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Die Abenteuer einer Nacht.


In Madrid lebte vor mehreren Jahren ein Student, der unter seinen Alters- und Studiengenossen einen wohlbekannten Namen hatte. Man nannte ihn allgemein el rojo, den Rothen, und mit dieser Bezeichnung riefen ihn auch die meisten der Müßiggänger, welche nach der Siesta die Straße Alcala hinauf- und hinabschwatzen, an der Puerta del Sol sich zusammen finden, um Neuigkeiten zu hören und zu erzählen, Liebschaften und Abenteuer zu suchen, und endlich mit dampfender Cigarre bei einem Cafetero eintreten, um die schöne Welt zu mustern und zu belachen.

Man glaube aber nicht, daß sein Beiname einen Spott über fein rothes Haar enthielt, es war vielmehr eine Schmeichelei, und Niemand konnte stolzer sein, als Sennor Frederico, über den Schmuck seiner goldenen Locken, die er ziemlich lang auf seine Schultern herabfallen ließ.

Nicht alles, was selten ist, ist schön, es gehört dazu die oft wunderliche und abweichende Anerkenntniß des Geschmackes, der unendlich verschieden ist unter den verschiedenen Erdbewohnern. In Spanien aber bewundert man den gelben, goldscheinigen Haarschmuck, und es war daher ganz in der Ordnung, daß Frederico beneidet und mit zärtlichen Blicken betrachtet wurde.

Diese letzten kamen natürlich von den kleinen, schwarzen, feurigen Sennoritas, welche in Schleiern und Mantillen mit ihren Beschützern gingen oder fuhren, oder auch hinter den Jalousien standen und aus ihrem Versteck Jasminblüthen auf den Studenten herabwarfen. Es waren, wie die Schrift sagt, aus welcher ich meine Nachricht entnehme, manche darunter, die sich von Maulthieren und Rossen mit goldenen und rothen Quasten ziehen ließen; aber die Liebesgluth einer Spanierin fragt nicht nach Stand und Rang, und Frederico verdiente diese Auszeichnung, denn Niemand trug, wie er, den Sombrero, den breitgekrempten Hut, so keck und lustig, Niemand verstand es, die Capa, den kurzen Mantel, so malerisch über die Schulter zu werfen, und nie sah ein glänzend dunkelblaues Auge, eine andere seltene Schönheit im heißen Süden, so anmuthig aus einem bald umhüllten Gesicht.

Frederico war ein echter Spanier aus der Mancha, die auf ihrem steinigen, wüsten Boden, gleichsam zur Entschädigung, viele schöne Frauen und Männer wachsen läßt. Die Spanier haben selten eine Riesen- oder Heldenlänge, ja, oft sind sie weit mehr klein, als groß zu nennen, und nur das Küsten- und Südlandsvolk in Andalusien, wo das Mohrenblut sich gekreuzt hat, besitzt zum Theil noch die hohen, schlanken Leiber und die Adlernasen ihrer unchristlichen Stammväter. Dafür müssen sie auch manchen Spott ihrer unreinen Abkunft wegen tragen, den der echte Spanier ihnen zuwirft, wenn er von seinen germanisch-gothischen Ahnen und deren Siegen spricht, und sich glücklich fühlt, zu einem Deutschen sagen zu können: nosostros estos hermanos, wir sind Brüder!

Frederico war mittelgroß, von markigem, elastischem Gliederbau, dem man die Kraft ansah; alle seine Muskeln waren hoch gewölbt, sein Schritt leicht und doch fest, seine ganze Gestalt voll Adel, und seinen männlichen, ein wenig harten Gesichtszügen fehlte es nicht an dem leidenschaftlichen Ausdruck eines stolzen Characters. Dessen ungeachtet schien dieser junge Mensch in gewisser Beziehung gar keine Leidenschaft zu haben, wir meinen in Beziehung auf die geheimen und offenen Huldigungen, welche ihm von Seiten des schönen Geschlechtes dargebracht wurden, und dies war die dritte Seltenheit an unserm Helden. –

Er war sonst ziemlich ganz, wie seine Landsleute sind: leicht gereizt und schwer versöhnt. Aber er wußte sich, wo es darauf ankam, zu beherrschen, und bewies vielmals Edelsinn, oder Verachtung, gegen Gegner, die ihm zu schwach und unwerth schienen; denn er führte seine Toledoklinge meisterhaft, verstand mit Messer und Dolch zu fechten, wie ein Majo Ureinwohner der Insel Lanzarote, und hatte genugsam Proben abgelegt, daß er selbst die ärgsten Raufbolde nicht fürchte.

Ein Mann von solchen Eigenschaften wird bald bekannt und leicht gesucht; aber Frederico, der in gute Häuser kommen, mit achtbaren Familien umgehen, oder, wenn ihm das zu gering war, selbst in höhere Kreise gelangen konnte, wozu ihm sein Glück bei den Damen wohl dienstbar gewesen wäre, wies alle Lockungen, alle Liebesbriefe, alle Stelldichein kalt von sich. –

Wie sonderbar wirkt und schafft der Gott im Menschen! – Wonach sich Andere in durchträumten, langen Nächten schlaflos sehnen, das warf Frederico von sich, als habe er nichts mit der Jugend und ihrem heißen Wollen und Empfinden zu schaffen. Er zerknitterte und verbrannte die Liebesbriefe, gab den Duennen, welche ihm die Geheimnisse ihrer Gebieterinnen anvertrauten, spöttische Antworten, und verdarb es mit einer der stolzen Beleidigten so sehr, daß ihre Liebe sich in Haß verwandelte, und er nur durch Zufall einem Dolchstoße und einem frühen Tode entging. –

Seit dieser Zeit war er aber ganz unzugänglich, fast für Alle. Selten sah man ihn mehr auf den Straßen und im Kreise seiner Freunde; er saß vielmehr zu Haus unter Büchern begraben, emsig studirend, und sprach davon, bald nach Ciudad-Real zu gehen und seine Examina als Advokat am königlichen Gerichtshofe abzulegen. –

Wer die Welt vergißt, den vergißt sie wieder, dieser alte Spruch bewährte sich auch bald an Frederico. Seine Bekannten, die lustigen Vögel, hatten ihn schnell aufgegeben, Freunde besaß er nicht, und in dem alten Hause, wo er wohnte und lebte, besuchte ihn nur ein Mann, und obenein ein sehr seltsamer, den er liebte, weil er ihm sein Leben zu danken hatte.

Dieser zweite Held unserer Geschichte war eine so wunderliche Merkwürdigkeit, wie sie nur in Spanien vorkommen kann. Don Geronimo Die im gesamten Text wiederholte inkorrekte Schreibung des Namens: ›Geromino‹ wurde durch das korrekte ›Geronimo‹ (entsprechend dem heiligen Hieronymus (347-420)) ersetzt. Regato war ein kleiner, alter Herr mit einem Auge und einem häßlichen Gesicht, aber es war ein Mann, der merkwürdige Schicksale erlebt hatte.

Er hatte seinem Vaterlande in der verschiedensten Weise gedient. Im Jahre 1807 focht er in den Straßen Madrids gegen die Franzosen, zwei Jahre später war er Bandenführer in irgend einer Sierra, wieder zwei Jahre später beschwor er die Constitution von Cadix und erschien als Abgeordneter und Bataillonschef im Hauptquartiere Wellington's.

Dann wechselte er im Jahre 1814 die Farbe und ward nach Ferdinand's des Siebenten Rückkehr ein Royalist, wie es Viele wurden. Trotz dessen aber sah man ihn bei der Revolution im Jahre 1820 in den Reihen der Liberalen, wo er tapfer aushielt, bis es sich zu Ende neigte. Da kehrte er reuig um und bezeichnete seine bessere Erkenntniß, indem er den Königlichen die Thore einer kleinen Stadt in Estremadura öffnete.

Als er jedoch nach Madrid kam, ward er in's Gefängniß geworfen, und nur dem Einflusse des allmächtigen Paters Cerillo, eines Jugendfreundes, hatte er es zu denken, daß er nicht das Schicksal so mancher Anderen theilte, und durch die löbliche Erfindung der Garotte Hinrichtungs- und Folterinstrument, bei dem das Opfer durch Zuziehen einer Schlinge, später eines Halseisens erdrosselt oder gefoltert wurde., schnell und leicht, in eine andere bessere Welt versetzt wurde.

Seit dieser Zeit lebte er als Privatmann und häufig sah man ihn in den Straßen, in Caffeehäusern und selbst in Cirkeln der höheren und höchsten Gesellschaft, wo er seiner mannichfachen Kenntnisse, seiner Frömmigkeit und seiner guten Gesinnungen wegen wohlgelitten war.

Als er einst aus einer Soiree des Grafen Calomarde zurückkehrte, hörte er ein Hülfsgeschrei, und sah einen jungen Mann von zwei Kerlen angefallen. Sennor Geronimo schrie seinerseits, als hätte er die ganze Scharwache hinter sich, und dies wirkte so viel, daß die Angreifer ihr Opfer verließen und flohen.

Auf diese Weise wurde Frederico mit Geronimo Regato bekannt, und obgleich er nach Abstattung seines Dankes wie ein echter Spanier behauptete, mit den Banditen schnell fertig geworden zu sein, so empfand er doch, daß es wahrscheinlich noch weit schneller mit ihm ausgewesen wäre, ohne den tapfern, schreienden alten Herrn.

Seit dieser Nacht besuchten sich Beide, und Geronimo Regato schien ein besonderes Wohlgefallen an dem schönen Jüngling zu finden, dessen Ernst und Tüchtigkeit ihm, wie er sagte, wohlthuend in einer Zeit sei, wo die Menschen Affen und Bestien ähnlicher sähen, als Gottes Ebenbilde. Auch der junge Rechtsgelehrte fand vielen Geschmack an seinem wunderlichen Gefährten, der seine Einsamkeit verkürzte. Was er erzählte, war theils überaus verständig, theils wehte darin der bitterste Spott über die Verhältnisse des armen, von Leidenschaften, Parteien und unwürdigen Menschen zerrissenen Vaterlandes.

Frederico aber liebte sein Volk und Land, wie ein echter Sohn die Mutter liebt. Seine stolzen Augen füllten sich zuweilen mit Thränen, wenn der Alte von vergangenen Zeiten sprach; er knirschte mit den Zähnen über die Verbrechen und gesetzlosen Gewaltthaten der absoluten Herrschaft; er verfluchte die Männer, welche Riego Rafael del Riego y Flórez (1784-1823), spanischer General und liberaler Politiker; nach Widerstand im April 1823 gegen die französische Armee, die die Rückkehr zum strikten Absolutismus in Spanien erzwingen wollte, und lokale absolutistische Gruppen wurde er verraten und gefangen genommen, und obwohl er seine politischen Überzeugungen zur Freude der Absolutisten in letzter Minute vollständig widerrufen hatte, wurde Riego des Hochverrats an Altar und Thron für schuldig befunden, da er einer der Abgeordneten gewesen war, die dafür gestimmt hatten, dem König die Macht zu entziehen. Am 7. November 1823 wurde er auf dem La Cebada-Platz in Madrid gehängt. gerichtet und Torrijos Jose Maria Torrijos y Uriarte (1791-1831), Graf von Torrijos, General im spanischen Unabhängigkeitskrieg, liberaler Politiker. Nach der Wiederherstellung des Absolutismus durch Ferdinand VII. im Jahr 1814 bekämpfte er diesen; als er am 2. Dezember 1831 von Gibraltar aus an der Küste von Málaga landete, mit sechzig Männern, die ihn begleiteten, tappten sie in eine Falle, die ihnen von den absolutistischen Behörden gestellt worden war, und wurden festgenommen. Neun Tage später, am 11. Dezember, wurden Torrijos und 48 seiner Mitüberlebenden ohne Gerichtsverfahren am Strand von San Andres de Málaga erschossen. geschlachtet hatten, welche Knechtschaft, Fanatismus und Dummheit so ununterbrochen aussäeten, und nichts sang er begeisterter zu seiner Guitarre, als die Constitutions-Hymne und die Trajala. –

Geronimo brummte die Melodien dann leise mit, schlug mit der Hand den Tact dazu und sein einziges kleines Auge rollte wie ein Feuerballen unter den grauen Wimpern. Natürlich geschah dies alles mit großer Vorsicht hinter festgeschlossenen Jalousieen und Thüren; denn mit den Häschern Ferdinand's des Siebenten war nicht zu spaßen, und, wie es unter tyrannischer und schwankender Herrschaft ist: Mißtrauen und Furcht suchen immer neue Opfer und finden diese auch leicht.

Aus diesen Andeutungen sehen wir schon, daß Frederico den politischen Wirren seines Vaterlandes nicht fremd geblieben war, und wie könnte überhaupt auch ein feuriger, von Muth und Kraft erfüllter Jüngling die Zustände des öffentlichen Lebens gleichgültig betrachten? Ganz besonders aber war dies in Spanien unmöglich, wo seit länger als zwanzig Jahren die schrecklichsten und blutigsten politischen Stürme wütheten. Viele edle Menschen waren darin zu Grunde gegangen, und in der ganzen Halbinsel gab es keinen Ort, wo nicht der Parteienkampf Blut und Unglück ausgesäet hätte. –

Wer mehr davon wissen will, der lese die Geschichte nach; ich kann nur sagen, daß trotz aller Wachsamkeit der Polizei, trotz der grausamen Strenge der Justiz und der fanatischen Wuth der Absolutisten, trotz der Überfüllung der Kerker, sich doch überall geheime Orden und Gesellschaften gebildet hatten, welche alle auf den rechten Zeitpunkt warteten, um Unruhen zu beginnen, die später schlimm genug ausgefallen sind.

Je öfter der alte Herr zu dem Studenten kam, so vertrauter wurden beide. Sie plauderten oft bis tief in die Nacht hinein, denn Geronimo schien gleichsam einen Menschen nöthig zu haben, dessen Ohren und dessen Seele er alle seine geheimsten Gedanken zuflüstern konnte. Auch Frederico schenkte ihm sein ganzes Vertrauen. Er erzählte ihm nicht allein fein Leben von Kindesbeinen an, alle seine kleinen und großen Abenteuer, sondern er machte ihn gleichsam zu seinem Beichtvater, indem er ihm die Ergebnisse seiner Studien, seine Zweifel, sein religiöses und politisches Glaubensbekenntniß, seine Verbindungen mit geheimen Gesellschaften und seine Hoffnungen auf die Zukunft anvertraute.

»Und so alt Sie sind, mein junger Freund,« sagte Geronimo einst, nachdem er lange Zeit den feurigen Frederico angehört hatte, »haben Sie noch nie ein Weib geliebt?«

»Santa madre!« rief der Student, »wie oft fragen Sie danach?«

»Aber das ist ganz gegen Sitte und Natur,« versetzte der alte Herr. »Wozu haben Sie ein Herz in der Brust, Blut in den Adern, starke Glieder und helle Augen?«

»Hat man das Alles, um Weiber zu lieben?« rief der Student lachend.

