen Blick des Hasses auf Petre. – Ich fürchte weit eher, daß er Alles wagt.
Begleiten Sie mich, Lord Staatssekretär, sagte der Gesandte rasch und laut. Mein Wagen hält unten, ich muß den König sprechen. Nehmen wir Theil an der Parade, es wird gut sein, daß wir nicht fehlen.
Und ohne eine Antwort abzuwarten zog er Sunderland am Arm fort. Petre erwiederte seinen flüchtigen Gruß mit einem tiefen Neigen des Kopfes, dann aber wandte er sich zu Jeffreys und sagte mit ausbrechender Erbitterung:
Dieser anmaßende Franzose soll sich dennoch betrogen haben, wenn er meint, die Tage kehrten wieder, wo er hier befehlen konnte!
Barillons Wagen eilte inzwischen rasch dem Lager zu und bald sah man dies mit seinen langen Reihen grüner Hütten, seinen Redouten und Schanzen in den Ebenen sich ausbreiten. Trompeten erschallten, ein kriegerischer Marsch begleitete die Reitergeschwader, welche in geschlossenen Massen sich hin und her bewegten, während die Sonnenstrahlen von den Brustpanzern und Helmen der Dragoner abprallten.
Der König hielt auf einem kleinen Hügel und sah dem glänzenden Schauspiele zu. Eine große Zahl Generale und Obersten war um ihn versammelt. Alle die vielen Tausende in Gefahren, Schlachten und Siegen gereifte Männer folgten den leisesten Winken ihrer Führer und diese standen ehrerbietig um den König, bei jedem gnädigen Wort sich beugend und voll Eifer ihm zu gefallen.
Eine lange Reihe von Gedanken schien durch Jakobs Brust zu gehen, endlich aber in der Frage sich aufzulösen, die er an den Befehlshaber der Gardereiter, an Lord Feversham richtete.
Die Ausrüstung ist trefflich, sagte er, und meint Ihr nicht, daß ich in allen Gefahren auf dies Heer mich verlassen kann?
Majestät, erwiederte der Lord, es sind lauter alte Soldaten, die keinem Feinde weichen werden, und wäre er ihnen an Zahl doppelt und dreifach überlegen.
Ich kenne sie, sprach Jakob rasch, und weiß, was sie werth sind, – ich befinde mich nie wohler, als wenn ich mitten unter ihnen bin. Meine Feinde sind ihre Feinde, mein Wille ihr Gesetz.
Unser Blut und Leben gehört unserem königlichen Herrn und Gebieter, sagte einer der Generale, auf welchen Jakob sein Auge richtete.
Churchill! rief der König, den großen schönen Mann näher winkend. Hast Du eine Bitte, so sprich, ich will sie erfüllen.
Ich habe keine Bitte, gnädigster Herr, erwiederte General Churchill; doch möge die Huld meines Königs mir und den Meinen nie getrübt werden!
Jakob lächelte und einige der Umstehenden blickten sich bedeutungsvoll an. Sie wußten alle, daß der König mit der Schwester des Generals einen anstößigen Liebeshandel gepflogen, aber das verstohlene Flüstern und spöttische Lächeln ward stärker, als Jakob huldvoll sagte:
Deine Familie hat sich um mein Haus vielfach verdient gemacht, Baron. Meine Huld soll Dir nie fehlen. Wende alle Deinen Fleiß und Deinen Einfluß an, um für mich zu wirken, wo Du es vermagst.
In diesem Augenblick hörte man im Lager der Infanterie einen dumpfen Lärm, der von weither zu kommen schien und immer heftiger und stärker, wie Meeresbrausen, sich fortwälzte. Man sah Menschen laufen und schreien, ein paar Reiter jagten über das Feld und schwangen ihre Hüte.
Was giebt es da? rief der König dem Lord Feversham entgegen, der zur Seite geritten war und sich nach der Ursache des Jubels erkundigt hatte.
Es ist nichts, erwiederte der Lord zurückkehrend. Die Soldaten freuen sich, die Bischöfe sind frei gesprochen!
Und das nennt Ihr nichts? sprach Jakob erbleichend. Das dünkt Euch nichts! wiederholte er, die Hand krampfhaft zusammenballend.
Die Gesichtszüge des Königs hatten sich verändert, alle Freundlichkeit und Gnade waren daraus entwichen. Die gelbe hohe Stirn färbte sich mit einem Blutschimmer, die Adern, welche sie durchkreuzten, schwollen dick auf, seine Augen erhielten den rachsüchtigen, bösen Glanz, aus welchem so oft schon unheilsvolle, grausame Beschlüsse gesprüht hatten.
Und während er mit zusammengebissenen Lippen stand und forschende Blicke auf seine Generale warf, vermehrte sich das Jubelgeschrei im Lager. Die Hurrahs brausten durch die Luft und plötzlich wurden auch die Reiter davon angesteckt. Von Schwadron zu Schwadron ging der Freudenruf. Die Schwerter funkelten im Sonnenschein über den Köpfen; Menschenströme wälzten sich aus der Stadt über die Felder, Weiber, Greise und Kinder, die von fern ihre Tücher und Hüte schwangen und in die Reihen der Soldaten sich mischten.
Zu derselben Zeit hielt Barillons Wagen dicht bei dem Könige. Der Gesandte und Lord Sunderland stiegen aus; der König hielt ganz allein auf dem Rande der Erhöhung. Wie aus Scheu vor seinem Zorne und den Befehlen, die er geben könne, hatte sein ganzes Gefolge sich zurückgezogen.
Als Barillon bei den Generalen vorüberging, murmelte manche Lippe ihm leise Flüche nach. Der Franzose war verhaßt, ganz Frankreich und das französische Bündniß längst ein Gegenstand des tiefsten Nationalunwillens. Aber Barillon lächelte mit seiner gewöhnlichen feinen Ruhe und ohne sich zu bedenken, trat er dicht an Jakob heran.
Ha, Sunderland! rief der König seinem Minister zu, sie haben es gewagt, diese Bischöfe frei zu sprechen!
Wir waren auf unserem Wege Zeuge der Volksaufregung, erwiederte Barillon an Stelle des schweigenden Lords.
Bei meinem Eide! sagte Jakob, die Hand heftig erhebend, sie sollen es bereuen. Sie sollen mir nicht aus dem Tower entkommen.
Darf ich Ew. Majestät um ein kurzes Gehör bitten, fiel der Gesandte ein.
Jakob warf einen mißtrauischen Blick auf den Franzosen. Er mochte ihn nicht leiden, denn Barillon hatte ihm häufig unangenehme Dinge aus Paris zu sagen und wenn der König Geld forderte, erhielt er Vorwürfe. Mit Widerstreben winkte er ihm Gewährung.
Majestät, sagte Barillon mit gedämpfter Stimme, es wird eine Zeit kommen, wo jeder Verräther zu finden ist, aber in dieser Stunde gebietet die Klugheit, zu schweigen und zu warten.
Ein Wort von mir, erwiederte Jakob finster, und Westminsterhall ist besetzt. Haltet mich nicht ab, zu thun, was Recht und Pflicht ist.
Ew. Majestät werden dies Wort nicht sprechen, fuhr der Gesandte mit aller Entschiedenheit fort. Hören Sie den Jubel im Lager und bemerken Sie die finstern Gesichter der Herren hinter uns.
Ich kenne ihre Treue, sprach der König, sie wird nicht wanken.
Ich zweifle nicht, aber – er neigte sich weiter vor und flüsterte leise: Ew. Majestät haben zu bedenken, daß es Protestanten sind, deren Köpfe der religiöse Wahn, wie wir sehen, erhitzt hat.
So will ich sie kalt und vernünftig machen, rief Jakob. – Churchill!
Noch ein Wort, Majestät. – Ich habe den Auftrag meines Herrn zu vollziehen, Ew. Majestät die sichersten Beweise vorzulegen, daß Heer und Flotte in Holland bereit sind, in England eine Landung zu bewirken.
Der König starrte ihn ungläubig, aber nachdenkend an. –
Sichere Beweise, sagt Ihr, murmelte er.
Vollkommen sichere Beweise, fuhr Barillon fort. – Wenn die Bischöfe von Neuem gefangen in den Tower gebracht, das aufgeregte Volk zur Wuth getrieben wird: glauben Ew. Majestät, daß diese protestantischen Soldaten auch dann noch gegen alle Empörer und Verräther fechten werden?
Jakob sah finster vor sich nieder. –
Kommen Sie nach Whitehall, rief er plötzlich den Kopf aufrichtend, augenblicklich, – ich erwarte Sie, – ich will Ihre Beweise hören!
Und ohne einen Gruß, ohne umzublicken, stieß er dem Pferde, das ihn trug, die Sporen in die Seiten und sprengte in wüthender Hast über die Felder und durch die Reihen seiner Soldaten. Weit hinter ihm blieb sein erstauntes Gefolge.
London war an diesem Abend glänzend erleuchtet. Unzählige Freudenfeuer brannten. Das Volk tanzte darum, das Bildniß des Papstes wurde in die Flammen geworfen. Auf Jeffreys', auf Sunderland's, auf Barillon's Tod, auf das Verderben aller Papisten wurden zahllose Gläser geleert.
Es war dunkel geworden, als Lord Jeffreys aus des Königs Palast nach Hause fuhr. Der ungeheure Wagen rasselte Westminster hinab, dem Strande zu, wo das Haus des Kanzlers stand. Die Straßen waren voll schreiender jubelnder Menschen, die ihn verfluchten; aber er lächelte heiter und gemüthlich, zog die Jalousien herauf, damit ihn Niemand erkennen möchte, und betrachtete durch die Spalten die wilden Gestalten und Gesichter, welche im Fackelschein bei ihm vorüber sprangen.
Nun, ihr wackern Jungen, sagte er wohlgefällig, schreit und schimpft, so viel es euch gefällt. Wir werden uns schon einmal wiederfinden und den Spaß fortsetzen. Ah, diese dummen Teufel, sie sind nicht werth, daß man sich Mühe giebt, ihre Galgengesichter zu behalten.
Endlich hielt der Wagen an dem Gebäude, das groß und dunkel seine Schatten über die schweigende Straße warf. Es war mit Seitenflügeln gebaut, zwischen welchen ein eisernes Gitter den Vorhof abschloß. Ein mächtiges Thor in der Mitte wurde aufgethan, der Wagen rollte hinein. Der Kanzler sah einen Augenblick seitwärts hinaus. Sein scharfes Auge erkannte eine Gestalt, die hinter dem dicken Steinpfeiler dicht an der Mauer stand. Er sah einen aufgeschlagenen Hut mit breiten Krämpen, einen matt leuchtenden Degengriff und einen schlanken, beweglichen Mann, der sich abwendete und weiter zu gehen schien.
Eine dicke Falte preßte die Stirn des Lords zusammen, gleich darauf aber sagte er belustigt:
Wenn es William Howe auch wäre, was schadet es, daß er hier seufzend herumschleicht? Er vertreibt sich die Zeit auf besondere Weise, der junge, gesuchte Kavalier. Statt in den glänzenden Salons unserer verliebten, gefälligen Damen fröhlich zu tändeln, umkreist er diese finstern Mauern und – kömmt nicht hinein, was das Beste an der ganzen Sache ist.
Der Kanzler stieg aus, die Bedienten hielten ihn an beiden Armen. Der Hofmeister mit dem großen Silberleuchter empfing seinen Herrn ehrerbietig an der Treppe und leuchtete voran. Es war ein großer, einäugiger, finster blickender Mann, dessen unheimliches Gesicht Schrecken einflößen konnte.
Wer ist hier gewesen, Tornton? fragte der Lord.
Niemand von Bedeutung, erwiederte der Diener. Einige Dutzend Bittschriften und Actenstücke werden Ew. Herrlichkeit auf dem Schreibtisch finden.
Es wartet auch Niemand? fuhr Jeffreys fort.
Niemand außer Master Thimble, der seit zwei Stunden im Vorsaale sitzt.
Und Fräulein Lätitia Grey, hat sie Besuch gehabt? Hat Jemand nach ihr gefragt?
Nein, Ew. Gnaden. Sie hat eine Stunde im Garten spaziert und ist dann wieder hereingekommen. Wilkins und ich waren immer bei der Hand. Weder ein Brief, noch irgend eine menschliche Seele ist ihr nahe gekommen.
Gut, sagte Jeffreys, ich hoffe, Frau Burns leistete ihr Gesellschaft.
Ei gewiß, erwiederte der Hausmeister. Die vortreffliche Dame thut was sie kann, um dem Fräulein zu Diensten zu sein.
Der Kanzler blieb einen Augenblick an dem großen Tisch stehen, der die Mitte seines Zimmers einnahm, und wühlte unter dem Haufen verschiedener Papiere und Schriften, mit denen dieser bedeckt war. Der grämliche Tornton zündete inzwischen zwei Kerzen an und fragte, ob er Wilkins heraufsenden sollte.
Nein, erwiederte der Lord, du kannst gehen; doch halt, noch Eins. Als mein Wagen in den Hof fuhr, schlich draußen ein Mensch umher, der ein verdächtiges Ansehn hatte. – Sieh zu, ob er sich blicken läßt und vertreibe ihm das Wiederkommen. Ueberhaupt sei auf deiner Hut. Laß Niemand in dies Haus, das ich deiner Wachsamkeit anvertraut habe.
Ohne Sorge, mein gnädiger Herr, sprach Tornton mit Würde. Ew. Gnaden kennen mich. Sein Mensch, der Fleisch und Bein besitzt, wird es wagen, ohne meinen Willen und mein Wissen den Fuß über die Schwelle zu setzen, ebenso wenig aber wird Jemand hinauskommen, der drinnen ist.
Wohlgesprochen, Tornton, sagte der Kanzler; ich kann mich auf Dich verlassen, und besser ist es oft, ein Auge zu haben, das scharf um sich sieht, als hundert. Selbst der Argus wurde betrogen.
Mich betrügt Keiner, erwiederte der Hausmeister.
Wenigstens hält es schwer. Du bist Jahre lange mein bester Fanghund gewesen, der das Wild in seinen verstecktesten Zufluchtsorten auffand.
Ew. Herrlichkeit denkt an James Grey, murmelte Tornton mit einem häßlichen Laden.
An James Grey und an Andere, die Du ans Messer liefertest. – Ha, Tornton! die Welt wird immer schlechter. Die treuen und schlauen Männer, welche Gesetz und Richter brauchen, nehmen ab. Man mag bezahlen und belohnen, so viel man will, es ist stumpfsinniges Gesindel, das ohne Talent und Liebe zur Sache sein Häscher- und Spionenwesen treibt.
Der geschmeichelte Diener verzog wohlgefällig sein breites, blatternarbiges Gesicht.
Wie es damals war, wird es nicht wieder, sagte er kopfschüttelnd. Als wir den Herzog Monmouth jagten, hatte ich ein Häuflein zusammen, das den Teufel aus der Hölle geholt hätte, wenn er seine Nase in die Verschwörung steckte.
Und wo sind sie geblieben? fragte Jeffreys, muthwillig mit den Augen zwinkernd.
Theils erschlagen von rachgierigen Ketzern, sagte Tornton, theils zu Krüppeln gemacht in blutigen Balgereien, theils wegen kleiner Fehler auf des Königs Heerstraße aufgehängt oder deportirt.
Nun, rief der Kanzler, es war ihr Schicksal, sie sind gut aufgehoben. Leider ist der Nachwuchs schlecht, das ist daran zu bedauern. – Du bist am besten weggekommen, Tornton, fuhr er auf und abgehend fort. Ein Auge ist Deine ganze Einbuße und nun hast Du nichts zu thun, als ein Haus und ein Mädchen zu bewachen.
Beides ist freilich keine große Sache, Euer Gnaden.
O Du Narr! erwiederte der Kanzler. Weißt Du nicht, daß nach dem alten Sprichwort leichter ein Mückenschwarm zu bewachen ist, als ein Weib?
Dann muß das Weib danach sein, sagte der Alte.
Also diese, meinst Du, ist nicht danach?
Nein, Euer Gnaden, ich habe sie noch nie lachen gesehen.
Das ist ein Vorzug ihrer Ehrbarkeit.
Und noch nie ein fröhliches Gesicht.
Sie weiß, wohin Du ihrem Vater geholfen hast.
Ich habe ihn nicht verurtheilt, sprach Tornton, aber sie mag glauben, daß ich die Ursach bin; denn immer wendet sie sich fort, wenn ich komme.
Sie spricht also nie mit Dir?
Weder mit mir, noch mit einem Anderen.
Gräme Dich nicht darum, erwiederte Jeffreys lachend, auch mit mir spricht sie nur mit Ja oder Nein oder was durchaus nöthig ist.
Ew. Gnaden Güte ist unermeßlich, sagte der Hausmeister; ich sehe es wohl, wie wenig sie es dankt.
Die Menschen sind immer undankbar, Tornton.
Aber diese Lady, die nie lacht, nie den Kopf aufhebt, nie einen freundlichen Blick hat, nie fröhlich und leichten Fußes, wie junge Damen thun, durch dies alte Haus eilt, sondern schwarz und schwer wie ein Gespenst durch Zimmer und Gänge wandelt, ist abgestorben für alle Empfindungen.
Für alle Empfindungen! murmelte der Kanzler.
Es muß ein Höllenleben sein, immer in dies stumme, finster brütende Gesicht zu sehen.
Du möchtest es nicht, Tornton?
Nicht um alle Schätze der Welt, sagte der Hausmeister sich schüttelnd. – Sie sieht ihrem Vater so ähnlich und oft ist es mir, als erblickte ich den alten Edelmann, wie er vor den Geschwornen stand, als ich Zeugniß gegen ihn ablegte.
O, du Narr! rief Jeffreys, rege Dich nicht unnütz auf. Die Todten kehren nie zurück und dieser alte Grey, dessen ganze Familie in Monmouths Verschwörung verwickelt war, starb, wie sie Alle starben, mit einem Fluch über seinen Richter, über mich. Fürchte Dich nicht, ich nehme Deine Schuld auf mich. Gehe jetzt und schicke Thimble herein, ich will den Schuft sprechen, da es so sein muß.
Der einäugige Hausmeister ging, nur Jeffreys wanderte, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, langsam auf und ab. – Sein mächtiger Kopf mit den gemeinen, breiten, rohsinnlichen Zügen, neigte sich nachdenkend auf die Brust hinunter; er lächelte höhnisch vor sich hin und sagte dann zwischen den Zähnen hervor:
Hat sie keine Empfindungen, um so besser. Haßt sie mich, nun sie mag es thun. Mehr als ein Mädchen hat voll glühenden Hasses das Brautbett bestiegen, und beim heiligen Joseph! es macht mir Freude, daran zu denken. Geliebt sein von einem Weibe, ist alltäglich. Die Weiber lieben eher Zehntausend, ehe sie einen so recht von Herzen hassen; aber gehaßt sein mit glühender, rachedüstiger Wuth und doch sich in Liebe ergeben müssen unter Priestersegen und Orgelklang, das ist beneidenswerth, das ist selten und erhaben, das ist ein Triumph, nach dem ich lechze. – Ha, Thimble!
Mit diesen letzten lauten Worten wandte sich der Lord der Thür zu, die er hinter sich öffnen hörte und plötzlich war sein Gesicht umgewandelt, der boshafte Glanz seiner Augen erloschen. Mit der Würde des Lord-Kanzlers von England ging er langsam auf den kleinen, blassen Mann los, der sich an der Schwelle ängstlich verneigte und wieder aufrichtete und mit Achselzucken, Seufzern und verstörten Blicken seinem hohen Gönner antwortete, ohne daß dieser ein Wort gesprochen hatte.
Wahrhaftig! rief Jeffreys, ich habe von Euch Besseres gedacht, Herr Thimble. Ich hielt Euch für einen Mann, der treu und unerschütterlich an seines Königs Sache und an seiner Kirche hängt und eher zu einer Rübe zusammengeschrumpft wäre, ehe er losgelassen hätte. – Warum, bei allen Teufeln! habt ihr in das freisprechende Urtheil der Bischöfe gewilligt?
Ew. Herrlichkeit, erwiederte der blasse, dünne Mann stotternd – oh! ich wollte nicht – ich stemmte mich mit aller Macht – mit Händen und mit Füßen, aber –
Aber Euer Magen, Eure Gefräßigkeit, fiel der Kanzler ein. Ihr seht aus wie ein Spulwurm, wie ein Mann, der für elf Andere hungern kann, wenn es etwas gilt, und jetzt haben die dicksten Goldschmiede und Kohlenhändler in London Euch zu Schanden gemacht.
O! wenns nur der Hunger wäre, ächzte Thimble, aber Ew. Herrlichkeit wissen nicht, wie das Gewissen mürbe gemacht wird, wenn ein ehrlicher Mann eine ganze Nacht lang unter zehn oder elf Spitzbuben sitzt, die mit geballten Fäusten und Zähnknirschen, mit wüthenden Flüchen und furchtbaren Redensarten um sich werfen und draußen heult das Volk, hält Fackeln in die Luft, ruft Hurrahs für die Bischöfe und Verwünschungen über die Geschwornen.
Und davon habt Ihr Euch schrecken lassen? rief Jeffreys verächtlich. Dachtet Ihr nicht an mich, an den König, an Alle, die Euch schützen können?
Ach! Ew. Herrlichkeit, erwiederte Thimble, sind denn nicht Soldaten, Matrosen, Lords und Herrn und das ganze Land wider Euch in dieser Sache? Wo ist der Schutz, wenn man sieht und hört, wie Alle fluchen und schwören, es werde bald der Tag kommen, wo für die Verräther Galgen und Strick bereit sind?
Und dazu hat Euer Hals keine Lust, Ihr Schuft, sagte der Lord, indem er einen gemeinen Fluch ausstieß. Ihr wollt ihn retten, weil es Euch scheint, er könnte so gut wie der meinige in Gefahr kommen. – Du bist ein verdammt kluger Kerl, Meister Thimble, das gefällt mir. Ich werde Dich wieder rufen lassen, wenn ich Dich brauche.
Ew. Herrlichkeit ist erzürnt gegen mich, sagte Thimble demüthig, aber ich bin unschuldig, edler Lord. Ich habe Alles versucht und gethan, was ich vermochte, habe mich gestemmt, wie ich konnte, habe mir zugerufen, Gott und der König wollen es, daß diese Männer schuldig befunden werden, und dennoch, ja dennoch ist das: Unschuldig! über meine Lippen gekommen. Ich weiß nicht, wie es geschah. Eine Stimme Innern hat mich dazu getrieben, es war eine Macht, der ich nicht widerstehen konnte.
So etwas, was man Gewissen nennt oder dergleichen, rief Jeffreys spottend. Ah, ich kenne das! Doch nun geht, mein gewissenhafter Meister, und laßt Euch von dem Volk auf den Schultern durch die Straßen tragen, wie die Anderen.
Dort hinaus, fuhr er fort, als Thimble sich zerknirscht zum großen Eingang wandte, geht der Weg, den Ihr gekommen seid, Tornton wird Euch hinaus lassen.
Euer Gnaden, sagte der kleine Mann bittend, ich möchte nicht gern wieder jenen Weg nehmen. Es ist dunkel in dem großen Vorsaal und was ich da eben gesehen habe, jagte mir Schrecken ein, wie ich gern zugestehen will.
Was habt Ihr denn gesehen? fragte der Kanzler.
Gesehen freilich nicht viel. – Ich saß auf dem Stuhle am Kamin und war, wie ich glaube, beinahe eingeschlafen. Plötzlich hörte ich eine Thür öffnen. Es rauschte wie mit schweren, schleppenden Kleidern und daneben klang es, wie der Schritt eines Mannes, der Sporen trägt und vorsichtig vorwärts schreitet. – Ein Flüstern und Lachen kam aus der Ecke.
Wer lachte? rief Jeffreys.
Ich weiß es nicht, fuhr Thimble fort, aber sicher war es eine Dame. Eine tiefe, männliche Stimme flüsterte mit ihr und der Mann mußte sein blankes Schwert in der Hand tragen, denn ich hörte es klirren und in die Scheide stoßen.
Ihr träumtet! sagte der Kanzler erstaunt. Weder eine Dame noch ein Mann mit Schwert und Sporen kann in dem Saal gewesen sein.
Nein, Ew. Herrlichkeit, betheuerte der Zeuge, ich weiß, daß ich wachte. Eine Minute später kam Tornton, um mich zu rufen. Ich saß erschrocken aufrecht und starrte die Wände an, aber es war nichts zu sehen.
Sagtet Ihr Tornton davon?
Ich erzählte es ihm, aber er lachte mich aus. Ich weiß jedoch, was ich gehört habe und möchte mit Ew. Herrlichkeit Erlaubniß darum nicht wieder durch den einsamen, finsteren Saal gehen.
So wartet, ich will Euch selbst begleiten, sagte der Kanzler, und schnell entschlossen nahm er aus einem Fach des Schreibtisches ein Pistol, das dort für den Fall eines plötzlichen Anfalles bereit lag, dann steckte er das Schwert in das Gehenk, setzte den Hut auf und ergriff einen der silbernen Doppelleuchter.
Folgt mir und schweigt, sprach er zu dem furchtsamen Thimble. Wir wollen sehen, ob wir Eure Gespenster finden und fangen können.
Mit leisen und vorsichtigen Schritten ging der Kanzler voran durch den finstern Gang, der zum Saale führte, in welchem Thimble sein Abenteuer erlebt hatte. Eben so vorsichtig, aber mit geheimem Grauen folgte dieser, obwohl die Begleitung des furchtbaren Lords seinen Muth aufrichtete.
Jeffreys gehörte keineswegs zu den feigen Tyrannen, die mit Lust morden lassen und vernichten, aber vor jeder Gefahr, die ihnen selbst zustößt, die Flucht ergreifen. Sein kräftiger Körperbau voll Muskeln und Sehnen zeigte seine Stärke an und mehr als einmal hatte er bei Angriffen auf sein Leben großen, persönlichen Muth bewiesen. Freilich wußte er, daß Beistand ihm nahe war und seine Rache sich sättigen konnte.
So mochte es auch jetzt sein, als er mit gänzlicher Unbesorgniß die schwere Eichenthür des Saales öffnete und, den Leuchter langsam emporhebend, das Licht der Kerzen über den hohen, öden Raum flackern ließ. Es war eine jener weiten gewölbten Hallen, die in alterthümlichen Gebäuden den Vereinigungspunkt verschiedener Gallerien bilden. Die gothisch gespitzte Decke lief in einen Pfeiler zusammen, der alle ihre Strahlen verband; ein breites Fenster voll bunter Glasmalerei sah in den Hof hinaus, an den Wänden hingen verstäubte Ritterbilder zwischen zermürbten Fahnen und mitten darunter erhob sich ein mächtiges Kreuz mit dem rohgeschnitzten Bilde dessen, der daran endete. Der Boden des Saales bestand aus grauen und weißen Steinplatten, die zum Theil ausgesprungen waren, ein ungeheurer Kamin befand sich dem Fenster gegenüber und vor und neben ihm standen einige schwerfällige Sessel mit hohen Lehnen zum Ausruhen für die Wartenden.
Der Lord beschrieb mit dem Lichte einen Halbkreis und ließ seine scharfen Augen musternd dem Scheine folgen.
Aus welcher Gegend hörtet Ihr zuerst das Lachen? fragte er.
Von dort kam es, erwiederte Thimble.
Und jene Thür da, meint Ihr, wurde geöffnet?
Ja wohl, jene Thür, Ew. Herrlichkeit.
Also die Treppe herauf wären sie Beide gekommen?
Ich weiß es nicht, gnädiger Herr.
Es kann nicht anders sein, sprach der Kanzler halb für sich. Aber diese Treppe führt in Tornton's Dienstzimmer. Ohne sein Wissen kann Niemand in den Gang. – Es scheint mir unglaublich.
Es ist aber dennoch so, betheuerte Thimble.
Und wohin gingen die beiden Gestalten? fuhr der Lord fort. Kamen sie Euch näher?
Nein, sie schienen an der Wandseite zu bleiben, aber ich weiß nicht, was aus ihnen wurde. Als Tornton mit dem Lichte kam, waren sie verschwunden.
Ein seltsam wildes Lächeln flog über das rothe Gesicht des Kanzlers.
Steigt hinab, sagte er zu seinem Begleiter, klopft an Torntons Thür und bringt ihn herauf. – Nehmt das Licht, Hans Hasenfuß, fuhr er fort, als er das ängstliche Gesicht des kleinen Mannes sah, ich werde mich besser mit der Finsterniß vertragen als Ihr.
Thimble griff dankend mit beiden Händen danach und verschwand. Der Lord hörte ihn die Stufen hinunterpoltern, dann ging er durch die finstere Halle auf den Winkel los, den Thimble ihm bezeichnet hatte. Er tappte umher und zog unmuthig die Hand von dem Kreuz zurück, das sie ergriff. Leise schritt er weiter; endlich blieb er stehen und suchte an der Wand, bis er mit einem Laut der Ueberraschung zurück trat.
Bei allen Teufeln! sagte er, die Thür ist offen. Wer hat das gethan? Wer ist der Verräther in meinem Hause?
In diesem Augenblick hörte er die Schritte des Hausmeisters auf den Steinstufen und rasch wendete er sich zu dem alten Diener um, der verwundert seinen Herrn anstarrte.
Komm her, Tornton, sprach der Lord mit gedämpfter Stimme.
Der Hausmeister trat ihm näher, verbeugte sich ehrerbietig und richtete sich stumm fragend wieder auf.
Nein, Du bist es nicht, sagte Jeffreys; aber wer, Teufel und Hölle! wer wagt es, mich zu verrathen?
Niemand, mein gnädiger Herr, erwiederte der Alte.
Aber Thimble hat einen Mann mit Schwert und Sporen hier gesehen.
Er hat geschlafen und geträumt.
Ein Weib im schweren Schleppkleide war bei ihm. Sie lachte.
Er lügt, der Trunkenbold. Hier lacht Niemand.
Jeffreys nahm dem Hausmeister das Licht aus der Hand, winkte ihm zur Nachfolge und indem er an einem kleinen Metallringe die genau eingefugte Wandthür leise aufzog, sagte er:
Sieh her, Tornton, diese Thür ist geöffnet. Wer hat das gethan? Du und ich, wir allein haben Schlüssel dazu.
Torntons Auge glühte wie ein Feuerball. Er faßte den kleinen Ring wieder an und die Thür öffnete sich abermals.
Bei Gott! sie ist nicht verschlossen, murmelte er, und ich weiß gewiß, daß, als ich in der Dämmerung hier vorüberging, ich eben so wie jetzt an dem Ring zog und sie fest verwahrt fand.
Nun, so hat ein Dritter während dessen sie benutzt.
Nein, Herr, nein! erwiederte der Hausmeister. Es kann nicht sein. Niemand kann hier hinein ohne mich.
Geh', sagte Jeffreys, rufe meine Diener zusammen, nehmt Waffen zur Hand, besetze diesen Saal und stelle Wachen aus.
Ew. Herrlichkeit wird und kann nichts finden, brummte Tornton.
Der Kanzler winkte ihm zu schweigen und zeigte auf das Licht, das er mitnehmen sollte, um seinen Befehl rasch zu vollziehen. Dann blieb er an der Thür stehen und kreuzte die Arme, indem er darüber nachsann, wie er zu verfahren habe.
Das tiefe Schweigen im Saale wurde durch nichts unterbrochen, und nur wenn der Fuß des Wartenden ungeduldig auf die Steinplatten stampfte, dröhnte der Schall durch das Gewölbe und schüttelte kleine Kalkstücke von den Gesimsen. Jeffreys lehnte sich an das Kreuz, in dessen mürbem Holz der Todtenwurm pickte und er lachte dumpf vor sich hin über das memento mori, das ihm an Rücken und Kopf zu klopfen schien. –
Er wandte das Auge dem Fenster zu, an welchem zuweilen ein rothbrauner Lichtschein vorüberstreifte, der vom andern Ufer der Themse kam, wo schreiende Volkshaufen hinzogen, deren Toben dem Grollen fern brandender Wogen glich, die an den düsteren Felsenmauern seines Palastes abprallten. Es schien ihn zu belustigen, wenn er dachte, daß diese verworrenen Töne Flüche waren, die über ihn ausströmten, Triumphgeheul über seine Niederlage und höllische Gesänge auf seinen Untergang. Seine verachtenden Blicke verfolgten den Feuerschein und leise murmelte er vor sich hin:
Es wird nie anders werden, nie besser! Diese Bestie, die man Volk nennt, wird immer Peitschen und Henker haben müssen. O! ihr Thoren, die ihr an Tugend und Belohnung glaubt. Hört den Todtenwurm, er sagt euch die Wahrheit. Euer Erlöser am Kreuz wird zernagt, eure Flüche und eure Fackeln sind in der nächsten Minute zu Nichts geworden. – Endloses Nichts! endlose Vernichtung! Darum lebt und nehmt, was ihr nehmen könnt.
Seine Worte rollten wie hohles Murren durch die Nacht; plötzlich aber richtete er sich auf und blieb in horchender Erwartung stehen. – Ein Geräusch kam aus dem Gange hinter der Wandthür. Jeffreys warf einen flammenden Blick auf diese und legte die Hand an den Degen, den er rasch aus der Scheide zog. So stand er wie ein Tiger zum Sprunge bereit, wüthend über die Zögerung Torntons, der noch immer nicht erscheinen wollte.
Er war gewiß, daß in dem Gange hinter der Thür zwei Personen vertraulich beisammen standen. Er hörte flüsternd sprechen, und wie er das Ohr andrückte, abgerissene Worte, die eine tiefe Stimme sprach, welche er zu erkennen glaubte.
So lebt denn wohl, theuerste Lätitia, sagte der Sprechende endlich deutlich genug. Harrt geduldig aus und täuscht den nichtswürdigen Tyrannen nur noch ein kleines Weilchen. Es ist köstlich zu denken, wie er, der schlauste und ränkevollste Schelm, den je die Erde getragen hat, von einem Mädchen überlistet wird, das unter Schloß und Riegel aller seiner Pfiffigkeit spottet.
Lacht nicht, William, erwiederte die, an welche diese Worte gerichtet waren. Erst wenn ich von diesem entsetzlichen Bösewicht befreit bin, wird mein Herz leichter werden.
O! fürchtet nichts, theure, geliebte Lätitia, sagte der, den sie William nannte und bei dessen Namen Jeffreys die Zähne wild zusammen biß; Ihr wißt, wie thätig Eure Freunde sind. Ihr wißt, was heute Abend noch geschieht und bald, meine edle, unglückliche Freundin, bald wird die Erlösungsstunde schlagen, wo Ihr mit uns Allen, aber besonders mit mir Euch freuen dürft.
Ein Kuß, den die Dame dem zärtlichen Freund gestattete, machte eine Pause in dem Gespräch.
Nun fort, flüsterte sie. Ihr seid fürwahr zu unbesonnen, zu heftig. Ach lieber, theurer William, daß Ihr gehen müßt! Und doch, eilt, eilt und kommt zurück, so bald es möglich ist.
Nach einem Augenblicke wurde die Thür geöffnet und hastig trat eine dunkle Gestalt heraus, die mit einer raschen Wendung an Jeffreys hinstreifte, der, ohne ein Wort zu sagen, einen Degenstoß nach ihr that. –
Die Wendung, welche der Fremde gemacht hatte, um wahrscheinlich die Thür zuzuschließen, rettete sein Leben. Der Degen des Kanzlers fuhr bis ans Heft durch sein Kleid, aber eben so lautlos, wie er den Stoß empfangen hatte, griff er nach dem Arm, der ihn gethan und führte mit dem andern einen Schlag nach seinem unbekannten Feinde, der diesen an der Kopfseite traf und fast betäubte.
Jeffreys suchte sich zu befreien, zu gleicher Zeit aber sein eigenes Leben zu sichern. In der dichten Finsterniß faßte er mit seiner Linken den rechten Arm seines Gegners und fühlte sich festgepackt. So standen sich die beiden Männer einige Augenblicke gegenüber; beide heftig ringend, um sich loszureißen, beide, voll Besorgniß vor der freien Hand, die nach einer Waffe greifen konnte, und beide voll Kraft und Entschlossenheit, es zu hindern.
Vergebens riß der Kanzler seine Arme zurück, er war wie von eisernen Klammern festgehalten. – Es lag ihm nicht daran, irgend eine Frage an den zu thun, der ihn hin und her bog, aber ihn abzuhalten suchte, daß er sein Kleid nicht fassen konnte. Er wußte, wer der Verwegene war und dieser wußte, wie wenig er auf Schonung zu rechnen hätte, wenn er in Jeffreys Gewalt gerieth. – Sein Einschleichen bei Nacht hätte selbst seinen Tod gerechtfertigt und der Degenstoß, der ihn verfehlte, sagte deutlich genug, was der blutgewöhnte Lord beabsichtigt hatte.
Jeffreys rechnete darauf, seine Rache befriedigt zu sehen. Er fühlte die überlegene Macht der Hände, die ihm die Muskeln zerquetschten und krampfhafte Schmerzen verursachten, aber nur wenige Minuten noch und Tornton mußte kommen. Hier war kein Ausgang, kein Entrinnen. Er wollte keine Zeugen, kein Licht, kein Weib, das aus der offenen Wandthür herbeieilen konnte, um durch ihr Geschrei oder ihre Bitten ihn zu hindern. Darum rief er auch jetzt noch nicht um Hülfe, selbst nicht, als er fühlte, daß seine Finger erlahmten und seine Kräfte schwanden. Er warf sich mit vermehrter, äußerster Wuth auf den verhaßten Mann, den sein heißer, keuchender Athem überströmte, und rief ihm mit wildem Triumph zu:
Elender, jetzt bist Du mein! – Tornton! hierher, herbei; hierher!
In demselben Augenblick, wo von unten herauf die Stimme des Hausmeisters gehört wurde, ließ der Unbekannte den Arm des Kanzlers los, aber er faßte dafür seinen Leib und warf ihn mit Blitzesschnelle und so großer Gewalt zu Boden, daß Jeffreys, der mit dem Kopf gegen den Fuß des Kreuzes fiel, die Besinnung verlor. – Er stieß einen Schrei aus und wollte sich aufrichten, aber er sank zurück. Vor seinen Augen tanzten Flammen, er hörte nichts als ein ungeheures Brausen und Krachen, wie Gewitterschläge; endlich aber schien die Finsterniß sich langsam zu zertheilen, er erkannte ein Licht, dann zwei und drei, und wild um sich blickend, sah er dicht vor sich das harte, einäugige Gesicht Torntons, der ihn mit Schrecken und Erstaunen betrachtete, während zwei andere Diener ihn mühsam aufgerichtet hatten und unter den Armen festhielten.
Des Kanzlers erste Worte waren: Wo ist er? Wo habt Ihr ihn? Lebt er?!
Seine Augen strahlten ein dämonisches Feuer aus und über sein blutrünstiges Gesicht fuhr ein entsetzliches Lachen.
Wer soll leben, Ew. Herrlichkeit? fragte Tornton.
Er! – Er! schrie Jeffreys, indem er sich losriß. – Du fragst? Du mußt ihn gesehen haben, Verräther! – Er war hier – hier! – Da liegt mein Degen zertreten, mein Hut und ich am Boden. Ihr höllischen Mächte, es ist unmöglich!
Der Einäugige sah kopfschüttelnd seinen Herrn und dann seine erschrockenen Untergebenen an, die scheu zurückgetreten waren.
Mein gnädiger Herr, sagte er halblaut, besinnen Sie sich doch. So alt ich bin, ich habe Sie nie so gesehen.
Der Lord drückte die Hände an seine Stirn, dann riß er Tornton das Licht aus der Hand und beleuchtete den ganzen Raum, auf welchem das Ringen stattgefunden hatte. – Nicht eine Spur, sagte er, nicht das geringste Zeichen hat er hinterlassen.
Wenn es ein Gespenst oder sonst ein höllisches Wesen war, murmelte der Hausmeister, so lassen die niemals eine Spur zurück.
Narr! rief Jeffreys, ein Gespenst wirft keinen Mann nieder, daß ihm die Sinne vergehen.
Aber der Teufel thut es! sagte Tornton. Er fällt den Menschen an, wie ein Löwe. Soll ich einen Priester mit Weihwasser rufen lassen, Ew. Herrlichkeit? Ich weiß einen frommen Mann in der Nähe, der alle böse Geister bannen kann.
Schweig, erwiederte der Kanzler, der seine Ruhe wieder gewonnen hatte und wohl sah, daß der Glaube, der Teufel habe den Versuch gemacht ihn zu holen, bei Tornton Eingang gefunden, ich weiß genau, daß ich es mit einem Menschen zu thun hatte, der Fleisch und Blut besaß, wie wir Beide. – Er kam dort aus der Thür und wollte fliehen, als ich ihn aufhielt. Mein Degen traf ihn nicht, oder doch schlecht. –
Ew. Herrlichkeit hätte lange stechen können, fiel Tornton ungläubig ein.
Nein, guter Freund, Du bist im Irrthum, ich hatte ihn in meinen Händen, als ich Deine Stimme unten im Gange hörte.
Wir vernahmen Ew. Gnaden Ruf und stiegen schnell die Treppe hinauf.
Und Ihr hörtet und sahet nichts?
Nichts, sagte der Hausmeister, nichts als Ew. Herrlichkeit ohnmächtig am Boden und aufgewirbelten Staub.
Dann giebt es nur einen Weg für ihn, fiel der Lord ein. Die Thür zu meinem Zimmer ist von mir selbst verschlossen worden, als ich Thimble begleitete. – Er ist hingegangen, woher er gekommen, dort durch die Wandthür.
Es kann nicht anders sein, sprach Tornton. Wenn er nicht etwa –
Was? fragte Jeffreys.
Durch den Kamin gegangen ist.
Trotz seiner Schmerzen, die er von dem Fall fühlte, konnte Jeffreys sich des Lachens nicht erwehren, das sich in seinen Aerger mischte. – Er hob den Degen auf und bog ihn gerade, nahm Tornton den gedrückten Hut aus der Hand und setzte ihn auf, nachdem er sein Haar in Ordnung gestrichen; dann ließ er es geschehen, daß der alte Diener seinen Rock säuberte, so gut es gehen wollte.
Ew. Gnaden würden gewiß wohlthun, sagte der Hausmeister bittend, wenn Sie diesen öden Saal verlassen und in Ihr Zimmer zurückkehren wollten.
Wenn wir den Teufel gefangen haben, erwiederte der Lord.
O! Herr, Herr! versetzte Tornton, wer hätte den je gefangen?
Nun, so will ich es versuchen, fuhr Jeffreys fort. – Ihr da an der Thür bleibt stehen, wo ihr steht, und wer bei euch vorüber will, todt oder lebend, haltet ihn fest. – Du, Tornton, ziehe Dein Schwert und stelle Dich an diese Wand. So bald Du meinen Ruf hörst, komm mir zur Hülfe, und wenn Du mich in Gefahr erblickst, thue Deine Pflicht.
Er nahm das Licht und schritt in den Gang durch die offene Wandthür.
Der Einäugige sah ihm kopfschüttelnd nach und flüsterte dann leise:
Er wird nichts finden, so wahr ich ein Christ bin! Es muß einer von seinen Anfällen sein, die ihm früher zuweilen kamen. Habe ich ihn nicht schon gesehen blaß und zitternd, aus tiefem Schlafe mit Geschrei auffahrend und die Wände anstarrend, oder im Traume stöhnend und heulend, daß mir grauste? – Aber das ist lange her, fuhr er fort, und wenn er aufwachte, war's vorbei. – Er kann immer lachen, wenn er will, und Scherze machen, wenn Alle weinen. Heut muß der böse Feind ihn angefaßt haben; aber es ist einerlei. Kommt Einer, der Fleisch und Bein hat, soll er nicht von der Stelle.
Der Kanzler schritt inzwischen vorsichtig weiter. Er trug das Licht hoch in der Hand und leuchtete nach allen Seiten umher. Die Fenster, welche weit oben an der Mauer angebracht waren, glichen Schießscharten; durch sie konnte Niemand entkommen. Thüren gab es hier nicht; nur im Hintergrunde zeigte sich eine hohe, stattliche Thür, vor welcher Jeffreys stehen blieb und sein Ohr anlegte, um besser zu hören.
Ein leises Gemurmel drang zu ihm hin, das bald stärker, bald schwächer sich rhythmisch hob und senkte.
Ich glaube, die alte Burns betet den Abendsegen, murmelte er verächtlich. Das Weib muß darum wissen; sie ist meine Tante, ich habe ihr wohlgethan, und doch ist sie fromm und kann beten!
In demselben Augenblick begannen die leisen Klänge einer Harfe in scharfen und gebrochenen Tönen. Lange, schwermüthige Accorde zogen geisterhaft durch den öden Raum und verhallten darin. Nach kurzen Pausen kehrten sie wieder, wie die Seufzer eines Sterbenden, bis endlich Jeffreys nichts mehr vernahm.
Wie das schuldlos klingt, sagte er höhnend, voll Schmerz und Sehnsucht, man sollte meinen, es sei wahr. Ja, bei aller Falschheit! wenn ich es nicht besser wüßte, ich könnte glauben, ein Teufel habe sein Spiel mit mir getrieben. – Hinein denn, und wahrhaftig, mein Jüngferchen, laß mich sehen, ob Du den elenden Tyrannen auch jetzt noch betrügen kannst. –
Er verzog sein Gesicht so freundlich und süßlächelnd, wie er immer that, wenn er einen Verbrecher verderben wollte, klopfte leise an die Thür und öffnete behutsam. Dann trat er geräuschlos in das matt erhellte Zimmer.
Das große Gemach war mit allem Luxus der damaligen Zeit ausgestattet. Hohe Stühle mit schweren Seidendamast bedeckt, Tische von eingelegter Arbeit, Teppiche aus den Niederlanden und Kristalle aus Frankreich bildeten ein reiches und mannigfaltiges Mobiliar. – Auf den schweren Armleuchtern von venetianischer Arbeit brannten dreifache Wachskerzen, Dennoch aber blieb Dämmerung genug in dem hohen Raum und einige Augenblicke stand der Kanzler still und sah prüfend umher. –
Ein Fenster war geöffnet und ließ die laue Luft der Sommernacht herein, aber der süße Duft aus den Ranken der Violen, welche bis hier herauf geklettert waren, um leise an die buntgemalten Scheiben zu klopfen, konnte nur durch ziemlich enge eiserne Gitterstäbe dringen, die der Baumeister in die dicke Mauer eingelassen.
Die Fenster dieser Gemächer, welche der Kanzler seinem Mündel zur Wohnung angewiesen hatte, waren überall mit solchen starken Stäben versehen, und der einzige erlaubte Ausgang führte auf die große Freitreppe des Hauses, die bei Tag und Nacht von Tornton unter Aufsicht gehalten wurde und obenein mit doppelten Thüren verschlossen ward, sobald die Dämmerung eintrat. – Der Nebenausgang, welcher in den Kreuzsaal führte, blieb immer verschlossen und wurde allein von Jeffreys benutzt, um unbemerkt und schnell zu Lätitia gelangen zu können.
Als der Lord-Oberrichter den unglücklichen, alten Grey im Namen des Gesetzes, als verwickelt in Herzog Monmouths Verschwörung hatte hinrichten lassen, machte er seine Pläne, die einzige Tochter und Erbin desselben in seine Gewalt zu bekommen. Er wurde ohne Mühe als ihr Vormund eingesetzt und brachte das vierzehnjährige Kind zuvörderst bei einem seiner Verwandten unter, den er zu Amt und Ansehn befördert hatte und der ihm dafür diente, wie es ihm gefiel. Als dieser starb, führte er Lätitia in sein Haus unter den Schutz der alten Frau Burns, seiner Tante, die er aus Wales dazu kommen ließ. –
Nun hielt er sie seit einem halben Jahre in klösterlicher Abgeschiedenheit unter strenger und vorsichtiger, unausgesetzter Bewachung, denn er sollte dafür haften, wie er sagte, daß das junge Fräulein den Gefahren der Welt und ihren Verlockungen fremd bleibe. –
Dafür verschaffte er ihr Ersatz durch seine eigene Nähe und Umgang. Täglich kam er, so oft er konnte, und blieb, so lange er vermochte. Er war der aufmerksamste, der gefälligste und freundlichste Vormund, der sich denken ließ, und wer ihn hier gesehen hätte, immer sanft, immer gemüthvoll, belehrend, liebreich und trauernd, daß es ihm nicht gelingen wollte, Vertrauen und Theilnahme zu erwecken, hätte unmöglich denken können, daß dies derselbe Mann sei, vor dem England zitterte.
Lätitia aber wurde von allen seinen Bemühungen nicht bewegt. Sie rührte seine Geschenke nicht an, sie beantwortete nur, was sie mußte, sie konnte stundenlang ihn starr betrachten, oder vor sich nieder sehen, und Jeffreys bemerkte das Zittern sehr wohl, das jedesmal ihren Körper durchflog, wenn er sie berührte.
Diese tiefe Abneigung, die, wie er sich sagte, dem Mörder ihres Vaters galt, regte eine wollüstige Gier in ihm auf, sie vor den Augen der ganzen Welt zu seiner Frau zu machen. Er verdoppelte seine Anstrengungen, seufzte über sein Schicksal, mischte mit seiner Anbetung schmerzliche Trauer, zur rechten Zeit Anfälle von Zorn und eifersüchtiger Härte, die zur Wahrheit wurden, als er etwas bemerkte, das ihn zur Wuth reizte. –
In vollkommener Gefangenschaft konnte er seine Mündel nicht halten, er mußte ihr den Besuch von Verwandten und Freunden, wenn auch noch so selten, gestatten; aber seine Wachsamkeit verdoppelte sich, als er bemerkte, daß der junge William Howe seine Absichten durchkreuzen wollte. Er haßte den Vetter des Grafen Shrewsbury, um so mehr, als er wußte, daß die Prinzessin Anna auf des Grafen Bitten sich dafür verwendet hatte, ihm die Vormundschaft abzunehmen, was freilich nicht geglückt war.
Der König wußte um Jeffreys Absichten und hatte nichts dagegen, wenn sein Kanzler durch Heirath zu einer schönen Frau von guter Familie und großem Vermögen kommen konnte. Er würde diese Heirath befohlen haben, wenn Jeffreys ihn darum gebeten hätte, und dies war auch jedenfalls die Absicht des Lords, sobald er nur erst dahin gekommen sein würde, durch Bitten oder Drohungen, Furcht oder Verzweiflung, Lätitia so mürbe zu machen, daß er keine offene Widersetzlichkeit besorgen durfte. –
Er hatte ihr jetzt alle Verbindungen mit der Außenwelt abgeschnitten, und es war ihm auch vorgekommen, als ob seit einiger Zeit der Starrsinn der jungen Dame zu weichen beginne; um so größer war daher sein Zorn, als der Zufall ihm entdeckte, daß er betrogen sei und innerhalb dieser wohl verwahrten Mauern der Verräther umherschleiche.
Mit seinem freundlichsten Lächeln trat Jeffreys leise näher an den Stuhl der alten Frau Burns, die eifrig in einem dicken Gebetbuche las und erst, als er ganz in ihrer Nähe war, erschrocken nach ihm umblickte. – Aus dem Nebenzimmer erscholl die Harfe wieder, und Jeffreys, nachdem er seiner Tante Schweigen zugewinkt und den Leuchter niedergesetzt hatte, deutete auf die angelehnte Thür und flüsterte ihr halb vorwurfsvoll zu:
Ihr laßt sie so allein, liebe Tante? Warum ist sie nicht hier und erfreut Euch mit ihrer Musik?
Wir haben uns den ganzen Tag über, wie immer, Gesellschaft geleistet, erwiederte die alte Frau, und endlich ist ihr vor allem Schweigen und mir vor allem Reden das Beisammensein langweilig geworden.
Sie schweigt also noch immer? fragte der Lord.
Lieber Gott, ja! rief die Tante, man mag so lustig und verständig mit ihr sprechen, wie man will, sie hört es an, als begriffe sie es nicht.
Es ist ein liebes, natürliches Kind, ohne alle Verstellung und Heuchelei, sagte der Kanzler.
Ja, was das anbelangt, versetzte die alte Dame, indem sie ihr runzelvolles Gesicht mit der ungeheuren Haube aufhob und die beiden einzigen Zähne, die ihr geblieben, lachend ihrem aufmerksamen Neffen zeigte – natürlicher und aufrichtiger kann man nicht sein, denn sie behandelt mich wie Euch und Euch wie Alle.
Wie meint Ihr das, Tante? fragte Jeffreys.
Nun, sagte Frau Burns, sie duldet uns, weil sie muß und ist ein Muster von Sanftmuth und Güte, weil sie nicht anders kann.
Ihr meint also, daß sie sich verstellt?
Verstellt? flüsterte die Aufseherin, ach! mein Gott, daß arme Geschöpf, wo sollte die Verstellung herkommen? – Hier, hier! sagte sie, an die Stirn deutend, da sitzt es, da ist es gänzlich leer.
Ihr meint, erwiederte der Kanzler entsetzt, daß ihr Verstand gelitten habe?
Hört doch nur, Neffe, hört doch nur ihre Musik an. Sind das Töne, die ein vernünftiger Mensch zusammenklingen läßt? Kein Lied, keine Melodie bringt sie hervor, lauter bange, abgerissene Laute, schrillend und wild und dann wieder weich und wehklagend. So kann sie stundenlang sitzen, und ist es denn nicht ganz dasselbe mit ihrem Thun und Reden? – Sie vergißt, was sie sagen will, hört zu ohne zu denken und schweigt, weil sie nicht weiß, was sie antworten soll.
Wenn Ihr Recht hättet, Tante, sagte der Lord nach einigem Bedenken, dann könnte es Sünde genannt werden, ein so unglückliches, schwachsinniges Wesen mit Liebesanträgen zu quälen.
Die alte Dame zuckte stumm die Schultern. –
Schwere Sünde, gewiß! sagte sie endlich leise.
Aber ich glaube es nicht, fuhr er fort. – Sie ist schwermüthig, nicht schwachsinnig. Seid Ihr nicht heute im Garten mit ihr umherspaziert?
Vor- und Nachmittag, bis zur Dämmerung. Sie sieht die Themse gern durch die hohen, eisernen Stäbe des Gitters in der Mauer.
Und dann? fragte der Lord. Dann war sie immer hier im Zimmer bei Euch?
Immer hier, stumm und still in dem Lehnstuhl sitzend.
Besinnt Euch, Tante Burns, fuhr Jeffreys fort. Ich möchte gern wissen, wie ihr Geisteszustand ist.
Er legte seine Hand schmeichelnd auf die Finger seiner Verwandten und suchte zu erforschen, ob sie zitterten; während seine runden Augen gutmüthig und traurig umherblickten.
Ich erinnere mich nicht, sagte die alte Frau. Doch ja, eine kurze Zeit ist sie in dem Gange dort – sie deutete auf die Thür, durch welche der Kanzler eingetreten war – auf und nieder gegangen.
Wie lange wohl? fragte er weiter.
Vielleicht eine viertel- oder eine halbe Stunde.
Der Gang ist dumpfig und heiß. Das ist ein sonderbares Gelüste, was Ihr nicht dulden solltet.
Das arme Kind, erwiederte sie. Sie weiß nicht, was sie thut.
Arme Lätitia! rief der Lord seufzend, ich möchte sie gern froh und glücklich sehen. – Liest sie die neuen Bücher nicht, die ich ihr schicke?
Selten blickt sie hinein.
Und eben so wenig wird sie schreiben?
Ich habe es kaum je gesehen.
Was treibt sie denn zu ihrer Unterhaltung? fragte der Kanzler theilnehmend.
Sie stickt, sagte die Burns, aber es sind wilde, phantastische Blumen, wie Ihr sie dort im Rahmen sehen könnt, oder sie geht im Garten umher und schweigt ebenso, wie hier.
Dann hat ihr Zustand sich wesentlich verschlimmert, erwiederte Jeffreys, denn noch vor wenigen Tagen glaubte ich andere Hoffnungen hegen zu können. Ich will sie selbst sehen und sprechen.
Wenn ich Euch bitten darf, Neffe, so stört sie nicht, fiel die Tante ein und suchte sein Aufstehen zu verhindern. Ich will sie rufen, wenn es Euch gefällt.
Haltet mich nicht auf, erwiederte er. Oder habt Ihr einen Grund? Was ist es? Sprecht!
Es ist gar nichts, sagte sie, als daß ich weiß, sie fürchtet sich, wenn Ihr kommt.
So muß ich ihr Muth machen, theuerste Tante, was Ihr in meinem Interesse gewiß immer thut und wofür ich Euch so dankbar bin. – Ihr glaubt doch nicht, daß ich zu fürchten habe? –
Er betrachtete die Frau mit durchdringend forschenden Blicken, indem er sanft und gemüthlich ihre Hände drückte.
Was könntet Ihr zu fürchten haben, lieber Jeffreys? sagte sie, bebend unter seinen Augen voll Hohn.
Nichts, das weiß ich, so lange Ihr dies melancholische Täubchen bewacht. Ich weiß, wie treu Ihr mir seid, und Ihr wißt, daß ich Manches für Euch getan habe. – Ihr zuckt zusammen und erschreckt. Ich bin unzart, vergebt, ich meinte es nicht böse. Ich kann Euch schwerlich vergelten, was Ihr für mich thut, aber seid überzeugt, ich will es Euch so lohnen, daß Ihr es nie vergessen sollt.
Während dieses ganzen Gesprächs erklangen die tiefen abgerissenen Akkorde aus dem Nebenzimmer und Jeffreys stand auf und ließ die Hände der alten Frau los, die kalt und zitternd zwischen seinen heißen Fingern lagen. Er war überzeugt, daß sie um den Betrug wußte, und mit frohlockender Genugthuung beobachtete er ihre zunehmende Angst und die sonderbaren Blicke, welche sie bald auf ihn, bald auf die Thür warf. –
Rasch und leise schritt er auf diese zu und ohne Bedenken trat er ein, so unbefangen und glückselig lächelnd wie ein Mann, der seiner harrenden Geliebten entgegeneilt; zugleich aber hielt er die rechte Hand am Griff seines Schwertes, seine Linke umspannte den Kolben des verborgenen Pistols.
So fest war der Lord überzeugt, den Gegenstand seiner Rache auf den ersten Blick in irgend einem Versteck zu entdecken, daß er unwillkürlich still stand und die einstudirte Gleichgültigkeit aufgebend, sein trotziges Gesicht die ganze Wildheit und Härte seines wahren Charakters annehmen ließ. In demselben Augenblicke verstummte die Harfe, deren letzter Ton von einem schwachen Schrei begleitet wurde.
Ihr erschreckt, sagte Jeffreys, dessen Auge mit der Schnelle des Adlers jeden Gegenstand betrachtete. Ich bin es, Euer Freund und Beschützer, der kaum zurückgekehrt von ermüdenden Geschäften zu Euch eilt, um nach Eurem Wohl zu fragen.
Während er sprach, verschwand der unheilvolle Ausdruck aus seinen Zügen. Mit langsamen, festen Schritten ging er bis in die Mitte des Zimmers, unverkennbar mit stets größerem Erstaunen und einer Verwirrung, die er vergebens zu unterdrücken strebte. Nirgend war hier ein Versteck, das ihm verborgen bleiben konnte; selbst an der Nische in der Wand, wo das Bett des Fräuleins sich befand, waren die Vorhänge zurückgeschlagen und dort saß die junge, liebliche Gestalt im Nachtgewande, verwirrt und beschämt, aber regungslos und den stillen, kalten Blick auf ihn geheftet. Sie hielt die Harfe in ihrem Arm und lehnte sich daran. Ihr lichtbraunes Haar, von Bändern und Nadeln befreit, floß in schweren Ringen über den Nacken nieder; die blendende Weiße ihrer Haut und die zarte Feinheit ihrer reinen Züge waren schöner und unschuldig kindlicher, wie Jeffreys sie je gesehen hatte. –
Er ließ sich auf den Sessel an ihrer Seite nieder und betrachtete sie eine Minute lang im tiefen Nachdenken.
Ha! wenn ich nicht gewiß wüßte, was ich weiß, murmelte er in sich hinein, ich würde mich auch jetzt noch betrügen lassen. Ist es möglich, daß so viel verschlagene List und Treulosigkeit in einem so unschuldigen Gesicht verborgen sein können?!
Er faßte Lätitia's Hand und hielt sie fest, trotz des Zuckens ihrer feinen Finger.
Meine arme, kleine Freundin, sagte er, ich habe um Vergebung zu bitten, daß ich so spät noch Eure Ruhe störe. Aber alle meine Sorgfalt ist ja darauf gerichtet, diese zu sichern, und alle meine Gedanken haben nur Euer wahrhaftes Lebensglück zum Ziel.
Die junge Dame schüttelte leise den Kopf, den sie tiefer senkte.
Ist es denn nicht so, Lätitia? fuhr Jeffreys fort. Rühme ich mich etwa lügenhafter Dinge? Wenn ich nicht gewesen wäre, was würde dann wohl geschehen sein? – Alles was die Greys besaßen, hätte der König genommen, und was wäre aus dem ausgestoßenen Kinde geworden?
Die Hand des Fräuleins sank an der Harfe nieder und lockte einen dumpf verhallenden Ton aus dem Instrument.
Ja, so wäre das gebrochene Leben verklungen, sagte der Lord. Ich habe es aufgerichtet, und es gepflegt wie ein Vater.
O mein Vater, flüsterte sie leise.
Dieser Ausruf war so schmerzlich, daß Jeffreys einen Augenblick schwieg. Plötzlich aber legte er die Hand auf ihr Haupt und rief in seiner herzlichsten Weise:
Es entzückt mich, diese Anerkennung meiner Liebe zu hören. Mein armes, verlassenes Kind, Alles, was du willst, werde ich Dir sein, Dein Freund, Dein Vater, Dein Gatte, der Dich mit Freuden und Ehren umgiebt, der jeden Deiner Wünsche befriedigt, der alles thut, was Dir angenehm sein kann.
