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Der Freischulz von Bolau.


1.

Es war ein heißer, heller Maitag gewesen, dessen Sonne jetzt in der Abendnähe hinter Wolken sich regenroth verbarg, als ein junger, einsamer Wanderer auf der Landstraße eines Thales fortschritt, durch welches ein Strom geschwätzig über sein Kiesbett rauschte. Das Land lag luftig grünend von Saaten; weiß in ihren Blüthenmänteln standen die Bäume und schüttelten sich in dem frischen Luftzuge, der von den Hügelkämmen herunter kam.

Der junge Mann in seinem Staubmantel, den Stock in der Hand und ein Ränzchen auf der Schulter, schritt rüstig zwischen Berg und Fluß fort, als er hinter sich das Rollen eines Wagens hörte, der bald an einer Biegung der Straße sichtbar wurde und einige Augenblicke darauf dicht bei ihm war.

Es war ein Korbwagen, mit zwei starken, raschen Pferden bespannt, die ein kräftiger Mann zügelte, der in der besten Laune zu sein schien. Seiner Kleidung nach war es ein wohlhabender Bauer oder Pachter, welcher vom Markt oder Geschäft aus der Stadt zurückkehrte und sich dort gütlich gethan hatte. Sein Hut saß ein wenig schief auf dem rothen, trotzigen Gesicht, er rauchte eine Cigarre, schnippte mit der Peitsche durch die Luft, als er den Wanderer erreicht hatte, und faßte grüßend nach der Krempe, als er ihn näher ansah.

»Lauft zu,« rief er vom Wagen herunter, »es wird Regen geben.«

»Könnt ihr mir sagen, Herr,« fragte der Wanderer, »wo ich den Fußsteig finde, der hier irgendwo über die Berge nach Bolau führt?«

Der Mann hielt seine Pferde an.

»Da müßt Ihr noch ein gutes Stück weiter,« erwiederte er. »Was wollt Ihr denn in Bolau?«

»Ich will dort übernachten,« sagte der Fremde.

»Es ist kein Wirthshaus da, das sucht Ihr vergebens. Giebt kein Bier, keinen Wein dort, ich bin bekannt.«

Aber es ist ein Prediger in Bolau, bei dem will ich bleiben.

»Bei dem alten Pastor Landgraf!« rief der Mann lachend. »Ja, wenn Ihr den kennt, so gehts allenfalls; aber zu essen und zu trinken wird's nicht viel geben. Wer seid Ihr denn?«

»Ein reisender Candidat.«

»Alle Wetter!« sagte der Bauer, »also ein Gelehrter. Ja, die müssen zu Fuße gehen; klingt ihnen kein Geld in der Tasche; das ist die Art so. – Springt herauf, ich will Euch bis an den Fußsteig mitnehmen. Ich fahre zwar auch nach Bolau, aber ich mache einen Umweg; wenn Ihr den mitmachen wollt, könnt Ihr ganz mitfahren.«

»Wohin soll's denn gehen?« fragte der Fremde, indem er sich setzte.

»Ich will's Euch sagen,« fuhr der Andere fort. »Ich bin der Ludolph Kracht aus Heiningen; wenn Ihr aus der Gegend wärt, würdet ihr mich wohl kennen. Merkt Ihr was? An Geld fehlt's mir nicht, und ein lustiges Leben weiß ich zu schätzen. – Heute bin ich in der Stadt gewesen, habe da ein paar hundert Scheffel Getreide verkauft legte Woche und nun eingestrichen, was mir zukam. Eine Viertelstunde von hier liegt ein schmuckes Haus mit einer Henne über der Thür, wohnen gute Leute darin, lustige Kameraden sind da immer zu finden; wird getrunken, geschmaus't und ein Spielchen gemacht. Jetzt wißt Ihr's, und wenn Ihr mitwollt, so kommt, lange soll's nicht dauern.«

»Ihr werdet Euer Geld verspielen,« sagte der Fremde warnend.

»Nun, Herr, und wenn ich's thäte?« rief Ludolph Kracht trotzig. »Ich habe mehr davon zu Hause, und sollte es nicht langen, weiß ich, wo anderes zu haben ist. Mein Schwiegervater hat ja Säcke voll stehen und rührt die alten Thaler nie um, daß sie schimmeln müssen. Kommt, spielt mit, ich will Euch einen Vorschuß machen.«

»Ich spiele nie,« erwiederte der Fremde.

»Darum habt Ihr auch nichts,« rief der Bauer höhnisch; »aber wie Ihr wollt; dort geht der Fußsteig quer über die Felder den Schloßberg hinauf, unten liegt Bolau. Also beim Pfarrer wollt ihr bleiben?«

»Ja, er ist doch wohlauf?« fragte der Andere, ins dem er vom Wagen stieg.

»Was soll ihm fehlen?« sagte Ludolph lachend. »Fett kann er nicht werden, dafür ist gesorgt. Aber halt,« rief er, und hielt des Fremden Hand fest, »seid Ihr etwa ein Verwandter? Er hat einen Neffen. Seid Ihr sein Neffe?«

»Warum fragt Ihr danach so eifrig?« erwiederte der junge Mann.

»Und wenn Ihr's auch wäret,« rief Ludolph Kracht; »meinetwegen, schaden könnt ihr mir nicht. Ich habe nur einmal davon gehört, daß er einen Neffen hat, der vor Jahren bei ihm war. Jetzt lauft zu, vielleicht bin ich eher in Bolau, als Ihr. Ihr braucht es Niemandem zu sagen, daß Ihr mich gesehen habt.«

Er gab den Pferden einen Streich, der Wagen eilte weiter, und gegen den guten Rath Ludolph's ging der Wanderer langsam über die Felder und stieg dann den Berg hinauf, den er Schloßberg genannt hatte, obwohl kein Schloß darauf stand, sondern hohe Waldbäume, die ihre Kronen in den dunkelnden Himmel streckten.

Oben konnte man bei heller Luft meilenweit in die Ferne blicken. Auf der einen Seite breitete sich die endlose Ebene aus, welche erst am baltischen Meere endet; am Horizont der anderen Seiten schimmerten hier in blauen Nebeln die waldigen Gebirge Thüringens, dort lagerte sich in langen steigenden Linien das Erzgebirge, und zwischen beiden drängte sich Berg an Berg und Thal an Thal, durch welche Ströme ihre rauschende Bahn brachen. –

Viele große Höfe lagen in Nähe und Ferne zerstreut. Schloßthürme stiegen stolz empor, die Spitzen und goldenen Kreuze mehrer Kirchen blitzten aus der Mitte kleiner Dörfer, in denen das Menschenleben sich zusammengethan, und zwischen ihnen hob sich am entfernten Bergabhange eine Stadt empor, von Rauchwolken umlagert, die auf thätigen Gewerbfleiß, auf Maschinen und Fabriken deuteten. –

Das Land aber war weit und breit grün, blüthenbedeckt und so lieblich anzuschauen, daß der Fremde lange dort stand, als könnte er sich nicht satt sehen. Aus der Nähe flogen seine Blicke in alle Weite und kehrten von dort ins Thal zu seinen Füßen zurück, wo fünf oder sechs Höfe ein kleines Gemeindewesen bildeten, das kreisförmig die Kirche umschlossen hielt. Ein Haus nur, welches stattlich an der Hügelsenkung stand und mit seinem Garten daran hinaufzog, war aus der Ordnung gewichen. Mit seinem hohen rothen Dache kündigte es sich als neu erbaut an; groß und geräumig lag es unter alten Birnbäumen und Linden, zwischen denen seine Fenster im Abendlichte glänzten.