»Allerdings,« sagte Don Geronimo. »Was ist das Leben werth mit seinen Qualen, wenn es die Liebe nicht versüßt? Wenn das Herz nicht verlangend nach einem schönen, feurigen Herzen schlägt; das Blut nicht, wie glühend Feuer, in Sehnsucht und Entzücken durch die Adern tobt und die Augen alle Wonnen des Paradieses aussaugen aus zwei funkelnden Sternen, die ein Meer von Zärtlichkeiten über den Geliebten ausgießen?«

» Voto a Deos!« schrie Frederico, »ich bin kein Mann von Stein. Ja, es giebt Wesen von himmlischer Schönheit; aber, Freund, es geht mir wie dem Mohrenprinzen in Granada: die irdische Speise war seinem Stolz nicht gut genug, er wollte Gold essen und verhungerte, weil er es zu hart für seinen königlichen Magen fand.«

»Das heißt,« sagte Don Geronimo, »was Euch mag, das mögt Ihr nicht, und was Ihr mögt, das könnt Ihr nicht besitzen.«

»Es kann sein,« erwiederte Frederico lächelnd. »Mein Sinn steht hoch.«

»Und was erreichte ein hoher Sinn nicht?« rief der alte Herr. »Laßt mich mehr hören.«

»Ach, Thorheit!« sagte der Student, »ich scherzte, weil mir einfiel, daß ich heut eine Dame gesehen habe, deren hübsches Gesicht ich sobald nicht vergessen werde. Sie saß in einem Wagen, reich ausgeschmückt und von prächtigen Pferden gezogen.«

»Wie sah der Wagen aus?« fragte der alte Herr.

»Er war braun mit rothem Gestell, sein ganzes Inneres mit dunkelblauem Sammet ausgeschlagen, an den Schlägen war ein Wappen von gekrönten Greifen getragen, und auf den Polstern saß meine Schönheit im rosenrothen Atlaskleide. Eine kleine schwarze Mantille mit langen Kanten hing auf ihren glänzenden Schultern, eine süße Nacht von Locken sank darauf nieder, und ihre Augen, Freund Geronimo, ihre strahlenden Augen waren wie ein Frühlingstag, der auf die Mandelwälder Valencia's fällt.«

»Ihr werdet poetisch,« rief Don Regato, »das ist ein gutes Zeichen. Ihr seid verliebt, Frederico; aber, bei unserer Frau! Ihr habt ein hohes Spiel erwählt.«

»Wissen Sie, wer es ist?« rief Frederico hastig.

»Gab sie Ihnen ein Zeichen der Aufmerksamkeit?« fragte Geronimo.

»Ich sah sie starr an und blieb stehen, so starr stehen, daß ich beinahe überfahren worden wäre. Kaum noch sprang ich zur Seite. Sie bemerkte mich, sie lächelte, ihr Gesicht erglühte; ich wette wenigstens, daß sie weiß, ihre wunderbare Schönheit verrückte mir den Kopf.«

»Und weiter nichts?« sagte der alte Herr spöttisch.

»Was noch mehr?« rief der junge Advocat heftig. »Soll dieser Gottesengel etwa mir Blumen zuwerfen und Zeichen eines Einverständnisses geben? Als der Wagen in die große Straße zum Prado einbog, blickte sie zurück nach mir. Heilige Mutter aller Schmerzen! ich glaubte in der Ferne noch den Strahl dieser Blicke zu empfinden. Es ist aber Thorheit, baare Thorheit! Ich gehe nach Ciudad-Real in nächster Woche und werde unter Akten und Geschäften auch diese süßen Augen bald vergessen lernen.«

Sennor Regato machte ein ernsthaftes Gesicht, nahm eine große Priese, steckte dann eine neue Cigarre an und sagte nach einem langen Schweigen:

»Sie werden nicht nach Ciudad-Real gehen.«

»Warum nicht?« fragte Frederico.

»Weil Sie hier bleiben werden, wenn mich nicht Alles täuscht.«

»Das wäre ein Wunder!« lachte sein junger Freund.

»Auch diese sind nicht zu verachten,« fuhr der alte Herr fort. – »Würden Sie gehen, wenn die rosenfarbne Dame plötzlich sagte: ›Bleibe hier!‹ Wenn sie dem jungen Weiberfeind ein zärtliches Briefchen schriebe? Ich will doch sehen, was Sie thäten, wenn zwischen den Zeilen stände: ›Hast Du Muth, so wirst Du kommen und mich lieben, und wenn zehntausend Teufel den Weg versperrten!‹«

»Allerdings nein!« rief Frederico, »aber was malen Sie mir da für Unmöglichkeiten vor!«

Sennor Geronimo setzte den Hut auf, reichte seinem Freunde die Hand und sagte mit vielem Ernst:

»Es ist nichts unmöglich. Was ein Mensch denken kann, kann auch geschehen; was aber die Liebe betrifft, mein guter Frederico, so giebt es ganz und gar nichts in der Welt, was der widerstände. Kein Thor, kein Schloß, kein Riegel, kein Rang und keine Macht. Das merkt Euch und seid kein Tropf, wenn die rosenrothe Dame Euch in der Nacht erscheint. Haltet das Glück fest so lange Ihr könnt, das Glück der Jugend und Schönheit, es kommt nicht wieder, und seid zu Abenteuern in der Liebe muthig, wie ein Spanier. Der Muthige gewinnt! – A Dios!«

Damit ging er fort und ließ den jungen Mann allein, der sich lachend an seine Arbeit setzte. Nach einiger Zeit aber fuhr er auf und starrte die dicken Bücher an, wie ein Träumender. Er wußte nicht, wie es kam, aber die Buchstaben wurden ihm heut zu wahren Hieroglyphen. Er verstand den Sinn der einfachsten Sätze nicht. Die Paragraphen kamen ihm rosenfarbig vor, und aus den Arabesken und Anfangsbuchstaben der Rechtstitel sahen schwarze Lockenköpfchen und feurige Augen, die ihn völlig blind machten.

Ärgerlich klappte er endlich die Pergamentdeckel mit Heftigkeit zusammen, brummte einen Fluch über seine Narrheit, lachte dann laut auf über den alten wunderlichen Geronimo Regato und warf sich aufs Bett. –

Unter der Decke wurde es jedoch schlimmer statt besser. Wenn er die Augen schloß, schwebte eine schlanke feine Gestalt daher. Ihre weiße Hand streckte sie unter der Mantille hervor und winkte ihm, ja, er fühlte den Druck der feinen Finger, den Hauch ihres Athems, den glühenden Kuß auf seinen Lippen, und wenn er nun den Blick aufschlug, wie in Fieberhitze, ging es ihm kaum besser. Er glaubte leise Schritte zu hören, das Rauschen eines Gewandes, eine Stimme, die leise und süß seinen Namen rief.

So trieb er es die ganze Nacht. Erst am Morgen schlief er ein und erwachte zu seinem Schrecken ganz mit demselben sonderbaren Gedanken an die schöne Unbekannte, die ihn nicht mehr verlassen wollte.

»Wenn ich an Hexerei glaubte,« sagte er, »so würde ich meinen, der alte Schelm, der Geronimo hat es mir angethan. Die rosige Dame ist mir erschienen, und ich mag wollen oder nicht, ich muß sie festhalten, sie weicht nicht von mir; ob's aber ein Glück, ist sehr zu bezweifeln.«

Er kleidete sich an, es war spät. Er wollte zu Haus bleiben und den ganzen Tag studiren, aber richtig war er genau um die gestrige Stunde wieder in der Straße Alcala, und kaum war er dort, als er den Wagen und die schöne Dame erblickte. Mit Entzücken und ganz unwillkürlich verneigte sich Frederico tief vor ihr. Sie sah ihn an und lächelte, ihr Blick hatte etwas geheimnißvoll Fragendes; dann, wie von ungefähr, legte sie die Hand auf den Wagenschlag und ließ eine Blume fallen, die der junge Mann mit Hast aufhob und gleich einem Schatz verbarg. Es war eine Mandelblüthe, ein Zeichen der Liebe und Hoffnung.

Wie ein Verbrecher schlich er davon, plötzlich aber erhob er den Kopf und prallte zurück, denn dicht vor ihm stand Geronimo, der mit einem fatalen, spöttischen Lachen den Hut abnahm und mit seinem kleinen verwünschten Auge ihn zu durchbohren schien.

»Nun, wie steht's,« sagte der alte Herr, »wie haben Sie geschlafen, ist die Dame erschienen oder nicht?«

»Sie haben sie gesehen,« rief Frederico dringend. »Um Gotteswillen, wer ist sie?«

»Bah!« versetzte Geronimo, »ich habe nichts gesehen; aber wenn es die war, welche in dem Wagen so eben vorüberfuhr, so nehmen Sie sich in Acht, junger Freund. Es ist nicht gut zu scherzen mit Riesen, die uns wie Strohhalme zwischen dem kleinsten ihrer Finger zerbrechen können. – Ihr Leben ist in Gefahr,« flüsterte er, »fort mit der Unbesonnenheit! – Es giebt viele schöne Augen in der Welt; werft die dumme weiße Blüthe fort, die da zwischen Euren Rockknöpfen hervorsteht, und reiset so schnell Ihr könnt nach Ciudad-Real, wo tausend hübsche Mädchen auf Euch warten.«

Er ging davon; Frederico hielt ihn auf.

»Laßt mich los,« sagte Geronimo, »ich habe keine Zeit, aber ich komme zum Besuche, dann sollt Ihr mehr hören.«

Allein Don Geronimo kam nicht, wie sehnsüchtig Frederico auch den ganzen Tag wartete. Niemals war er so mißmuthig gewesen. – Er machte sich Vorwürfe der ernsthaftesten Art, schalt sich einen Träumer, einen Thoren, einen Unbesonnenen, – Alles vergebens. Mit starren Blicken betrachtete er die weiße Blüthe, welche vor ihm in einem Glase mit Wasser stand, und ihre zarten Blättchen fein duftend geöffnet hatte.

In dem Kelche trieb der Zauber, der ihn ergriffen, ein ganz entsetzliches Spiel mit dem armen Studenten. Kleine gespensterhafte Wesen schlüpften dort auf und ab zwischen den feinen Staubfäden. Bald war es, als bögen sich die Ränder zusammen und aus dem Spalt lächelte ihm die schöne Unbekannte an; bald starrten ihm zornige Gesichter entgegen, dann wieder schlichen wilde Gestalten daraus hervor, bewaffnet vom Wirbel bis zur Zehe, und der mörderische Stahl in ihrer Faust zielte auf sein Herz.

» Voto a Dios!« murmelte er zulegt und rieb sich den Kopf, »was soll das werden? Ich will nichts mehr davon wissen! – Ist es möglich, daß mir das geschehen kann, mir, der ich alle diese schwarzäugigen Verrätherinnen so lange verachtet habe? Geronimo hat Recht: fort nach Ciudad-Real, sobald es Tag wird! Ich habe nichts mit Dir zu schaffen, rosige Dame.«

Zugleich griff er nach der Mandelblüthe und hielt sie fest in seiner Hand. –

»Hier hat ihre Hand geruht,« sagte er leise, »ihre Lippen haben sie berührt, und wenn es wahr wäre, wenn sie mich liebte!«

Er drückte so heftig den Mund auf die feinen duftenden Spitzen, daß sie ganz zerdrückt wurden; da lachte er plötzlich auf und sagte:

»So ist es mit aller Weiberliebe: sie zerstäubt und zerreißt, sobald man sie ernsthaft anrührt. Fahre hin, Du arme Blüthe, welke und werde Asche, wo Du willst.«

Mit diesen Worten ging er auf das Fenster zu, das geöffnet war, und wollte sie hinab in den Garten werfen, als plötzlich ein Gegenstand hereinflog, der an seine Brust prallte und auf den Boden fortkollerte. Frederico taumelte erschrocken zurück, er sah nach der Uhr an der Wand, es war gerade Mitternacht, und eine Empfindung von Gespensterfurcht kam über ihn.

Im nächsten Augenblick stürzte er ans Fenster und sah hinaus, aber er konnte nicht erkennen. Die Nacht war dunkel, ein paar große Sterne glühten einsam aus dem Mantel von Ebenholz, die hohen Jasminbüsche schwankten im Winde und tippten kalt in sein heißes Gesicht. –

»Was ist das?« rief er. »Wer ist hier?«

Niemand antwortete ihm. Er zog den Kopf zurück und schloß die Jalousieen, dann nahm er das Licht und leuchtete, bis er am Fuße seines Schrankes etwas Weißes liegen sah. Er hob es ahnungsvoll auf. Es war ein Papier, das um ein Röllchen von Holz gewunden und mit einem Seidenfaden umwickelt war. Mit der Hast eines Liebenden riß Frederico es auf und starrte lange auf die feinen, kleinen Schriftzüge, die eine weibliche Hand gebildet hatte.

»Wenn Sie Muth haben,« stand darin, »eine Dame kennen zu lernen, die entschlossen ist, Sie zu sehen, so finden Sie sich morgen, genau um neun Uhr Abends, an der Kirche des heiligen Jacob ein, wo ein Führer Sie erwarten wird, dem Sie vertrauen dürfen, wenn er fragt, welche Blume die schönste sei?«

»Und wenn ich sterben soll,« rief Frederico mit glühender Leidenschaft, »wenn tausend Banditen mich zerfleischen ja, wenn König Ferdinand selbst« –

Hier hielt er mit der Bedächtigkeit eines Mannes aus der Mancha plötzlich inne und sagte dann leise:

»Ich werde kommen, und wenn ich zu ihren Füßen erdolcht werde; ich werde kommen!«

Man kann sich leicht vorstellen, in welcher Unruhe Sennor Frederico von jetzt ab die Stunden bis zum nächsten Abend verlebte. Die Erwartung auf sein Abenteuer versenkte ihn in tausend ängstliche und entzückende Träume. Zuweilen sprang er auf, breitete die Arme aus, stürzte durch das Zimmer, dem Phantome entgegen, das sein erhitztes Gehirn ihm vorzauberte, und dann faßten ihn wieder Zweifel und Sorgen.

Er quälte sich sogar mit dem furchtbaren Gedanken, daß die zärtliche Bestellung von einer ganz andern komme, als von der rosenfarbenen Dame, daß irgend eines der fünfzig oder sechzig tausend Wesen weiblichen Geschlechts aus der Residenz ihn begehre, oder daß gar irgend ein Spaßvogel ihn in Nacht und Nebel hinausschicke nach der fernen Kirche des heiligen Jacob.

Vor allen Dingen wünschte er mit seinem Freunde Geronimo zu sprechen, aber der vertrackte Einäugige ließ sich nicht sehen, wie sehr auch Frederico um sein Erscheinen leidenschaftlich bat und empörend fluchte. Es wurde Abend, und er kam nicht.

Die Sonne ging unter hinter den Gärten von Buen-Retiro; endlich war es ganz finster, und Frederico warf den Mantel um, drückte den Hut tief ins Gesicht, verbarg in der Brusttasche seines Kleides eines jener verbotenen Messer, deren sechs Zoll langer, schmaler und dreischneidiger Stahl eine fürchterliche Waffe in der Hand jedes echten Spaniers ist, und huschte dann, wie ein Schatten, an den Häuserreihen hin, über die Plaza major, durch Gassen und Nebengäßchen, bis er, gerade als die Uhr auf dem Thurme St. Jacob's zu neun dumpfhallenden Schlägen aushob, unter dem Bogengewölbe des westlichen Kirchenportale still stand. –

Weit und breit rührte sich nichts. Die hohen Mauern eines Klosters begränzten den schmalen Raum, nur aus einem Fenster aus der Höhe fiel ein einsamer Lichtstrahl gebrochen auf das Haupt der schmerzensreichen Mutter der Gnade, die mit Farben bunt bemalt in der vergitterten Nische ihm gegenüberstand.

Frederico lehnte sich an die kalte Steinwand, aufhorchend bei jedem Ton und tief in den dunkelsten Winkel geschmiegt, als er das Geräusch eines leisen Schrittes vernahm, der schlürfend über den holperigen Steinboden sich näherte. Nach einem Augenblick fiel der Schatten einer Gestalt in die Wölbung, gleich darauf trat diese selbst herein, nach allen Seiten umhersuchend und einige halblaute Worte murmelnd.