Dann, mein Herr Kanzler, sagte Lätitia sich langsam aufrichtend, möchte ich bitten, mich allein zu lassen.
Jeffreys lachte laut auf. Habe ich Dich endlich zum Sprechen gebracht, sagte er. Nun, das freuet mich, freuet mich aufrichtig, wäre es auch nur, um andere Leute zu überzeugen, daß Du nicht schwachsinnig und vernunftlos bist.
Ich könnte es werden, erwiederte sie, und indem sie ihre großen dunklen Augen auf ihn heftete, fügte sie hinzu: Was habe ich heut weiter noch von Ihnen zu hören?
Wie schön Du bist! rief der Lord, wie entzückend Dir dieser schwermüthige Ernst steht. Wahrlich ich kann es dem leichtsinnigen, verdammten Burschen nicht verdenken, wenn er wie ein Rasender versucht, dies spröde Herz zu erobern.
Mit einer stolzen Wendung des Kopfes stützte die junge Dame diesen in ihre Hand und blickte vor sich nieder.
Wenn er sogar es wagt, bis in mein Haus zu dringen, fuhr Jeffreys fort.
Das bewacht ist, von mehr als einem Cerberus, erwiederte sie, das Gesicht verbergend, über welches, wie es dem Kanzler schien, ein leises Lachen flog.
Eben deswegen kam ich so spät, sprach er bedächtig. – Man hat einen Menschen gesehen, der im Abenddunkel sich mit Hülfe irgend eines Schurken hier eingeschlichen hat. Man verfolgte ihn und ich besorgte, der Lärm sei bis in diese fromme, schöne Ruhe gedrungen.
Ich hörte nichts, erwiederte sie ruhig.
Dann bin ich zufrieden und kann gehen, sagte er, vom Sessel aufstehend. Ich erfülle so gern Alles, was meine Lätitia wünscht.
Eine helle Röthe schimmerte auf ihrer Stirn. –
Es ist unmöglich, sagte sie. Hieher dringt Niemand, man hat sich getäuscht.
Ich selbst habe ihn gesehen, erwiederte Jeffreys.
Und was – was wurde aus dem verwegenen Mann?
Er hat ohne Zweifel jetzt empfangen, was er verdient, erwiederte der Lord gleichgültig.
Großer Gott! schrie die junge Dame mit Entsetzen. Ist er gemordet, wie mein Vater gemordet wurde?!
Ein munteres Gelächter war Jeffreys Antwort.
Nein, Püppchen, rief er ihr zu, Dein Vater starb, wie Hochverräther sterben müssen, am Galgen! Dieser aber, dieser Einbrecher, soll mehr Glück haben. Er soll vor Deinen Augen enden!
Nun, dem Himmel sei Dank! sagte Lätitia freudig, dann ist er noch nicht in Eurer Gewalt; denn, wär er es, so würde er längst hierhergeschleppt sein.
Du bist scharfsinnig, erwiederte der Lord, sich von Neuem niedersetzend. Wir wollen die Sache wie gescheute Leute abmachen, die sich kennen. Dein Schweigen, Dein Trübsinn und alle Deine Künste täuschen mich nicht mehr. Ich weiß, daß William Howe hier war, daß er öfter schon denselben Weg gemacht hat und sehe ein, daß daran nichts zu ändern ist. Sagt mir aufrichtig, Lätitia, ob ich Recht habe?
Ich werde es nicht läugnen, erwiederte sie nach kurzem Bedenken.
Das ist ein Geständniß, was mich ebenso sehr betrübt, wie erfreut. – Ich erkenne, fuhr er mit einem Seufzer fort, daß alles, was ich hoffte, dadurch zertrümmert wird. – Ihr wißt nicht, wie mich das schmerzt; Ihr wißt nicht, was ich dabei empfinde. Ich bin ein unglücklicher, vereinsamter Mann. Viele sind es, die mich hassen und mir fluchen, weil ich ein schweres Amt erfülle, das Amt eines Richters und Rächers in diesem mit blutigen Verbrechen bedeckten Volke. Ich bin das Schrecken aller Verbrecher geworden, allein nur dadurch konnten Thron und Altar erhalten werden! Das ist mein Trost, wenn ich zu Gott bete, mir meine Sünden zu vergeben, und meine Hoffnung, die mich geduldig Hohn und Verachtung ertragen läßt. – Mögen sie mich hassen, wenn nur ein Herz mich liebt, wenn nur ein Wesen unter den vielen Millionen an mich glaubt. – Und dies eine Wesen habe ich gesucht seit Jahren. – Ich meinte es gefunden zu haben; ich nahm es auf, als es zitternd vor mir lag, als ein Finger hinreichte es zu vernichten. Ich liebte es und zog es groß. Ich hütete es mit der Sorgfalt eines Gärtners, ich verwahrte es als einen köstlichen Schatz; ach! ich wollte nichts von ihm als Mitleid, Dankbarkeit, Freundschaft und nun – nun!
Jeffreys hatte die Arme über die Brust gekreuzt; er heftete die Augen starr auf den Boden und murmelte die Worte dumpf vor sich hin, wie im vergessenden Selbstgespräch.
Er schien eine Antwort zu erwarten, allein die junge Dame zog es vor zu schweigen. –
Lätitia, sagte er sich aufrichtend, Sie haben mich arg getäuscht, aber ich verzeihe Ihnen. Mögen Sie Ihren Neigungen folgen, ich werde kein Hinderniß mehr sein. Morgen werde ich den König bitten, mich dieser Vormundschaft zu überheben.
Wollen sie das wirklich thun? fragte sie in einem Tone, der Freude und Zweifel ausdrückte.
Wie ihre Augen glänzen! erwiederte der Lord. – O dieser glückliche Howe. Ja ich will es thun, weil ich es muß. Aber wie war es möglich, daß er bis hierher gelangen konnte?
Er ist niemals hier gewesen, erwiederte Lätitia.
Nicht? Allein draußen auf dem Gange am Kreuzsaal. – Wie kam er dorthin, wie herein und hinaus?
Ich weiß es nicht
Sie wissen es nicht? sagte Jeffreys. Sie hegen noch Mißtrauen! Das ist nicht recht an mir gehandelt, doch ich will weiter fragen. Als Sie vor einer Stunde von ihm Abschied nahmen, höchst zärtlich und höchst poetisch, sprachen Sie: Erst wenn ich von diesem entsetzlichen Bösewicht – Er deutete mit dem Finger auf sich – von diesem nichtswürdigen Tyrannen befreit bin, wird mein Herz leichter schlagen. – Ich vergebe Ihnen auch diese harten Worte, mein armes Kind. Er aber tröstete Sie mit der Thätigkeit Ihrer Freunde, die heut Abend noch eine Versammlung halten. Ich muß fürchten, daß ein Verbrechen im Werke ist und mein Haus überfallen werden soll.
Eine dunkle Röthe des Erstaunens und Schreckens überflog Lätitia's Gesicht. –
O nein, gewiß nicht, rief sie. Es war davon nicht die Rede und wenn ich sagte – ich weiß nicht, was ich sagte.
Beruhigen Sie sich, rief Jeffreys lächelnd; Worte sind Schall, ich weiß was sie bedeuten. Aber um uns zu versöhnen, sagen Sie mir, was in jener Gesellschaft geschehen soll?
Ich weiß von keiner Gesellschaft, erwiederte sie noch verlegener. Nur einige Freunde Williams – sie wollten zusammenkommen.
Wo? fragte er hastig, und wer sind diese Freunde?
Auch, wenn ich sie kennte, Mylord, so würden Sie die Namen doch nicht von mir erfahren, erwiederte sie, entschlossen ihm die Stirn bietend.
Ich glaube es, erwiederte er, aber vielleicht giebt mir dies Papier eine bessere Antwort. –
Bei diesen Worten griff er rasch nach einem zusammengefaltenen Blatte, das dicht bei der Harfe am Boden lag und von Lätitia's Fuß und Kleidern größtentheils bedeckt wurde.
Jeffreys hatte es längst bemerkt und seine Aufmerksamkeit darauf gerichtet. Sie hat es gelesen und zehnmal wieder gelesen, wie es Mädchen mit Liebesbriefen machen, dachte er. Als ich herein trat, ließ sie es fallen und suchte es zu verbergen.
Her damit, rief er und riß es unter ihrem Fuß hervor, der es hastig fortschob. Sie haschte danach und ergriff seinen Arm; er nahm es in die andere Hand, hielt es empor und lachte laut auf, als er ihr zorniges Gesicht sah.
Wer giebt Ihnen das Recht, sich meiner Briefe zu bemächtigen, rief sie mit großer Heftigkeit; welcher Mann überhaupt hat das Recht, so gegen eine Dame zu handeln? – Sie geben vor mich zu lieben? Ach, was sage ich da! Den unwürdigsten Behandlungen preis gegeben, bin ich eine Gefangene, die selbst in ihrem Kerker verfolgt und mißhandelt wird. –
Noch immer lachend hatte der Lord sich einige Schritte zurückgezogen und ohne auf diese Anklagen zu achten, das Papier entfalten. Beim ersten Blicke aber, den er hinein that, wurde er ernsthaft und sein Gesicht drückte Erstaunen und satanische Freude aus.
Was ist das? rief er. Burnet hat diesen Brief unterzeichnet! Doktor Burnet, Gilbert Burnet, der Hochverräther, der Geächtete!
Doktor Burnet war der Freund meines unglücklichen Vaters und meines eben so unglücklichen Vetters, sagte Lätitia ruhig.
»Arme Lätitia,« las Jeffreys, »halten Sie sich ruhig, es wird Alles gut werden. Sie sollen weiter von mir hören. Das Uebrige sagt mein Bote.« Gilbert Burnet. – Wer ist sein Bote? Wer hat diesen Brief gebracht? – Der Schurke Howe!
Nein, erwiederte die Dame. Er ist kein Schurke. In seinem Namen gebe ich Ihnen dies schmachvolle Wort zurück.
O, Püppchen! sagte der Kanzler, dieser Brief verändert die Umstände. Wer mit Hochverräthern umgeht, wer sie verbirgt, wer von ihren Plänen Kenntniß hat und es der Obrigkeit nicht anzeigt, hat langjährige Kerkerstrafe und selbst das Leben verwirft. – Wollen Sie mir sagen, wie Sie zu diesem Briefe gekommen sind?
Nein, erwiederte Lätitia.
Es giebt Mittel, solche Lippen zu öffnen, fuhr er fort. Der Tower hat Kerker genug, in denen schon mehr wie ein trotziges Mädchen zahm gemacht wurde.
Herr Kanzler von England, sagte sie lächelnd, sparen Sie alle Ueberredungen und alle Drohungen. Wollen Sie mich einsperren und richten lassen, so zweifle ich nicht daran, es wird gesehen. Viele unschuldige Menschen haben erfahren, daß ihr Angstruf um Hülfe und Gerechtigkeit vergebens war. Gott läßt es in seiner unerforschlichen Weisheit zu, daß grausames Unrecht ausgeübt werde; seine Rache kommt oft langsam, aber sie kommt. Heut erst haben wir gesehen, wie endlich das Licht der Wahrheit durch die Nacht der Verbrechen bricht. Die Bischöfe sind freigesprochen, die Macht der Lüge wankt.
Thörichtes Mädchen! rief der Lord, verdammt sei deine Zunge! was Du sagst, ist Verbrechen; und er, der Dir diese Worte eingab, mag für seinen Hals sorgen!
Er wird ihn zu bewahren wissen, erwiederte sie stolz.
Hüten Sie sich, Lätitia, fuhr er fort. Was hält mich ab, Sie als eine Verbündete von Hochverräthern dem Gesetz zu überliefern?
Mein Geld, mein Vermögen! erwiederte sie; sonst freilich würde es mir gehen, wie Alice Lesle Alice Lisle (1617-1685) wurde hingerichtet wurde, weil sie nach der Niederlage der Monmouth-Rebellion in der Schlacht von Sedgemoor Flüchtlinge beherbergte. Obwohl sie zum Royalismus neigte, sympathisierte sie stark mit den religiösen Dissenters. Sie ist die letzte Frau, die in England gerichtlich zur Enthauptung verurteilt wurde.!
Jeffreys stampfte mit dem Fuß auf. Die Erinnerung an eine seiner ersten Schandthaten verzerrte sein Gesicht hyänenartig; seine Augen sprühten Rache, aber er bezwang sich – noch einmal.
Gut, Miß Lätitia, gut, sagte er mit seinem bösartigen Grinsen, wir werden sehen, wohin Ihre Narrheit führt. Sie verlassen dieses Zimmer nicht, bis ich es Ihnen gestatte. Vor allen Aufgängen werden Sie Wachen finden. – Ich gebe Ihnen bis morgen Bedenkzeit, guter Rath kommt über Nacht. Ueberlegen Sie was besser ist: ein Kerker im Tower oder ein Freund, der schützen kann und Ihr Leben mit der Gesellschaft versöhnt.
Ohne eine Antwort abzuwarten, entfernte er sich und beantwortete ihren verächtlichen Blick mit einem Fingerkuß, als er die Thür erreicht hatte.
So lange Jeffreys in dem Zimmer der Dame war, deren Herz und Geld er noch immer zu gewinnen trachtete, hielt er sich mit aller Anstrengung in den Schranken eines Mannes von Rang und Bildung, kaum aber hatte er die Thür hinter sich, als die ganze Gemeinheit seines innersten Wesens über die arme alte Frau losbrach, die noch immer – obwohl sichtlich voller Angst und Bangen – bei ihrem Buch hinter dem Tische saß.
Der Lord ging auf sie los und niemals vielleicht mochte er gräßlichere Gesichter auf seinem Richterplatze in Old-Bailay geschnitten haben, als in diesem Augenblick; wenn aber von ihm erzählt wird, daß er die abgehärtetsten Diebe und Mörder mit dem gräßlichen Verdrehen seiner Augen, dem wilden Zusammenziehen seines Mundes und seinem furchtbaren Stirnrunzeln in Zittern und Entsetzen zu bringen vermochte, so geschah eine Art Wunder an der alten Dame hinter dem Tische, die mit merkwürdiger Fassung in sein grinsendes, verzerrtes Gesicht blickte, als er einen Schritt vor ihr endlich Halt machte.
Nun, Georg Jeffreys, sagte sie so muthig als es gehen wollte, was habt ihr mir zu sagen?
Was ich zu sagen habe? schrie der Lord mit Donnerstimme, – was ich zu sagen habe? wiederholte er, indem er mit der Faust wüthend auf die Marmorplatte schlug. Ich habe zu sagen, daß Du mich betrogen hast, altes Weib, nichtswürdige Kupplerin!
Und nun folgte ein Strom von Flüchen und Verwünschungen, Drohungen und Kränkungen, Anschuldigungen und Schwüren, zu gemein und zu nichtswürdig, um sie auch nur zum kleinsten Theile zu wiederholen.
Die alte Dame hörte stumm diese lasterhaften Ausbrüche seiner Wuth an. Nur zuweilen schlug sie ein Kreuz, oder sie brachte ihr Tuch vor die Augen und hob diese dann zu dem unbändigen Mann auf, um ihn strafend, frei von Thränen, zu betrachten. – Erst als er erschöpft zu sein schien, stand sie auf, und gebeugt wie sie war, alt, häßlich und von geringer Bildung, so wurden ihre Gestalt und ihr Gesicht doch würdig und stolz.
Du scheinst zu vergessen, Georg Jeffreys, sagte sie, daß ich die Schwester Deiner Mutter bin. Du wüthest wie ein wildes Thier, wie ein wahnsinniger Trunkenbold. Ist das der Kanzler von England, der es wagt, ärger wie ein Kohlenschiffer oder ein Metzgerknecht, zu fluchen und zu schimpfen!
Was? schrie Jeffreys, Ihr elendes Weib! Ihr wollt mich Sitte lehren?!
Ja, das will ich, erwiederte die alte Frau unerschrocken, ich will Euch Sitte lehren, denn Ihr habt keine.
Hinaus mit dem krummbeinigen Wechselbalg! fuhr der Lord wüthend fort. Ich will Euch in Theer und Federn wälzen und durch die Straßen peitschen lassen.
Sieh zu, Du schändlicher Mensch, wie Dein eigenes Ende sein wird, rief die unerschütterliche Frau mit erhöhter Stimme. Ich will es Dir nicht prophezeihen, aber ich weiß, daß es kommen wird, ehe Du es denkst; und daß es schrecklich sein wird, dafür wird Gottes Gerechtigkeit sorgen.
Jeffreys stand sprachlos mit geballten Fäusten und braunem Gesicht vor der alten Frau. Der unerwartete Widerstand übte seine besondere Wirkung auf ihn.
Sie maß ihn mit kühnem, trotzigen Blick und eine Furcht befiel ihn, der er sich nicht erwehren konnte. –
Haltet Euer Maul, sagte er um Vieles sanfter. Ihr habt mich dahin gebracht, in die äußerste Wuth zu gerathen.
Hätte Barbara Burns in Todesangst vor seinem Zorn gezittert, so würde er mit Entzücken ihr Aechzen, ihre Thränen und ihre Verzweiflung betrachtet haben. Derselbe wollüstige Kitzel, der ihn ergriff, wenn er die Menschen, welche er verurtheilt, bis zu Krämpfen ängstigte und verhöhnte, würde ihn hier auch geleitet haben; als er aber sah, daß die alte furchtsame Frau keine Furcht empfand, als sie in derbster Weise ihm sein schamloses Benehmen vorhielt und aufstand, um sofort sein Haus zu verlassen, da besann er sich plötzlich, daß er dies nicht zulassen dürfe, und daß im Nebenzimmer Lätitia jedes Wort und jeden zotigen Fluch und Schwur gehört haben müßte.
Bleibt, Tante Barbara, sagte er, sie auf ihren Stuhl zurückführend, bleibt, verzeiht meine heftige Aufregung. – Ich bin ein unglücklicher Mann, der überall Feinde und Verräther sieht und seine besten Freunde beleidigt. Ihr wißt nicht, wie traurig und schrecklich meine Tage sind. Ach, Ihr wißt nicht, was ich leide und was ich so eben erfahren mußte. Mein Herz voller Liebe und Freudigkeit ist zum Tode gekränkt durch den schwärzesten Undank; der Stab, an welchem ich mich aufzurichten dachte, ist zerbrochen, meine Zukunft ärmer und elender, wie die des verworfensten Bettlers.
Und was wollt Ihr thun, Georg, fragte die alte Frau besänftigt, denn seine Augen, die eben noch von Wuth funkelten, waren voll Thränen. Wenn es wahr ist, daß Ihr leiden und unglücklich sein könnt, wie ein guter Mensch, erwacht dann keine Stimme in Euch, die Euch edel und großmüthig zu handeln befiehlt?
Ich werde es bedenken, erwiederte der Lord, den Kopf senkend; ich habe eine ganze Nacht vor mir, die ich in Kummer und Thränen verleben werde.
Möge Gott Euer Herz erweichen, sagte Barbara. Bedenkt es, Georg; o! bedenkt, daß eine gute That im Himmel angerechnet wird für tausend böse, die der Herr in seiner Gnade aus dem Schuldbuche der Sünder streicht.
Ihr habt Recht, ja, Ihr habt Recht, murmelte der Lord.
Treu will ich bei Euch stehen, fuhr die Tante gerührt fort, wenn Alle Euch fluchen, ich will Euch segnen und um Segen für Euch flehen, so lange ich es vermag.
Thut es, sagte Jeffreys, thut es und verzeiht mir, Ihr sollt von mir hören.
Er nahm den Leuchter vom Tisch und ging nach der Thür. – Wenn Ihr etwas in Liebe für mich begehen wollt, sprach er sich umwendend, so sprecht mit dem undankbaren Mädchen. Ich habe hier einen Brief in meiner Hand, der ihr Leben in Gefahr bringt und wer weiß, ob ich es noch zu retten vermag. Ein Verbrechen ist von ihr begangen worden, das ich nach meiner Pflicht dem Staatsrath anzeigen muß. Bringt sie zur Besinnung, Tante Burns, denkt auf das rechte Mittel zur Versöhnung. Die Tochter eines Hochverräthers, welche im geheimen Verkehr mit den gefährlichsten Feinden des Königs steht, hat wenig Gnade zu erwarten, wenn ich nicht Beweise zu geben vermag, daß sie wahrhafte Reue empfindet.
Mit diesen drohenden Worten und betrübten Mienen ging er hinaus.
Aber kaum waren seine Schritte verhalt, als Lätitia aus ihrem Zimmer eilte und ihre Aufseherin umarmte. Sie kniete an ihrem Stuhle nieder, küßte ihre Hände und sagte heiter lachend:
Ich habe Alles gehört. Der schändliche Heuchler greift zu den jämmerlichsten Mitteln Euch und mir Furcht einzujagen. Doch nur Geduld. William ist glücklich entkommen, meine Freunde wachen, sie werden uns nicht verlassen. – Weint nicht, gute Barbara, ich kenne diesen Elenden besser. Er wird nichts thun, was mich aus seinen Henkershänden anderen Henkern überliefern könnte. Sein Geiz und seine wilden, thierischen Begierden sind weit größer noch, als seine Rachgier. – Ja, wir wollen auf Mittel denken, wie wir ihm entkommen; sogleich will ich an William schreiben und trotz seiner Wachsamkeit und seiner Entdeckungen soll er erfahren, daß er nichts entdeckt hat, und er, der Alle betrügt, von uns betrogen wird.
Jeffreys war inzwischen in den Saal zurückgekehrt, wo er Tornton und sein Gefolge gelassen hatte, die mit Schwertern und Gewehren bewaffnet ihn neugierig erwarteten.
Ich habe nichts gefunden, sagte der Lord mürrisch zu dem Hausmeister.
Ich wußte es wohl, erwiederte dieser. Ich habe das Haus durchsuchen lassen in allen Winkeln; eine Maus konnte nicht verborgen bleiben.
Geht, sprach der Kanzler, und seid wachsamer, wie Ihr gewesen. Wir wollen es morgen weiter besprechen.
Damit begab er sich in seine Wohnung und nicht lange darauf hörten die Diener ihn rufen und in die Hände schlagen. – Der Tisch mußte gedeckt werden, Speisen aller Art und Wein in Fülle wurden aufgesetzt. Der Kanzler von England ließ sich entkleiden. Wilkins, sein Schreiber und Kammerdiener, Hausnarr und vertrauter Gehülfe, verrichtete dies Geschäft unter den Späßen, Liebkosungen und gelegentlichen Fußtritten und Fauststößen seines Gebieters.
Wilkins war ein junger Kerl, der selten oder nie ein ernsthaftes Gesicht machte, aber immer wußte, ob er schweigen oder reden sollte. Er hatte wie Prynne William Prynne (1600-1669), englischer Rechtsanwalt, redegewandter Autor, Polemiker und Politiker, ein prominenter puritanischer Gegner der Kirchenpolitik. Die in seinem polemischen Buch »Histriomastix« (1632) enthaltene Denunziation von Schauspielerinnen wurde weithin gedeutet als Angriff auf Königin Henrietta Maria. Der Schatzkanzler forderte eine öffentliche Bücherverbrennung. Statt dessen kam es zu einer Haft im Tower; 1634 wurde er zu lebenslanger Haft, einer Geldstrafe von 5.000 Pfund, der Ausweisung aus dem Lincoln's Inn, dem Entzug seines Abschlusses der Universität Oxford und der Amputation beider Ohren am Pranger verurteilt, in den er vom 7. bis 10. Mai eingespannt war. Sein Buch wurde vor ihm verbrannt und mit über tausend Seiten drohte Prynne in dessen Rauch zu ersticken. Das hinderte ihn nicht, aus dem Gefängnis heraus weitere polemische Schriften nach außen zu befördern. Das »Lange Parlament« entließ ihn schließlich 1640 aus der Haft. seine Ohren verloren, aber nicht wie jener berühmte und berüchtigte Advokat wegen Schmähschriften auf König und Parlament, sondern wegen Betrügereien und Unterschleife. Jeffreys hatte sie ihm als Richter abschneiden lassen, darauf aber waren sie Freunde geworden, und da Wilkins sich als schlauer und treuer Spion bewährt hatte, nahm der Lord ihn in seine Dienste, in denen er alles war, was sein Herr wollte.
Während der Kanzler in sein Hauskleid schlüpfte, seine schweren Schuhe mit weichen, aus Sammet gewebten vertauschte und einen persischen Shawl um seinen Stierhals wickelte, erzählte Wilkins ihm zur Kurzweil, wie es in den Straßen Londons heut Abend hergehe, wo Strohpuppen umher getragen würden mit dem Strick um den Hals und den ellenhohen Namen Jeffreys darüber, die der Pöbel anspie, mit Füßen trat und auf dem Boden schleifte, bis die Fetzen unter wildem Jubelgeschrei in die Lüfte flogen. – Die Witze des Schreibers wurden von den zotigen Antworten des Lords unterbrochen, der, als er einige Gläser starken Wein hinuntergestürzt hatte, in den rechten Humor gerieth.
Sein wieherndes Gelächter wollte kein Ende nehmen, er war unerschöpflich in Flüchen und schamlosen Reden. Er erzählte dem Diener seine eben erlebten Abenteuer, schwor dem verdammten Buben Howe den Tod, und daß er in Lätitias Armen genießen wolle, allen Verräthern zum Verderben. Plötzlich aber faßte er den Schreiber ans Genick und mit gewaltiger Hand warf er ihn in eine Ecke, wo er ihn fest hielt. – Seine grimmigen Augen bohrten sich in das eckige, blaurothe Gesicht des unglücklichen Wilkins ein, den er beinahe erwürgte und erst nach einigen Minuten, in denen er seine ganze Teufelskunst im Aengstigen seines Opfers erschöpft hatte, ließ er ihn los und begann sein Gelächter von Neuem.
Ew. Herrlichkeit! rief Wilkins, sich die Augen wischend und ebenfalls lachend so gut er konnte, das ist ein Spaß, der einem ehrlichen Jungen das Leben kosten kann!
Mach' Dir nichts daraus, John, schrie der Lord, ich weiß Du kannst es ertragen. Du hast keinen Laut umsonst verloren, als der Henker Dir deine Ohren nahm und er hatte ein stumpfes Messer. – Es kam mir vor, John, als wärst Du der Schurke, der mit William Howe sein Spiel gespielt, aber Du bist es nicht. Ich weiß es jetzt, denn ich habe in Deine verdammten Augen gesehen, als ich Dir die Zunge herausdrückte. Wärst Du es, Du Lump, ich hätte es gemerkt an jedem Haar, das borstig auf Deinem Kopf steht und ich hätte einen Strick daraus drehen lassen für Dich. Aber Du bist es nicht, Du bist ein zu schlauer Halunke, um etwas zu thun, was Dir den Hals kosten muß. Schaffe mir den Hund, John Wilkins, schaffe mir den verdammten Verräther, daß ich ihn peitschen und brennen lassen kann und Du sollst zehn Pfund von mir haben.
Der Schreiber stieß eine Reihe der füchterlichsten Flüche und Schwüre aus, um seine Unschuld zu bekräftigen und Jeffreys war damit zufrieden. Seine brüllende Lustigkeit nahm zu, je mehr er Wein und Toddy Hier nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung, Palmwein, gebraucht, sondern im Sinne von »Hot Toddy«, ein dem Grog ähnliches Getränk aus hochprozentigem Alkohol, Zucker und Wasser. heruntergoß.
Nach einiger Zeit ließ der Schreiber ein paar andere Kumpane herein, heruntergekommene, geckenhafte Schurken der gemeinsten Art, aber mit diesen hatte Jeffreys am liebsten zu thun. Ein verarmter Edelmann darunter, der von der Bande verhöhnt, geschlagen und betrunken gemacht wurde, und halb nackt auf dem Tische tanzen mußte, war die Krone des Ergötzens.
Endlich erschien der berüchtigte Richter Williams, Jeffreys Gehülfe in seiner langen Reihe von Schandthaten, und nun begann eine jener wilden Bacchanalien, welche die Geschichte von diesem entsetzlichen Lord-Kanzler aufbewahrt hat. Er trank, schrie, lachte und fluchte, zerriß seine Kleider, schlug sich mit seinen betrunkenen Kameraden blutig, stieß die entsetzlichsten und gemeinsten Reden hervor, sprang in verwegenen Wetten über die Tische, kletterte an den Thüren empor, erzählte die schmachvollsten Handlungen aus seinem Leben und verbrämte sie mit unfläthigen Spöttereien, bis er endlich der jubelnden Bande alles an die Köpfe warf, was er erreichen konnte, sie unter den gräulichsten Flüchen zum Hause hinaus trieb und dann sinnlos zu Boden stürzend auf sein Lager getragen werden mußte. –
So verlebte der Kanzler diese Nacht, die er in Thränen und Kummer, wie er der alten Frau es vorgeseufzt, hinbringen wollte.
An demselben Abend waren im Hause des Grafen von Shrewsbury sieben Männer in geheimer Berathung beisammen, die zu den ersten und größten in England gehörten. Außer dem Hausherrn saßen in dem verschlossenen Zimmer, dessen Fenster dicht verhängt waren, die Grafen von Devonshire und Danby, die Lords Sidney und Lumley, der suspendirte Bischof von London, Herr Compton und Admiral Russell. – Papiere lagen vor ihnen auf dem Tisch und ihre Unterredung wurde mit gedämpften, leisen Stimmen geführt.
Die Gesichter dieser Pairs und Herren sahen düster und nachdenkend aus. Sie waren Alle Männer, die theils in hohen Staatsämtern gewesen, theils durch ihren Rang und Reichthum besondere Ehre genossen hatten. Die meisten waren Hofleute, nicht besser und nicht schlechter wie Viele. Einige hatten ein wildes Leben gelebt nach der Sitte der Zeit, mit Weibern, mit Spiel und in wüster Liederlichkeit.
Es waren schöne, stolze Männer darunter, die, wie Heinrich Sidney, den Ruf des vollendeten Verführers, oder wie der stolze Graf Danby, den Ruf der tollkühnsten Tapferkeit besaßen. Alle aber hatten über den König zu klagen, Alle waren voll Haß und tief steckten sie in den feinen Netzen, die im Haag für sie seit langer Zeit gewoben wurden.
Der Admiral Russell, eine hohe, kräftige Gestalt mit hartem Gesicht, fahlem Scheitel und dicken Augenbraunen, die borstig über seiner Nase zusammenliefen, hatte die Faust geballt auf die Tafel gelegt und sprach eindringlich zu seinen Freunden.
Was wir thun, muß ohne Zögern gethan sein, sprach er. Hier gilt kein Säumen mehr und kein scheues Zurückweichen, wenn es uns nicht so gehen soll, wie es Shaftesbury gegangen ist, meinem Vetter Russell und Algernon Sidney Alle drei waren Gegner der absoluten Monarchie; Sidney und Russell waren unmittelbar am ›Rye House Plot‹ (1683) beteiligt, der darauf zielte, durch Attentate auf Charles II. und seinen Bruder James, den späteren Jakob II., England die Freiheit zurück zu geben. In einem Schauprozess unter Jeffreys' Vorsitz wurden beide zur Enthauptung verurteilt. Shaftesbury hatte sich zuvor mit Sidney und anderen zur Beseitigung der Tyrannei verschworen, konnte aber fliehen und starb 1783 im niederländischen Exil..
Ich stimme zu Allem, was ihr beschließt, antwortete Heinrich Sidney, der bei seines Bruders Namen eine rasche Bewegung machte.
Aenderung ist von dem Könige nicht zu erwarten, sagte Graf Shrewsbury, ebenso wenig aber haben wir Gnade zu hoffen, wenn man entdecken sollte, was wir begannen.
Ich denke, Niemand unter uns wird Greys oder Monmouths Rolle spielen wollen, rief der rasche Lord Danby.
Erinnern Sie sich, Mylords, sprach der Bischof, was der König in seiner ersten Parlamentsrede sagte, als das Parlament in bescheidenster Weise an die Rechte des Volks mahnte:
»Ich will ein für alle Mal hiermit erklären,« sagte er, »daß solche Erinnerungen nichts bei mir fruchten. Meinen königlichen Willen werde ich Euch deutlich kundgeben; die Rechte meiner Krone werde ich zu bewahren wissen und wehe dem, der sie anrührt!«
Und das alles hat er redlich gehalten, versetzte Lumley lächelnd, und bei Gott! seine Tyrannei, sein Pfaffenregiment, seine Willkür ist so arg geworden, daß von Rechten und Freiheiten des Volks nichts übrig bleibt, wenn wir sie nicht zu bewahren wissen.
Er hat den Vertrag gebrochen, der zwischen Volk und Fürst besteht, fiel der Graf Devonshire ein, und nach göttlichem und menschlichen Recht ist somit auch unsere Verbindlichkeit gegen ihn erloschen. Hier sitzt der hochwürdige Bischof von London; wir würden ihn nicht an dieser Stelle sehen, wenn er anders dächte.
Der König hat die Krone verwirkt, erwiederte der Prälat, mein Gewissen befiehlt mir dies auszusprechen und weder die feilen und knechtischen Professoren in Oxford, noch andere Werkzeuge seiner unrechtmäßigen Gewalt können durch ihre Bannsprüche und Scheiterhaufen die Wahrheit zu Schanden machen.
Der Tag wird kommen, sagte Danby heftig, wo alle diese Oxforder Dekrete und schamlosen Lügen von Henkershand öffentlich verbrannt werden, wie es jetzt der Wahrheit geschieht; und alle die schändlichen Werkzeuge der Tyrannei ihren Lohn am Galgen finden.
Jeffreys! rief Heinrich Sidney mit blitzenden Augen.
Die ganze Brut ehrloser Schurken! fügte Lumley finster hinzu.
Nachdem in dieser Weise noch einige Zeit das Gespräch fortgesetzt worden war, sagte Graf Shrewsbury: Ich sehe, meine werthen Herren, wir sind vollkommen einverstanden, daß es so nicht länger fortgehen kann. Niemand von uns ist seines Lebens und seiner Güter mehr sicher. Der König ist in dem Wahn, er könne und dürfe alles, sieht, wie sein Freund und Bundesgenosse Ludwig der Vierzehnte, sich für den Staat an und uns für seine Knechte. – Nach und nach ist jeder von uns tief gekränkt und beleidigt worden und hat an schwerer Unbill zu tragen. Die Edelsten und Besten sind hinausgeschleppt worden, um aufgehängt zu werden oder ihr Haupt auf den Block zu legen. Katholische Priester und Insurgenten durchstreifen das Land und sitzen im Staatsrath; Messe wird wieder gelesen und Gräuel ohne Zahl bedeckt das Land, weit sind wir nicht mehr von den Zeiten der spanischen Maria.
Wir aber, fuhr er fort, indem er sich hoch aufrichtete, wir gehören zu den ersten Bürgern dieses Landes. Unsere Väter haben einst die Willkür der Könige gebrochen, haben Rechte und Freiheiten für jeden englischen Mann erworben, es steht uns daher zunächst zu, dafür zu sorgen, daß die alte Tyrannei nicht wiederkehre. Der Adel von England ist ein Landesadel; was dem Volke verloren geht, geht ihm verloren; wehe uns, wenn wir uns vom Volke trennen!
Wehe uns, wenn dies in uns seine Feinde erkennt. – Wir haben gesehen, wohin der Haß gegen den Adel führte, zu Cromwells Zeiten. Hüten wir uns, daß das Haus der Gemeinen nie wieder das Haus der Lords auflöst und dem Junkerparlament, wie man damals laut und hohnvoll rief, ein Ende macht. Mit Hülfe des Adels ist Karl der Zweite nach England wiedergekehrt; sein schmachvolles Leben will ich nicht antasten, aber dennoch war es eine glückliche Zeit, wenn wir sie mit dem vergleichen, was seit drei Jahren hier geschehen ist.
Karl, sagte der Graf Devonshire, war ein ritterlicher, fröhlicher Herr, der seinen Gelüsten nachging und die Gesetze verachtete, aber doch ein gutes Herz besaß. Er war ein Edelmann, jeder Zoll ein Ritter, und möchte er gethan haben, was er wolle, möchte er meines Vaters Blut vergossen haben, eher sollte meine Hand verdorren, ehe ich sie gegen ihn erhöbe.
Mit dieser Entschuldigung schienen die meisten übrigen Herren einzustimmen; nur Lord Lumley, der etwas von dem hochgearteten, freien Geiste seines ermordeten Freundes Algernon Sidney in sich trug, sagte nach einer kurzen Stille ernst und nachdrucksvoll:
Karl der Zweite war um nichts besser, als dieser Jakob und schlechter, als sein Vater, der den Tod erlitt, weil er des Volkes Rechte mit Füßen trat. Alle diese Stuarts haben darauf gesonnen, despotisch zu herrschen; Gewalt und Macht waren ihre Begleiter, Raub, Mord und Bedrückung ihre Gehülfen; so müssen sie leiden, was sie verwirkten. Sie verstanden ihre Zeit nicht, sie wollten nicht groß und geliebt sein, nicht Wohlthäter der Menschen, darum müssen sie untergehen. Ihre Zeit ist abgelaufen.
Die harte, entschlossene Rede des Lords schien Mißbilligung zu finden, aber Graf Shrewsbury ließ es zu keinem Streit kommen.
Mylords, sagte er, wir wollen keine Rache, sondern Gerechtigkeit. Möge die Zeit Karls des Ersten nie wiederkehren. Der Himmel schenke Allen ein langes Leben. Wir wollen Friede und Ruhe, allgemeine Sicherheit und Glück in jeder Hütte. – Hier ist Mylord Russell, er wird uns sagen können, wie es im Haag steht und was Se. Hoheit, der Statthalter, ihm aufgetragen hat.
Sie wissen, Mylords, begann der Admiral, auf den sich die Blicke richteten, daß der Boden im Haag glatt ist und Wilhelm von Oranien das undurchdringliche Gesicht seines Urgroßvaters geerbt hat, jenes Schweigenden, wie ihn die Geschichte nennt. – Drei Male bin ich jetzt im Haag gewesen, zuerst kurz abgewiesen, dann lächelnd angehört, dann mit halben Worten getröstet worden. Endlich hat man mir Vertrauen geschenkt.
Sprecht es kurz aus, Lord Russell, fiel Danby ein: Will er helfen und kommen oder will er das Spiel, das er seit einem Jahre spielt, fortsetzen und hinter Zweifeln und Möglichkeiten sie verschanzen?
Er will kommen, fuhr Russel fort, denn er kann es nicht länger aushalten. Die Tausende mißvergnügter Engländer treiben ihn und längst ahnt man in Paris, worum es sich handelt. Die Flotte im Texel, die Soldaten an der Maas sind für England bestimmt. Seine Seele ist erfüllt von Ruhmdurst und Ehrgeiz, aber – er sucht nach einer Rechtfertigung im Fall des Mißlingens, um vor den Augen der Welt sich rein zu waschen. – Mylords, fuhr er kalt fort, er fordert von uns, daß wir ihn rufen. – Hier ist die Schrift, welche wir unterzeichnen sollen. Im Fall des Gelingens wird sie unsere Namen ehrenvoll in die Bücher der Geschichte schreiben; mißlingt es aber, so überliefert sie unsere Köpfe dem Henker.
Ruhig begann der Lord jetzt die berühmte und bekannte Schrift zu lesen, durch welche die Verschwornen den Prinzen von Oranien nach England riefen und ihm mit ihrer Ehre betheuerten; zu ihm stoßen zu wollen, sobald er gelandet sei, um Sicherheit, Frieden und Recht in den drei Königreichen wieder herzustellen. – Es war eine lange, wahre und schreckliche Anklageschrift gegen den König Jakob, ein Register seiner Verbrechen und Sünden, klar zum Erschrecken und mit der größten Schärfe abgefaßt.
Als der Admiral geendet hatte, blickte er umher, um die Wirkung zu beobachten. – Er sah schweigende und finstre Gesichter; das Bewußtsein dessen, was geschehen sollte, stand auf jedem geschrieben.
Darf ich fragen, Mylord, sagte endlich der Bischof von London, worin die Beweise bestehen, daß man diese Schrift in keinem Falle zu unserem Verderben benutzt?
Nun, zum Henker! rief der heftige Russell. Sie hören ja, daß sie zur Rechtfertigung des Prinzen dienen soll und ohne Zweifel wird sie das Manifest sein, mit dem er seine Landung begleitet.
Wir Alle sind in der Gewalt des Königs, erwiederte Compton bedächtig, und wenn diese Schrift veröffentlicht wird, sind wir geächtet.
Ich habe nie daran gezweifelt, sagte Lumley kalt, daß wir ein Spiel um unsere Köpfe spielen. Wer da glaubt den seinen zu retten, mag ihn noch aus der Schlinge ziehen.
Auch dazu möchte es zu spät sein, rief Danby spöttisch lachend. Denn Sunderland und Jeffreys so wenig, wie Jakob selbst, werden Einem von uns einen Tag schenken, der mit dem Haag in geheimen Unterhandlungen stand, und davon läßt sich nichts abwaschen, Mylord Compton. Sie sind der eifrigste Briefschreiber an die Fürstin und ihren Gemahl gewesen.
Ich habe die Fürstin unterrichtet, sagte der Prälat, und verehre die Prinzessin Maria aufs Innigste. Ich leugne nicht meine eifrige Theilnahme, aber dies Dokument erfordert die höchste Vorsicht. – Es bricht jede Brücke hinter uns ab und überliefert uns rettungslos dem Henker. Worin besteht die Bürgschaft, die man uns giebt?
Die Bürgschaft, sprach der Graf von Shrewsbury mit gedämpfter Stimme, befindet sich in diesem Kabinet. Ein Abgesandter des Prinzen ist hier, um uns in seinem Namen alle Bürgschaft zu geben, die wir nöthig haben.
Bei diesen Worten öffnete er eine Wandthür, entfernte sich einige Augenblicke und trat dann mit einem Herrn herein, der wie ein londoner Bürger der damaligen Zeit aussah. Ein dritter, großer Herr, in einen Mantel gehüllt, den er vor sein Gesicht hielt, folgte und blieb an der Thür stehen, während die beiden bis zu dem Tisch vorschritten.
Der Fremde hat einen kleinen, dreieckigen Tressenhut auf eine wulstige Perrücke gesetzt, deren Zopf weit über seinen braunen, weiten Rock fiel. Dieser war mit schmalen Silberlitzen und blanken Knöpfen besetzt und bedeckte den stattlichen Körper des Herrn bis auf die hohen Stiefeln. Sein starkes Kinn versteckte sich in einer weißen Binde und seine breiten, ergrauten Augenbraunen gaben ihm das Ansehn eines alten Mannes.
Mit stummer Neugier betrachteten die Verschworenen den Abgeordneten, den Keiner kannte. Sidney, der am Hofe im Haag gut Bescheid wußte, warf sich mißmuthig in den Stuhl zurück.
Nun bei Gott! rief er, ich hätte denken sollen, daß der Prinz zu diesem wichtigen Geschäft einen Mann gewählt hätte, der einigermaßen unser Vertrauen schon besäße.
Allerdings, versetzte der Fremde, den Hut abnehmend, und lauter lachend, als es schicklich war, aber ich nehme an, daß er dies wirklich geglaubt hat. – Bei diesen Worten riß er die Perrücke vom Kopfe, wischte Schminke und falsche Augenbraunen aus dem Gesicht und sah dann nach allen Seiten übermüthig umher.
So wahr ich lebe, Doktor Burnet! schrie der Lord. Ha, Burnet, Sie wagen das Aeußerste.
Nicht mehr, als jeder von uns, erwiederte der berühmte Verbannte.
Und wer ist das! rief der Graf von Devonshire – so erstaunt, als sähe er einen Geist.
Der Herr an der Thür hatte den Mantel vom Gesicht gezogen.
General Churchill, der Günstling des Königs! antworteten mehrere Stimmen.
Sind wir verrathen! rief Lumley wild aufschreiend und die Hand an den Degen legend.
Nein, nein, sprach Burnet lächelnd, Sie kennen unsere Freunde noch nicht. Treten Sie näher, Churchill, ich stehe für Sie ein.
Doktor Burnet war eines der Hauptwerkzeuge, deren sich der Prinz Statthalter seit längerer Zeit bediente, um die Revolution in England vorzubereiten. – Er war ein Mann von vielem Geist und großen Kenntnissen, aber von eben so viel leidenschaftlicher Unruhe; ein schottischer Hitzkopf, ein Prahler und Aufschneider von enormer Eitelkeit und Selbstgefälligkeit. Seine Unverschämtheit war sprichwörtlich geworden, aber er war bei allen seinen Fehlern ein außerordentlich kühner, unternehmender und unbeugsamer Mann, dessen glühende Kanzelberedsamkeit eben so zauberhaft wie manche seiner Schriften wirkte. Sein volksthümlicher Ruf war über allen Zweifel erhaben. Er hatte den unglücklichen Lord Russell zum Schaffot begleitet und war tief verstrickt in alle geheime Intriguen der Parteien, die nach und nach zu Verschwörungen wurden. –
Gilbert Burnet war unter den lockendsten Anerbietungen König Jakobs standhaft geblieben und hatte klug, wie er war, endlich England verlassen, als man ihn zu verfolgen begann. – Er war nach dem Haag gekommen, um dort in kurzer Zeit geistlicher Rath und Freund der frommen Prinzessin Maria zu werden, während er zugleich des Prinzen politischer Rath ward, der seine scharfe Feder im reichsten Maaße zu benutzen verstand. – Der Prinz ließ sich die dreisten Ungezogenheiten des Doktors gefallen, wie von keinem anderen Menschen und Burnet nahm dagegen die spöttischen Rügen seines erhabenen Freundes mit Gelassenheit in Empfang.
In England hatte man ihm den Prozeß gemacht wegen seiner hochverrätherischen Schriften und Niemand wurde so sehr von Jakob gehaßt, wie dieser unverschämte, vorlaute, geckenhafte Geistliche, den er als den Narren seines Jahrhunderts verachtete, aber ihn um namhaften Preis gern in Jeffreys Händen gesehen hätte. Bei alledem war Burnet im Haag wohlbehütet von dem Schwiegersohn vor dem Zorn des königlichen Vaters, der schreiben, fordern und in bitterer oder freundlicher Weise begehren konnte, was ihm beliebte, es fiel in Holland kein Blatt davor vom Baume.
Dieser Mann nun, den Alle kannten, den sie um seiner Gaben willen achteten und heimlich verspotteten, erschien jetzt plötzlich als Abgeordneter des Prinzen mit allen seinen verschiedenartigen Eigenschaften ausgerüstet. Ganz ungenirt, als sei er unter seines Gleichen, setzte er sich in den Kreis dieser stolzen Lords und rechnete ihnen vor, was sie zu erwarten hätten, wenn Wilhelm von Oranien sich nicht ihrer annähme. Mit seiner derben Unverschämtheit rückte er ihnen manche Verhältnisse ihres Lebenswandels vor, ihre Schulden, ihre Verschwendungen, ihren Leichtsinn, ihre früheren Verbindungen mit dem Hofe, ihre Aemter- und Stellenjagden, ihr ganzes Sündenregister und vermischte seine Ausfälle dann wieder geschickt mit Lobsprüchen über ihr endliches Erwachen und mit eindringlichen Schilderungen der Pläne des Königs, England papistisch zu machen und als absoluter Herr zu schalten.
Ich sehe bei alledem nicht, Herr Doktor, sagte endlich Graf Danby, daß Ihr uns irgend eine Bürgschaft gebt.
Bin ich denn nicht selbst die beste Bürgschaft, rief Burnet lachend, und habt Ihr nicht an mir und meinen Versicherungen genug, daß der Prinz aufrichtig entschlossen ist, Euch und England zu helfen?
Habt Ihr eine schriftliche Beglaubigung, ein Schreiben des Prinzen, das Euch legitimirt? fragte der Graf.
Burnet wurde roth, seine Eitelkeit war schwer verletzt. Nein, Mylord, sagte er sarkastisch, ich bin kein Gesandter, den ein gekröntes Haupt an seinen ebenbürtigen, königlichen Bruder sendet. Bedenkt die Verhältnisse, zudem aber verlange ich nicht von Euch die schriftliche Erklärung und Einladung. Sendet einen Vertrauten damit nach dem Haag und laßt Euch von ihm berichten.
Vielleicht, fragte Lord Lumley, indem er auf Churchill deutete, könnt Ihr uns besser sagen, welche Deutung wir der Anwesenheit dieses Herrn geben sollen?
Meiner Treu! rief der Doktor, ich dächte darüber brauchte man am wenigsten eine Erklärung. Aber reden Sie selbst, General, sagen Sie diesen Herren, was Sie bewogen hat, mich zu begleiten.
Der schöne, stattliche Baron trat näher und sagte ungezwungen, wie ein Hofmann: Sie kennen mich Alle, Mylords, und wissen, daß meine Frau die Ehre hat, die Freundin ihrer hohen Gebieterin, der Prinzessin Anna, zu sein.
Eine Freundschaft, die so zärtlich ist, fiel Burnet ein, daß Ihre königliche Hoheit nichts thut, was Lady Sara Churchill nicht billigt. Da nun die Frau nach den Geboten Gottes dem Manne unterthan sein soll und Lady Churchill eine gehorsame Frau ist, so haben wir hier einen einfachen Kettenschluß, der darauf hinauskommt, daß der General, welcher sich hier befindet, nur hier sein kann, weil er seit längerer Zeit schon die Briefe Ihrer königlichen Hoheit und die der Lady Churchill nach dem Haag beförderte und dem Prinzen Statthalter dabei solche Versicherungen ertheilte, daß ich beauftragt wurde, ihn aufzusuchen, mit ihm mich zu verständigen und ihm volles Vertrauen zu schenken.
Ich hoffe dieß zu verdienen, erwiederte der Baron, und wenn es wunderbar scheinen könnte, daß ich, den die Welt einen Günstling des Königs nennt, mich hier befinde, der weiß nicht, daß ich schon vor einem Jahre nach dem Haag schrieb, ich sei bereit, mit Blut und Leben ein Märtyrer für die gute Sache meines Vaterlandes zu werden. Seit dieser Zeit aber hat sich nichts gebessert. Der König will nicht hören auf die Stimme des Rechts und der Vernunft, seine Priester und Kreaturen treiben ihn zum äußersten; man muß ihn daher seinem Schicksale überlassen.
Und für sich selbst sorgen, wie es klugen Leuten geziemt, murmelte Lumley verächtlich vor sich hin.
Eine Frage, Baron Churchill, sprach der Bischof. Weiß die Prinzessin, daß Sie sich hier befinden?
Der General schwieg einen Augenblick, dann sagte er lächelnd: Nein, aber – meine Frau weiß es.
Und das ist genug, rief Burnet lachend. – Churchill hat mir versprochen, unter seinen Freunden thätig zu sein. Er versichert mich, daß die Hälfte der Offiziere auf den ersten Schlag abfällt, daß der König weder auf das Heer, noch auf die Flotte mehr rechnen kann. – Ueberhaupt aber, fuhr er mit stärkerer Stimme fort, nennen Sie mir irgend eine sichere Stütze, die dieser König noch besitzt: Er hat nichts für sich, als die Feigheit und Trägheit der großen Masse, die Furcht vor Jeffreys und seinen Henkern und die entarteten Banden der Hofleute, Hoflieferanten, Spione und aller der Elenden, welche Vortheile aus des Königs Gewaltthaten und des Königs Hofhaltung ziehen und alles Heil, wie alle Ehre, Freiheiten und Rechte ihres Landes für einen Bedientenantheil am allgemeinen Raube verkaufen. – Was zögern Sie also, Mylords, jene Schrift zu unterzeichnen, die den Prinzen herbei ruft und ohne die er nicht kommen kann, wenn er kein Usurpator sein will! – England muß den Befreier rufen. Sie haben gesehen, was Aufstände heißen, die ein Argyle Siehe Anm. 3., ein Grey oder Monmouth beginnt. Mit solchen Aufständen wird nichts gethan, sie führen Staat und Volk ins Verderben, und könnten leicht die Diktatur eines Plebejers, eine Republik und einen zweiten Cromwell zur Folge haben. – Ich hasse und verabscheue diesen Gedanken, und aufrichtig, Mylords, der Prinz, der seines königlichen Blutes sich bewußt ist, hat darum so lange gezögert zu kommen, weil er fürchtete, daß eine wilde Demokratie hier aufwuchern könnte. Fassen Sie jetzt nicht zu, so wird endlich das Volk selbst handeln, und wenn irgend ein Brauer oder Fleischer aus London oder Preston Jakobs Thron umstürzt, wo werden die Lords des Oberhauses dann bleiben?! – Rufen Sie den Statthalter herbei, so rufen sie auch die rechtmäßige Thronerbin, die Prinzessin Maria. – Die ganze Revolution besteht sonach darin, daß nichts verändert wird, als der König. – Ich hoffe nicht, daß Jemand hier ist, der den Prinzen von Wales Siehe Anm. 5. für einen rechtmäßigen Thronerben erachtet? – Wenn das nicht ist, so gehört der Thron der Gemahlin des Statthalters, der berechtigt ist dafür zu sorgen, daß er nicht entweiht werde. Rufen Sie den Prinzen, Mylords, und Sie thun, was Gewissen, Pflicht und Ehre gebietet. – Er wird kommen und die Steine in England werden sich für ihn erheben, Alles ist reif dazu. – Welche Bürgschaften wollen Sie noch von mir, nachdem der General Churchill hier erschienen ist? Es giebt kaum Einen in des Königs nächster Nähe, der ihm treu bleiben wird. Er ist ein verlorner Mann. Oeffnen Sie die Augen, Mylords, wollen sie noch länger zaudern und warten, bis Andere kommen, – dann Wehe Ihnen selbst, Sie werden mit ihm fallen!
Geben Sie die Feder her, Doktor Burnet, sagte Graf Shrewsbury aufstehend – ich unterschreibe!
Wir Alle, riefen die Verschwornen sich erhebend.
Und schweigend unterzeichneten sie die berühmte Schrift. – Doktor Burnet sah lächelnd zu und während er mit Churchill sich leise unterhielt, gingen die Berathungen weiter, wie das gefährliche Schreiben nach dem Haag zu bringen sei.
Der Graf von Shrewsbury hatte für den richtigen Boten gesorgt. Er war die Seele dieser Verschwörung. Er, den seine Zeitgenossen den König der Herzen nannten, und von dem sie behaupteten, es sei unmöglich ihn nicht zu lieben, hatte trotz seiner lockeren Grundsätze den Ruf des edelsten und rechtschaffensten Charakters. Er war Protestant geworden aus Ueberzeugung und hatte damit eine Popularität ohne Gleichen gewonnen. Keine Königliche Bitten und Versprechungen hatten etwas über ihn vermocht. Er hatte seine Aemter und Würden verloren und war stolz zurückgetreten, belohnt von dem Beifall des Volks. Um so mehr war der Haß des Hofes ihm zugefallen und wenn ein Haupt in Gefahr war, so war es das seine.
Hier ist der Mann, der unsere Botschaft ausrichten wird und hier ist sein Begleiter, der im Nothfall ihn ersetzen soll, sagte der Graf, indem er zwei Matrosen ins Zimmer führte.
Erst nach einigem Besinnen wurden sie erkannt. Es war der Admiral Herbert, dem Jakob alle seine Aemter genommen hatte, einer der kühnsten und verwegensten Seeoffiziere.
Ha, Herbert, rief Graf Danby, das sieht Euch ähnlich. Ihr wollt das gefährliche Abenteuer wagen?
Ich will es wagen, antwortete der Admiral, und wenn ich zehn Hälse hätte.
Und wer ist das, der mit Ihnen gehen soll? fuhr Danby fort.
Es ist mein Vetter, William Howe, sagte Shrewsbury, einst Gardehauptmann des Königs, jetzt aber entfernt und, fügte er lächelnd hinzu, wie ich denke mit dem besonderen Hasse Jeffreys beehrt.
Den ich in noch höherem Grade verdienen will, fiel der junge William ein, wenn ich lebendig aus Holland wiederkehre.
Du siehst mir aus, wie Einer, der vom Dache fallen kann und unverletzt wieder aufsteht, sagte Shrewsbury, ihn wohlgefällig betrachtend. – Glück brauchen wir Alle, ohne seine Hülfe sind wir verloren. Hier ist der Brief, Sir Herbert, näht ihn ein, wo es Euch am besten dünkt; was mündlich dem Prinzen zu sagen ist, wißt Ihr, alles Andere ist Eurer Klugheit überlassen.
Nach einer langen Unterredung schieden endlich die Boten, zwei kluge tapfere Männer, unter den Geleitwünschen der Versammlung, die bald darauf sich unter der Abrede entfernte, im Stillen thätig zu sein und abzuwarten.
Doktor Burnet blieb zurück mit Churchill, dem er Briefe einhändigte, ihm vertraut und lebhaft erzählte, wie gnädig der Prinz ihm gesinnt sei, welche Dankbarkeit er von dem fürstlichen Paare zu hoffen habe und was die Zukunft ihm bringen werde.
Baron, sagte er endlich, Männer, wie Sie, sind es, die das Höchste erwarten dürfen, Reichthum und Ehre und alle Güter und Freuden dieser Welt. – Ich habe etwas von einem Propheten in mir und sage Ihnen als solcher, daß ich Sie als den Ersten in diesem Lande erblicke, und daß eine Zeit kommen wird, wo keiner Ihrer kühnsten Wünsche unerfüllt bleibt.
Churchill's schönes, stolzes Gesicht verklärte sich. –
Versichern Sie dem Prinzen, sagte er, daß mein Leben ihm und seinen Absichten gehört.
Bereiten Sie die Prinzessin Anna vor, mich zu sehen, flüsterte Burnet, und verschaffen Sie mir eine Gelegenheit zu einer geheimen Audienz.
Der General versprach Alles und als Shrewsbury zurückkehrte, blieben die drei Männer noch lange im vertrauten Gespräch.
Endlich ging Churchill, und Burnets Gesicht nahm den Ausdruck des äußersten Hohns und der Verachtung an. – Ja, das ist der Fluch der Tyrannen, rief er, daß sie nirgend wahre Treue und Liebe finden. – Dieser Mann, überhäuft mit Liebkosungen und Ehren, verräth seinen Wohlthäter. Er, der niedrige Sclave seines Weibes und seines Geizes, der seinen Körper, als er noch ein halbes Kind war, der königlichen Maitresse Cleveland verkaufte, verkauft sich jetzt dem Feinde seines Herrn und wird es dahin bringen, daß das Kind den Vater verräth. – Welche Lehre für die Könige, welchen alles käuflich ist! Ha, ich verstehe die Verachtung, welche Wilhelm von Oranien gegen die Menschen hegt, in denen er nichts sieht, als eigennützige, nichtswürdige Werkzeuge, die Jedem feil sind, von dem sie den meisten Lohn hoffen dürfen.
Von Allen, die den König umgeben, sagte Shrewsbury, ist Sunderland der Einzige, der an ihm festhalten wird, weil er nicht zurück kann.
Festhalten wird! rief Burnet lachend. O! glaubt das nicht. – Ich habe im Haag Briefe auch von ihm gesehen, auch er erbietet sich zum Verrath. Nein, dieser unglückliche Monarch hat keinen Freund, nur Knechte und Werkzeuge seines Willens, die ihn schmähen und verhöhnen werden, wenn sie ihn nicht mehr zu fürchten haben.
Das ist das Loos wortbrüchiger Fürsten, erwiederte Shrewsbury, das Loos derer, die selbst ohne Treu und ohne Glauben ihren ehrgeizigen und fanatischen Gelüsten folgen. Ohne Sittlichkeit, ohne Menschenwürde kann kein König und kein Thron bestehen.
In Whitehall erwartete der Staatssekretär am nächsten Tage den König, der, wie ihm seine Vertrauten berichteten, in der düstersten Stimmung aus dem Lager zurückgekehrt, mit Pater Petre eine lange geheime Unterredung hatte. – Lord Sunderland war selbst gereizt und unruhig. Man sah ihn in der Gallerie lange auf- und abgehen, die Stirn gefurcht, die Hände auf den Rücken gelegt und die Augen auf den Boden geheftet.
Plötzlich aber wurde er in seinem Nachsinnen durch die rohe, heisere Stimme des Kanzlers unterbrochen, der hereintrat und ihm einen guten Morgen bot. Aber auch Jeffreys sah anders aus wie gestern. Sein Gesicht war röther und dunkler, als gewöhnlich, seine Augen mit Blut unterlaufen, an seiner Backe liefen ein paar lange Schrammen herunter, als sei er geschunden, und seine Nase war bedenklich aufgelaufen.
Es war bekannt genug, daß der Kanzler, wenn er eine wilde Nacht durchtrunken und durchschlemmt hatte, gewöhnlich am andern Tage einige Zeichen davon an sich trug, aber er war dann auch in einer so wüthenden Aufregung, daß er mehr einem wilden Thiere im Käfig, als einem Menschen glich und Niemand seiner Vertrauten sich ihm nahen durfte.
Als Lord Sunderland einen Blick auf seinen Gefährten warf, konnte er sich eines spöttischen und verächtlichen Lächelns nicht erwehren.
Nun Mylord, rief Jeffreys ihm nach, als er weiter ging, Ihr scheint Euren lustigen Tag zu haben.
Und bei Euch, theurer Kanzler, erwiederte der Staatssekretär, ist es Vollmondszeit wie ich sehe. Ihr leuchtet im schönsten Glanze.
Jeffreys Augen strahlten im ausbrechenden Zorn. Nehmt Euch in Acht, sagte er, witzige Leute sterben früh, Mylord; Niemand kann wissen, wie bald ein weiser Mann ein Pair und ein ehrlicher Mann ein Dieb und Verräther wird.