Neugierig blickte der junge Mann auf dies Haus, plötzlich jedoch wandte er den Kopf um, denn er hörte eine singende Stimme, und gleich darauf sah er an der Bergseite ein Mädchen kommen, die mit leichten Schritten über die Steinstufen stieg, welche, wie eine Treppe, aufwärts führten. Ihr Gesicht war unter dem großen Strohhut verborgen, an welchem lange grüne Blätter flatterten. Ein Jäckchen von streifigem Cattun bedeckte Arme und Brust, sonst aber war ihre Tracht ganz die einer Bäuerin. Kurze Röcke mit farbigen Besätzen, die langen braunen Flechten mit Band durchzogen, Zwickelstrümpfe und hohe Lederschuhe, das war alles, wie es die stattlichen Dirnen hier zu Lande tragen. In der Hand hielt sie einen kleinen Rechen, und hinter ihr klingelte eine junge Ziege, der die Klingel um den Hals gebunden war. So gingen die Beiden auf dem Fußsteig, die Eine so lustig wie die Andere, und der helle Gesang des Mädchens wurde nicht unterbrochen, als sie den fremden Mann unter den Bäumen sie erwarten sah.

Erst als dieser in die bekannte Weise einstimmte, wurde sie aufmerksam, dann schwieg sie still und blieb einige Schritte vor ihm stehen. Lächelnd und fragend blickte sie den Fremden an, bis dieser ihre Hand ergriff, die sie ihm willig überließ.

»Kennst Du mich denn wirklich nicht mehr, liebe Martha?« fragte er lebhaft.

»Nein, lieber Herr,« sagte sie.

»Sieh mich doch an,« fuhr er fort, »sieh mich nur genau an, Martha. Wäre es möglich, daß Du mich vergessen hättest?«

Plötzlich glänzten Martha's Augen, ihr ganzes Gesicht wurde roth.

»Jesus,« rief sie, »es ist Hermann, Pastor's Hermann!« –

In der ersten Freude hatte sie nichts dagegen, daß der junge Mann sie in seine Arme nahm und herzlich küßte, ja, sie erwiederte diese zärtliche Bewillkommnung, bis sie sich loswand und Hand in Hand vor ihm stehen blieb, um mit freudigen erinnerungsvollen Augen sein verändertes Wesen und seine mannhafte Gestalt zu mustern.

Nach und nach trat das Gefühl ein, daß die Jahre eine tiefe Kluft zwischen dem Sonst und dem Jetzt geöffnet hatten. Martha stockte bei seinen Fragen; Vertrauen und Entfremdung kämpften in ihr; sie war verlegen, wie sie den Jugendgefährten anreden und behandeln sollte, der als ein verändertes Wesen nicht mehr zu der alten Sitte paßte. Bald jedoch, als er sie bat, ihn, wie sonst, ihren Freund und Du zu nennen, und als er ihr erzählte, wie oft er an sie gedacht, von ihr sich vorgesprochen und sich gefreut habe, sie wieder zu sehen, wie endlich sein Herz geschlagen, als er sie erblickt und gleich erkannt, da kehrte das natürliche Zutrauen schnell zurück.

»Woran erkanntest Du mich denn, Hermann?« fragte sie erfreut.

»Weiß ich es selbst?« erwiederte er. »Eine Stimme sagte mir: das kann nur Martha sein. Ich glaube, es kommt daher, weil ich so oft an Dich dachte.«

»Davon kommt es nicht,« versetzte sie, »sonst hätte ich Dich gleich erkannt, denn wie oft stand ich hier oben und rief Deinen Namen in die Luft.«

Das unbefangene Geständniß entzückte ihn. –

»Setze Dich hier einen Augenblick an den Baum, wo wir so oft gesessen haben, bis Dein Vater kam,« sagte er bittend.

Sie sah hinab nach dem Hofe unter den Linden.

»Vielleicht kommt er bald,« erwiederte sie, »wir müssen es d'rum schnell abmachen.«

So saßen sie beide Hand in Hand und sprachen von der Vergangenheit. Hermann erzählte, wie er in den zwölf Jahren seiner Abwesenheit auf Schule und Universität gewesen, wie er dann seine Prüfungen abgelegt und nun die Aussicht und das Recht habe, sich im Justizwesen des Landes, oder als Advocat, anstellen zu lassen. –

»Du weißt,« fuhr er dann fort, »daß ich ein armes verlassenes Kind war, als mein alter Onkel, der Pfarrer da unten, mich zu sich nahm, der auch nicht viel übrig hat, denn seine Stelle ist keine von den reichen. Als eine Tante in der entfernten Provinz sich daher erbot, für mich zu sorgen, mußte ich fort, und mit wie vielen Thränen nahm ich Abschied von Dir, liebe Martha, und marschirte der Poststation zu, wohin mich der alte Landdoctor, Herr Lebrecht Krumm, begleitete!«

»Der ist jetzt ein reicher Mann geworden,« sagte Martha. »Vor mehren Jahren ist er in die Stadt gezogen, hält Pferde und Wagen, und seit er den Bürgermeister Frankenberg vom Tode gerettet, hat er Zulauf von nah und fern.«

»Vortrefflich!« sagte Hermann. »Damals schob er mich in den Wagen und schrie: ›Dummer Junge, sei still! Du wirst wieder kommen, wenn Du klüger bist; dann wollen wir weiter für Dich sorgen.‹«

»Das wird er nicht vergessen haben,« fiel das Mädchen ein, »er gilt viel und kann auch helfen.«

»Helfe Jeder sich selbst,« sagte der junge Mann, »und wie ich hier bei Dir sitze, Martha, denke ich, mir ist schon geholfen. Zwar habe ich weder Gut noch Geld, denn die Tante ist gestorben und hat mich nur spärlich bedacht, aber ich bin so weit, um mit der Summe, die ich besitze, auszureichen, bis mein Brod gebacken wird; dann, liebe Martha, wollen wir weiter sorgen.«

Er drückte ihre Hand, und sie schien ihn wohl zu verstehen, denn sie konnte die Augen nicht recht aufschlagen. –

Plötzlich knallte unten eine Peitsche, und vom Dorf herauf lenkte ein Wagen rasch in den Weg, der zum Hofe unter den Linden führte. Hermann erkannte sogleich seinen Bekannten von der Landstraße, und Beide sahen einen Augenblick schweigend hinunter, wie Ludolph Kracht vom Sitze sprang, ein Knecht die Pferde in Empfang nahm und ein starker ältlicher Mann in einer Jacke mit blitzenden Knopfreihen aus der Thür trat und dem Besuch entgegen ging. Endlich wandte der Hofbesitzer den Kopf gegen den Berg empor und rief mit seiner trauten Stimme Martha's Namen dreimal hinter einander.

»Ich muß hinunter,« sagte sie, »sonst sucht man mich. Der da kam, ist Ludolph Kracht, ein Vetter aus Heiningen.«

»Er besucht Euch wohl oft?« fragte Hermann.

»Freilich oft,« erwiederte Martha.

»Und er kommt um Deinetwegen, Martha?«

»Ich will's nicht hoffen,« sagte sie; »aber es kann sein.«

»Und was spricht Dein Vater? Er mag ihn gern?«

»Ludolph Kracht hat Geld und Gut,« erwiederte Martha nach einer kleinen Pause; »er ist der Reichste in der Umgegend. Das gefällt meinem Vater, doch leiden mag er ihn nicht sonderlich, denn Ludolph ist wüst und ein Schwelger, das weiß er und hat es gestern noch gesagt.«

»Dein Vater liebte Dich immer,« fiel der junge Mann beruhigend ein.

»Ich bin ja sein einzig Kind,« sagte Martha und schaute den Freund muthig an. »Er ist wohl streng und heftigen Sinnes, aber in allem, was mich angeht, war er stets mild und verständig. Drei Jahre bin ich in der Stadt gewesen, in der Pension, und habe Manches dort gelernt. Das kostete Geld, aber er sparte nicht, und Alles gelang ihm auch, er gab und klagte nicht. Den Hof hat er neu aufgebaut, daß Meiergut an der Kirche dazu gekauft, und wenn Du zu uns kommst, wird es Dir gewiß gefallen.«

»Martha!« rief die Stimme des alten Mannes von Neuem, und nun sprang sie auf, nahm den Rechen und trat hinter den Bäumen vor.