Es war ein Mann, der ganz und gar in seinen langen schwarzen Mantel gewickelt war. Sein hoher, spitziger Hut gab ihm das Ansehen eines Menschen aus der untern Classe; ein wilder, schwarzer Bart, den das Licht aus dem Kloster einen Augenblick beleuchtete, als er vor der Nische der Jungfrau stand, war das Einzige, was der Student bemerken konnte. Der Mann sah aus, wie einer, der nichts fürchtet; wie ein Gallego, ein Wasserträger, oder ein Spitzbube.

Nach einer kurzen Überlegung begann Frederico ein vernehmliches Geräusch, wobei er sich aus der finstern Ecke aufrichtete. Sogleich wendete der Unbekannte sich um und sagte mit einer tiefen, befehlenden Stimme:

»Wer ist da? Im Namen Gottes, antwortet: Was thut Ihr hier in der Nacht?«

»Wer fragt danach?« erwiederte der junge Mann keck, indem er hervortrat.

Beide betrachteten sich einen Augenblick, dann sagte der Fremde:

»Die Nacht, Sennor, will ihre Vorsicht, darum bleibt mir vom Leibe. Was lockt Euch in dies alte Kirchenthor? Junge Herren Eurer Art pflegen lieber um diese Zeit im Prado und auf der Promenade las delicias auf- und abzugeben, Blumen zu brechen und sie den Schönen zuzuwerfen.«

»Ich liebe die Blumen,« versetzte Frederico, »aber ich liebe auch die Einsamkeit.«

»Und welche Blumen, mein junger, gnädiger Herr, lieben Sie denn am meisten?«

»Genug! genug!« sagte der Student erfreut. »Ihr seid der Mann, den ich erwarte und dem ich vertrauen soll.«

Ohne ein Wort weiter zu erwiedern, zog der Freude ein langes, schwarzes Tuch hervor.

»Was wollt Ihr thun?« rief Frederico, der seine Absicht merkte.

»Eure Augen verbinden.«

»Warum?«

»Damit Ihr nicht sehen könnt, Sennor, wohin ich Euch führe.«

»Nimmermehr!« rief der Student mit Abscheu, »Daraus wird nichts.«

Der Gallego warf den Mantelzipfel auf seine linke Schulter, legte die Hand an seinen spitzen Hut und sagte höflich:

» Buenas noches, Sennor, schlafen Sie wohl; mögen Eure Gnaden tausend Jahre leben.«

»Halt!« rief Frederico, »Ihr seid toll, wo wollt Ihr hin?«

»Nach Haus.«

»Ohne mich?

»Ohne Euch, Sennor. Die Wahrheit ist, man will Euch blind, oder gar nicht.«'

Es entspann sich nun ein streitendes Zwiegespräch, welches damit endete, daß der Gallego seine Binde dreifach über Augen, Ohren und Nase des Studenten schlang, den Sombrero, so tief es gehen wollte, darüber stülpte, und ihn dann vorsichtig über den Platz, die Straße hinab, um einige Ecken und Biegungen führte, bis er ihn einlud, in einen Wagen zu steigen, der sogleich und rasch mit Beiden von dannen fuhr.

Nach einer ziemlich langen Spazierfahrt, die keinesweges für unsern Abenteurer angenehm war – denn sein Begleiter hielt beständig seine Hände fest, wahrscheinlich damit er die Binde nicht verrücke –, stand endlich der Wagen In der Vorlage lautet die Passage unsyntaktisch: »Nach einer ziemlich langen Spazierfahrt, die keinesweges für unsern Abenteurer angenehm war, denn sein Begleiter hielt beständig seine Hände fest, wahrscheinlich damit er die Binde nicht verrücke. Endlich stand der Wagen;«; Beide stiegen aus; und Frederico wurde nun abermals eine Zeit lang geführt. –

Daß er in der Stadt war, fühlte er an Pflaster. In der Ferne meinte er unter dem dichten Verbande auch das Rollen von Wagen und das Geräusch des Lebens zu hören; bald aber verschwand Alles. Eine Pforte knarrte, dann glaubte er sich in einem großen Garten, wo Bäume rauschten und Blumenduft ihn umgab; endlich stieg er Stufen hinauf, sein Begleiter führte ihn durch hohe, kühle Gemächer, durch Thüren, die sich öffneten und schlossen; plötzlich ließ er seine Hand los und entfernte sich.

Einige Minuten stand Frederico erwartungsvoll still, er streckte die Finger aus und sagte leise:

Bin ich zur Stelle? Antwortet!« –

Niemand erwiederte eine Silbe.

Entschlossen riß er endlich die Binde ab, und überrascht drehte er sich nach allen Seiten. Er befand sich mitten in einem kostbar verzierten großen Zimmer, ganz allein. Mit einem raschen Blick durchforschte er alles. Die Wände mit gestreiftem Blau und weißem Atlas bekleidet, die Decke mit ihren schweren alten Goldverzierungen, die hohen Spiegel, die kostbaren Möbel, der Fußboden mit feinem indischen Strohteppich belegt. Alles deutete ihm an, daß er im Schooße des Reichthums, des üppigen Besitzes und der Macht sei.

Eine Ampel an Silberketten verbreitete ein sanftes Dämmerlicht. Frederico's Lage war ungewiß, aber in seinem Herzen war der Muth der Liebe, und plötzlich fühlte er, daß Geronimo Recht habe, daß mit der Gefahr auch die Kühnheit wächst. Mochte geschehen, was da wollte, er war hier, und sein Verlangen kannte keine Furcht.

Leise berührte er die große Flügelthür, sie war verschlossen. Sein Scharfsinn sagte ihm augenblicklich, daß er hier hereingekommen sei, und daß man ihm den Rückzug abgeschnitten, weil er anderswo einen Ausgang suchen solle. Dort in der Wand waren die Fugen einer Thür auf der Tapete sichtbar, ein leiser Luftzug schien sie zu bewegen.

Frederico eilte darauf zu, er faßte den Silbergriff, der aus der Mauer hervorsah, öffnete schnell und prallte mit einem Laut des Erstaunens und der Freude zurück, denn plötzlich stand die schöne, rosige Dame vor ihm. Beide sahen sich einen Augenblick sprachlos an, aber in ihren Blicken gebar sich ein neues, reiches, tiefempfundenes Leben.

Plötzlich faßte Frederico ihre Hand, preßte sie an seine Lippen, stürzte dann zu ihren Füßen nieder, und während er zahllose süße, verworrene und entzückte Reden stammelte, stand sie über ihn gebeugt, mit ihren großen Augen voll Schwärmerei und Sehnsucht ihn betrachtend, die dann wieder prüfend umherirrten und zu dem Geliebten zurückkehrten.

»Sennor Frederico,« sagte sie lächelnd, »die heilige Jungfrau mag mir vergeben, was ich gewagt. Aber es mußte so sein, ich mußte Sie sehen, mußte hören …«

»Daß ich Sie liebe,« fiel Frederico ein, »daß ich Sie anbete, seit dem Augenblicke, wo ich Sie gesehen, daß ich zu ihren Füßen sterben will, wenn ich nicht erfahre, daß ich Erhörung fand.«

Sie neigte, sich zu ihm nieder und legte ihre Hand auf seine Stirn. Die Berührung durchdrang ihn elektrisch, die dunkle Glut ihres Blickes gab und weckte die heißeste Leidenschaft. 

»Licht meiner Augen!« flüsterte sie, »wie könnte ich zu leugnen wagen, daß mein Herz ihnen gehört! Aber unsere Liebe ist eine Blume am Abgrunde.«

»Ich fürchte ihn nicht,« rief Frederico.

»Haben sie Muth, Alles zu wagen?«

»Alles, Alles für die Geliebte!« rief der junge Mann mit Begeisterung

.

»So hören Sie, sinnen Sie auf Hülfe und Erlösung.«

In dem Augenblick aber schwieg das schöne Mädchen, sie erblaßte und zog Frederico mit Heftigkeit empor.

»Horch,« sagte sie ängstlich, »was ist das? Er kommt! Still, um Gottes Barmherzigkeit willen!«

Mit wilder Hast eilte sie der Thür zu, kehrte sogleich zurück, ergriff Frederico's Hand und öffnete einen Wandschrank in der Tapete. Er fühlte einen heißen Kuß auf seinen Lippen brennen, dann ward er hineingestoßen, die Thür geschlossen, und alles geschah so schnell, so gewaltsam, so überraschend, daß er kaum wußte, wie ihm geschah. –

Er stand in der Finsterniß wie betäubt. Alles, was ihm geschehen, das Geheimnißvolle, das Überraschende erfüllte seinen Kopf so sehr, daß er es nicht fassen konnte und nichts zu denken vermochte. Eine entsetzliche Angst überkam ihn, er glaubte sich verrathen, tappte mit den Händen umher, suchte nach dem Ausgange seines Gefängnisses, ergriff seine Waffe und wollte sich gewaltsam befreien, als er plötzlich jenseit der Tapete kräftige männliche Schritte hörte, und lautlos stehen blieb.

»Bringt Licht herein,« sagte eine scharfe befehlende Stimme, »die Ampel brennt so düster, als hinge sie in einer Brautkammer.«

»Sie übte ihre Pflicht im Voraus,« erwiederte ein anderer Herr, indem er lachte. »Ist der Tag Deiner Hochzeit noch nicht festgesetzt?«

»Noch nicht; in nächster Woche vielleicht,« antwortete der Erste, der mit großen Schritten auf- und niederging.

»Du scheinst keine Eile zu haben,« versetzte der Zweite, »und doch wirst Du so sehr beneidet. Nie sah ich ein schöneres Bild der Liebesgöttin.

»Sie ist schön,« antwortete der Herr, »aber was ist die Schönheit der Weiber? Ein Hauch, ein Nichts, das über Nacht abfällt.«

»Du scheinst in vortrefflicher Laune zu sein!« rief der Gefährte.

Es trat eine Pause ein, in der Frederico's Herz so heftig schlug, daß er meinte, man müsse es draußen hören. Ein fieberhafter Frost schüttelte ihn dabei, und doch brannten seine Glieder. – Ein Diener brachte Licht und plötzlich fiel ein dünner Strahl desselben durch eine unmerkliche Öffnung in der Tapete, glücklicher Weise so, daß der Versteckte nur das Auge ein wenig vorbewegen durfte, um das Zimmer zu überschauen. Ob er es that? verlangt die Antwort nicht!

Er sah mit gierigen, prüfenden Blicken die beiden Sprechenden an. Der eine trug eine goldblitzende Uniform, der andere ein schwarzes Kleid, mit mehren Orden auf der Brust besteckt. Beide waren in der Höhe des männlichen Alters, der in der Uniform jünger und gefälliger, der Andere tief gebräunt und mit finstern Zügen.

Als der Diener gegangen war, blieb der Besternte vor seinem Freunde stehen, und sprach mit gedämpfter Stimme:

»Du hattest mir etwas zu sagen?«

»Sind wir ganz unbelauscht?« fragte dieser in französischer Sprache.

»Vollkommen, und da Du Gallisch sprichst, ganz sicher. Rosaura, selbst wenn sie in der Nähe wäre, versteht uns nicht.«

»Aufrichtig, Graf,« sagte der Freund, »man wünscht Dir von ganzem Herzen Glück zu dieser Heirath.«

»Meinen unterthänigsten Dank! Aber eben so aufrichtig: ich bin es müde, dies Glück immer und immer preisen zu hören. Bei einer Vermählung giebt und nimmt man. Ich gebe an Rosaura meinen Namen, meine Titel und Würden, meine Ehren und Rechte.«

»Und Du nimmst Dein schönes Mündel und ihre reichen Güter. Vortrefflich, Excellenz! Ich kann nur sagen, man wundert sich allein über die Verzögerung und ist beinahe zu dem Glauben geneigt, daß eine gewisse Abneigung …«

»Man täuscht sich sehr,« fiel der schwarze Herr ein. »Ich liebe Rosaura mit allem Feuer, ich habe nicht umsonst mich bemüht, bis ihre Hand mir von unserem Herrn zugesagt wurde. Aber für welchen Thoren hält man mich …«

Er brach kurz ab und warf den Kopf mit einem spöttischen Lächeln auf.

»Nun?« sagte der Mann im glänzenden Kleide.

»Finde den Schlüssel selbst,« erwiederte die Excellenz.

»Ich begreife! Deine Lage ist unbequem, die Zukunft dunkel, die Entscheidung an der Thür. Wenn man auf einem Vulkan steht, ist man nicht eben geneigt, Flitterwochen zu feiern.«

»Doch wenn dieser Vulkan etwa einer Mine gleich in die Luft fliegt, fällt man am liebsten in den weichen Schooß der Liebe und vergißt seine Wunden.«

»Bravo! aber wenn dieser Schooß sich dem Fallenden nicht öffnete?«

»Mein Freund,« sagte der schwarze Herr, »ich dächte, Du kenntest mich. Rosaura wird mein bleiben unter allen Umständen. Ich habe mir diese köstliche, reine Blume aufgezogen, ich habe sie gehegt und gepflegt, nun gehört sie dem Gärtner.«

»Sie liebt Dich also?«

»Liebt mich? – Sonderbare Frage. – Ohne Zweifel! – Sie ist mit dem Gedanken groß geworden, meine Gattin zu werden; ihr Herz ist rein, wie ein Diamant, es so zu erhalten, wird meine Sorge sein.«

»Du fürchtest Nebenbuhler.«

»Furcht?!« rief der schwarze Herr, und ein Lächeln lief über sein dunkles Gesicht, »verderben wir die Zeit nicht mit Unsinn! – Was wolltest Du sagen?«

»Ich habe Dir Einiges mitzutheilen, was unsere Sache betrifft,« erwiederte der Herr in Uniform, indem er näher rückte. »Doch zuvörderst; wie steht es dort?«

Er deutete mit dem Finger vor sich hin gerade auf den Wandschrank, so daß Frederico bestürzt zurückfuhr, sich aber schnell beruhigte, als er den Anderen sagen hörte:

»Es steht gut, ich komme daher und gehe wieder hin. Der Tod ist in vollem Anzuge, wie sehr er sich bemüht, ihn von dem blassen Gesicht zu wischen, sich stellt, ihn nicht zu bemerken, von keiner Gewohnheit lassen will. Er ist da, der unerbittliche, und kann jeden Augenblick anklopfen.«

»So müssen wir ohne Zögern unsere Maßregeln treffen,« fiel der Vertraute ein.

»Sie sind genommen,« erwiederte den Andere kalt.

»Deine Collegen sind einig?«

»Vollkommen.«

»Und nun?

»Lies das,« sagte der schwarze Herr, indem er ein starkes, gefaltetes Papier aus einem Portefeuille nahm und es aufschlug.

Sein Gefährte warf einen Blick hinein. Plötzlich sprang er mit allen Zeichen größter Überraschung auf.