Der Staatssekretär trat betroffen zurück. Auf einen Augenblick war er leichenblaß, dann färbte sein Gesicht sich fast röther noch als Jeffreys Nase. Er blickte diesen durchdringend an und sagte mit Stolz:
Wenn ich nicht wüßte, daß Ihr Mylord Jeffreys seid, des Königs Kanzler, so würde ich Euch antworten, was König Karl II. von dem Oberrichter Jeffreys sagte, daß er mehr Unverschämtheit besitze als zehn Gassenweiber zusammen genommen.
Bei dieser Antwort ballte der Kanzler in unbeschreiblicher Wuth die Fäuste, und die beiden Minister standen sich gegenüber, wie zwei Männer, die im nächsten Augenblicke über einander herfallen wollen, aber es war eben nur einen Augenblick; denn plötzlich begann Jeffreys sein gemüthliches Lachen, und indem er den Staatssekretär die Hand hinhielt, sagte er mit ganz verändertem Tone: Gott verdamme Eure witzigen Vergleiche, Mylord, aber alte Freunde sollen sich nicht erzürnen; das hieße gegen sein eigen Fleisch und Blut wüthen in dieser Zeit, wo unsre Feinde mit jedem Tage frecher werden.
So ist es also die Frechheit, die Euer Gesicht in diesen strahlenden Zustand versetzt, erwiederte der Lord.
Wir wollen sehen wie das Eure aussieht, wenn ich Euch eine Neuigkeit mittheile, versetzte Jeffreys dagegen.
Nun? sagte Sunderland.
Der Kanzler trat dicht zu ihm heran und indem er ihn durchdringend betrachtete, sprach er mit leiser, tiefer Stimme:
Gilbert Burnet ist in London! – Ha, seht ihr Mylord, wie meine Neuigkeit wirkt, rief er dann frohlockend. Eure Wangen glühen wie Feuer und auf Eurer Stirn zucken die Adern zusammen.
Burnet! antwortete der Lord, ohne sich auf eine weitere Bemerkung einzulassen. – Was wißt Ihr davon? Habt Ihr ihn gesehen?
Hätte ich das, so würde ich sagen: Burnet hat ein sicheres, schönes Stübchen im Tower bezogen.
Dann ist es Irrthum, es kann nicht sein! rief Sunderland. – Unsere Spione im Haag haben mir gestern noch geschrieben, daß Burnet sich mit einem neuen Pamphlet gegen die Aechtheit der Geburt des Prinzen von Wales beschäftige. Der König weiß es und Ihr könnt seinen Zorn Euch vorstellen. – Burnet wird nicht wagen, seinen Fuß auf englischen Boden zu setzen. Bei aller seiner prahlerischen Eitelkeit ist er zu klug, um nicht zu wissen, was hier seiner wartet, wenn er entdeckt wird.
Statt der Antwort zog Jeffreys das Billet hervor, welches er Lätitia Grey abgenommen hatte. – Er schlug es auf und hielt es dem Staatssekretär hin.
Kennt Ihr diese Handschrift, Mylord? fragte er.
Wie seid Ihr dazu gekommen? fragte Sunderland zurück.
Das ist meine besondere Angelegenheit, erwiederte der Kanzler, aber hier steht deutlich: Gilbert Burnet. – Ist es von ihm oder nicht?
Dem Anschein nach, ja. Aber es steht kein Ort und kein Tag darunter; es kann somit im Haag geschrieben sein.
Es ist in London geschrieben, rief Jeffreys, und in Wuth ausbrechend ballte er die Faust, und sagte mit zuckenden Lippen: Hätte ich den verdammten Buben halten können, der es in mein Haus brachte, so sollte er so wenig wie der nichtswürdige Pamphletschreiber dem Galgen entgehen.
Sunderland errieth in diesen Worten halb und halb, was sich zugetragen. Es war die Zeit der galanten Abenteuer und er wußte recht gut, wie es in Jeffreys Hause stand.
Ich glaube es nicht, sagte er, aber mag es sein wie es will, so viel ist gewiß, daß die Person, an welche das Billet gerichtet wurde, schwerlich von einem peinlichen Prozeß zu retten ist, wenn der König etwas davon erfährt. Thut nichts, Lord Kanzler, ehe Ihr Eurer Sache nicht gewiß seid. Ist Burnet in London, so will ich alles aufbieten, ihn greifen zu lassen und in einer Stunde hundert Hetzhunde auf seine Spuren leiten. Er soll uns nicht entgehen. Dann ist es Zeit, den König mit einer Botschaft zu überraschen, die ihn in Freude setzen wird, heut würden Euer Herrlichkeit leicht nur Vorwürfe empfangen.
Ist es die Freisprechung der Bischöfe? sagte der Kanzler. Ich habe gethan, was ich vermochte.
Dennoch legt man sie zum guten Theil Eurem Mangel an Vorsicht zur Last.
Gott verdamme die Spitzbuben, die Geschwornen! rief Jeffreys, und den Sheriff dazu, der sie ausgesucht hat. Ich wollte ihn absetzen, den Schurken, der Kerl aber winselt und schwört, er habe Leute ausgesucht, die jeden verurtheilt hätten, der ihnen vorgeführt wurde, nur diese Bischöfe nicht, für welche kein Verdammungsurtheil in ganz England zu finden sei. Das Volk sieht Heilige in diesen vermaledeiten Priestern, und gestern Abend haben wir ein hübsches Pröbchen von der Wuth des Pöbels bekommen. Es wird Zeit, Mylord, sich vorzusehen, denn aufsäßige Verräther sind sie Alle; nur die Furcht macht sie noch gelehrig.
Und selbst diese thut es nicht mehr, murmelte Sunderland, der seinen Spaziergang fortsetzte. Als er zurück kam, blieb er vor Jeffreys stehen. Ihr wißt es wahrscheinlich noch nicht, begann er, daß nicht Ihr nach des Königs Wunsch und Befehl von der Universität Oxford zum Kanzler ernannt worden seid, sondern der junge Herzog von Ormond.
Das haben sie gewagt, diese Professoren! rief Jeffreys roth vor Aerger. –
Nichts ist fügsamer, gelehriger, bedientenhafter, als ein Professor. Ein gelehrtes Thier, das hinter seinen schweinsledernen Folianten vor nichts so sehr Angst hat wie vor dem Zorn seiner hohen Gönner, ist zu Allem zu gebrauchen, und weiß vom praktischen Leben, von dem, was in der Welt vorgeht und was der Welt nützt, weniger, als der geringste Bauer. Alle Unruhe ist ihm zuwider, aller Ungehorsam die größte Sünde, alles Auflehnen gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit das schlimmste Verbrechen. –
Was haben diese Professoren nicht schon verdammt! Wie haben sie jedem Wink gehorcht, und jetzt wagen sie es, mich nicht zum Kanzler zu machen? – Das ist ein offener Abfall, Mylord, und wenn die Professoren abfallen, muß es weit gekommen sein! Ich begreife, daß Se. Majestät in den heftigsten Zorn gerathen mußte.
Ihr irrt Euch, erwiederte der Staatssekretär spöttisch lächelnd. Die Universität hat sich entschuldigt, und der König ist damit zufrieden, aber es giebt einen andern Vorfall, der Se. Majestät aufs Aeußerste verletzt hat.
Nun? fragte der Kanzler.
Der König hat heute den Versuch gemacht, das zwölfte Regiment zu einer schriftlichen Verpflichtung zu bewegen, ihm bei Durchführung seiner Absichten im Betreff der Testakte behülflich zu sein. Er erklärte den Soldaten in eigener Person, wer nicht unterschreibe, müsse den Dienst auf der Stelle verlassen.
Und was thaten sie? fragte Jeffreys, als Sunderland schwieg.
Nun, sie legten sämmtlich Piken und Musketen nieder.
Nur zwei Offiziere und ein Dutzend Gemeine, sämmtlich Katholiken, gehorchten.
Der Kanzler fuhr betroffen mit der Hand an seine Stirn.
Die Elenden! murmelte er. – Und was that der König?
Er stand blaß und stumm, dann endlich sagte er, der Stimme kaum mächtig:
Nehmt Eure Waffen wieder auf. Ein ander Mal will ich Euch die Ehre nicht anthun, Euch zu fragen.
Er hätte es niemals thun sollen, sagte der Kanzler halblaut.
Das war auch mein Rath, aber es ist geschehen, und nun er den Beweis hat, wie wenig auf diese Soldaten zu zählen ist, mußte er einsehen, daß – diese Sache eine unglückliche und verlorene ist, die uns ins Verderben führt, murmelte er zwischen den Zähnen.
Mit meinem Rathe sind die Bischöfe niemals angeklagt worden, erwiederte Jeffreys. – Er log, denn er war es, der die Anklage eifrig betrieben hatte; er sowohl wie Sunderland waren die hülfreichsten Werkzeuge gewesen.
Unterstützt Barillon, sagte der Staatssekretär leise und dringend. Ermahnt zur Vorsicht, zum Einlenken, zur Milde. Es ist Zeit, daß wir das Unmögliche von dem Möglichen trennen. – Da kommt der König.
Und in der That öffnete sich die Thüre der Gallerie und König Jakob trat herein. Sein Gesicht flammte, seine tief liegenden Augen waren röthlich entzündet, die gelblichen, schmalen Lippen zitterten vor Zorn und in der Hand hielt er ein Papier, das er zusammengeknittert hatte. – Hinter ihm erschien der französische Gesandte Barillon, kalt und unbeweglich wie immer, den Schluß machte Pater Petre, welcher freundlich und bedächtig die Thür zumachte.
Ich hasse die ungebetenen Rathgeber, sagte der König heftig, und will meine Selbständigkeit bewahren. Glaubt man in Paris weiter zu sehen als in London? Glaubt man dadurch mein Wohl zu fördern, daß man von Verschwörungen träumt, die nicht existiren? Glaubt man, daß ich ein Kind oder ein Narr sei, daß Andre für mich denken müssen, oder daß ich wie ein kleiner deutscher Prinz einen mächtigen Beschützer nöthig habe?
Majestät, erwiederte der Gesandte ruhig, ich erfülle stets nur das, was mein Herr mir befiehlt. – Man weiß in Paris, wie es scheint, allerdings mehr als wir. Der König, mein Herr, hat die bestimmtesten Nachrichten über die Pläne des Prinzen von Oranien, er weiß, daß eine mächtige Partei von Unzufriedenen in England vorhanden ist.
Aber keine Verschwörung, erwiederte der König. Wo sind die Verschwörer? Zeigt sie mir, nennt sie mir! Niemand wagt es, sich offen gegen mich aufzulehnen; ich besitze Macht genug, es zu hindern, und habe den Muth der Unzufriedenen gebrochen.
Dennoch, fiel der Gesandte ein, muß ich Ew. Majestät nochmals die Worte meines Herrn wiederholen: Es ist unbegreiflich, schreibt der König, Ihr Alle scheint in London zu schlafen oder Euer Hof ist verhext, während die größte Verschwörung droht, die je gebildet wurde.
O! ich begreife es, sagte Jakob, gezwungen lachend. Mit dem Ammenmärchen einer Landung in England hat man sich die Köpfe verdreht. Bedenkt es doch selbst, Herr Marquis, was wäre unnatürlicher und unerhörter? Wo hätte die Weltgeschichte ein solches Beispiel aufzuweisen, wenn mein eigener Schwiegersohn, der Mann meiner geliebten Tochter, ein Prinz voll königlichen Blutes, mit Meuterern und Rebellen gemeinsame Sache machte, um meine Krone anzutasten? Nein, es ist so, wie die Generalstaaten sagen. Die niederländische Flotte ist gegen die Algierischen Seeräuber bestimmt, das Heer bei Nymwegen aber soll Eure Rüstungen gegen die Deutschen beobachten.
Es ist möglich, erwiederte Barillon, immer aber dürfte die offene Erklärung meines Herrn, daß er jeden Angriff auf Ew. Majestät als einen Angriff auf sich selbst betrachte, von guter Wirkung sein.
Ich muß diese Hülfe offen zurückweisen, sprach der König stolz. – Ihr wißt, wie ein großer Theil des englischen Volkes über mein Bündniß mit Frankreich denkt. – Diese Erklärung entfremdet mir die Herzen und ist mir gefährlicher als alle Heere in Holland und alle Verschwörungen.
Ich wünsche, daß Ew. Majestät Recht behalten, sagte der Gesandte, sich verbeugend; indeß wage ich zu glauben, daß Ew. Majestät dieses Bündniß noch niemals zu bereuen hatten.
In dem Augenblick entstand ein gewaltiger Lärm auf dem Platze vor dem Palast. Das Geheul und das Gekreisch vieler Stimmen schallte herauf. –
Was giebt es da? fragte Jakob. –
Sire, sagte ein eintretender Hofmann, es sind die irländischen Abgesandten, die vom Volke begleitet werden.
Der König trat ans Fenster, aber ein grimmiges Lächeln zuckte über sein Gesicht, als er einen Blick hinauswarf. – Er erblickte eine Kutsche, die so eben in den Hof des Schlosses biegen wollte, doch mitten in dem begleitenden Volksschwarm fast stecken blieb. Eine Schaar von lumpigen Burschen und Weibern drängte sich jubelnd und ihre Hüte schwenkend heran, während eine Leibgarde ähnlicher Genossen dem Wagen voraufzog, mit langen Stäben und Holzstücken versehen, an deren obersten Ende große Ertoffeln steckten.
Macht Platz für die Gesandten von Irland! Platz für die irischen Gentlemen! schrieen sie aus Leibeskräften und diesem Ruf folgte ein unauslöschliches Hohn-und Beifallgelächter, in welches die ferner stehenden, den besseren Volksklassen angehörigen Zuschauer ohne Ausnahme einstimmten.
Schickt die Wache hinaus! rief der König sich umwendend, bleich vor Zorn und die Hände ballend. – Fort mit dem frechen Gesindel! – Giebt es keine Aufsicht mehr, keine Schranke, keine Peitsche und keine Büttel, welche die Schuldigen greifen und an den Karren binden? Haben wir darum erst die neuen Konstablerwachen eingeführt, um solchen Hohn vor unseren Augen zu dulden!
Die Heftigkeit des Königs erschreckte seine Umgebungen. Er blieb am Fenster stehen, die Wachen des Schlosses eilten hinaus und befreiten den Wagen, aber die Soldaten lachten kaum weniger als das Volk und Niemandem geschah irgend ein Leid.
Diese Frechheit des Pöbels haben wir zu fürchten, sagte der König, nicht aber die Phantasien einer holländischen Landung. – Hier steht der Präsident meines Geheimraths, der erste Staatssekretair des Reichs, Lord Sunderland. – Redet Mylord. Sagt aufrichtig, glaubt Ihr daran? Haltet Ihr es für im geringsten wahrscheinlich, daß eine so unerhörte Verschwörung gegen uns im Werke sein könnte?
Ich glaube es nicht, Sire, erwiederte der Lord, es spricht zu Vieles dagegen. Ich gehe über die Familienverbindungen fort, berücksichtige keine ehrgeizigen Träume, Mißvergnügen und Verstimmungen; allein ist es denkbar, daß, wenn der Prinz selbst geheime Absichten hätte, die Generalstaaten ihre Einwilligung geben würden? Ist es denkbar, daß im Angesichte aller Könige und Fürsten eine solche freventliche That auszuführen sei? Ist es endlich denkbar, daß, während die französischen Kriegsheere an den Gränzen stehen, Holland von Schiffen und Truppen entblößt, der Gnade seiner Feinde Preis gegeben werden soll, um England anzugreifen?
So ist es! rief Jakob, und wenn er käme, er würde einen heißen Empfang finden. Meine Flotte liegt auf der Themse; dreißig Linienschiffe, bemannt mit zwölftausend der besten Seeleute, geführt von treuen Offizieren und einem Admiral, Lord Dartmouth, der so gut ist, als stände ich selbst an der Spitze.
Der Prinz ist zu klug, um nicht einzusehen, daß eine einzige Niederlage ihn in unrettbares Verderben stürzt, fuhr Sunderland fort. Rechnet er auf Anhang in England, auf die Unzufriedenen, so täuscht er sich. Auch Herzog Monmouth hat darauf gerechnet, aber kein Mann von Rang und Ansehn hat sich für ihn erhoben. Zwischen Murren und Wortemachen und Aufstehn, um Leben und Ehre zu wagen, ist ein großer Unterschied.
Barillon schwieg verlegen. Die Gründe, welche er hörte, waren überzeugend, Sunderlands Gewißheit täuschte ihn.
Die Unzufriedenen, sagte Jakob finster lächelnd, ihre Ränke, ihre geheimen Machinationen, sie sind es, die das Volk aufwiegeln. Ich habe gesehen, wie Priester und Soldaten von ihren Verführungskünsten angesteckt sind; doch nur Geduld, ich will ihre Mühen zu Schanden machen. Noch habe ich treue Herzen und Arme genug, noch giebt es Theile meines Reichs, in welche die Pest des Verderbens nicht gedrungen ist.
Der Staatssekretair warf einen erschrockenen Blick auf Jeffreys und einen anderen auf Barillon. Aber der Kanzler nickte dem Könige Beifall zu und rief in seiner gewöhnlichen rohen Weise:
Zeit ist es allerdings, Majestät, daß wir Hülfe erhalten, wenn uns die Frechheit nicht über den Kopf wachsen soll.
Wenn Graf Tyrconnel ein paar Brigaden Irländer nach London schickt, Männer von wahrem Glauben, die nicht Spieße und Musketen wegwerfen, wenn ihr König befiehlt, so werden wir keinen so schamlosen Ungehorsam mehr erleben, wie heute und gestern.
Majestät, sagte Sunderland, Engländer und Irländer sind Feuer und Wasser. Das Gerücht, als könnten irländische Regimenter ins Land gerufen werden, hat Schrecken erzeugt. Der tiefe gegenseitige Groll beider Volksstämme und ihre alte, blutige Feindschaft ist wohl zu erwägen.
Auch ich bin Zeuge gewesen, sagte Barillon, welch tiefes Entsetzen und welchen Zorn das Gerücht hervorruft, es sollten Irländer auf London marschiren. Im Namen meines Herrn, Ew. Majestät erhabenen Verbündeten, und als ein treu ergebener Freund, dem Ew. Majestät manches Wort gestattet haben, muß ich vor einem solchen Schritt warnen. – Die offene Erklärung des Königs von Frankreich ist nicht halb so gehässig, wie eine Brigade Irländer, die Graf Tyrconnel nach England marschiren läßt. – Ew. Majestät haben so eben bemerken können, wie das Volk über irländische Abgesandte denkt und mit welchem ausgesuchten Hohn es über diese Herren herfällt. – Der Haß kleidet sich in das Gewand der Lächerlichkeit und der Verachtung, aber er wird sich bis zur rasenden Wuth steigern, wenn er irländische Soldaten, die er Räuber, Mörder, Barbaren und verhungerte Elende nennt, als Leibwachen des Königs erblickt. – Majestät, ich glaube jetzt selbst kaum noch, daß der Prinz von Oranien an ein wahnsinniges und verbrecherisches Unternehmen denkt, um so mehr warne ich davor, Irländer ins Land zu rufen.
Und welcher Weg ist denn nach Ihrer Meinung der rechte? fragte der König, der bis jetzt finster vor sich nieder geblickt hatte.
Sire, erwiederte der Gesandte, Ew. Majestät wissen, daß in Frankreich wenig Umstände mit Ketzern und Verschwörern gemacht werden und glorreich will ich den Tag feiern, wo auch in England die heilige Kirche, als unerschütterlicher Fels des Glaubens und der Treue, feststeht; gewiß aber ist es nöthig, langsam zu bauen und vorzubereiten, Stein auf Stein zu legen, bis er trocken ist und so den Bau zu sichern.
Ah! rief Jakob, ich kenne Eure Meinung, aber Ihr kennt diese Engländer nicht. Ihre harten, trotzigen Köpfe bedürfen einer Hand, die eisern zufaßt und eines Willens, der durch nichts sich schrecken und beugen läßt. Meine irländischen Brigaden kennen keinen Willen als den meinen. Sie werden kommen, sie sollen kommen; ich habe genug Milde, Ueberredung, Bitten und selbst Thränen bei diesem störrigen Volke verschwendet. Die Folgen liegen vor uns. Die meuterischen Bischöfe sind freigesprochen, der Clerus verweigert mir die Namen der widerspenstigen Priester, die meine Befehle verachten, der hohe Adel und die Gentry sitzen grollend in ihren Schlössern, die Bürger, dickköpfig und feist durch Handel und Gewerbe, machen finstre Gesichter, der dumme Bauer und Pachter glaubt, der verbrecherische Monmouth müsse aus seinem Grabe auferstehen, der Pöbel umheult meine Minister und Diener als papistische Hunde und schreit ihnen Flüche nach; ja so weit ist das Verderben gedrungen, daß endlich selbst meine Soldaten den Gehorsam vergessen, den sie mir geschworen und ihre Waffen fortwerfen, wenn ich ihnen befehle, mich zu unterstützen. –
In so kurzen, furchtbaren Zügen entwarf der König selbst das Bild der Zustände, die seinen Augen nicht verborgen blieben, aber er that es, während seine Lippen vor Zorn bebten und seine Augen rachsüchtig funkelten.
Majestät, sagte Sunderland, noch giebt es der treuen Herzen viele in England, aber auch meine innige Ueberzeugung ist es, daß nach der Freisprechung der Bischöfe nichts schädlicher wirken kann, als die Herbeirufung der Irländer.
Sagtet Ihr nicht, Lord Kanzler, rief der König, der einen Blick auf Sunderland warf, daß Ihr andrer Meinung wäret.
Jeffreys bedachte sich einen Augenblick. Er zog so gut eine Pension von Frankreich, wie Sunderland, der 6000 Pfund jährlich erhielt, aber des Königs Gnade überhäufte seine Günstlinge und Vertrauten in ungemessenster Weise mit Gold und Ehren. In Sunderlands bodenlose Taschen floß Alles, was irgend an Strafen und außerordentlichen Geschenken und Gefällen einging. Er hatte des Königs bösen Blick bemerkt und ahnte, was aus dem Widerstand des Staatssekretärs entstehen könnte.
Gewiß Sire, bin ich andrer Meinung, sprach er, denn nichts kann erwünschter und von besseren Folgen sein, als Regimenter, auf deren Treue, was es auch geben möge, man sich verlassen kann. Haben wir 10 000 wackre Burschen aus Irland in London, die nichts denken und fühlen als ihres Königs Willen und ihrer Priester Gebote, so ist es aus mit allem Trotz. Kein besseres Mittel giebt es, Ruhe, Ordnung und Gehorsam zu erhalten, als die Bajonette treuer Soldaten, die pünktlich vollziehen, was ihnen befohlen wird.
Des Königs Gesicht erheiterte sich. Er nickte dem Kanzler freundlich zu, während dieser sprach.
Ich hoffe, sprach er dann, daß Graf Tyrconnel schon in der nächsten Woche uns eine Brigade senden wird, der andere nachfolgen werden.
Majestät, sagte der Staatssekretär mit leise zitternder Stimme, ich hoffe zu Gott, es waltet kein Zweifel darüber, daß ich meinem königlichen Herrn mit Allem, was ich habe und vermag, treu ergeben bin, bis in den Tod. Darum, und als der erste Rath der Krone, wage ich zu widersprechen. Sire, lassen Sie die Irländer nicht kommen; nur jetzt nicht, Sire, nur in dieser Zeit nicht. – Es wäre leichter, die Bischöfe aufhängen zu lassen, als Irländer nach England zu schaffen, um die Engländer damit zum Gehorsam zu bringen. Für die Bischöfe sind Viele, gegen die Irländer Alle. Denn nicht allein die Protestanten erheben ihre Stimme gegen sie, als zuchtlose, rohe, blutgierige und feige Banden, auch die Dissenters und selbst die Katholiken thun es. Hören Sie auf meine Bitten, Majestät! Ich habe viele Katholiken gesprochen, gute und getreue Männer, die Alle ihr Leben tausendmal opfern würden für den König, aber in ihren Gesichtern las ich Verzweiflung; der bitterste Zorn sprach aus ihren Worten bei dem Gedanken, daß die Irländer kommen könnten.
Majestät, rief Barillon lebhaft, auch ich kann bestätigen, daß der Lord-Staatssekretär die Wahrheit spricht.
Sind denn diese getreuen Herzen, diese guten Männer stark und kühn genug, Gottes und ihres Königs Sache zum Siege zu führen? fragte der Pater Petre hervortretend. Ist es möglich, jetzt noch den Gehorsam gegen Sr. Majestät Gebote aufrecht zu erhalten, da selbst die treulosen Soldaten abfallen? Müssen wir nicht fürchten, daß Meuterer und Hochverräther das große Werk vernichten?! – Das können keine guten Söhne der heiligen Kirche, keine getreuen Unterthanen und Diener des Königs sein, die gegen ihre irländischen Brüder Haß und Verachtung hegen. Der wahre Glauben und der wahre Gehorsam urtheilt nicht nach seinen vermessenen Vorurtheilen, er unterwirft sich dem höchsten Willen seines Herrn und betrachtet diejenigen als seine Freunde, welche des Königs Freunde sind.
Majestät! sagte Sunderland, auf sein Knie sinkend, hier ist mein Haupt, ich biete Euch es willig an; aber niemals kann ich gutheißen, was ich hörte. Ich flehe Ew. Majestät an, nur dies Mal davon abzustehen.
Steht auf! rief der König, heftig mit dem Fuß stampfend; steht augenblicklich auf, ich befehle es Euch! Keine Macht der Erde soll mich hindern, das zu thun, was ich für recht halte. Ich will mit diesem widerspenstigen Volke zu Ende kommen; ich will keine Schonung mehr üben, mich nicht abhalten lassen, meine königlichen Rechte endlich zu sichern. Ich will frei von dem Druck dieser Parlamente sein, die meinem Vater das Leben gekostet haben. Kein Wort mehr! ich weiß, was ich thue, und fiele Feuer vom Himmel, es sollte nichts daran ändern!
Der französische Gesandte verbeugte sich schweigend und mit düsterem Gesicht. Im Augenblick flüsterte Petre dem Könige einige Worte zu.
Schreibt Eurem Herrn, sagte Jakob, daß ich öffentlich seinen unerwünschten Beistand ablehnen und mir selbst helfen werde. Meinen Gesandten werde ich zurückrufen; im Uebrigen hoffe ich nicht, daß unsere Freundschaft deswegen sich verringert.
Barillon verbeugte sich nochmals und ging, während Jakob, ohne Sunderland weiter zu beachten, die Gallerie verließ und Jeffreys winkte, ihn zu begleiten.
Er ist verloren! murmelte Sunderland vor sich hin. Die Todtenglocke der Stuarts hat geläutet! Erst der Prozeß der Bischöfe, nun die irländischen Brigaden; es ist aus mit ihm! Seine letzte Stütze, den großmüthigen Ludwig, stößt er muthwillig von sich, dafür sucht er die Hülfe des falschen Tyrconnel. – Hah, wenn ein Mensch soll untergehen und wäre er ein König, so macht ihn der Teufel blind und führt ihn ins Verderben! – Ich schwanke nicht mehr, ich habe nicht Lust – mich für ihn hängen zu lassen, wie Stafford, oder, – sagte er mit leiser, bebender Stimme, indem er seine schmale, weiße Hand an die Stirn preßte: für Russells zerfleischtes, entsetzliches Haupt das meine auf den Block zu legen.
An demselben Abend brachte die leichtsinnige Gräfin Sunderland ihrem alten Buhlen, Heinrich Sidney, verkleidet in Pagentracht, einen Brief, den dieser erfreut mit dem schönen Pagen zugleich an sein Herz drückte.
Seine Herrlichkeit, sagte Sidney spottend, ist also ganz für uns gewonnen?
Er wird Alles vollziehen, was der Prinz ihm aufträgt, erwiederte die Gräfin.
Bei Gott! lachte Sidney, er ist ein eben so gefälliger Ehemann, wie er klug und weise ist. Er rettet seinen Kopf und sein Geld, wir wollen für das Weitere sorgen.
Jeffreys hatte in den nächsten Wochen wenige Zeit an seine häuslichen Verhältnisse und Liebessorgen zu denken. Der heftige Streit mit der Kirche und der hohen Kommission machte Reisen nöthig; der König sandte ihn aus, zu schrecken und zu drohen, aber bei aller seiner Verwegenheit und brutalen Unverschämtheit sah der Lord-Kanzler bald ein, daß sein College Sunderland doch nicht so ganz Unrecht habe, wenn er warnend auf die Zukunft deutete. Der furchtbare Lord fand viele finstre und schweigende Gesichter, selbst die Angst vor seiner Rache und seiner Bosheit war sichtlich nicht mehr so groß als früher, wo Keiner es wagte ihm den Rücken zu kehren, sondern Jeder sich zu lächeln und ihn zu streicheln bemühte, ungefähr wie man einem wilden Thiere schmeichelt, um seine Krallen in den Scheiden zu halten. –
Er traf jetzt auf Männer, die ihn nicht zu sehen und zu hören schienen und je mehr er einigen hohen Geistlichen und einflußreichen Adeligen betheuerte, daß er Manches widerrathen und Vieles mit Widerwillen gethan, um so mehr trafen ihn höhnische Bemerkungen, Blicke des Hasses und Zeichen der Verachtung, die er unmöglich verkennen konnte. –
Es lag ein unheimliches Schweigen auf England. Man flüsterte sich zu, man steckte die Köpfe zusammen, man erzählte seltsame Gerüchte von holländischen Heeren und Flotten, von dem kühnen, blassen Mann im Haag, der kommen werde, um Papisten und Jesuiten auszutreiben. Briefe liefen um, von Verbannten geschrieben, die zum kräftigen Beistand aufforderten und nächstens unter ihren Freunden zu sein versprachen. Niemand wußte, was er davon glauben sollte, und Jeder hütete sich seine wahren Gesinnungen offen zu bekennen, denn des Königs Macht war groß, der Angeber gab es viele, Soldatenschaaren aus Irland zogen von der Westküste herauf und vergrößerten den Schrecken und die geheime Wuth.
Dazu hörte man aus London von Volksaufläufen, die gewaltsam unterdrückt und hart bestraft wurden. Die Polizei war thätig, in vielen Grafschaften wurden die Milizen versammelt und gemustert, überall schlichen Horcher umher und die erschreckten Beamten wollten durch äußern Eifer zudecken, wie wenig die meisten mit den strengen Befehlen der Regierung zufrieden waren. Der Kanzler erblickte daher dienstwillige Leute, nirgend wurde der Gehorsam verweigert, aber doch war es nicht wie sonst; ein finstrer Geist schien überall ihn zu begleiten. –
Die Unruhe, welche ein gequältes Volk ergreift, das unter den Griffen seiner Herren einen Hoffnungsschimmer von fern leuchten sieht, das zitternde Verlangen nach Veränderung, die geheime Lust an dem Gedanken, endlich sagen zu können, was es so lange verschweigen mußte, die geheimen Wünsche nach Rache an seinen Henkern, verborgen unter der Hülle einer erheuchelten Demuth und Ruhe, das Alles bemerkte der Kanzler, und obwohl er sich bald wieder tröstete, daß diese ohnmächtigen Anwandlungen boshafter Wühlereien weit mehr lustig als fürchterlich seien, kam er doch jedes Mal mit ernsthaften Gedanken nach London zurück.
Er verbarg sich nicht, daß er unter Allen der gehaßteste Mann sei und er, der Plebejer und Protestant, nirgend eine Stütze besitze, als die eine – den König! Die Lords und hohen Herren, welche im Rath waren und den Hof bildeten, hatten in Adel und Geistlichkeit Verwandte und Freunde. Sie waren Glieder einer großen Kette, die fest in einander faßte; er hatte Niemand. Er, der Sohn des Volks, war von Allen gehaßt und vom Volke zumeist verabscheut. Nirgend gab es für ihn eine Hand, die ihn schirmen konnte, nirgend ein Wesen, das nicht hohnlachend und fluchend den Karren erblickt hätte, der ihn zur Richtstätte führte, wenn es einmal dazu kam. –
In düstern und einsamen Stunden hatte der Kanzler zuweilen fürchterliche Träume und Bilder, die ihm Schlaf und Ruhe raubten, bis er zum Glase griff und seine gräulichen Orgien begann. Aber auch das hielt nicht vor. Er war ein Mann von gutem Gedächtniß, ein scharfer Kopf, ein Kenner der Gesetze und der Menschen; es leuchtete ihm daher ein, daß er auf jeden Fall sich eine Stütze schaffen müsse. – Vom Könige lassen konnte er nicht; sich heimlich nach dem Haag zu wenden fiel ihm wohl ein, aber er war zu verständig, um etwas davon zu hoffen. Dort lebten seine grimmigsten Feinde, die ihm entronnen waren, mit ihm wollte sich Niemand verbinden; der erste Schritt hätte hingereicht, ihn als Verräther öffentlich zu brandmarken.
So suchte er denn die Stütze, die ihn halten sollte, in seiner Heirath mit dem reichen, schönen Mündel, das er bewachte und dessen großes Vermögen er längst als sein rechtmäßiges Eigenthum betrachtete. – Lätitia Grey war mit vielen großen Familien verwandt; ihr Gemahl hatte Anwartschaft auf Schutz, wenn etwa wirklich die Zeiten sich ändern sollten; es kam somit darauf an, sie zu gewinnen und durch jedwede Mittel zum Ziele zu gelangen.
Von jenem Tage an, wo Jeffreys in seiner ganzen Wuth sich ihr gezeigt hatte, war er ein Anderer geworden. Er ließ sich anfangs gar nicht blicken, aber er sandte ihr Briefe und Geschenke, Blumen und was er als Zeichen seiner Ergebenheit auffinden konnte. Seine zärtlichen und klagenden Grüße kamen jeden Morgen und statt des finstern, einäugigen Torntons war der gewandte Wilkins, der Kammerdiener und Schreiber, der Liebesbote seines Herrn, welcher besondere Instructionen hatte, die Ueberredungen durch seine wahrheitsliebende Zunge zu verstärken.
Nach einer Woche hatte Jeffreys die Freude, seine Mühen belohnt zu sehen. Als er von seiner ersten Reise zurückkehrte, brachte ihm Wilkins ein Billet, das er mit schlauem Lachen aus dem Kleide zog.
Das Gesicht des Kanzlers verklärte sich, als er es las. Lätitia sagte ihm Dank für seine Güte. –
»Ich sehe wohl ein,« schrieb sie, »daß Ihr es gut mit mir meint und ich müßte sehr undankbar sein, wenn ich nicht davon gerührt sein sollte. Aber Euer Herrlichkeit wird wissen, warum ich noch immer ohne Vertrauen bin. Lebte ich in der großen Welt, so würde ich vielleicht anders denken und urtheilen; in meiner Einsamkeit und Verlassenheit gebe ich mich meinen Erinnerungen hin und habe keine Hoffnung auf die Zukunft, denn ich habe den Wankelmuth des Glücks und der Menschen zu sehr kennen gelernt.«
Hast Du irgend bemerkt, fragte der Lord, daß ein neuer Versuch gemacht worden ist, zu ihr zu gelangen?
Nicht das geringste, Ew. Gnaden, versicherte Wilkins. Tornton hat seine Posten überall und meine Augen sind nicht müßig gewesen.
Ist das Fräulein vergnügt, wenn Du sie siehst?
Wie es kommt, vergnügt oder niedergeschlagen. In der letzten Zeit jedoch war sie munter, wenn sie mich sah. – Euer Gnaden wissen, daß ich reden kann.
Sie lachte zu Deinen Späßen? rief Jeffreys.
Nun, über Manches, was ich erzählte, blieb sie nicht ernsthaft.
Und sie fragte Dich nicht aus, wollte Dir keine Aufträge ertheilen? –
Er sah den Schreiber mit einem Hyänenblicke an.
Nicht ein Wort, erwiederte dieser. – So viel ist gewiß, Ew. Gnaden, daß das schöne Fräulein entsetzliche Langeweile hat und wenn sie im Garten umherwandelt, sehnsüchtige Blicke durch die Gitter auf die Welt wirft.
Sonderbar! murmelte Jeffreys. – Habt Ihr auch nichts von dem Burschen wieder gesehen, der an jenem Abende sich hier eingeschlichen hatte? Ich meine den William Howe.
Nein, sagte der Schreiber. Ich habe, wie Ew. Herrlichkeit es befahl, sechs Kerle dazu ausgesucht, die zu den besten gehören. Auf Schritt und Tritt sollten sie an seinen Fersen sein und wenn der rechte Augenblick gekommen wäre, wo sie ihn allein gefunden hätten, an irgend einer einsamen Stelle – er lachte leise und krabbelte mit den Fingern an seinem Hals – würden sie gewiß mit größter Höflichkeit seine nähere Bekanntschaft gemacht haben. Aber sie haben sämmtlich geschworen, Sir William sei nicht zu finden. Er sei verschwunden, Niemand wisse, wohin er gekommen. Seine Freunde glauben ihn auf dem Lande, Andere halten ihn für versteckt, vielleicht verwundet oder verunglückt.
Der Kanzler ging nachdenkend auf und nieder, eine rachsüchtige Freude zuckte um seinen Mund. Vielleicht hatte sein Degen in der Finsterniß ihn doch hart oder tödtlich getroffen, vielleicht moderte er irgendwo in einem Winkel der Auferstehung entgegen. Jedenfalls war er verschwunden und je länger er seinen vertrauten Diener ausfragte, um so mehr überzeugte er sich, auch Lätitia wisse nichts von ihm.
Er unterrichtete sich aufs genaueste. Lätitia war unruhig, betrübt, weinend gefunden worden, dann heftig reizbar, endlich erzürnt und nun aufs äußerste gepeinigt und gelangweilt. –
Sie sieht sich verlassen und wird zahm werden, sagte er sich lachend. Ich kenne die Weiber!
Wenn Euer Herrlichkeit dem Fräulein einen Besuch machen wollen, meinte Wilkins, der seine Gedanken errieth, so wird sie gewiß erfreut sein.
Noch nicht, erwiederte Jeffreys, es ist noch nicht Zeit. Dieser wilde Falk, mein guter Junge, muß mit Kappe und Kette noch etwas länger einsam auf der Stange sitzen, ehe man ihn fliegen lassen darf. – Fahre Du fort, ihr von mir zu erzählen, rühme mich, wasche mich weiß, zeige mich im Lichte der verkannten Unschuld.
Als Friedensengel mit der Lilie, rief der Schreiber. Ich thue es alle Tage.
So ist es recht, sagte der Kanzler mit seiner Bosheit aus Old-Bailey. Ich, als Engel des Lichts, voran und hinter mir der liebenswürdige Master John Ketsh, der Deine Ohren so teufelmäßig mit seinem stumpfen Messer absäbelte, als Seraph im leuchtenden Gewande!
Haha! schrie Wilkins, Ew. Herrlichkeit treffen immer das Rechte. Es war die spaßhafteste Stunde meines Lebens.
Junge, sagte Jeffreys, der Teufel hat Deine Ohren geholt, aber wenn ich Hochzeit mache, sollen Dir, wie dem Könige Midas, ein Paar goldne dafür wachsen.
Nein, nein! mein gnädiger Herr, rief Wilkins, ich behalte meine hölzernen, unverwüstlichen Gehörwerkzeuge, mit denen ich ganz zufrieden bin, aber an Ew. Herrlichkeit Ehrentag werde ich mir eine andere Gnade ausbitten.
Und ich will sie Dir gewähren, versetzte der Kanzler mit einem tüchtigen Schlag auf des Schreibers Schulter. – Jetzt geh. Bringe diesen Brief meiner schönen Braut: mache sie lüstern auf meinen Empfang, fülle ihr Herz mit Sehnsucht und wenn ich zur Kirche fahre, fordre Deinen Lohn.
Ich will es nicht vergessen, sagte Wilkins grinsend und will thun, was ich vermag, um diesen Tag zu beschleunigen.
Nach einer Stunde stieg der Lord in den Wagen, um eine neue Reise zu beginnen und als die Thore geschlossen waren, verfügte sich Wilkins zu seiner Pflegebefohlenen.
Lätitia Grey saß in dem großen Zimmer allein bei einer Filetstickerei, die sie hastig auf die Tafel warf, als er eintrat.
Bringt Ihr mir Nachricht, guter Wilkins? fragte sie hastig.
Der Schreiber sah scheu umher. – Wo ist Mistreß Burns? fragte er leise.
Dort im Nebenzimmer, erwiederte Lätitia. – Sie will nichts sehen und wird nichts sehen. Sie weiß zu gut, wie es mit uns steht und doch will sie ihr Gewissen bewahren. Fürchtet nichts, Wilkins, sie hat mich lieb.
Hier ist ein Brief, sagte dieser, indem er ihr ein Schreiben übergab. Verbrennt ihn sogleich.
Von Burnet und von ihm! flüsterte Lätitia, indem sie aus dem ersten Papier ein zweites hervorzog und mit der heftigsten Freude öffnete. – Ah! Wilkins, wie viel danken wir Euch. – Er ist in Holland, im Haag, Alles geht gut, bald – bald wird er kommen – glückselige Stunde! Doch Muth, ja Muth!
Und List! sagte Wilkins. – Hier ist noch ein Brief.
Er reichte ihr die zärtlichen Zeilen des Kanzlers.
Der Elende! rief die junge Dame, den Brief auf den Tisch schleudernd. Meine Finger ekeln sich, das Papier zu berühren.
Ihr müßt es lesen und müßt antworten, flüsterte der Schreiber. – Macht ihn sicher, heuchelt, überwindet Euren Haß. – Wer haßte ihn mehr, als ich! sagte er, und doch umkrieche ich seine Füße und küsse die Hände, die ich von meinem Blut rauchen sehe.
Es muß so sein, sagte Lätitia, Ihr habt Recht.
Ihr gewinnt Zeit, fuhr Wilkins fort, bis alle Vorbereitungen getroffen sind, damit Ihr sicher vor ihm sein könnt, ohne Habe und Gut zu verlieren. Eine ganze Woche und länger mögt Ihr Euch bedenken, ihn zu empfangen, denn eher kehrt er nicht zurück und bis dahin kann Manches geschehen.
O! Wilkins, sagte Lätitia, helft uns diesem entsetzlichen Mann entrinnen und unsere Dankbarkeit soll gränzenlos sein.
Dasselbe, erwiederte der Schreiber höhnisch, hat auch er mir heut versprochen und ich habe ihm betheuert, was ich Euch schwöre: treu ihm zu dienen, so viel ich es vermag. – Seid ruhig, schöne Dame, fuhr er fort. Er hat mir zugesagt, an seinem Ehrentage mir zu lohnen, ich will meinen Lohn einfordern. – Ha! dieser Ehrentag wird kommen und ich werde auf seiner Hochzeit tanzen, rief er mit unterdrückter Wuth aus. –
Sein Gesicht nahm den Ausdruck der glühendsten Rachelust an. Doch dieses glättete sich sogleich wieder, als er draußen Schritte hörte. –
Man bringt Euch die Speisen, sagte er. – Hütet Euch vor jeder Unvorsichtigkeit; Tornton ist wachsamer als je. – Sobald es angeht, führe ich den Doktor zu Euch: und zur rechten Stunde seid Ihr frei!
Wiederum waren einige Wochen vergangen, ehe der Kanzler nach London zurückkehrte. – Er hatte neuen Muth gefaßt, denn überall waren seine Befehle Donnerworte geworden und alle Beamten, wie jeder, der von ihm zu fürchten hatte – und wer fürchtete ihn nicht! beeilten sich eifrig und unterthänig zu sein.
Er fuhr sogleich nach Whitehall, um dem Könige zu melden, wie er das Land gefunden habe. –
In dem Vorsaale wimmelte es von Höflingen, Geschäftsleuten und Audienzsuchenden, die sich vor dem mächtigen Lord bis auf die Schuhspitzen beugten. Jeffreys lächelte und nickte in frohgelaunter Weise; machte hier einen derben Witz, sagte dort ein paar Worte, die eine allgemeine Lustigkeit erregten; plötzlich aber wurden ihm die innern Thüren aufgethan und er trat in das königliche Toilettenzimmer, wo Jakob unter den Händen seiner Kammerdiener rasirt und frisirt wurde, während ein Kreis von vertrauten Günstlingen ihn zu unterhalten strebte.
Nun Jeffreys, rief der König, was bringt Ihr Neues zurück?
Gott erhalte Ew. Majestät! erwiederte der Kanzler, ich bringe, wie ich denke, die beste Nachricht. – Ueberall fand ich den Namen des Königs geehrt, den Lord Kanzler wie einen Vater geliebt und Ruhe und Ordnung, die vom Gehorsam nicht zu trennen sind, im reichsten Maße.
Ihr seid der wahre Genius des Gehorsams, sagte der König spottend.
Die weisen Gesetze Ew. Majestät und die Kraft der Regierung haben mich dazu gemacht, erwiederte Jeffreys. Es ist eine Lust zu sehen, wie Liebe sich mit Furcht paart. – Die Milizen kommen mit dem Ruf: Es lebe der König! und wo Einer nicht gehörig Vivat schrie, daß ich es auf eine Meile hören konnte, war er sicher, Prügel zu bekommen. Jeder ist der Büttel des Anderen, das theure Vaterland ist nie so ruhig und gesetzmäßig gewesen, Alle sind voll Begeisterung für die gute Sache und das Recht Ew. Majestät, und wehe dem Feinde, der es wagen wollte, diesen Sinn für Ordnung und Gehorsam zu stören. –
Wir werden ihn zu sichern suchen, sprach Jakob – und was irgend schief ist, gerade rücken, fügte er hinzu, indem er seiner Perrücke einen kleinen Stoß gab.
Die Hofleute lachten, der König lachte auch. Was spricht man von den holländischen Rüstungen? fragte er.
Majestät, sagte Jeffreys, wenn die Käsehändler aus Amsterdam wirklich kämen, so würde ihnen englisches Salz eingerieben werden; leider aber sind die Mynheers zu kluge Leute, an denen nichts gesalzen ist, wie ihre Heringe.
Ein allgemeines Gelächter brach los und selbst der König hielt nicht an sich. – Eine ganze Reihe von Spöttereien, oft von der derbsten Art, wurden auf die Holländer ausgeschüttet und kitzelten Jakobs Ohr.
Von Verräthern also habt Ihr nichts gehört, Mylord? fragte er endlich. – Man hat uns gesagt, daß zahllose Briefe verbreitet sind, die Aufruhr predigten und heimlich übers Meer geschickt werden. Sogar aus unseren Umgebungen sollen dergleichen Briefe fortgeschickt sein. – Was meint Ihr dazu, Lord Sunderland?
Der Staatssekretär stand hinter dem Stuhle des Königs, der in den Spiegel sah, den der Kammerdiener ihm vorhielt. Er konnte jeden Zug im Gesichte des Lords erkennen.
Ich halte eine solche Nichtswürdigkeit für unmöglich! erwiederte Sunderland.
Aber wenn es nun doch der Fall wäre? fragte Jakob weiter, indem er sich mit seiner Toilette beschäftigte.
Dann wüßte ich keine Strafe, die einen so niederträchtigen Verrath gebührend lohnen müßte, rief der Lord.
Gebt doch den Brief her, Sir Edward Petre, fuhr der König fort, noch immer in den Spiegel schauend, der dort auf meinem Tisch liegt. Gebt ihn dem Lord. Der Brief ist aufgefangen worden, vielleicht kennt er die Handschrift.
Der Pater Petre nahm ein Schreiben aus dem Fach des Tisches, wohin der König deutete und reichte es Sunderland hin. – Der stolze Lord warf einen Blick darauf und sein Gesicht wurde bleich, wie Wachs.
Nun was sagt Ihr, Mylord? fragte der König sich umwendend, und seine Augen nahmen den furchtbarsten Ausdruck an, obwohl er noch immer lachte. Ist es nicht eine Schurkerei ohne Gleichen, oder eine Narrheit, oder ein Wahnsinn, der in Bedlam gebüßt werden muß? Kennt Ihr die Handschrift?
Ich erkenne sie, erwiederte Sunderland in ruhigem Tone, während seine Lippen zitterten; nie aber ist eine höllischere Lüge ersonnen worden.
Der König winkte den Umstehenden und nach einigen Minuten war das Zimmer leer. – Er stand auf, trat dicht vor den Staatssekretär und sagte mit finsterer Miene:
Dieser Brief ist von der Hand Eurer Frau, Mylord Sunderland. Er ist an den Prinzen Statthalter gerichtet und voller Betheuerungen Eurer Anhänglichkeit an der gerechten Sache des Mannes, von welchem England seine Befreiung erwartet, welche jeder Engländer unter Segenswünschen erwartet. – Sprecht! rief er mit ausbrechender Heftigkeit, vertheidigt Euch gegen diesen niederträchtigen Verrath.
Majestät, sagte Sunderland völlig gefaßt, indem er sich mit der Würde der Tugend aufrichtete, in diesem Falle kann ich mich nicht vertheidigen, denn es ist nicht möglich, daß mein gnädiger Herr daran glauben könnte. – Alles was ich bin, bin ich durch meines Königs Gnade; Alles was ich besitze, habe ich durch ihn. Ich bin mit Schätzen überhäuft worden, ich besitze Ihr volles Vertrauen, ich bin der erste Rath der Krone; Sire, ich wäre nicht werth, daß mich die Erde trüge, nicht werth, daß der Henker mir mein elendes Leben nähme, wenn ich einen so treulosen, meineidigen, namenlosen Verrath begehen könnte.
Seine Stimme zitterte und seine Augen füllten sich mit Thränen. Der König wurde sichtlich gerührt und ungewiß.
Es ist aber die Handschrift Eurer Frau, sagte er.
Können Handschriften nicht nachgeahmt werden? fragte der Lord. Habe ich nicht Feinde, denen jede Schandthat recht ist, wenn sie mich verderben können. Sire bedenken Sie, ob ich diesen Verrath begehen kann, ohne mich vor Mit- und Nachwelt zu brandmarken. Ich, der ich Ihnen so nahe stehe, der ich Alles gethan habe, um meines Königs Gnade zu gewinnen, in dem die Feinde Ihres Thrones denjenigen erblicken, der Ihre ausführende Hand ist. Gott, der Allmächtige, der die Herzen kennt, sieht in das meine. Möge seine Rache mich verzehren, seine Strafe mich treffen, möge er alle Schaalen seines Zorns und alle Leiden und Plagen über mich ausgießen, wenn er eine Lüge findet!
Bei diesem furchtbaren Schwure wurden des Königs Züge mild. Ich glaube Euch, sagte er, es wäre auch allzu entsetzlich; denn Euch habe ich nur mit Liebe und Wohlthaten überhäuft.
Majestät! rief Sunderland in Thränen, mein armseliges Leben steht jeden Augenblick zu Ihren Diensten. Ich kann ertragen, daß die blinde, falsche und boshafte Menge mir flucht, ich höre sie jeden Tag wie eine hungrige Meute mich umheulen, mich beschimpfen und als papistischen Hund begrüßen; ich habe alle meine früheren Freunde verloren, meine Verwandten haben sich von mir getrennt, ein furchtbarer Haß liegt auf mir, ich besitze nichts, als meines Königs Gnade! Sire, erhalten Sie mir diese, denn ohne sie mag ich nicht leben, stoßen Sie mich nicht aus Ihrer Huld, wenn mein Herz nicht in Kummer brechen soll.
Gut, sagte Jakob ihm die Hand reichend und ihn mit dem letzten Rest von Argwohn betrachtend, ich will es vergessen; was Ihr sagt überzeugt mich, denn kein Mensch würde mich so täuschen können. – Ich verachte nichts mehr, als die sogenannte öffentliche Meinung oder den Pöbel, den man Volk nennt. Ich verachte auch die Hirngespinnste, welche die Bosheit ersinnt. Ich werde ihr nicht nachgeben, kein Atom! nicht ein Atom! – Alle die lächerlichen Aufschneidereien sollen mich nicht rühren. Seid ruhig, Lord Sunderland, es ist nichts. Was könnten auch Briefe nach dem Haag fruchten? Ihr habt ja stets uns dargelegt, daß aller Lärm um Seifenblasen gemacht wird.
Hier sah sich der König um, denn die Thür wurde geöffnet und einer der dienstthuenden Edelleute trat herein und meldete den französischen Gesandten. – Jakobs Gesicht verfinsterte sich.
Er mag kommen, sagte er – hoffentlich bin ich bald von ihm erlöst, fügte er leiser hinzu.
Barillon trat herein und ohne die Regeln der Etiquette zu befolgen, eilte er auf den König zu.
Majestät, sagte er, ich erhalte hier so eben eine Depesche aus dem Haag.
Was giebt es dort wieder? fragte der König spöttisch. Ist das Heer eingeschifft?
Lesen Sie, Sire, sagte der Gesandte. Alle unsere Ahndungen haben sich erfüllt.
Der König schlug das Papier auf und las. Die Augen der Umstehenden hingen an seinen Mienen, die mit jedem Worte finsterer und todtenähnlicher wurden. Alles Leben schien daraus zu entfliehen. Er setzte sich und starrte die Buchstaben an, seine Hand zitterte; so blieb er lange Zeit, bis er mit wilden Blicken von Neuem zu lesen begann und wieder in ein Nachdenken zu versinken schien, das Niemand zu unterbrechen wagte.
Er hat ein Manifest erlassen! rief er endlich aus tiefer Brust. Er will kommen in dies zerrüttete Reich! Bischöfe und Lords haben ihn gerufen. Wo sind die Verräther, die dies wagten? – Der Prinz von Wales, ein untergeschobenes Kind! – Ha, welche nichtswürdige Verleumdung! Und überall Tyrannei, keine Gesetze, keine Gerichtshöfe; überall Unterdrückung, Raub, Auflösung! – Wer hat dies nichtswürdige Aktenstück geschmiedet?
Es ist ein Werk des Großpensionairs Fagel, sagte Barillon, des treuesten Anhängers des Prinzen. Die Partei des Widerstandes im Haag ist gänzlich überwunden, der Prinz im Begriff das Schiff zu besteigen. Die englischen Flüchtlinge umringen ihn und bilden besondere Hülfsschaaren. Archibald Campbell und der wilde Viscount Mordaunt sind an die Spitze der Freischaaren gestellt. Als Ober-General des Heeres aber hat der Prinz den alten Marschall Schomberg ernannt, den besten Soldaten, den er besitzt.
Dann ist es Zeit, sagte der König, und eine finstere Energie steifte seine harten Züge, daß auch wir uns rüsten. Wir waren mit Blindheit geschlagen; Gott mag es so gewollt haben, den Sieg seiner gerechten Sache um so glänzender zu machen. – Auch meine Flotte liegt segelfertig und meine Regimenter sind bereit; kein Engländer wird vergessen, daß Fremde in sein Vaterland einfallen. Dartmouth, Feversham, Churchill! meine treuen Generale, jetzt hat die Stunde für Euch geschlagen. Nur einen Sieg, und die Sache Gottes und des Königs hat für immer gewonnen! –
Die Thüren des Vorsaals wurden geöffnet, der König verkündete selbst den wartenden Generalen und Baronen den Inhalt der Proklamation! – Feurige Betheuerungen der Treue waren die Antwort. König Jakob fürchtete nichts! –
Doktor Burnet war in einem verborgenen Gemach im Hause des Grafen Shrewsbury versteckt, und nur spät Abends und dann unter der größten Vorsicht und mancherlei Verkleidung wagte es der gefährliche Mann auszugehen, um einige vertraute Personen zu besuchen.
Er arbeitete den ganzen Tag über, denn er besaß eine ungeheure, unermüdliche Thätigkeit. Zahllose Briefe und Abhandlungen, Berichte und Rathschläge wurden nach dem Haag auf geheimen Wegen befördert, dazwischen aber schrieb der Doktor Schrift auf Schrift. Kurz, bündig und im fortreißenden, derben Volkston, in welchem er alle die Tyranneien, die Verbrechen und Sünden des Königs und seiner Günstlinge schilderte und verdammte, den Hof abmalte, das Volk warnte, die Papisten verfluchte, die Geburt des Prinzen von Wales als die nichtswürdigste Betrügerei verspottete und jeden Engländer beschwor, treu auszuhalten und fest zu stehen, bis der rettende Prinz von Oranien erschiene.
Diese Schriften, Flugblätter von geringer Länge, aber gewaltigem Erfolg, wurden gedruckt, Niemand wußte wo, und verbreitet von unsichtbaren Händen. Man fand sie am Morgen in den Straßen, sie lagen in den Häusern, sie kamen plötzlich auf den Tischen der zahllosen Schenken und Wirthshäuser zum Vorschein, wo die arbeitenden Klassen, Soldaten und Matrosen verkehrten, aber auch in den Kaffeehäusern las man sie begierig, die damals der Sammelplatz aller Politiker und Männer von Bildung, Talent und Gelehrsamkeit waren. –
Die Polizei machte die größten Anstrengungen, die geheimen Pressen zu entdecken, wo diese Schandblätter, wofür sie die Regierung erklärte, gedruckt wurden, aber alle ihre Mühen blieben eben so vergebens, wie die ausgebotenen Belohnungen, den Schreiber zu fangen.
Doktor Burnet schrieb ruhig weiter und je mehr er hörte, wie König Jakob im heftigsten Zorn von seinen Ministern forderte, daß der verwegene Verbrecher ergriffen werde, je mehr Jeffreys fluchte und schwor, er wolle ein furchtbares Exempel geben, je mehr Lord Sunderlands geheime Spione umhersuchten, um so boshafter wurden seine Aufrufe und um so giftiger sein Hohn und seine Rache.
Eines Abends hatte er so eben ein neues Blatt vollendet, als sein vertrauter Diener einen Herrn hereinführte, den Graf Shrewsbury ihm übergeben hatte.
William Howe! rief der Doktor ihm entgegen, indem er aufsprang. Ich freue mich, Euch zu sehen. Glücklich zurück aus dem Haag? Was bringt Ihr für Neuigkeiten?
Er schüttelte ihm die Hand, der junge Edelmann warf den Mantel ab und sagte leiser:
Erst hört, mein werther Freund, was ich Euch aus der Nähe berichten muß. So eben sind dem Lord Sunderland die Siegel abgenommen, er ist aus allen seinen Aemtern und Stellen entlassen worden.
Eine vortreffliche Neuigkeit, rief Burnet, ohne zu erschrecken. Ich habe es immer gedacht, daß es so kommen muß.
Der König, fuhr William fort, versammelt morgen alle Bischöfe und die anwesenden Pairs, um ihnen alle Beweise für die Aechtheit der Geburt des Prinzen von Wales vorzulegen.
Laßt ihn vorlegen, was er will, sagte der Doktor. Und wenn der Erzengel Gabriel oder der heilige Petrus vom Himmel stiege, und Zeugniß dafür ablegten, das Volk wird es doch nicht glauben. Sein Haß ist größer als Alles, was Himmel und Hölle thun können.
Aber der König wird von Allen auch eine mündliche Erklärung fordern, daß Niemand den Prinzen ins Land gerufen habe. Was wird der Bischof von London thun?
Compton wird schon wissen, was er zu thun hat, sprach Burnet lachend. Er ist ein Priester; es wird ihm nicht an irgend einer Wendung fehlen, die seinen Kopf aus der Schlinge bringt.
Aber Ihr selbst seid nicht mehr sicher, fiel William ein. Jedermann glaubt, daß von Euch die Flugblätter herrühren, die das Volk in Bewegung setzen. Sunderland weiß vielleicht mehr, als Ihr meint.
Er weiß Alles, sagte Burnet. Vor wenigen Tagen saß er dort, wo Ihr jetzt sitzt. Wir sind die besten Freunde.
So flieht, ehe es zu spät ist, rief Howe. Der König verzeiht alles um den Preis Eures Kopfes und dieser gewissenlose Mann wird nicht zögern, Euch zu verkaufen.
Das wird er bleiben lassen, erwiederte Burnet unbesorgt. Er würde mich auf der Stelle verrathen, wenn er nicht völlig überzeugt wäre, daß es mit Jakobs Reich zu Ende geht. Nein, es ist gut, daß Sunderland fällt. Es ist kein Mann da, der ihn ersetzen könnte. Die Aufregung wird dadurch größer werden, die Forderungen lauter und ich kenne diesen König, seine Beschränktheit, seinen Starrsinn. Er wird nicht nachgeben, nicht einlenken, höchstens ein paar Versprechungen machen, die er nicht hält, und er wird sein Verderben beschleunigen.
Die Lords wollen die Entfernung Petre's und Jeffreys, ein freies Parlament und eine Aenderung der Regierung fordern, fuhr Howe fort. Lord Halifax soll berufen sein.
Beruft sie nur, diese alten Vermittler, sagte Burnet hin und hergehend; streckt die Hand nach den Rettern aus, welche so lange vergebens gewarnt haben, ihr werdet jetzt so wenig wie damals selbst an ihren zahmen halben Maßregeln Gefallen finden. – Glaubt mir, William Howe, es ist aus mit diesem eigensinnigen, thörichten, fanatischen König, der nichts will als seinen Willen, der sich allein für den Sitz der Weisheit hält, der keinen Widerspruch ertragen kann, und untergehen muß, weil er, engherzig und beschränkt, seine Zeit und sein Volk mißachtet und deren Rechte und Forderungen als Gnadensache betrachtet, er, der Herr und Gebieter, neben dessen Rechten es kein Recht giebt.
Glaubt Ihr denn aber, Doktor Burnet, fragte der junge Mann, daß der Prinz von Oranien dem englischen Volke die Freiheit bringen werde?
Ah, rief Burnet lebhaft, Du hast ihn gesehen, mein junger Freund. Erzähle mir, wie sieht es aus im Haag?
Flotte und Heer sind bereit, vielleicht jetzt schon sind die Segel gespannt und die Schiffe schwimmen auf dem Meere, erwiederte William, aber ich könnte nicht sagen, daß dieser einsilbige, blasse, kalte Prinz und die meisten der englischen Herren, die ihn begleiten, mir besonders gefallen hätten.