»Ich komme, Vater,« rief sie hinunter, denn der Bauer hatte die Gartenthür geöffnet, und schickte sich an, hinauf zu steigen.

»So komm schnell,« schrie er.

Martha wendete sich um und sagte:

»Bleib sitzen, bis ich hinunter bin, dann steige von der andern Seite hinab, so kommst Du gerade in den Pfarrgarten, und lebe wohl, Hermann: morgen!«

»Morgen komme ich zum Besuch.«

»Komm früh!« flüsterte sie und sprang die Stufen hinunter.

Er sah ihr lange nach, halb aufgerichtet, bis sie unten ihren Rechen schwenkte, noch einmal hinaufblickte und dann ins Haus ging.


2.

Der alte Pastor Landgraf wandelte zu derselben Zeit mit seligem Gesicht durch seine Gartenbeete, wo die Maisblumen, die Tulpen, die Hyacinthen, Stiefmütterchen von zwanzig verschiedenen Farben und manche andere Blumen und Kräuter welkten, blühten und sich entwickelten. Er warf einen dankbaren Blick in den Himmel, der wieder klar geworden, und in die sinkende Sonne, schlurfte auf und ab in seinen großen Pantoffeln und dem baumwollenen grauen Schlafrock, der die lange, hagere Gestalt umschlotterte, blies den Dampf der Pfeife weit unter der Lederkappe hervor, welche sein graues Haar bedeckte, und sagte dann:

»Das war ein Maitag! So warm und herrlich war er, als sei es Mitsommerzeit. Darum treibt auch Alles so gewaltiglich. Da stehen die Pionen schon und wackeln mit ihren dicken, röthlichen Köpfen, die Lilien bücken sich darüber hin, und seht da, seht, da ist auch schon eine der zierlichen Dobekatheen, der Götterblumen im Anzuge. – O, du liebes, kleines herziges Ding, streckst deine Fühlhörnerchen heraus und schaust dich ängstlich um, ob auch kein grimmiger Feind dein armes junges Leben bedroht. Sei ohne Furcht, ich will dich schon beschützen; will einen Mantel von Schmelz um deinen zarten Leib legen, ein Gläschen über dich decken, ein Häuschen, wo du die dunkle Nacht über ruhig schlafen und träumen kannst, bis die große, goldene Blumenkönigin da oben wieder durch ihr Reich fährt.«

Der alte Herr nickte bei diesem Gespräch der kleinen, stummen Pflanze zärtlich zu und war so sorgsam um sie bemüht, wie ein Vater um die Wiege seines erstgeborenen Kindes. Tief gebückt schritt er dann von Beet zu Beet, betastete hier ein Blatt, besichtigte dort eine keimende Spitze, ächzte und stöhnte zuweilen, wenn er, gar zu lange niedergebeugt, sich endlich aufrichtete, und that ein paar Züge aus der Pfeife, ehe er von Neuem seine mühsamen Beobachtungen begann.

Der ausgedorrte Körper des Pastors zeugte aber für ein rüstiges Alter. Sein gescheiteltes graues Haar war so stark und dicht wie ein Wald; sein ernsthaftes Gesicht mit großen Augen und einer Art Sokratesnase, gebräunt von Luft und Sonne, enthielt nicht viel von den gewöhnlichen Runzeln und Falten eines Siebenzigers. Es war ein ganz stattlicher alter Herr, dem Gutmüthigkeit und eine gänzliche Entfremdung von aufregenden Leidenschaften deutlich aufgeprägt waren.

Mitten in seiner Gartengeschäftigkeit wurde er jetzt plötzlich von einem schallenden Gelächter gestört, das aus der Schlehdornhecke an der Umfassung des Gartens kam. Ein rother, dicker Kopf steckte sich schon einige Minuten lang durch eine freie Stelle des Gezweiges und von ihm rührte das Gelächter und die nachfolgende Rede her:

»Heda! Pfarrer von Bolau,« schrie eine scharfe Stimme, »was giebt's denn nun wieder da in der Erde umher zu wühlen? Hat die Gemeinde Euch etwa dazu eingesetzt, wohlweiser Bürgermeister und Rath ihren Consens gegeben; oder die hochwürdige Regierung die Wahl des dummen Volkes bestätigt, daß Ihr hier nun seit einem halben Jahrhundert fast nichts thut und thun mögt, als graben, hacken und die bunten nichtsnutzigen Geschöpfe aufziehen, die man Blumen heißt? Ist denn gar keine Schaam in Euch, alter Mensch, keine Schaam vor der Sünde, daß ein christlicher Pfarrer, der für das Bleibende und Ewige wirken soll, sich mit dem Allervergänglichsten beschäftigt, das es auf Erden giebt – mit Farbenputz und Duft?! Habt Ihr denn gar nichts Besseres zu thun? Giebt es denn nichts zu lehren und zu bekehren? Giebt es denn keine Gewissen, die mit Scorpionen zu züchtigen sind? Schäme Dich, Pfarrer von Bolau, schäme Dich, Alter! Man sollte Dein schändliches Treiben dem hohen Consistorio denunciren, das einen Bock zum Gärtner gesetzt hat, der Unkraut zieht und den rechten Boden unbestellt lässet.«

Der Pastor hatte nach dem ersten Umblicken ganz unbekümmert seine Beschäftigung fortgesetzt. Erst als die Stimme schwieg, sagte er:

»Komm herein, Leberecht, und betrachte selbst, wie Alles wächst und gedeiht.«

»Eigentlich sollte ich es nicht thun,« erwiederte der kleine, dicke Mann, der sich jetzt durch die Hecke arbeitete und bald darauf vor dem Pastor stand; »ich würde es aber auch gewiß nicht thun, wenn ich nicht allerlei zu sprechen und zu fragen hätte.« –

Er stützte sich auf den großen Bambusstock, schob den Hut mit breiten Krempen aus seinem rothen Gesicht und ließ die blauen Augen spöttisch über den alten Prediger gleiten.

»Siehst Du wohl, wie die Rosen hoch aufgewachsen sind?« sagte dieser. »Sechs neue Spielarten habe ich in diesem Jahr, und eine dunkelgelbe ist dabei, die kein Mensch hier noch gesehen hat. Ich kann's kaum erwarten, bis sie blühen wird.«

»Um solch dummes Zeug bekümmert er sich!« rief der Andere, »was aber sonst in der Welt vorgeht, ist ihm völlig einerlei.«

»Ach, Leberecht,« sprach der alte Pfarrer lächelnd, »hör' doch auf zu schelten, und gönne mir meine Art und Weise. Nutzt es denn, sich mit dem Menschenvolk abzuplagen; ist denn das etwa für alle Mühe und Sorge halb so dankbar, wie meine Blumen hier?«

»Wenn Deine Blumen Beine hätten und einen Kopf dazu,« versetzte der Kleine, »sie würden zehnmal in jedem Jahre auf und davon laufen. Das ist wenig Kunst, ihnen Gutes nachzusagen, die nicht anders können, als wie sie eben müssen; aber mit den Menschen sich abzuärgern, ihnen Erziehung einzubläuen und irgend ein gutes, gedeihliches Wachsthum beizubringen, das ist eine andere, bessere Gärtnerei, Alter, die Du freilich nie verstanden hast.«

»Ich habe keine Gelegenheit dazu gehabt,« sagte der Geistliche, indem er sich tief bückte und einen Bastfaden um einen Goldlack schlang.

»Hast keine gehabt, weil Du keine haben wolltest!« rief sein Begleiter; »aber höre« – er faßte den Pfarrer an den Schlafrock und zog ihn in die Höhe – »jetzt laß einmal die albernen Dinger da wachsen, wie sie Lust haben. Ich will ein ernsthaftes Wort mit Dir reden. Was macht der Hermann?«

»Laß meinen Rock los, Leberecht,« versetzte der alte Herr. »Er ist sehr mürbe.«

»Erst mußt Du antworten. Hast Du einen Brief von ihm?«

Der Pastor besann sich einen Augenblick und schien verlegen zu werden. Es ist einer gekommen, heute Morgen, oder war es gestern? Ja, gestern war es.«

»Nun, und was steht darin?« fragte der kleine Mann ungeduldig.