»Seine Handschrift! sein Name!« rief er. »Ein Widerruf, eine Vernichtung aller der schändlichen Intriguen, an welchen man Jahre lang baute. Dem Himmel Dank! Das Reich, der Glaube, Würde und Ehre sind gerettet! Wie war es möglich? Wie konnte es geschehen? Mein edler Freund, Du bist ein großer Staatsmann!«

»Nimm dies unschätzbare Document,« sagte der Besternte ruhig, »und überbringe es Deinem Herrn, nur in seinen Händen ist es ganz sicher. Die Zukunft Spaniens, unser aller Heil, hängt davon ab. – Daß ich es erhielt,« fuhr er fort, und seine Stimme sank zum Geflüster, »ist das Werk der Vorsehung. Seit zwei Tagen stellten sich Ohnmachten ein, Krämpfe, Lähmung der Sinne. Man weiß nichts davon jenseit der Thore des Palastes. In solchen Stunden der Angst und Schmerzen denkt die bange Seele zitternd an Vergangenheit und Zukunft. Es war nicht schwer, ihm zu zeigen, welche Verwirrung, welche Gräuel, welche höllischen Frevel sein trauriger Entschluß hervorbringen mußte, welches Unrecht er begangen, welche Sünde auf ihm laste, und wie, kaum die Augen geschlossen, sein ganzes Werk in Staub versinken, in Bäche von Blut, Thränen und Leiden zerschmelzen müsse. Alcutia stimmte mir bei, die Andern folgten. Dies Document war vorbereitet, er unterzeichnete; so ist es errungen.«

»Und wir werden es festhalten mit Händen und Zähnen!« fiel der Gefährte ein. »Wie lange denkst Du, daß er noch leben kann?«

»Castillo glaubt, nicht über zwei Tage; auch wird er leider schwerlich den vollen Gebrauch seiner Sinne wieder erhalten.« –

Diese Worte sprach er mit festem, nachhaltigem Ton. Die Augen der beiden Freunde begegneten sich, sie blickten sich starr an und endeten dann mit einem Lächeln.

»Nun, bei meiner Ritterehre!« rief der im goldgestickten Rock, »man sandte mich zu Dir mit dem Auftrage, Dich der reichsten Gnade zu versichern, es giebt jedoch nichts, wodurch Du genügend belohnt werden könntest.«

»Für mich,« sagte der schwarze Herr, »bleibt wenig mehr zu thun. Ich denke ein häusliches Leben, fern von Geschäften und Sorgen, in den Armen meiner jungen Frau zu führen. Diese Belohnung spare ich mir auf. Was Ihr thun wollt, thut schnell und sicher, denn es könnte leicht sein …«

Er zog die Stirn in finstere Falten und sagte grollend:

»Ich habe die Zahl der Schurken möglichst decimirt, aber es sind dennoch genug übrig geblieben; denkt daran, welche Stütze sie jetzt haben.«

»Sorge nicht,« erwiederte der Andere, »auch wir sind thätig gewesen, auch wir haben treue Freunde. Ein Ruf, und die königlichen Freiwilligen, wie die treuen Agraviados Der Krieg der Agraviados (der »Geschädigten«) war ein ›ultra-absolutistischer‹ Aufstand, der zwischen März und Oktober 1827 in Katalonien und, in geringerem Maße, in Valencia, Aragonien, dem Baskenland und Andalusien stattfand. Die Unzufriedenen erhoben sich gegen die ›reformistische‹ absolutistische Regierung, weil sie angeblich König Ferdinand VII. ›entführen‹ ließ. strömen herbei. Noch leben Romagosa, Caraval, Erro, Gonzalez und der ehrwürdige Cerillo. Die Garben sind für uns. Die Räthe, die General-Capitäne von eilf Provinzen. Laß den Augenblick erscheinen, und Du wirst sehen, daß mit diesem Documente in der Hand alles gethan ist. – Vertrauen gegen Vertrauen,« fuhr er dann fort. »Sieh diese Liste von Namen durch, sie enthält die bewährtesten unserer Freunde; das mag Dich überzeugen, wie der Würfel der Zukunft fallen muß.«

Er reichte seinem Vertrauten ein Papier, dieser behielt es in der Hand, und sagte dann nachdenkend:

»Laß es mir hier, Du sollst es morgen zurück erhalten. Im entscheidenden Augenblick kann es für manchen Zweifelnden von großem Nutzen sein. – Es ist spät, in wenigen Minuten muß ich fort. Lege mich Deinem gnädigsten Herrn zu Füßen; sage ihm, er werde keinen treueren Diener haben, als seinen unterthänigsten Knecht.«

»Willst Du ihn sehen?« fragte der Fremde leise.

Der schwarze Herr machte eine verneinende Bewegung.

»Es ist noch nicht Zeit,« sagte er. »Ist die Stunde gekommen, so werde ich der Erste sein, mein Knie vor ihm zu beugen. Seid wachsam, klug und bereit. – Noch eins. Ihr habt einen Kundschafter an dem Schurken Regato. Traut ihm nicht zu viel! ich habe meine Gründe zu glauben, daß er ein Verräther ist, der dem Strick, welchen er längst verdient, nicht entgehen soll. Lebt lebt wohl!:

Sie nahmen Abschied, und als der schwarze Herr von der Thür zurückkam, hörte Frederico das Rauschen eines Kleides an der Wand hin, das sein Herzklopfen bedeutend vermehrte.

»Meine schöne Braut,« rief zugleich die besternte Excellenz, »ich bin entzückt, Sie zu sehen. Wie reizend sind Sie, Rosaura, und wie sehr bedauere ich, nur wenige Minuten übrig zu haben!«

»Es scheint,« sagte die Dame in strengem Tone, »daß Excellenz meine arme Wohnung zu einem Audienzzimmer bestimmt hatten.«

»Verzeihung, Seele meines Lebens …« erwiederte er. »Es war ein Freund, der mich dringend bat, ihn ein paar Minuten zu hören.«

»Es ist spät geworden, Excellenz,« sagte das Fräulein.

»Leider haben Sie Recht, meine Theure.«

»Ich wünsche Ew. Excellenz wohl zu ruhen.«

»Madonna!« rief der Herr mit einiger Heftigkeit, »was soll das heißen?«

»Ich bin krank, Excellenz.«

»Sie sind eine arge Tyrannin, Rosaura!«

»Ich, Excellenz? man jagt Schlimmeres von Ihnen.«

»Wer,« rief er, »und was?«

»Genug davon. Mögen Excellenz tausend Jahre leben.«

»Mit Ihnen, Rosaura,« erwiederte er und suchte zärtlich ihre Hand zu fassen.

Sie zog diese schnell zurück.

»Wir werden sehen, Excellenz.«

»Zum Henker mit der Excellenz!« rief er zornig und stampfte mit dem Fuß auf.

Sie machte ihm eine tiefe Verbeugung.

»Sie vergessen, welche Rechte ich an Sie habe; Rosaura, und ich kam, Ihnen zu sagen, daß in wenigen Tagen, wie ich hoffe, meine süßesten Wünsche erfüllt sein werden.«

»Wir werden sehen, Excellenz.«

Der schwarze Herr trat näher und sagte mit seinem finstern Lächeln:

»Sie freuen sich nicht darüber, Rosaura?

»Nein,« erwiederte sie.

»Sie lieben mich also nicht?«

»Lieben? Nein, Excellenz. Einen Mann mit so vielen Staatsgeschäften! Durchaus nicht, Excellenz.«

»Das thut mir wahrlich leid, meine schöne Braut, aber die Liebe kommt oft mit der Ehe. Sie werden mich lieben lernen, Rosaura! wir werden ein glückliches, beneidetes Dasein führen. Sie hassen die Staatsgeschäfte. Gut, ich ziehe mich zurück, ich widme mich nur Ihnen. Wir verlassen die Hauptstadt und führen ein Schäferleben unter Myrthen und Mandelbäumen, Birken und Bauern in der reizenden Vergessenheit eines ländlichen Paradieses.«

Sie wußte nicht, ob es Spott, ob Wahrheit war, aber vor Beiden schien sie zu erschrecken. Plötzlich trat sie ihm näher, ergriff seine Hand, sah ihm in das dunkle ernsthafte Gesicht und lachte laut auf. –

»Was sagen Sie da, Excellenz?« rief sie; »Sie unter Mandelbäumen, Sie ein Schäferleben! O, ihr Heiligen! er ein Schäfer in den Alpurarras! Ach! Excellenz, die Heerde würde erschrecken und zerstäuben, wenn Sie die düstern Falten Ihrer Stirn sähe. – Wo leben die Schäfchen, die von dieser blutigen Hand behütet werden möchten? Wo ist der Ort für Sie, um zu ruhen? Wo widerhallten nicht die Verwünschungen, mit der die elenden Liberados Sie bedeckten? Wo ist der häusliche Heerd, an den sich nicht die bleichen Schatten und Gespenster der Verräther drängten, die auf Ihren Wink von der Erde verschwanden? Excellenz, ich fühle einen Schauder. Madre de Deos! können Sie mir zumuthen, dies beneidenswerthe Glück der Zukunft zu theilen? Nein, nein! ich will nicht, und müßte ich auch ein Schatten werden, müßte ich die Garottenschleife selbst um diesen meinen Hals legen, wie die schöne Dame aus Granada, die ihren Gatten nicht verrathen wollte und dafür auf Ihren Befehl statt seiner in ihr frühes Grab stieg. – Ist sie Ihnen nie erschienen, Excellenz, kalt und bleich und starr blickend? Um Quito's Schätze möchte ich sie nicht sehen und das ganze Gefolge, Hunderte! ach! Hundert in den langen Sterbehemden mit schwarzen Säumen, und die barmherzigen Brüder dazu mit dem fürchterlichen misericordia! – Gnade, Gnade, Excellenz! Bedenken Sie alles wohl; mit mir kommen die bösen Geister und tausend … gute Nacht, gute Nacht, Excellenz.«

Mit schelmischem Lachen und den graziösen Bewegungen der Hände und des Kopfes schlüpfte sie davon. Die Excellenz machte keine Anstalt, sie aufzuhalten. Sie stand fest, die Hand in der geöffneten Weste, und sah ihr mit sinnendem Erstaunen nach. –

»Dies thörichte Kind,« murmelte er dann lächelnd, »aber wie schön ist sie! Ich, vor dem sich Alle fürchten – selbst er,« sagte er nachdrucksvoll – »ich fürchte mich beinahe vor dieser tollen übermüthigen Mädchenlaune. Gut, gut,« rief er dann nach einem Schweigen, während er auf- und niederging, »erst den Segen, dann das Hausregiment. Ein Mann, der so manchen harten Kopf zerbrochen, wird vor diesem Köpfchen nicht bange werden. Gute Nacht, meine schöne Braut, wir werden sehen, ja gewiß, wir werden sehen!«

Er nahm den Hut und schickte sich zum Fortgehen an, als Frederico das Messer aus seiner Hand fallen ließ, das an der Tapete nieder auf den Boden fiel. Der schwarze Herr hatte ein scharfes Gehör. Er wendete sich sogleich um und blickte nach der Stelle, wo der Versteckte sich befand. –

»Was war das?« sagte er. »Ein Geräusch. Dort ist ein Wandschrank. Es fiel etwas; was kann es sein?«

Einen Augenblick bedachte er sich, dann nahm er den Armleuchter mit den Kerzen und schritt langsam darauf los, drehte den Drücker und fiel von dem Stoße fast zu Boden, den er von der Thür erhielt, welche Frederico mit aller Gewalt aufriß und heraussprang. Der Leuchter fiel ihm aus der Hand; wie ein Schatten, flog der Student an ihm vorüber der Thür zu, und ohne Zweifel wäre es ihm gelungen, sich davon zu machen, ehe der schwarze Herr sich von seinem Schrecken erholte, hätte die Öffnung des Drückerschlosses, dessen Feder er nicht so leicht finden konnte, der Excellenz nicht Zeit gegeben, ihn beim Rockschoß zu erwischen.

»Halt!« rief er und riß den Fliehenden heftig und kraftvoll zurück. »Elender, wer bist Du?« –

Statt aller Antwort drehte sich Frederico um, faßte seinen Gegner am Halse und begann einen Kampf mit ihm, der, obwohl schnell entschieden, doch nicht ohne nachtheilige Folgen für ihn war. Die Excellenz war muskelvoll und wehrte sich tüchtig genug. Zum lauten Schreien ließ ihm zwar der Student keine Zeit, aber er versetzte dem Abenteurer einen Schlag an die Stirn, und als Frederico ihn gewaltsam niederwarf, ließ er ein ganzes Stück seines Rockes in den Fingern des schwarzen Herrn, der, betäubt von seinem Falle, an der harten Kante des Tisches, einige Minuten regungslos liegen blieb. Mit wahrhaft fürchterlicher Wuth sprang er aber auf. Sein Gesicht war dunkel von Grimm, Schaam und Rachelust.

»Haltet ihn auf!« schrie er, und stürzte den langen Corridor hinunter.

Zwanzig Diener eilten herbei. So eben war der junge Mensch keck vor dem Portier vorüber aus dem Hotel gegangen. –

»Fangt ihn!« schrie die Excellenz, »fangt ihn! Hundert Goldkronen, wer ihn mir bringt!« –

Man kann sich denken; daß die Meute nicht gieriger die Spur des Hirsches verfolgen kann, wie Frederico verfolgt ward, der bald das Geschrei seiner Feinde und die Pfeifen der Schaarwächter hinter sich und rund um sich hörte.

Mit aller möglichen Schnelle war er durch ein paar Straßen und über mehrere Plätze gelaufen, als er athemlos und erschöpft einen Augenblick still stand und umherblickte. Jetzt erkannte er die Stadtgegend. Vor ihm lag der königliche Palast, das viereckige, ungeheure, castellartige Gebäude, in dessen Schatten er sich bewegte, und immer schneller an der Anhöhe hin seine Flucht fortsetzte, als er zu seinem Schrecken sich so nahe verfolgt sah, daß es unmöglich schien, ihn nicht zu entdecken.

»Hätte ich mein Messer,« rief Frederico in Verzweiflung, »ich würde sie mir vom Leibe halten, oder sterben. O, was bin ich für ein Thor gewesen! – Da liegt das Schloß, überall stehen Wachen. Zurück kann ich nicht, ich laufe ihnen in die Hände; vorwärts bin ich nicht weniger verloren: was kann ich thun?«

»Nach Ciudad-Real gehen, wenn es nicht zu spät wäre,« sagte eine dunkle Gestalt, die plötzlich dicht bei Frederico hinter einem der großen Steinpfeiler hervortrat.

Der Student erkannte den Mann sogleich, obwohl er in einen großen, schwarzen Mantel gewickelt war, und einen kleinen dreieckigen Hut aufgesetzt hatte. –

»Um Gottes Willen, Sennor Geronimo,« rief er, »habt Mitleid! helft mir aus dieser schrecklichen Lage! Wenn sie mich erwischen, bin ich verloren, und da sind sie schon, da ist das ganze Rudel. Er deutete auf den Weg hinab, wo sich die Wache zeigte.

Geronimo zuckte die Achseln.

»Was habt Ihr denn gethan?« sagte er.

»Es ist eine lange furchtbare Begebenheit; so viel aber seid sicher, ich habe einem Mann, einer Excellenz mit Sternen auf der Brust, Herzog oder Graf, ich weiß es nicht, beinahe den Hals umgedreht, und ich fürchte, er läßt ihn mir ganz umdrehen, sobald seine Knechte mich fangen.«

Auf diese Worte erwiederte Sennor Geronimo gar nichts, aber er ergriff Frederico's Hand und führte ihn rasch mit sich fort.

»Hier giebt es nur einen Weg,« sagte er. »Seid still, sprecht kein Wort, schlagt meinen Mantel fest um den Kopf, drückt den Hut tief in die Augen, beugt Euch nach vorn über, gebt Euch ein altes, gebrechliches Ansehn; langsam, schreitet langsam, wie es Greisen zukommt.«

»Was habt Ihr mit mir vor?« fragte der Student.