Er gab dem Doktor eine rasche Schilderung seiner Reise, seines Empfanges, der äußerst kalt und förmlich gewesen war, der Rüstungen und Einrichtungen und sagte dann:
Es ist nicht zu verkennen, daß die Prinzessin Maria nichts ist, als ein ganz willenloses Werkzeug ihres ehrgeizigen Gemahls. – Weder die Liebe zu England, noch irgend ein Gefühl für unser Elend treibt diesen Prinzen über's Meer, um seinem Schwiegervater die Krone abzureißen und sie sich auf's Haupt zu setzen. Seid sicher, das ist seine Absicht. – Er will König sein, und weil er sieht, daß Jakobs Tyrannei endlich dahin führen muß, daß zuletzt das Volk sich selbst befreit, kommt er diesem Ende der Dinge zuvor, aber widerwillig, finster, im Innern voll Abneigung und nur von seiner Staatsklugheit getrieben.
Es mag uns einerlei sein, warum er es thut, fiel Burnet ein, der unmuthig erstaunt war über die Bemerkungen seines Zöglings und doch am Besten wußte, daß er Recht hatte. Denn er selbst war ja der Vermittler zwischen dem Prinzen und seiner demüthigen Gemahlin gewesen, die feierlich versprochen hatte, daß sie nie eine Königin sein wolle, ohne daß er mit der Krone an ihrer Seite sitze.
Was verspricht uns denn seine Proklamation? fuhr Howe fort. – Er will kommen und die alten Zustände wieder herstellen, die alten Rechte des Parlaments, die alten Einrichtungen, und Gesetze, die alten Satzungen und Gebote. Ja, die Kirche und die Lords, die Richter in ihrer Herrlichkeit und der wüste Plunder vergangener Jahrhunderte werden aufgefrischt werden, aber wo bleibt das Volk?! Wo bleiben seine Forderungen? Wo bleiben die Reformen, die ihm zu Gute kommen sollen? – Haben wir denn nichts gelernt? Ist nichts zu verbessern? Ist Kirchen- und Gewissensfreiheit etwa gesichert? Hat das Volk Wahlrechte, um Männer zu wählen, die auf sein Wohl bedacht sind? Hat es Mittel, aus seinem Elende hervorzugehen? Wird es nicht, wenn diese Revolution uns nur dahin bringt, die alten Ketten mit neuen Ketten zu vernieten, so verwahrlost, dumm und abergläubisch bleiben, wie es war und einzig nur die Herren wechseln?!
Ich bin betrübt und unwillig, Euch so reden zu hören! rief Burnet mit gefurchter Stirn. Wer hat diese ausschweifenden Träume in Euch erzeugt, William?
Die Proklamation des Prinzen, sagte der junge Mann, das was ich sah und hörte und mein Nachdenken. Ich will Euch nicht verhehlen, mein väterlicher Freund, fuhr er fort, daß ein, wenn auch nur kleiner Theil der Engländer im Haag derselben Ansicht ist.
Ich weiß, rief Burnet heftig, der unsinnige Volksverführer Wildmann und der trotzige Mordaunt haben erklärt, daß die Proklamation nur darauf berechnet sei, den Junkern und Pfarrern zu gefallen. Sie wollen Rache an dem torystischen Adel, der sich zu Jakobs Werkzeugen hergab, Rache an den Priestern, die ihm dienten. Sie verlangen ein starkes Unterhaus, das im Stande ist, das Oberhaus zu demüthigen, verlangen neue Rechte für das Volk, völlige Freiheit der Presse, völlige Freiheit sich zu versammeln; verlangen billige Justiz, eine Besteuerung, bei der die Reichen das Meiste zahlen sollen, Ausdehnung der Wahlrechte und die gesicherte Herrschaft der Volkspartei, der Whigs. Daher also kommt Euer Widerwille gegen den Prinzen und Ihr bedenkt nicht, daß diese Forderungen unmöglich sind.
So sagen die, welche von ihren Vorrechten und ihrer alten Herrschaft nichts ablassen wollen, und wenn das Volk Brod von ihnen fordert, ihm Steine bieten, erwiederte der junge Mann.
Nennt es, wie Ihr wollt, versetzte Burnet, aber was ein paar Dutzend oder ein paar Hundert junge, entflammte Weltverbesserer für Recht halten, ist und bleibt Unrecht und Unsinn, wenn ihre Forderungen nirgend einen mächtigeren Halt finden, als in ihren phantastischen Träumen.
Sind das Träume, rief der junge William mit edlem Unwillen, wenn ich sehe, wie die ungeheure Mehrzahl der Menschen, die dies Land bewohnen, nichts sind als elende, hungernde, verwilderte und verwahrloste Sclaven, und träume ich, wenn ich höre, daß diese Revolution ihnen nichts helfen wird, sondern allein denen, die ihre Herren und Meister waren? O! Doktor, ich fürchte, diese Revolution wird zwar den katholischen König, die Jesuiten und den papistischen Sauerteig fort fegen, aber sie wird uns mitten in dem alten Schmutz stecken lassen, den Jahrhunderte aufgehäuft haben; ich aber bin nicht Willens dafür zu streiten, daß es beim Alten bleibe.
Burnet stand vor seinem eifrigen Freunde still und sagte bedächtig:
Als ich so alt war wie Du, mein Kind, schwärmte ich auch für die Freiheit der Unterdrückten und ich las aus alten Büchern und Geschichten mit Sehnsucht von den glücklichen Zeiten, wo die freien Männer der Gemeinde beisammen saßen, in völliger Gleichheit und keiner ein Herr war, keiner ein Knecht. – Als ich älter wurde, fand ich, daß der größte Theil der Menschen roh, dumm und gemein sei und ewig so bleiben werde. Ich lernte, daß Tyrannei und Unterdrückung von Anfang an sie geknechtet haben, und daß Herren unter ihnen sein müssen, daß sie sich deren machen, wenn sie keine besitzen. – Danke dem Himmel, mein Kind, daß Du ein Engländer bist und kein Deutscher etwa, der, leibeigen und jeder Willkür überlassen, ärger als ein Hund behandelt und eben so rechtlos ist, wie dieser. – Wenn der Prinz von Oranien die alten englischen Rechte herstellt, so ist dadurch das Volk wenigstens um hundert Jahre allen andern Völkern voraus. Denn jene alten Rechte enthalten die uralten Freiheiten der Menschen und geben ihnen Schutz vor dem Willen des Gewaltigen, möge er Graf oder Herzog heißen, oder König.
Weil ich ein Engländer bin, rief William erröthend, weil ich fühle, daß ich mehr von meinen ewigen Menschenrechten besitze, als die verknechteten Völker des Festlandes, darum will ich, daß meinem Volke auch Alles gegeben werde, was ihm zukommt. – Glaubt Ihr denn wirklich nicht daran, Doktor Burnet, daß die Menschheit so roh und elend eben dadurch geworden ist, weil die rohe Gewalt sie entwürdigte, und glaubt Ihr nicht, daß, wenn die Gewaltigen gerecht würden, die Menschheit frei und glücklich sich entwickeln könnte? Ihr seid ein Geistlicher, ein Diener der Religion, der Liebe und des Erbarmens. Sagt mir, glaubt Ihr nicht daran, daß der allbarmherzige Gott alle seine geschaffenen Kinder, die ihm gleichen sollen, zur Freude und zum irdischen Glück berufen hat?
Burnet legte die Hand auf Williams Stirn und sah ihm bewegt in die blitzenden Augen.
Weißt Du nicht, sagte er, daß dieser Gottesruf zum Glück von dem erhabenen Weisen ausging, den die Menschen dafür gekreuzigt haben? – Hüte Dich, mein Sohn, für Wahrheiten zu schwärmen, die in den Büchern stehen. Man kann beten, daß sie endlich kommen mögen, die Welt zu erlösen, aber man muß sich davor bewahren, sie herauszureißen und als Kreuz an seine Fahne zu stecken. Frage in hundert Jahren wieder nach und die Menschen werden vielleicht dem Reiche der Liebe, das Jesus gepredigt hat, um einen halben Schritt näher sein; wache dann nach tausend Jahren wieder auf und Du wirst sie wiederum näher finden, aber ach! die menschliche Vergöttlichung ist ein Traumbild, das in das graue Dunkel der Ewigkeit verläuft! – Sieh Deine Zeit an, William, und finde Dich ab mit ihr. Mache es wie die edelsten Männer aller Zeiten, wie jener edle Antonius Pius, der vor anderthalb Jahrtausenden schon nicht glaubte, daß die Menschen jemals wahre Freiheit und wahres Glück erreichen könnten, weil ihr Ehrgeiz, ihr Eigennutz und ihre schlechten Leidenschaften sie ewig beherrschen und zu wilden Thieren machen würden. Er liebte die Menschen aber dennoch; er that ihnen wohl, so viel er vermochte, doch obschon er ein mächtiger Kaiser war, konnte er nur mit dem stoischen Bekenntniß sterben, daß es unmöglich sei, die Menschheit gut und gerecht zu machen. Sorge für Dich, William; lebe und liebe und laß das ewige Menschenschicksal walten. Denke an Jeffreys und an Lätitia!
Wie geht es ihr? rief der junge Mann, Burnets Hände drückend.
Kommt, sagte er, sie soll es Euch selbst sagen. Ich habe einen Brief von ihr erhalten, es ist Zeit, daß wir handeln. Jeffreys liegt als Sclave zu ihren Füßen. Wie muß der abscheuliche Kerl aussehen, wenn er verliebte Gesichter schneidet!
Er band einen kleinen, schwarzen Mantel um, stülpte eine alte, fuchsige Perrücke auf, bedeckte sein linkes Auge mit einem Pflaster und seinen Kopf mit einem schäbigen Tressenhut und sah nun mit einer Rolle Papier, die er unter dem Arm trug, wie einer der vielen Winkeladvokaten und Schreiber aus, die in London zahlreich hausten. So angethan schlüpfte er mit William durch eine kleine Pforte auf die Straße.
Der Abend war düster und der Himmel voll Regenwolken, als die beiden Wanderer in die Nähe von Jeffreys Haus gelangten, das ohne einen Lichtschimmer todt vor ihnen lag. – Im geschlossenen Vorhofe bellten ein paar große Hunde und als sie an dem Eisengitter hingingen, sahen sie eine dunkle Gestalt an der Mauerseite auf und ab schreiten.
Der pfiffige Kanzler hat sein Haus vortrefflich bewacht, lachte Burnet leise. Keine Maus kann hinein und doch möchte er eben so gut alle Thüren weit offen stehen lassen.
Hat Wilkins Euch gesagt, daß er uns erwarten will? fragte William.
Er will uns erwarten mit dem Glockenschlag neun, wenn Alles sicher ist.
So laßt uns gehen, fuhr der drängende junge Mann fort. Ich höre die Uhr der Paulskirche schlagen. Wilkins kann an der Thür sein und fortgehen, wenn er uns nicht findet.
Kurz ist die Geduld der Verliebten! rief der Doktor spottend, aber wer kommt dort? Beim Himmel, es ist Jeffreys! –
Das Gerumpel eines Wagens und das Stampfen der Rosse, die ihn zogen, kam rasch näher. – Zwei Diener mit Fackeln ritten voran, zwei andere Fackelträger standen hinten auf. – Der Kanzler kam vom Hofe und eben als er rasch vorüber rollte, steckte er sein rothes Gesicht zum Fenster hinaus und stierte den Doktor an, der ihm eine tiefe Verbeugung machte. – Im nächsten Augenblick hielt der Wagen vor dem eisernen Thor und William riß seinen Gefährten fort, in eine enge, dunkle Gasse hinein, die sich zwischen den nächsten Häusern öffnete und abschüssig nach dem Bett der Themse hinunterlief.
Es ist dasselbe schuftige, boshafte Nußknackergesicht, wie ich es immer sah, rief Burnet. Wie ist es möglich, daß Könige diesen gemeinen, entsetzlichen Kerl um sich dulden können! Wie groß muß ihre fanatische Wuth und ihre blutgierige Habsucht sein, daß die Schande sie nicht erschreckt, einen solchen Kanzler an ihre Seite zu setzen und zum ersten Mann in England zu machen.
Was fragen Tyrannen danach, wie ihre Minister aussehen und wie sie dem Volke zusagen, erwiederte der junge Mann. Sie wollen nicht Liebe, sondern Furcht, und mehr Furcht wie dies Scheusal hat schwerlich je ein Mensch in England erweckt. – Aber schnell, fuhr er flüsternd fort, und indem er den Degen aus der Scheide zog, reichte er Burnet die Hand. Hier ist die Thür: stellt Euch dicht hinter mich, wir wollen sehen, ob Wilkins wartet. –
Es war ein elendes verfallenes Haus, das düster in der düsteren Gasse stand und von Niemanden bewohnt schien. William klopfte leise drei Mal in kleinen Pausen und plötzlich hörten sie den Schlüssel im Schloß drehen. –
Seid Ihr da, Wilkins? fragte William, indem er die Thür öffnete.
Ja, Herr, erwiederte der Schreiber vortretend. Es ist Alles sicher, aber folgt nur leise, damit die alte Frau nicht aufwacht.
Er zog eine Blendlaterne hervor, verschloß und verriegelte die Thür und führte nun die beiden Abenteurer in den Keller des alten Hauses. In einem finsteren Winkel desselben hob er eine Fallthür auf und stieg eine schmale Treppe hinab, die in einen Gang endete, welcher unter dem kleinen Hof des Hauses und dem Gemäuer der anstoßenden Gebäude fortlief, bis endlich die Stufen einer sehr engen Wendeltreppe sichtbar wurden, die innerhalb eines massiven Pfeilers aufwärts führten. –
Gott segne den, der diesen Katzenweg gebaut hat, sagte der Doktor athemlos. Bleib einen Augenblick stehen, daß ich mich erhole.
Das Haus, erwiederte sein Begleiter, hat einst den Grafen Worcester gehört, die diesen Gang anlegten zu ihrer, wie zu unserer Sicherheit. Niemand weiß von ihm; als aber Jeffreys erlaubte, daß Wilkins seine Mutter in dem alten Hause unterbringen durfte, das einst wohl das Hofgesinde der Grafen herbergte, aber seit langer Zeit ganz getrennt von dem Hauptgebäude und abgesperrt durch neuere Bauten, vermiethet wurde, fand er unter Schutthaufen im Keller die Fallthür auf, welche zu weiteren Entdeckungen führte. – Ihr wißt, daß ich Wilkins für mich gewann und wie treue Dienste er mir geleistet hat. Durch diesen Gang bin ich zehnmal zu Lätitia gelangt, durch ihn bin ich der blutdürstigen Rotte wie durch ein Wunder entkommen und der einäugige Schuft, Tornton, schwört noch heut darauf, daß es kein sterbliches Wesen sondern der Teufel in eigner Person gewesen sei, der mit seinem Herrn gekämpft und ihn sinnlos zu Boden geworfen habe.
Die geheime Treppe endete im obersten Stockwerk des Hauses, in einem Corridor, der, mit eichenem Holzwerk bekleidet, die Oeffnung so gut verschloß, daß sie nicht ohne das genaueste Suchen entdeckt werten konnte. Hier verließ der Schreiber die beiden Herren.
Ihr kennt den Weg, sagte er, ich muß eilen, um bei der Hand zu sein, wenn seine Herrlichkeit nach mir fragen sollte.
Bediene ihn gut, erwiederte Burnet, und sei vorsichtig und treu. Ihr wißt, Wilkins, daß die Zeit heranrückt, wo wir vergelten können.
Seid unbesorgt, flüsterte der Schreiber. Ich wollte tausend Mal lieber meinen Kopf auf den Block legen, als einen Verrath begehen. Nicht um alle Schätze Englands möchte ich hindern, was ich erwarte. – Bleibt einen Augenblick hier stehen und wenn Ihr nichts hört, so folgt mir die Treppe hinunter, und eilt durch den Kreuzsaal; Ihr werdet die Thür geöffnet finden.
Er verließ sie eilig und leise. William verbarg die Laterne unter seinem Mantel und beide horchten aufmerksam auf jedes Geräusch.
Wenn er uns verriethe, sagte Burnet, würde ich noch mit der Schlinge um den Hals mir Nasenstüber geben, daß ich einem jungen Thoren und einem verliebten Mädchen zu Gefallen den dümmsten Streich in meinem Leben gemacht habe.
Ich kenne Wilkins, erwiederte William leise lachend. Er haßt unter allen Sterblichen Jeffreys zumeist und würde sein Leben opfern, um seine Rache zu befriedigen. Oft schon ist er im Begriff gewesen, den Elenden zu erwürgen, wenn dieser trunken und toll von ihm auf sein Lager geschleppt wurde. Aber er bewacht sein Dasein mit einer gewissen Zärtlichkeit, denn er hofft ihn noch in Tyburn In der Vorlage: Tyllburn, offensichtlich ein Setzfehler. – Tyburn's Gallows bzw. Tyburn Hill war bis 1783 der Haupthinrichtungsort für London und Middlesex. enden zu sehen, öffentlich, schrecklich und schaudervoll. – Dieser Gedanke erfüllt ihn ganz und macht ihn treu und vorsichtig. Laßt uns gehen, aber zieht die Schuhe aus, Doktor, jeder laute Schritt kann uns verrathen.
Burnet that, wie er wollte, dann zog er aus seinem Kleide eines jener feinen, langen und dreischneidigen venetianischen Dolchmesser, die damals von vornehmen Herren häufig getragen wurden und folgte leise seinem Führer nach. Jeder hielt die Schuhe in der Hand, so schlichen sie die Treppe hinunter und völlig ungefährdet durch den großen Saal, in welchem diesmal kein Verräther wachte.
Als William die Wandthür schloß und den starken Riegel vorschob, athmete Burnet auf. – Gott sei gepriesen! sagte er, daß eine tüchtige Thür uns von dem Schuft trennt. Bei alledem aber lege ich einen feierlichen Eid ab, daß, wenn ich glücklich wieder in meinem schönen Stübchen in Shrewsbury Hause sitzen werde, ich zehn Vaterunser beten und den Armen zehn Pfund schenken will. Welch ein abscheuliches, altes, unheimliches Haus ist das: Die Wohnung der Uhus und Fledermäuse, die in verödeten Gängen und Sälen umherirren wie die Seelen der unschuldig Ermordeten, die durch den teuflischen Jeffreys umgebracht wurden, und nun ihn hier beaufsichtigen, bis zum Tage des Gerichts.
In diesem Augenblick wurde am entgegengesetzten Ende des Corridors die Thür geöffnet und Lätitia, einen großen Doppelleuchter in der Hand, eilte mit einem leisen Ruf der Freude ihnen entgegen.
Das junge Mädchen war in eine schwarze Sammtrobe gekleidet, die weit und faltig ihre hohe Gestalt umfloß. Ihre Locken fielen duftig über den Nacken nieder und wurden von einem Goldbande gehalten, aber ihre schönen, belebten Züge und strahlenden Augen straften die schwarze Tracht Lügen.
O, William! rief sie, als ihr Geliebter vor ihr niederknieend ihre Hände mit Küssen bedeckte, dann aber aufspringend, sie leidenschaftlich umarmte. Nun ist Alles gut, da ich Dich wiedersehe.
Gut ist es nicht eher, erwiederte er, bis unser Freund und Vertrauter, der uns hier zur Seite steht, unsere Hände vereint hat.
Theuerster Doktor Burnet, flüsterte Lätitia erröthend, wie vielen Dank bin ich Ihnen schuldig. Ohne Ihre Mittheilungen und Trostworte wäre ich in meinem Kerker gestorben.
Ich hoffe, versetzte Burnet, galant wie er war und großsprecherisch, daß die schöne Lätitia Grey mir noch viel mehr danken soll. Wir haben uns in die Höhle des Ogers gewagt, um ihm seine Beute abzujagen und wahrhaftig, ich will nicht eher fortgehen, bis wir völlig sicher und gewiß sind, daß den Plänen dieses ehrlosen Schurken ein Ziel gesetzt wird.
Lätitia führte sie leise in ihr Zimmer und deutete auf das Nebengemach an der andern Seite, indem sie die Finger auf ihre Lippen legte. Die gute Frau Burns, flüsterte sie, weiß Alles und will doch nichts wissen. Sie hat sich in ihre Kammer zurückgezogen und betet dort, daß der Himmel ihren schrecklichen Neffen erleuchten und bessern möge; aber ihre Seele ist voller Angst, schwankend zwischen Recht, Abscheu und Neigung zu ihrem Verwandten.
So will ich kraft meines Amtes ihr Trost verleihen, sagte Burnet. Geht und benutzt die Zeit, flüsterte er, wie Liebende sie zu benutzen pflegen; aber vergiß nicht, William, Lätitia Alles zu sagen, was nöthig ist, und genau zu verabreden, was nun geschehen soll.
Der Doktor trat hierauf kühn in das kleine Zimmer der Wittwe und ließ die beiden Liebenden allein, deren Unterredung lange Zeit wenig zusammenhängend geführt wurde, bis nach und nach die gegenseitigen Mittheilungen auch in verständlichen Worten erfolgten.
Endlich, sagte William, ist die Stunde nahe, wo ich Dich befreien kann und Flucht keine Gefahr bringt. – In wenigen Tagen wird das Heer der Holländer landen, die Verwirrung wird allgemein und groß sein; man wird keine Zeit haben, Dich zu verfolgen, auch wird Dein Zufluchtsort so sicher sein, wie kaum ein anderer.
Wenn aber das Heer des Prinzen geschlagen wird? fragte Lätitia.
Es wird nicht geschlagen werden, erwiederte er.
Wenn es aber dennoch geschieht? wiederholte sie.
Lätitia, sagte der junge Mann, Gott soll mich behüten, Dich in Gefahren zu stürzen, die Du fürchtest. – Wenn des Prinzen Heer geschlagen wird und dieser schreckliche König Jakob noch einmal siegt, dann freilich werden Tage über England kommen, so blutig und entsetzlich, wie sie kaum jemals gesehen wurden. Der Tyrann wird dann wüthen, wie er nie gewüthet hat und seine Henker, Jeffreys an der Spitze, werden abschlachten, wen sie ergreifen können. – Ich sowohl wie Du selbst, wir werden Gegenstände seiner tödtlichsten Rache sein, und Alles, was wir zu hoffen hätten, würde sein, vereint zu sterben.
Und wovor glaubst Du denn, daß ich erschrecken könnte? fragte sie lächelnd. Vor dem Tod? O mein geliebter William, ich habe ihn oft ersehnt und niemals gefürchtet. – Daß ich hier verlassen war, in der Gewalt dieses furchtbaren Mannes, gezwungen mich zu verstellen, gezwungen ihn zu dulden, das ist viel schrecklicher, als sterben. – Laßt mich nicht länger in seiner Macht, ich habe die Kraft nicht, länger zu heucheln. Laß uns fliehen, führe mich, wohin Du willst, laß kommen, was kommen mag. Mögen sie rauben, was mein ist, mögen sie sich theilen in mein Erbe, wie in das Erbe so vieler unschuldig Verfolgten, aber fort, fort von hier, wo Leben schrecklicher als Tod ist!
Er küßte die Thränen von ihren Augen und sagte zärtlich: Du sollst auch nicht länger bleiben, darum bin ich gekommen. Noch in dieser Nacht will ich Dich fortführen, bereite Dich dazu. Burnet hat eine hohe Beschützerin für Dich gewonnen. Heute Abend noch wird sie benachrichtigt werden, daß Du Ihre Hülfe suchst. Sie wird es nicht abschlagen, Dich aufzunehmen; dann bin ich um Mitternacht bei Dir, geliebte Lätitia, und führe Dich fort, ohne daß der schändliche Kanzler mit aller seiner List und Wuth errathen soll, wie es möglich war, ihm zu entrinnen.
Und wohin führst Du mich, William? fragte sie.
In des Tyrannen eigene Höhle, erwiederte der junge Edelmann, mitten in Whitehall will ich Dich verwahren.
In diesem Augenblick sprang Burnet zur Thür herein, und sein erschrockenes Gesicht zeigte seine Bestürzung.
Wo verbergen wir uns, flüsterte er. Jeffreys kommt, ich hörte seine Stimme an der Thür.
Dem augenblicklichen lähmenden Schrecken folgte die rasche Entschlossenheit, welche in Gefahren dem Muthigen zu Hülfe eilt.
Tante Burns! rief die rauhe Stimme des Kanzlers draußen im Saale, wo, zum Donner, steckt Ihr denn? Guten Abend, Tante. Wo ist Lätitia, das liebe, theure, betrübte Kind!
Lätitia riß den Vorhang von der Nische an ihrem Bett, die beiden Herren stellten sich dicht an die Wand, und noch rauschte die schwere Draperie von Brokat, als Jeffreys die Thür öffnete und die Arme ausbreitend mit freudigem Gesicht auf sein zitterndes Mündel zueilte.
Nie war der Kanzler von England seiner schönen Gefangenen häßlicher vorgekommen, und doch hatte sie ihn selten so stattlich geputzt gesehen. Sein schwarzes Sammetkleid, die weißen, faltigen Krausen an Hals und Händen von französischer Stickerei, die köstlichen Schnabelschuhe mit großen Bandrosen, seine seidenen Unterkleider und die mächtige Goldkette um den Nacken würden jeden andern Mann geziert haben, aber Jeffreys Gesicht paßte zu keinem ritterlichen Ehrenschmuck. Es sah so roth, gemein und wüst aus wie das Gesicht eines Henkers, und je mehr er sich bemühte, diese widerspenstigen Züge sanft und zärtlich umzustimmen, um so mehr widerstanden sie ihm und verzerrten sich zu demselben Zucken und Grinsen, wie an der Barre des Gerichtshofes, wenn er Verbrecher niederdonnerte.
Nur mit äußerster Anstrengung vermochte es Lätitia, ruhig zu bleiben, als er ihre Hände ergriff und ihre Stirn küßte. Sein heißer Athem durchschauerte sie mit Todeskälte und als sie es wagte die Augen zu ihm zu erheben, sah sie ein Feuer, verzehrend, höhnend und gierig in ihnen glänzen, das neues Entsetzen über sie brachte.
Ich habe Euch sehr lange nicht sehen und besuchen können, theure Lätitia, sagte der Lord, indem er sie an den Kamin führte und sich dort auf einen der Stühle niederließ, aber ich habe um so mehr an Euch gedacht.
Ich sollte meinen, erwiederte sie lächelnd, der Kanzler von England hätte in dieser Zeit mehr zu thun, als an ein armes, verlassenes Mädchen zu denken.
Ah, rief Jeffreys mit dem Anstrich der Gutmüthigkeit, die er seinen Bosheiten so oft zu geben verstand, sind die Nachrichten über Krieg und Verheerung wirklich bis in diese friedliche Wohnung gedrungen? Ich habe Alles gethan, um Euch die ungetrübte Ruhe zu erhalten. Aber ich sehe wohl, es halten weder Mauern noch Thüren die Trompetenstöße der falschen Göttin Fama auf.
Eure Bemühungen, Mylord, versetzte Lätitia lächelnd, meine Ruhe zu sichern, und allen Lärm der Welt von mir abzuschneiden, sind in der That bewundernswerth; dennoch aber habe ich wenigstens soviel erfahren, daß England in Bewegung und die Regierung in großer Sorge ist.
Ihr irrt Euch, liebes Kind, es ist nichts, sagte er. England ist so ruhig, wie an einem Sonntage, wo man freilich die meisten Betrunkenen umhertaumeln sieht. Der Hof ist froh, die Königin mit ihren Fräulein bereiten glänzende Feste vor und erwarten dazu eine große Anzahl junger Offiziere; denn wenn Ihr Manches gehört habt, wißt Ihr wohl auch, daß eine Anzahl irländische Regimenter und Schotten auf London anrücken. Möchtet Ihr nicht dabei sein, Lätitia?
Ich habe keine Lust an solchen Weltfreuden.
Ihr seid jung, schön, liebenswürdig, fuhr er fort; wer könnte sich mit Euch vergleichen!
Sie schüttelte schweigend den Kopf. Er nahm ihre Hände und hielt sie fest, indem er langsam sagte:
Ihr habt mir Briefe geschrieben, die sehr gütig waren, gütiger als manche Worte, die ich von Euch hörte und vergessen habe. Aus diesen Briefen lernte ich Euch besser kennen; ist es Euch mit meinen Antworten nicht eben so gegangen?
Mylord, flüsterte sie erschrocken, Ihr macht mich bestürzt. Fragt nicht weiter, ich bitte Euch, es ist spät; aber morgen, ja gewiß morgen will ich Euch antworten.
Und was könnte Euch abhalten, mir heut zu sagen, was mich glücklich macht? – Seid Ihr nicht frei? Theure, schöne Lätitia, habt Ihr mir nicht geschrieben, daß ich kommen möchte, daß Ihr hart gegen mich gewesen seid? – Da bin ich nun und werde nicht von Euch weichen, bis Ihr mich erhört habt.
Ihr habt mich so sehr überrascht und seid so stürmisch, rief sie, die Hand wegnehmend, welche er um ihren Leib gelegt hatte.
Die Liebe ist immer stürmisch, sagte er zärtlich; solche Stürme sänftigen sich erst in der Erhörung. Seht, Lätitia, ich habe heute mit dem Könige gesprochen, habe ihm mein Herz offenbart, und gnädig hat er mir zugesagt, Euch morgen schon zu empfangen und der Königin zuzuführen, die unsere Verlobung öffentlich dem Hofe mittheilen wird.
Das habt Ihr gethan! rief sie entsetzt.
Weil ich Eurer Einwilligung gewiß war, erwiederte er frech und laut lachend. – O! gebt den mädchenhaften Widerstand auf und zürnt nicht länger. Ich führe Euch in das wartende lustige Leben des Hofes von Whitehall und Ihr werdet bald die Königin aller Feste sein. Mein schönes Haus in der Dukestraße ist fertig und harret seiner Gebieterin. Nicht in diesem alten finsteren Gebäude sollt Ihr wohnen; nein, in prächtigen, goldglänzenden Sälen mit Statuen und Gemälden geschmückt, mit Brüsseler Teppichen und Tapeten und den herrlichen Spiegeln aus Versailles, die mir der König Ludwig geschickt hat. – Seht es Euch an, ob ich gespart habe; prüft, wie Euch mein Geschmack gefällt, und wo Ihr noch irgend einen Wunsch habt, wo irgend eine Laune es anders will, so befehlt, Ihr seid die unbedingte Herrscherin.
Lätitia suchte einen Ausweg aus diesen drängenden Erklärungen und mit gewaltsamer Kraft eine Beherrschung, die ihr immer schwerer wurde. –
Lord Jeffreys, sagte sie, hört mich ruhig an, ich bitte Euch darum. – Ich läugne nicht, daß ich in meiner Einsamkeit Zeit hatte, Vieles zu überlegen, und wie ich von Natur zum Nachdenken geneigt bin, habe ich oft auch Eure Absichten erwogen. – Ihr habt es so eingerichtet, daß mir wenig zu wählen übrig bleibt, und sagt mir, es geschehe, weil Ihr mich liebt.
Zweifelt nicht daran, Schönste der Schönen, rief Jeffreys, und verzeiht meiner Liebe, wenn sie Euch Schmerzen verursachte.
Künftig sollt Ihr nur Freude haben, ich will der Sclave Eurer Launen, der Wiederhall Eurer Gedanken, der unermüdliche Vollstrecker Eurer Urtheile sein.
Vollstrecker meiner Urtheile! erwiederte sie, indem sie in seine spöttischblitzenden Augen sah, die nicht von Liebe, sondern von roher Begier glänzten. Ach! ich denke, Mylord, Ihr seid allzu oft schon der Vollstrecker von Urtheilen gewesen, bei deren Erinnerung ich zurückbebe.
Denkt nicht an die Vergangenheit, Lätitia, sagte er, und was die Zukunft betrifft – wer weiß denn, wie bald sich Vieles ändern kann? Ich bin der Lord-Kanzler Englands, der mächtigste Mann in diesem Lande, und wahr mag es sein, man fürchtet mich mehr als man mich liebt; aber laßt die Schufte fluchen, es krümmt sich kein Haar davon. Ich bin, wie Ihr seht, um keinen Zoll magerer geworden, obwohl es kein Uebel und keine Verwünschung giebt, die sie mir nicht tausendmal verkündigt hätten.
Und Ihr glaubt nicht, daß die Stunde der Erfüllung kommen kann.
O! Schätzchen, lachte der Kanzler, ich glaube nichts in der Welt, als was ich sehe und fühle, und darum glaube ich an Dich, Du liebliche Perle, der ich Alles zum Opfer bringen will, selbst meine Kanzlerwürde, wenn Du es befiehlst. Es ist mein Ernst, fuhr er fort, sie an sich ziehend. Ich bin reich genug, Lätitia. Der König hat mich mit Geld und Gut überschüttet, wie er es mit denen thut, die seine Gunst erwerben. Von dem eingezogenen Vermögen der Hochverräther, die ich zu ruhigen Leuten machte, ist ein guter Theil in meine Hände gekommen; nun habt auch Ihr ein bedeutendes Vermögen, es hängt also ganz von uns ab, uns in irgend eine schöne Einsamkeit zurückzuziehen, um dort ein wonnevolles, idyllisches Leben zu führen.
Er wollte sie bei diesen letzten Worten umarmen, aber mit Heftigkeit stieß sie ihn zurück, denn ihr Ekel war größer in diesem Augenblick, als ihre Klugheit.
Mit seinen zuckenden Lippen und wild umherirrenden Blicken kam er ihr wie ein reißendes Thier vor, das sie verschlingen wollte.
Was zum Henker, mein zärtliches Täubchen, schrie Jeffreys, seine Perrücke zurechtrückend, bist Du noch immer nicht zahmer geworden? Nun, Alles wird sich finden, Du wirst mich nicht immer zurückstoßen, wenn ich Dich küssen will. Kommt, Lätitia, ich will Euch führen.
Wohin? fragte sie erstaunt.
Nach der Dukestraße. Ihr sollt mein neues Haus sehen.
Aber es ist spät am Abend, rief Lätitia verwundert.
Ich besitze Fackeln und Diener genug. Gebt mir die Hand, ich führe Euch hinab in den großen Saal, dort erwarten uns einige vertraute Freunde, Lord Gondolfin, der Richter Williams, der Baronet Hamilton und Sir Ralf Herbert, lauter Männer von Ehre und Ruf, denen ich Euch zuerst vorzustellen gedenke.
Mich vorstellen? rief das junge Mädchen.
Zum Teufel, ja! schrie er heftig und sein Gesicht nahm einen furchtbaren Ausdruck an, der sogleich wieder verschwand. – Ja, theuerstes Kind, ich habe es geschworen, allen Deinen Widerstand heut noch zu besiegen, und muß mein Wort halten. – Kommt hinab, Lätitia, meine holde Braut. Laßt Euch glückwünschend die schönen Hände küssen; wir fahren dann alle nach meinem neuen Palast und weihen ihn ein mit einem kleinen Feste, das Eure Gegenwart verherrlicht.
Ich werde nicht gehen, sagte Lätitia. Nein, niemals! rief sie, die Hände wie zum Schwur aufhebend, niemals soll man mich an Eurer Seite erblicken!
Wie? fragte Jeffreys, sie finster anstarrend; – doch Ihr scherzt mit Eurem verliebten Verehrer. Was könnte Euch bewegen, jetzt noch so spröde zu sein, da Ihr doch morgen vor dem Könige erscheinen müßt.
Vor dem Könige? – Ich werde nicht vor ihm erscheinen.
Kleine Thörin! rief Jeffreys höhnend, der König hat mir Eure Hand zugesagt und keine Macht der Erde kann sie mir nehmen.
Eher, rief Lätitia mit Heftigkeit, soll diese Hand verdorren, ehe ich sie dem Mörder meines Vaters reiche.
Wer wird so zornig sein, sagte der Lord zwischen Spott und dem Ausbruch seiner brutalen Wuth schwankend. Aber wahrhaftig diese rothen Wangen und schwellenden Adern machen Euch noch schöner, theure Lätitia. Das Unvermeidliche muß jeder Mensch mit Ergebung tragen, und seid Ihr erst durch Priestersegen mein, so wird es Euch schon gefallen; ich werde so zärtlich sein, daß Eure Liebe ganz von selbst kommt.
O William! rief Lätitia, die Hände auf ihr Gesicht deckend.
Ruft Ihr ihn? schrie Jeffreys lachend. Ruft ihn so lange Ihr wollt, er wird nicht kommen. Er ist todt, verscharrt, verfault in irgend einem Winkel, und harret dort des Auferstehungstages, wo Ihr ihn wiedersehen werdet.
In diesem Augenblick legte sich eine Hand um Jeffreys Stierhals und schnürte ihn mit eisernen Klammern zu. Der Schreck des plötzlichen Angriffs lähmte seinen Widerstand; er versuchte sich zu wenden und sah in ein Gesicht, das ihm einen gurgelnden Schrei auspreßte. – Im nächsten Augenblick aber ward er rückwärts zu Boden gerissen, und ehe er einen Arm heben konnte, lag er gebunden, ein Tuch fest um seinen Mund gewickelt und seine Füße zusammengefesselt, der ganze fürchterliche Mann ein Knäuel, mit dem ein Kind nach Belieben verfahren mochte.
So, sagte Burnet, der die Hauptsache dieses Geschäfts mittelst der Schnüre des Bettvorhanges besorgt hatte, indem er sich auf den Knieen aufrichtete und ein Licht ergriff, mit dem er das blaurothe Gesicht Jeffreys beleuchtete. – Geht, Lätitia, rafft schnell zusammen, was das Eure ist, und überlaßt es uns, mit diesem hier das letzte Wort zu sprechen.
Was wollt Ihr thun? rief sie flehend. Schont sein Leben!
Ich werde dem Henker nicht vorgreifen, erwiederte Burnet verächtlich. Nimm die Hand von seiner Kehle, William, Du erwürgst ihn.
Er führte Lätitia zur Thür, kehrte dann zurück und hielt dem Kanzler das Licht dicht ans Gesicht.
Seht mich an, sagte er, als Jeffreys die Augen schloß, ich bin es, Gilbert Burnet, der Verfolgte, den Ihr zu fangen und zu morden geschworen habt, wie Ihr Sidney mordetet, Grey und viele hundert rechtschaffene Menschen. Gott hat Euch in die Welt gesandt, damit diese erkennen soll, was ein auserwähltes Werkzeug der Tyrannei vermöge. Gewissenloser, meineidiger, entsetzlicher Mann, wisse, daß Dein Name verflucht sein wird auf Erden von Geschlecht zu Geschlecht. Und wenn Zeiten wiederkehren, ähnlich den jetzigen, wenn Tyrannen den Völkern Recht und Gesetz verdrehen und rauben, wenn sie Glauben und Freiheit unterdrücken, heuchlerische Schwüre schwören, Schaffote errichten, die Kerker füllen und nach Richtern suchen, die jedweder Willkür sich vermiethen, dann wird um so furchtbarer die Erinnerung an Dich und Deine Mordgier auftauchen, aber auch die Erinnerung an Dein Ende und an das Ende dieser grausamen, erbarmungslosen Zeit. – Du wirst das Beispiel sein, an welchem Gottes Gericht sich zeigt. Du hast gelebt wie ein Scheusal, so wirst Du sterben. Gottes Hand wird richten zwischen jammervoller Tyrannei, Unrecht und Gewalt und den ewigen Rechten der Menschen, die durch Ungeheuer wie Du und Deinesgleichen und durch gewissenlose Herren, die kein Recht auf Erden achten in ihres Hochmuths Sünde und Schande, tief entwürdigt und entsittlicht sind.
Der Kanzler lag regungslos in seinen Banden. William stand vor ihm, die Hand an seinem Dolch und betrachtete ihn mit glühenden Blicken.
Fort! sagte der Doktor ihn anfassend, es wird nicht lange dauern, bis ein Anderer ihn zur Ader läßt.
Er hat sich so sehr nach Lätitias Bett gesehnt, rief Howe höhnend, daß wir ihm die Freude nicht versagen wollen, darin zu ruhen. –
Und mit gewaltiger Kraft faßte er den schweren Körper des Lords, hob ihn auf und trug ihn auf das Bett in der Wandnische.
Träumt süß von allen Herrlichkeiten dieses Lagers, edler Lord, rief er, träumt von den Reizen meiner Braut. Ihr sollt die Hochzeit feiern helfen, Jeffreys, ihre Fackeln sollen Euch leuchten, wenn Ihr verzweifelt. – Er zog die Vorhänge zusammen und eilte mit seinem Begleiter hinaus.
In einem entfernten Theile des Palastes von Whitehall, einem Seitenflügel, der an den Garten stieß, wohnte die Lieblingstochter König Jakob's, die Prinzessin Anna, und hieher führte Doktor Burnet seine Schützlinge, als sie glücklich und eilig auf dem geheimen Wege Jeffreys düstrem Hause entronnen waren.
Seid Ihr auch sicher, theuerster Freund, flüsterte William ihm zu, daß Alles sich fügen wird, wie Ihr glaubt?
Es wird sich fügen, erwiederte Burnet, folgt nur getrost.
Aber die Churchill's, ich traue ihnen nicht, fuhr der junge Mann fort.
Ich traue ihnen mehr wie mir selbst, lachte der Doktor. Gold ist ihre Losung, Geiz und gierige Lust nach dem rothen Metall, ehrsüchtige Gewissenlosigkeit nach Macht und Ansehn die Triebfeder ihrer Handlungen. Glaubt Ihr denn, daß Sara Churchill mit den 400 Pfund zufrieden sein kann, die Jakob ihr zuweist? oder daß ihr ewig geldhungriger Mann nicht weiß, daß der Prinz von Oranien Futter genug für seinen unersättlichen Magen besitzt? Churchill ist ein fähiger Kopf, der eine große Rolle spielen kann und vielleicht spielen wird. Wir haben ihn in der Tasche, denn er weiß in die Zukunft zu sehen. Seine Frau tanzt wie er pfeift und nach dieser Pfeife tanzt die Prinzessin. König Jakob wird nächstens eines Morgens aufwachen und Thränen weinen über die Saaten, die er ausgesäet hat.
Sie waren an eine kleine Pforte des Palastes gekommen und gingen leise zwischen den hohen Büschen der Hecken hin, deren lichtes Geblätter ein Novembersturm abschüttelte. In der Ferne schritten ein paar dunkle Gestalten auf und ab; ihre Waffen klirrten durch die Nacht. – Es waren die Wachtposten, welche das Schloß umringten. – Vorsichtig zog Burnet einen Schlüssel hervor und öffnete die Thür. Eine erleuchtete Treppe zeigte sich und als sie hinauf stiegen, befanden sie sich in dem Corridor vor dem Zimmer der Prinzessin.
Ihr seht, ich bin hier nicht fremd, sagte Burnet wohlgefällig. Auf diesem Wege habe ich meine theure Freundin, Mistreß Freeman erst gestern gesehen. – Ihr wißt doch, William, daß Mistreß Freeman und Mistreß Morley so unzertrennliche Gefährtinnen sind, daß die Eine ohne die Andere keine Minute leben kann.
Burnet sprach aus, was bekannt genug war. Die Prinzessin Anna legte ihren königlichen Rang ab, sobald sie im vertrautesten Kreise mit ihrer über Alles geliebten Freundin allein war und mit idyllischer Geringschätzung aller Rangverhältnisse ward sie dann zur Mistreß Morley, die von ihrer zur Mistreß Freeman metamorphosirten ersten Staatsdame behandelt wurde, wie man eine jüngere abhängige Schwester zu behandeln pflegt.
Plötzlich öffnete sich eine Seitenthür, wahrscheinlich in Folge der nicht allzuleise gesprochenen Worte, und eine Dame trat halb hervor, die ziemlich erstaunt und unwillig auf die seltsame Gruppe blickte. – Die beiden Männer in ihren dunkeln Umhüllungen, Lätitia im schwarzen Schleier, der Kopf und Gesicht verhüllte, und die alte Frau Burns, welche sich an ihr festhielt, flößten ihr Schrecken ein.
Was ist das? rief die Dame stolz und gebietend. Wer seid Ihr? Wer hat Euch erlaubt, hier einzutreten?
Still, Mylady, still flüsterte Burnet. Um des Himmels willen ziehen Sie keine Zeugen aus dem Vorzimmer herbei.
Wie, Burnet? Sie sind es? erwiederte die Dame.
Ich bin es, sagte der Doktor, ihr ins Zimmer nachfolgend und seinen Begleitern winkend, und hier ist Miß Grey und ihre Begleiterin sammt meinem jungen Freunde. Gönnen Sie mir einen Augenblick Ihr Ohr, Lady Churchill.
Er ergriff die Hand der Lady und trat mit ihr auf die andere Seite des Zimmers nahe an eine Thür, durch welche lautes Lachen und das lebhaft verworrene Geräusch mehrerer Stimmen drangen.
Die dunkelroth und goldgewirkten Tapeten verschluckten das Licht der Kerzen, welche auf Wandleuchtern brannten, und hüllten die Gestalten in einen noch tieferen Dämmerschein, aus welchem der stolze und freie Kopf der Lady Churchill gebietend emporragte.
Sara Jennings war die Schwester jener wilden, leichtsinnigen Franziska, die einst messalinenartig, unersättlich, als Orangenmädchen bei nächtlicher Weile durch Londons Straßen schweifte und deren Leben ihrer Zeit zur würdigen Beurtheilung dienen kann; denn sie, die in allen den schändlichen Orgien glänzte, welche Whitehall zum Schauplatz der Lüste Karl's des Zweiten machten, war jetzt die Gattin des mächtigen Grafen Tyrconnel, den Jakob zum Statthalter Irlands erhoben hatte. –
Auch Sara hatte ein leichtsinniges Leben an der Seite ihrer Schwester geführt, bis Churchill sie heirathete, der, verliebt wie er war, doch wohl berechnen mochte, was die arme Sara mit ihrem Geiste und der innigen Jugendfreundschaft der Prinzessin Anna ihm helfen könne. – Noch prangte sie in der üppigen Schönheit, die so viele begehrliche Wünsche erregt hatte. Ihre ausdrucksvollen Züge wurden von einem feurigen Augenpaar anziehender gemacht, ihre schlanke Gestalt durch edle Formen und geschmackvolle Kleidung gehoben; einer ihrer größten, zumeist bewunderten Reize aber war ihr glänzendes, wallendes Haar, das in reichen lichtbraunen Locken um ihren Nacken floß, und damals noch nicht von der barbarischen Mode, Mehlstaub darauf zu streuen, verunziert wurde.
Nach einem kurzen Gespräch kehrte Lady Churchill sich lebhaft um, und, indem sie sich Lätitia näherte, sagte sie mit vieler Wärme:
Arme Miß Grey! ich kann es begreifen, daß Sie diesen elenden, verächtlichen Jeffreys ärger wie die Hölle hassen und lieber den Teufel heirathen möchten, wie diesen Taugenichts und Trunkenbold.
Lady Churchill, erwiederte die junge Dame, ich preise mich glücklich, wenn meine Freunde mir Ihren Schutz erwerben, den ich auch für meine Begleiterin beanspruche, die würdige Frau Burns, leibliche Tante des Kanzlers zwar, aber nicht minder ein hülfloses Opfer seiner Ränke.
Seien Sie ruhig, sprach die Lady, ich hoffe Ihnen so lange wirksamen Schutz zu verschaffen, wie wir selbst ihn besitzen. Warten Sie hier eine kurze Zeit, oder noch besser treten Sie in dies Kabinet. Ihre Lage ist so, daß ich nicht selbstständig handeln will, ohne vorher andern Rath gehört zu haben.
Sie deutete auf die Thür eines zweiten Zimmers, sprach mit Burnet noch einige leise Worte und kehrte dann zu der Gesellschaft zurück, die sie erwartete.
Als Lady Churchill eintrat, wurde sie von einem lustigen Gelächter empfangen. Die Prinzessin Anna lehnte sich in einen großen Sammetstuhl, davon mehre um einen Marmortisch mit weit geschweiften Goldfüßen standen. Zu ihrer Seite saß der dänische Prinz Georg, ihr Gemahl, ein dicker junger Mann mit ausgepolstertem Gesicht und schlaffen, nichtssagenden Zügen, der ein Stück Papier um seinen Finger drehte. An der andern Seite auf einem Taburet hatte der schöne, stolze General Churchill Platz genommen und neben ihm stand ein Gardekapitän in reicher blitzender Uniform, der Herzog von Grafton, einer der vielen natürlichen Söhne Karl's des Zweiten, der etwas erzählt haben mußte, was das Gelächter bewirkte und eben damit geendet hatte.
Schade, Sara, daß Du nicht gehört hast, was der Herzog uns zum Besten gab, rief die Prinzessin ihrer Vertrauten entgegen. – Nachdem heut die Posse mit der Legitimation meines theuern Bruders, des Prinzen von Wales, vor Lords und Bischöfen gründlich durchgeführt worden ist, denen man bewiesen hat, daß er nicht in einem Bettwärmer in das Zimmer der Königin gebracht wurde, sondern wirklich geboren sei, hat man heut Abend die erlauchten Herren wiederum berufen und aufs Gewissen befragt, ob Einer unter ihnen etwa den Prinzen von Oranien ins Land berufen habe?
Sie haben natürlich alle beschworen, daß sie es nicht gewesen sind, rief die Lady.
Sie haben sich bekreuzigt und ihren Abscheu gegen die Lügen des Prinzen von Oranien eben so ehrfurchtsvoll ausgedrückt, wie sie von der Aechtheit der Geburt des Prinzen von Wales überzeugt sind, sagte Churchill.
Aber am besten hat es Bischof Compton gemacht, lachte die Prinzessin. Als er schwören sollte, sagte er zum Könige: Sire, ich bleibe bei dem, was ich Ihnen gestern gesagt habe und beschwöre es.
Und was hat er gestern gesagt? fragte Lady Churchill.
Ich bleibe bei dem was ich immer gesagt habe, rief die Prinzessin; man will die besten Freunde Ew. Majestät als Verschwörer verläumden.
So hat er einen wahren, unverwerflichen Eid geleistet, sagte die Lady. Es ist ein ganzer Mann, der gute Bischof, der im Geheimrathe sitzen sollte.
Ich wünsche ihm den besten Platz, fiel der Prinz Georg ein, aber es ist verdammt langweilig den ganzen Tag, und Tag für Tag nichts zu hören, als diese ewigen Verschwörungsgeschichten. – Eine volle Woche bin ich auf der Jagd gewesen.
Und warum sind Sie nicht noch länger geblieben? fragte Anna.
Weil der König, wie Sie wissen, mich nach London rief, damit ich heute die Zauberposse der Legitimationsnachweise des Kindes mit ansehe, das Prinz von Wales genannt wird, antwortete der Prinz verdrießlich.
Ich begreife nicht, fuhr er dann unter dem Gelächter der Uebrigen fort, warum Se. Majestät so begierig nach einem Sohn war, da ich dafür gesorgt habe, ihn gehörig mit Enkeln zu versehen.
Und hoffentlich die Zahl derselben nicht abgeschlossen ist, fiel Lady Churchill ein.
Die Prinzessin zuckte leise die Schultern und schlug mit dem Fächer, der vor ihr lag, ihre Vertraute auf die Finger.
Gordon, rief der Prinz gähnend, soll ich zu Bett gehen oder wollen wir zusammen spielen, trinken und rauchen?
Befreit uns, flüsterte Lady Churchill, welche neben dem Herzog stand, diesem in's Ohr.
Ich stehe zu Befehl, königliche Hoheit, sagte der Offizier.
So kommt, erwiederte der Prinz, sich schwerfällig aufrichtend. –
Er stieß einen großen Jagdhund an, der schlafend vor ihm lag und schüttelnd sich erhob, lachte über das gewaltige Thier, rühmte seine Eigenschaften und sagte dann mit einem Anfalle von Spottsucht: das wäre ein prächtiger erster Staatssekretär für meinen erhabenen Schwiegervater, er könnte ihm Sunderland und selbst Jeffreys ersetzen. – Treu, folgsam, jeden Befehl vollziehend und Alles fassend, worauf er gehetzt wird. Was kann man mehr verlangen von einem Premier-Minister und einem Kanzler? –
Er belachte seinen Witz, daß es dröhnte und reichte der Prinzessin die Hand, indem er ihre Stirn küßte.
Gute Nacht, sagte er, und gebt Euch nicht zu viel mit Denken ab. Der König denkt für uns Alle. – Er hat es mir erst gestern gesagt, wie lieb es ihm sei, wenn wir alle Sorge für sein Volk und seine Familie ihm überließen, und wenn ich Euch abhielte von allem unnützen Schreiben und Klügeln, was sich nicht für eine Frau und gehorsame Tochter paßt.
Als er gegangen war, verschwand die rothe Wolke von der Stirn der Prinzessin, aber mit Bitterkeit rief sie aus:
Ja, das ist sein Unglück, daß er allein denken, allein herrschen, allein befehlen will und keinen Widerspruch erträgt; daß ihm kein Mensch lieber ist als seine Günstlinge, die ihm niemals die Wahrheit sagen, sondern allen seinen Gelüsten schmeicheln.
Madame, erwiederte Churchill lächelnd, es ist überhaupt das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören können.
Habt Ihr sie ihm denn je gesagt? rief die Prinzessin. – Habt Ihr jemals gewagt, Baron, ein Wort der Warnung ihm zuzurufen?
Churchill verbeugte sich kaltblütig. –
Wäre ich ein Pair des Reichs oder gar dem königlichen Blut entsprossen, sagte er, es sollte nicht daran gefehlt haben. Ew. Hoheit wissen aber selbst, was Warnungen fruchteten, die meinige würde nur Verachtung finden und mich selbst –
In den Tower bringen, fiel Lady Churchill ein, und davor möge Gott jeden Menschen behüten, der das Sonnenlicht liebt. Doch genug davon, fuhr sie mit befehlendem Ton fort. Niemand wird glauben, daß jetzt noch etwas gebessert und geändert werden kann. Wer weiß, wie weit Verfolgungssucht und Mißtrauen gehen, und wem die düsteren Thore sich öffnen.
Du meinst mich? fragte die Prinzessin. Vergiß nicht, daß der König mein Vater ist.
Da er es vergißt, sagte die Vertraute, warum soll ich es nicht vergessen? Theuerste Anna, Du wärst die Erste nicht, die von ihren nächsten Verwandten in den Kerker geschleppt und dem Blutgerichte vorgeworfen würde.
Glaubst Du, daß das je geschehen könnte?! rief die Prinzessin erbleichend.
Wenn Se. Majestät erführe und sähe, wer so eben hier im Nebenzimmer wartet, versetzte die Lady lachend, so zweifle ich keinen Augenblick daran.
Wer wartet? fragte die Prinzessin.
Unser vortrefflicher Freund, Gilbert Burnet.
Schick ihn fort, sogleich, ich will ihn nicht sehen! gab Anna erschrocken zur Antwort. – Mein Gewissen macht mir Vorwürfe, genug, daß ich zu weit gegangen bin.
Wie, kühne Mistreß Morley, fiel Lady Churchill ein, willst Du Schwester und Schwager verläugnen um eines Vaters willen, der Dich wie ein unmündig Kind behandelt, Deine Kinder und Dich enterbt, Deinen Glauben antastet, und den ganz England tödtlich haßt und verflucht? – Willst Du in seinen Fall mit ihm fallen, weil Dein schwaches Herz stärker war als Deine Vernunft? – Du kannst nicht mehr zurück, ohne Dich und Deine Freunde zu verderben, ohne uns alle dem Henker zu überliefern. – Denk' an Herzog Monmouth, denk an dieses Vaters unversöhnliche Rachegier, denke an Jeffreys, dem Du öffentlich Deine Verachtung bezeigtest und der Dich haßt wie ein blutgieriger Teufel.
Was soll ich denn thun? Was muß denn geschehen? rief die Prinzessin, ängstlich die Hand ihrer Freundin fassend. –
Lady Churchill erzählte in kurzen Worten, was sie von Burnet erfahren habe, und wer in ihrem Zimmer sei.
Und ich soll diese Flüchtlinge hier aufnehmen und verbergen? fragte die Prinzessin.
Nur wenige Tage, bis andre Sicherheit für sie geschafft ist. London ist abgesperrt von Soldaten; es darf Niemand fort ohne eine genaue Legitimation.
Nun in Gottes Namen! ich will es gestatten, sagte die Prinzessin nachgebend, wie immer. Verbirg sie und führe Burnet herein, wenn es nicht anders sein kann. Arme Lätitia Grey! dieser Jeffreys ist eine Schande für England.
Lady Churchill wollte sich entfernen, als sie plötzlich an der Thür zurückprallte.
Der König! rief sie laut aufschreiend. –
Die Prinzessin fuhr erblassend von dem Armsessel empor. – Auf der Schwelle stand König Jakob, hinter ihm zwei Pagen, welche Windfackeln trugen. Der König sah krank und verstört aus. Eine fahle Röthe färbte sein sonst so bleiches, ausgetrocknetes Gesicht, und seine düsteren Augen hatten sich tief in die Höhlen zurückgezogen. Er blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, dann ging er an Lady Churchill vorüber, die sich tief und ehrfurchtsvoll verbeugte, ohne daß er sie zu bemerken schien. Die Prinzessin hielt sich an dem Tisch fest; sie zitterte so heftig, daß sie es nicht zu verbergen vermochte und ihre Stimme versagte den Dienst, um eine Frage zu thun, als der König vor ihr stand und mit mißtrauischen, lauernden Blicken sie betrachtete.
Was bedeutet Dein Erschrecken? fragte Jakob, und indem er umhersah und Churchill an der andern Seite des Tisches erblickte, fuhr er heftiger fort: Was hat man Dir gesagt oder gerathen? Was weißt Du, meine Tochter?
Nichts, Majestät, erwiederte die Prinzessin, ich erschrack, weil ich meinen theuren Vater in so ungewohnter Stunde und mit kummervollen Mienen bei mir sehe.
Wenn es das ist, sprach der König lebhafter, so beunruhige Dich nicht. Ich komme vielmehr Dich zu beruhigen und – Trost zu finden, murmelte er dumpf vor sich hin, indem er sich niedersetzte.
Langsam kreuzte er die Arme über seine Brust und sah in das Licht der Kerzen unverwandt und starr. – Ein paar Minuten dauerte dies Schweigen, das eine unsägliche Angst verbreitete.
Ich hatte nur diese beiden Kinder, sagte Jakob endlich, wie mit sich selbst sprechend, und so viel Leid – so viel Leid! fügte er seufzend hinzu.
Majestät, rief die Prinzessin flehend, die Hände emporhaltend, was ist geschehn!
Du weißt es nicht! begann der König den Kopf erhebend, ich kam, um es Dir zu sagen. Wisse denn: Er ist gelandet!
Der Prinz von Oranien? – Das holländische Heer?! fragte die Prinzessin bebend.
Der König nickte ihr zu. – Ich habe so eben die Botschaft empfangen. – Er ist meiner Flotte entgangen, Lord Dartmouth hat ihn nicht erreicht. – Mein geliebter Schwiegersohn, der Gemahl meiner Tochter, er, dem ich geholfen habe aus mancher Noth, dessen Stütze ich gewesen bin in mancher Gefahr, er ist da, gelandet in der Bucht von Torbay, und bereit allen Aufrührern und Empörern Schirm und Schutz zu geben.
O! daß es dahin kommen mußte! rief die Prinzessin klagend.
Es war ein schlau ersonnener, wohl überlegter Plan, fuhr Jakob fort. Alle Meuterer, alle Verräther hat er seit Jahren bei sich aufgenommen und ich ließ mich täuschen, weil ich nicht glauben konnte, daß meines Kindes Mann mein schlimmster Feind sein könnte. – Ich verachtete alle Warnungen, bis es zu spät war.
Zu spät! flüsterte Anna, welch fürchterliches Wort!
Zu spät für ihn! sagte der König heftig, denn bei Gott! bei meiner Krone! bei allen Heiligen! ich werde ein furchtbares Gericht halten. Keiner von diesen Verräthern, wer er auch sein möge, soll der Strafe entrinnen.
Wenn wir sie gefangen haben, murmelte Churchill, der sich an ein Fenster zurückgezogen hatte, vor sich hin.
Jetzt habe ich nur Dich allein, rief der König zärtlich, die Hände nach seiner Tochter ausstreckend und seine kalte Rechte auf ihre Stirn legend. – Ich habe erfahren, was Undank und Menschenwerth heißt. Ein undankbares Volk, das meine Liebe verkennt; Baalspriester, die meinen Glauben verfluchen; meuterische Lords, die meine Rechte antasten; Advokaten, die meine Gesetze verachten; ein Parlament, das regieren will; Aufrührer und Hochverräther, die meine Krone, welche Gott mir gegeben und zu dessen Ehre ich sie trage, mir vom Haupte reißen möchten. – Alle diese Feinde habe ich gedemüthigt, jetzt aber sendet mir der Himmel die schwerste Prüfung. Mein eigener Schwiegersohn überzieht mich mit Krieg. Er fällt in dies Land ein, gleich einem Räuber, und wie die Raben sich sammeln, wo ein Aas liegt, so werden die verrätherischen Rotten ihm entgegen eilen und die Felder und Fluren Englands werden mit Blut und Leichen gedüngt werden.
O! mein theurer Vater, rief die Prinzessin, Gott wird es verhüten, daß so Schreckliches geschieht! – Sendet Gesandte zu ihm, Männer des Friedens, die das Beste des Landes wollen und einen Vergleich abschließen, zum allseitigen Heil.
Einen Vergleich! erwiederte Jakob, und ein böses Lächeln flog durch sein Gesicht. – Einen Vergleich! – Welchen Vergleich? – Hast Du das schamlose Aktenstück nicht gelesen, das er seinem Raubzuge vorausgeschickt hat? Er komme, sagt er, um des Volkes Rechte herzustellen, die Verbrechen meiner Regierung zu hemmen, die alte Ordnung und Sicherheit zurückzuführen. – Ha, Churchill! rief er heftig, Du weißt es. Du bist ein kühner Mann von Verstand und großer Einsicht, kann ich einen Vergleich schließen? kann ich mein höchstes Recht ihm unterstellen, damit er als Richter erscheine zwischen mir und den Hochverräthern, die seine Freunde und seine Verbündete sind?