»Ja, Leberecht,« begann der Pfarrer, »es war kalt gewesen, windig und kalt, endlich kam Sonnenschein und warmer Regen. In der Stube standen noch die Geranien und meine schönen Camellien, auch Asklepien, die Du kennst, die mußten alle hinausgesetzt werden. Da legte ich den Brief fort und habe ihn – ich habe ihn wirklich ganz vergessen.«

»O Du Rabenonkel,« schrie der Kleine, »Du alter Bösewicht! Wo ist der Brief?«

»Er muß auf dem Fenster liegen,« sagte der Geistliche, »oder auf den Büchern in der Kammer; nein, halt, bleib hier, ich habe ihn in den Rock gesteckt.«

Er fuhr in die Tasche, immer tiefer ins zerrissene Unterfutter, und brachte endlich wirklich ein zerknülltes, versiegeltes Schreiben heraus, das der Doctor ihm aus der Hand riß, ohne Umstände es aufbrach, und nach den ersten Zeilen, die er las, ausrief:

»Da haben wir's! Er hat sein Examen gemacht, ist fix und fertig, kann alle Tage ein Mann im Staate werden, und will Dich besuchen, wenn Du nichts dagegen hast.«

»Wirklich?« rief der Pastor. »Nun, das freut mich.«

»Ist's wahr, Onkel?« antwortete eine laute Stimme hinter der Hecke, und plötzlich stand der Neffe vor ihm und fiel ihm um den Hals.

Herr Leberecht aber schlug mit seinem Stock wie toll in die Johannisbeersträuche und an die Kirschbäume und schrie:

»Da ist der Junge, und eine Nagelspitze von ihm ist mehr werth, als alles das grüne Zeug hier. Als er den Schloßberg herunter kam, lief er mir gerade auf den Leib und in die Arme. ›Hast einen Brief geschrieben, Hermann?‹ fragte ich. ›Freilich,‹ sagte er. Daß Gott erbarme! den hat der Alte nicht gelesen; wär's aber irgend eine Art Unkraut gewesen, er hätte es mit der Lupe untersucht. Und richtig, so war es. Aber nun, Alter, freue Dich über den schmucken Jungen. Ist ein ganz anderer geworden, wie damals, als er von uns ging; sieht pfiffig aus, wie ein Franzos, und wird sein Glück machen, der alte Leberecht hat es gesagt.«

So ging es eine gute Weile fort, bis endlich das Gespräch ruhiger wurde und Hermann zu erzählen begann, immer von den Fragen und Einwendungen des Arztes unterbrochen, der bald seinen Launen Raum gab und den alten Pfarrer foppte, bald wieder den Pathen bewunderte, seine Antworten belachte und gelegentlich Blätter von den Blumen und Bäumen pflückte, was den alten Herrn verdroß und bald bewog, seine Gäste ins Haus zu nöthigen.

An der Thür stand er still und schob die Ledermütze verlegen um den Kopf.

»Was meinst Du, was dem Alten plötzlich einfällt?« rief Herr Leberecht lachend. »Er weiß nicht, wo er Dich unterbringen soll, ohne seine theuren Kinder, die Zwiebeln, Knollen, Pflanzen und Samenkapseln, zu beleidigen, welche überall zu Haufen liegen. Aber wir wollen mit dem Gesindel schon fertig werden,« fuhr er fort. »Wir packen sie an und werfen sie sämmtlich zum Tempel hinaus.«

»Sei doch nicht kindisch,« sagte der Pfarrer ängstlich und hielt ihn fest, »ich werde schon Raum schaffen. Oben in dem kleinen Erker wird es am besten gehen; es stehen nur leere Töpfe da und ein paar Rankengewächse, die nicht hindern.«

»Nun denn, vorwärts!« fiel der Doctor ein. »Ruf die Dore vor allen Dingen und laß Küche und Keller öffnen. Hunger und Durst haben wir beide. Ich wäre im Stande, Alter, wie jener Holländer, Deine sämmtlichen theuren Tulpenzwiebeln zum Abendbrod zu verzehren.«

Diese letzte Drohung beschleunigte die Anstalten des alten Herrn. Die Haushälterin kam und machte ein grämliches Gesicht, als sie die Fremden sah; aber sie verklärte sich und schrie vor Freude auf, als sie Hermann erkannte, der einst auch ihr Zögling gewesen war.

»Ist es denn möglich,« rief sie, »das ist unser Hermännchen. Das Herz wendet sich um, wenn ich ihn ansehe. Ja, ja, das ist er, Das sind ja seine großen braunen Augen, und die Nase ist auch ganz so geblieben.«

»Aber länger ist sie geworden, Dore,« schrie der Doctor dazwischen, »und der Magen dazu. Darum gieb gutwillig heraus, was Du hast.«

»O! gleich, gleich,« sagte die Frau. »Das ist eine Freude, Alles im Dorfe wird sich freuen, und am allermeisten die Martha, Wildener's Martha drüben vom Schulzenhofe. Das ist eine alte Bekannte, und hübsch ist sie geworden, das schmuckste Mädchen weit und breit. Wohl jede Woche hat sie gefragt, was der Hermann macht, ob er geschrieben, wie es ihm geht und sonst allerlei.«

»Und Du hast ihr doch immer Antwort gegeben, liebe Dore?« fragte Hermann.

»Freilich habe ich Antwort gegeben,« rief die Haushälterin. »Wir haben uns beide tausend Mal von unserm Jüngelchen und den alten Tagen erzählt..

»Dummes Zeug!« schrie der Doctor, höre auf mit dem Schnack, fort mit Dir und bestelle das Haus!« –

Er nahm seinen Pathen bei der Hand, setzte sich mit ihm an den Tisch, warf einen Gartenkorb, der mit allerlei Gewächsen und Geräthen darauf stand, in eine Ecke, und sagte dann:

»Die Wirthschaft hier findest Du, wie Du sie verlassen hast, nur ist sie, wo möglich, noch ein Bischen ärger geworden. Dem Alten hat die Blumennarrheit jetzt ganz und gar den Verstand verwirrt; es soll mich gar nicht wundern, wenn er, nach dem Vorbilde Georg's des Dritten von England, der sein Parlament als Waldschnepfen, Truthühner, Gänse, Pfauen, Wiedehopfe und so weiter anredete, auf einmal nächstens von der Kanzel herunter die fromme Gemeinde als Kohlköpfe, Rübenschwänze, Radieschen und Meerrettig tractirt. Wenn Du es also hier nicht länger aushalten kannst, so komm in die Stadt zu mir, ich werde meinen Freund, den Bürgermeister, darauf vorbereiten.«

»Sie sind also wirklich dort jetzt angesessen?« fragte Hermann.

»Allerdings,« sagte der Doctor. »Ich bin der Stab und die Stütze der Stadt, und das, denke ich, soll uns allen keinen Schaden bringen. Klugheit verlangt die Welt, und wer mit den Menschen umgehen will, muß sie zu fassen wissen, wo sie nicht beißen können. Was bin ich für ein elender Narr gewesen, so lange ich das nicht wußte! Habe zwanzig Jahre in einem Neste gewohnt, armes Gesindel curirt und ausgeflickt, gelacht und gespottet über das, was mir nicht gefiel, und es ging mir, wie Hiob, ich kam herunter, wurde mager und blaß, konnte den Rock nicht bezahlen und ging mit geflickten Stiefeln. Da wollte natürlich Niemand etwas von dem alten Doctor Leberecht wissen, der wie ein Lump durch die Welt lief und sicherlich auch so begraben wäre, wenn der Regierungsrath und Bürgermeister Frankenberg dort in der Stadt nicht plötzlich durch des Himmels weise Fügung ein Nervenfieber bekommen hätte. Die großen Hänse in der ganzen Gegend wurden geholt, es ward aber immer ärger mit ihm. Da kam ich, und er wurde gesund. Seit dieser Zeit behüte ich nun sein theures Leben vor jeder Bedrängniß des Mannes mit der Sense, bin nach und nach in Gunst gestiegen, und zwar in vieler Leute Gunst, denn Alle holen mich und consultiren mich, und wenn mein Wagen mit den dicken Apfelschimmeln durch die Straßen fährt, grüßt Jeder den weisen Doctor Leberecht Krumm. Siehst Du, Hermannchen, so steht es jetzt, das merke Dir und werde bei Zeiten auch weise.«

Der Pfarrer kam jetzt zurück und war vergnügt über die schönen Anstalten, welche er getroffen hatte.