»Fragt nicht, sondern thut; was ich sage. Seht Ihr das Thor dort?«

»Das Thor in dem Palast?«

»Da. Dort geht hinein.«

»In das Schloß!« rief Frederico erschrocken.

»Gerade hinein, wohin wollt Ihr sonst? Seht nicht rechts, nicht links, geht über den ersten Hof hinaus, wendet Euch nach dem großen Portal, dort erwartet mich. Fort geschwind! Da kommen Eure Verfolger herauf.« –

Er stieß ihn fort.

Nicht ohne Bangen that der Student, was ihm geheißen; aber es blieb keine Wahl, und mit schwankenden Schritten, dicht verhüllt ging er bei der doppelten Wache der königlichen Garde vorüber, ohne daß diese ihn auch nur gefragt hätte, wer er sei. In diesem streng bewachten Schlosse schien es Frederico ein Wunder, daß er nicht zu erklären vermochte; und Alles wurde ihm noch räthselhafter, als er, am Portal des Hofes wartend, wohl ein Dutzend ganz ähnlich gekleidete, schwarz vermummte alte Männer an sich vorüberschleichen sah, die mit einem dumpf gemurmelten: buenas noches! sich in den Gängen des Schlosses verloren.

Endlich kam Geronimo, in einen andern Mantel gehüllt, den er sich irgendwo verschafft hatte. Frederico fühlte sich erleichtert, als er ihn erblickte.

»Sind sie fort?« sagte er, »kann ich umkehren und mich davonmachen?«

»Dummes Zeug!« versetzte Geronimo, »dankt allen Heiligen, daß ihr hier seid! Nun erzählt mir aber genau, was geschehen.«

Frederico begann zu erzählen, während der alte Herr von Zeit zu Zeit lebhafte Zeichen der Theilnahme gab, bald den Kopf hoch aufwarf, den Hut rund um die Stirn drehte, den Mantel zurückschnellte und mit den Armen heftig hin und her fuhr. Bei der Drohung, welche die Excellenz gegen ihn ausgesprochen, lachte er luftig vor sich hin.

»Bah! rief er, »ich habe den Brei nie so heiß gegessen, wie er mir oft schon gekocht wurde, und ich wette, was Ihr wollt, auch diesmal blase ich ihn kalt. Aber halte Jeder seinen Hals fest, für den Tod kein Kraut gewachsen ist! Ein kluger Mann muß dafür sorgen, daß er, wie ein guter Christ, hochbetagt in seinem Bette stirbt, und ich tausche nicht mit Ihnen, Excellenz. Hombre diabolico! wart, ich will es Dir eintränken! Madre de fodas gracias! wenn wir die Liste der Verräther hätten, es wäre ein großer Schlag zu machen.«

»Die Liste?« sagte Frederico, und plötzlich griff er in die Tasche und holte ein zerknittertes Papier heraus. »Als ich den Menschen niederwarf, der mir den ganzen Rockflügel hinterlistig vom Leibe riß, blieb das Papier, das er wahrscheinlich in der Hand gehalten, mir zwischen Weste und Halstuch kleben, wo ich ein paar tüchtige Stöße bekommen hatte. Draußen bemerkte ich es, steckte es ein, und hier ist es nun.«

Geronimo war zu dem Lichte unter dem Portal gelaufen und sein eines kleines Auge glänzte mit satanischem Feuer, als er es von der Schrift zurückzog. Er faltete diese zusammen, steckte sie ein und sagte mit einem argen Lächeln:

»Ah, maldito, wir haben Dich! Jetzt seid ohne Furcht, laßt mich handeln, und Zehn gegen Eins will ich wetten, die rosenrothe Dame wird sicherer die Eure, als wenn Ihr in dem Schranke stecken geblieben und die Excellenz Euch nicht erwischt hätte. Habt Ihr Muth?«

»Was soll ich thun?«

»Folgt mir und seid still. Was Ihr auch sehen mögt, sprecht nicht eher, als bis ich Euch dazu auffordere, dann redet dreist, was Ihr wißt.«

»Wohin führt Ihr mich?«

Geronimo gab keine Antwort. Er ging voran durch das Portal, durch lange Gänge, Treppen hinauf, Treppen hinab, durch Corridore, wo Wachen standen, die Bildsäulen gleich sie anstarrten, bis sie endlich am Ende einer Gallerie in ein Gemach traten, denen Thür ein riesenhafter Kerl in der bunten Hoftracht der Diener des Königs vor ihnen öffnete.

Der Student war nicht wenig erschrocken, als er sich plötzlich mitten in einer ansehnlichen Gesellschaft von Männern sah, die in Gruppen getheilt und einzeln umher standen und saßen, meist an Tischen, auf denen Wein und einige Erfrischungen sich befanden. Die Meisten flüsterten zusammen, und es ging ein leises Summen, wie von einem Bienenschwarm, durch das Zimmer, als Sennor Geronimo Regato hereintrat, über dessen Erscheinen man so ziemlich seinen Begleiter vergaß.

Mit Einem Male war es Frederico klar, daß er sich hier in der so oft besprochenen, bespotteten, verhaßten und verfluchten geheimen Camarilla des Königs befinden müsse. Das waren die kriechenden, schleichenden Gestalten, von deren nichtswürdigem Treiben man so viel zu erzählen wußte; diese Menschen aus allen Ständen und Classen, welche das Gift der Verleumdung und der Lüge in das Ohr des argwöhnischsten aller Herrscher träufelten; diese Spione und Verräther, welche in allen Kreisen umherhorchten und spähten, auf deren geheime Anklage plötzliche Verhaftungen und Einkerkerungen folgten, von denen der König alles erfuhr, was in Madrid sich begeben, von den Liebeshändeln der Frau irgend eines Gewürzkrämers, bis zu den Unterredungen im Cabinet des Enfanten Don Carlos.

Frederico war erstaunt und erschreckt, sich hier zu wissen, aber er beruhigte sich bald, als er sah, daß er wenig oder gar nicht die Aufmerksamkeit erregte. Er erinnerte sich, gehört zu haben, daß, wer in der Camarilla eingeführt und ihrem Oberhaupte vorgestellt sei, damit die schweigende Erlaubniß erhielt, wiederzukommen, wenn es ihm beliebte, und daß es daher sehr wahrscheinlich sei, man nehme an, er gehöre zur Gesellschaft, in der Viele sich nicht genauer kennen mochten.

Offenbar aber beschäftigte die Anwesenden heut ein viel zu wichtiges Ereigniß, um Sinn für Anderes zu behalten. Sie drängten sich um den kleinen Regato zusammen, zerrten ihn, packten ihn, flüsterten mit ihm und parlamentirten so lebhaft, daß Don Geronimo endlich ziemlich laut sagte:

»Die Hand von meinem Kleid, Ihr Herren! wer kauft mir ein neues, wenn es von Euch in Stücke zerrissen wird? Der König, unser Herr, ist allerdings heut morgen sehr krank gewesen, so viel ich aber weiß, geht es jetzt besser, und mit der Gnade Gottes und unserer lieben Frau wird er seinen unterthänigen Knechten gewiß die Sonne seiner Huld strahlen lassen und ihre Angst zerstreuen, wenn es irgend möglich.«

Sennor Geronimo hatte aber kaum das letzte Wort von den Lippen, als eine Seitenthür langsam geöffnet wurde, und kaum bemerkte die Versammlung dies, als eine ehrfurchtsvolle Stille eintrat. Gleich darauf verneigte sich die ganze Schaar aufs tiefste und demüthigste, und Alle blieben in der gebückten Stellung, obgleich noch gar nicht zu sehen war, wem diese außerordentliche Begrüßung galt. –

Frederico starrte vor sich hin, wie ein Träumender; doch mit einer Art von Schauder erblickte er jetzt einen Mann, der von zwei andern hereingeführt wurde, auf deren Schultern er sich wankend stützte, während er sein bleiches, schmerzverzerrtes und abgezehrtes Gesicht zu einem Lächeln zwang, das so gewaltsam war, als würde es unter den Martern der Tortur erpreßt. Er nickte mit dem Kopfe dazu, die Begrüßung seiner Getreuen erwiedernd.

Frederico wußte, wer der Eintretende war, und doch verdrängte er mit Anstrengung die Gedanken, welche ihn beschlichen. Er richtete seine Augen fest auf den Leidenden, der sich sichtlich stärker zu machen suchte, und in seinem leichten Kleide, dem Jäckchen von Nanking, dem weißen, lose um den Hals geknüpften Tuch, den weißen Unterkleidern und Schuhen wie ein einfacher, wohlhabender Bürger Madrids ausgesehen hätte, der in der bequemsten Haustracht allen Zwang von sich geworfen, wenn nicht so vieles dieser Annahme widersprochen.

Dies Gesicht war einst schön gewesen, – es trug noch die Spuren edler Bildung, die Familienzüge eines erlauchten, weltberühmten Geschlechts. Jetzt war es welk und todesreif; die Augen tief in die Höhlen gesunken, das schwarze Haar über eine hochgewölbte, durchsichtig bläuliche Stirn gedeckt, der einst schlanke, große Körper unförmig aufgeschwollen, die Füße den Dienst versagend, die Schmerzen, welche jeder Schritt verursachte, aufzuckend in jedem Nerv und jeder Muskel, und dennoch versuchte der Wille, dies alles zu verbergen, eine lächelnde, vornehme Hoheit darüber zu decken, ungläubig zu sein und zu machen, ob die erschöpfte menschliche Natur wirklich so nahe sei, alle irdische Größe und Gemeinheit abzuschütteln.

Der kranke Herr stützte sich auf ein Tischchen, an welchen man einen bequemen Lehnstuhl gezogen, und sagte dann mit einer leichten graziösen Handbewegung:

»Guten Abend, meine Herren. Ich habe die Versammlung nicht aussetzen wollen, obgleich ich heute Morgens mich ein wenig unwohl fühlte und unser sorgsamer Arzt Castillo, wie unser vielgetreuer Grijalva,, mancherlei Bedenken hatten. Da ich aber gern unter meinen guten Nachbarn bin, was thut da eine kleine körperliche Beschwerde? – Man macht mich kränker, als ich bin. Ihr könnt es widerlegen. Was sagt Ihr, Meras? Was denkt Ihr, Salcedo? Seh' ich so übel aus? Ich weiß, es sind manche, die allerlei Plane darauf bauen, aber sie haben sich verrechnet. Bei unserer Frau! ich mache ihnen einen langen Strich durch das beste Exempel.«

»Gott erhalte meinen allergnädigsten Herrn tausend Jahre!« riefen Mehre.

»Man sollte ein Exempel an denen geben, die es wagen, falsche und lügenhafte Berichte über diese kostbare Gesundheit auszusprengen,« sagte der Mann, der Salcedo genannt wurde.

»Wir werden diese Thoren verlachen und ihre schlechten Absichten vereiteln,« erwiederte der Kranke in mühsamen Absätzen.

»Es ist nur zu wahr,« begann der Privatsecretair Meras, »daß man solche Gerüchte zu den fluchwürdigsten Zwecken benutzt.«

»Setzen wir uns,« sagte der Kranke, indem er unter Beistand seiner Diener sich erschöpft niederließ. »Trinkt, meine Freunde, und erzählt mir etwas. Gebt mir eine Cigarre, Freund Castillo, und da« – er versuchte mit matter Hand das Licht zu halten, um die Cigarre anzuzünden, und lächelte scherzend – »meine Finger zittern von dem Schrecken, den Ihr mir gemacht habt, lieber Meras – nehmt die Kerze. Wer ist dort? Ach, Sennor Regato, wie geht es Euch? Geschwind, erzählt mir, was es Neues giebt in unserer guten Stadt Madrid.«

»Die allgemeinste Wehklage um die falschen Gerüchte, welche über die Krankheit unseres angebeteten Herrn umlaufen,« sagte Sennor Geronimo.

»Die guten Leute!« rief der bleiche Herr, »nun, wir werden sie glücklich machen.«

»Leider,« meinte ein kleiner, alter Mann mit abschreckend häßlichem Gesicht, »giebt es aber auch so verworfene Geschöpfe, die gar nicht danach fragen, wie alle ehrlichen, braven Unterthanen weinen. Da ist mein Nachbar, der Kaufmann Alvero. Gestern verheirathete er seine Tochter an einen jungen Edelmann, Don Francisco Palavar, der sich rühmt, ein Verwandter des Marquis von Santa Cruz zu sein. Es war eine Hochzeit, wo viel Volk herbeiströmte; man sang und jubelte und lärmte ohne Maaß. ›Sennor Alvero,‹ sagte ich, ›schämt Ihr Euch nicht, in solcher Zeit so übermüthig zu sein?‹ – ›Freund,‹ sagte er lachend, ›laßt die Zeit, sie ist freilich schlimm genug, aber ich denke, sie wird bald vorüber sein. Alles hat seine Gränzen; wir jubeln und freuen uns für die Zukunft.‹«

»Der Bösewicht!« rief ein Anderer, »ich kenne ihn wohl, er hielt sich zu den Negros.«

»Ein in den Sünden der Exaltados ergrauter Schurke,« rief ein Dritter.

»Man soll sich den Namen merken,« sagte der kranke Herr. »Salcedo, was sagt Ihr?«

»Ich sprach so eben einen Sennor,« begann der Angeredete, der viel von einem Stallmeister erzählte, welcher in den Diensten eines gewissen vornehmen Herrn ist.« –

Er sah den Herrn im Lehnstuhl dabei bedeutungsvoll an, der heftig die Stirn faltete, und dessen Lippen einen Namen, den Jeder kannte, halblaut hervorstießen. Der Stallmeister hatte ihm vertraut, daß schon seit einigen Tagen viel Unruhe und viele Besuche bei seinem Herrn gewesen. Das Wagengerassel hätte nicht aufgehört, Generale sind gekommen, Minister, die hochwürdige Geistlichkeit und Officiere, besonders von der Leibgarde.

Eine lebhafte Röthe stieg in dem Gesicht des Kranken auf, sein Auge begann zu glänzen.

»Ich kenne sie,« sagte er mit Anstrengung, »die alten Verschwörer, die alten Freiwilligen aus Catalonien, die Agraviados. Warum hat mir Niemand etwas gesagt von diesem Treiben? aber gut – gut – ha, Tadeo!«

Er richtete sich bei diesen Worten auf und sah gerade nach der Stelle, wo Frederico stand. Dieser wendete sich verlegen zur Seite und schrak zusammen, als er dicht neben sich den schwarzen, besternten Herrn, seinen Todtfeind, erblickte. Er konnte auch kaum zweifeln, daß dieser ihn nicht ebenfalls wieder erkannt haben sollte. Zwar warf er nur einen einzigen Blick auf ihn, aber in diesem lag alles: Erstaunen, Zorn, Rache, Entschluß der Vernichtung!

Es überlief den armen Studenten eiskalt, und er war fast auf dem Punkt, entweder davonzulaufen, oder vor dem kranken Herrn niederzufallen und ihm alles zu erzählen, was er wußte. Als er aber den Sennor Tadeo sprechen hörte und sah, daß er sich gar nicht weiter um ihn bekümmerte, dachte er, es sei besser, Geronimo's Rath zu folgen und ruhig zu sein.

»Mein allergnädigster Herr,« sagte Tadeo mit festem finstern Ernst, »man hat Ihr Ohr nicht belästigt, weil es Lügen sind und Verleumdungen, die man seit langer Zeit so gewöhnlich vorbringt, und weil selbst, wenn viel Besuch in jenem Palast war, der Herr desselben wohl Ursache und Recht hat, diesen zu empfangen, ohne jetzt mehr –«

Der Kranke ließ den Kopf tief auf die Brust sinken, bis er mit einer plötzlichen Handbewegung dem Sprecher zu schweigen gebot.