Mein gnädigster Herr, sagte der General, der einzige Vergleich, den wir mit dem Feinde eingehen können, ist, daß wir ihn erst schlagen und dann im Haag weitere Rücksprache nehmen.
Wohlgesprochen, Churchill! rief der König. O! noch habe ich getreue Herzen genug; Waffen und tapfere Männer, die meine Sache führen. – Was meinst Du, General, kann ich mich auf meine Offiziere verlassen?
Majestät, sagte der Baron, was auch geschehen möge, ihre Treue wird nicht wanken.
Sie wird nicht wanken, sprach der König, nein, sie wird nicht wanken, denn meine Offiziere wissen, daß ich gnädig bin. Sie sind die Säulen meines Thrones und ich schätze und liebe diese Säulen. – Wenn es nach der Knauserei des Parlaments ginge, die Hälfte würde heut noch den Abschied bekommen und die andere Hälfte ein karges Brot brechen. Ich bin es, der dies hindert; ich weiß, daß ein Heer dem Fürsten Schutz giebt gegen die Anmaßungen derer, die da meinen, ihm Gesetze vorschreiben zu wollen, um ihren Willen über den seinigen zu setzen. – Wenn es nach ihrer Pfeife tanzte, was könnte ich meinen Soldaten geben? – Bei alledem aber haben Verräther Mißtrauen hervorgerufen. Ich habe es nicht vergessen, was mir geschehen ist, als ich den Testeid schwören lassen wollte.
Was Einzelne und Bethörte thaten, antwortete Churchill, darf Ew. Majestät nicht Allen zurechnen.
Du, sagte Jakob, indem er aufstand und seine Hand auf die Schulter des großen, schönen Mannes legte, den er liebevoll anblickte, Du bist der Treueste der Treuen! – Als ich vorher einsam saß und nachsann, wer, wenn Alle mich verließen, treu bei mir ausharren würde, da tratest Du vor meine Seele, Du und meine liebe, theure Tochter, meine Anna, mein einziges Kind, das meinen Kummer versteht. Er legte beide Arme um die Prinzessin, die ihren Kopf an seiner Brust verbarg und Thränen vergoß. – Weine nicht, sagte Jakob mit tröstender Stimme, weine nicht, denn wir müssen stark sein und zu Gottes Ehre tragen, was uns auferlegt ist. –
Sein graues Haar fiel auf ihre Stirn nieder, er küßte ihre glänzenden Locken und fuhr dann, die Hand ausstreckend, fort:
Mit mir ist Gott! Ich stehe, wohin er mich gestellt hat, in seines Namens Ruhm. Wehe den Verräthern! sie werden zu Schanden werden; ihre teuflischen Pläne werden nicht gelingen, der Glanz meiner Krone wird ungetrübt daraus hervorgehen.
Du hast wohl gehört, sagte er dann mit seinem scharfen Zucken um die Lippen, daß die Lords mir eine Botschaft geschickt haben, in welcher sie die schnelle Berufung des Parlaments fordern.
Mein königlicher Vater will es ihnen gewähren? fragte die Prinzessin.
Nicht ein Atom! Nichts! rief der König, aber ich werde sie morgen hören und ihnen antworten. Das Parlament versammeln? fuhr er fort; ist jetzt die Zeit dazu? Soll ich eine Herde brüllender Kälber zusammenbringen, die sich in Wölfe verwandeln, wenn sie beisammen sind? – Nichts! Kein Parlament! – Die Berufung des Parlaments hat meinem Vater das Leben gekostet!
Was wird seine Nichtberufung kosten? murmelte Churchill leise vor sich hin.
Meine Krone, sagte der König, und er faßte nach dem Kopf, als wollte er sie halten, soll durch solche Erniedrigung nicht geschändet werden. Lieber wollte ich mit meinem ganzen Geschlecht wiederum in die Welt ziehen, und abwarten, bis die Vernunft zurückkehrt in dies Volk, bis es mich reuig zurückruft, wie es Karl den Zweiten zurückgerufen hat.
Ach! erwiederte die Prinzessin erschrocken, wird mein theurer Vater auch wieder einen Monk Siehe Anm. 16. finden, wie ihn König Karl gefunden hat?
Jakob richtete sich stolz auf, und warf ihr einen Blick des Unwillens zu. –
Wo der König ist, sagte er, da ist England! Aber sei ruhig, meine Tochter, ich spreche von einem Falle, der nicht eintreten wird. – Mein Heer umgiebt London, meine Flotte liegt vor der Themse, ich habe noch, was ich brauche, um ein rechter König zu sein, und niemals soll man von mir sagen, daß ich das Schwert nicht gebraucht hätte, um meine königliche Würde zu bewahren. – Mögen die stolzen Lords auch ein Parlament fordern, ihre Mehrzahl wird für mich sein; der Adel wird immer mit dem Könige gehen, ich weiß was ich von ihm zu erwarten habe. Die Verräther kenne ich und werde sie zu finden wissen, wenn es Zeit ist.
Soll ich, sagte die Prinzessin unruhig und leise, als er ihr die Hand reichte und segnend die andere auf ihr Haupt legte, soll ich vielleicht an den Prinzen schreiben, oder mein Gemahl sich zu ihm begeben? –
Der König ließ sie nicht ausreden. –
Es giebt keine Hirschjagd da, rief er spöttisch lachend, obwohl der Prinz Statthalter ein gewaltiger, Jäger ist. Laßt den Est-il possible, Deinen geliebten Gemahl, ruhig trinken und verdauen, mein Kind, und hüte Dich vor allem Schreiben, fügte er mit einem schnellen Blick hinzu: ich fürchte daß Du zuweilen schon zu viel geschrieben hast.
Anna schlug die Augen nieder, aber sogleich überwand sie sich und ihre Blicke begegneten den forschenden Blicken Jakobs mit dem Ausdruck der Kränkung. –
Wenn mein königlicher Vater irgend ein Mißtrauen gegen mich hegt, sagte sie, so bin ich das unglücklichste Wesen, was die Erde tragen kann.
Nein, nein! rief der König mit väterlicher Herzlichkeit. – Nein, mein geliebtes Kind, ich kenne Dein Herz und Deine treue Seele. – Deine Freunde sind meine Freunde, und habe ich Dich und sie Alle nicht mit Wohlthaten überhäuft? Gebe ich Dir nicht jährlich vierzigtausend Pfund, was ein königliches Einkommen ist? Theile ich nicht Alles gern mit Dir, was ich besitze?! Ich müßte verzweifeln, wenn ich denken könnte, daß auch Du willst wie sie – wie Maria, deren gieriger Gemahl so große Herrschaft über sie besitzt, daß alles kindliche Gefühl in ihr erstorben ist.
Er küßte sie nochmals und hielt sie lange in seinen Armen, wo er sie freudig betrachtete. –
Schlafe ruhig, sagte er dann, Dein Vater wird für Dich wachen. Laß Dich nicht stören durch den Kriegslärm, wenn morgen die irischen Bataillone im Park gemustert werden. Ich werde siegen über den Unglauben und die Untreue, denn alles was ich thue will Gott haben! – Mein Wille ist unbeugsam, wie der Wille eines Königs sein muß, aber ich bin Gottes Knecht. Er allein wird Rechenschaft von mir fordern, und ich wandle auf seinen Wegen.
Als er hinaus war, die Thüren zufielen und die Schritte verhallten, wandte sich die Prinzessin bleich und trostlos zu ihren Vertrauten um. –
O, Sara! rief sie, an Lady Churchills Brust ihren Kopf verbergend, was soll ich thun?
Sende augenblicklich Doktor Burnet zu dem Prinzen ins Lager, erwiederte diese, und laß ihn wissen, daß Du bereit bist, zu ihm zu eilen.
Aber der König! – Mein Vater! – O! mein Gott!
Der König ist verloren! sprach Lady Churchill hart und dumpf. – Er sieht nichts mehr, er begreift nicht; er verschmäht den einzigen Rettungsweg: das Parlament und Buße für seine Sünden. So rette Dich und Deine unsterbliche Seele. Siegt er, so müssen wir Alle in die Messe!
Laß Burnet kommen, es ist nicht anders, rief die Prinzessin erschöpft, indem sie in den Lehnstuhl sank.
England war in Bewegung gerathen durch die Landung des holländischen Heeres. Auf allen Landstraßen sah man bewaffnete Schaaren, bald Milizen, bald Soldaten des Königs, bald Edelleute mit ihrem Gefolge, die dem Westen zueilten und wohin sie kamen mit Jubel empfangen wurden. Einige Male hörte man von kleinen Gefechten zwischen den Abtheilungen des königlichen Heeres und diesen Reitern des Adels, denen man den Durchlaß verweigerte, oder sie nach Haus schicken wollte und während Jakob zu keinem energischen Entschluß kommen konnte, stand der niederländische Prinz unbeweglich und wartete den moralischen Eindruck seines Erscheinens und die Thätigkeit seiner Verbündeten ab.
London konnte Alles entscheiden, aber diese Hauptstadt, welche damals kaum 400 000 Einwohner zählte, war ebenfalls in zwei große Parteien getheilt. – Die Partei der Unzufriedenen war freilich die bei weitem größere; sie hatte die Masse des Volks für sich und alle freiheitsliebenden und charakterstarken Männer; allein viele der reichen Kaufleute und großen Gewerbtreibenden, wie alle die Schwachen und Halben, welche nach Ordnung und Ruhe schreien, und lieber die gesetzloseste Gewalt über sich ergehen lassen, als muthig zu ihrem Recht zu sehen, bildeten die Widerpart. Dazu kamen die Leute, welche vom Hofe lebten und Nutzen von ihm zogen; die Hoflieferanten aller Art, die friedlichen, feisten Pfahlbürger, die reichen Grundbesitzer und der breite Schwarm der Nichtsthuer und Angestellten, die von einer solchen nach Absolutismus strebenden Regierung auf Kosten des Volks ernährt und zu allerlei Schergendienst gebraucht werden.
König Jakob wußte recht gut, was er von seinen Londoner Bürgern zu halten hatte. In der letzten Zeit hatte der Prozeß der Bischöfe sie zornig gestimmt, und die religiösen Beschränkungen, die Furcht vor Papisten und Papismus, sie gegen den König aufgebracht; aber die Entlassung Sunderlands und die Entfernung des Pater Petre aus dem Staatsrathe genügte, um die königliche Kutsche wieder mit Ehrenbezeigungen zu begleiten, wo sie erschien. In Deputationen des Magistrats, den Lord-Major oder Bürgermeister mit der goldenen Kette an ihrer Spitze, einen jener elenden, schwachsinnigen Männer, die der Zufall in solchen Zeiten oft an wichtige Plätze stellt, wurde die Ergebenheit der Hauptstadt dem Könige dargelegt, der durch solche Unterthänigkeit und Treue in seinen Absichten bestärkt werden mußte. Er sollte bald zu seinem Schaden erfahren, wie wenig dieser gesinnungslose Magistrat die wahre Meinung des Volks darstellte; so viel jedoch war gewiß, daß, so lange die Armee in und vor der Hauptstadt lagerte, und so lange nicht die Lage des Königs eine unglückliche Wendung nahm, er vor jedem Aufstand Londons sicher sein konnte. Der Pöbel Londons wurde im Zaum gehalten aus Angst vor seiner Wuth und die unzufriedenen Elemente verbargen sich so lange, als sie Jeffreys und die Rotten der Polizeikonstabler zu fürchten hatten. –
Die Milizregimenter, das heißt die Bürgerwehr, wurden aufgeboten, um die Ruhe zu sichern, ihre Offiziere erhielten Gnadenbeweise und schmeichelhafte Worte, die sie mit Betheuerungen ihrer Treue beantworteten; aber ganz anders lautete die Sprache, welche in den Kaffeehäusern, den Tavernen, Bierhäusern und Kneipen geführt wurde. Da es keine Zeitungen gab, als die Staats- und Hof-Zeitung, waren die Gerüchte um so thätiger. Man erzählte das Erstaunlichste von den holländischen Regimentern, von ihrer Kriegszucht, ihrer Trefflichkeit, von den strengen Befehlen des Prinzen, von der Art, wie jedes Ei bezahlt werde, von der Milde und Tapferkeit seiner Offiziere, vom alten Marschall Schomburg, dem Generalissimus in weißen Haaren, und endlich von dem Statthalter selbst, dem Gemahl der rechtmäßigen Thronerbin Maria. Unbekannte Hände streuten die Proklamationen des Prinzen aus, welche das Sündenregister König Jakobs enthielten und die lange Reihe seiner Blutthaten aufzählten. Man flüsterte sich zu, daß der Prinz als Freund, als Rächer und Retter gekommen sei, daß er des Volkes Rechte und Freiheiten herstellen werde, und erzählte jubelnd, wie alle Tage das Lager des Prinzen größer werde, wie die Grafen von Danby und Devonshire mit großem Gefolge gekommen seien, in Schottland der Aufstand ausbreche, die Papisten überall verjagt würden und Lord Dartmouth kaum noch im Stande sei, die Matrosen und Seesoldaten in Gehorsam zu halten. –
Dazwischen liefen düstre Gerüchte umher von den Plänen des Königs und der Katholiken, von einer Mordnacht mit Hülfe der irischen Regimenter, von Waffen und Pulvermassen, die in den neu errichteten Klöstern verborgen seien, und während London in seinen Tiefen mit den Wogen des Sturmes ging, die dann und wann eine wild schäumende Spitze bis auf die Oberfläche der murmelnden See warfen, stürzte der Regen wochenlang in Strömen vom Himmel und löste alle Wege dermaßen auf, daß es fast unmöglich für den Einzelnen wurde, im Lande fortzukommen, um so weniger für Heeresmassen, die sich blutige Schlachten liefern wollten. –
Im Palaste von Whitehall sammelten sich Generale, Pairs und vornehme Herren täglich um den König, der jetzt, nach Sunderlands Entfernung, die unumschränkteste Herrschaft über die übrigen Minister und den Staatsrath ausübte. Günstlinge und Schmeichler riefen ihm zu, daß der Sieg über alle Verräther ihm nicht fehlen könne, und wenn Jakob seine Blicke auf die Säle warf, welche seine Hofschranzen und ergebenen Diener füllten, wenn er die Höfe des Palastes betrachtete, wo seine Garden gemustert wurden und die Dragonerregimenter vorüberzogen, welche er westwärts vorwärts schickte, verschwanden die heimlichen Gedanken und sein Zorn über die Anmaßungen geistlicher und adlicher Herren, die es wagten, Vorwürfe und Forderungen an ihn zu richten.
In voller Entrüstung hatte er den Erzbischof von Canterbury entlassen, der mit seinen Bischöfen eine Verdammungsakte gegen den Prinzen von Oranien veröffentlichen sollte und sich dessen weigerte. Statt dessen zählte der Erzbischof alle die Beleidigungen auf, die der Kirche von den Kreaturen des Hofes angethan waren. Gegen den Aufruf, den der König verlangte, brachte er Entschuldigungen und Einwendungen vor.
Ich will es so! rief Jakob endlich heftig, und ich bin Euer König. Meine Sache ist es, zu prüfen, was das Beste ist.
In Allem, was das Christenthum fordert, erwiederte der Erzbischof demüthig, wollen wir Ew. Majestät getreulich unterstützen, als Priester mit unseren Gebeten, als Pairs des Reichs durch unseren Rath im Parlament.
Bei diesem Worte stampfte der König wild auf den Boden, dann wendete er sich ab und sagte:
Ich will Euch nicht länger aufhalten. Da Ihr mir nicht helfen wollt, so muß ich mir selbst vertrauen und meinen Waffen.
Aber nun kamen neunzehn weltliche Lords und forderten die Berufung des freien und loyalen Parlaments.
Kann ein Parlament frei und loyal berathen, sagte der König zu der Deputation, wenn der Feind im Lande ist? Wartet die Zeit der Ruhe ab, helft mir zuvörderst Ordnung und Frieden herstellen. – Nur eine kleine Zahl Mitglieder kann sich jetzt versammeln und nöthiger seid Ihr jetzt an Eurem Heerde als im Parlamentssaale. – Ihr habt die rebellische Stimmung des Landes hervorrufen helfen, jetzt vermehrt Ihr sie. Besser aber wird es sein, Ihr lernt, wie man mir gehorcht, als Ihr belehrt mich, wie ich regieren soll.
So bald mit Schmeichelworten, bald mit Bitterkeit suchte er dem Verlangen auszuweichen, dennoch mußte er herausfordernde und kecke Bemerkungen hören, die mit fürchterlicher Wahrheit das nahende Ende des königlichen Ansehens kund gaben.
Mehr noch wie gegen die Bischöfe zürnte König Jakob gegen diese stolzen Lords Rochester, Halifax, Lovelace und ihre Genossen, die für seine Vorwürfe die kühnsten Antworten hatten.
Ich habe zu viel schon gethan, rief er endlich am Schluß der Unterredung aus, in der Hoffnung, ein ungehorsames und undankbares Volk zufrieden zu stellen. Immer habe ich die Koncessionen gehaßt, aber ich habe mich dazu überreden lassen, doch finde ich, was mein Vater gefunden hat, daß dadurch die Unterthanen nur mehr fordern lernen. – Ich gebe nichts mehr, schrie er dann heftig aufstampfend, nichts, merkt Euch das; nicht ein Atom!
Und indem er sie Alle der Reihe nach mit seinen finstern Augen betrachtete, als wollte er sich ihre Gesichtszüge einprägen, wiederholte er das Lieblingswort, das seinen Lippen so geläufig war:
Nicht ein Atom! nichts; nicht ein Atom.
Geht, Mylords, fuhr er dann fort, und wisset, daß, wenn Ihr mir zu rathen wagt, ich solle mit dem verrätherischen Feinde unterhandeln, ich nur die eine Antwort habe: »Den ersten Boten, den die Holländer mir schicken, werde ich ohne Antwort zurücksenden, den zweiten aber lasse ich aufhängen!« – Geht und wisset, daß ich mich nicht schrecken und mir nichts abdringen lasse. – Mögen die Rebellen in das feindliche Lager fliehen, ich werde sie finden und strafen; noch aber weiß ich von keinem Engländer, der dort Zuflucht für seine Schande gesucht hätte.
Die Lords entfernten sich und mit funkelnden Augen sagte der König zu Jeffreys, der neben ihm stand:
Merkt Euch ihre Namen, Lord-Kanzler. Der Tag wird kommen, wo ich Euch daran erinnern werde. Aber ich muß fort aus London, dem Feinde entgegen, den ich vernichten werde. – Ich lasse Euch an der Spitze der Regierungs-Kommission zurück, Ihr werdet mir London ruhig erhalten.
Mein königlicher Herr kann sich auf mich verlassen, erwiederte Jeffreys mit seinem munteren Lachen.
Ich weiß es, sagte Jakob zufrieden. Faßt zu, wo Ordnung und Ruhe in Gefahr gerathen. Zum Heile des Vaterlandes ist Strenge nothwendig. – Aber wie ist es, Mylord, habt Ihr keine Kunde von Eurem schönen Flüchtling und den Nichtswürdigen, die sie entführten?
Keine Nachforschung hat bis jetzt gefruchtet, erwiederte Jeffreys.
Sorgt nicht, sprach der König tröstend. Haltet für jetzt das Erbe Eurer Braut fest, es soll Euch ein Pfand für sie sein und bei meiner Ehre! ich will sie Euch angetraut sehen, oder kein Pfennig soll je wieder in ihre Hände zurückkehren.
In dem Vorsaale entstand Lärm. Einer der dienstthuenden Gardeoffiziere trat herein und antwortete auf die Frage des Königs, was es gebe:
Sire, es ist so eben die Nachricht eingetroffen, daß der junge Lord Cornbury, der das erste Dragonerregiment befehligt, den Versuch gemacht hat, das Regiment zu Verrath und Abfall zu bewegen.
Ha, Cornbury! rief der König erbleichend. Ein Hyde ist der erste Verräther. Tod und Schande über ihn! Ist er gefangen?
Er ist entkommen, sagte der Offizier, aber allein, Niemand hat ihn begleitet.
Jakobs Gesicht erheiterte sich. – Sie sind mir treu, meine Soldaten, murmelte er lächelnd, so wird es Allen ergehen, die sie zu verführen denken. Das ist eine gute Botschaft, Jeffreys.
Und was den Viscount Cornbury betrifft, sagte der Kanzler, so muß man ein Beispiel geben und von Henkershand seinen Namen verbrennen lassen.
Der Vater des Lords, Graf Clarendon, fuhr der Offizier fort, ist, vom tiefsten Schmerz ergriffen, so eben erschienen, um Ew. Majestät Gnade anzurufen.
Graf Clarendon steht meinem Herzen nahe, erwiederte Jakob. Seine Schwester war meine Gemahlin; er ist mein naher Verwandter, das soll nicht vergessen werden, so lange ich es kann. Ich will ihn sehen und trösten.
Er trat in den großen Vorsaal, der mit Generalen, Offizieren und Höflingen gefüllt war. Das Erscheinen des Königs bewirkte eine augenblickliche Ruhe. Jakob lächelte gnädig dem General-Lieutenant Churchill zu, der mit seinem Freunde, dem Herzog von Gordon, und dem Obersten Kirke und Trelawney im eifrigen Gespräch begriffen war. So ging er durch den Saal und heftete seine Blicke freudig auf die Schaar glänzender und kräftiger Männer von Ansehn und hoher Geburt, die ehrfurchtsvoll sich vor ihm neigten, bis er befriedigt sich zu dem Grafen Clarendon wandte, der zerknirscht und wehmuthsvoll den Augenblick der Anrede erwartete.
Ich ehre diesen Kummer des Vaters, sagte der König, seine Hand gütig auf die Schulter des Grafen legend, und trage ihn mit Euch; aber richtet Euch auf, mein theurer Freund, und glaubt, daß ich darum nicht schlimmer von Euch denke.
O, Gott! rief Clarendon die Hände ringend, welche ewige Schmach ist es für mein Haus, daß einer meiner Söhne ein Rebell sein soll.
Tröstet Euch, Mylord, tröstet Euch! mahnte der König. Ihr seid ein ächter Cavalier. Als solchen erkenne ich Euch an, und Ihr so wenig wie Eure würdigen Verwandten habt Theil an der Schande Eures ungerathenen Sohnes, dem ich, was mich anbetrifft, von Herzen verzeihe.
Bei diesen Worten vergoß der Graf Clarendon Freudenthränen. –
O! Majestät, sagte er, meine Treue und die Treue meines Hauses sollen dafür um so fester stehen.
Wie, sollte ich nicht mehr auf Euch bauen; rief der König heiter. Ihr, mein Freund und werther Vetter, steht meinem Herzen ja näher als die meisten. Was jedoch Euren Sohn betrifft, so kann ich Euch nicht helfen, die Wahrheit zu hören. – Sprecht General Churchill. Ich sehe Euer Gesicht vor Zorn geröthet, den Ihr, wie alle meine tapferen Offiziere, über diese schmachvolle Handlung empfindet.
Majestät, sagte Churchill, immer ist Verrath grauenvoll und entehrend vor Gott und Menschen. Wenn aber ein Soldat seine Fahne verläßt, wenn er den Schwur der Treue bricht, er zum Verräther wird an seiner eigenen und seines Königs Ehre, so ist kein Gräuel zwischen Erde und Himmel, der damit zu vergleichen wäre. Selbst Vatermord ist solchem verbrecherischen Wahnsinn nicht gleich zu stellen.
Und Ihr, meine Generale, tapfrer Kirke, Gordon, Trelawney! rief Jakob, was sagt Ihr?
Majestät! sagte der grausame Kirke, ich und meine Lämmer, wir dürsten danach, jedem Verräther sanftmüthig zu seinem Recht zu helfen.
Die furchtbare, zügellose Bande, welche Kirke kommandirte, war der Schrecken Englands.
Eure Lämmer, sprach der König lachend, sollen rothen Klee zu schmecken bekommen. Morgen ziehen wir aus. Der nächste Kriegsrath soll in Salisbury sein. In offener Feldschlacht will ich den Feinden meines Thrones und meiner königlichen Rechte unter Gottes gnädigem Beistand Rede stehen!
Eine freudige Bewegung erhob sich unter den Kriegsleuten. Die Schwerter klirrten, die Augen funkelten.
In Salisbury sehen wir uns wieder; rief Jakob mit erhobener Stimme.
In Salisbury! riefen die Generale, und Churchill wandte sich zu seinen Freunden um und sagte langsam:
Nach Salisbury! dort wird die rechte Stunde schlagen.
Der König war in Salisbury und Alles bereitete sich zu dem großen blutigen Schlage vor, der entscheiden sollte, wer in England künftig herrschen werde. – Die Stadt lag voll königlicher Soldaten, der bischöfliche Palast, des Königs Wohnung, füllte sich mit Offizieren aller Art, allein Jakob war nicht mehr so freudenvoll, wie da er auszog aus London.
Aus Exeter, wo der Prinz von Oranien seine Macht zusammengezogen hatte, kamen Nachrichten, daß Cornburys Beispiel nicht mehr einsam dastand. Viele reiche Landbesitzer aus guten Familien hatten sich dem Prinzen angeschlossen, mehr als sechszig waren in Exeter und nicht wenige hatten junge Mannschaft aus ihren Schlössern und Pachthöfen mitgebracht, die zu neuen Regimentern vereinigt wurden.
Jakob spottete mit seinen Generalen über diese Landjunker und ihre Rekruten. Er dachte von ihnen eben so gering, wie der alte Marschall Schomberg, der sie Anfangs nach Haus jagen wollte; plötzlich aber kam Nachricht, daß der ganze Norden Englands im vollem Aufstand begriffen sei, Nottingham und York verloren, die Grafen Devonshire und Danby an der Spitze.
Bei diesen Nachrichten verschwand der Spott. Der ganze Adel des Westens und Nordens zog nach Exeter, wie zur Krönung; Proklamationen flogen über das Land, und endlich kam die Nachricht, das niederländische Heer ziehe von Exeter heran, um die Schlacht zu versuchen.
Jakob war von Natur beherzt und jetzt sah man ihn stolz zu Roß seine Schaaren mustern, begleitet von einem glänzenden Stabe, und auf seinem harten Gesichte kriegerische Kühnheit und Entschlossenheit.
Von einer solchen Musterung war er zurückgekehrt, ganz befriedigt von der Haltung seiner englischen und irischen Regimenter, die mit Jubelruf ihn empfangen hatten. – Er hatte die Außenposten besucht und überall Enthusiasmus gefunden. Ein kleines Gefecht zwischen den Vortruppen beider Heere hatte mit dem Rückzuge der Prinzlichen geendigt und dies kriegerische Vorspiel schien eine Abschlagzahlung auf größeren Sieg zu sein. –
General Churchill hatte den König begleitet; gestützt auf ihn stieg Jakob die Treppe hinauf, wo sein Schwiegersohn, der Prinz von Dänemark, ihn empfing.
Willkommen, sagte der König, Ihr kommt zur rechten Zeit, Prinz Georg, um einen glorreichen Tag zu erleben. – Sarsfield hat das Regiment des elenden Mackay tüchtig geschlagen.
Est-il possible? rief der Prinz, in seiner stupiden Weise in die Hände schlagend.
Es wird noch viel Anderes möglich werden, fuhr der König lachend fort. Die Verräther beginnen sich zu entlarven. Bei meines Vaters heiligem Andenken! Ich will Gericht halten über Alle, die jetzt ihr Schicksal in meine Hände liefert. Danby und Devonshire sind im Hauptquartier des Prinzen von Oranien, auch Shrewsbury ist dort angekommen und der schändliche Priester Burnet hat in Exeter eine Predigt gehalten, in der er mir alles Recht auf meine Krone abspricht.
Est-il possible? rief Prinz Georg zum andern Male.
Dafür, sagte Jakob, will ich ihnen das Recht auf ihre Köpfe absprechen und ihnen zeigen, was mein Recht ist. – Wer steht dort an der Saalthür?
Sire, sagte einer der Offiziere, es ist der Graf von Rochester, der Eure Majestät erwartet.
Jakob runzelte die Stirn bei dem Namen. Rochester war einer der Lords, die ein freies Parlament gefordert hatten; er war mit Halifax an der Spitze der drängenden Pairs und der Angesehenste unter der Schaar. Mühsam bezwang der König seinen Unwillen und ging freundlich auf ihn zu.
Nach der ersten Begrüßung sagte Jakob:
Was führt Euch zu mir, Mylord Rochester? – Es muß eine Sache von Wichtigkeit sein, daß die Männer, deren Freund Ihr seid, Euch nach Salisbury schicken.
Majestät, erwiederte der Lord ehrerbietig, wir, die Pairs des Reichs, wollen noch einmal Eurem königlichen Ohr nahen. In London herrscht Bestürzung und Schrecken. – Eine Regierungskommission, Jeffreys an der Spitze, drei Katholiken an seiner Seite, führt in Ew. Majestät Namen die Regierung.
Das gefällt Euch nicht? fragte Jakob finster lächelnd.
Es gefällt weder mir noch irgend Jemand in diesem Lande, erwiederte der Lord.
Mir aber gefällt es so, rief der König und darum soll es Euch angenehm sein.
Majestät, sagte der Lord, ich beginne zu fürchten, daß die ernsten Worte, welche ich zu sagen habe, so vergeblich sein werden, wie alle früheren Versuche, die Lage dieses Landes wahrhaft darzustellen.
Seid kurz, Mylord Rochester, wenn es Euch gefällt, erwiederte der König mit harter Stimme. Was begehrt Ihr?
Sire, sagte Rochester, ich sowohl, wie fünfzig Pairs des Reichs, Bischöfe und weltliche Mitglieder, wir halten es für unsere Pflicht, Eure Majestät nochmals auf die großen Gefahren aufmerksam zu machen, in welchen Thron und Land sich befindet.
Und was ist das Mittel, uns davon zu befreien? fragte Jakob.
Ein freies Parlament, Sire, und die Heilighaltung der Rechte des Volks, antwortete Rochester.
Der König warf den Kopf stolz empor.
General Churchill, rief er dem General zu, der in der Ferne stand. Kommt näher General.
Churchill gehorchte.
Ihr seid der erste Mann im Heere nach Feversham. Glaubt Ihr, daß ein Parlament nöthig ist, um mit den Verräthern fertig zu werden, die England bedrohen?
Ich hoffe, Majestät, erwiederte Churchill, daß England zur Ruhe und Ordnung zurückkehrt, ehe es möglich wäre ein Parlament zu berufen.
Brav Churchill! rief Jakob, und darin liegt die Antwort für Euch, Rochester. Ehe ein Parlament sich versammeln kann, was ganz unmöglich jetzt ist, wird Englands Schicksal entschieden sein.
Sire, sprach der Lord bewegt, Gott weiß es, daß ich nicht zu denen gehöre, die Ew. Majestät Böses wünschen, aber ich muß es noch einmal aussprechen; das Land ist im Aufruhr, das Volk fordert seine Rechte, überall lauert Abfall und Verrath, jede nächste Stunde kann Unerhörtes bringen. Glauben Sie denen nicht, Sire, die Ihren Wünschen schmeicheln, hören Sie auf die Stimmen Ihrer treuesten Freunde, hoffen Sie nicht jetzt noch des Königs Willen zum einzigen Gesetz zu machen. Berufen Sie das Parlament, es kann allein noch den Thron retten.
Es ist genug, Mylord! rief Jakob aufstampfend. O! ich kenne Euch, ich kenne Eure Parlamente. Ihr wollt regieren, wie Euch es beliebt. Nichts soll geschehen ohne Euch, der König soll die Puppe sein, die von Euch auf den Thron gestellt wird! – Eure Rechte! Was sind Eure Rechte, wenn sie der König nicht bestätigt? Gesetze machen und regieren ist Sache des Fürsten allein. Gebt ihm Rath, wenn er dessen von Euch bedarf, und richtet Euch nach seinem wohlerwogenen Willen; nur so kann ein Land regiert werden zum Heil des Volks. Wenn ich nach London zurückkehre, werde ich ein Parlament berufen und ihm sagen, was sein Recht und seine Pflicht ist. Und jetzt gehabt Euch wohl und helft für Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung sorgen.
Es geschehe, was sich nicht ändern läßt, sagte Rochester, und sich verbeugend fügte er hinzu: Möge Ew. Majestät die wahren Verräther erkennen, ehe es zu spät ist.
Was sagte er? fragte Jakob. Giebt es Verräther hier? Wo könnte ich sicherer davor sein, als bei meinen treuen Generalen. – O! diese Narren, die das Regieren nicht vergessen können und auf ihre Rechte pochen. Ich will ihnen Gehorsam lehren, sobald wir hier fertig sind.
Sire, sagte Churchill, darf ich die Erinnerung wagen, daß Ew. Majestät versprochen haben, die Regimenter der Obersten Kirke und Trelawney zu inspiziren, die Warminster besetzt halten.
Du hast Recht, erwiederte Jakob zutraulich, das wird mir den Aerger verdauen helfen, den dieser anmaßende Lord mir bereitet hat. Laß meinen Wagen vorfahren, ich will die Lämmer des Kirke besehen, ehe sie auf die Weide gehen und sich in Wölfe verwandeln.
Hoffentlich, sagte der Herzog Gordon, werfen sie das Schafkleid nicht eher ab, bis es ihnen befohlen wird, und zerreißen den Hirten nicht.
Der König lachte. Er trat mit dem Fuße auf den Wagentritt und sprach zu dem Herzog:
Wenn Ihr Euch fürchtet, Gordon, so bleibt zu Haus. Es könnte Euch gereuen, mich nach Warminster geführt zu haben. – In diesem Augenblick aber schoß ein Blutstrom über des Königs Gesicht. Seine Nase blutete heftig und befleckte die Kleider des Herzogs und Churchills, die ihn unterstützten.
Jakob trat zurück in den Palast; man war besorgt und verwirrt über dies plötzliche heftige Bluten, das die herbeigerufenen Aerzte für sehr bedenklich fanden und Ruhe empfahlen.
Mehrere Stunden vergingen, aber alle Mittel, den Blutfluß zu stillen blieben vergeblich. – Churchill, Gordon und ein Kreis von Offizieren standen im Vorsaal; Unruhe war auf allen Gesichtern. Mehrere Adjutanten des Generals eilten fort, man sah den Prinzen Georg von Dänemark heimlich mit Churchill und dem Herzog von Ormond reden, ihre Gesichter waren voll ängstlicher Erwartung.
In diesem Augenblick hörte man den Hufschlag vieler Pferde auf dem Platze und erblickte vom Fenster aus eine Dragonerschaar, an deren Spitze sich der Ober-General des königlichen Heeres, Lord Feversham, befand.
Die Dragoner umringten den Palast, der Lord sprang ab, und seine Augen zu den Fenstern erhebend, sah er Churchill und Gordon überrascht an. Er blieb stehen, als wolle er einen Befehl ertheilen, dann trat er rasch in's Haus.
Ich glaube, sagte Churchill, Se. Majestät wird neue Nachrichten erhalten.
Und ich, rief Gordon, halte es für das Beste, diese nicht hier abzuwarten.
Sind unsere Pferde bereit? fragte der General mit gedämpfter Stimme.
Sein Adjutant bejahte es. Sie stehen an der hinteren Pforte des Palastes.
Da Se. Majestät uns nicht begleiten kann, nach des Himmels Rathschluß, sagte Churchill heiter, so werden wir allein nach Warminster gehen müssen. – Kommt, Gordon, ich höre Feversham auf der Treppe.
Kaum hatten sie den Saal verlassen, als der Obergeneral eintrat. Wo ist der König? rief er mit Heftigkeit.
Man erzählte ihm, was geschehen. –
Gott sei gelobt! rief der Lord, so komme ich nicht zu spät.
Was giebt es, Feversham? fragte Jakob, der, ein Tuch vor dem Gesicht, ihm entgegentrat.
Verrath, erwiederte der Lord, ich fürchte das Schlimmste. – In Warminster verweigern Kirke's und Trelawney's Regimenter den Gehorsam. Ew. Majestät hat der Himmel gerettet und die fluchwürdigste Verschwörung zu Schanden gemacht.
Wer? fragte Jakob erstarrt, wer hat sich gegen mich verschworen?
Ich sehe noch nicht klar, war die Antwort; aber, Sire, denen, die Ihnen in der Welt am nächsten stehen, ist am wenigsten zu trauen.
Was meint Ihr? was sagt der Lord? rief der König, seinen Schwiegersohn anblickend, der neben ihm stand.
Est-il possible! rief Prinz Georg, von dem König Karl gesagt hatte, er habe ihn nüchtern und betrunken immer gleich albern gefunden.
Eins nur weiß ich, fuhr Feversham fort, was sofort geschehen muß. – Lassen Sie auf der Stelle Churchill und Gordon verhaften, und ich gebe meinen Kopf zum Pfande, wir finden alle Fäden des Verraths.
Churchill! rief der König, seinen Kopf mit beiden Händen haltend. – Ha! Feversham, was wagt Ihr zu behaupten? – Nein, nein! die Hölle wäre losgelassen. Es ist unmöglich!
Er komme, sprach der Lord ruhig. Ich will ihm Fragen vorlegen über seine Briefe an Kirke und was ich von Zeugen gehört habe.
Ruft den General, sagte der König ruhiger, er wird sich zu vertheidigen wissen. Ich kenne ihn besser, Lord Feversham. Noch in dieser Stunde habe ich seine Treue erprobt; er war es, der mich einlud, Warminster zu besuchen. Wenn es wahr wäre was Ihr sagt, so wäre ich dort –
Gefangen und dem Prinzen ausgeliefert worden! fiel Feversham ein, als der König schwieg. Das scheint der Plan der Verschwörung gewesen zu sein.
General Churchill ist nicht zu finden, berichtete ein Offizier zurückkehrend. – Man hat ihn mit dem Herzog Gordon und einem kleinen Gefolge eilig die Stadt verlassen sehen.
Der König hielt sich an Feversham fest, im nächsten Augenblick aber richtete er sich stolz auf. –
Wenn dieser Mann an mir zum Verräther wurde, sagte er, so wird der Fluch und die Verachtung der Menschen ihn dafür treffen, meiner Rache aber wird er nicht entgehen. – Wo ist der Prinz? fragte er umherblickend.
Sire! erwiederte Einer, der so eben hereintrat. – Der Prinz und der Herzog von Ormond haben sich davon gemacht. Sie sind dem General Churchill nachgeritten.
Ist der Est-il possible auch fort! rief der König bitter lachend. Nun, ich muß gestehen, ein guter Reitersmann wäre ein größerer Verlust gewesen.
In diesem Augenblick brach ein Courier, der von London kam, sich Bahn durch die Menge, welche den König umstand. Es war einer der Palastoffiziere des Königs, bespritzt mit allen Spuren des Weges zwischen Salisbury und der Hauptstadt.
Neues Unheil! rief Jakob, als er ihn erblickte. Sprich, Morton, was ist geschehen?
Majestät, erwiederte der treue Diener, es ist erschütternd, was ich zu sagen habe.
Heraus mit der Sprache, sagte der König. Ist London im Aufruhr, Jeffreys ermordet?
Nein, Majestät, sprach der Bote bebend, doch kaum weniger, als das. Die Prinzessin Anna ist entflohen, mit ihr die Lady Churchill. Niemand weiß wohin; London ist in wilder Aufregung. Schützt es, wenn Aufruhr und Mord nicht die Straßen mit Blut und Brand füllen sollen.
Über das bleiche Gesicht des Königs fuhr ein rother Schein; seine starren Züge nahmen einen Ausdruck unaussprechlichen, Kummers an.
Wehe mir! rief er jammernd, Gott helfe mir! meine eigenen Kinder haben mich verlassen!
Er bedeckte mit beiden verschränkten Händen seine überströmenden Augen, sein Blut quoll von Neuem heftig hervor. So sank er in einen Stuhl, die Aerzte eilten ihm zu Hülfe; Verwirrung und Schrecken füllten den Palast in Salisbury.
Der König war nach London zurückgekehrt. Die Furcht vor einem Aufstande in der Hauptstadt, die Flucht Churchills, Gordons, Ormonds und seiner eigenen Kinder, der Abfall der Regimenter in Warminster und die Furcht vor weiterem Verrath in den Reihen seines eigenen Heeres hatten den Ausschlag gegeben. –
Es war an keine Schlacht mehr zu denken, halb England aber war im vollen Aufruhr, der Rest mühsam noch gehalten, und das holländische Heer im Anrücken begriffen, ohne Widerstand zu finden. Der König war in düsterster Stimmung, überall sah er unruhige, ängstliche Gesichter, und wohin sein scheuer Blick streifte, traf er auf Blicke, die ihm Verdacht einflößten.
In den großen Speisesaal von Whitehall hatte er die geistlichen und weltlichen Lords beschieden, so viele ihrer vorhanden waren. Er erwartete sie mit Bitterkeit im Herzen, doch selbst Jeffreys hatte darauf gedrungen, und es Pflicht der Nothwendigkeit genannt, nicht langer zu zögern, ihren Rath zu hören. –
Unruhig ging der König in seinem Zimmer auf und ab; Pater Petre, der noch immer heimlich versteckt war und aus seinem Schlupfwinkel hervorkroch, wenn er gerufen wurde, stand mit gekreuzten Händen im Hintergrunde in der Nähe einer geheimen Thür und sprach mit gedämpfter Stimme zu seinem Herrn.
Und Tyrconnell rührt sich nicht: rief Jakob zornig, indem er vor dem Jesuiten stehen blieb.
Er behauptet nach diesen Briefen nicht mehr Truppen entbehren zu können, antwortete der Priester. Seine Aufgabe ist, wie er sagt, Irland der Kirche und dem Könige zu erhalten.
Auch er verläßt mich, sagte der König düster, sie verlassen mich Alle!
Gottes allmächtiger Schutz, der Euer Majestät so sichtlich erst in Salisbury errettet hat aus den Händen der Verräther, ist mächtiger als Menschenwille, erwiederte Petre.
Ihr habt Recht! rief der König. Ja, ich erkenne die Hand des Herrn, die mich schützt.
Gott und die heilige Kirche verlassen ihren Erwählten nicht, murmelte der Priester, sie führen den zum endlichen Siege, der standhaft ausharrt zu ihres Namens Ehre.
Wahr, wahr! sprach Jakob und seine Augen glühten fanatisch, ich werde nicht wanken, ich kenne mein Recht und meine Pflicht.
Es wurde an die Thür geklopft, Pater Petre verschwand.
Der Herzog von Northumberland trat ein und berichtete dem Könige, daß die Pairs versammelt seien, und festen Schrittes, ein gnädiges Lächeln auf den Lippen und mit einem gnädigen Gruß trat Jakob in den Saal.
Es waren neun Bischöfe hier versammelt und acht und dreißig Lords, lauter Protestanten. Ihre Mienen waren düster und feierlich, an einem Tische saßen zwei Staatssekretäre.
Der König schritt ruhig zu seinem Sitze, er war sehr angegriffen, aber sein Gesicht war klar und sein Auge hell. –
Ich habe eine Petition vor einiger Zeit erhalten, sagte er, welche die Berufung eines freien Parlaments fordert. Ich konnte damals nicht darauf eingehen, doch während meiner Abwesenheit von London hat sich Vieles geändert: Das Volk scheint die Versammlung beider Häuser zu fordern, ich wünsche Ihren Rath zu hören, Mylords.
Eine Pause entstand, verwunderte Gesichter blickten sich an. Der König sprach kein Wort über die Nähe des Feindes, kein Wort über die jüngsten Vorfälle, er verlangte nur einen Rath, ob ein Parlament zu berufen sei.
Endlich erhob sich der Herzog von Oxford, der erste Edelmann des Reichs, mit dem Antrage, daß diejenigen Lords, welche die Petition unterzeichnet hätten, sie am Besten auch jetzt vertheidigen würden. – Damit war der Eingang gefunden.
Rochester stand auf und seine Rede machte den tiefsten Eindruck. Er schilderte die Zustände des Landes, es fehlte nicht darin an scharfen Spitzen.
Jakob hielt das Auge am Boden geheftet, nur zuweilen warf er einen kalten Blick auf den Sprecher, der endlich mit den Worten schloß:
»Ich sehe keine Hoffnung für Thron und Land als ein freies Parlament und doch zweifle ich, ob dies Mittel noch helfen wird. Das Unheil ist aufs Aeußerste gekommen, alle Warnungen sind vergebens gewesen, nur weiß ich nichts Besseres vorzuschlagen. Ein freies Parlament und Unterhandlungen mit dem Prinzen von Oranien sind das Letzte, was uns übrig bleibt.«
Ich bestreite es, sagte Jakob. Unterhandlungen fruchten nichts, aber ein Parlament will ich bewilligen. Sprecht, Lord-Kanzler, was ist Eure Meinung?
Ich glaube, daß Lord Rochesters Ansicht unter den jetzigen Umständen die einzig richtige ist, sagte Jeffreys.
Ich bin derselben Meinung, fügte der Staatssekretär Godolphin hinzu.
Des Königs Gesicht wurde finster. Er sah sich von seinen eignen Räthen verlassen, von Jeffreys, der noch nie ihm widersprochen hatte. Er schüttelte abwehrend mit strengem Blicke den Kopf.
Plötzlich stand der Graf von Clarendon auf, und zum unsäglichen Erstaunen aller Anwesenden, begann er eine heftige und beleidigende Rede gegen den König, voller Schmähungen wider Tyrannen, Tyrannei und pfäffisches Regiment. Derselbe Mann, welcher wenige Tage früher nicht Worte genug finden konnte, um seine Scham und seinen Kummer auszudrücken über seinen pflichtvergessenen Sohn, und welcher fast auf seinen Knien, unter Thränen und Eidschwüren seine Ehrfurcht und loyale Treue vor Jakob betheuerte, wußte jetzt nicht harte und geringschätzende Worte zu finden, um dem erbleichenden Monarchen am wehesten zu thun.
Man nimmt uns Freiheit und Ehre, schrie er, aber damit noch nicht genug, man nimmt uns auch unsern Glauben. Papisten sitzen über uns zu Gericht, und selbst die Regierung, welche Se. Majestät eben jetzt in seiner Abwesenheit eingesetzt hat, enthält keinen Protestanten.
Das ist nicht wahr! schrie Jakob in der heftigsten Aufregung ihm zu.
Es ist allerdings wahr, erwiederte Clarendon eben so heftig. Die nicht öffentlich Katholiken sind, sind es heimlich. Schande über England, daß es so kommen muß. Scham und Schande, daß ein Eroberer so leicht von der Westküste bis ins Herz des Reichs vordringen kann. Aber überall fand er offene Arme, denn wo waren die Vertheidiger? – Warum floh man von Salisbury nach London? Warum wagte man keine Schlacht? – Kann man es dem Volke verargen, wenn es sich dem Eroberer unterwirft, da es sieht, wie sein eigener König an der Spitze seiner Armee davonläuft.
Ein Fieberschauer schien den König von Kopf bis zu den Füßen zu schütteln. Sein eingefallenes Gesicht färbte sich dunkelroth und seine Hand zuckte nach dem Schwert. Gleich darauf aber ließ er sie sinken und mit der unaussprechlichsten Verachtung durchbohrte sein Blick den Mann, der bedientenhaft ihn lange Jahre umkrochen hatte, bis er plötzlich ihn in die Ferse stach.
Eine Anzahl Lords, Halifax, Nottingham und Rochester an der Spitze standen auf und umringten den König. Andere riefen Clarendon zu, er möge sich schämen und wieder Andere suchten durch einige allgemeine Tröstungen den König zu beruhigen.
Lord Halifax sprach lange und sanft von der Nothwendigkeit, den Frieden zu vermitteln und zur Beruhigung des Landes dem Prinzen von Oranien die Hand zu bieten. –
Das Nächste was geschehen muß, sagte er, ist, daß Ew. Majestät sich entschließt Alles zu vergessen und zu vergeben, und durch eine allgemeine Amnestie den großen Akt der Versöhnung einzuleiten.
Der König hatte lange Zeit, wie in Stumpfsinn verfallen, den Reden der Lords zugehört. – Sein königlicher Stolz war aufs tiefste gedemüthigt. Er, der die höchsten Begriffe von der königlichen Macht und seinen Rechten hatte, sah sein Ansehen verhöhnt, alle Scheu vor seiner göttlichen Würdigkeit abgestreift, seine Regierung schonungslos verdammt, selbst seinen persönlichen Muth beschimpft von der frechen Zunge eines Vasallen und von Andern neben diesem, die ihn mit verächtlichen, ehrfurchtslosen Blicken betrachteten.
Jetzt aber fuhr er auf, als sogar eine Amnestie als das Nächste, was er zu geben habe, von ihm gefordert wurde. Nie hatte er eine Beleidigung vergessen, nie einem Beleidiger vergeben, es sei denn, daß dieser den Staub von seinen Füßen küßte, doch auch dann waren die Fälle selten. Jeffreys hatte geschlachtet, wer irgend des Königs Rachsucht auf sich gezogen, und noch jetzt hatte Jakob den einzigen Trost in seinem wunden Herzen, Rache zu nehmen an allen Verräthern, die ihn so schmählich betrogen hatten.
Kaum hatte daher Lord Halifax unter vielfachem Beifall die Amnestie erwähnt, als der König neues Leben erhielt. –
Ich kann es nicht! rief er, es ist unmöglich. – Ich muß Beispiele geben; ja Beispiele! vor allem an Churchill! Churchill, den ich so hoch erhoben habe! Er allein hat dies Alles verschuldet. – Er hat mein Heer verdorben, er hat mein Kind verdorben! Er wollte mich in des Prinzen Hände liefern, durch Gottes besondere Gnade allein bin ich ihm entgangen. – Mylords, Sie sind sehr besorgt um die Sicherheit der Verräther, aber keiner unter Ihnen ist um meine Sicherheit besorgt.
Diese Worte, hervorgestoßen mit der äußersten Leidenschaft und Bitterkeit, zeigten, wie angefüllt mit rachsüchtigem Haß des Königs Seele war, sie zeigten den Lords aber zugleich, was sie selbst zu erwarten hatten, wenn Jakob jemals wieder zum vollen Besitz der Macht gelangte.
Majestät, sagte Lord Halifax kalt, es ist immer weise, Beleidigungen zu vergeben, die man nicht bestrafen kann. – Vergebung und Versöhnung zu bringen in den Kampf wild streitender Parteien ist das edelste Vorrecht der Fürsten. Je weniger aber diese selbst sich frei von Schuld sprechen können, um so mehr sollten sie ihre Gegner durch eine aufrichtige Amnestie von Schuld und Strafe zu befreien suchen und damit Feinde in Freunde verwandeln.
Ich habe noch nie von einer Amnestie Dank geerntet, erwiederte der König finster.
Eure Majestät dürfen aber darauf rechnen, wenn die Regierung aufhört verfolgungssüchtig zu sein, versetzte der Lord. Wenn Rechte und Gesetze gesichert werden, wenn das Volk erkennt, daß seine Freiheiten und seine Religion unangetastet bleiben, wenn man nicht mehr skandalöse Prozesse beginnt und würdige, ehrenhafte Männer – fügte er mit einem finsteren Blicke auf Jeffreys hinzu – an der Spitze der Justiz stehen und in des Königs Rathe sitzen.
Wenn Ew. Majestät, fuhr der Lord nach einer Pause fort, da Jakob keine Antwort gab, trotz dessen was vorgegangen ist, noch eine Hoffnung auf Sicherheit durch die Waffen hat, so mag es sein, wenn nicht, so kann der Thron allein nur durch den Wiedergewinn der Volksliebe gerettet werden.
Alle schwiegen. Des Königs Auge irrte forschend durch die Gesichter, er las sein Schicksal darin; von Liebe und wahrer Anhänglichkeit keine Spur.
Von diesem Augenblick an wurden sein Widersprüche schwächer und nach und nach bewilligte er Alles. Ein Parlament, das rasch berufen werden sollte; eine Kommission, an deren Spitze Lord Halifax stand, um mit dem Prinzen von Oranien zu unterhandeln; eine Amnestie und große Opfer, um zu Frieden und Ruhe zu gelangen. Er sagte es zu, mit dem König von Frankreich ganz und für immer zu brechen, und sagte selbst Ja zu der Forderung, daß sofort alle Papisten aus dem Staatsdienst verschwinden sollten und der katholische Kommandant des Towers durch einen bisher gefangenen Offizier ersetzt werde.
Die Bischöfe und Lords entfernten sich voller Triumph über den errungenen Sieg.
Endlich war Jakob allein und mit großen Schritten begann er auf und ab zu gehen. Sein düstres Auge drückte Scham und Zorn aus, seine Lippen öffneten sich zu einem hastigen Gemurmel verworrener Worte, seine Arme kreuzten sich über seiner Brust, aus welcher sich tiefe Seufzer hervorrangen.
In diesem Augenblick führte Petre den Gesandten Barillon durch die geheime Thür herein. Der Jesuit intriguirte nicht mehr gegen den Franzosen, er sah wohl, daß dieser allein noch helfen konnte.
Majestät, sagte Barillon hastig, darf ich glauben, was man durch die Gassen Londons ruft? – Hat das Recht des Königs vor den sogenannten Rechten des Volkes sich gebeugt? Sire, ist es wahr, daß Sie unterhandeln und – was dasselbe ist – nach dem Willen des Parlaments künftig regieren wollen?
Jakob blieb stehen und mit heiserer leiser Stimme erwiederte er:
Seid sicher, nichts, nicht ein Atom sollen sie haben! – Diese Unterhandlung ist eine bloße Finte. – Ich mußte die Kommission zugeben, und Alles zugeben, um Zeit zu gewinnen, mein Weib und mein Kind zu retten. Ihr wißt, wie meine Truppen gesinnt sind. Nur die Irländer stehen zu mir, und diese sind nicht stark genug, um zu widerstehen. – Fort mit dem Parlament! es würde mir vorschreiben, was ich thun soll, es würde sich zwischen mein Recht und Gott drängen. Ich würde gezwungen sein, Alles aufzuheben, was ich gethan habe und mit Eurem König zu brechen.
Sire, sagte Barillon, kann Geld helfen, ich habe große Summen vorräthig. Gewiß aber steht die ganze Macht meines Herrn zu Ew. Majestät Gebot, um die Revolution zu bändigen.
Geld, erwiederte der König, hilft jetzt nichts mehr. Sobald ich aber die Königin und mein Kind in Sicherheit weiß, werde ich England verlassen, und dann, Barillon, bei Eurem Herrn Geld und Bajonette suchen, um von Irland und Schottland aus, diesen meuterischen Pöbel zur Ordnung zu bringen.
Im Namen meines gnädigen und großen Souveräns, sagte der Gesandte, kann ich Ew. Majestät Alles zugestehen, was nöthig ist, um Ihre Macht fest zu begründen. Mein Herr, der König, kann es nicht dulden, daß die sogenannte Volksfreiheit den Thron seines erhabenen Verbündeten umstürzt, und allen Völkern gefährliche Lehren und Grundsätze vor Augen führt, deren Beispiel früher oder später zur Nachfolge reizen muß.
Die Könige sind geboren, um zu herrschen, sagte Petre, die Völker, um zu gehorchen. Wehe Denen, die dies mißachten! Der Ruhm und die Größe der Fürsten ist die Größe Gottes und seiner heiligen Kirche. Beide sind unzertrennlich. Wahrer Glaube und christliche Demuth können nur da wohnen, wo die Völker denen gehorchen, die von Gott zu seinen Statthaltern bestimmt wurden.
Schafft mir die Mittel, die Königin und den Prinzen von Wales sicher nach Frankreich zu bringen, sagte Jakob, dann bin ich frei von Besorgniß.
Ich habe mit Pater Petre darüber gesprochen, erwiederte Barillon, und bin bereit, alle Sorge dafür zu übernehmen, um den Prinzen von Wales und seine erhabene Mutter sicher nach Frankreich zu schaffen. Ich empfehle Ew. Majestät zur Ausführung dieses wichtigen Auftrages den Grafen Lauzun.
Ich nehme es an, rief der König. Mein Sohn in Frankreich! Wo wir uns befinden, ist England. Alle treue Herzen werden uns folgen und an der Spitze eines französisch-englischen Heeres wird der Prinz von Wales in das Reich seiner Väter einziehen!
An demselben Tage, wo Lord Halifax und seine Gefährten mit Hungerford zum Prinzen von Oranien gesandt wurden, kam ein Wagen vom Süden her, der über die Londonbrücke in das Innere der Stadt fahren wollte. Es war ein schweres, großes Fuhrwerk, das nur von zwei Pferden gezogen ward, die mit dem Schmutz der aufgeweichten Landstraße bedeckt, das ziemlich ärmliche Bild eines reisenden Miethswagens vollkommen machten. Die Fenster waren zugezogen und die Vorhänge darüber gebreitet. Auf dem Bock saß der Kutscher, weißköpfig mit rothem Angesicht, der seine Peitsche knallen ließ und zur Vorsicht aufmunterte, denn die Straßen waren dicht mit Menschen angefüllt und in der Ferne ließ sich ein wüthendes, wildes Geheul hören.
Was giebts denn da, Thoms, fragte eine tiefe Stimme durch ein kleines, ein wenig geöffnetes Fenster, hinter dem Bock.
Weiß es nicht, Euer Herrlichkeit, sagte der Kutscher. – Heda, aus dem Wege, mein Junge! – Was, beim Christ, habt Ihr denn vor hier am gesegneten Samstage?
Kehr um, schrie der alte Bürger, an welchen die Frage gerichtet war, Du kannst hier nicht durch mit Deinem elenden, alten Karren. Ganz London ist auf den Beinen. – Sie erwarten den Prinzen von Wales, der von Portsmouth zurückgebracht werden soll, mit Jesuiten, Priestern und abtrünnigen Verräthern. – Lord Powis, der größte Schuft von Allen, soll dabei sein und an der Spitze stehen. – Von Whitehall haben sie nun Soldaten nach Southwark geschickt, die den Jungen, der ein Prinz und Thronerbe sein soll, in Empfang nehmen wollen. Aber ich will verdammt sein, wenn wir's leiden! – Ich will verdammt sein, wenn Kohlstrünke, Ziegelsteine, faule Aepfel und Eier den verwünschten Paddys Spitzname der Iren. die Sache nicht so leid gemacht haben, daß sie ausgerissen sind nach Westminster und den Jungen selbst sehen lassen, wie er nach Haus kommt.
Haha! rief der Kutscher, Ihr werdet ihn begleiten.
Begleitung soll er haben, schrie der Mann, daß ihm die Ohren noch davon gellen, wenn er zwanzig Jahre älter geworden ist. – Aber was ist das? fuhr er fort. – Seht da! Ein Wagen, ein Wagen! –. Und darinnen sitzt Lord Dartmouth und der Schelm Dover. – Ich will verdammt sein, wenn es nicht der schuftige Dover, der Jesuitenknecht ist. – Hurrah für Lord Dartmouth! Nieder mit Dover! Nieder mit dem Papisten, dem abtrünnigen katholischen Hund!
Der Ruf wurde von hundert und hundert Stimmen wiederholt, er galt einem Wagen, der mit sechs raschen Rossen bespannt, im schnellsten Trab die Straße heraufkam und rasch an dem Miethsfuhrwerk vorüberflog. – Die Volksmenge stürzte sich mit Geheul und Hurrahs hinter her, und als es stiller und leerer geworden war, öffnete sich das kleine Fenster wieder und die tiefe, männliche Stimme sprach:
Kehre um, Thoms, wir kommen nicht durch. Fahre nach Kingston, wir wollen dort sehen über den Fluß zu kommen.
So geschah es. Abends, als es dunkelte, kam der Wagen beim Whitehallpalast an und hielt an einer kleinen Seitenpforte. Hier öffnete sich der Vorhang zum ersten Male. Ein vornehm blickender Herr, der einen langen Stoßdegen und einen dunklen Mantel trug, sprang heraus; eine Dame reichte ihm etwas, das er schnell verbarg, dann folgten ihm ein paar Frauen in Reisekleidern und Alle verschwanden in der Pforte. – Niemand hatte die Ankömmlinge bemerkt, niemand sie beachtet. Sie schlichen durch die öden Gänge des Schlosses bis in das königliche Vorzimmer; plötzlich aber wurde dies geöffnet und in dem Lichtglanz der großen Wandleuchter stand der König vor Jeffreys, Barillon und einigen seiner vertrautesten Hofleute.
Ha! Lord Powis! rief der König, gelobt sei Gott! Wo ist er, wo ist mein Sohn?
Hier, gnädigster Herr, erwiederte der Lord, indem er seinen Mantel aufschlug und zwischen den mit Spitzen und Perlen gestickten Wiegentüchern den kleinen festschlafenden Prinzen zeigte.
Jakob beugte sich über seinen Thronerben und legte segnend seine Hand auf den Kopf des Kindes. In seinen Augen verschwand die düstere Strenge, sie strömten Rührung und besorgte Vaterliebe aus. –
Armer Knabe, sprach er, welche Erfahrungen machst Du schon in den ersten Monaten Deines Lebens? – Die Untreue jagt Dich aus dem Arm Deiner Mutter durch ein freventlich empörtes Land; die Untreue und der Ungehorsam hindern, daß ein rettendes Asyl Dich aufnimmt; sie verfolgen Dich mit Zischen und Geheul. – O, mein Kind! mein Kind! Du wirst einst viel zu verzeihen haben, wenn diese von ihrem Gott und Könige abgefallenen Menschen zur Vernunft zurückgekehrt sein werden, wenn – sagte er, sein Haupt aufhebend und sein hartes, gelbes Gesicht in tiefe Falten ziehend – wenn die Verbrecher mit Gottes Hülfe gestraft, die Verräther gerichtet sind.