»Hätte ich nur gewußt,« sagte er, »daß Du die Hauptstadt passirtest, ich hätte Dir manchen Auftrag gegeben, namentlich wegen Georginen, die nirgend so schön und in seltenen Farben zu haben sind, wie dort.«

»Er hätte Dich wie ein Kameel belastet,« rief der Doctor; »darum danke Deinem Schöpfer, daß er das nicht über Dich kommen ließ.«

Aber eine große Freude erwartete den Pfarrer, als Hermann mehrere Zettel hervorzog und lächelnd erklärte, daß er, die Neigungen des Onkels wohl kennend, allerlei Samen für ihn von den besten Sorten gekauft und überdies die Preiscourante der ersten Gärtner der Residenz mitgebracht habe. Den Samen brachte sammt anderen Sachen die Post, die Listen aber überreichte er ihm sogleich, und zum ersten Male drückte der alte Herr seinem Neffen mit Zärtlichkeit die Hand und sah ihn voll dankbarer Liebe an.

»Dein Vater war auch so,« sagte er. »Mein guter Bruder wußte mir oft eine Freude zu machen, und nie reiste er irgendwo hin, wo er nicht etwas auffand, daß er mitbrachte, obwohl er gar keinen Sinn für Blumen und Pflanzen hatte. Du hast schon mehr davon. Ich erinnere mich, daß Du als Knabe gern Bast und Gießkanne in die Hand nahmst, und wenn Du morgen munter bist, wollen wir sehen, wie es mit Deinem Eifer steht.«

»Ich hoffe,« rief Herr Leberecht lachend, »daß er kein solcher Narr sein wird, Deinen Gehülfen abzugeben. Der arme Junge! statt zu lernen mußte er gießen; es war ein Glück, daß er endlich davon kam, und jetzt hat er bessere Sachen zu thun. Morgen oder spätestens übermorgen soll er mich besuchen, meinen Freund Frankenberg kennen lernen und mit Fräulein Agathe von Bällen und Opern schwatzen. Komm mir nicht mit den Possen, Alter! ich habe meine Plane und Absichten; verstanden? Aber da erscheinen die Speckeier, der Salat, die Küchlein und Fischlein,« fuhr er fort. »Heil über die gute Dore! Und nun hole uns den Wein, Dore, den ich neulich schickte, wir müssen ein Fest des Wiedersehens feiern, wie es sich gebührt.«

Ganz spät erst nahm der lustige kleine Mann Abschied und schied aus dem Pfarrhause, um den Weg von einer halben Stunde nach der Stadt zu Fuß zu machen. Der Pfarrer rückte sich das Licht dicht an den Kopf, denn endlich hatte er Ruhe, um ungestört die langen Listen der Blumen und Zwiebeln vergnüglich zu studiren und allerlei freudige oder tadelnde Bemerkungen bei den vorkommenden Namen zu machen. Sein Neffe saß ihm eine Zeit lang gegenüber, und dann und wann that der Onkel eine botanische Frage, die jener nicht beantworten konnte, bis er endlich kopfschüttelnd die Blätter hinlegte und betrübt sagte:

»Du hast Dich ganz und gar vernachlässigt, Hermann. Gelernt magst Du etwas haben, aber es ist auch danach. Solch ein Jurist ist wie ein wildes Thier, das für nichts Sinn hat, als für Pandekten, für das Corpus juris und unfruchtbares Buchstabenwesen, womit es Menschen verschlingt und umbringt. Das geht mir nahe, denn ich bin alt, und wenn ich einmal sterbe, werden alle die schönen Exemplare, alles, was ich so mühsam erzog und liebte, verschleudert und vergeudet werden. Du darfst Dich daher nicht wundern, Hermann, wenn ich Dich enterbe, das heißt, wenn ich meine Schätze in eine Hand lege, wo ich weiß, sie werden besser bewahrt sein, als bei Dir. Einen echten Freund und Kenner weiß ich freilich nicht,« fuhr er seufzend fort. »Die Menschen werden immer praktischer, wie sie es nennen, gieren und geizen nach Gewinn und jagen dem Gelde nach. Die dummen Bauern trachten nach Getreide und pflanzen Mohn in ihre Gärten, damit sie Kuchen backen können; aber es giebt doch ein Wesen hier, das einiges Nachdenken zeigt, und das ist ein Mädchen, ein dummes Ding zwar, doch zehnmal klüger als Du, nämlich die Martha, Deine Jugendbekannte. Die ist fleißig bei mir gewesen, hat geholfen und gelernt. Es ist eine Luft, wie sie die Namen kennt, lateinische Namen, französische und englische. Man sieht es der Dirne nicht an, was sie für ein Gedächtniß hat, und wie sie die Richtung der Staubfäden, des Pistills, die Classen und generellen Unterschiede behält. Darum soll Martha meine Erbin sein. Ich hoffe, daß Du nichts dagegen hast.«

»Nein, Onkel, nicht das Geringste,« erwiederte der Neffe.

»Aber ein Bedenken habe ich doch dagegen,« fuhr der alte Herr nach einer Pause ernsthaft fort, »wenn nämlich Martha heirathet. heirathet sie einen Barbaren, der keinen Sinn für Gottes lieblichste Wunder hat, so ist doch Alles verloren.«

»Soll sie denn heirathen?u fragte der junge Mann.

»Die Leute sagen es,« sprach der Pastor, »und neulich, als ihr Vater, der alte Freischulz, bei mir war, schien es mir so, als hätten sie Recht. Martha sprang in den Beeten umher, und ich freute mich über das hübsche, flinke, anstellige Kind. – ›Das macht,‹ sagte Wildener, ›es ist junges Blut darin, ohne Sorgen; die werden aber auch schon kommen, denn die Zeit ist da, wo sie die Mütze mit den goldenen Baden über die Ohren ziehen muß.‹ – Da kam zur selben Zeit ein junger Mensch den Weg herauf, und der Alte rief: ›Lauf, Martha, da kommt der Ludolph, gieb ihm die Hand.‹ – ›Ist's der etwa, Wildener?‹ fragte ich. – ›Kann wohl sein, Herr Pastor,‹ sagte er, und winkte mir zu. Ich schüttelte mit dem Kopf, das gefiel ihm nicht, und er ging davon, denn es ist ein stolzer, grober Kerl. Wenn es aber wahr wäre, so würde ich die Martha nichts erben lassen, denn Ludolph Kracht ist ein wüster Gesell, dem es leicht einfallen könnte, sämmtliche Nelken und Tulpen einmal von seinen Kühen und Schafen auffressen zu lassen.«

Hermann stand auf, es war ihm unmuthig dabei geworden.

»Gute Nacht, Onkel,« sagte er; »ich bin müde, morgen wollen wir weiter reden. Mit Martha werde ich sprechen, vielleicht auch mit ihrem Vater, und wenn ich's ändern kann, soll der Ludolph nie Deine Blumen verwüsten dürfen.«

Als er oben in dem Erkerstübchen stand, mußte er doch lachen über die Geschicklichkeit des alten Herrn, der ein paar Hundert leere Blumentöpfe auf einander gethürmt hatte, daß sie zu beiden Seiten das Bett überragten. Mancherlei Gartengeräth und ein großer Tisch, auf welchen Kästchen. und Schoten mit getrockneten Saamen standen, nahm den übrigen Raum ein, daß man sich künstlich durchwinden mußte, um nichts zu zertreten oder umzuwerfen. Nach einiger Mühe glückte es, einen Durchweg zu finden, aber lange noch lag Hermann mit wachen Augen und starrte in das Mondlicht, das durch die Schlingpflanzen am Fenster drang, ehe der Schlaf mit herein schlüpfte.