»Es fragt sich nur, wer den Palast besuchte,« sagte Regato mit einem scharfen schnellen Blick auf Sennor Tadeo. »Man hat die Herren Equia bemerkt, San Juan, Odonnel, Moreno, Cataojai.«

»Hat man nicht auch bemerkt,« fiel Salcedo mit höhnischem Lächeln ein, »daß in den Zimmern einer gewissen hohen Dame seit einiger Zeit sich Gesellschaft versammelt, zu denen die Herzoge von St. Lorenzo und Fernando, Sennor Martinez de la Rosa sogar, und der weltbekannte Advokat Sennor Cambronero gehören? – Was kann man dagegen sagen?«

Eine Stille folgte, man wußte wohl, wer die hohe Dame war. Plötzlich rief eine starke, jugendliche Stimme:

»Die Hauptsache ist, daß Sennor Tadeo die Sache seines Herrn verrathen, daß er das wichtige Document ausgeliefert hat, heute in der Nacht in seinem Hause.«

Diese Worte wirkten wie ein elektrischer Schlag. Der kranke Herr selbst war davon getroffen. –

»Was sagt er? Wer sagt das?« rief er, und richtete sich so rasch auf, als sei er gesund. »Wer weiß von dem Document? Wo ist das Document? Wer ist der Mensch? Haltet ihn fest, er soll bekennen! bekennen! Tadeo!«

»Haltet den Schurken fest, der sich hier eingeschlichen hat!« rief Tadeo mit Heftigkeit.

»Wachen herbei,« schrie der Herr. –

»Wo ist das Papier. Her mit dem Papier, ich will es wieder haben! – O, Herr des Himmele! Halt! halt!

»Der König stirbt!« schrie Tadeo, »Hülfe herbei!«

Ein verwirrter Haufe der Glieder dieser seltsamen Gesellschaft drängte sich um den Kranken, der ohne Regung in den Armen des Leibarztes lag.

»Wie steht es, Sennor Castillo?« fragte Tadeo. –

Der Arzt ließ die Hand los, an der er nach dem Pulsschlag gefühlt.

»Es ist eine plötzliche Lungenlähmung, Excellenz,« sagte er halblaut. »Es war zu erwarten. Alles ist vorüber.«

»Fort denn!« rief der schwarze Herr aufspringend; plötzlich aber fiel sein Auge auf Frederico, der von mehreren Männern festgehalten wurde, und, da er einsah, daß es Unsinn war, Widerstand zu leisten, sich ganz ruhig verhielt. Sennor Tadeo warf einen unheilverkündenden Blick auf ihn, dann öffnete er ihm den Mantel, sah den zerrissenen Rock an und sagte:

»Läugnen kannst Du nicht, der Beweis Deiner Schuld ist in meinen Händen. Verräther! Dir soll die gerechte Strafe werden; den Strick, den Du verdient hast, sollst Du schnell empfangen. Wer ist der Mensch?«

Geronimo drängte sich herbei.

»Wie,« sagte er, »ist das nicht Sennor Frederico, der junge Advokat, bekannt genug in den Caffeehäusern, als ein Exaltado der gröbsten Sorte, ein Spötter der ärgsten Art, ein Verbreiter fluchwürdiger Grundsätze!«

»Ich dachte es wohl,« lächelte der schwarze Herr, »nur ein solcher gewissenloser Bösewicht kann sich als Spion hier einschleichen, was an und für sich schon den Lob verdient. Fort mit ihm! ruft die Wache herbei, ins Gefängniß, in die geheimen Kerker! Legt diesen Menschen in Ketten,« rief er den eintretenden Soldaten zu; »Niemand soll sich ihm nahen, ich werde selbst weiter über ihn bestimmen.«

   

In kurzer Zeit befand sich Frederico in einem finstern, kleinen Gewölbe, auf feuchtem Stroh und mit einer starken Kette um Hand und Fuß an die Mauer geschlossen. Tiefe Finsterniß war rund umher, und wie er saß und über sein Schicksal nachdachte, kam ihm Alles wie ein schwerer, entsetzlicher Traum vor. Aber vergebens rieb er sich die Stirn, die Gespenster wollten nicht entweichen, und die Wahrheit trat mit allen ihren Schrecken vor ihn hin, als er den Kopf an die dumpfigen Steine stieß, indem er sich aufzurichten suchte. –

»Was hab' ich gethan,« murmelte er; »welchem furchtbaren Verhängniß bin ich überantwortet, und alles, Alles der rosigen Dame wegen! – Rosaura! ach, um derenthalben ich nun sterben soll!« –

Er dachte weiter nach und wurde immer muthloser. Was hatte er auch zu erwarten? Wen kannte er? Wer nahm sich seiner an? Welcher Freund drang bis zu ihm? –

Der Einzige, von dem er es hätte erwarten können, Geronimo – er sprach mit Bitterkeit den Namen aus –, der hatte ihn ja selbst verrathen, und that jetzt sicher noch mehr, um die Mächtigen zu versöhnen und den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Der König war todt, sein Nachfolger, der apostolische Herrscher, der Freund und Vertheidiger der Inquisition, deren Herstellung seit Jahren das Losungswort aller bürgerlichen Unruhen war, und der schwarze Herr, der mächtige, der gewaltige, den er gemißhandelt, in dessen Haus, in dessen Liebe er sich feindlich gedrängt hatte, der nach Rache lechzte, die ihm so leicht war,– madre de Deos! was hatte er zu erwarten? –

Er hörte schon die achtzig Pfund schweren Ketten in den tiefen unterirdischen Kerkern des Inquisitionspalastes klirren, wohin nicht Sonne, nicht Mond dringt; er sah schon das Martergewölbe, die fürchterlichen Maschinen, die Schrauben und Gewichte, die Leitern und Streckbetten, den brennenden Schwefel, der langsam auf seine Füße und Arme träufelte, und die höllischen gelben Gewänder, die Flammenmützen, die Masken der Vermummten.

Er krümmte sich ächzend, als fühlte er wirklich alle die markdurchbohrenden Schmerzen, er dachte an Arguelles Agustín Argüelles (1776-1844), spanischer liberaler Politiker; er war 1814 verhaftet und vom König selbst zu zehnjähriger Zuchthausstrafe verurteilt worden; diese verbüßte er u. a. auf Mallorca, wo er eine unmenschliche Behandlung erlitt., den Göttlichen, der sie sämmtlich überstanden, an die gelähmten Glieder des großen Bürgers, und wie er ihn gesehen, ein wandelnder Leichnam, der aus der Gruft gestiegen, und stieß einen angstvollen Seufzer aus, als jetzt die Riegel klirrten und die schweren Schlösser an den Thüren knarrten; dann schloß er die Augen vor dem hellen Lichtschimmer.

Als er sie wieder aufschlug, stand der schwarze Herr bei ihm. Mit seinen stechenden Augen blickte er auf den Gefesselten nieder, der still auf dem Steine saß. Dies schweigende Anschauen dauerte einige Minuten.

»Ich komme,« sagte Sennor Tadeo endlich mit gedämpfter Stimme, »um einige Fragen an Euch zu thun. Beantwortet Ihr sie aufrichtig, so kann es leicht sein, daß die Thür sich vor Euch öffnet, lügt Ihr und läugnet, so will ich – merkt es wohl – schnell dafür sorgen, daß Ihr nie wieder Böses thun könnt.«

»Ich that nichts, was sich mit Recht so nennen läßt,« erwiederte Frederico; »meine Schuld liegt allein in den seltsamen Umständen.«

»Welche sind diese?« fragte der schwarze Herr schnell. Frederico schwieg.

»Kennt Ihr mich, Sennor?« fragte der Andere streng.

»Nein,« sagte der Student.

»So hütet Euch, mich kennen zu lernen. – Wie kamt Ihr in den Schrank, in welchem ich Euch versteckt fand? Und wo ist das Papier, das Ihr mir entwendet habt? – War es Zufall? – Waren es seltsame Umstände? – Welche waren es? – Haben Abenteuer, oder besondere Absichten Euch dorthin geführt? – Gehört Ihr zu einer geheimen Verbindung? – Schickte man Euch, mich zu belauschen? – Man hat ein Dolchmesser in dem Schranke gefunden, wolltet ihr mich ermorden?« –

Er machte eine Pause bei jeder Frage, aber Frederico beantwortete nur die letzte mit einem festen Nein!

»Nun denn,« sagte der schwarze Herr lebhafter, »erklärt Euch. Wenn Sie kein politischer Verbrecher sind, keine gefährlichen Absichten Sie leiteten, nehmen Sie mein Wort, Sennor, ich verspreche Ihnen – und ich verspreche nichts, was ich nicht halten kann und will – sagen Sie mir die Wahrheit, und Sie sollen frei sein.«

»Alles, was ich sagen kann,« erwiederte der Gefangene, verlegen beginnend und abbrechend, »ist das, daß es nicht meine Absicht war, Sie zu behorchen, daß ein Zufall mich dahin führte, wo Sie mich entdeckten, und daß es mir leid thut – sehr leid thut – durch ein Geräusch mich verrathen zu haben.«

»Und das ist Alles, was Sie mir sagen wollen?«

»Alles, Sennor.«

»Sie wissen nicht, was Sie thun,« rief der schwarze Herr, und dicht zu ihm herantretend, flüsterte er lächelnd: »So war es vielleicht ein Liebesabenteuer? Junger Mann, welche von Donna Rosaura's Dienerinnen suchten Sie? Wie kamen Sie in jenes Gemach? Geben Sie mir Aufschluß, rechtfertigen Sie sich in einer Beziehung, die mich persönlich betrifft, und ich will alles vergessen, aber Ihnen dankbar bleiben.«

Während er redete, zuckten die Muskeln seines Gesichts, und das düstre Feuer seiner Augen sprach ganz andere Worte, als die, welche seinen Lippen entströmten. Eifersucht und Haß flammten darin; er sah wie ein Tiger aus, der auf seine Beute lauert.

»Sennor,« sagte Frederico stolz, »bemühen Sie sich nicht vergebens. Wenn eine Dame mich dorthin zog, wo Sie mich fanden, so erwarten Sie niemals von mir eine Antwort, die der schändlichste Verrath wäre. Ich will und kann nicht antworten. Machen Sie mit mir, was Ihnen beliebt; ich bin in Ihrer Gewalt, und diese gilt leider jetzt mehr in meinem unglücklichen Vaterlande, als alles Recht.«

»Elender!« flüsterte der schwarze Herr, indem er noch dichter herantrat, »jetzt verräthst Du Dich selbst. Ich will Dich zermalmen, Schurke, wie einen Wurm. Eine Dame Dich verbergen? Nichtswürdiger! was wagst Du zu sagen, welche Verleumdung erfrechst Du Dich!«

Er suchte seinen Zorn zu meistern und sagte dann:

»Es ist offen erwiesen, daß Ihr als Spion einer der staatsgefährlichsten Verbindungen gehandelt habt, die als Feinde des Menschengeschlechts zu betrachten sind. Wo habt Ihr das Papier, das Ihr mir gewaltthätig entrissen?«

»Ich besitze kein Papier,« erwiederte der Student, »und werde überhaupt keine Antwort mehr entgegnen. Thun Sie, was ein Mensch Ihrer Art thun muß.«

»Kommt herein,« sagte Sennor Tadeo, indem er sich nach der Thür wandte, durch welche zwei Männer ins Gefängniß traten. »Untersucht den Gefangenen,« fuhr er fort,, »ob er irgend ein Papier besitzt.«

Der Eine von Beiden machte sich ans Geschäft, der Andere, welcher der Aufseher zu sein schien, blieb in ehrfurchtsvoller Stellung stehen, und mit ihm sprach der schwarze Herr leise. Jede Tasche, jede Falte wurde inzwischen im Kleide des Gefangenen umgekehrt und nichts gefunden. –

»So bleibt es, wie ich bestimmte,« sagte die Excellenz. »Ich werde den Befehl dazu sogleich ausfertigen lassen, dann schnell!« –

Mit diesen Worten und einem letzten Blick auf Frederico, der ihn das Schlimmste fürchten und ahnen ließ, ging er hinaus.

Wie die schwere Finsterniß wieder um den Studenten war, kamen auch bald die schrecklichsten Muthmaßungen. Eine Zeit lang freute er sich seiner Entschlossenheit und ergötzte sich an dem Gedanken, den Sennor Tadeo in verzweiflungsvolle, eifersüchtige Wuth und Pein versetzt zu haben. Er pries sich hoch, daß er geschwiegen und daß dies Schweigen seinen mächtigen Feind so heftig aufreizen konnte. Diese einzige Rache, die er zu üben vermochte, dünkte ihm so süß und begeisterte ihn dergestalt, daß er mit seinen glänzenden Augen über die Kerkernacht hinaus bis in das Schlafgemach des schönen Mädchens zu blicken meinte, wo er sie wachend, betend, weinend und an ihn nur denkend vor ihrem Betpulte liegen sah.

Er hörte, wie sie die Heiligen anrief, ihn zu beschützen; da breitete er voll feuriger Sehnsucht die Arme aus und – fühlte sie zurückgerissen durch die Kette. – Und nun schlichen bleiche Gespenster um ihn her und zeigten ihm ihre Todtengebeine, und grinseten ihn an, und murmelten Entsetzen über ihn, daß er sterben müsse, auf ewig getrennt von ihr, den einen heißen Kuß auf seinen Lippen, den er wieder und immer wieder fühlte.

Plötzlich fielen ihm die Worte seines furchtbaren Feindes ein: ›Ich werde den Befehl dazu sogleich ausfertigen lassen, und dann schnell!‹ Gottesmutter! was konnte es Anders bedeuten, als ein rasches, spurloses Ende, einen Tod im Kerker, ein Erwürgen von Henkershänden! –

Viel Gräßlicheres, Heimlicheres, Unerhörteres war in spanischen Kerkern schon geschehen, und was war natürlicher, als daß ein schwerbeleidigter Mächtiger, der vom Dasein dieses Proletariers zu fürchten hatte, ihn ausstreichen ließ aus dem Buche der Lebendigen? Wer fragte danach, wer erforschte, wer bestrafte es? Viele, Viele und Bessere und Höhere waren verschwunden in den blutigen Zeiten.

Was kam es darauf an, ob ein paar Unzen vor dem rothen Saft, dem Dünger der Geschichte, mehr oder weniger ausgegossen wurden?! Ja gewiß, sie sollten vergossen werden, nur zu sicher war es, und Frederico drückte die Hände festgeballt in seine Augen, knirschte mit den Zähnen und kämpfte mit allen Schauern des Todes, mit Haß, Angst, Zorn, Verzweiflung, bis er nach und nach die entsagende Stärke empfand, sein Loos zu tragen. –

»Ich will sterben.,« rief er aus, »mordet mich, ihr Henkersknechte, meine Lippen werden sich nicht öffnen zu einem schamvollen Ruf nach Erbarmen. Ja, ich will sterben, wie so viele große und gute Menschen starben! Wehe mir, daß ich nichts für mein armes Vaterland gethan, um den Haß der Tyrannen zu verdienen! Aber um alle Schätze Peru's soll doch kein Geständniß über meine Zunge. Ich will leiden für die Liebe, für Dich, Rosaura, und mein letzter Seufzer sollt Dir gehören.«

Wie seine Worte verhalten, hörte er ein Geräusch. Es waren Menschen an der Thür; ihr Gemurmel drang dumpf herein. Die Schlösser und Riegel klirrten wieder, und er stand auf; sein Haar sträubte sich, gewaltsam stritt er gegen das Entsetzen des Todes und starr blickte er auf die Gestalten, welche jetzt hereintraten.