In diesem Augenblick öffnete sich eine Seitenthür und die Königin trat schnell herein, gefolgt von mehreren ihrer Damen. –
Lord Powis, der das Kind noch trug, ließ sich auf ein Knie nieder und hielt der schönen, jungen Fürstin den Erben der drei Königreiche entgegen. –
Mit Thränen in den Augen und mit einem lauten, natürlichen Schrei der Freude schloß die Mutter das Kind in ihre Arme und ohne sich hindern zu lassen, daß es erwachte und zu weinen begann, bedeckte sie es mit ihren Küssen, betrachtete es mit heißen Blicken und stammelte eine Reihe abgebrochener, zärtlicher Namen bald in englischer, bald in italienischer und französischer Sprache, die von erneuten Liebkosungen und hastigen Fragen unterbrochen wurden.
Die Unmenschen! sagte Jakob, dies Schauspiel betrachtend, indem er sich auf des Pater Petre's Arm stützte – wenn sie diesen Ausdruck mütterlicher Angst in jeder Miene der Königin sehen könnten, sie würden nicht länger ihre boshaften und entehrenden Verläumdungen ausbreiten.
O! mein Gemahl, rief Maria von Modena, ihre Hand zu dem finstern, alten Gatten bittend ausstreckend, es ist unmöglich, ich kann mich nicht wieder von meinem einzigen Sohne, von meinem Liebling, von meinem größten Schatz auf Erden, trennen. – Mögen die Mörder und Ketzer kommen, mögen sie ihre Gräuel an uns vollenden, mein Kind lasse ich nicht; mein unschuldiges, theures Kind soll nimmermehr von meiner Seite gerissen werden.
Beruhigt Euch, Maria, erwiederte der König, sie umarmend und küssend. Eure weiche, schöne Seele kann es nicht fassen, daß es so verruchte Elende geben kann, die ein Kind von seiner Mutter reißen und es ausstoßen, verfolgen und verhöhnen. – Ha! wenn nichts meine Rache entflammen könnte, so wäre es dieser traurige Anblick. Ihr sollt mit Eurem Liebling gehen, theure Maria. Ich will mein Weib und mein Kind retten aus dieser Pest; ich will sie in Sicherheit wissen, damit diese Menschen, denen nichts heilig ist, sich nicht weiter an ihnen versündigen. Dann wird mir wohler sein, dann werde ich freier athmen und rascher handeln.
Der Marquis Barillon flüsterte einige Worte dem Pater Petre zu, der leise nickte und dann zur Königin gewandt mit seiner salbungsvollen Süße sprach:
Erinnern Sie sich, gnädigste Frau, daß auch die heilige Gottesmutter den größten Mutterschmerz erdulden mußte, ihren göttlichen Sohn von grausamen Feinden verfolgt und gemartert zu sehen. Aber die Stunde der Auferstehung kam und Gott fand und züchtigte die Frevler.
Wohl, mein Vater, antwortete die Königin und ihren dunklen Augen entströmte eine Gluth, die kreuzigen und Scheiterhaufen errichten konnte – auch wir werden warten, auch unsere Stunde wird kommen. Bei dem blutigen Herzen der heiligen Jungfrau! ich werde nicht vergessen, was man mir und was man diesem schuldlosen Kinde angethan hat.
Die Königin richtete sich stolz und drohend auf, sie war schön in ihrem Zorne. Ihre schlanke Gestalt und dies lange, blasse Oval mit großen strahlenden Augen, belebte sich mit südlicher Lebendigkeit. Der Mund, um den gewöhnlich ein harter Zug lag, zuckte gebieterisch und die unbewegliche, hochmüthige Kälte, welche mit jedem Jahre mehr ihr alle Herzen entfremdet hatte, schmolz in den Gefühlen tief empfundener Kränkung und des Hasses.
Die junge Königin, welche, so lange sie Herzogin von York gewesen war, versöhnend und mild neben ihren verhaßten Gatten gestanden hatte, die oft gepriesen ward über ihre Sanftmuth, oft Jakobs aufbrausende und beleidigende Heftigkeit vergütete durch ihre freundliche Weise, wurde jetzt als der böse Geist des Königs betrachtet. –
Frömmelnd und in den Händen der Pfaffen, fanatisch gläubig und empört gegen die Feinde Gottes, des Papstes und des Königs, die Partei des Volks verabscheuend aus Instinkt und aus Aberglauben, beleidigt von Verläumdungen, die ihre Frauenehre antasteten, und vielleicht noch mehr beleidigt von den Wahrheiten, welche über die Wirthschaft am Hofe, über ihre Feste, über ihre Habgier und ihren Geiz in zahlreichen Spott- und Schmähgedichten umliefen, ward sie, die Italienerin eben so grimmig und glühend gehaßt, wie Jakob selbst. –
Das kalte Land voll Nebel und das kalte Volk, voll nüchterner protestantischer Begriffe über die Macht der Priester und die Macht der Könige, war ihr aufs tiefste zuwider. Sie sehnte sich hinaus, sie hieß Alles gut, was Jakob that und bestärkte ihn in den wahnsinnigen und thyrannischen Täuschungen über sein königliches, höchstes und göttliches Recht.
Vielleicht dachte Jeffreys in diesem Augenblick an eines der giftigsten Epigramme, das wenige Tage vorher in den Straßen Londons und selbst an den Mauern Whitehalls angeschlagen gefunden wurde und also lautete:
»Als Herzogin mild, gütig sonder Zweifel –
Als Königin erprobt als wüth'ger Teufel!«
Er verbarg sein rothes Gesicht zum gemüthlichsten Lächeln und sagte mit seiner unverschämten Vertraulichkeit:
Nur Geduld, Majestät, wir werden das Alles vergelten. Die Zeiten werden wiederkehren, wie damals, wo wir diese Rebellen, deren Väter Rebellen waren seit Adams Zeiten, an ihrer Brut für die Verbrechen strafen konnten, die manche von ihnen noch in den Windeln an des Königs heiligen Rechten begingen.
Die Königin warf ihm einen gnädigen Blick zu und die Hofdamen nickten Beifall. Sie gedachten der schönen Zeiten der Aufstände, wo der König und Jeffreys ihnen eine hübsche Anzahl der reichsten Verbrecher überließen, die, nachdem sie lange vergebens ihre Unschuld betheuert hatten, um nicht im Kerker zu verfaulen oder nach Jamaica in die Sclaverei verkauft, oder halb todt gepeitscht zu werden, oder dem Block des Henkers zu entrinnen, von der Königin und ihren Damen den Pardonbrief mit zwei oder vier und fünftausend Pfund erkauften, je nachdem sie ausgepreßt werden konnten.
Diese Königin, welche der gnadenreichen Jungfrau Rache gelobte an Allen, die ihren Sohn aus der goldenen Wiege zur Flucht auf der Landstraße gezwungen, oder vielmehr es dahin gebracht hatten, daß König Jakob in seiner gefährlichen Narrheit den eigenen Sohn sich selbst voran ins Exil schickte, sie hatte viele Mütter in ganz anderes Elend und Herzeleid versetzt, ohne irgend einen Gewissensbiß zu empfinden. Mit nichtswürdiger Grausamkeit und Habgier theilte sie den Raub der nach Westindien verkauften Unglücklichen mit ihren Damen, erpreßte Geld, wo irgend ein Verfolgter Rettung suchte, und plünderte die armen Aeltern der kleinen Mädchen in Taunton aus, die einst Herzog Monmouth bei seinem Einzuge in den Ort eine Fahne überreicht hatten. Kinder von zehn Jahren ließ Jeffreys in den Kerker werfen, und nicht eher gingen sie daraus hervor, bis die Königin und ihre Ehrendamen siebentausend Pfund erhalten hatten.
Jetzt weinte Maria von Modena über die Angst und Noth, die dem jungen Prinzen von Wales bereitet waren; was waren diese aber im Vergleich zu den Leiden der Tausende unglücklicher Kinder, was waren die Thränen dieser Königin gegen die zahllosen Thränen, welche hundert und hundert arme Mütter weinten?
Seid standhaft, theure Maria, sprach Jakob, sie aufrichtend. Die Unglücklichen wissen nicht, was sie thun, wenn sie ihre Königin beleidigen, Euch, die Ihr sie liebt und mild und fromm für sie betet.
Ein Kammerherr trat herein und meldete die Ankunft des Admirals Dartmouth.
Bei diesem Namen runzelte der König die Stirn. Er wandte sich der Thür zu, durch welche eben der tapfre und treue Offizier trat, und sagte im stolzen Tone:
Ihr kommt zur rechten Zeit, Lord Dartmouth. Die Thränen Eurer Königin fließen um Euren Ungehorsam. – Warum befolgt Ihr meine Befehle nicht? – Warum unterfangt Ihr Euch, meinen Sohn zurückzuweisen; Schiffe aus dem Hafen von Portsmouth kreuzen zu lassen und Euch seiner Abreise zu widersetzen?!
Majestät, erwiederte der Lord unerschrocken, meine Treue werde ich nicht zu vertheidigen brauchen. Aber wie ich Pflichten habe gegen Sie, Sire, so habe ich deren auch gegen England und gegen das Parlament.
Ich – ich allein, rief der König in heftiger Aufregung, bin Herr des Heeres und der Flotte; ich allein habe zu befehlen, was geschehen soll und Euer Herrlichkeit ist mein Admiral!
Der Lord verbeugte sich und sagte dann:
Ich weiß es, Sire, aber ich weiß auch, daß das Parlament von mir Rechenschaft fordern kann und fordern wird, wenn ich die Auswanderung oder die Flucht des Prinzen von Wales beförderte.
Verdammt sei Euer Parlament! versetzte der König, mit größter Heftigkeit mit dem Fuß stampfend.
Majestät, sprach Dartmouth unerschütterlich, die Flotte hat die Berufung des Parlaments mit unermeßlicher Freude erfahren. – Eine Dankadresse an den König ist von mir und acht und dreißig Capitänen unterzeichnet worden; nur die Gewißheit, daß die Vertreter der Nation bald beisammen sein werden, kann den Gehorsam aufrecht erhalten. Dies frohe Ereigniß würde die Flucht des Thronerben Lügen strafen, und wollte ich dazu die Hand bieten, so würde ich ein Verbrechen begehen.
Ihr habt nichts zu thun, als meine Befehle zu erfüllen! rief der König.
Nein, Sire, antwortete der Admiral mit bescheidener Festigkeit. Mein Blut und mein Leben stehen Ew. Majestät zu Gebot, für die Vertheidigung Ihres Thrones will ich jeden Tag sterben; aber mein Gewissen ist mein. Ich bin keine Maschine, die Befehle vollstreckt, mögen diese lauten, wie sie wollen. Ich bin Ew. Majestät treuer Diener, so lange meine Ehre und die Ehre wie die Gesetze meines Vaterlandes nicht dabei in Gefahr gerathen. Weil ich Ew. Majestät treu bin, darum flehe ich Sie an, Sire, lassen Sie den Prinzen hier, versöhnen Sie sich aufrichtig mit dem Volke, erinnern Sie sich daran, was William Temple einst zu König Karl dem Zweiten sagte: »Ein König von England muß wollen, was das Parlament von England will. Er ist der größte König der Welt, wenn er der Mann seines Volkes sein will, aber sobald er etwas mehr sein will, par Dieu! so ist er nichts mehr.« – Und König Karl drückte Temple's Hand und rief: Ihr habt Recht, ich will der Mann meines Volkes sein. – Majestät, sein Sie das auch. – Sie stehen auf der letzten Planke, Sire, bei Gottes Thron! sehen Sie zu, daß Sie nicht fehl treten.
Der rauhe Seemann streckte seine beiden Hände aus, als wollte er des Königs Arm fassen und ihn halten, aber Jakob trat erzürnt einen Schritt zurück und maß den Admiral mit einem durchbohrenden Blicke.
Weiter habt Ihr mir nichts zu sagen? fragte er.
Nein, Sire, erwiederte Lord Dartmouth, aber ich dächte, ich hätte viel gesagt.
Zu viel, woran ich Euren Sinn erkennen kann, rief der König. Wollt Ihr gehorchen in Allem, was ich Euch befehle?
In Allem, Majestät, was ich vor meiner Ehre und vor meinem Vaterlande verantworten kann. Den Prinzen von Wales aber in die Hände des Königs von Frankreich liefern, ist Hochverrath!
Geht, sprach der König stolz, ich werde Euch rufen lassen, wenn ich Euch brauche. Ihr seid nicht besser, wie die Anderen. Ich sehe wohl, Alle verlassen mich; es ist Zeit, daß ich mir selbst helfe, wie ich es vermag. –
Er wandte ihm den Rücken zu. Der Lord verbeugte sich mit finsterer Stirn, sein Blick haftete drohend auf Jeffreys, Petre und Barillon; aber er ging mit festen Schritten fort, ohne ein Wort weiter zu sagen und ohne umzublicken.
Auch er also – auch er! rief Jakob mit Bitterkeit, als Dartmouth das Zimmer verlassen hatte.
Auch er ist Protestant, sagte Petre leise, und hängt wie alle diese Ketzer mit geheimen Fäden an das Parlament.
Hängen sie nicht Alle daran? sprach der König, verläugnen sie nicht alle mein Recht, das ich von Gott habe? Ha! nicht ein Atom sollen sie bekommen, aber ich will sie büßen lassen. – Es bleibt nichts übrig, fuhr er fort, sich zu Barillon wendend, als Euren Vorschlag anzunehmen. – Die Engländer verlassen mich, so mag es denn ein Franzose sein, der die Königin von England und den Thronfolger in Sicherheit bringt. Ihr habt mir den Grafen Lauzun empfohlen, Marquis, steht Ihr für ihn ein?
Mit meinem Leben, sagte Barillon. Ich kenne Lauzun genau, er ist der kühnste, entschlossenste Mann, der je gelebt hat. In gefährlichen Abenteuern aufgewachsen, kennt er keine Gefahr; er wird die Königin und den Prinzen nach Frankreich führen oder sterben.
Wohlan denn, erwiederte Jakob; Graf Lauzun ist einer der ritterlichsten Herren, die an meinem Hofe seit langer Zeit erschienen sind, auch die Königin hat Vertrauen zu ihm. – Ist es nicht so, Maria, habt Ihr nicht selbst schon von Lauzun gesprochen und glaubt Ihr Euch seiner Begleitung anvertrauen zu können?
Barillon und Petre hatten alle Verabredungen getroffen, sie wußten, daß die Königin sich günstig erklären würde.
Ich habe mehr Vertrauen zu ihm, sagte Maria von Modena, als zu irgend einem Engländer, der sich zu meiner Begleitung erbieten könnte.
Still! rief der König, muthige Herzen und tapfere Männer giebt es in England genug, aber der böse Feind hat ihre Augen verblendet. – So bereitet Euch denn, heut Nacht muß es geschehen. Ihr müßt fort, damit ich nachfolgen kann. Laßt es ein tiefes Geheimniß sein, denn nicht gering ist die Gefahr. Um Mitternacht, Barillon, soll Lauzun in meinem Vorzimmer warten.
Er wird bereit sein, sprach der Gesandte, nur die eine Bitte wagt er, daß sein Landsmann und Freund, der Chevalier Saint Victor, ihn begleitet.
Saint Victor, sagte Jakob lächelnd, wird eben so sehr von unseren Damen vermißt werden, wie Graf Lauzun. Wo zwei Sterne der Courtoisie mit einem Male erlöschen, wird die Finsterniß doppelt schrecklich sein. Aber nur Geduld, wir finden uns Alle wieder.
Er wandte sich zu Lord Powis und reichte ihm die Hand. –
Ihr seid treu, rief er, Euch kann ich vertrauen.
Bis in den Tod, Sire, erwiederte der Lord. – Was auch kommen mag, Ew. Majestät Wille ist mein einziges Gesetz.
Des Königs Gesicht erheiterte sich. –
Die Treue geht doch nicht unter auf Erden! rief er, wie die Feinde der Menschheit auch daran wühlen. Verlaßt mit Eurer Gemahlin sofort London, Mylord, und begebt Euch nach Gravesand. Sucht vorher unter meinen irländischen Offizieren, die Ihr kennt, Euch drei der tüchtigsten Männer aus, die einzeln Euch folgen. In Gravesand findet Ihr eine Yacht; dieser Befehl sagt Alles, was Ihr weiter wissen und thun sollt, er beglaubigt Euch zugleich. Ich rechne auf Eure Pünktlichkeit.
So lange ich athme, sagte der Lord, des Königs Hand küssend, soll kein Buchstabe unerfüllt bleiben.
Das ist ein Mann! sprach Jakob, ihm zärtlich nachblickend, warum sind sie nicht Alle so?! England würde glücklich sein, ich würde es glücklich machen. – Er stürzt sich in Gefahren, ohne mit den Augen zu zucken. Laßt uns gemeinsam in der Kapelle für die Erfüllung unsrer Hoffnungen beten.
Und während der bethörte König auf den Stufen des Altares lag und Segen für das Unheilvollste vom Himmel erflehte, was er je ersonnen, breitete die Nacht sich über London aus, das in der heftigsten Gährung war. –
Auf den Straßen wogte das Volk, dunkle Gerüchte von Plänen des Hofes, der Katholischen und der Irländer füllten es mit Verdacht. Bewaffnete Milizen zogen umher, vermischt mit Arbeitern und Matrosen. Jedes fremde Gesicht wurde angehalten, jeder Unbekannte mußte Rede stehn; bei dem geringsten Zeichen von Verlegenheit, oder weil sein Gesicht Argwohn erregte, wurde er als verkappter Jesuit aufgegriffen und vor den nächsten Magistrat geschleppt.
Der Regen fiel in Strömen nieder, aber das Volk ließ sich dadurch nicht hindern. Hauptstadt und Palast waren in zwei feindliche Läger geschieden. Whitehall war von den Garden und Irländern besetzt und umringt. Im Park des Schlosses lagerten sie unter Hütten, ihre Wachtfeuer löschte das wilde Wetter aus; aber der Ruf der Schildwachen bezeugte die ausgedehnte Postenkette und deren Wachsamkeit. Jeder war um seine Kehle bange und niemand wußte, wie bald sie abgeschnitten sein würde. –
Das Volk beobachtete jede Bewegung im Palast, jeden Aus- und Eingehenden; zahlreiche Haufen schwärmten rund um London auf allen Straßen, Boote mit Laternen am Mast durchkreuzten den Strom und bewachten die Ufer. Der König hatte wohl Recht, daß es ein gefahrvolles Unternehmen und eine höhere Hand nöthig sei, wenn es gelingen solle.
Keine Vorsicht aber ward vernachlässigt, um jeden Uneingeweihten zu täuschen. Bei der Abendtafel ging es fröhlich her. Jakob trank auf den bald hergestellten Frieden, er sprach von der Sehnsucht, die er nach dem Parlament habe und von seinen innigen Wünschen nach Ordnung und Ruhe. Die Königin erzählte von Festen, welche sie feiern wollte und von dem Frühlingsaufenthalt in Windsorschloß. – Alle waren guter Hoffnungen voll und endlich wurden sie gnädig verabschiedet.
König und Königin suchten ihr Schlafgemach auf. Die Lichter erloschen, das Schloß sank in Dunkelheit, und wer die wilden Regenschauer über die Fenster fahren hörte, zog die Decke fester über den Kopf und dankte Gott, daß er trocken und warm lag.
Plötzlich wurde die Thür des königlichen Schlafzimmers geöffnet, Jakob stand im Nachtgewande auf der Schwelle und rief den Diener an, der in einem der großen Lehnstühle schnarchte. – Der Mann fuhr empor und starrte bestürzt auf seinen Herrn. –
Geh hinaus, sagte der König; im Vorzimmer wirst Du einen Mann finden, führe ihn zu mir herein.
Der Diener gehorchte und wenige Augenblicke später kam er mit dem Fremden zurück, dem ein zweiter folgte. – Beide Männer waren in dunkle Reitermäntel gehüllt, Hüte mit breiten Krämpen ohne Feder und Schnalle waren tief in ihre Augen gedrückt. Unter den Mänteln trugen sie Schwerter und im Gurt um den Leib Dolche und Feuerwaffen.
Der Eine blieb an der Schwelle stehen der Andere folgte dem Winke des Königs, der ihn in das Schlafzimmer lud. Er nahm den Hut ab und warf einen schnellen Blick in den Hintergrund. Die Königin stand dort eilig bekleidet, eine ihrer italienischen Dienerinnen leistete ihr Beistand, um einen Mantel anzuziehen, eine andere trug in ihren Armen den Prinzen von Wales.
Der Abenteurer Lauzun bemerkte Alles und er lächelte und beugte sich mit der leichten Courtoisie des vollendeten Hofmannes. – Sein schönes und stolzes Gesicht glühte bei dem Gedanken, eine Königin mitten durch Feinde und Gefahren zu führen; er würde hundert Leben hingeworfen haben für den Ruhm, der ihm dadurch bei der chevaleresken Jugend der Höfe in Frankreich und in der ganzen Welt gesichert war.
Das Leben dieser Blume der Ritterschaft war überhaupt seltsamer Ereignisse voll und seine Schicksale glichen einem Mährchen der Scheherazade. – Als Jugendfreund des Vierzehnten Ludwigs war er der innigste Vertraute desselben und sein Genosse bei Liebesabenteuern und allen Großthaten des berühmten Königs. Er sah den höchsten Stellen und Würden entgegen, aber plötzlich erregte er Ludwigs Neid und Eifersucht und mit den bittersten Vorwürfen, beinahe mit Schlägen wurde er vom Hofe gejagt und in die Bastille gesperrt. Doch er tauchte aus seinem Kerker wieder auf; von neuem lächelte ihm sein Herr und das Glück.
Der schöne, wilde, verwegene Günstling gewann das Herz der reichsten und üppigsten Dame an dem üppigen Hofe von Versailles. Anna Maria, Mademoiselle von Monpensier, die Tochter Gastons, Herzog von Orleans, Enkelin König Heinrich des Vierten, Erbin der ungeheuren Besitzungen jenes erlauchten Hauses, schloß mit ihm ein geheimes Liebesbündniß, das bald kein Geheimniß mehr war, und schon hatte es den Anschein, als werde der König darin willigen, schon war der Consens zur Heirath ertheilt und schon betrachteten die Hofleute den glücklichen Grafen als Mitglied des königlichen Hauses, da plötzlich änderte sich Alles. Statt in die geöffneten Arme der Braut, sank Lauzun in den festen Kerker eines Alpenschlosses. Ludwig hatte eingesehen, daß seine Verwandte, die drei Herzogthümer besaß, wohl einen Fürsten, aber keinen Unterthan heirathen könne, der zur Buße seiner frevelnden Gelüste manches Jahr hinter den Mauern des Castells saß, bis ihm endlich gestattet wurde, in die weite Welt zu gehen, aber das königliche Antlitz zu vermeiden. –
Lauzun kam nach England und sein Schicksal erregte Theilnahme, seine geschmeidigen hofmännischen Sitten die Bewunderung der Damen. Die französischen Cavaliere waren damals die Vorbilder aller Ritterlichkeit, und wenn irgend ein Mann auf Erden, so war Lauzun der rechte, ein Abenteuer auszuführen, vor welchem die getreusten Diener König Jakobs zurückschraken. –
Tapfer bis zur Tollkühnheit, mit jenem Sinn, der für eines Königs Befehl, für seines Standes Vorurtheile und einer Dame Noth Alles wagt und seine Ehre darin setzt, bot sich ihm zugleich die Gelegenheit, nach Frankreich und nach Versailles zurückzukehren, wo man ihn mit Gnaden und Ehren empfangen mußte. Er konnte wieder in Ludwigs Ankleidezimmer stehen, Witze machen, die der König belachte, die Puderschachtel halten, an des Königs Tisch sitzen und den Rest seines Lebens nach so manchen Leiden in Gnade und Ueberfluß zubringen.
Graf Lauzun, sagte Jakob, ihm die Hand reichend, nie hat ein Mann mir einen größern Dienst geleistet, als den ich von Ihnen begehre. Ich vertraue Ihnen die Königin und meinen Sohn an; Alles muß gewagt werden, beide nach Frankreich zu bringen.
Majestät, erwiederte Lauzun, meine Zunge würde vergebens nach Worten suchen, um den Dank für dies königliche Vertrauen auszusprechen. Ich habe es auf die Hostie geschworen, die Königin und den Prinzen sicher nach Frankreich zu bringen: was ein Mensch thun kann, werde ich thun, und da der Himmel der Schützer der Schönheit, der Unschuld und des Rechtes ist, so glaube ich fest daran, daß er mit uns sein wird.
Der König nickte ihm gnädig zu.
Sein Sie so vorsichtig, Graf, sagte er, wie Sie tapfer und entschlossen sind.
Ich bitte nur um die Gnade, gab der Graf zurück, daß mein Freund, Saint Victor, der dort steht, ein Edelmann aus der Provence, ein Mann, dessen Muth und Klugheit ich oft erprobt habe, mir im Schutze der Königin und des Prinzen zur Seite stehen darf. –
Ich kenne den Chevalier, sprach Jakob und er winkte den Harrenden näher. – Hier ist die Königin, hier ist mein Sohn. Worte thun hier nichts, die Thaten müssen es beweisen. – Seid Ihr bereit, theure Maria, und entschlossen diesen beiden Herren zu vertrauen?
So fest entschlossen, sagte die Königin, und so fest vertrauend auf die Gnade Gottes und der heiligen Jungfrau, daß ich weiß, diese beiden edlen Herren werden mich sicher mitten durch unsere Feinde führen.
Jakob nahm ihre Hände und sah mit Innigkeit in ihr Gesicht. So geht, rief er leise, es muß so sein. Tragt Ihr das Stück vom wahren Kreuze bei Euch?
Ich trage das heilige Amulet auf meinem Herzen.
Es wird Euch besserer Schutz sein, als Menschen geben können, flüsterte Jakob. – Ach! Maria, ich möchte Euch halten und nicht von mir lassen.
Er beugte sich zu ihr nieder und küßte sie. Sein bleiches Gesicht belebte sich vom Schmerz, aber im nächsten Augenblick unterdrückte er ihn gewaltsam und fuhr tröstend fort:
Wir sehen uns wieder, gewiß, wir sehen uns wieder.
Wann? fragte die Königin. O fallt nicht in die Schlingen der Verderber!
Bald, sagte Jakob lächelnd. Glaubet mir, eher möchte mich dieser Boden verschlingen, ehe ich vor Verräthern mich demüthigte. Der Tag wird kommen, wo ich sie vor mir im Staube sehe.
Er nahm das Kind aus den Armen der Amme und beim flackernden Schimmer der Kerzen betrachtete er die Züge seines Sohnes. Schweigend küßte er es; in den schwarzen Falten seiner Augen schien ein leuchtender Tropfen zu hängen und seine Lippen flüsterten einen Segen, den niemand hörte.
Da schlug die Uhr im Schlosse Mitternacht und bei den dumpfen Schläger richtete sich Jakob auf. –
Es ist Zeit, sagte er. – Geh, mein Sohn, einst wirst Du wiederkehren am heiteren Tage. – Geh, Gott sei mit Dir!
Er gab das Kind an Saint Victor, der den letzten Sprößling so vieler Könige unter seinen Mantel verbarg.
Graf Lauzun kniete vor der Königin nieder und indem er die Spitzen ihrer Finger küßte, sagte er mit der begeisterten Festigkeit eines Mannes, der zum Sterben bereit ist:
Ew. Majestät ist mein Leben geweiht, jeder Pulsschlag gehört Ihnen. Ich schwöre Ew. Majestät bei meiner Ehre, daß ich ausführen will, was ich gelobt.
Die Königin reichte ihm die Hand. –
Nie, sagte sie, ist meine Zuversicht größer gewesen. Ich folge Ihnen, Graf Lauzun, und unterwerfe mich Ihren Anordnungen.
So lassen Sie uns gehen, erwiederte Lauzun. Das Boot liegt bereit, kein Licht darf uns begleiten, kein Laut gehört werden.
Maria ließ seine Hand los und eilte auf den König zu, der seine Arme öffnete. – Ihre Thränen flossen, ein letzter Seufzer schallte ihr nach. Dann schlichen sie leise durch die düstern Gänge, die düstere Treppe hinab. – Wie Verbrecher drückten sich die Flüchtlinge an die Mauern des Königsschlosses, auf jedes Rauschen ängstlich lauschend, bis sie endlich zu der Wassertreppe gelangten, wo das Boot ihrer wartete.
Es war ein kleines, offenes Boot, auf welchem die Reise begonnen wurde und welche Nacht! – Sie war schwarz, wie die Seele eines Tyrannen. Nebel und Regen rangen einen wilden Kampf über der schlafenden Hauptstadt; das dumpfe Brausen des Stroms, dessen Wasser vom Sturm gepeitscht und von der Ebbe getrieben mit rasender Eile dem Meere zustürzten, mischte sich mit dem hohlen Seufzen des Windes, der durch das Takelwerk der ankernden Schiffe fuhr.
Die Königin setzte sich auf den Boden des Fahrzeugs nieder, ihre zitternden Frauen beugten sich über sie und beteten mit kalten Lippen. Saint Viktor suchte das Kind zu schützen, und Lauzun ermunterte die Ruderer unter großen Versprechungen alle Kräfte anzustrengen, um schnell und geräuschlos nach Lambeth hinüber zu kommen. – Auf den Wellen der erzürnten Themse arbeitete das kleine Boot mit größter Gewalt. – Einmal wurde es angerufen von einem größeren Schiffe, das in der Mitte lag, aber es schoß in Nacht und Nebel unter dessen Spiegel hin, und die rauhen Stimmen verklangen hinter ihm. –
Endlich war Lambeth erreicht und in der Nähe eines Gasthauses die Landung bewerkstelligt. Dort sollten Pferde und Wagen sie erwarten, doch nichts war zu sehen.
Nach einigen Augenblicken des Suchens und der Ueberlegung mußten die Bewohner der Schenke herausgepocht werden. Der schlaftrunkene Hausknecht sah nach einer Weile zum Fenster heraus. Der Wagen war da, aber bei dem fürchterlichen Wetter hatte der Mann die Pferde abgeschirrt und in den Stall gebracht.
Oeffnet die Thür, sagte Lauzun, und heißt die Pferde herausziehen, so schnell, als Menschenhände es thun können.
Gott helf Euch, Herr! erwiederte der Wirth, der ebenfalls erwacht war, es ist ein Wetter, bei dem kein Christenmensch fortkommen kann auf den grundlosen Straßen. – Ihr werft um, versinkt in Morast oder werdet in die Themse geweht. Mach die Thür auf, Hugh, tretet ein und wartet, bis der Morgen kommt.
Nichts da, Wirth, nichts da! erwiederte Lauzun. Wir müssen fort, mag der Weg sein wie er will.
Nun so pack dich, Hugh, und hilf aufschirren, rief der Gasthalter verdrießlich. Kommt herein, meine Herrn. Gott erbarms! wie seht Ihr aus? Das Wasser läuft stromweis von Euren Körpern. Eine wilde Nacht, Ihr Herren, eine wilde Nacht! habe selten so eine Nacht erlebt.
Der Wirth öffnete das Thor und ließ einen Strahl des Lichtes aus dem Gastzimmer durch den Spalt dringen, aber Sturm und Regen schlugen ihm ins Gesicht, er trat schnell zurück.
Gebt mir den Arm, gnädige Frau, sagte Lauzun leise.
Ich wage es nicht, flüsterte die Königin, bebend vor Frost und Nässe.
Habt Ihr Besuch in Eurem Hause? fragte Lauzun auf der Schwelle stehend.
Niemand wird Euch stören. Es waren heut allerlei Leute aus London hier, sagte der Mann, die alle Straßen besetzt hielten und keinen seines Weges ziehen ließen. – Sie suchten nach Jesuiten und flüchtigen Priestern, und sprachen davon, die Königin wolle mit dem Prinzen außer Landes fliehen. – Gott verdamme die Italienerin und ihren Bastard! Aber fliehen werden sie nicht. Das Volk in London ist wahnsinnig und toll. Warum sollten sie auch fliehen? Es wäre das dümmste, was sie thun könnten, und obenein in solcher grausigen Nacht. Kein Bettler, nicht der ärmste Mensch würde Weib und Kind hinausstoßen, nicht einen Hund ließe ich fort. Das sagte ich den Herrn aus Lincolnfield und sie zogen heim. Mein Haus ist leer. Jesuiten seid Ihr nicht und kein braver Mann hat hier etwas zu fürchten.
Geht, gebt uns Wein und was Ihr wollt, sagte Lauzun. Ich erwarte noch Einen, der gleich kommen muß und folge dann nach.
Ich bin überzeugt, fuhr er leise zur Königin gewandt fort, daß wir von diesem Tölpel nichts zu besorgen haben.
Alles haben wir zu besorgen, flüsterte Maria, wenn er uns erkennt, und mein Gesicht ist zu wohl bekannt. – Nein, nein! rief sie ängstlich, ich will nicht unter das Dach dieses Elenden, der mich verflucht. Dort steht die Kirche, sie hat ein tiefes Portal; dort will ich Schutz suchen mit meinem Kinde, bis der Wagen bereit ist.
Es half nichts, daß Lauzun eifrig dagegen redete; auch Saint Victor fand den Entschluß der Königin gerechtfertigt, da die geringste Entdeckung den Wirth zum Angeber und Verfolger machen konnte. – Schon hatte er Mißtrauen gefaßt; er stand horchend an der Zimmerthür, und dachte darüber nach, wer die Abenteurer sein könnten.
Der Wein ist bereit, meine Herren, rief er laut und die Königin, den Prinzen in ihren Armen, floh vor dem Lichte über den düsteren Platz, durch Wasserpfützen und Morast und hockte mit ihren Frauen in dem finstersten Winkel der Vorhalle jener Kirche nieder. –
Mit klopfendem Herzen, zitternd vor Angst, saß sie und hielt den Athem an, als der Nachtwächter mit seiner Laterne vorüber ging und diese aufhob, um hinein zu leuchten. – Hinter dem Steinpfeiler tief zu Boden gedrückt, lagen die drei Frauen betend, daß der Himmel sie beschütze. Eine einzige Bewegung, ein Schrei des Kindes mußte sie verrathen, aber das Kind lag warm und schlafend in seinen Decken und später ist es als ein Wunder berufen worden, daß es keinen Laut auf dieser ganzen, heillosen Flucht gethan hat.
In der Wirthsstube hatte der Gasthalter inzwischen seine beiden sonderbaren Gäste näher betrachtet. Er erkannte sie nicht, und ohne große Mühe wichen sie seinen Fragen aus. – Es waren fremde Herren aus dem wallonischen Niederland, die am Morgen in Gravesand sein mußten, um ihr Schiff nicht zu versäumen, und deßwegen nicht rasten und nicht säumen durften. Der Wirth bohrte an ihnen herum, er war überzeugt, daß er mit Herren von Hofe zu thun hatte, die irgend eine geheime Sendung erfüllten; aber er war nicht so fanatisch um nicht leben und leben lassen als das beste Mittel um gut fortzukommen zu betrachten. Das Feuer mußte schon heiß sein, wenn es ihn brennen sollte. Er rechnete dafür mit doppelter Kreide und war seiner Sache gewiß, als die Herren gar keine Einwendung dagegen machten.
Endlich war der Wagen bereit, der Kutscher saß auf dem Bock und Saint Victor bestieg ein Pferd, was der Wirth abermals nicht begreifen konnte, da ja Platz genug drinnen im Wagen war.
Das ist so just ein Wetter, wie ich es liebe, rief der Edelmann lachend, indem er sich in den Sattel schwang, ein Wetter zum Halsabschneiden: und aus seinen funkelnden schwarzen Augen fiel ein Blick auf den dienstfertigen Mann, daß dieser unwillkürlich nach seiner Kehle faßte. – Der Sturm, der durch das geöffnete Hofthor fuhr, schlug den Mantel des Reiters zurück, der glänzende Griff eines Stoßdegens und zwei lange Pistolenkolben waren nicht zu verkennen. –
Wer müssen sie sein? murmelte der Wirth, Wagen und Reiter nachblickend. Spitzbuben auf jeden Fall, die nichts Gutes im Schilde führen, aber was geht es mich an? –
Er hörte den Wagen in der Nähe der Kirche still halten, dann den Schlag öffnen, und sprang ins Zimmer zurück, ob die Fremden etwas vergessen hätten, aber er fand nichts, und als er wieder auf seine Schwelle trat, vernahm er nur noch das dumpfe Rollen der Räder.
Fort mit Euch! rief er die Thür ins Schloß werfend, und glückliche Reise: Ich wette was Einer will, England verliert nichts, wenn es Euch nicht wieder sieht.
Kaum dämmerte der Tag, als die Fremden Gravesand erreichten. Es war eine mühsame, gefährliche, aber glückliche Fahrt gewesen. Auf dem Strome rollte auf schweren Wogen die Yacht und am Ufer wartete ein Boot, in welchem sich Lord Powis und ein irländischer Offizier befanden.
Gelobt sei Gott! rief die Königin, er hat uns sicher geleitet; gelobt die heilige Jungfrau! Ihr einen neuen Altar zu weihen, habe ich geschworen. – O! Graf Lauzun, laßt uns keinen Augenblick länger zögern. – Welch Land voll Nebel, Sturm und Regen, welch entsetzliches Land voll Menschen ohne Gewissen, Religion, Glauben und Gehorsam: Mein Sohn, mein armes Kind! wie beklage ich Dich, daß Du geboren bist, um hier zu herrschen!
Der Graf trug die Königin in das Boot. –
Unter Frankreichs schönem Himmel, sagte er, in Versailles, wo der große Ludwig Ew. Majestät erwartet, werden alle Schmerzen verschwinden.
Lord Powis wickelte sich in seinen Mantel, seine Lippen zuckten zusammen.
Wer weiß, sprach er dumpf vor sich hin. Lebe wohl, stolzes England, wer weiß das Ende! –
Lady Powis winkte von der Gallerie der Yacht der Königin entgegen. Maria von Modena breitete die Arme aus, alles Leid war vergessen.
Graf Lauzun befahl die Anker zu heben, der Kapitain machte Vorstellungen, aber die Cavaliere alle legten die Hand an die Degen und eine halbe Stunde später flog das kleine Schiff durch die Themsemündung ins Meer.
Die Bewohner von Gravesand in den äußersten Häusern wurden bald darauf von dem Gallopp eines Pferdes aufgeweckt, das auf dem Wege nach London forteilte. – Einer der Offiziere brachte dem Könige die Nachricht, daß die Yacht in See sei.
Ihr Heiligen des Himmels! rief Jakob mit glänzenden Augen, als er die Botschaft empfing, ihr lohnt mein Vertrauen, ihr fördert und beschützt mein Werk, zu Gottes und seines Namens Ehre. – Jetzt bin ich frei, jetzt kann ich handeln. Nichts soll mich schrecken, nichts sollt ihr haben. Nichts ihr Empörer, kein Atom! – Er eilte in die Kapelle um zu beten.
In Hungerford, der kleinen Stadt zwischen Salisbury und Oxford unterhandelten die Kommissarien des Königs mit dem Prinzen von Oranien. Das ganze holländische Heer stand in Schlachtordnung um den Flecken, der Prinz hielt eine große Musterung, er zeigte den bestürzten Abgesandten seine ganze Macht, und wie er Sieger sei, der die Bedingungen vorschreiben könne. Eine ungeheure Menge Volk und Leute aller Stände hatte sich versammelt, den Prinzen zu sehen, die fremden Soldaten und Generale und die Lords und Herren aus ihrem eigenen Blut und Stamme, die sich ihm angeschlossen hatten.
Die Blicke der Zuschauer hingen starr an den verschiedenartigen Schaaren, aus welchen das Heer des Prinzen zusammengesetzt war. Die Reiterei auf schweren flamländischen Hengsten, die starkknochigen Männer in Kürassen und Helmen, die Mohren aus Guinea, welche ihre Rosse führten, das schwedische Regiment in schwarzen Rüstungen und Pelzröcken, das deutsche Regiment mit breiten Schwertern, deren Träger wildbärtige Gesichter zeigten, und dazu Engländer, Spanier und Niederländer in bunter malerischer Kriegstracht. Alles erregte das immer neue Erstaunen, Zittern und Bewundern dieser Inselbewohner, die nie ein fremdes Heer gesehen hatten.
Die dicht geschlossenen Bataillone des Fußvolks zeigten ihnen einen Wald von Gewehren mit furchtbar langen Bajonetten. Ein Wink bewegte diese eisernen Massen. Die Erde dröhnte unter ihrem Schritte und hinter ihnen zog eine lange Reihe furchtbarer Feuerschlünde daher, welche den Anschein ihrer Unüberwindlichkeit befestigte.
Plötzlich bewegte sich aus der Ferne ein Reiterhaufen vor diesen Linien hin. Es war der Prinz, umgeben von seinen Generalen und seinen vornehmsten Anhängern. Je weiter der Zug vorschritt, jemehr erhob sich ein Jubelgeschrei, das durch die Lüfte getragen von den fernen Hügeln wiederhallte. – Bald erkannte man an der Spitze eine einzelne Gestalt und aller Augen wandten sich ihr zu.
Da ist er! Das ist er klang es von zehntausend Lippen und mit ängstlicher Erwartung sahen sie den stolzen Reiter kommen.
Endlich war er da, langsam und grüßend glitt er an der entzückten Volksmasse hin. – Ein einfacher dunkler Reitrock bedeckte den schmalen schlanken Körper, von seinem Hut flatterte eine weiße Feder im Winde, sein glänzend weißes Schlachtroß sprang unter ihm zuweilen hoch auf, hieb mit seinen mächtigen Füßen in die Luft und schleuderte den Schaum von dem Gebiß; aber wie ein Mann von Erz saß Wilhelm von Oranien auf dem Rücken des edlen Thieres und seine Blicke flogen über seine Krieger hin und über das Volk, dem er sein Gesicht von Bronze zeigte.
Es giebt Gesichter großer Männer, die unvergeßlich sind und von Geschlecht zu Geschlecht verewigt werden, die in allen Hütten hängen ohne Namen und Unterschrift und doch von jedem Kinde gekannt werden. Solche Gesichter wie Friedrich der Große und Napoleon gehören zu der historischen Erbschaft der Menschheit eben sowohl, wie die des Sokrates, des Caligula oder Nero.
Auch Wilhelm von Oranien hat der Nachwelt ein solches Erbe hinterlassen. Wer diesen Kopf einmal sah, vergaß ihn nicht wieder. Blutlos und blaßgelb war er anzuschauen. Die feinen schmalen Lippen fest zusammengeschlossen, die Stirn außerordentlich breit und hoch, die stark gebogene Nase adlerartig, fast zu viel gekrümmt; Alles in diesem Gesicht fest und unverschiebbar und von einem Augenpaar überstrahlt, das die Schärfe und das Feuer des Falkenauges besaß. Der strenge Ernst in seinen Zügen wich selten einem Lächeln, wenn es aber geschah, lag etwas Bezauberndes darin. Niemand war so fein und gewandt in überredender Gedankenfülle, wie dieser Prinz, der fünf Sprachen mit derselben Leichtigkeit redete. Er war nicht der größte Feldherr seiner Zeit, aber er war der größte Staatsmann und der einzige unter den Gegnern des großen französischen Ludwigs, den dieser fürchtete und achtete.
Als der Prinz vorüber war, blieb sein Gefolge wenig beachtet, wie reich und prächtig es auch aussah. Alle die vielen Generale und Lords erregten geringe Neugier. Als Churchill kam, lief ein Gemurmel durch das Volk; der alte Graf Clarendon, der nun auch davon gelaufen war und den Weg seines verdammten Sohnes gefunden hatte, wurde mit Hohngelächter verfolgt.
Einer aber erregte doch die Aufmerksamkeit und Bewunderung der Menge. Es war der alte Marschall Schomberg, der erste General Europas, seit Türenne und Condé todt waren. Mehr als siebenzigjährig saß er auf seinem schwarzen Streithengst wie ein jugendlicher Reiter. Sein silberweißes Haar fiel unter dem schweren Helm hervor auf den blitzenden Panzer, und sein kriegerisches rothes Gesicht schaute kühn und stolz mit lebhaften Augen auf die Soldaten, die ihn wie einen Vater liebten und Vater nannten.
Das Volk rief ihm Vivats zu, weil er es vorgezogen hatte, lieber aus Frankreich zu wandern, als seinen Glauben abzuschwören, aber der alte Reitergeneral achtete nicht viel darauf. Er gehörte zu denen, die der Krieg geboren hat, und welche auf Schlachtfeldern enden. Rauh und gewaltthätig wie seine Zeit, Disciplin und Gehorsam als die einzigen Gesetze erkennend, die es giebt auf Erden; ein Werkzeug, zu allem brauchbar, in der Hand des Fürsten, dem er Treue gelobt, und alles Recht nach dem abmessend, was ihm befohlen ward.
In der Halle eines ländlichen Edelsitzes, Littlecote genannt, empfing der Prinz von Oranien die Abgeordneten seines Schwiegervaters, nachdem er zwei Tage überlegt hatte, was seine Antwort sein sollte. – Es war ein düsterer hoher Raum. An den Steinpfeilern und Wänden hingen alte Panzer und Schilde aus den Kriegen der Rosen und zwischen ihnen die zermürbten Bilder der Ritter und Damen, welche einst bei den Festen der Heinriche und Richarde geglänzt hatten.
Mitten unter diesen Denkmälern der Vergänglichkeit stand der Prinz im Lichte der buntbemalten Bogenfenster. Auf sein blasses Gesicht fiel der röthliche Schimmer eines Sonnenstrahls, der sich siegreich Bahn gebrochen hatte. Sein feuriges Auge leuchtete über den weiten Kreis der Lords, die ihn umgaben und deren seltsames Gemisch das Zucken seiner Lippen hervorrufen mochte, als steige die Verachtung der Menschen, die er tief in sich trug, bis in sein Gesicht, als er Clarendon neben Churchill erblickte. Hochtorystische Grafen und Herren standen hier neben Whigs, jeder Tag brachte eine neue Schaar, als sei es ein Wettlaufen, um des Siegers Gunst zu gewinnen.
Meine Herren, sprach der Prinz nach einer Pause, mit der klaren, festen Stimme, der man es anhörte, daß, was er sagte unabänderlich fest stehe, mein Wille, den ich vor Ihnen auszusprechen habe, ist der: Mit dem Könige Jakob werde ich keine der Fragen verhandeln, welche das Recht und das Wohl dieses Landes betreffen. Ich bin gekommen herzustellen, was vergessen worden ist, das ist meine Aufgabe, nicht mehr, nicht weniger. Das freie Parlament hat allein darüber zu entscheiden, ihm gebührt die Richterstimme und zu seinem Schutze bin ich bereit. Ich weise Se. Majestät daher an dies zu berufende Parlament, mit welchem er sich zu verständigen hat.
Hoheit, erwiederte Lord Halifax, ein freies Parlament ist unmöglich, wenn es von Soldaten und streitenden Armeen umringt ist.
Dafür, sagte Wilhelm von Oranien, bürgt uns ein Waffenstillstand. Mein Heer soll zehn Meilen westlich von London entfernt bleiben, ziehe der König dafür auch seine Truppen zehn Meilen östlich von der Hauptstadt zurück. Aber die irländischen Regimenter müssen fort, und der Tower wie Tilbury-Fort den Bürgern der City übergeben werden.
Ein leises Murmeln, das immer heftiger und lauter wurde, durchlief die Halle. Der größte Theil der englischen Herren, die den Halbkreis bildeten, waren Whigs, Männer der Volkspartei, die bittersten Feinde und Gegner des Königs. Sie wollten ihren Ohren nicht trauen, als sie Bedingungen aussprechen hörten, die ihrem Hasse und ihrer Furcht durchaus nicht genügten. –
Unterhandeln mit dem treubrüchigen Könige, ihm eine Versöhnung gestatten, welche ihn auf dem Throne erhielt, hieß seiner Rache früh oder spät sich überliefern. Sie wollten keine Versöhnung mit Jakob, sie hatten es tausendmal gerufen, daß seine Stunde abgelaufen sei und Wilhelm von Oranien wußte genau, was und wonach sie strebten. Er freilich hatte nie gesagt, was er dachte und wollte. Sein Ehrgeiz lag unter der eisernen Ruhe seines Gesichts. Sein einziger Vertrauter war Bentink Johann Wilhelm Bentinck, niederländisch-englischer Höfling und Diplomat unter Wilhelm III. von Oranien, sein engster Freund und Vertrauter. Er bereitete die Landung Wilhelms vor, die dann zur Glorious Revolution führte. Bentinck war auch für die logistische Vorbereitung der Invasion verantwortlich und begleitete Wilhelm 1688 nach England. In der Folge erhielt er hohe politische und militärische Aemter. Aus Eifersucht auf einen anderen Günstling Wilhelms, Arnold van Keppel, legte er im Frühjahr 1699 seine Hofämter nieder. – Weil er zeitlebens ein Ausländer in England blieb, war er im Lande außerordentlich unbeliebt., der jetzt hinter ihm stand und mit bedeutsamem Lächeln die entrüsteten und zornigen Mienen der Getäuschten betrachtete.
Der Prinz warf einen stolzen kalten Blick auf die Versammlung, dann sprach er zu den verwunderten Kommissarien:
Das sind meine Bedingungen. Ich bin fern davon, mich in die inneren Angelegenheiten dieses Landes einmischen zu wollen. Ich bin allein hierher gekommen, weil Lords und Bischöfe mich gerufen haben, alle Entscheidung aber, ich sage es noch ein mal, gebührt dem Parlament. Was dies beschließt, möge geschehen; welche Vereinbarung es mit Se. Majestät dem Könige Jakob treffen möge, es soll von mir nirgend beeinträchtigt werden. Ich sehne mich nach nichts so sehr, wie nach Herstellung des Rechts, der Ordnung und des Friedens. Kehren Sie zurück, Mylords, zu Ihrem Herrn. Alles was ich sagte, will ich unverbrüchlich halten; ich habe nichts weiter hinzuzuthun, nichts abzunehmen; hocherfreut aber werde ich sein, wenn der König mit seinem Volke sich versöhnt und diese Bedingungen annimmt, die ich ihm in aufrichtiger Erkenntniß der Dinge biete.
Lord Halifax verbeugte sich und wollte eine Erwiederung versuchen, aber der Prinz schnitt diese ab, indem er ihm die Hand reichte und lebhaft sagte:
Sie sind mein Gast in diesem Hause, Mylord, was ich zu geben habe, wird gegeben. – Die Ausfertigung der Waffenstillstandsbedingungen soll in zwei Stunden bereit sein, und nun lassen Sie uns zu Tische gehen. Ich sehe es den Herren an, daß ihr Appetit gereizt ist, wir werden ihn zu befriedigen suchen, und vielleicht werden selbst die Hungrigsten satt.
Mit diesen Worten führte der Prinz den Kommissarius in den Speisesaal, aber es war ein schweigsames, trübes Essen. Ein Theil der Plätze blieb leer, manche der whigistischen Herren, den raschen Mordaunt an ihrer Spitze, hatten in Unmuth das Schloß verlassen und waren zu ihren Soldaten zurückgekehrt; Andere saßen, aufmerksam lauschend, auf ihren Plätzen und beobachteten mißtrauisch das Gespräch des Prinzen mit den Kommissarien, das ihrem Argwohn jedoch wenig Nahrung bot. Denn nicht ein Wort wurde über Kriegs- und Friedensfragen verhandelt, mit keiner Sylbe die Politik berührt. Der Prinz sprach von Familienereignissen, von Holland und von der Jagd, von der Schnelle seiner Pferde und seinen Meierhöfen bei Harlem, wo die Kühe die meiste Milch geben.
Endlich stand er auf und verabschiedete die Gesandten mit höflicher Kälte.
Hier kommt Doktor Burnet, sagte er, um Ihnen die Ausfertigung zu überreichen. Leben Sie wohl, Mylord Halifax, Gott erhalte Sie und lasse Sie Ihr Werk vollbringen. Ich hoffe, England soll damit zufrieden sein.
Er entfernte sich und Burnet begleite den Lord durch den Garten, wo sein Wagen am Außenthor wartete.
Nun, Mylord, sagte er, Sie haben mehr erreicht, als Sie vermuthen durften, und dennoch sehe ich Ihr Auge trübe und Ihr Gesicht so sorgenschwer, als wären Sie überzeugt, eine Thronentsagungsakte mit nach Haus zu nehmen.
Lord Halifax ging schweigend weiter; plötzlich aber wandte er sich zu Burnet um, faßte ihn scharf ins Auge und fragte lächelnd:
Was wollt Ihr eigentlich? Wünscht Ihr den König in Eure Gewalt zu bekommen?
Durchaus nicht! rief der Doktor, wir würden seiner Person nicht das geringste Leid zufügen.
Und wenn er fortginge? Wenn er entflöhe? fuhr der Staatsmann fort.
Es giebt nichts, was wir lieber sehen könnten Dies stimmt überein mit den taktischen Überlegungen Wilhelms von Oranien, in dessen Konzept ein Jakob II., der als Märtyrer hätte betrachtet werden können, nur hinderlich werden musste, während eine Flucht als Thronentsagung interpretiert werden konnte., sagte Burnet lachend. – Das Parlament blieb dann allein übrig; versteht Ihr, Mylord Halifax, das Parlament! das zu entscheiden hätte, ob der Thron erledigt sei.
Ich verstehe, sprach der Lord. – Die Whigs wünschen diese Flucht, und kluge Diplomaten, die den König genau kennen, glauben sich nicht zu täuschen, daß, wenn sie ihm das Parlament hinhalten, als seinen ebenbürtigen Gegner, sein Stolz und sein Eigensinn nimmermehr darin willigen werden, sich zu demüthigen.
Mylord, versetzte Burnet, glaubt was ihr wollt, aber Ihr habt selbst gesehen, wie die milden Bedingungen des Prinzen von der mächtigen Partei der Whigs aufgenommen wurden.
Milde Bedingungen! rief Halifax, ja, es sind milde Bedingungen, obwohl man vielleicht nichts darin sieht, als das Parlament, das die Bedingungen erst diktiren wird. Ich kam hierher, um eine Versöhnung und Verständigung zwischen dem Könige und seinem Schwiegersohn einzuleiten.
Und er, fiel Burnet ein, weist den König an das Volk! das ist groß und edel gedacht, Mylord. Seid sicher, der Prinz von Oranien weiß, daß dieser Weg der einzige ist, den seine Ehre ihm einzuschlagen gebietet.
Wir werden sehen, ob Ihr Recht habt, rief der Lord mit einem Blick des Triumphes. Die Bedingungen sind gut, der König wird sie annehmen, er muß sie annehmen, und der großmüthige Prinz von Oranien wird die Freude haben, König und Volk versöhnt zu sehen. Tausend Dank, Doktor Burnet, für Euern Beistand.
Er rollte in seinem Wagen fort und Burnet sah ihm lange verblüfft nach.
Das wäre der Teufel! rief er endlich. Aber nein, wir kennen ihn besser. Er wird es nicht annehmen und wenn wir noch mehr gegeben hätten.
In demselben Saale seines Schlosses, wo die erste Versammlung der Lords und Bischöfe stattgefunden hatte, hörte Jakob den Bericht der zurückgekehrten Abgeordneten an. – Was ihm an getreuen Großen seines Reichs übrig geblieben war, hatte er dazu eingeladen, und noch immer war es eine ansehnliche Schaar, die sich um den König versammelte.
Alle waren höchlichst zufrieden mit den Bedingungen des Prinzen von Oranien. Lord Halifax hatte einen ausnehmend schönen und überzeugenden Vortrag gehalten und Jakob saß lächelnd in dem goldenen Lehnstuhl und neigte beistimmend von Zeit zu Zeit sein Haupt.
Das Parlament, sagte der Lord endlich, welches Ew. Majestät auf den 13. Januar berufen hat, wird somit gern Ihre Vorschläge entgegennehmen. Kein Fremder wird sich zwischen Haupt und Glieder desselben Körpers drängen, dessen Wohl uns eine gemeinsame Sache ist, und Ew. Majestät getreue Unterthanen, welche niemals etwas Anderes forderten, als was die Rechte des Landes besagen, werden an Dankbarkeit und Einigkeit wetteifern, um den entschwundenen Frieden zur allseitigen Zufriedenheit zu befestigen.
Die Bedingungen, welche uns gegeben werden, erwiederte der König, sind in Wahrheit günstiger, als zu erwarten war. – Ich nehme sie an und hoffe mit Euch auf eine dauerhafte Befestigung des Glücks und Friedens dieses Landes.
Eine freudige Zustimmung erfolgte von allen Theilen der Versammlung. Viele Augen wurden naß, man drückte sich die Hände. Der Lord-Major von London, der mit den Sherifs der Hauptstadt zugegen war, brachte ein Hoch auf den König aus, welcher sein Haupt entblößte und Allen Dank sagte.
Mylords und Herren, begann er dann, die Mittheilung, welche ich Ihnen noch zu machen habe, besteht darin, kund zu thun, daß ich es für nothwendig befunden, die Königin und meinen Sohn außer Landes zu senden, bis die Unruhen vorüber sind und der Friede, den wir Alle wünschen, in unserem theuern Vaterlande von Neuem befestigt sein wird. Ich habe heute die Nachricht erhalten, daß die Königin glücklich in Frankreich gelandet ist. Kein Mißtrauen, Mylords. Ich habe meine Pflicht als Vater gethan. Niemand wird es mir verargen, aber nehmen Sie mein Wort, ich werde auf dem Platze bleiben, wohin mich Gottes Wille gestellt hat, und treu ausharren mit erleichtertem Herzen zum Heile meines Volkes und um dies Land vor größerer Verwirrung, vor Krieg und Noth zu bewahren.
Die düsteren Blicke der Versammelten wurden milder, als Jakob also sprach und betheuernd seine Hand auf die Brust legte, während er seine Augen aufwärts richtete.
Majestät, sagte Lord Halifax, wir vertrauen dem Schwure des Königs um so lieber, als wir nirgend einen Grund finden können, der Sie, Sire, vor Gott und Welt rechtfertigte, wenn Sie den Thron und das Land den äußersten Gefahren Preis geben wollten.
Wohlgesprochen, Mylord, rief Jakob. Niemand weiß besser als ich, was ich zu thun habe, niemand will inniger und wahrer das Glück des Volkes als ich. – Ich werde sogleich an Lord Feversham schreiben, er soll das Heer zurückziehen. Alle Bedingungen dieses Waffenstillstandes sollen genau erfüllt werden. Sie vertrauen dem Könige, der König wird auch Ihnen vertrauen, Mylords. Es werden die alten guten Zeiten wiederkehren und ich sehne mich danach wie ein Liebender. Wir wollen vergeben und vergessen, und morgen, Lord Halifax, lassen Sie uns gemeinsam berathen, wie wir am leichtesten und schnellsten zu einer aufrichtigen Versöhnung gelangen.
Der König verabschiedete die Versammlung, deren größter Theil aufs Tiefste bewegt war. Jakob hatte mild und versöhnlich gesprochen, er hatte mit Thränen in den Augen seine Aufrichtigkeit betheuert, und was er sagte von den Schicksalen, die ihn und sein Haus heimgesucht, erhielt einen ergreifenden Ausdruck der Wahrheit durch seine gebeugte Gestalt und sein Haar, das in wenigen Monaten völlig ergraut war. Viele waren da, die beim Abschiede dem alten Monarchen die Hand küßten und im Innersten ergriffen, ihn mit gerührten Blicken betrachteten. Der König vergalt es ihnen mit Liebkosungen und herzlichen Worten, indem er wiederholt auf eine bessere Zukunft hinwies, wo er alte Treue belohnen und seine wackeren Freunde wieder heiter sehen werde.
Kann ich noch etwas thun, sagte Lord Halifax, der der Letzte war, was Ew. Majestät mir befehlen könnten?
Nichts, Mylord, erwiederte Jakob freundlich; aber ich erwarte Euch morgen, und werde nicht verfehlen, immer Euren Rath und Beistand zu suchen; denn ich weiß jetzt, wie sehr Ihr mein Freund seid. – Euch habe ich es zu danken, daß der Prinz, so großmüthig wie gerecht, alle Streitfragen an das Parlament gewiesen hat.
Ohne meine Einwirkung hat das der Prinz gethan, erwiederte der Lord, doch Ew. Majestät haben Recht, es war das Beste, was geschehen konnte und was klug benutzt, diejenigen mit ihren eigenen Waffen schlägt, welche vielleicht arglistige Gedanken daran knüpfen.
So ist es, rief der König, aber Alle sollen sich täuschen. Sie sollen erfahren, daß ich weiß, was ich thun muß, um alle Pläne meiner Feinde zu Schanden zu bringen. – So geht denn, theurer Lord Halifax, wir wollen morgen weiter über dies wichtige Parlament reden, dessen Versammlung mich mit Ungeduld erfüllt. Morgen sollt Ihr hören, was ich darüber denke; ich hoffe auch Euch zu überraschen.
Er drückte dem scheidenden Lord zärtlich die Hände. –
Ich gehe mit Freuden, sagte Halifax, denn ich gehe mit großen Hoffnungen.
Und ich, sprach der König, entlasse Euch, Mylord, gewiß mit nicht geringeren.
Als Jacob mit seinen Ministern allein war, wandte er sich zu Jeffreys, und indem er sich frohgelaunt die Hände rieb, wie es seine Gewohnheit war, sagte er:
Habt Ihr das große Siegel mitgebracht, Lord-Kanzler, wie ich es wünschte?
Ja, Majestät, erwiederte Jeffreys, ich habe es hier.
So gebt es her, sprach der König. Es ist ein altes Erbstück Englands. Viele Könige haben es besessen, viel Wichtiges und Großes ist damit besiegelt worden.
Er nahm es aus des Kanzlers Händen, betrachtete es lange und fuhr dann fort:
Ihr kennt den alten Glauben, der im Munde des Volkes lebt und bedeutungsvoll sich an dies große Staatssiegel knüpft. So lange es nicht in den Händen der Feinde ist, lautet die Sage, können diese den Thron nicht stürzen. Nun ist es in Eurem Hause nicht so sicher in dieser Zeit der Unruhen, wie in meiner eigenen Obhut; ich will es daher selbst verwahren und ihm einen Platz anweisen, wo es so leicht nicht gefunden werden soll.