3.

Am Morgen saß der reiche Freischulz Hans Wildener mit Ludolph Kracht am Kaffeetisch, und Beide unterhielten sich von den Kornpreisen, von den Verkäufen, und was sie in diesem Jahre zu erwarten hätten. Der junge Landmann hatte die Nacht im Gastbette geschlafen, jetzt wurden seine Pferde draußen angeschirrt, und er machte sich bereit, für diesmal zu scheiden.

»Ich denke,« sagte er, »Ihr besucht mich nun bald einmal in Heiningen, Vetter. Mein neues Haus ist fertig und sieht schmuck aus. Bringt nur die Martha mit, daß sie es hübsch besehen kann, und rathet dann Beide, wo noch etwas fehlt.«

»Gut, Ludolph,« versetzte der Alte, »ich habe nichts dagegen. Kommen will ich und Martha auch, aber merke Dir, was ich gesagt habe. Martha ist mein einzig Kind, und wenn sie in Dein neues Haus ziehen soll, muß es anders darin hergehen, wie in dem alten.«

»Ach, seid nicht so wunderlich, lieber Wetter,« rief Ludolph, ihm die Hand schüttelnd. »Man hat Euch allerlei Lügen von mir erzählt, das merke ich.«

»Es sind Wahrheiten, Ludolph Kracht,« erwiederte der Alte, »und sie haben mir nicht gefallen. Du hast mit schlechten Leuten Umgang, liegst in Wirthshäusern, siehst nicht nach Deiner Wirthschaft.«

»Vetter,« sagte der Bauer, »was wollt Ihr denn? Sollen wir leben wie die armen Tröpfe im Sande? Vor alten Zeiten ist es Sitte bei uns gewesen, auch einmal etwas drauf gehen zu lassen, zu zeigen, daß wir Geld in der Tasche haben. Großväter und Väter haben es so gemacht und sind dabei auf den Beinen geblieben. Wir sind freie Bauern, müssen dem Volk in der Stadt beibringen, daß es nicht stolz gegen uns sein darf – und den Edelleuten dazu, die sich ärgern, wenn der Bauer mit den Thalern klappert. Das ist meine Art so, und Ihr hättet nur sehen sollen, als wir sechs Bauern in Heiningen das Edelgut kauften und theilten, als wir mehr boten, wie alle die Herren, die es haben wollten, und dabei erklärten: wir würden es um jeden Preis nehmen, weil wir keinen Edelmann unter uns haben wollten: Ihr hättet nur sehen sollen, was sie da für Gesichter machten.«

Der alte Wildener betrachtete den Ludolph mit einer gewissen stolzen Freude.

»Das war wacker von Euch gethan,« sagte er. »Am meisten hat es den Frankenberg geärgert, der das Gut gar zu gern gekauft hätte.«

»Der kam zu spät und hatte das Nachsehen,« rief Ludolph. »Aber Ihr seht nun, Vetter, wie es steht. Ich habe Geld genug, mein Theil zu zahlen, und doch nebenbei noch etwas zu verthun; darum schlagt ein, macht den Handel richtig und kommt mit der Martha, beseht Euch meine Wirthschaft.«

Ein wenig zögernd gab der Alte seine Hand.

»Haben sollst Du sie, Ludolph,« sagte er, »darauf verlaß Dich, das heißt, wenn nicht Dinge dazwischen kommen, die uns den Handel leid machen, unserer Ehre wegen; sonst aber: Manneswort ist Manneswort! Du bist ein tüchtiger Bursche, sieh zu, wie Du mit der Martha fertig wirst, so wird sich alles wohl zum Rechte bringen.«

»So will ich gehen,« sagte Ludolph; »kommt aber bald.«

»In dieser Woche wollen wir's abmachen,« sprach der Vater.

Der Bauer nahm seinen Hut.

»Wo ist Martha?« fragte er.

»Martha!« rief Wildener, »komm herein.«

Das Mädchen kam aus dem Nebenzimmer, und, mochte es sein, daß sie das Gespräch behorcht hatte, ihr Gesicht glühte. –

»Ludolph will fort,« sagte der Schulz, »er will Abschied nehmen.«

»Leb wohl, Muhme,« sprach Ludolph, und die eine Hand mit dem Hut legte er um ihren Leib, mit der andern faßte er ihre Finger. »Bleib mir gut, Martha, und denke an mich. In ein paar Tagen kommst Du nach Heiningen und siehst Dir mein Haus an.«

Martha blickte zu ihrem Vater hin.

»Ist's wahr, Vater?« sagte sie.

»Ja, Martha!«

»Es ist gar nicht nöthig,« antwortete sie.

»Warum denn, Martha?« fragte Ludolph belustigt.

»Weil's eben nicht nöthig ist,« sagte sie und machte ihre Hand los.

»O, Du verwetterte Dirne!« schrie Ludolph Kracht, »es muß aber doch so sein, denn es ist eine alte Sitte, daß die Wirthschaft besehen werden muß. Das haben sie alle so gemacht. Ist's nicht wahr, Vetter?«

»Freilich ist es wahr,« sagte der Schulz. »Wir werden kommen, Ludolph.«

»Und was Du wünschen magst in dem neuen Hause, Martha,« fuhr der zärtliche Liebhaber fort, »ich schaffe es an, laß es kosten, was es will. Nach Leipzig wollen wir fahren und sehen, was sie da Neues haben in ihren großen Gewölben. Du darfst nur sagen, was Du gern hast, ich kaufe es.«

»Ich sage nichts, und will nichts, Ludolph,« versetzte sie.

»Nun, es wird sich schon geben,« sprach er mit Selbstvertrauen. »Du wirst auch Deine Wünsche haben.«

»Gewiß, Vetter, die habe ich.«

»Du sollst sie mir sagen,« rief er dringend.

»Ein andermal sollst Du sie hören.«

»Topp,« sprach Ludolph, »und Wort und Hand darauf, ich will thun, was Du verlangst.«

Er hielt ihr die Hand hin, und Martha schlug ein. Darauf folgte ein langer Abschied, der mit einer Umarmung endete; endlich sagte er dem Schulzen Lebewohl, und wie er auf dem Wagen saß, rief er noch zurück:

»Ein schlechter Kerl will ich sein, wenn ich nicht alle Deine Wünsche erfülle, Martha; in ein paar Tagen bin ich wieder hier und nehme Dich mit.«

Eben als er zum Hofe herunterfuhr, kam ihm des Pfarrers Neffe entgegen, an dem die raschen Pferde schnell hinflogen. – Vom gestrigen Halbrausch hatte Ludolph doch Erinnerung genug behalten, um seinen Bekannten von der Landstraße in jenem zu entdecken. Zwar wurde er ein wenig irre, denn statt des Staubmantels trug der Fremde heute einen modernen Rock, und einen Hut statt der Mütze; aber er ließ seine Pferde langsam gehen, hielt an, sah sich um und sagte bedenklich:

»Das ist der Candidat, hol ihn der Henker! er geht in den Hof. Da kann er dem Alten etwas von gestern erzählen, und wenn es des Pfarrers Neffe ist, der Junge, mit dem die Martha groß geworden, so wird er mit ihr schön thun, was mir auch nicht angenehm wäre. Ich sollte umkehren,, aber nein, laß ihn machen, was er will. Die Martha wird meine Frau, ehe acht Wochen um sind. Wort ist Wort! und wenn ich sie erst in Heiningen habe, soll er die Nase gewiß nicht in meine Thür stecken.« –

So trieb er denn die Gäule vorwärts und wirbelte eine Staubwolke hinter sich auf.