»Das ist er,« sagte der Schließer zu einem großen, finster blickenden Manne, der vor ihm stehen blieb.

»Nehmt ihm die Ketten ab,« erwiederte dieser, »und Ihr, junger Mann, folgt mir.«

»Macht es kurz,« sagte Frederico, »ruft Eure Gehülfen, ich bin bereit.«

»Folgt mir ohne Widerrede,« sprach der Fremde mit rauher Stimme. »Gut für Euch, wenn ihr zu Allem bereit seid.«

Er wendete sich um, und Frederico schritt ihm nach. Draußen stand ein Zweiter, der sich in seinen Mantel tief verhüllt hatte. Ein Schauder lief durch die Adern des Gefangenen.

»Das ist der Rechte,« murmelte er. »Henkersknecht, ich fürchte Dich nicht.«

Der Verhüllte folgte ihm ohne Antwort.

So gingen sie durch mehrere Gänge und stiegen endlich viele Stufen hinauf. Bei jeder Thür glaubte Frederico, daß hinter ihr eine Folterkammer oder irgend eine Garotte zum Halsumdrehen verborgen sei. Es ging jedoch immer weiter, zuletzt aber stand der vortretende Herr an einem Zimmer still und sagte mit seiner kalten, harten Stimme:

»Sind Sie bereit, vor Ihrem höchsten Richter zu erscheinen?«

»Ich bin es« versetzte Frederico feierlich.

»So treten Sie ein.«

Die Thür ging auf, der Student setzte den Fuß über die Schwelle und stieß einen lauten Schrei aus; denn statt der Garotte, statt der Foltern und Henker befand er sich plötzlich in einem großen, schönen Gemach, mit Tapeten und Goldverzierungen geschmückt, von Wachskerzen erhellt, welche fünf oder sechs fein gekleidete, mit Sternen und Ordensbändern geschmückte Herren beschienen, die ihn erwartungsvoll ansahen.

Frederico aber hatte kein Auge für sie, er sah allein eine schöne große Dame, die, in einen kostbaren Mantel von golddurchwirktem Sammet gehüllt, in einem Armstuhle saß. –

Eigentlich bemerkte er aber auch dies nur im Fluge; sein Blick hing wie mit magischer Gewalt an einer andern Gestalt fest, welche hinter dem Stuhle jener schönen Frau stand, und obwohl sie ein wenig blaß und unruhig ängstlich war, doch der Ursache aller seiner Leiden, der verlockenden Zauberin im rosenfarbenen Kleide, mit einem Worte, Rosaura selbst so ähnlich sah, daß alles Blut in sein Herz trat. –

Auf jeden Fall hätte er sich auch seinen Empfindungen überlassen, die ihn zu der Angebeteten mit allem Feuer der Liebe und neuer Hoffnungen zogen, denn schon schwebte ihr Name auf seinen Lippen, den nur der Zweifel, ob's Traum, ob's Wirklichkeit sei, zurückhielt, als plötzlich die Dame im Sessel sich mit einem Neigen ihres Hauptes erhob und freundlich sagte:

»Bleiben Sie dort stehen, Sennor, ich wünsche mit Ihnen zu reden. Sie haben heute besondere Abenteuer erlebt; allein ich meinestheils vermuthe, daß diese glücklich für Sie enden werden, wenn Sie mir die volle Wahrheit anvertrauen wollen und genau erzählen, was Ihnen begegnet ist. Wo waren Sie in dieser Nacht? – Was führte Sie in das Ihnen bekannte Haus, wo Sie entdeckt wurden? – Was wollten Sie dort?«

»Senora,« erwiederte Frederico ehrerbietig, »ich habe gelobt, eher den Tod zu leiden, als ein Geheimniß zu verrathen, das nicht das meine ist. Ich befand mich in jenem Hause in einem Schranke, das ist Alles, was ich sagen kann.«

Die schöne Frau warf einen noch freundlicheren Blick auf ihn.

»Das ist eine ritterliche, wohlthuende Treue,« sagte sie und sah die Herren umher an, »ich denke, die Dame Ihres Herzens wird es Ihnen Dank wissen. Allein hier ist so Hohes auf dem Spiel, daß keine Entschuldigung gelten kann. Wir müssen Alles genau wissen; es darf nichts verborgen bleiben; überdies scheint es mir, es sei das Geheimniß, welches Sie zu bewahren streben, uns Allen kein Geheimniß mehr. Fahren Sie fort.«

Frederico erzählte nun ohne Anstoß Alles, was er wußte. Zuweilen zeigten sich die Zuhörer überrascht, zuweilen lächelten sie, sahen sich mit bedeutenden Blicken an, und sprachen dann heimlich. Endlich mußte der Student nochmals Alles wiederholen, und einer der Herren schrieb seine Aussage nieder; plötzlich aber stand die Dame lebhaft auf, schritt dicht heran an ihn, legte die Hand auf seine Schulter, und indem sie mit ihren schwarzen, feurigen Augen ihm gerade ins Gesicht blickte und mit dem Finger ihrer Rechten auf das beschriebene Blatt deutete, sagte sie:

»Können Sie das beschwören, Sennor? Ist es Wahrheit? Im Namen Gottes und aller Heiligen! ist es so, wie Sie sagen? Ist kein Wort darin zu viel? Sahen Sie selbst das Document? Santa madre! ist es möglich! Es kann nicht möglich sein, und doch, meine Freunde, was sagen Sie? Was denken Sie, Herr Herzog von St. Fernando, und Sie, Herr Marquis von Santa Cruz? Sie, Herzog von St. Lorenzo und dort unser bedachtsamer Freund Martinez de la Mosa? – Nein, ich bin nicht verlassen im Kreise der Besten und Weisesten. Ach, Cambronero, Sie nennt man den größten Rechtsgelehrten, den Spanien besitzt, so rathen Sie uns, was kann ich in diesem schrecklichen Augenblicke thun, um mich meiner arglistigen Feinde zu erwehren?«

Der Herr, welcher das Protocol geschrieben, sah empor, und Frederico erkannte jetzt überrascht den berühmten Professor, den er früher schon gesehen; zugleich blickte er erstaunt und ahnungsvoll auf die übrigen Anwesenden, welche so ausgezeichnete Namen trugen.

»Es ist zu bedenken,« sagte Cambronero, »ob unser Herr zur Besinnung zurückkehrt, oder ob er auf immer diese Welt verlassen mußte. Im letzten Falle gilt es, so schnell als möglich sich mit Männern wie Zarco del Valle, Morillo, San Martin, Amarillas und allen denjenigen zu verständigen, welche zu fürchten haben, um« – dies sagte er mit gedämpftem Tone – »mit der Spitze des Schwertes das erschlichene Document zu zerschneiden. Kehrt jedoch durch Gottes gnädigen Willen noch einmal die Besinnung wieder, so darf kein Augenblick versäumt werden, den erlauchten Kranken zu einem Widerruf zu vermögen. Man muß ihm Alles ohne Schonung mittheilen; muß ihm sagen, wie sehr sein Vertrauen gemißbraucht, die Schwäche einer unglücklichen Minute benutzt wurde. Man muß ihm die Zeugen vorführen, die der Himmel für Ew. Majestät erweckt hat.«

»Ja!« rief die Dame mit einer raschen Bewegung, »Ihr habt Recht, Cambronero, wir müssen handeln! – Erwarten Sie mich hier, nichts soll mich abhalten, das Äußerste zu thun, was gethan werden kann. Sie sollen nicht triumphiren, wenn ich es hindern kann! Noch lebt Don Fernando, noch kann er widerrufen. Er muß hören, wie man versucht hat, Schmach über ihn zu bringen, sobald sein Auge sich geschlossen; er muß die Falschheit kennen lernen, die Ränke, die ihn umwoben, und er soll es durch mich.«

So entfernte sie sich schnell.

»Ich denke, Sennores,« sagte Cambronero mit einem leisen Lächeln, in seinen scharfen Zügen, »dies ist das Beste, was geschehen kann. Ordnen wir alle Thatsachen in den wichtigen Vorgängen dieser Nacht, welche über Spaniens Geschick und Zukunft entscheidet, so ist der Ausgang mir durchaus nicht zweifelhaft, vorausgesetzt, daß der König noch nicht todt ist. Die Apostolischen sind thätig gewesen. Bis in die Camarilla und in das Cabinet drängten sich ihre Creaturen. Die Garden, die General-Capitäne, ein Theil der Staatsbeamten und der Masse sind längst gewonnen. Mit Don Fernandos Tode beginnt auf jeden Fall ein Kampf, der nicht abzuwenden ist. Die Thronfolge ist der gordische Knoten, welcher durchhauen werden muß, denn niemals wird der Infant sein Recht aufgeben, das alte salische Recht gegen die neue pragmatische Verordnung vom 9. Mai 1830, die ihn enterbt. 1829 hatte sich der kinderlose Ferdinand zum vierten Mal vermählt, diesmal mit seiner Nichte Maria Christina von Neapel-Sizilien die 1830 die zukünftige Königin von Spanien, Isabella II., zur Welt brachte. Auf Betreiben von Königin Maria Christina verwirklichte Ferdinand VII. die von den Cortes 1822 beantragte Aufhebung des salischen Gesetzes am 29. März 1830 durch eine sogenannte pragmatische Sanktion, die die alte kastilische kognatische Erbfolge und damit die Möglichkeit einer weiblichen Thronfolge wiederherstellte. Dieser Entschluss trug dazu bei, Spanien für Jahrzehnte zu destabilisieren, da sein Bruder Carlos dies als Raub seiner Thronansprüche ansah und umgehend nach Ferdinands Tod den ersten von mehreren Carlistenkriegen auslöste, um Maria Christina und Isabella vom Thron zu vertreiben. Schwer erkrankt, übertrug der König im Oktober 1832 seiner Gemahlin die Leitung der Staatsgeschäfte, worauf sich ein liberales Regierungssystem entwickelte. Der carlistisch gesinnte Minister Calomarde, der den fast bewusstlosen König ein Dekret, das die Pragmatische Sanktion von 1830 aufhob, hatte unterzeichnen lassen, musste flüchten, und Ferdinand erklärte am 31. Dezember dieses Dekret für erschlichen. Am 4. Januar 1833 übernahm er die Regierung wieder selbst, doch starb er schon am 29. September 1833. Er kann es nicht und wird es nicht, und nichts würde ihn hindern, die Krone zu tragen, wenn nicht die Nation selbst dagegen aufsteht. Es kam darauf an, ob nicht durch List feierlich zu erreichen sei, was das Schwert zweifelhaft erwirbt. Die Nation ist unruhig, sie haßt die Inquisition, die absolute Gewalt; es gährt von Süden bis Norden, aber diese Gährung würde noch lange keinen Stützpunkt finden ohne die Autorisation des Decrets, das Allen befiehlt, Christinen und ihren Kindern anzuhangen, den Infanten aber zu verwerfen. – Nun ist es geglückt, dies wichtige Document zu widerrufen, der Beweis ist in den Händen des Infanten, und Christinens Kinder sind jetzt die Enterbten, denn das salische Gesetz ist hergestellt. Wenn es daher nicht gelingt, den König neu zu beleben, so fürchte ich …«

»Was?« sagte der Marquis de la Cruz.

»Daß wir uns dicht am Vorabend einer großen Revolution befinden.«

»Still! still!« rief der Herzog von St. Lorenzo, und er sah sich fast ängstlich um bei dem schrecklicher Worte, das an diesem Orte erscholl, dann blickte er seinen Nachbar an, den großen, schönen Martinez de la Rosa, der lächelnd vor sich hin sah und nachdenkend sagte:

»Nennen Sie es Reform, lieber Cambronero, weisen Fortschritt der Zeit, gemäßigt, sittlich, dem Bedürfniß angemessen nicht wild zerstörend, sondern aufbauend, in abgemessenen Stufen aufsteigend, keine überspringend.«

Der Rechtegelehrte beobachtete prüfend einen Augenblick den ehemaligen Cortesminister, und in seinen großen Augen loderte es feurig auf.

»Reform!« rief er, »ei freilich und welche Reform! Wir haben die Antecedentien vor uns. Ihr meint doch, Sennor, Reformen, wie Ihr sie bilden halft, oder meint Ihr das nicht? Geben Sie wohl Acht, Herr de la Rosa, die Zeit läßt nicht mit sich schmerzen. Hier stehen wir wenige Schritte von dem Todeslager eines mächtigen Fürsten dieser Erde. Es ist ihm gelungen, die Revolution, oder Reform, in Bande zu schlagen; doch scheinbar nur mein Herr! Der Abgrund ist zugedeckt, doch unten wühlt der alte Maulwurf immer tiefer und weiter. Glücklich für unsern König, wenn er stirbt, ehe er gewahr wird, daß alle seine Macht nichts half, daß alles Blut und alle Thränen umsonst geflossen sind, daß eine bewegende Idee nicht stirbt, und wenn alle Kanonen der Erde darauf abgefeuert würden, ohne Unterlaß. Die Geschichte richtet die Todten, die Nationen die Lebendigen. Man muß wohl zusehen, daß man vor beiden mit Ehren bestehen kann.«

»Wohin führt dies Gespräch?« sagte der Dichter und Minister, indem er aufstand und sein Auge über Frederico gleiten ließ, der, ganz ergriffen von Cambroneros Worten, diesen mit leuchtenden Blicken betrachtete. »Hüten wir uns, den Fanatismus anzufachen! Ruhe und Besonnenheit ziemen dem Manne, und, weiß es Gott! wir werden beides nöthig haben.«

Er nahm Cambronero bei der Hand und ging mit ihm an die andere Seite des großen Gemaches, wo sie leise mit den beiden Herzogen sprachen, welche ihnen folgten.

Frederico hatte einige Minuten lang über das, was er gehört, vergessen, was er sehen konnte; jetzt aber bei einem Geräusch blickte er auf, und noch immer hinter dem großen vergoldeten Lehnstuhl stand Rosaura fast ganz versteckt von dem bauschigen Polster. Sie sah ihn fragend, durchdringend an. Ihr schönes Gesicht war trüb und erwartungsvoll, und doch glänzte die Hoffnung darin; als er aber sich ihr näherte, lächelte sie ihm entgegen, und aus den schwarzen Augensternen brach ein Strom von Liebe, Freude und Wonne, der ihn plötzlich aus allem Schrecken und Bangen in das Land der Seligkeit führte.

»Ach, Madonna,« sagte er, »welch unermeßliches Glück, Sie hier zu finden! Was ist Alles geschehen in dieser einzigen Nacht! Wie Seltsames, wie Schlimmes und nun wie Entzückendes! Haben die arabischen Wunder sich erneut? Bin ich wirklich aus dem tiefen Kerker in die Prachtzimmer eines Königs versetzt? Und Sie, Rosaura, angebetete Herrin, Licht meiner Augen, wie war es möglich, Sie hier zu finden?«

»Durch unsern Freund, Geronimo Regato,« erwiederte sie leise.