O! sagte Jeffreys, diese Erklärung beruhigt mich, denn fast mußte ich fürchten, die Gnade meines hohen Herrn eingebüßt zu haben.
Nein, nein! rief der König, nichts davon, Mylord. Ich liebe Euch, ich vertraue Euch ganz. Wir werden noch viele Tage beisammen sein! ich kenne Eure Treue und weiß Euren Muth und Euren Eifer zu schätzen. Habt Ihr noch nichts von Eurem schönen Flüchtling gehört?
So viel, Majestät, daß das pflichtvergessene Mädchen in Oxford unter dem Schutz der Prinzessin lebt und mit dem verrätherischen Buben, William Howe, heimlich getraut worden ist durch den meineidigen Priester Gilbert Burnet.
Der König runzelte die Stirn, aber sie wurde sogleich wieder glatt.
Beruhigt Euch, lieber Jeffreys, sagte er, ich verspreche Euch eine andere schöne Braut, die schönste, die Ihr wählen mögt. Geht und seid morgen früh bereit mit mir zu arbeiten. Haltet Euch munter, es wird viel zu thun geben.
Er drehte sich zu Godolphin um und nickte dem Staatssekretär lächelnd zu.
Habt Ihr die Ausschreiben des neuen Parlaments in mein Zimmer bringen lassen? fragte er.
Ja, Majestät. Alles, was irgend davon aufzufinden war, habe ich dort niedergelegt.
So geht, sagte der König, ruht aus. Es wird morgen ein Tag voll Arbeit und Unruhe werden. Seid früh bereit, Ihr werdet alle Hände voll zu thun haben.
Endlich war der König allein. Er kehrte in sein Zimmer zurück und hier endlich verwandelte sich sein ernstes und nachdenkendes Gesicht in ein triumphirendes. Leise öffnete er die geheime Wandthür hinter seinem Bett und sogleich trat mit Pater Petre der französische Gesandte herein; ein dritter Herr im dunklen Kleide blieb an der Thür stehen, es war Sir Edward Hales, der abgesetzte Gouverneur des Towers, das treuste und ergebenste Werkzeug Jakobs und der Jesuiten.
Nun, Barillon, sagte der König hastig, meine Frau und mein Sohn sind in Frankreich, und, wie ich höre, mit königlichen Ehren aufgenommen. Ich hoffe, daß, wenn ich selbst ihnen folge, mein Empfang auf keine Hindernisse stoßen wird.
Majestät, erwiederte der Gesandte ehrfurchtsvoll, die Briefe meines Herrn besagen, daß seine Arme für den König von England immer offen sind. Man sagt mir jedoch, daß ein Vergleich abgeschlossen sei und Ew. Majestät ihn bestätigt haben.
Niemals! niemals! rief Jakob mit funkelnden Augen, kein Atom; nicht ein Atom! – Sie haben ein höllisches Gewebe erfunden, mich ganz in die Macht des Parlaments zu liefern. Hah, das Parlament! Verflucht sei das Parlament, das jede meiner Handlungen überwachen und mir sagen soll, was ich zu thun habe. Bei Gott! ich habe nicht zu wählen. Lieber zehn Mal meine Krone verlieren, als sie so beflecken lassen. – Ich will fort noch in dieser Nacht. Ich will ihnen zeigen, was es heißt, mich zur Flucht zwingen. – Sir Edward Hales, ist Alles bereit?
Alles, sagte der düstre Mann an der Thür.
So habe ich wenige Stunden noch, erwiederte der König. Meine Briefe sind zusammengepackt; Pater Petre hat sie zum Theil dem spanischen, zum Theil dem florentinischen Gesandten sammt meinen Kostbarkeiten übergeben. Helft sie erhalten und schützen, Barillon, und lebt wohl, in Versailles sehen wir uns wieder.
Ich hoffe, Majestät, versetzte der Gesandte, bald Ihnen von Neuem in Whitehall meine Ehrfurcht bezeugen zu können.
Wenn ich wieder König bin, sagte Jakob, wenn ich als König mein Ansehn und meine Rechte gebrauchen kann und diese Verräther – Fluch ihnen! und Fluch vor allen dem nichtswürdigen Churchill! – empfangen haben, was sie verdienen.
Bedürfen Ew. Majestät vielleicht noch baares Geld? fragte Barillon.
O! wäret Ihr doch immer so freigebig gewesen, rief der König schmerzlich. Geld war es, was mir fehlte, jetzt ist es zu spät. – Geht, Marquis, Petre soll Euch bis an die Pforte begleiten, und Ihr, Sir Hales, erwartet mich punkt drei Uhr mit Eurer Kutsche am Ausgange des Parks.
Der finstere Mann nickte schweigend und entfernte sich.
Jakob wendete sich zu dem Tisch, auf welchem die Ausschreiben zum Parlament lagen, und mit leisem höhnischen Lachen nahm er die Blätter und zerriß sie in Stücke. –
So, sagte er vor sich hin, soll es allen denen gehen, die mir Gewalt angethan haben. Zerreißen will ich sie wie mürben Zunder und ihre Asche in die Luft streuen. –
Er nahm den Haufen der Papiere und warf sie in den Kamin. Das Feuer loderte hell in dem Kohlenbecken auf; es schien dem Könige Freude zu machen, wie die Flamme die großen Worte: Parlament und den Berufungstag verzehrte. – Er nährte die Glut und stocherte sie auf. Der dunkelrothe Schein überglühte sein gelbes, faltiges Gesicht; er wärmte seine Hände, lachte dazu und stierte von Zeit zu Zeit in die Nacht hinaus, die düster und nebelvoll sich über London gedeckt hatte. – So fand ihn Pater Petre, als er zurückkehrte.
Pater Petre näherte sich dem Könige, der unverwandt in das Feuer schaute und ihn nicht bemerkte. – Die finsteren Züge Jakobs waren so starr und grau wie aus Stein gehauen; er bewegte sich nicht und verfolgte im tiefen Nachsinnen die strahlenden Flammen, aus denen dann und wann die Funken aufsprühten.
So endet Alles, sagte der König mit hohler Stimme, und Nichts bleibt übrig, als ein wenig Asche und Staub.
Uebrig, antwortete der Priester, bleiben die Thaten der Menschen, welche weiter leben, wenn sie nicht mehr sind.
Ihr seid es, Petre! rief der König, der bei der Antwort erschrocken sich aufrichtete. – Die Thaten bleiben übrig, sagt Ihr; und meine Thaten, welch Angedenken werden sie unter den Nachgeborenen finden?
Die Thaten der Gerechten leben ewig, sprach der Jesuit. Ew. Majestät Andenken in dem großen Buche der Geschichte wird nach Jahrhunderten noch den Fürsten ein glorreiches Beispiel sein, und so lange die heilige Kirche noch Macht hat über die Herzen ihrer Kinder, wird sie nicht aufhören den zu preisen, der ihr ein frommer und treuer Sohn gewesen ist.
Mein Vater, sprach Jakob, indem er die Hand des Priesters faßte, ich danke Euch für den Muth, den Ihr mir oft schon in mein schwaches Herz zurückgeführt habt. – Fürchtet nicht, daß ich fallen könnte, dazu steht mein Glaube zu fest, aber wanken kann der Mensch, und noch in diesem Augenblick, wo ich hier einsam stand und das elende Dokument verbrannte, das Zeugniß gab von meiner Schwäche, kam plötzlich eine Angst über mich, die ich nicht abschütteln konnte. – Ich sah das Feuer versinken und nichts als ausgebrannten Staub vor mir; wenn es nun so wäre, Pater Petre, wenn alle meine Opfer, alle meine Leiden zu nichts helfen, als zu einem dunklen Grabe. Wenn ich sterben müßte, verbannt und flüchtig umherirrend; mein Sohn ein Bettler auf fremder Erde, meine Krone abgerissen von seinem schuldlosen Haupt durch meine Hand – durch meine Hand, die sie von sich schleuderte, und wenn Halifax Recht hätte! flüsterte er dumpf und leise.
Sire, sagte der Jesuit im strafenden Tone, wollen Sie diese Krone von dem ketzerischen Parlament als ein Geschenk annehmen? Wollen Sie nach seinen Befehlen Ihre katholischen Brüder martern und den Henkern überliefern, wie Karl der Zweite es gethan hat? Wollen Sie der Knecht dieser Ihrer Unterthanen sein, welche Ihnen Gesetze vorschreiben werden und nichts mehr übrig lassen von einem Könige, als einen Schatten, der keinen Willen hat, der ausführen muß, was sie ihm thun heißen?
Nein, rief Jakob, nein, niemals! kein Atom; ich habe es gesagt, ich kann kein König sein ohne zu regieren. – Aber beruhigt mein Gewissen, Petre. Ich habe Eide geleistet, ich habe heilige Versprechen mit Schwüren bekräftigt, ich habe noch heute alles betheuert, was diese verbrecherischen Lords forderten. Habe ich eine Sünde begangen, so bitte ich Gott um Verzeihung.
Im Namen Gottes! sprach der Priester feierlich, löse ich alle diese Eide, denn Ew. Majestät war dazu gezwungen, um die Feinde Ihres Thrones, die auch Gottes Feinde sind, irre zu leiten und Böses zu verhüten.
Aber, fuhr der König fort, wenn ich fliehe, lasse ich viele Freunde und Anhänger zurück, die der Wuth der Verfolger ausgesetzt sind, denn sie ahnen nicht, was ich vorhabe.
Es ist nöthig zu Ihrer eigenen Rettung, Sire, sagte Petre. Die heilige Jungfrau wird die Zurückbleibenden unter ihren Schutz nehmen, wenn aber Einer als Märtyrer unserer heiligen Sache enden sollte, so erwarten ihn die Palmen des Himmels. Er wird eingehen, empfangen von den Chören der Heiligen und der Engel.
Und Jeffreys! murmelte der König. Soll auch er nichts erfahren?
Er ist ein Ketzer, sagte der Jesuit, ein grausamer, gewaltthätiger und schwelgerischer Mann, der Unheil stiften könnte, wenn er in den letzten Stunden belehrt würde, was sich begeben soll. – Ueberlassen wir ihn seiner Schlauheit und – dem Teufel! flüsterte er leise.
So mag es geschehen, sagte Jakob, ich kann es nicht ändern, auch hat Jeffreys mich ja zuletzt so gut verrathen, wie alle Anderen. Auch er trat Halifax und Rochester bei und sprach für Unterhandlungen und Amnestie. Ich bin bereit, unter Gottes Beistand dies aufrührische, verderbte Volk zu verlassen, fuhr er fort, bis ich wiederkehren und meine Freunde belohnen kann. – Eins bleibt uns noch übrig zu thun. Setzt Euch, Sir Eduard, und schreibt, was ich Euch sage.
Der Jesuit setzte sich und schrieb ein Dokument nieder, wie es ihm der König vorsprach, in welchem Alles widerrufen ward, was Jakob gethan und zugesagt, versprochen und angeordnet hatte. Ausdrücklich wurde darin die Berufung des Parlaments aufgehoben, als ertrotzt, und den Häusern streng verboten sich zu versammeln. Dann nahm der König das große Staatssiegel und besiegelte dies Dokument. In seinen Blicken spiegelte sich Wohlgefallen und Hohn.
Ich bin begierig, was sie thun werden, sagte er, grimmig vor sich hinlachend, jedenfalls wird die Verwirrung so groß sein, daß eine vollständige Auflösung aller Ordnung erfolgt. Alle Bande werden springen, Wuth und Schrecken werden Meister bleiben, und was wird dann aus diesen Lords werden, die mich verrathen haben? Aus diesem Volke, das meine Gnade von sich stößt?
Ein rachsüchtiger Spott erfüllte sein Gesicht. Er setzte seinen Namen unter einen kurzen Brief, der dem Lord Feversham befahl die Armee aufzulösen.
Diese herrenlosen Soldaten, sprach er, welche raubend und mordend umherstreifen werden, will ich als letzte Geißel über sie ausschicken, damit sie erkennen lernen, was es heißt, einen König zur Flucht zwingen.
Er ging mit dem Briefe selbst in sein Vorgemach, übergab ihn dort einem treuen Offizier und kehrte beruhigt zurück.
Das ist das letzte Mal, wo ich hier gebiete, sagte er, meine nächsten Befehle sollen aus Frankreich kommen. Wohin nun mit Euch, Pater Petre?
Nach Rom, sagte der Jesuit. Ich reise in einer halben Stunde, um die mächtigste Hülfe in Bewegung zu setzen, welche es für Ew. Majestät giebt. Die Hülfe des heiligen Vaters wird Irland in Bewegung bringen; Irland ist die Achillesferse Englands, von dort aus werden wir Ew. Majestät und unseren heiligen Glauben wieder in dies ketzerische Land einführen.
Es wird zur Erkenntniß seiner Sünden kommen, sagte der König, und zur Reue und Buße. So lebt denn wohl, ehrwürdiger Herr, kommt zu mir zurück, sobald Ihr es vermögt; Ihr wißt es, wie sehr ich Euch vermisse. Ist Eure Reise auch gesichert?
Alles, was irgend möglich war, ist geschehen, erwiederte der Jesuit. In zwölf Stunden werde ich auf dem Meere sein. Sichere Leute geleiten mich, eine Schlupp liegt für mich bereit.
So gebt mir Euren Segen, sagte der König, indem er sich auf ein Knie niederließ.
Pater Petre legte die Hände auf des Königs Haupt, machte die heiligen Zeichen und richtete ein inbrünstiges Gebet zum Himmel. –
Gott und die heilige Jungfrau werden Ew. Majestät Flucht schirmen und schützen, sagte er, die Heiligen des Himmels werden Ihre Wege ebnen und Ihre Verfolger mit Blindheit schlagen. – Nur getrosten Muthes auf den Wegen des Heils und der Wahrheit, Sire, und auch diese Finsterniß wird dem Lichte weichen.
Der König erhob sich und drückte stumm die Hände seines Beichtvaters. – Mit einer tiefen letzten Verbeugung entfernte sich der Jesuit durch die geheime Tapetenthür, durch welche er so oft hier eingelassen ward, dieselbe Thür, durch welche einst Pater Huddleston zu dem Sterbebett Karls des Zweiten geführt wurde, um ihn in den Schooß der heiligen Kirche aufzunehmen.
Jakob ging langsam auf und nieder in dem öden Gemach. Es war sein Schlafzimmer, wie es das Schlafzimmer seiner Vorfahren gewesen war. Das ungeheure Himmelbett des Königs stand an der Wandseite, daneben ein zweites für die Königin, welche jetzt in Frankreich war. –
Hier hatte Jakob der Erste ausgeruht von seinen theologischen Grübeleien und Disputationen, er, der weiseste Narr seines Jahrhunderts; hier hatte der unglückliche Karl Stuart ruhelose Nächte durchwacht, bis endlich jene letzte kam, wo man ihn aus festem Schlaf weckte und aufs Schaffot führte; und war es nicht dasselbe Gemach, in welchem Oliver Cromwell, der furchtbare Protektor, mit Panzer und Dolch sich niederlegte, mißtrauisch gegen Alle, die ihn umgaben, und nachsinnend über seine Pläne, England groß zu machen und die Krone sich aufzusetzen? –
Karl der Zweite hatte in diesem Bett wüste Orgien gefeiert und war darin gestorben, und jetzt saß Jakob ernsten Angesichts am Kamin und sah hinüber auf die dunklen Damastblumen der Vorhänge und auf die goldene Tafelei, welche im Dämmerlicht der beiden Kerzen matt erglänzte, die allein das Zimmer erhellten.
Nach und nach schien der König in einen Halbschlaf zu verfallen. Die ungeheure Aufregung der letzten Zeit hatte schon öfter einen solchen Grad von Abspannung bei ihm hervorgerufen, daß man ihn starr und fühllos mit offenen Augen sitzen sah, bis das Leben in ihm sich zu einer neuen Anstrengung gesammelt hatte. So war es auch diesmal, aber es währte länger als sonst wohl. –
Die Lichter brannten düster nieder, nichts regte sich; die Kohlen im Kamin glimmten auf von den Sturmstößen, die durch den Schlot hinabwehten und warfen einen schwachen, zuckenden Schein auf das eingefallene Gesicht des Königs.
Plötzlich regte es sich in der finsteren Ecke des Bettes. Ein bläulicher Schein flammte auf und verbreitete ein nebelhaftes Licht, wie das Licht eines Sternes, und mitten darin erhob sich ein dunkler Körper, der mit wunderbarer Schnelle sich formte und eine Gestalt wurde. Dann tauchte eine zweite Gestalt neben dieser auf und endlich eine dritte, während ein verblassender Schatten hinter den Dreien stand, luftig und grau, bis er sich den anderen anschloß. –
Das bläuliche Licht wurde heller und heller, und jetzt konnte der Schläfer am Kamin, der mit weit offenen Augen die Erscheinung anstarrte, sie deutlich erkennen. Die erste Gestalt war ein Greis mit weißem spitzen Bart und scharfgeschnittenem, faltigen Gesicht. Sie war in einen braunen kurzen Mantel gehüllt, ein kleiner aufgeschlagener Hut bedeckte die ergrauten Locken. –
Die zweite war ein großer, stattlicher Mann; gramerfüllt und bleich waren seine Mienen, seine Augen starr und düster, ein schwarzes Barett mit einer Feder saß auf seinem langen Kopf, und um seinen Hals lief ein breiter purpurrother Streif. Der Dritte endlich sah schön und lächelnd aus; grün und goldig glänzte sein Tressenrock, über welchen seine langen, duftigen Locken niederflossen. Der Spitzenkragen auf seiner Brust funkelte im Silberlichte und seine üppigen, gierigen Augen richteten sich spöttisch auf den zitternden König.
Er erkannte sie Alle. Es waren seine Vorfahren, die drei Könige aus dem Hause Stuart, welche die englische Krone getragen hatten. Sein Großvater Jakob, sein Vater und sein Bruder. Sie blickten ihn unverwandt an und langsam hoben sie die Hände auf gegen ihn. Deutlich hörte er die dumpfen Worte:
Wir sind die letzten Stuarts! Gehe nicht! Gehe nicht! –
Der Schweiß perlte auf seiner Stirn; eine ungeheure Angst trieb ihn hinzuschauen auf diese Phantome und auf den bleichen Schatten hinter ihnen. – Jetzt sah er ihn deutlich, er war es selbst. – Es war sein schmales Gesicht mit den ausgehöhlten Backen, es war die gelbe, faltige Stirn, das flatternde, dünne Haar, die grauen, falschblickenden Augen. –
Wie Jakob diesen Schatten erkannte, sah er eine Krone von seinem Haupte fallen, und vergebens streckte er seine Arme aus, um sie zu fassen und zu halten. – Ein Hohngelächter drang aus den Mauern und um ihn her; ein wildes, entsetzliches Gelächter wie von tausend Stimmen. Blutströme flossen von den Wänden nieder, verstümmelte Körper trieben in dieser fürchterlichen Fluth, und mitten darin schwamm sein Sohn, der Prinz von Wales, der seine kleinen Arme hülfeflehend nach dem Vater streckte.
Mit einem entsetzlichen Schrei sprang Jakob vom Stuhle auf. Es war dunkel umher, die Kerzen erloschen; ein irrender Mondblitz fiel zwischen den Sturmwolken hervor durch das zitternde, klirrende Fenster.
Es war ein Traum, sagte der König langsam und schaudernd, indem er sich den Schweiß abwischte, aber ein entsetzlicher Traum, wie ihn die Hölle sendet. Der Teufel hat ihn mir zugeschickt, um mich zu verlocken. Ihr Heiligen des Himmels, steht mir bei! Ich wanke nicht. Nicht ein Atom! nichts, nicht ein Atom! –
Sein Schicksal hatte ihm das Urtheil gesprochen.
Er rief den Hauptmann seiner Garden herein, den jungen Herzog von Northumberland, der die Pflicht hatte, in seinem Zimmer zu schlafen, wie es jeden Abend ein Kammerherr thun mußte, seit die Königin nicht mehr bei ihm war, und ließ sich dann entkleiden.
Freundlich unterhielt er sich mit den Offizieren über den Waffenstillstand, über das nahe Parlament und daß die Aussichten gut seien; dann wünschte er Allen gute Nacht, sammt fröhlichem Erwachen am nächsten Morgen und zog die Vorhänge zu.
König Jakob hörte bald den Herzog schnarchen, aber er selbst schlief nicht. Er zählte die Glockenschläge, Stunde für Stunde, und als es endlich drei Uhr schlug, stand er auf, zündete an dem Nachtlicht die Wachskerzen an, kleidete sich vollständig an und nahm das große Siegel des Reichs in seine Hand.
So trat er an Northumberlands Bett und rüttelte ihn auf.
Majestät! rief der junge Offizier erstaunt und erschrocken, als er den König erblickte.
Hört mich an, sagte Jakob. Ihr seid ein Sohn meines verstorbenen Bruders. Als solcher und als mein Offizier und Kammerherr fordre ich von Euch bei Eurer Mannes Ehre, daß Ihr die Thür des Vorzimmers nicht eher öffnet, bis der Tag gekommen ist, im Fall ich bis dahin nicht zurückgekehrt sein sollte. – Wohin ich gehe, werdet Ihr erfahren. Wollt Ihr thun, was ich Euch befehle?
Aufs pünktlichste, Majestät, erwiederte der junge Mann.
So lebt wohl, sprach der König, und rasch entfernte er sich durch die geheime Thür.
Draußen blies er die Kerzen aus und warf den schweren Silberleuchter von sich, dann stieg er die Treppe hinab und durch ein Pförtchen gelangte er in den Park. An dem äußeren Thore hielt eine Miethskutsche von unscheinbarem Aeußern, und als der König die Thür öffnete, löste sich eine schwarze Gestalt von der Mauer ab und trat ihm näher.
Seid Ihr es, Sir Eduard Hales? fragte der König leise.
Ja, Sire! – Hier ist der Wagen.
Der König stieg ein. Sir Hales sprang auf den Bock und trieb die Pferde nach Millbank, dicht an das Ufer der Themse. Hier lag ein Boot mit umwickelten Rudern, das sofort abstieß, sobald der König eingestiegen war. – Die schwarzen Fluthen des Stromes rauschten durch die Nacht, wie die Fluth des Styx, die keinen Sterblichen zurückkehren läßt. – Der König sah zum Himmel empor, kein Stern blickte auf ihn nieder, dann schaute er lange in das schwarze Wasser und endlich streckte er die Hand aus, nahm das große Reichssiegel und warf es in die Tiefe.
Dem Falle folgte ein dumpfes Brausen. –
Bei den Geistern der Tiefe habe ich dich vor der Hand der Empörer gebettet, sagte der König, ruhe dort, bis ich dich wieder fordere.
Der Sturm heulte ihm Antwort. Es war als ob ein wildes Gelächter über die Wellen führe. Zitternd sprang Jakob ans Land. Dort lag Vauxhall. Ein Wagen mit schnellen Pferden bespannt wartete; nach einer Minute fuhr er im Galopp davon.
Der König ist entflohen! mit diesem Schreckensruf erwachte London am 12. December 1688. – Die Straßen wogten von Menschenhaufen, die sich drängten, stießen und wild durch einander schrieen. – Auf den Plätzen und an den Ecken sammelten sich Gruppen, dicht geschaart um einzelne Redner und Erzähler, welche ihre Neuigkeiten zum Besten gaben. –
Northumberland hatte die Thür des königlichen Schlafgemachs wirklich erst geöffnet, als der volle Tag da war. Die Staatssecretäre und Jeffreys, der im Palast geschlafen hatte, eilten herbei. Auf dem Tische lag das Dokument, welches das Parlament verbot – nun wußte man Alles! Aber wo der König war, wie er entflohen, wer ihm geholfen, wohin er seine Flucht gelenkt, das wußte Niemand.
Kein Papismus! Tod den Papisten! Nieder mit den Tories! schrieen da und dort einzelne heftige Stimmen, doch im Allgemeinen war das Volk ruhig. Der Schrecken war zu groß, die Ungewißheit zu mächtig in den Gemüthern. Es waren keine Soldaten in London, der Tower schwach besetzt von der Bürgerwehr, die sich schwerfällig sammelte und zum Theil ausblieb, je nach den Parteien.
Die Anhänger der Regierung waren voller Angst, Viele versteckten sich, viele flohen, und noch mehr besorgt und scheu waren die Katholiken, die sich in ihren Häusern verrammelten, vor denen da und dort Männer von verdächtigem Ansehen stehn blieben, die Fäuste ballten und fürchterliche Flüche ausstießen. –
Je näher Whitehall, je mehr Lärm und Gedränge. – Die Milizen sammelten sich dort, ganze Bataillone waren aufgestellt, der Palast dicht umringt.
»Die Garden des Herzogs von Northumberland haben sich für den Prinzen von Oranien erklärt!« schrie ein Mann zu Pferde, der aus dem Palast kam und eine große gelbe Fahne schwenkte. –
Ein Freudengeschrei des Volkes, das von Haufen zu Haufen, von Platz zu Platz, von Straße zu Straße flog, beantwortete diesen Ruf.
Fort mit allen Papisten! Nieder mit den Stuarts! Nieder mit Jakob und seinen papistischen Hunden! schrieen rauhe Stimmen; aber als ob die Neuheit dieses Rufes ihnen selbst Schrecken einflößte, verhallte er bald wieder und es trat eine Stille ein, wie die Stille, welche dem Ausbruch eines Orkans vorhergeht.
Der Erzbischof von York, fünf Bischöfe und zwei und zwanzig Lords sind im Speisesaale beisammen, hieß es dann. So eben haben sie den Beschluß gefaßt, den Prinzen von Oranien nach London zu rufen. Ihm soll die Hauptstadt übergeben werden, er wird Ruhe und Ordnung sichern, bis das Parlament beisammen ist.
Hurrah! für den Prinzen von Oranien. Drei Hochs für das Parlament! schrie ein fürchterlicher Kohlenmann von seinem Karren herunter.
Ein ungeheurer Jubel entstand. Das Parlament und der Prinz von Oranien waren die Ursach zahlloser wiederholter Lebehochs, aber mit ihnen mischte sich in immer verstärktem Maße das Wuthgeschrei gegen die Jesuiten und Minister.
Wo ist Jeffreys, der Bluthund! Wo ist der schuftige, ausgedörrte Priester, Petre! wo ist der Schurke Sunderland! schrie es in den Haufen, die durch allerlei Getränk und durch die Aufregung, welche die Thatsachen mit sich brachten, sich erhitzten.
In allen Kaffeehäusern und Schenken war ein dichtes Gedränge und je nach den Begriffen der Zecher wurde die Sachlage erörtert und behandelt. Die wildesten und furchtbarsten Flüche gegen die Katholiken ließen sich in den Schenken hören, Mordgebrüll gegen den schrecklichen Kanzler, denn ihn haßte das Volk ärger noch, als die Katholiken.
Dann und wann kam Botschaft von neuen Ankömmlingen, die fabelhafte Lügen verbreiteten und deren Erzählungen die Habgier, den Haß und die Lust nach Raub und Plünderung aufstachelten. Der König sollte seine Schätze bei dem spanischen Gesandten versteckt haben, dort sollte auch Pater Petre verborgen sein, die bekannten reichen Katholiken wurden von diesen Banden aufgezeichnet und Pläne gemacht.
Je tiefer der Tag sank, um so wilder wurde der Lärm. Die Lords hatten Eilboten an den Prinzen von Oranien geschickt und einstweilen die Regierung übernommen, die Miliz beobachtete das Fort von Tilbury, wo eine irländische Garnison lag. –
In den Kaffeehäusern saßen die Politiker der damaligen Zeit beisammen und ungeheurer Jubel füllte diese Hallen, denn alle waren überzeugt, daß die Flucht des Königs so wahnsinnig und verwerflich sei, daß er auf immer dadurch geschändet und England von ihm erlöst werde.
Noch aber ist er nicht fort, riefen Viele. Er ist irgendwo versteckt. Vielleicht bei Feversham, vielleicht bei den Irländern, oder bei irgend einem der Gesandten katholischer Mächte, die alle mit ihm unter einer Decke steckten.
Die Flüche gegen die fremden Gesandten, gegen Barillon und den Spanier Ronquillo, schallten auf den Straßen hinaus. Man hatte Leute erzählen hören, daß alle die reichen Gold- und Silbergeräthe aus der königlichen Kapelle in das spanische Hotel geschafft worden seien.
Plötzlich bildeten sich Banden, die heulend und mit Aexten und Piken bewaffnet durch die Straßen zogen. Gesichter, wie man sie nie gesehen hatte, unheimlich und grauenhaft, tauchten auf aus dem Dunkel der abgelegenen Gassen und Höfe und zeigten sich in der Mitte des glänzendsten Theiles der Hauptstadt. Zerlumpte, von Trunk, Elend und Lastern aller Art zernagte Männer und Weiber schwärmten singend und beutegierig umher und stürzten sich in die Whiskyläden, wo sie oft nach heftigem Kampf und mit blutigen Köpfen sich der Vorräthe bemeisterten. Von Polizei und Konstablern war nicht mehr die Rede; die verhaßten Wächter hatten sich verkrochen, um der Volkswuth zu entgehen, alle Aufsicht war beendet, mit jeder Minute fühlte sich die losgelassene Masse mehr Herr und Meister.
Noch war der Abend nicht gekommen, als Feuer am Himmel aufstieg. Wüthende Volkshaufen plünderten die katholischen Kapellen und steckten sie in Brand. Damit war das Signal gegeben. – Das hungrige Ungeheuer hatte die letzte Kette zerrissen und stürzte sich auf seine Opfer; das furchtbare Geschrei: Nieder mit den Katholiken! Nieder mit den papistischen Hunden! war ein allgemeines geworden. –
Viele Familien in Todesangst hingen Tafeln an ihre Häuser mit der großen Inschrift: In diesem Hause wohnt kein Katholik! Die Lieferanten des Hofes rissen ihre Schilder ab und verbargen sie; noch hatte der Hahn nicht dreimal gekräht und schon verläugneten sie Alle ihren Herrn und ließen Orangefahnen aus ihren Fenstern wehen.
Inzwischen stürzte sich der Pöbel auf die Häuser der Gesandten. Die Wohnung des toscanischen Ministers war im Fluge zerstört und gänzlich verwüstet, dann wälzten sich die Massen stumm und düster nach Lincon's-Inn-Fields, wo der spanische Gesandte wohnte. – Vergebens hatte man ihn gewarnt, vergebens ihm vorgestellt, er möge es machen wie Barillon und der venetianische Gesandte, die in Whitehall von den Lords Sicherheitswachen verlangt und sofort erhalten hatten. Ronquillo trotzte auf Spaniens Macht und die Heiligkeit des Gesandten; er wußte nicht, daß die erbitterte zügellose Masse wenig darnach fragt, der überdies der spanische Name der verhaßteste in der Welt war.
In wenigen Minuten stürzte das Thor seines Hauses unter der Wucht der Hebebäume und Balken zusammen, mit denen dagegen gerannt wurde. – Geschwärztes, verwildertes Gesindel brach in die Zimmer, raubte, was es fassen konnte, warf Feuer in die Vorhänge, und in weniger als einer Viertelstunde stand der Palast in Flammen, ohne daß eine Hand sich aufhob, um zu löschen.
Die Sturmglocken tönten von den Thürmen und begleiteten mit ihrem Geheul das Geheul der umherziehenden Bande. – Die Soldaten und Milizen, die der provisorischen Regierung der Lords zu Gebot standen, zogen in Abtheilungen durch die große Stadt, zerstreuten, verjagten und hinderten die Haufen der Plünderer, aber sie waren bei weitem nicht stark genug, um überall sein zu können.
In aller Eile hatte man die alte Stadtwache der City wieder hergestellt, um Sicherheits-Garden aufstellen In der Vorlage: austheilen. zu können, doch Alles half nichts. Diebe und Mörder, Haufen von leichtfertigen Weibsbildern und der Auswurf der Gesellschaft, der sich überall zusammenfindet, mischten sich mit dem erbitterten Volke und setzten ihre Geschäfte zu Lande und zu Wasser fort. Denn Hafenarbeiter und müßige Matrosen hielten mit ihren Fahrzeugen die Themse besetzt; wo ein Boot sich zeigte, wurde es angehalten und von diesen Piraten des Augenblicks ausgeplündert. –
Bei alledem kam fast Niemand ums Leben. Blutgierig waren die Plünderer nicht. Wer sich ihnen nicht widersetzte, kam mit einigen rauhen Griffen und Schimpfworten davon, nur wo sie ernsthaften Widerstand fanden, schlugen sie zu, und wo sie Soldaten erblickten, machten sie sich davon, immer mit dem Ruf: Nieder mit den Papisten! der ihnen zur Parole diente.
Am wildesten und längsten hatten sie nach Jeffreys, nach Sunderland und Petre gesucht, um diese verhaßten Werkzeuge des Königs ihrer Rache zu opfern, aber nirgend waren sie zu finden.
Jeffreys' neues Haus in der Dukestraße ward zerstört von Grund aus; der alte Palast, in dem er gewohnt, hatte lange dem Angriff widerstanden, zuletzt war er nach einer blutigen Gegenwehr erobert worden. Von den tiefsten Kellern bis in die Dachspitzen hatten die wüthenden Eroberer dem Kanzler nachgespürt, aber nirgend war ein Merkmal von ihm zu finden. Endlich brach Feuer aus. Die Flammensäule loderte hoch über die Themse fort. Garben von Funken und schwarze, erstickende Rauchmassen bedeckten weit umher Himmel und Erde, und unter brüllendem Triumphgesang ließ sich der Pöbel endlich von den anrückenden Milizen zurücktreiben.
Mitten unter allen diesen Scenen der Auflösung bürgerlicher Ordnung und Gesetze war aber dennoch die Anarchie keinesweges so groß, um den Krieg Aller gegen Alle zu verkünden. Geschossen wurde nirgend, dazu gehörten besondere Befehle; kein Soldat wagte ohne diese sein Feuergewehr zu gebrauchen, und man gab diese Befehle damals nur in der äußersten Noth, um nicht die Schuld unnöthigen Mordes auf sich zu laden.
Es bestand eine Regierung, es bestanden Gewalten und Niemand hatte die Absicht, diese etwa umstürzen zu wollen. Im Gegentheil bemühten sich schon nach wenigen Stunden der Rathlosigkeit die meisten ehrlichen und tüchtigen Männer, die Ordnung herzustellen, die bewaffnete Macht zu unterstützen, und den ruchlosen Austritten von Brand und Plünderung Einhalt zu thun, ehe sie weiter um sich greifen konnten.
Die meisten Bürger der damaligen Zeit waren nicht ohne Waffen; man war noch nicht so weit gekommen, nur die Soldatenschaaren für waffenberechtigt zu erklären, denen die unbewaffnete Menge beim geringsten Widerstande oder Ungehorsam zum Zerfleischen vorgeworfen wird. In jedem Hause fanden sich Degen und Piken, in vielen alte Schlachtschwerter und Feuergewehre. Alle Häuser der City waren geschlossen, alle Straßen besetzt, die Thore gesperrt, und bald sah man ganze Compagnien Bürger zusammentreten, um die Ordnung herzustellen.
Wo aber war der eigentliche Feind? Waren es die zuchtlosen Banden, welche Kapellen und Katholiken plünderten, oder war es der verstockte König, der irgendwo im Verborgenen saß und den rechten Augenblick der äußersten Verwirrung abwartete, oder waren es die Garden in Whitehall, oder die Besatzung von Tilbury-Fort, oder endlich die Regimenter des Lord Feversham, welche er nach des Königs Befehl sofort aufgelöst und entlassen hatte?
Plötzlich lief ein furchtbarer Schrei durch die ganze weite Stadt, ein Schrei, der in allen Herzen wiederhallte. – Menschen liefen durch die Straßen, Fackeln in ihren Händen, wilden verwirrten Blickes, Schrecken und Verzweiflung in allen Mienen. –
Die Irländer kommen! war ihr Ruf. Bürger heraus! Zu den Waffen! Greift zu den Waffen! Vertheidigt euer Leben, eure Weiber, eure Kinder! Licht an die Fenster! Heraus, heraus!
Wie mit einem Zauberschlag war London verwandelt. Niemand dachte mehr an Plünderung, Niemand mehr an Verfolgung der Jesuiten und der Diener des Königs. – Die Irländer kommen! schrie es in allen Gassen, und dieser Schrei wälzte sich über London hin, bis in die äußersten Winkel und Ecken, und ergriff Männer, Greise und Weiber, Volk, Soldaten, Bürger und Lords mit demselben Entsetzen.
In einem Augenblick waren die Straßen erleuchtet und mit Bewaffneten gefüllt. Weiber rissen das Pflaster auf und schleppten Geräth aller Art herbei; Barrikaden von riesenhafter Größe entstanden, die Angst vor den schrecklichen Irländern, die geschworen hatten, kein Kind zu schonen, keinen Stein in London auf dem andern zu lassen, trieb zu den größten Anstrengungen und Opfern. –
Niemand hatte einen Irländer gesehen, Niemand wußte, woher sie kamen, aber jeder Augenblick erfand neue Gerüchte über ihre Wildheit und ihre Mordlust. Die Miliz verschanzte sich um Whitehall, der Palast wurde zum Kampf eingerichtet; in Guildhall saßen die Lords beisammen und unablässig flogen Boten nach allen Richtungen und kamen mit neuen Nachrichten, jeden Augenblick glaubte man den Donner der ersten Schüsse und das Geschrei der rothhaarigen Barbaren von Ulster zu hören. –
Die Nacht war rabenschwarz, der Sturm heulte durch die Giebel, eine schneidende Kälte verwandelte den feinen Regen in Eiskörner, aber auf den Barrikaden standen 20 000 Bürger bis zum Morgen kampfbereit.
Endlich kam der lang ersehnte Tag, aber kein Irländer war zu sehen, nirgend eine Spur des wilden Feindes und nun verwandelte sich die Angst in Gelächter. Man wünschte sich Glück, man fiel sich in die Arme, aber Ruhe und Ordnung waren hergestellt. Mit Jubel und Dank erwartete man die niederländische Armee und den Prinzen. Das war die irische Nacht, von der man in London nach Menschenaltern noch erzählte.
Am Morgen nach dieser Nacht der Angst und des Entsetzens fand man die Straßen angefüllt mit Menschen, welche zu den Stätten eilten, wo Feuer und Raub gewüthet hatten. Aber schon sahen die Gesichter friedlicher aus, vergnügter und unbesorgter. Man fürchtete nichts mehr, der Prinz von Oranien war in der Nähe. Einzelne niederländische und englische Offiziere kamen als Abgesandte nach London und wurden mit betäubendem Jubel des Volkes nach Guildhall geleitet, wo die Lords beisammen saßen und sich in immer größerer Zahl vereinigten, den Erzbischof von York, Halifax und Rochester an ihrer Spitze. –
Man dachte kaum mehr an den König, man verlangte nur nach dem Prinzen und dem Parlament, aber die Lords schafften Ordnung, so viel sie vermochten. Sie brachten eine Anzahl vornehmer Katholiken, darunter zwei Bischöfe, in sichere Haft, um sie der Wuth des Volks zu entziehen; die Bürger wurden aufgerufen, ihr Eigenthum und die Gesetze zu schützen, beruhigende Proklamationen wurden erlassen und bekannt gemacht, daß von den Irländern nichts zu fürchten sei, daß sie überall angehalten und entwaffnet würden.
Zu gleicher Zeit erging ein Befehl an Lord Feversham nach London zu kommen: die Regimenter sollten beisammen bleiben und die Befehle befolgen, welche der Prinz von Oranien ihnen geben werde. Es wurde ferner bekannt gemacht, daß weder im Heere, noch in der Flotte künftig ein katholischer Offizier geduldet werden solle, und diesem Befehle nach legten die meisten Katholiken sofort ihre Aemter nieder und gingen nach Haus.
Das Volk hörte dies Alles mit Freude. Sein Haß gegen die Katholiken, der wild von Jakob neu angefachte Religionshaß, welcher in England seit Jahrhunderten genährt worden war und allen politischen Kämpfen und Umwälzungen zur Grundlage diente, war weit größer, als alles andere Bewußtsein der Tyranneien, die es erfahren und erduldet hatte.
An diesem Morgen kam William Howe nach London, begleitet von seiner jungen Gemahlin Lätitia, die Burnet in Oxford ihm angetraut hatte. – Howe hatte sich aus dem Hauptquartier des Prinzen entfernt, um Lätitia in Sicherheit zu bringen, und weil ihm nicht zusagte, was er dort erblickte. – Er durchschaute, wie er meinte, Alles. Er sah durch die kalte Maske des Prinzen sein Herz, das vor Ehrgeiz glühte und erblickte seine Hand ausgestreckt nach der Krone Englands. Darum, nicht Englands wegen hatte er den Engländern geholfen, die er nicht liebte, denn er thaute nur auf, wenn er mit seinen Holländern beisammen war.
Was William fühlte, fühlten Viele mit ihm, und selbst Burnet konnte die geheimen Pläne des Prinzen nicht läugnen. Aber wie mißmuthig auch die stolzesten der Whigs darüber waren, sie fügten sich achselzuckend darein. Sie waren so gute Diplomaten wie der Prinz und nahmen die Nothwendigkeit auf, wie sie mußten. – Wilhelm war der Gemahl der Thronerbin Maria, sie war sein schwaches, abhängiges Werkzeug. Warum sollte er nicht König heißen, wenn er doch jedenfalls König war? Er ließ dem Parlament seine Rechte; er war zu klug, um in Jakobs Fehler zu fallen; er begnügte sich und dabei war er ein entschiedener Protestant, der bitterste Feind der katholischen Kirche. Mehr gebrauchten, mehr wollten sie nicht.
Mitten unter den drängenden Volkshaufen ging das Paar durch die Straßen, kletterte mühsam über die halb zerstörten Barrikaden, sah den Zügen der Bürger-, Milizen- und Arbeitermassen nach, die mit Fahnen und Gesängen hin und her eilten, und gelangte unter dem Lärm und Geschrei des Tages endlich zu den rauchenden Ruinen der zerstörten Kapellen, wo noch immer der wilde Jubelruf erschallte:
Nieder mit den Papisten! Nieder mit allen Höhlen der papistischen Hunde!
William sah düster auf diese Werke der Zerstörung und der brutalen Wuth.
Das thun sie, sagte er, weil sie nicht wissen, was sie thun. Wie wilde Thiere fallen sie darüber her, um zu vernichten, zu rauben, zu brennen und zu morden. Die Elenden! aber wer hat sie so wild und so elend gemacht? Morgen legt man sie wieder an die Kette in die alten Lumpen und überläßt sie dem Hunger, dem Schmutz und der dumpfen Verwilderung aller besseren Gefühle. Ein Dutzend greift man heraus und schlachtet sie ab, der Gerechtigkeit zum Sühnopfer. Himmlische Gerechtigkeit! wann wird der Tag kommen, wo du wandeln wirst auf Erden?!
Lätitia zog ihn fort.
Ich bitte Dich, William, sagte sie, laß uns aus diesen Gräueln entfliehen. Wir wollen London verlassen, sobald es angeht, und Burnets Rath befolgen: uns zurückziehen in die Stille eines glücklichen Lebens, wo wir Segen verbreiten können, so viel wir vermögen.
Nach einiger Zeit erreichten sie Jeffreys Haus, das noch immer Rauchwolken ausstieß, obwohl das Feuer gedämpft war. Fenster und Thüren lagen in Trümmer, eine entsetzliche Zerstörung hatte der Haß gegen den schrecklichen Kanzler hier vollbracht, aber mit Schaudern erblickten sie auf der Schwelle ausgestreckt den Leichnam des alten Tornton, der seinen Platz behauptet hatte, wie im Leben so im Tode. Mit der Waffe in der Hand lag er da; sein Körper war von Axthieben und Pikenstichen zerfleischt und durchbohrt, aber sein finsteres, hartes Gesicht hatte sich nicht verändert und seine weit offenen Augen starrten Lätitia an, als erkenne er sie und wolle sie nicht von dannen lassen.
Sonderbares Schicksal! rief William. Dieser schändliche Jeffreys ist entkommen, allen Anstrengungen zum Trotz! Millionen verfluchen ihn und doch gab es ein Wesen auf Erden, das ihm treu war bis zum Tode.
Laß uns gehen! antwortete Lätitia schaudernd. Ist es mir doch immer als müßte der entsetzliche Mann mir irgend wo hier entgegentreten; als würde er aus einer dieser düstern, rauchenden Hallen herabspringen, um Rache an uns zu üben.
Davor seid sicher, schöne Dame, sagte eine Stimme hinter ihnen. Ich habe diese stürzenden Hallen mit Gefahr meines Lebens durchkrochen, jeden Winkel durchsucht und nichts gefunden. – Der Teufel hat seinem besten Freund geholfen, aber ich will nicht ruhen und nicht rasten, bis ich weiß, was aus ihm geworden ist.
Es war Wilkins, der Schreiber, der diese Worte sprach. Er sah bleich und erschöpft aus, seine Kleider waren beschmutzt und zerrissen, in seinem Gesicht ließ sich Wuth und Aerger lesen und seine Augen glühten von ungesättigter Rachelust.
Wenn ich ihn nicht fände, schrie er mit seiner heiseren Stimme, so möchte ich selbst nicht länger leben, denn mein ganzes elendes Dasein habe ich ja daran gesetzt, um dieser Stunde mich zu freuen.
Wo habt Ihr ihn gelassen, Wilkins, sagte Howe, und wie ist es Euch ergangen, seit wir uns nicht sahen.
Ich bin ihm immer nahe gewesen, bis zur letzten Nacht, erwiederte der Schreiber. Ich umgab ihn wie sein böser Geist und als er gestern nach Haus kam, wie ein verdammter Teufel, wüthend, den König verfluchend, der ihn betrogen, den Pater Petre mit den wildesten Verwünschungen bedeckend, Schaum vor dem Munde, rasend vor Grimm und doch feige voll Todesangst und Entsetzen, so feige, daß er selbst nicht einmal wagte, zum Wein zu greifen; wie ich ihn fluchen sah und beten zu gleicher Zeit, wie er umherlief wie ein Stier, der die Schlachtbank wittert, und dann wieder verlassen von aller Vernunft die Hände ringend und nach Rettung brüllend, da kam zum ersten Male die Freude in mein Herz. Ich hätte die Hände ausstrecken und ihn küssen mögen.
Und doch entkam er Eurer Umarmung, sagte William.
Im Abenddunkel, als die Feuer aufloderten, das Stürmen begann und das tobende Geschrei von Black-Friars Brücke herüber kam, war er plötzlich verschwunden, murmelte Wilkins.
Seid Ihr sicher, daß er nicht versteckt war und verbrannte?
Völlig sicher, Sir. – Ich trat in sein Zimmer, als die Sturmbalken an das Thor donnerten. Ich wollte ihn nicht verlassen, nein, ich wollte dabei sein, wenn Gericht gehalten wurde, wollte sein Richter sein mit demselben Hohngelächter, das er so oft erschallen ließ, wenn seine Opfer vor ihm in Todeskrämpfen niedersanken. Aber er war fort. Da lag sein Rock, seine Perrücke, der ganze Sammetplunder, nur der Mann fehlte, und in Verzweiflung stürzte ich durch das alte Haus, seinen Namen rufend, bittend, rasend, ohne ihn finden zu können.
Dann ist er in einer Verkleidung durch irgend einen Keller oder eine Seitentreppe entkommen.
So ist es, Herr, aber wo ist er? Er muß noch in London sein. Wo soll er hin? Auf jeder Landstraße würde er todtgeschlagen.
Wilkins Stimme stockte bei dem letzten Worte. Howe sah ihn still stehen, als sei er plötzlich erstarrt. Sie waren einem Bierhause gegenüber stehen geblieben, an dessen Fenster hinter den blinden Scheiben die schmutzige Gestalt eines Matrosen sichtbar wurde, über und über mit Kohlenstaub bedeckt, wie die Schiffer von Newcastle, und sein schwarzes Gesicht von einer Kappe halb versteckt. Der Schreiber zitterte am ganzen Körper, plötzlich aber stieß er einen wilden Schrei aus und im vollen Lauf stürzte er auf das Haus zu, indem er den Namen Jeffreys mit aller Gewalt erschallen ließ.
Wo? Wo? antworteten im Augenblick zwanzig kräftige Stimmen.
Hier ist er! schrie Wilkins. Hier im Hause sitzt er!
Und plötzlich hatte sich ein Volkshaufe vor der Thür der Kneipe gesammelt. – In einer Minute war man ihrer Meister und in der nächsten stand der unglückliche Matrose draußen auf der Steinbank von den kräftigen Fäusten einiger wildblickenden Arbeiter gehalten.
Es war Jeffreys. Mit furchtbarem Jubelgeschrei wurde er erkannt. Zwar hatte er die Augenbraunen abgeschoren, aber seine rollenden Augen und sein zuckender Mund konnten keinem andern sterblichen Wesen angehören.
Hundert Fäuste hoben sich gegen ihn auf, Aexte wurden geschwungen, Steine flogen gegen ihn. Der Mann, welcher Jahre lang so unsägliches Entsetzen verbreitet, den das Weib haßte wie der Greis, er war in den Händen einer erbitterten Menge, wo jedes Auge vor Rachelust glühte.
In namenloser Todesangst stand der Kanzler, halb erwürgt von Fäusten, unter deren Druck er sich bog. Zuweilen stieß er einen brüllenden Schrei aus, der wieder schnell erstickte. Er hob die Arme flehend empor und seine irrenden Blicke suchten vergebens irgend eine Rettung. Plötzlich erblickte er Howe und Lätitia außerhalb des schrecklichen Kreises seiner mordlustigen Peiniger und alle seine Kräfte verzweiflungsvoll anstrengend, rief er ihren Namen und versuchte von der Bank zu springen.
In diesem Augenblicke eilte Wilkins mit einer Abtheilung Stadtsoldaten herbei und stürzte sich mitten in den dichten Volksstrom, ihm sein Opfer zu entreißen. Wüthende Weiber hatten sich auf den Kanzler geworfen und an seinen langen Haaren ihn zu Boden gerissen; ein paar Fuhrleute von riesenhafter Gestalt traten ihn mit Füßen und bearbeiteten ihn mit ihren Peitschenstöcken. Es war ein Toben und Brüllen um seinen Körper, das deutlich zeigte, wie in wenigen Minuten nichts von dem fürchterlichen Jeffreys mehr sein werde, als eine entstellte, unbarmherzig zerstörte, blutige Masse.
Mit der Wuth eines Tiegers schleuderte Wilkins die Angreifer nach allen Seiten fort und machte sich Bahn.
Zurück, schrie er, im Namen des Gesetzes! Zurück, Ihr Banditen! Zurück, wenn Ihr nicht sterben wollt!
Die Stadtwachen eilten ihm zur Hülfe. Er richtete den Kanzler auf, der fürchterliche Peitschenhiebe über sein Gesicht erhalten hatte, aber Wilkins sogleich erkannte.
Wilkins! wimmerte er, rette mich, rettet mich, Ihr guten Leute, helft mir fort, ich will es Euch lohnen.
Zum Lord-Mayor! schrie Wilkins. Fort zum Lord-Mayor nach dem Rathhause und wehe dem, der es wagt, noch eine Hand gegen ihn zu erheben.
Der Zug setzte sich in Bewegung. Wilkins und ein Soldat führten Jeffreys, der zitternd, von Schmerzen gepeinigt, blutig und zerschlagen sich kaum auf den Beinen erhalten konnte.
Dann und wann wurde das wilde Geheul des Haufens, der sein Opfer sich entrissen sah, von einer neuen Anstrengung unterbrochen, es wieder zu erlangen. Durch den dichten Kreis der Wächter langten sehnige nackte Arme nach dem halbtodten Kanzler, Steinstücke flogen nach ihm hin, mit großer Anstrengung war es nur möglich die Thür der Bürgermeisterei, Mansionhouse, zu erreichen.
Der Lord-Mayor saß mehr todt wie lebendig dort auf seinem Stuhle. Er wußte, wie wenig er selbst beliebt war, wie sehr das Volk seine dienstfertige Unterthänigkeit gegen Jakobs Regierung mit Hohn und Born strafte, wie unfähig er war und wie er gekrochen und geschmeichelt hatte. – Jetzt hörte er draußen das Gebrüll, das wie der Donner eines wilden Meeres die Luft erfüllte und vor ihm stand der mächtigste Mann in England, er, der vor wenigen Tagen noch mit einem Stirnrunzeln das ganze Reich zum Zittern brachte, zerfetzt, kaum dem Tode entronnen, blutig, mit wahnsinnigen Blicken und flehte um Erbarmen.
Der Lord-Mayor fiel in Ohnmacht und Krämpfe bei diesem Anblick, man brachte ihn fort ins Bett und am dritten Tage war er todt. –
Um Gottes Barmherzigkeit! schrie Jeffreys händeringend, holt Wachen herbei, bringt mich ins Gefängniß, schafft einen Haftsbefehl, aber öffnet die Thüren nicht, laßt mich nicht frei. Nur keine Freiheit, keine Freiheit!
Nach einer Stunde voll entsetzlicher Angst kam der Befehl der Lords aus Whitehall, ihn in den Tower zu schaffen. Eine ungeheure Menschenmenge belagerte Mansionhouse, jeden Augenblick mußte man erwarten, daß die Thüren gesprengt, der Widerstand überwältigt und Jeffreys an den Haaren herausgerissen wurde, um den schrecklichsten Tod zu sterben.
Der Kanzler saß in einem Winkel, betend wie es schien, zusammengekrümmt, von allem Muth verlassen. Endlich stürzte Wilkins herein.
Die Miliz ist da, ein Wagen bereit, rief er athemlos, kommt, es wird Euch kein Leid geschehen.
O Gottes Segen über Dich, Gottes Segen, mein treuer Wilkins! schrie Jeffreys. Kommt, kommt, aber schützt mein Leben. Ich bitte Euch auf meinen Knieen, helft mir davon!
Zwei Regimenter Miliz waren aufgestellt. Ihre Pferde umringten die Kutsche nach allen Seiten, ein Wald von Piken füllte die ganze Straße, aber die rasende Volksmasse drängte sich durch die Glieder und ihr Wuthgeheul: Gebt uns den Schurken! Heraus mit dem Mörder Russells und Sidney's! machte den elenden Mann fast wahnsinnig.
Er lag in der Kutsche auf seinen Knieen, seine gerungenen Hände über den Kopf erhoben; bald erschien an dem einen Fenster, bald an dem andern sein entsetzliches, schwarzes und blutiges Gesicht.
Haltet sie auf: Treibt sie zurück, Gentlemen! schrie er in der furchtbarsten Angst, um Gottes Willen, haltet sie auf!
Die Kavallerie mußte mehrmals gegen die Haufen anreiten, um sie zurückzutreiben, und während ihre Trompeten zum Angriff bliesen, ihre Waffen klirrten und das gräßliche Wuthgeheul sich verdoppelte, litt Jeffreys alle Bitterkeit des Todes. – Endlich waren die düsteren Thore des Towers erreicht.
Gerettet! gerettet! schrie er in wahnsinniger Freude. Gebt mir ein sicheres Zimmer, feste Thüren, feste Gitter! –
Seine Bitte wurde vollständig erfüllt.
Der König hatte die ganze Nacht über seine Flucht am südlichen Ufer der Themse fortgesetzt. Ueberall fand er frische Pferde, und immer saß Sir Edward Hales auf dem Bock und trieb das Fuhrwerk zur größten Eile an. Endlich kam der Morgen, aber es dauerte lange ehe er die düsteren Nebel abwarf, welche undurchdringlich zu sein schienen.
Jakob saß im stummen Brüten in der Ecke des Wagens, den Hut tief ins Gesicht gezogen, den Mantel um den Kopf gewickelt; er wollte nichts mehr von England sehen und hören. Bei jedem Ton fuhr er zusammen, jeder rauhe Schrei von Bauern auf der Landstraße schlug ängstlich an sein Herz, überall glaubte er den Verfolger hinter sich.
Da ist das Meer! rief Sir Hales endlich und der König starrte hinaus. Es sah den strahlenden Schild weit vor sich liegen und wieder verschwinden. Eine Hügelkette lief am Strande hin, eine tiefe Bucht schnitt sich darin ein, zur Seite lag das Fischerdorf Emley-Ferry und in grauer Ferne zeigten sich die hohen Ufer der Insel Sheppey.
Wo ist die Schlupp? fragte der König. Seht Ihr sie?
Dort liegt sie, sprach Hales, und über sein düstres Gesicht lief die Freude der Befriedigung.
Nun, Gott sei Dank! sagte Jakob, zum ersten Male wieder lächelnd, und er steckte den Kopf zum Wagenfenster hinaus und sog die frische Seeluft mit Vergnügen ein.
Sein Blick traf auf eine Gruppe Fischer, die ihre Netze aufnahmen, welche über lange Stangen geschlagen auf dem Hügel in der Luft trocknen sollten. – Es waren stämmige Bursche, trotzige, harte Gesichter, wie sie an der stürmischen Küste von Kent zu finden sind. – Sie starrten den Wagen und den König an, der in einem Anfall von Wohlwollen an seinen Hut faßte und ihnen zunickte. Als das Fuhrwerk an den Hügeln umbog, sah sie Jakob noch stehn und der seltenen Erscheinung nachstarren.
Sie werden morgen sich der Sache wieder erinnern, murmelte der König, und mit den Fäusten sich die Stirnen reiben. Aber da liegt ein Boot, Matrosen lehnen auf den Rudern. Ist es das Boot der Schlupp, Sir Edward? Erwartet es uns?
Es erwartet uns, sagte der schweigsame Hales.
Jakob sprang hinaus und als er die Sohlen seiner Schuhe von dem Salzwasser benetzt fühlte, belebte sich sein verschrumpfter Körper.
O, wie liebe ich das Meer! rief er, es hat mir immer Ruhm und Sieg gebracht. – Und das ist ein schmuckes kleines Ding da, Hales. Es wird die Wellen scharf zerschneiden, mich schnell hinführen zu denen, die ich liebe. – O! meine Maria! – O! mein Sohn, mein Sohn! – Ja, wir werden wiederkehren, wir werden wieder einziehen in dies schöne England auf stolzen Schiffen mit hohen Borden, und gesegnet von Gott, triumphiren über alle Feinde der heiligen Kirche, und meine Feinde.
Hales hatte inzwischen das Boot aufgesucht, aus dem Wagen wurde das kleine Päckchen geholt, in welchem der König einige Kostbarkeiten mitgenommen hatte, dann lohnte Sir Edward den Wagen ab, der rasch am Strande hinfuhr, um denselben Weg nicht zurück zu nehmen, und in der nächsten Minute schwamm das Boot auf den Wellen der Schlupp entgegen, deren Segel im leichten Winde schlugen.
Auf den Hügeln am Strande hatten sich inzwischen die Bewohner des kleinen Ortes gesammelt, die dem tanzenden Boote nachschauten und bald im lebhaften Gespräch über dessen Inhalt begriffen waren. – Sie betrachteten die Schlupp mit mißtrauischen und begehrlichen Blicken. Es schien ein Schmuggler zu sein, aus Jersey oder Wright, aber sie lag weit hinaus in der Bucht und die Mannschaft hatte keinen Verkehr mit dem Lande. In der Nacht hatte sie Anker geworfen und in der ersten Frühe das Boot abgeschickt, das seine Ladung erwartete, indem es auf und abruderte.
Katholische Priester flohen oft so aus dem Lande und kamen geheimnißvoll zurück, jetzt aber hatte man zwei wie Edelleute gekleidete Herren an Bord gehen sehen, welche Neugier und Verdacht doppelt rege machten.
Die Fischer blieben noch lange beisammen und wurden um so begieriger, als sie bemerkten, daß das Fahrzeug sich nicht rührte. Die leichte Morgenbrise frischte stark auf und blies bald mit voller Kraft, die aufgezogenen Segel fielen jedoch wieder zusammen. Man sah die Mannschaft Anstrengungen machen die Schlupp an den Wind zu bringen, aber kaum gehoben fiel der Anker wieder und auf den hohen Wellen schaukelte das kleine Schiff heftig auf und nieder. Den ganzen Tag über standen Menschen am Ufer, welche das Fahrzeug betrachteten, ihre Bemerkungen machten und gierig berechneten, wie viel Geld und Gut die Jesuiten wohl da drinnen haben möchten und fortschleppten?
Mit ihren Gläsern konnten sie das Deck betrachten und bemerken, wie unruhig die Passagiere waren, wie sie nach Wind und Wetter ausschauten und mit dem Schiffer zu streiten schienen.
So war es wirklich. Jakob war kaum an Bord gekommen, als er die Anker zu lichten gebot, aber mit jeder Minute wurde die See unruhiger; hohe schwarze Wellen mit weißen Köpfen zeigten sich draußen und schwollen in der offenen See zu düstern Bergen an. Der Schiffmeister erklärte nicht auslaufen zu können, da die Schlupp ohne Ballast sei, und umgeweht werden würde, wie eine Nußschale, sobald sie die Bucht verließe.
Der König war Seemann genug, um die Wahrheit einzusehen; aber er hätte gern jeder Gefahr Trotz geboten, hätte er den störrigen Schiffer überreden können. Alle seine Bitten und Versprechungen scheiterten jedoch an der Muthlosigkeit dieses Mannes. Nach den ersten Versuchen gab er alle fernern auf; um keinen Preis der Welt wollte er in den gewissen Tod gehen, und den ganzen Tag über blies die Böe mit derselben Heftigkeit.
Erschöpft von so vielen Gemüthsbewegungen saß der König in der kleinen Kajüte auf einem Haufen Segel und Taue. Er sah die Nacht niedersinken, während jede Minute ihm eine Ewigkeit dünkte. Das Wimmern des Windes im Takelwerk drückte seine Seele nieder, die voll Bangen und Zorn war; eine ungeheure Angst lag auf seiner Brust und preßte sie qualvoll zusammen.