   

Hermann war inzwischen über den Hofplatz dem Hause zugegangen, an dessen Thür der alte Wildener ihn erwartete. – Der Freischulz von Bolau maß den Fremden mit einem fragenden Blick, ohne aus seiner Stellung zu rücken oder die Meerschaumpfeife mit dem Silberbeschlag aus dem Munde zu nehmen. Erst als der junge Mann vor ihm stand und seinen Hut grüßend abnahm, faßte auch er an den breiten Rand seiner Strohkappe und erwiederte den guten Morgen.

»Sie kennen mich nicht wieder?« fragte Hermann; doch kaum hatte er zu sprechen begonnen, als Wildener ihm die Hand reichte und mit einem freundlichen Kopfnicken sagte:

»Ist es nicht der junge Herr Landgraf? – Seien Sie schön willkommen zu Haus. – Heda, Martha! das Mädchen wird springen! Kommen Sie herein, Herr, das ist ein guter Tag für uns. Recht, daß Sie uns nicht vergessen haben.«

Er führte ihn in das Wohnzimmer und rief nach Martha, während Hermann einen Blick auf die Wohlhabenheit des Geräthes warf. Da stand ein Sopha, ein runder Tisch, ein Schreibspind von polirtem Birkenholz und ein anderes mit Glasscheiben, hinter denen Tassen und Gläser in Reihen aufgepflanzt waren. Stühle mit gebogenen Lehnen und Rohrgeflecht auf dem Sitz waren an die eine Wand gestellt, an der andern prangte ein großes Clavier, eine Decke darüber und ein Pack Noten darauf. Auf dem Nähtisch am Fenster lag eine angefangene Arbeit, und über die Scheiben zog ein am Spalier gezogenes blühendes Geranium sein wohlriechendes Geblätter. Alles war reinlich, sauber und so städtisch wohnhaft, daß Hermann sich wunderte. Er wußte wohl, daß der Bauer in diesen Gegenden, wenn er ein voller Drei- oder Vier-Hufenbauer war, Geld im Kasten hatte und Stolz genug besaß, sich damit zu brüsten, aber zwölf Jahre hatten doch viel in den Sitten verändert. Damals waren in den Häusern der Reichsten unter ihnen höchstens Großvaterstühle und bunt bemalte Schränke, jetzt sah er, daß sie viel weiter in Luxus und Moden gekommen waren.

Plötzlich: sprang Martha herein und rief laut seinen Namen. Leise aber sagte sie:

»Ich weiß gar nicht, wie ich es anfangen soll, mich zu stellen, als ob ich Dich jetzt zuerst sähe, und doch darf ich es dem Vater nicht sagen. Die ganze Nacht habe ich kaum geschlafen, aber nun bist Du ja hier; mache es so, daß der Vater Dich so gerne sieht, wie ich.«

Sie standen Hand in Hand, als Wildener hereintrat, der draußen aufgehalten worden war.

»Nun,« rief er, »habt Ihr Euch wieder erkannt? Ich sagte der Martha nur, ein Besuch sei da, aber vergessen sind Sie nicht geworden, Herr, das Mädchen hatte oft von Ihnen zu sprechen.«

Martha wurde roth, aber der Vater fuhr freundlich fort:

»Ist es nicht eine schmucke Dirne geworden, Herr Landgraf? Kinder wachsen auf und schlagen oft aus der Art, die aber ist geblieben, wie sie gewesen; sie ist in allen Dingen ein herziges Kind. Aber Sie auch, Herr,« sprach er weiter. »Einen ganzen Kopf sind Sie größer, als ich, und damals hieß es immer nur: Pastors kleiner Hermann.«

In freundlicher Rede vermehrte sich sein Wohlgefallen an dem unverhofften Gast, der erzählen mußte, wie es ihm gegangen. Er nöthigte ihn an den Tisch, auf das Sopha, holte seine beste Pfeife, und Martha mußte auftragen, was vorhanden war. Wie freudig that sie das! Weißes Leinen wurde aufgedeckt. Teller und Schüsseln von feinem Steingut kamen zum Vorschein, und aus dem Schrank nahm sie die neuen Messer und Gläser mit geschliffenem Rand. Der Freischulz warf einen behaglichen Blick darauf und hörte vergnügt seine Einrichtungen loben.

»Man muß mit der Welt fortgehen,« sagte er, »und den Leuten zeigen, daß das Landvolk kein Bettelvolk ist. Für Geld kann man Alles haben, das Zeug ist billig genug obenein. Solcher Putz kostet weniger, als die Silberknöpfe an einer Sonntagsjacke; aber die Stadtherren und Damen fragen nichts danach; sie sehen nur, ob ein Sopha oder ein Spiegel dasteht, ob die Wände blau oder grün gemalt sind. Nach solchem Tand beachten sie den Mann, und wir sind bei ihnen sehr im Werthe gestiegen, seit wir es ihnen nachmachen.«

»Aber die alten Sitten sind trotz des modischen Putzes doch geblieben,« sagte Hermann.

»Die sind, wie sie waren,« erwiederte Wildener, »und davon wollen wir, will's Gott, auch nicht abgehen. Ein Bauer soll kein Städter werden. Altes Recht, altes Wort, ist in Noth und Gefahr fester Hort! Stoßen Sie an, Herr, es ist mir lieb, daß Sie wieder bei uns sind; mögen Sie recht lange unter und wohnen!«

»Wer weiß, was geschieht!«, versetzte Landgraf lächelnd.

»Wenn Sie ein Prediger wären,« sagte der Alte, »so sollten Sie unser Pfarrer werden, das wollte ich durchsetzen; aber Sie sind ja ein Rechtsgelehrter geworden.«

»Ist es nicht in Bolau, wo ich mich niederlasse, so kann es doch in der Nähe sein,« sprach der junge Mann erklärend. »Ich bin berechtigt, meine Praxis als Advocat zu suchen, wo sich günstige Gelegenheit bietet.«

»Das kann sich auch machen lassen, sprach Wildener. »An tüchtigen Advocaten fehlt es uns; es sind lauter alte Männer im Kreise, und Processe giebts viele, denn das Volk ist streitsüchtig und hartnäckig, wo es sein Recht behaupten will. Ich kann Ihnen dabei auch wohl Manches helfen, Herr Landgraf.«

Er nickte dem Gaste freundlich zu, der seine Dankbarkeit aussprach und dann weiter erzählte, wie es ihm in der Welt gegangen, was der Schulz mit Theilnahme anhörte. Von den eigenen Verhältnissen kamen die Männer dann zum Allgemeinen; man redete, wie es in der Hauptstadt hergehe, was der König sage und thue, und wie der Staat verwaltet werde, von hohen Beamten, Räthen und Dienern, wobei Hermann nicht ohne Bewunderung bemerkte, daß Wildener von manchem etwas wußte, was er hier nicht vermuthet hatte. –

»Oho?« rief der alte Mann stolz, als er sein Erstaunen äußerte, »was denken Sie, Herr? denken Sie, daß der Bauer so dumm bleibt, wie es früher gewesen ist? Wir liegen hier zwar so recht eingekeilt in einem tiefen Bergwinkel, wohin der große Staat gleichsam nur seine äußerste Fingerspitze streckt; aber unsere Kinder lernen in der Schule allerlei und müssen dann in die Welt, um Soldat zu werden; wir halten unsere Kreistage und schicken einen Abgeordneten auf den Landtag, das bin ich selbst zweimal gewesen; endlich aber lesen wir auch Zeitungen, die uns allerlei Neues bringen, und das ist auch nicht zu verachten. Alle Woche dreimal kommen sie an, und außer Ihrem Onkel ist keiner von den Nachbarn, der nicht die Nase hineinsteckte. Da liegt ein ganzes Pack.«

Er deutete auf das Clavier, und Hermann fand die Zeitung aus einer nahen großen Stadt, die Nachrichten über alle Länder bringt. Das war mehr, als er erwartet hatte.