»Der Verräther!« rief Frederico heftig, »an ihm liegt es nicht, wenn ich mit dem Leben davon komme.«

»Still, still!« erwiederte sie, »Sie wissen nicht, was er that. Er war es, der mir zuerst Nachricht von Ihnen brachte. Er war mein Vertrauter, er kannte meine Noth und meinen Abscheu gegen den verhaßten Mann, der mich schon sein eigen nannte. Mein Vater war Präsident des Gerichtshofes in Burgos; er war von alter Familie, doch nicht vom ersten Adel; dafür hatte er durch mancherlei Umstände, durch Güterverkauf und Geschäftigkeit während der Kriegs- und Constitutionszeit ein großes Vermögen erworben. Auch er, der Verhaßte, ist aus dem Volk entsprossen. Mein Vater war sein Freund; er schützte ihn, und seiner Macht verdankten wir es, der Verfolgung entgangen zu sein. Dafür ward ich ihm zugesagt. Mein Vater starb im letzten Jahr, nun verwaltete er mein Vermögen, ich war in seiner Gewalt. Santa virgen, ich bin befreit!«

Sie reichte ihm die Hand, die er mit Küssen bedeckte und die sie, mit zärtlichen Blicken ihn betrachtend, erst zurückzog, als das Geräusch die Aufmerksamkeit der lebhaft sich besprechenden Herren zu erregen schien.

»Ist das ein Ort,« sagte das Fräulein schelmisch leise, »wo so etwas geschehen darf? und doch, Frederico, Seele meines Lebens! warum soll ich es läugnen, daß ich Sie liebe, seit ich Sie sah?«

»Erbarmen!« rief der junge Mann, zitternd vor Wonne, »machen Sie mich nicht wahnsinnig.«

»Still!« flüsterte sie, »Cambronero sieht sich um, er weiß genug von uns; er lächelt. Hören Sie mich, Frederico. Der Augenblick der Entscheidung ist dicht an der Thür, ich fürchte ihn nicht, ich hoffe und liebe. Geronimo war es, der Sie zu mir führte in der Tracht eines Gallego; Geronimo haßt den, den wir hassen, er kannte mich als Kind, er kannte meinen Vater, er liebt uns beide. Er erzählte mir von Ihnen, noch ehe ich Sie gesehen; er nannte mir die Stunde, wo Sie auf dem Prado waren, ich erkannte Sie beim ersten Blick

»Und wo ist der sonderbare Mann?« fragte Frederico.

»Ich weiß es nicht, aber gewiß ist er in der Nähe. In der Nacht vor wenigen Stunden, als ich ruhelos an Sie dachte, hielt plötzlich ein Wagen vor meiner Thür. Er war mit Fackeln umringt, von Wachen begleitet; man forderte mich augenblicklich in dies Schloß. Ich zitterte, ich wußte nicht, welch Unheil mich bedrohte, da sah ich Geronimo. Er lächelte mir zu. Ihr Heiligen! welcher Trost für mich! Seid ohne Zagen, flüsterte er, die Stunde des Glücks ist nahe. Der Verhaßte ist besiegt. Frederico hat ihn vernichtet.«

»Ich ihn vernichtet?« rief der junge Mann. plötzlich sich besinnend, fuhr er fort: »Wunderbare Fügung! ja, ich erkenne jetzt fast klar, daß ich unbewußt das Mittel geworden bin, die geheimsten Intriguen eines sehr mächtigen Mannes aufzudecken. Aber wer ist er? Ich weiß es nicht! Ich rathe hin und her: Wer ist er, der nach meinem Leben trachtet und nach dem edlen Schatze, ohne den das Leben keinen Werth für mich hätte?«

»Sie kennen ihn nicht?« fragte Rosaura erstaunt; »es ist …«

Hier verstummte sie plötzlich, denn der schwere goldene Vorhang rauschte von der Thür, in heftiger Aufregung eilte die schöne Dame herein.

»Seine Majestät ist erwacht,« rief sie, »zum neuen Leben erwacht, Dank der Gnade des ewigen Gottes! Ich habe gesprochen, meine edlen Freunde, und nicht vergebens. Der König will die Zeugen selbst hören. Diese beiden jungen Leute werden mich begleiten; auch Geronimo Regato, ruft ihn herbei. Verweilen Sie hier, Cambronero, Sie alle, ich muß Sie wiedersehen, ich bedarf Ihres Raths, verlassen Sie mich nicht.«

»Wenn wir uns wiedersehen,« sagte Cambronero, indem er sich verbeugte und seine Stimme erhob, »werden wir die Regentin Spaniens empfangen.«

In dem Augenblick trat Regato herein, und Frederico zuckte zusammen. Es war derselbe Mann in der dunklen Tracht, der ihm aus dem Gefängniß hierher nachgefolgt und den er für seinen Henker gehalten hatte. Wie Blitze fuhr es durch seinen Kopf. Regato hatte ihn selbst angeklagt, um für sich freier handeln zu können; er hatte, was er ihm erzählt, sammt der Liste der Verbündeten zu seiner Rettung benutzt, es Cambronero oder der Königin mitgetheilt, was er erfahren. Es war sein Werk, wie es geschehen, er konnte nicht daran zweifeln, und verwirrt, schwindelnd vor Erwartung und Aufregung folgte er an Rosauras Seite der schönen Dame, die ihnen voranschritt und sie durch eine Reihe in aller königlichen Pracht schimmernder Säle und Gemächer führte, bis sie an einer Thür still stand und mit sanfter Stimme sagte:

»Sprecht ohne Furcht. Hier gilt keine Heimlichkeit, darum öffnet Eure Herzen ganz und ich will Euch glücklich machen; nie soll meine Gnade Euch fehlen.«

Leise bewegte sich die Thür, überrascht blieb die Königin stehen, eine dunkle Glut bedeckte ihre leidenschaftlich erregten Züge. Man konnte das Zimmer übersehen, das, mit dämmerndem Licht erhellt, mehrere Personen erkennen ließ, die in einem Halbkreis standen. –

Vor dem Marmorkamine befand sich ein Ruhebett, auf welchem in halb sitzender Stellung der Kranke ruhte, dessen bläulich weißes, leidendes Gesicht geisterhaft durch die nebelnde Beleuchtung drang. Ein Priester im schwarzen Gewande kniete zu seinen Füßen und murmelte leise Sterbegebete, der Doctor Castillo hielt den Arm des Königs und zählte die matten Pulsschläge; auf dem sammtenen Betpult zu Seiten des Hauptes faltete eine Dame die Hände, deren große, dunkle und rollende Augen unruhig und feurig durch das Sterbezimmer leuchteten und nichts weniger als eine schmerzliche Trauer ausdrückten.

»Wo hast Du das Document?« hörte man jetzt den Kranken mit Anstrengung fragen. »Ich vertraute es Deinen Händen, ich verlange es zurück. Jetzt sogleich!«

»Mein gnädigster Herr,« erwiederte der, an den die Worte gerichtet – und an der Stimme erkannte Frederico, wer es war, er fühlte Rosauras Hand leise zittern –, »dies Papier, dies hochwichtige Document, entworfen nach langen, weisen Erwägungen, soll nicht von den Eingebungen des Augenblicks abhängig sein, denn …«

»Wo ist es?« fragte der Kranke heftig.

»In sicherster Verwahrung.«

»In den Händen des Infanten,« rief die Dame mit starker Stimme, indem sie hereintrat.

»Verräther!« rief der König, indem er sich mit äußerster Gewalt aufzurichten suchte, »belohnst Du so mein Vertrauen?« –

Eine Pause folgte.

»Hören Sie mich, mein gnädigster Herr,« sagte der Angeschuldigte, aber plötzlich wurde er bleich, wie der Sterbende, als er Rosaura, Frederico und Geronimo an der Thür erblickte.

»Hören Sie diese,« fiel die Königin ein, indem sie zärtlich den leidenden Gemahl umarmte und an seiner Seite sich weinend niederbeugte. »Man hat Sie verrathen, Sire, man hat Ihr Vertrauen empörend gemißbraucht, man hat sich gegen mich verschworen, gegen Sie, gegen Ihre schuldlosen Kinder! – Treten Sie vor, Sennor Frederico, reden Sie frei, Sie stehen unter dem mächtigen Schutze Ihres Königs, der unbedingte Wahrheit von Ihnen verlangt.«

»Halt!« sagte der Kranke, »ich weiß Alles, ich habe die Aussage des jungen Mannes so eben gelesen, die Sie niederschreiben ließen. Ist es so, wie es da steht?«

Er reichte dem schwarzen Herrn das Papier, das auf einem Tische lag. Dieser sah es an, seine Hand zitterte, er ließ den Bogen sinken und beugte seine Knie, indem er mit schwankender Stimme sagte:

»Ich kann es nicht läugnen, es ist so, aber hören Ew. Majestät meine Rechtfertigung, ich flehe um eine kurze Unterredung.«

Die kleine Dame sprang vom Betpult auf und eilte glühend vor Zorn auf den Knieenden zu. Ihr dunkles Gesicht mit den blitzenden Augen zitterte vor Leidenschaft.

»Verräther!« rief sie, »wo ist das Document? wo hast Du es? Du hast es gestohlen, Du hast es Menschen ausgeliefert, die so verworfen sind, wie Du selbst.«

»Madame!« erwiederte der Gescholtene bestürzt und mit gereiztem Tone –

Er konnte nicht weiter sprechen, denn die heftige Infantin hob blitzschnell ihre Hand auf und ließ sie mit aller Gewalt in das Gesicht des Ministers fallen, der davon zurücktaumelte.

»Carlotte!« rief die Königin, indem sie ihre Schwester umarmte und festhielt.

»Der Bösewicht! der Elende!« schrie die Infantin mit äußerster Gewalt.

»Hinweg mit ihm aus meiner Nähe,« flüsterte Ferdinand der Siebente, und seine Stimme erlosch immer mehr während er sprach. »Die Königin, der ich die Regentschaft während der Dauer meiner Krankheit übertrage, wird über ihn zu richten haben; ich aber, ich selbst entbinde Dich aller Deiner Ämter und Ehren. Fort auf immer! Du bist mein Minister nicht mehr, Tadeo Calomarde! – O Gott, welche bittere Täuschung! – Auch er! – Auch er! – Bei allen Heiligen, er soll es büßen! – Ach, wehe mir! das ist mein Todesstreich!«

Er sank wie eine Leiche in die Kissen, aber er erholte sich nach wenigen Minuten wieder und vor den versammelten Ministern ward das Decret für erschlichen, null und nichtig erklärt, die pragmatische Verordnung von Neuem festgestellt, und die Königin zur Regentin ernannt. –

Frederico stand während der ganzen Zeit betäubt. – Calomarde Francisco Tadeo Calomarde de Retascón y Arriá (1773-1842) hatte seinen Aufstieg als spanischer Staatsmann der französisches Invasion 1823 zu verdanken, durch die das absolutistische Königtum in Spanien wiederaufgerichtet wurde. Er war 1824 bis 1833 Justizminister. Die Gunst des Königs verlieh ihm eine große Machtfülle, die er zur Aufrechterhaltung des Absolutismus, zur Unterdrückung von Freiheitsbestrebungen, besonders durch die geheime Polizei, zur Zurückberufung der Jesuiten, zur Wiederherstellung der Klöster und zur schonungslosen Verfolgung der Liberalen benutzte. Als der König am 14. September 1832 in seinem Sommerpalast La Granja so gefährlich erkrankte, dass er nach Ansicht seiner Ärzte bereits im Sterben lag, warnte Calomarde die Königin, dass im Fall von Isabellas Thronbesteigung ein Bürgerkrieg drohe. Die erschreckte Königin bat ihren Gemahl, sobald er sich etwas erholt hatte, um die Zurücknahme seines Dekrets und die Wiederherstellung des Salischen Gesetzes. Ferdinand VII. signierte am 18. September den zuvor von Calomarde verlesenen diesbezüglichen Erlass in Gegenwart seiner Gattin und der Regierung. Doch der König genas wieder und wurde zu einer abermaligen Sinnesänderung bewogen. Er entließ seine Regierung, ernannte eine neue, deren Vorsitz Francisco Cea Bermúdez innehatte und annullierte am 31. Dezember 1832 sein Dekret vom 18. September. Calomarde wurde auf seine Güter in Aragonien verwiesen und sollte drei Monate später sogar verhaftet werden, entkam aber als Franziskaner verkleidet nach Frankreich. Seitdem lebte er meist in Orléans unter Aufsicht der französischen Polizei und starb 1842 in Toulouse. also! er, dessen blutige Hand auf dem unglücklichen Lande lastete, er, der Gewaltige, der Schrecken Spaniens und sein Fluch, der Mörder des edlen Torrijos und seiner unglücklichen Gefährten, er war vor ihm erlegen, vor ihm, dem unbedeutenden Menschen, dem Wurm, den ein Druck des Fingers zerquetschen konnte.

Noch immer hatte er sich nicht ganz erholt, als er nach einigen Stunden, eben als die Morgensonne jung hervorbrach, im Gemach der Regentin stand. Doppelt heiße Leidenschaft fühlte er zu der schönen Rosaura, welche ebenfalls dorthin beschieden, von seinen feurigen Liebesblicken fast versengt wurde. Als die Königin lächelnd fragte: ob es noch immer der jungen Dame Wunsch sei, Frederico zu heirathen, erwiederte sie ein feuriges Ja, dann fügte sie leise lächelnd hinzu, sie hoffe jedoch ihn nimmermehr wieder in einen Wandschrank verstecken zu müssen.

»Fürchten Sie nichts von Calomarde,« rief die Regentin tröstend, »er ist entflohen. Vergebens suchten ihn die, welche sich seiner Person versichern sollten. Sie stehen unter meinem Schutze, Rosaura, und auch Sie, Sennor Frederico; Sie haben sich bleibende Ansprüche auf meine Dankbarkeit erworben. Der König will Ihnen wohl, und womit könnte ich dies besser beweisen, als wenn ich Rosauras Hand in die Ihrige lege und Ihnen verspreche, stets Ihre Freundin und Beschützerin zu sein.«

Die Liebenden sanken entzückt ihrer mächtigen Beschützerin zu Füßen, und wir beschließen diese Skizze, indem wir versichern, daß nach drei Monaten die Hochzeit erfolgte, auf welcher Marie Christine selbst erschien und einen Kranz von Diamanten in die dunklen Locken der schönen Braut befestigte.

Geronimo Regato zog mit den jungen Vermählten auf ein prächtiges Landgut in der Nähe von Burgos, wo er einige Zeit friedlich und glücklich lebte. Aber da er nie es ganz lassen konnte, Kundschafter und Rathgeber zu sein, kehrte er bald nach Madrid zurück und kam bei dem Aufstande ums Leben, womit nach Ferdinands des Siebenten Tode die Umwälzungen Gemeint sind die sog. Carlistenkriege, die seit 1833 Spanien in zwei Lager teilten; diese Auseinandersetzungen, in welchen die Zentralmacht (wenngleich mitunter nur knapp) die Oberhand behalten konnte, ohne andererseits der carlistischen Bewegung endgültig Herr werden zu können, werfen ein Schlaglicht auf den spanischen Sonderweg: Während im 19. Jh. und namentlich um 1848 in vielen Ländern Europas progressive Revolutionäre gegen ihre konservativen Staatsspitzen aufstanden, hatte es in Spanien umgekehrt eine liberale Staatsspitze mit einem Aufstand von Konservativen zu tun. Im Kern handelt es sich um einen innerspanischen Kulturkampf, der sich von der napoleonischen Besatzung bis zum Spanischen Bürgerkrieg von 1936 hinzog und in immer neuen Bürgerkriegen ausgefochten wurde. Der Ausgangspunkt: die Frage der Legitimität der Thronfolge (Isabella oder Carlos), bildete mit seinen dynastischen Zielsetzungen lediglich den Vordergrund. begannen.

 

Druck von C. F. Kius in Hannover.

 


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