Endlich trat Sir Hales herein, der gute Nachrichten brachte.
Der Wind springt um und wird schwächer, sagte er. In einer halben Stunde werden wir endlich aus dieser verwünschten Bucht sein.
Gelobt sei Gott! erwiederte der König sich bekreuzend.
Es ist Lärm auf dem Deck. Sie heben den Anker, sagte Hales; das Schiff schwimmt.
Welch Geschrei! rief Jakob unwillig. – Aber was soll das? – Was wollt Ihr? Wer seid Ihr?! – Er richtete diese letzten Worte an ein paar breitschultrige Gesellen, die plötzlich die leiterartige Treppe hinabsprangen und in die Kajüte traten.
Ihre weiten Schifferhosen, die Südwesterkappen und die stieren harten Gesichter sagten ihm deutlich, wer sie waren.
Hört, Schätzchen! rief der Eine, den König an die Schulter fassend, macht keine Umstände. Wir wollen Euch das Fortlaufen lehren; wir lassen uns nicht von Jesuiten betrügen!
Fort mit der Hand, Du Hallunke! schrie Sir Hales, den Kerl zurückstoßend.
Bei Gott! rief sein Gefährte jubelnd, indem er ein Licht vor des Königs Gesicht hielt, es ist Pater Petre! Ich habe ihn in London gesehen und kenne ihn an seinen krummen Kinnbacken.
Bei dieser Entdeckung entstand ein wildes Freudengeschrei oben an der Treppe. –
Heraus aufs Deck mit ihnen! riefen zwanzig Stimmen.
Greift den nichtswürdigen alten Jesuiten! schrien Andere.
Der König wurde hinaufgezogen und gestoßen, und war in der nächsten Minute mitten in einer Bande von 50 bis 60 Fischern aus Emley-Ferry, welche die Schlupp geentert und erstiegen hatten. Ein Paar Hornlaternen wurden emporgehalten und beleuchteten diese wilde nächtliche Scene.
Ihr müßt mit vor den Richter! schrien die Fischer. Ihr seid aus London entflohen. Glaubt Ihr, wir wissen nicht, was sich dort zugetragen hat? – Der König ist fort, London ist im Aufstande; sie räuchern da die verdammten katholischen Fledermäuse aus.
Die Stimme des Königs verhallte unter dem Geschrei. Zehn Fäuste hielten ihn fest; man beleuchtete und beschimpfte ihn, riß ihn hin und her und mit Blitzesschnelle waren seine Taschen umgekehrt.
Halt still, Schätzchen; halt still, wenn Du Deine krummen Kinnbacken behalten willst, schrie einer der Plünderer und des Königs Uhr und Börse verschwand, ein paar Ringe wurden ihm von den Fingern gestreift, aber der kostbare Krönungsring, den Jakob rasch in seine zerrissene Weste verborgen hatte, entging ihren Blicken. – Sie beleuchteten die Diamantschnallen an seinen Kleidern und Schuhen, und hatten Lust sie abzureißen, aber der Anführer der Bande hielt sie für Glas und hielt seine Gefährten ab, sich an dem Plunder zu vergreifen.
Während dessen war die Schlupp umgelegt und flog dem Lande zu. Dicht am Bollwerk wurde sie festgelegt und der König mit seinem Begleiter im Triumph nach der Dorfschenke geführt.
Jakob sprach kein Wort. Er suchte sich durch jedes Enthalten von Widersetzlichkeit vor weiteren Mißhandlungen zu schützen und verbot seinem Begleiter jede unnütze Einmischung.
Als er die Thür erreichte, stand der Wirth auf der Schwelle; kaum aber hatte dieser den Gefangenen erblickt, als er in größter Bestürzung zurücksprang.
Es ist der König! rief er. Ihr Schufte, was habt Ihr gethan?
Die Fischer standen einen Augenblick betäubt von dieser Entdeckung, und so mächtig war der Eindruck der gestürzten Majestät noch in ihrer Ohnmacht, daß sie die Hüte abrissen und nicht wußten, was sie thun sollten.
Dieser Anblick gab dem Könige neue Hoffnungen. Er richtete sich auf und sagte würdevoll:
Ich verzeihe Euch unter der Bedingung, daß Ihr sogleich mich und meinen Gefährten an den Bord der Schlupp zurückbringt.
Unglücklicher Weise stand Sir Edward Hales neben ihm und das Licht, welches der Wirth herbeigebracht hatte, fiel auf sein finsteres wohlbekanntes Gesicht. – Sir Hales war in der Nähe ansäßig, er ward aufs bitterste gehaßt von dem Volke, dem er Leid genug zugefügt und eben war man dabei, seinen Landsitz zu verwüsten.
Wie, rief der Anführer der Fischer, ist das nicht Sir Hales, der uns Jahre lang gepeinigt, verfolgt und alle Schmach angethan hat? – Nicht einen Schritt sollt Ihr gehen, und wenn Ihr der König seid, um so schlimmer für Euch.
Laßt mich gehen, gute Männer, rief Jakob ängstlich die Hände erhebend. Ich will Euch belohnen, reich machen, mit Gnaden und Schätzen überhäufen.
Der Fischer blieb unerbittlich. –
Nichts da! rief er. Niemand soll Euch ein Leid anthun, aber fort dürft Ihr nicht, bis sie es in London wissen.
Jakob sank auf einen Stuhl, er schien zu erliegen unter der Last seines Mißgeschicks.
Plötzlich hörte man draußen Pferde stampfen und laute Stimmen, Mehrere Männer traten rasch herein, Edelleute aus Kent, die von der Jagd kamen und von der Gefangenschaft der beiden Flüchtlinge gehört hatten. An ihrer Spitze war der Graf von Winchelsea, der nicht sobald den König erblickte, als er entsetzt seine Hände faltete und erstarrt vor Schrecken schien.
Ja, ich bin es, Mylord, rief Jakob aufstehend, rettet mich, befreit mich!
Majestät, sagte der Graf seufzend, es ist nicht mehr in meiner Macht.
Laßt mich gehen! schrie der König verzweiflungsvoll umherblickend, gebt mir ein Boot, ich will und muß fort. Der Prinz von Oranien jagt nach meinem Leben, laßt Ihr mich nicht entfliehen, so ist es zu spät. Mein Blut komme über Euch. Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich!
Wie ergriffen von Wahnsinn steigerte sich seine Stimme.
Wohl eine halbe Stunde lang sprach er verwirrt über den Verrath des Prinzen und des Volkes, über Wunder und über sein Unglück, ein Stück vom wahren Kreuz verloren zu haben.
O Sire, sagte der Graf, als Jakob von Neuem in ihn drang, seine Flucht zu bewirken, ich kann nichts thun, als so schnell als möglich Ihr Geschick an den Rath der Lords nach London berichten.
Hah! dieser Rath! rief der König erschüttert, wer giebt ihm ein Recht zu befehlen? Ich befehle es Euch, ich, der König! Gehorcht, Graf Winchelsea, oder seht Euch vor!
Aber die Zeit des Befehlens war vorbei, kein Finger regte sich. Der Graf zuckte die Achseln und wandte sich fort, die finsteren Blicke der kentischen Edelleute sahen so unfügsam aus, wie die Blicke der rauhen Fischer.
Was habe ich denn gethan? rief Jakob vom Befehl zur bittenden, angstvollen Frage übergehend. Sagt mir die Wahrheit, ich bitte Euch, welche Irrthümer habe ich begangen?
Er erhielt keine Antwort. Der Graf ging hinaus, seine Freunde folgten ihm. Alles, was der unglückliche Monarch erreichen konnte, war ein besseres Zimmer, wo er genau bewacht wurde.
Inzwischen flogen Boten nach London und bald war es in der Hauptstadt bekannt, daß König Jakob gefangen, gemißhandelt, geplündert und in der Gewalt einer Bande Fischer sei, die ihn bewachten. Die Lage des Königs erweckte das Mitleid, das sich bei Bürgern und Pairs für ihn regte.
In die Sitzung der Pairs kam ein Mann als Bote des Königs, der einen Brief von ihm brachte, den er in seiner Noth geschrieben und welcher alle gute Engländer aufforderte, ihm zu helfen. Der Mann erzählte weinend, wie der König gekränkt, gestoßen und beraubt worden sei, und sogleich befahlen die Lords, daß Lord Feversham an der Spitze der Leibgarden aufbrechen sollte, um den Monarchen zu befreien und nach London zurückzuführen.
Die Lords sandten diese Nachricht in das Hauptquartier des Prinzen von Oranien, das in Windsor war. – Der Prinz ging mit seinen Vertrauten in dem großen Saale des Schlosses auf und ab, und nie hatte man ihn so heiter, so stolz und froh gesehen. – Der Königsthron lag vor ihm, der Weg war frei, er sah die Krone auf seinem Haupte, das Ziel seiner geheimen Wünsche erreicht.
In diesem Augenblick brachte ein Offizier die Nachricht von Jakobs Gefangenschaft. – Der Prinz stand starr vor Erstaunen, aber er wußte seine Empfindungen zu beherrschen.
Bentink und der Baron Zulestein Willem Hendrik van Nassau-Zuylestein wuchs mit dem fast gleichaltrigen Wilhelm III. auf, genoss dessen Gunst und diente unter ihm in der Kavallerie. Er ging 1688 mit Wilhelm nach England und erhielt hohe höfische und militärische Aemter. stießen einen Schrei der Ueberraschung aus, Burnet aber in seiner derben Weise schrie wüthend den Boten an:
Warum habt Ihr ihn nicht laufen lassen! Verdammt sei die Hand, die ihn festhielt; jetzt ist Alles verloren!
Es ist nichts verloren, sagte der Prinz kalt. – Ich freue mich, daß der König geborgen ist, aber nach London soll er nicht, wenn wir es hindern können. Ich fürchte, daß Se. Majestät im Whitehall-Palast nicht Sicherheit genug findet.
Er winkte seine Vertrauten in sein Kabinet und hielt einen langen geheimen Rath.
Lord Feversham, an der Spitze von 2000 Leibgardisten, führte den König nach London zurück. Jakob fuhr wieder in seinem vergoldeten Wagen und mehre Tausend seiner Anhänger aus allen Ständen eilten ihm nach Rochester entgegen, um ihn mit Jubel und Thränen zu empfangen und zu begleiten.
Es waren Männer darunter, die guten Rath zu ertheilen wußten und Jakob hatte sich wenigstens so weit gesammelt, um zu begreifen, daß Alles darauf ankam, mit seinem Schwiegersohn in persönlicher Unterredung sich zu verständigen. Er sandte von Rochester Lord Feversham mit einem Briefe an den Prinzen, aber er wartete die Antwort nicht ab, sondern zog vorwärts und erreichte London, ehe man es dachte.
Langsam fuhr der Wagen des Königs in der Mitte seiner Garden durch die kaum beruhigte Stadt, aber Jakob selbst bot einen kläglichen Anblick dar. Sein Geist war niemals klar und kräftig gewesen, sondern verworren, von phantastischen Ideen durchkreuzt, von religiöser Schwärmerei getrübt und von den hochmüthigsten Begriffen über seine Macht und Gewalt umnachtet; jetzt aber schien er gänzlich auch von dem Muth verlassen zu sein, der ihm in früheren Jahren eigen war. In einem Augenblick voll Hoffnung, warf ihn der nächste in die jammervollste Seelenangst zurück; was er jetzt für gewiß hielt, galt in der nächsten Stunde für unmöglich; was er beschloß, trug den Stempel der Schwäche und wo er das Richtige traf, wurde es in der folgenden Minute wieder verlassen. – Daß er sterben müsse, daß der Prinz ihm nach dem Leben trachte und daß Henker und Schaffot oder Gift und Dolch sein Ende sein würden, war ein furchtbares Gespenst, das Tag und Nacht nicht von ihm wich.
Als er durch die Straßen fuhr, neigte er sein bleiches, verfallenes Gesicht nach allen Seiten gegen die Menge. Es waren Viele, die ihm zuriefen und zuwinkten, sein Zustand hatte Mitleid erregt. Die alte Anhänglichkeit war nicht so ganz bei einem Theil der Bürgerschaft erloschen, der zumeist seine Sache gehalten hatte und immer noch hoffte, die alten Zeiten könnten wiederkehren. Ein anderer Theil freilich stand schweigend und betrachtete das wunderbare Schauspiel, aber kein Ton des Unwillens, kein Zischen und Geschrei ließ sich hören.
Jakob erreichte Whitehall in einem Zustand neuer Hoffnungen und neuer Träume. Seine Palastbeamten knieten um ihn und küßten seine Hände, seine Garden besetzten die Thore und Gänge, eine Anzahl Hofleute drängte sich herbei mit allen den Bediententugenden, die ihnen eigen sind, um die Rückkehr ihres Gebieters zu feiern.
Wo sind die Lords, die Bischöfe? fragte der König. –
Es war keiner erschienen.
Majestät, sagte einer der Offiziere, es verlautet, daß die Herren vom Oberhause sämmtlich nach Windsor entboten sind, wo Se. Hoheit der Prinz einen großen Rath hält.
Ich verstehe, erwiederte Jakob. Lord Feversham wird vor diesem Rathe gehört werden sollen, ehe ihm Antwort ertheilt wird.
Lord Feversham, sprach der Offizier mit dumpfer Stimme, ist bei seiner Ankunft in Windsor verhaftet und gefangen gesetzt worden.
Wer sagt das? – wer? rief der König heftig. – Mein Gesandter gefangen? – Wer hat es gewagt? – Warum?
Sie wagen Alles, sagte ein Hofmann. Die Mäuse tanzen auf Tisch und Bänken. Feversham ist verhaftet worden unter dem Vorwand, daß er kein frei Geleit nachgesucht habe. Man haßt ihn, man wirft ihm vor, die irische Nacht verschuldet zu haben, welche den Londoner Spießbürgern so viel Schrecken eingejagt hat und dem nichtswürdigen Pöbel das Plündern verleidete.
Ich werde mit diesen Lords zu reden haben, sprach der König, der seinen alten hohen Ton anstimmte, aber meine wackern Bürger von London verstehen mich besser. Sie haben mit den Glocken geläutet, sie haben mir entgegengejauchzt, sie haben Freudenfeuer angezündet. – Ruft den Lord-Mayor her, ich will mit ihm sprechen; ich will meine Sicherheit und meinen Thron den treuen Bürgern meiner Hauptstadt anvertrauen, nicht diesen Lords, die mich betrogen haben und weiter betrügen.
In wenigen Stunden wimmelte der alte Palast wiederum von Leuten die mit wunderbarer Schnelle aus ihren Schlupfwinkeln in Kellern und Gewölben hervorkrochen, wohin sie vor der Wuth des Volkes geflohen waren.
Das Volk, das den Palast umstand, sah katholische Priester darin zurückkehren, die Jakob mit liebevollem Bedauern empfing und ihre alten Wohnungen ihnen anwies. So kamen auch die Irländer schnell wieder zum Vorschein, man hörte den irischen verhaßten Dialekt auf allen Treppen und Gängen und das Volk heulte den verwünschten Paddy's Flüche nach und begann von Neuem zu fürchten.
Aber König Jakob ließ sich dadurch nicht stören. Er war fest davon überzeugt, die Sehnsucht des Volkes nach ihm sei wieder aufgewacht und sein alter Glaube an seine Unfehlbarkeit war so stark, daß am Abend an seiner Tafel ein Jesuit den Segen sprach, was den hochtorystischen protestantischen Herren, welche sich vereinzelt eingefunden hatten, ein bittres Seufzen und Stirnrunzeln abpreßte.
Plötzlich wurde die Thür geöffnet und der Baron Zulestein erschien. Jakob ging ihm entgegen, aber er bebte heimlich, als er in das blasse, undurchdringliche Gesicht des Diplomaten sah, der nicht ein Wort des Trostes für ihn hatte.
Ich hoffe, sagte er, Baron Zulestein, Sie bringen mir die freudige Botschaft, daß mein geliebter Schwiegersohn mich in St. James besucht. Gern hätte ich ihn in Rochester erwartet, wenn ich seinen Willen gekannt hätte.
Majestät, erwiederte der Baron, ich muß leider Ihnen berichten, daß Se. Hoheit nicht hierher kommen wird, so lange es hier Soldaten giebt, die nicht unter seinem Kommando stehen.
Ah! rief der König bleich und verwirrt, er will nicht kommen! Ich soll meine Garden entlassen, soll mich ganz in seine Gewalt geben? – Er und die Holländer und die Verräther Churchill, Gordon, der mörderische Kirke, der Schurke Trelawney! Was habt Ihr vor? Was wollt Ihr von mir? – Es ist unmöglich, das kann er nicht verlangen. Das heißt mich entehren.
Er setzte sich und verstummte. Der Baron versuchte den Prinzen zu rechtfertigen, der sich nicht in die Mitte feindlich gesinnter Schaaren begeben könne. Jakob antwortete nicht, und endlich ging Zulestein, ohne einen Bescheid erhalten zu haben.
Sie wollen mich morden! rief der König mit hohler Stimme, als er allein war. O! diese Lords, dieser Adel, er ist schuld an meinem Unglück. – Ich will das Volk aufrufen zu meinem Schutz. Das Volk ist treu, das Volk liebt mich, es ist redlich und verständig. Ich will mich in die Arme der Bürger werfen, sie werden mich vor den Verräthern schirmen. – Mein Gott, sprach er, die Hände faltend, ich habe diesem Adel so viel gegeben; ich habe ihn erhalten in allen seinen Vorrechten und Reichthümern. Mein Vater ist durch diese Menschen umgekommen, denn wären die Junker nicht gewesen, diese harten erbitterten Cavaliere, die ihm keine Nachgiebigkeit und kein Worthalten gestatteten, er hätte sich mit dem Volke versöhnt. – Oliver Cromwell hatte ihnen Alles genommen, ihre Titel, ihre Vorrechte, ihre Lord- und Pairschaft und hatte sie zu Bürgern gemacht, gleich allen Andern. Mein Bruder hob sie wieder auf ihre Sitze, doch bald waren sie von Neuem übermüthig und hochmüthig, und trachteten danach, sich neben den König zu stellen und ihn zu beherrschen. Ich habe diesen Hochmuth nicht dulden wollen, darum hassen sie mich, aber ich will mich mit den Bürgern verbinden und sie wieder hassen. Es ist nicht wahr, daß die Könige einen Adel haben müssen, weil sie zum Adel gehören; es ist nicht wahr, daß der König der erste Edelmann ist. Die Könige stehen höher; sie gehören zum Volk, sie stehen an der Spitze des Volks. Gott hat es ihnen gegeben, Gottes Wille ist es, daß niemand neben ihnen stehen soll.
Die Aldermänner und Sherifs der Hauptstadt waren im Gemeinderath beisammen und prüften die Botschaft des Königs, der sie befragen ließ, ob er auf ihren Schutz gegen den Prinzen zu rechnen habe, wenn er seine Residenz in der City aufschlage?
Im Gemeinderathe saßen viele Anhänger des Königs, die reichen Handelsherren und reichen Handwerker, welche manche schöne Lieferung für den Hof, für Heer und Flotte erhalten und vieles Geld gewonnen hatten. Diese Botschaft aber erschreckte sie. Denn wenn der Prinz mit seinem Heere anrückte, wenn das mißvergnügte Volk sich zu ihm schlug, was sollte dann aus ihnen werden? –
Viele Andere aber erinnerten sich Jakobs Gewaltthaten, der Justizmorde, welche auch die Bürger nicht verschont hatten, und der Schmälerung und Verfälschung ihrer Rechte. Keine Stimme erhob sich für ihn, kein Mann stand auf, der gelobt hätte, Gut und Blut für ihn zu wagen.
Einstimmig faßten sie den Beschluß, dem König zu antworten, daß sie nichts versprechen könnten, was sie nicht zu halten vermöchten; das ließen sie ihm durch eine Deputation erklären.
Jakob empfing diese Deputation mit freudigem Vertrauen.
Kaum aber hatte er gehört, was sie ihm brachte, als alle seine Pläne und Träume wie Kartenhäuser zusammenstürzten und unter ihren Trümmern seine Zuversicht begruben. Die Nacht seiner Seele erfüllte ihn mit neuen Schrecken. Er saß in seinem Stuhle wie ein Verscheidender, endlich öffneten sich seine Lippen und er sprach mit Bitterkeit:
Geht, Ihr seid nicht besser, wie die Anderen. Verlaßt mich, wie sie mich verlassen haben. Alles betrügt mich, Alles verräth mich. Ich könnte mich eben so gut von Holländern bewachen lassen, wie von meinen Leibgarden. – Nichts sehnlicher wünschen meine Feinde, als meine Flucht; Euch wollte ich vertrauen, aber ich weiß jetzt, was Eure Hurrahs und Eure Freudenfeuer werth sind.
Die Bürger entfernten sich, der Abend brach herein, der König war in größter Aufregung, seine Lage war seltsam. Er stand in seinem Palaste allein. Wo die letzten Posten seiner Garden waren, hörte seine Macht auf. Kein Minister war da, keine Regierung, kein rother Faden, der ihn mit seinem Reiche verband. Er wußte nicht, was außerhalb geschah, was mit ihm werden sollte. Er war wie ein Baum ohne Wurzel, der hin und her schwankt und den der nächste Windstoß niederwirft. –
Eine ungeheure Angst ergriff ihn. Er fürchtete jeden nächsten Augenblick; ruhelos trieb es ihn hin und her und zuweilen griff er an Brust und Kopf, als wisse er nicht, ob er noch lebe und athme.
Um die zehnte Stunde in der Nacht hörte er Lärm und trat an ein Fenster. Mit stillem Entsetzen sah er den Palast und Garten von Bajonetten umringt. Die harten Schritte geschlossener Bataillone und das Getrapp vieler Pferde ließen keinen Zweifel, daß er in der Gewalt seines Schwiegersohnes sei.
Gleich darauf trat der Anführer seiner Garden herein, der alte Graf Craven, der mit erhitztem Gesicht sagte:
Majestät, man hat uns umringt. Die Holländer fordern, daß wir uns zurückziehen und ihnen die Posten übergeben, aber eher lasse ich mich in Stücke hauen, als es geschehen soll.
Und was könnte es helfen? fragte Jakob. Laßt ihnen die Posten und zieht Euch zurück. Wir wollen zu Bett gehen und schlafen. Was können die Feinde mir Schlimmeres anthun, als was meine eigenen Unterthanen, ja meine eigenen Kinder mir angethan haben.
Verlassen von jeder Kraft und wie blödsinnig, überwältigt von seinem Mißgeschick, ging er in sein Zimmer zurück. Er glich einem Verurtheilten, den die Todesangst sinnlos gemacht hat, und der nun gleichgültig sein Schaffot errichten sieht.
Gottes Wille geschehe! murmelte er; er wird die Verräther finden, er wird mich rächen. Die heilige Jungfrau! die heilige Kirche! ich bleibe treu. Kein Atom! nicht ein Atom! –
Er stierte kindisch lachend vor sich hin und schlief ein.
Um Mitternacht wurde er aufgeweckt. Drei Lords waren in Whitehall und verlangten ihn zu sprechen. Es waren die Lords Halifax, Shrewsbury und der rauhe, heftige Delamere, die mit wichtiger Sendung zu ihm kamen.
Der König ließ sie in sein Schlafzimmer kommen, nachdem er einen Nachtrock übergeworfen.
Verzeihung, Sire, sagte Halifax, aber unser Geschäft erleidet keinen Aufschub.
O! erwiederte Jakob, bemüht Euch nicht, Mylord; was gäbe es wohl, was ich noch zu verzeihen hätte? Sagt kurz, was Ihr von mir wollt.
Weiß es Gott! Sire, fiel Shrewsbury ein, unsere Schuld ist es nicht, daß wir so vor Ew. Majestät erscheinen müssen.
Wen wollt Ihr anklagen, fragte Jakob; wenn Ihr es nicht seid? Ihr vor Allen, Shrewsbury. Doch sagt, was Euch zu mir führt.
Die Sache ist die, sprach Delamere, daß Se. Hoheit der Prinz in wenigen Stunden in Westminster sein wird. – Ein Zusammentreffen mit Ew. Majestät ist unter den jetzigen Umständen unmöglich. Wir sind daher beauftragt, dafür zu sorgen, Sire, daß mit Tagesanbruch Whitehall leer ist.
Was wollt Ihr damit sagen, rief der König erbleichend.
Ich soll fort? Wohin? In welches Gefängniß?
Vor der Hand, gab der Lord zur Antwort, als seine Gefährten schwiegen, ist das Schloß Ham an der Themse zum Aufenthalt für Ew. Majestät bestimmt.
Ham ist kalt, rief Jakob, unwohnlich, ein Sommeraufenthalt. Wenn ich fort soll, will ich nach Rochester, wo ich glückliche Tage gesehen habe.
Wir wissen nicht, Sire, sagte Halifax, ob dieser Wunsch Ihnen gestattet werden kann. Ich will jedoch sofort den Prinzen davon benachrichtigen lassen.
Jakob sah ihn starr an, und seine Augen füllten sich mit Thränen.
Ihr wißt es nicht – sprach er dumpf, ob es mir gestattet werden kann? – So bin ich gefangen? Hah, gefangen! und von dem Gefängniß eines Königs bis zu seinem Schaffot ist nur ein Schritt!
Er stieß diese Worte seines unglücklichen Vaters mit zitternder, gebrochener Stimme hervor, dann sagte er erschöpft:
Thut, was Ihr wollt, ich bin hülflos, ein schwacher, elender Mensch. Fragt Euren Prinzen, was mit mir geschehen soll, aber geht, laßt mich allein.
Die Lords gingen schweigend, selbst Delamere, der Jakob unversöhnlich haßte, schlug die Augen nieder. Er mochte den tief gefallenen Fürsten nicht anblicken.
In der Morgenfrühe stieg Jakob in die königliche Barke, welche an der Ufertreppe von Whitehall lag. Sein Weg ging durch ein dichtes Spalier holländischer Soldaten; zehn Boote mit ihnen gefüllt umringten das Fahrzeug des Königs. Bleich, zitternd, gebeugt unter der Last seines Jammers ging Jakob auf Middleton gestützt. Von aller seiner Größe, von der stolzen Größe seines Hauses war ihm nichts geblieben, als das Gefängniß, dem er entgegen ging. Eine kleine Zahl Hofdiener und alte Edelleute standen weinend und händeringend an der Wassertreppe; seine Augen bedeckend, ging der König vorüber, und indem er einige Namen nannte, rief er ihnen ein Lebewohl zu. – Die Barke fuhr schnell den Strom hinab; holländische Soldaten säuberten den Platz.
Alle Glocken Londons läuteten und ein betäubendes Freudengeschrei, das kein Ende finden wollte, begleitete den Einzug des Prinzen von Oranien, als er wenige Stunden nach Jakobs trübseliger Fortschaffung in St. James-Palast einzog. – Obwohl der Regen in Strömen niederfloß, war ganz London auf den Beinen. Von jedem Hut flatterte ein Orangeband, von jedem Stock und Regenschirm wehte das neue Herrenzeichen.
Der Prinz fuhr rasch durch den Park, neben ihm saß der grämliche Marschall Schomburg, der mit seinem verwitterten Soldatengesicht einen grellen Gegensatz zu dem blassen, ernsten Manne bildete, dem England entgegenjauchzte.
Alles was irgend Anspruch darauf machen konnte, im Palast zugelassen zu werden, hatte sich eingefunden, um der aufgehenden Sonne seine Ehrfurcht zu bezeugen, und wenn Wilhelm von Oranien nicht längst die Sclaven, welche sich vor ihm wanden, verachtet und verspottet hätte, so konnte er es diesmal lernen. –
Das Gedränge in den Vorsälen des Prinzen war so groß, daß es vielen Männern von Rang unmöglich war, bis in das Empfangszimmer zu kommen, welche Püffe sie auch austheilten und erhielten und wie sie ihr Ansehn geltend zu machen suchten.
Die Korporationen der City, der Richter und Advokaten, die Geistlichkeit und die vornehmsten und reichsten Männer wurden von dem Grafen von Devonshire dem Prinzen vorgestellt, der sie aufs schmeichelhafteste empfing. Wie anders war es doch zwischen dem Jetzt und Damals, wo Jakob hochmüthig auf sie niederblickte, ihnen heftige Worte und Drohungen an den Kopf warf und sie fortjagte, ihnen den Rücken kehrend, wenn sie es wagten ihm zu widersprechen. Der Prinz hatte für jeden ein freundliches Wort, hier eine Erinnerung, die Freude machte, dort eine Aufmunterung, da einen Dank und über seine broncenen Züge lief ein belebendes Lächeln, seine Stimme drang beruhigend in die Herzen, sein Adlerauge sah bis in den Grund der Seele und belauschte die geheimsten Gedanken.
Diese Vorstellung dauerte mehrere Stunden. Von Zeit zu Zeit ward sie von dem unermeßlichen Jubel der gedrängten Massen unterbrochen, die das Schloß umringten, und ihre Hüte und Tücher schwenkten, wenn der Befreier, wie er genannt wurde, ans Fenster trat und sich verneigte.
Nun, flüsterte Burnet seinem jungen Freunde Howe zu, der im Saale unter den englischen Offizieren des Prinzen stand, nun, William, ist es nicht schön diesen Tag zu erleben, und weckt er nicht Freude und Vertrauen auf die Zukunft?
Ich bewundere den Prinzen, erwiederte Howe, er ist ein großer Schauspieler.
Seid Ihr toll, Freund, erwiederte der Doktor. Ich sage Euch, er will Euch wohl. Die Zeit ist günstig, laßt sie nicht vorübergehen.
Nein, Burnet, gab Howe zur Antwort, ich habe an diesen Prinzen, der bald König sein wird, nur eine Bitte, nämlich die, mich in Gnaden zu entlassen.
Ihr seid ein Thor, Freund, lachte der Doktor. Seht, da steht Churchill. Er hat den Auftrag, das Heer neu zu organisiren, und wird an die Spitze gestellt werden, obwohl, flüsterte er leise, der Prinz ihn verachtet. Euch aber achtet er, und so jung Ihr seid, wird er Euch emporheben und zu wichtigen Diensten verwenden.
Ich aber, rief Howe, will mich nicht zu Diensten verwenden lassen. Ich bin ein unabhängiger Mann, und Euch kann ich's sagen, Burnet: der Prinz verachtet Churchill, ich verachte sie beide.
Schweigt! murmelte der Doktor erschreckt. Welche Narrheit ergreift Euch. Der Prinz ist der erste Held, der größte Staatsmann Europa's. Die mächtigsten Fürsten verehren ihn, Völker liegen zu seinen Füßen, England betet ihn an.
Und ich verachte ihn, sagte William, trotz aller seiner Größe, seiner Weisheit und seines Ruhmes. Ihr seht, Doktor Burnet, ich bin nicht für den Hof zu brauchen. Morgen reise ich mit Lätitia nach Northumberland.
So geh, Du trotziger Mann, geh, erwiederte Burnet mit einer Mischung von Aerger und Wohlgefallen in Stimme und Gesicht. Du stößt Dein Glück von Dir.
Ich nehme mit mir, was mein Glück ist, sagte er lächelnd.
Besucht uns in unserer Einsamkeit, Ihr werdet uns zufrieden finden. Kommt zu uns, theurer Freund, wenn dieser Prinz König sein wird und es für gut findet, den unbequemen Rathgeber von sich abzuthun. Die Stunde wird nicht ausbleiben, glaubt es mir. Er wird Euch lohnen, wie er Jakob gelohnt hat.
Burnet war nachdenkend geworden. Er drückte Howe die Hand und wendete sich ab. Der Prinz ging so eben aus dem Saal und warf ihm einen einladenden Blick zu, den er verstand. – Nach einer halben Stunde war der Doktor mit wenigen Vertrauten allein bei dem neuen Herrscher, der stumm und regungslos in seinem Stuhle saß, während lange hin und her gestritten wurde, was geschehen müsse, um ihn zum König zu machen.
Der größte Theil der Versammelten drang in den Prinzen, den Thron für erledigt zu erklären und sich die Krone mit dem Rechte des Eroberers aufzusetzen. Sei dies geschehen, so möge das Parlament zusammen gerufen werden, das keine Umstände machen würde, die vollendete Thatsache anzuerkennen.
Der Prinz schüttelte endlich lächelnd zu allen diesen Vorschlägen den Kopf.
Ihr Herren, sagte er, vergeßt nicht, daß ich in meinen Proklamationen feierlich versprochen habe, von keinem Eroberungsgelüst geleitet zu sein, nicht allein England, sondern dem ganzen Europa ins Gesicht. Das will ich halten. – Ein freies Parlament soll über alle Klagen entscheiden, diesem Parlament gebührt es auch, die Thronfrage zu bedenken.
Was kann es entscheiden, erwiederte einer der Lords, die zugegen waren, so lange ein König vorhanden ist, der ein paar Meilen von London aufbewahrt wird, bis seine Partei sich wieder zusammenfindet. Hoffe Niemand, daß das Parlament ihm die Krone absprechen wird. Hätten Ew. Hoheit unseren Rath befolgen wollen, so wäre der König gefangen nach Breda geführt worden, bis man ihm ein sicheres Plätzchen in den Kolonien angewiesen hätte.
Niemals, Mylord, würde ich dazu meine Hand geboten haben, rief der Prinz hastig und stolz. Ich beklage es schwer genug, daß ich das Werkzeug sein muß, um meinem Schwiegervater Leid zuzufügen; nur in der Reinheit meiner Absichten, finde ich meine Rechtfertigung. – Ich bin durch die Gewalt der Umstände dazu genöthigt worden, fügte er ruhiger hinzu, übrigens weiß ich zu gut, daß das weiche Herz meiner Gemahlin Maria es nie dulden könnte, ihren Vater in einer holländischen Festung eingesperrt zu sehen.
Was aber soll geschehen in dieser schwierigen Lage? fragte Lord Devonshire. – Wir können sicher sein, daß in wenigen Tagen die erschrockene Partei des König sich wieder sammelt. Schon hat sich der Erzbischof von York von uns zurückgezogen, Andere werden seinem Beispiele folgen. Ew. Hoheit werden sehen, wie die besten Tories morgen schon nach Rochester wallfahrten und reuig dort Abbitte leisten.
Mein Wille ist, sagte der Prinz, daß so schnell als möglich, schon in den nächsten Tagen die Häuser des Parlaments sich versammeln. Mögen sie unvollständig sein. Versammelt, was sich versammeln läßt; nehmt zusammen, was unter Karl dem Zweiten im Unterhause saß, fügt die Erwählten des Gemeinderaths dazu, so wird eine Regierung vorhanden sein, mit der ich mich weiter verständigen kann.
Und der König Jakob? fragte eine tiefe Stimme.
Wir werden ja sehen, rief der Prinz, seine Adlerblicke umherwerfend, wir werden sehen, was Se. Majestät zu sagen hat. – Ich wünsche nichts als den Frieden und das wahre Wohl dieses Landes und will den Tag segnen, wo von Neuem Volk und Fürst in glücklicher Eintracht hier zusammen wohnen.
Er entließ die Versammlung, nachdem die schnellste Zusammenberufung des Parlaments festgestellt war, und Jeder erhielt ein Lächeln und einen Dank auf den Weg; als er jedoch allein war mit Burnet, Zulestein und Bentink, sanken seine Züge zu ihrer erznen Düsterheit zusammen, bis ein spöttisches Lächeln sie wieder belebte.
Das Parlament wird ihm die Krone nicht absprechen, sagte er vor sich hin, aber ich soll es auf mich nehmen, ihm einen Ruheplatz in den Kolonien zu verschaffen! – O! ich kenne sie. Es wird dahin kommen, daß sie mein Recht bestreiten, an Marias Seite auf dem Thron zu sitzen. –
Das größte Unglück für uns war es, rief Burnet, daß diese tölpelhaften Fischer ihn nicht gehen ließen. Der Thron ist erledigt, sobald er nicht mehr da ist. Selbst die Tories werden es nicht wagen, dies zu bestreiten. Wenn er aber nicht gehen will, so muß man Mittel ergreifen es ihm für immer unmöglich zu machen.
Nichts! rief der Prinz mit einem finstern Blick auf den Doktor. Dann wendete er sich zu Zulestein und sagte mit seinem kalten Lächeln: Sind meine Befehle in Rochester genau befolgt?
Das Schloß ist mit Wachen dicht umringt, erwiederte der Baron, aber der Park ist frei, das Wasser offen.
Wilhelm von Oranien nickte ihm freundlich zu.
So laßt es auch frei, sagte er. Wir wollen keinen Gefangenen bewahren; nur zu seiner eigenen Sicherheit und des allgemeinen Besten wegen hält sich der König in Rochester auf. Man soll nicht sagen, daß wir grausam sind. Haltet Euch ruhig, die guten Nachrichten werden nicht ausbleiben.
Die Vertrauten lachten, sie wußten was der Prinz meinte und seine Klugheit war gewöhnt, so fein zu rechnen; sie täuschte sich so selten, daß Niemand daran zweifelte, sein Plan werde gelingen, ohne daß die geringste Gewaltsamkeit angewendet zu werden brauchte, und Niemand in der Welt die Hand gegen ihn erheben konnte.
Am nächsten Tage empfing der Prinz seine Schwägerin, die Prinzessin Anna, die mit dem Est-il possible, ihrem dänischen Gemahl, und ihren vertrauten Freunden, dem Ehepaare Churchill, in St. James-Palast erschien.
Eine geheime Unterredung fand statt, der Prinz überhäufte die schwache Prinzessin und ihren albernen Gatten mit zärtlichen Liebkosungen.
Aber was soll aus meinem Vater werden? sagte Anna.
Ergebt Euch darein, erwiederte Wilhelm, Ihr werdet ihn nicht wieder sehen.
Wollt Ihr ihn einsperren, oder was wollt Ihr mit ihm machen? fragte sie gleichgültig.
Nicht doch, sagte er, wir wollen seinem großmüthigen Freunde, dem großen Ludwig von Frankreich, ein kostbares Geschenk mit ihm machen.
Und Ew. Hoheit wird sich die Krone von England aufsetzen? sagte Anna.
Wer sagt das? fragte er überrascht.
Man erzählt es sich auf allen Straßen, fuhr die Prinzessin fort. Die guten Bürger von London freuen sich auf einen glänzenden Krönungszug.
Est-il possible! rief der dänische Prinz.
Theure Anna, sagte Wilhelm, wenn das waltende Schicksal mich auf diesen Thron ruft, den ich neben meiner Gemahlin, Eurer ältern Schwester, nur besteigen kann und will, wer wird die Früchte davon ernten, wenn mein Leben in Sorgen und Unruhen vergeht, um Frieden und Ordnung in diesem Lande herzustellen? – Ihr allein! – Ich habe keine Kinder, Euch und den Euren fällt zu, was ich aufbaue, für Euer Geschlecht wache ich und arbeite; überdieß aber soll ein feierlicher Akt Euren Kindern die Thronfolge sichern, im Fall, was Gott verhüte, Maria stürbe und ich zu einer zweiten Heirath schritte.
Die Prinzessin zeigte sich zufrieden, sie lächelte. –
Und meine Einkünfte bleiben mir, sagte sie.
Es soll Euch nichts geschmälert werden. – Geht mit mir Hand in Hand und denkt daran, daß nur so Euch die Zukunft gehört. – Wenn König Jakob wiederkehrt, habt Ihr nichts zu hoffen.
Er darf nicht wiederkehren! rief die Prinzessin. Schafft ihn fort. Er würde mir nie vergeben, was ich gegen ihn gethan.
Euch so wenig als Eurer Freundin, Mistreß Freeman, sagte der Prinz lächelnd. Churchill, welcher der Gegenstand seiner glühendsten Rachelust ist, würde wohl noch übler fortkommen.
Nun, seid unbesorgt, fuhr er fort. Ich habe Churchill zum Oberbefehlshaber des neu organisirten englischen Heeres ernannt und werde ihn zu beschützen wissen. Was den Prinzen von Wales betrifft –
Nennt seinen Namen nicht, rief die Prinzessin. Nie werde ich an einen solchen Prinzen glauben, der erfunden wurde, um meinen Kindern ihr Erbe zu entreißen.
So sind wir ganz einig, und glaubt mir, wir können nichts Besseres thun. Nur wenn wir einig sind, werden wir den Parteien und unsern Feinden widerstehen. Doch laßt sie kommen. Als Schild und Hort der protestantischen Kirche Englands werde ich weder Irländer noch Schotten fürchten. Weil er ein Papist war, darum ist Jakob gefallen. Nie wird ein katholischer Fürst wieder in London einziehen, aber die Katholiken werde ich schützen, wenn sie vernünftig sein wollen, so viel ich kann, und von den alten Rechten und Freiheiten dieses Landes soll dem Volke kein Titelchen verloren gehen. Ich werde sie sichern, weil ich es will und muß.
Am folgenden Tag wurde die Versammlung der Pairs eröffnet, es waren ihrer an Siebenzig beisammen.
Mylords, sagte der Prinz, ich habe gewünscht, daß Ihr hier zusammenkämet, um Rath über die beste Art zu pflegen, wie zum Ziele meiner öffentlichen Erklärung gelangt werden mag. Das heißt, es soll ein freies Parlament berufen werden für die Erhaltung der protestantischen Religion, die Wiederherstellung der Rechte und Freiheiten des Volks und ihre Sicherstellung, damit sie nie Gefahr laufen mögen, noch einmal von einem Könige dieses Landes angegriffen und umgestürzt zu werden.
Ein freudiger Beifall belohnte ihn dafür. –
Lord Shrewsbury stand auf und sagte:
Es giebt nur einen Wunsch, der ganz England beseelt, der Wunsch innigster Dankbarkeit für den edlen Prinzen, der uns von gränzenloser Tyrannei befreite.
Und der uns nie verlassen möge, so lange noch eine Gefahr vorhanden ist, fügt ein Anderer hinzu.
Mylords, sagte der Prinz sich verbeugend, ich danke Ihnen. Erwägen Sie, was Sie zum Wohle des Vaterlands zu thun haben. – Berufen Sie so schnell als möglich das Parlament; was dies beschließt, werde ich zu beschützen wissen.
Mit diesen Worten ging er; er wußte daß sein Spiel gewonnen war. – Er musterte sein Heer unter dem Jubel des Volkes; wo er sich zeigte, begleitete ihn der Beifallsruf; das Volk war ganz Liebe und Verehrung, als der Prinz das Abendmahl aus den Händen des Bischofs von London nahm. –
Was können denn diese armen Lords noch thun, rief Burnet lachend. Wenn Jakob nicht davon läuft, müssen sie ihn absetzen. König kann nur Wilhelm jetzt noch sein, und er ist es schon. – Es lebe die Weisheit, welche die Dummheit zu benutzen versteht, und der Henker hole den Narren, der drei Königreiche für eine Messe fortgegeben hat!
In einem der düsteren und festen Gemächer des Towers saß Jeffreys seit zwei Monaten als ein Gefangener, der dem Richterspruch entgegenharrte. Man schien ihn vergessen zu haben unter den erschütternden Bewegungen, die dem schrecklichen Tage folgten, an welchem alle seine Macht plötzlich endete, aber das Volk hatte ihn nicht vergessen. Wenn er zuweilen einen Menschen erblickte, der aus der Außenwelt ihm nahe kam, konnte er den Haß und den Abscheu deutlich erkennen, den seine Nähe verursachte. Er sah die Blicke der Rache, welche ihn verfolgten und mit Zittern hörte er, wie man mit Jubel und Hohn von der Stunde sprach, wo er den Lohn seiner Verbrechen empfangen werde.
Aber diese Stunde kam nicht. Er hatte ein paar Verhöre vor den Lords gehabt und hatte sich geschickt mit den Befehlen des Königs vertheidigt, die er vollzogen habe. Dann war er in sein Gefängniß zurückgeführt, aber man hielt ihn strenger als früher. –
In dem innersten Hofe hatte er eine Zelle bezogen, ein düsteres Gewölbe, groß und grau mit schmalen engvergitterten Fenstern, und hierher drang nichts mehr von dem Leben der Welt. – Vor ihm hatten viele Männer darin gewohnt, die nicht eher es wieder verließen, als um das Schaffot zu besteigen. Wenn er hinaus sah in den feuchten Raum zwischen hohen Mauern, sah er auf den Platz, wo zahlreiche heimliche Hinrichtungen seit Jahrhunderten stattgefunden hatten; wenn er in die Winkel und Ecken dieser schrecklichen Gemäuer blickte, regten sich unheimliche Gestalten, starrten ihn mit hohlen Augen an und winkten ihm zu. –
Jeffreys kannte die Geschichte dieses merkwürdigen Staatsgefängnisses, das vom schuldigen und schuldlosen Blute triefte, welches hier vergossen worden war. Die entsetzlichen Zeiten der Eduarde, Richarde und Heinriche hatten hier die Opfer ihrer Herrschgier und Tyrannei geschlachtet, Prinzen und Herzoge, Weiber und Mädchen, Kinder und Greise waren gemordet worden, und wie viele Lords, Edle und Unedle, Minister und Kanzler wurden in diesen grauen Gewölben dem Henkerbeile aufgespart! –
Je länger die Gefangenschaft Jeffreys dauerte, um so quälender und schrecklicher wurde sie. Seine mürrischen Wächter kehrten sich nicht an seine Bitten und Wünsche; er, der so entsetzliche Qualen über viele menschliche Wesen verhängt hatte, dem diese Qualen einen kitzelnden Nervenreiz machten, an welchem er sich weidete, er mußte es erleben, daß ihm jetzt das Gleiche geschah. Seine Angst, sein Entsetzen, seine flehenden Blicke, seine Bitten und seine Wuthausbrüche wurden mit kaltem Hohn erwiedert. –
Weder irgend eine Gemeinschaft, noch irgend ein Verkehr, weder Licht noch Bücher und Papier war ihm gestattet. Er blieb mit den Schreckbildern seines Gehirns allein und hatte Zeit, die lange Reihe seiner Blut- und Gräuelthaten zu bedenken.
Wenn der Abend kam und die langen Nächte, wenn der Sturm durch den öden kleinen Hof heulte und der Regen an die Gitter schlug, lag er stöhnend auf seinem Lager. Eine Unwiderstehliche Macht zwang ihn dann die Augenlieder zu öffnen und den Tänzen der blutigen Todten zuzuschauen, die sich um ihn zu regen begannen. – Alle die entsetzlichen Scenen, die er vor den Schranken der Gerichtshöfe erlebt, alle die Martern, welche er veranstaltet, all' der Wahnsinn, den er heraufbeschworen, zeigten sich ihm dann in tausend verzerrten Gesichtern, die er kannte. – Und nirgend ließen sie ihm Ruhe; er sah sie wachend und im Traum, sie flüsterten ihm zu, wenn er denken wollte, sie weckten ihn aus dem Schlaf mit ihrem Schmerzensschrei, er hörte ihr Geheul und ihr Gelächter, wenn er beten wollte.
Der starke, muntere Jeffreys, der Mann mit dem rothen Gesicht und dem herzlichen Wohlbehagen, war vergangen vor den Schrecken dieser Tage und Nächte. Bleich und hohläugig irrte er ruhlos in dem weiten Gewölbe auf und ab, frierend auf den feuchten Steinplatten und vor Hitze innerlich verschmachtend, mit trockener Zunge und glühendem Athem. Seine wilden Augen waren blutig unterlaufen und die zuckenden, fürchterlichen Lippen, welche kein Sterblicher ohne Entsetzen betrachten konnte, verzerrt, zusammengepreßt, blau und blutlos.
Und wenn er mit den Todten fertig war, wenn der Tag kam und mit dem holden Lichte des Lebens auch seinen Kerker anfüllte, füllten die Ahnungen seiner Zukunft mit grauenhafter Gewalt seinen matten Kopf und peinigten ihn mit neuer Todesangst. Er wollte leben, er klammerte sich an das Dasein fest. Er hatte so oft über das Nichts eines Jenseits gespottet; jetzt dachte er daran mit unerträglichem Entsetzen, das seine Adern und sein Gehirn verbrannte.
Eines Abends saß der Kanzler im Halbdunkel und mit glühenden Blicken betrachtete er seinen großen Siegelring, der die letzten Schimmer des Lichtes auffing. Es war das kostbare Geschenk des Königs, als Jeffreys von den blutigen Assisen am Westen zurückkehrte, als Monmouth und Argyle abgeschlachtet waren, das Blut an hundert Henkerbeilen trocknete und die Schaaren des gefangenen ärmeren Volks nebst Weibern und Kindern in westindische Sclaverei verschachert wurden, zum Besten der Hoffräulein und der Feste der Königin.
Aus dem großen Raube der Gemordeten machte Jakob seinen Ministern reiche Geschenke, und Jeffreys, der Kanzler geworden war, erhielt Güter aller Art, Gold und diesen großen Diamantring. Unter seiner Platte aber war etwas verborgen, das jetzt den Gefangenen mehr beschäftigte, als der Glanz des köstlichen Steines. Von einem Italiener, der im Dienste der Königin war, und welcher ihn in einer Krankheit behandelte, hatte Jeffreys einst ein Pulver erhalten, ein wenig grauweißer Staub, kaum bemerkbar, aber von mächtiger Wirkung. –
Wenn Ihr, Herr Kanzler, hatte der Arzt mit einem wilden Lächeln gesagt, einst einen Menschen wißt, der neben Euch nicht länger leben darf, so gebt ihm dies und er wird Euch keine Sorge mehr machen. –
In die Platte des Ringes wurde der graue Staub geschüttet, seine Kraft sollte keine Zeit verändern und Jeffreys trug ihn an der Hand, oft darüber brütend, wer einmal die Probe machen sollte.
Wenn ich wüßte, murmelte er dumpf vor sich hin, daß es da drüben nichts gäbe, wenn ich wüßte, daß Alles ein Ende hätte, nichts bliebe als Tod, Vernichtung, eine Hand voll Staub, ich würde mich dahin retten. Aber nein! nein! schrie er, die Augen von dem Ringe abziehend; ich will leben, ich will nicht sterben. Verflucht sei der Gedanke! verflucht das Gift! verflucht der Ring! und er riß ihn von seinem Finger und schleuderte ihn von sich in die Finsterniß. Ich will leben! rief er, die Arme ausbreitend, ich werde leben. Was wollen sie von mir, was können sie von mir wollen? Sie werden mich frei lassen müssen, und meine Schätze sind wohl verwahrt, gut geborgen. Ich werde reich, ich werde frei und glücklich sein. Sie sagen, Blut und Thränen haften daran, die Seufzer der Sterbenden, das Geheul der Wittwen und Waisen. Haha! die Todten kehren nicht zurück, aber König Jakob wird wiederkehren. Er wird auf seinem Throne sitzen, er wird Gericht halten und dann, Jeffreys, dann ist die Stunde der Rache gekommen; dann wirst du sitzen zu seiner Rechten und wehe ihnen Allen! Howe, Burnet, Lätitia! ihr sollt mir nicht entkommen.
Er versenkte sich in Rachegedanken, die ihn beglückten. Die Wollust, welche er einst bei dem Geschrei der Leidenden empfunden, kehrte zurück und malte sich in seinem Gesicht; er hörte kaum, daß die Schlösser und Riegel seines Kerkers geöffnet wurden; aber plötzlich sah er einen Menschen an der Thür stehen, der eine Laterne gegen ihn aufhob und er stieß einen Schrei der Freude aus, als er Wilkins erkannte.
Mein edler, mein herrlicher, mein prächtiger John, rief er, ich sehe Dich wieder. Wie hast Du es möglich gemacht, bis zu mir zu dringen?
Ich habe mich zum Gehülfen des Gefangenwärters gemacht, erwiederte der Schreiber mit heiserer Stimme.
Du kommst mir zu helfen, mich zu befreien, flüsterte Jeffreys, ihm die Hände drückend.
Ich komme Euch zu sehen und Euch Gesellschaft zu leisten, sagte der Schreiber.
Ich verstehe, ich verstehe! lachte Jeffreys. Sei vorsichtig, John, nimm Deine Maßregeln, übereile nichts. Gottes Segen über Dich und reicher Lohn. Auch der König wird Dir lohnen.
Ich denke er wird es, erwiederte Wilkins.
Ein fernes dumpfes Schreien drang durch die Luft bis in das düstere Gefängnißgewölbe.
Was ist das? fragte Jeffreys aufhorchend. Ein Geschrei, wie wenn hunderttausend Menschen ihre Stimmen erhöben.
Es ist das Volk von London, sagte Wilkins, das für den neuen König seine Huzzas erschallen läßt.
Dem neuen Könige, sagst Du? rief der Gefangene.
Dem Könige Wilhelm, fuhr der Schreiber fort. Das Parlament hat endlich eingewilligt. Jakob, das wißt Ihr wohl, ist aus Rochester nach Frankreich entflohen; jetzt hat das Parlament ihn auf immer verbannt, seiner Krone verlustig erklärt, so auch seinen Sohn, den sogenannten Prinzen von Wales.
Das haben sie gethan! sprach Jeffreys dumpf.
Das haben sie gethan, antwortete Wilkins. Als der Holländer sprach: ich will nicht der Thürsteher meiner Gemahlin sein, auch nicht so lange König als sie am Leben ist, sondern König auf Lebenszeit; und wenn ihr nicht wollt, kehre ich nach dem Haag zurück; dann aber seht euch vor, daß König Jakob nicht wiederkehrt und das Scheusal Jeffreys mit ihm, da thaten sie Alles, was er wollte.
Das Scheusal Jeffreys! murmelte der Kanzler.
Daß der nicht wiederkehren soll, lachte Wilkins, das hat der wilde Graf Danby feierlich laut geschworen, und alle die edlen Lords erhoben sich von ihren Sitzen und sprachen, es sei Zeit den Prozeß zu beginnen.
Wie, schrie Jeffreys, ängstlich die Hände faltend, mir wollen sie den Prozeß machen?! Sie werden mich nicht verurtheilen, sie können es nicht; kein Richter kann es, es ist unmöglich! sagte der Kanzler zitternd.
Sie werden Euch verurtheilen, rief Wilkins höhnend, wie sie Strafford verurtheilt haben und Vane und zahllose andere Männer. Wen gäbe es, der nicht von diesen Pairs verurtheilt wird, wenn der König es befiehlt. Aber Euch werden sie zum Tode führen lassen, weil das Volk es so will. London freut sich darauf. Es wird ein Tag des Jubels sein, ein großes Volksfest, wenn der Wagen Euch nach Tyburn-Hill Siehe Anm. 23. fährt. Jedes Fenster wird eine Guinee kosten.
Hah! rief Jeffreys schaudernd. Ich sehe sie Alle. John Ketsh mit dem stumpfen Beile und den Block, auf welchen Sidney sein Haupt legte. – Aber nein, ich werde leben, ich werde den Mördern entkommen.
Wenigstens dem Block und dem Beil, rief Wilkins, seine Laterne hochhaltend, um den Ausdruck des Entsetzens und jeden Wechsel der Empfindungen in Jeffreys Gesicht zu belauschen.
Du wirst mir helfen, flüsterte der Kanzler schmeichelnd, Du wirst mich retten, mein treuer John.
Sie werden Euch nicht köpfen, sagte der Schreiber mit eiserner Gelassenheit, denn diese Gnade habt Ihr nicht zu erwarten. Sie werden Euch aufhängen an Eurem Halse und wie es Recht und Gesetz ist bei Hochverräthern und Mördern, wird man Euren Leib aufschneiden, sobald Ihr den Faden um Eure Kehle habt, Eure Eingeweide in die glühenden Kohlen werfen und endlich Euer Herz nehmen und Euch dreimal in das verfluchte Antlitz schlagen.
Wer? – wer? schrie Jeffreys in wilder Angst. Meinen Hals zuschnüren, meine Eingeweide verbrennen! – Entsetzlich! fürchterlich! Menschen können es nicht thun.
Ich werde es thun, ich! rief Wilkins, und seine Züge verzerrten sich in grimmiger Freude, seine Augen leuchteten vor Entzücken.
Du? fragte der Kanzler, ihn stier anblickend, Du bist ja John, mein treuer Diener, mein Freund. Oh! ich bitte Dich, John, erbarme Dich, sage mir, daß Du mir helfen willst! Fordere, ich bin reich, ich habe viele Schätze, heimlich habe ich sie verborgen; ich will Dir Alles geben, was ich habe.
Er fiel vor ihm nieder und umfaßte seine Knie.
Und wenn es in meiner Macht wäre, mit einem Fingerdruck alle Mauern zu sprengen und Euch zu befreien, sagte Wilkins jauchzend über den Anblick, und wenn alle Schätze der Welt mir dafür geboten würden, ich würde es nicht thun.
Du willst nicht? schrie Jeffreys, sich an ihn festklammernd. O! Du willst, Du mußt wollen! – Erbarme Dich, John, erbarme Dich!
Der Schreiber stieß ihn mit dem Fuß zurück und machte sich frei. –
Wißt Ihr denn noch nicht, hochgebietender Mylord Jeffreys, sagte er, daß ich es war, der Lätitia Grey befreite, der ihrem Geliebten Eingang in Euer Haus verschaffte, der jeden Eurer Schritte bewachte, der Euch verrieth und fing, als Ihr als Matrose zu entkommen suchtet, und der Euch hierher schaffte, hierher in den Kerker des Towers. – Ihr habt versprochen, an Eurem Ehrentage mir eine Gnade zu gewähren. Dein Ehrentag, Du grausamer Schelm, ist der, wo Du zum Hochgericht fährst, Dein Hochzeitstanz ist der Tanz am Galgen und Deine Gnade für mich soll die sein, als Dein treuer Kammerdiener Dich dort zu bedienen. – Des Henkers Gehülfe will ich sein und bei Dir bleiben bis zum letzten Augenblick.
Eine Minute lang stand Jeffreys ganz betäubt von dem, was er hörte, dann stieß er einen furchtbaren Schrei aus, und stürzte sich auf Wilkins, der rasch zurücktrat und die eiserne Thür zuwarf. –
Morgen, rief er hohnlachend von außen, morgen, Mylord, sollt Ihr vor Eure Richter und sie werden rasch mit Euch fertig sein. Dann sehen wir uns wieder.
Halt ein! schrie der Kanzler, komm zurück, komm nur einen Augenblick, John; lieber John, Elender, Verräther, Mörder! –
Er warf sich gegen die Thür, er kroch auf dem Boden umher, ein wildes Gelächter schien aus den Mauern zu dringen, namenlose Wuth und Verzweiflung erfüllten ihn. – Plötzlich fühlte er etwas in seiner Hand, das neben ihm lag, und ein glühender Gedanke fuhr wie ein Blitz durch ihn hin. –
Ich habe es, rief er leise lachend; ich habe es, hier, hier! –
Es war der Ring, den er fortgeworfen. hatte. Er öffnete vorsichtig die Platte. Mit zitterndem Verlangen nahm er ihn in den Mund und schleuderte ihn von Neuem fort, als er nichts schmeckte, nichts fühlte.
Es ist nichts! rief er, ich bin betrogen und morgen schon soll ich vor Gericht, morgen schleppen sie mich fort nach Tyburn, wo der Galgen steht. Haha! John Ketsh wartet mit seinen Gehülfen. Habt Erbarmen, John, habt Erbarmen!
Er sank in einem Winkel zusammen, aber nach einiger Zeit begannen seine Glieder wie von Feuer zu brennen; seine Zunge vertrocknete, sein Gehirn schien in Flammen zu stehen, seine weit geöffneten Augen wollten bersten, sein Leib zerspringen. – Ein furchtbarer unersättlicher Durst peinigte ihn, er schrie nach Wasser, nach Hülfe. Wahnsinnige, tödtliche Angst tobte durch seine Adern. Das Gefängniß, das Haus, der Himmel schien voll Flammen, die ihn erstickten. Er wollte hinaus und sich retten, aber er fand keinen Ausgang. Er strebte an den kalten glatten Mauern in die Höhe zu kommen, dem Feuer zu entgehen, das ihn verzehrte; er suchte die Thür an der Decke. Und immer schrecklicher, immer teuflischer und entsetzlicher wuchsen Angst und Schmerzen, bis sein Geschrei endlich Wachen und Wärter herbeirief.
Man fand ihn in wilder Fieberglut und Raserei. Aerzte kamen, aber sie brachten keine Hülfe. – Kein Wasser der Welt reichte hin, seinen Durst zu löschen, kein Mittel gab es, das Feuer, das ihn verzehrte, zu dämpfen. Bis zum nächsten Abend trieb er es, um Kühlung und Erbarmen flehend, dann legte der Tod die kalte Hand auf sein Herz und es stand still. In Wirklichkeit starb Jeffreys im Tower of London an Nierenversagen. Er hatte bereits seit längerem an Nierensteinen gelitten.
Um Mitternacht wurde sein Körper in einen schmalen Sarg gebettet. – Wilkins legte seine Hände ins Kreuz; sein letzter, finstrer und unbefriedigter Blick ruhte auf dem Gesicht des Todten und leise murmelte er:
Sie sagen, Du wirst verflucht sein, so lange es Menschen giebt, die von Dir erzählen, und mit diesem letzten Trost will ich Dich verscharren. – Sei verflucht auf ewig, hier wie dort!
Dann trugen sie ihn nach der Kapelle des Towers und gruben ihn unter dem Altar ein, in jener Kapelle, wo so Viele liegen, die hier starben. Dort ruht der furchtbare Kanzler bis auf diese Stunde, aber der Fluch ist wahr geworden und wird ewig währen, so weit das Andenken der Menschen reicht. –
Wenn von den Henkersknechten der Tyrannei erzählt wird, von feigen Tyrannen, welche die Besten und Edelsten mordeten, weil sie nach Recht und Freiheit strebten, werden Jeffreys und König Jakobs blutige Schatten immer wieder aus ihren Gräbern steigen, um den Fluch nachgeborener Geschlechter zu empfangen.