»Ich freue mich sehr,« sagte er, »daß die Aufklärung so tüchtig fortschreitet. So nur können die Vorurtheile zerbrochen werden, die unter den Menschen herrschen und so viel Unglück und Elend über uns gebracht haben.«

»Recht gesagt,« rief Wildener, »wir müssen frei werden, wie es freien Männern gebührt, und wie es in allen Büchern steht, daß es unsere Väter waren. – Wir hier haben freilich schon ein Stück voraus gegen Andere,« fuhr er fort, »denn der Adel ist gering und der Bauer wohlhabend. Die Rittergüter kaufen wir nach und nach an uns, und theilen sie; wären Sie vorhin hier gewesen, hätten Sie hören können, was der Ludolph Kracht erzählte.«

»Aber einige Herren giebt es doch wohl noch,« sagte Hermann, »denen ein mächtig Stück Land gehört.«

»Freilich, deren giebt es,« erwiederte der alte Mann, »doch mit der Zeit werden sie auch verschwinden. Was der Eine jetzt unnütz besitzt, davon werden Hunderte glücklich und zufrieden leben können und zehnfachen Nutzen daraus ziehen, für sich, wie für das allgemeine Beste.«

Lebhaft drückte Landgraf die rauhe Hand des Hofbesitzers, und mit jugendlichem Enthusiasmus sagte er:

»Wahrlich, das hätte ich nicht geglaubt, so viel tüchtige und einsichtsvolle Erkenntnisse der Zeit hier anzutreffen. Wie thut es doch wohl, zu sehen, daß im Volke die Verständigkeit aufwacht und die alte stumpfe Bewußtlosigkeit verdrängt.«

»Man muß vorwärts,« sprach der Schulz, »das ist unser Losungswort. Die alten Röcke sind zerrissen, das Ausflicken will auch nichts mehr helfen, darum müssen wir sehen, wie wir neue bekommen. Die großen Herren wollen freilich nichts dazu thun; ja, sie möchten uns wohl gern um ein paar Jahrhunderte wieder zurückbringen; aber das macht, weil sie das Volk nicht kennen und die Zeit nicht verstehen. Wo man so weit ist, wie wir sind, da hilft der Zwang nicht mehr, denn das Volk kann nicht allein lesen und schreiben, es denkt auch und läßt seine Gedanken nicht betäuben. Dazu kommt das viele Neue, was erfunden wird, die Siebenmeilen-Stiefeln, mit Denen die Menschen jetzt laufen, wie Herr Leberecht Krumm sagt, und das man Eisenbahnen baut, das wird dem alten Kram endlich ganz und gar den Rest geben.

»Haben Sie so großes Vertrauen zu den Eisenbahnen?« fragte Hermann.

»Das habe ich,« rief der Alte, »und es ist im Werke, auch bei uns eine Eisenbahn anzulegen.«

»Aber wo das Geld hernehmen?« fiel jener ein.

»Kommt es zu Stande, so wird sich das Geld schon finden,« sagte der Schulz. »Wir haben reiche Fabrikstädte, die dringen darauf, und auch für den Landmann ist es gut: er kann sein Korn dann auf den besten Markt führen, und die Preise steigen. Vor ein paar Wochen haben wir deswegen hier eine Versammlung gehalten und angefragt, wer Actien nehmen wollte, wenn es so weit wäre? Nur Bauern waren auch da; und wenige von ihnen wollten gar nichts von dem Unternehmen wissen. Die meisten hörten es gern, was ich ihnen sagte. – Von den zwei Millionen Thaler, die das Ding kosten kann, werden wir einen guten Theil übernehmen.«

Es wurde dem Assessor ganz wunderlich, als er den Mann in dem leinenen Rocke von Millionen wie von Rechenpfennigen reden hörte; ehe er jedoch eine Antwort bereit hatte, stand der Schulz auf, sah durchs Fenster und rief erstaunt:

»Wer kommt denn da mit dem Doctor Leberecht? Meiner Treu, es ist der alte Bürgermeister Frankenberg, und sie kommen beide hier auf den Hof zu. Wollen die zu mir? Blitz! was hat das zu bedeuten?«

Diese Aufregung nahm jedoch sogleich wieder ab, und nach einigem Bedenken sagte er zu Martha, die den Tisch abräumen wollte:

»Laß alles so stehen, wie es steht, Kind. Hier braucht sich Niemand zu schämen und zu ängstigen, wenn auch etwa ein Edelmann oder ein Bürgermeister hereintritt. Wer da kommt, soll willkommen sein, aber in meinen vier Pfählen bin ich Herr. Setzen Sie sich nieder, Herr Landgraf, und lassen Sie die Pfeife nicht ausgehen.«

Gleichsam um sein Herrenrecht vollkommen zu erweisen, blies er mächtige Dampfwolken auf, und mitten in ihren Wirbeln erschien plötzlich an der Thür die hohe und stattliche Gestalt des Erwarteten, hinter welcher der kleine Arzt sich herein wälzte.

Der Regierungsrath war ein Herr, der über die Mitte des Lebens hinaus war, in guter Gesellschaft aber gewiß nicht der alte Bürgermeister genannt worden wäre, wie Wildener es vorher gethan. Er hatte vielmehr noch ein gewisses jugendliches und dabei ein vornehmes Ansehen, denn er wußte sich zu tragen und seine Würde mit Herablassung und Freundlichkeit zu verbinden. Eine goldene Brille saß auf seiner gut geformten Nase, das blondweißliche Haar war an den Seiten glatt gekämmt und vorn zu einer Tolle gekräuselt; man sah es ihm an, daß er viel auf Äußeres hielt und lange in der Hauptstadt gelebt hatte, denn sauber und modisch war der ganze Mann, und im Knopfloche trug er ein Ordensbändchen, das vor Jahr und Tag schon seine Verdienste und Gesinnungen belohnt hatte.

Als der Bürgermeister herein trat, blieb er einen Augenblick an der Thür stehen und machte mit lächelndem Gesicht eine Verbeugung. Der Tabacksrauch war ihm ohne Zweifel nicht angenehm. Er nahm den Hut ab und schwenkte ihn vor sich hin, um die Wolke zu zertheilen.

»Sieh da, mein lieber Wildener,« sagte er freundlich grüßend. »Ich komme vorüber und sehe heran, wie es hier im neuen Hause steht.«

»Immer wohl auf, Herr Bürgermeister,« versetzte der Alte, der sich erhoben und den Gruß erwiedert hatte. »Seien Sie mir willkommen im Hause. Er nahm die Pfeife in die linke Hand und reichte die rechte dem vornehmen Besuche, der drei seiner behandschuhten Finger ausstreckte und sie in die Faust des Bauers legte, welcher herzhaft zudrückte.

»Das ist ja alles ganz vortrefflich hier eingerichtet,« fuhr der Bürgermeister umherschauend fort. »Kein Wunder, wenn man den Freischulzen, Hans Wildener, überall beneiden hört.«

Er richtete seine Brille auf die Wände, nickte freundlich und sah Martha an, die an dem Nähtischchen stand.

»Und das ist Ihre Tochter?« fragte er mit einer zweiten huldreichen Verbeugung gegen das Mädchen.

»Ja, Herr Bürgermeister, meine Tochter Martha.«

»Richtig, Martha! Ei, wie groß und wie schön sind Sie geworden!« –

Er trat näher heran und lächelte ihr zu.

»Erinnern Sie sich wohl, daß ich Sie öfter gesehen habe, als Sie in der Stadt in Pension waren?« fragte er weiter.

»Ich erinnere mich nicht,« erwiederte Martha.

»Aber ich um so besser, ich vergesse nie so etwas,« sagte, der Regierungsrath. »Sie waren eine Freundin meiner Nichte Agathe.«

»Freundin nicht,« versetzte Martha.

»Aber eine Bekannte, eine Gespielin,« rief er. »Wir müssen es beklagen, daß Sie uns nie besuchten, seit Sie wieder in Bolau wohnen. Ich hoffe, Sie kommen: Agathe soll Sie einladen.«

Martha machte einen Knix und ihr Vater ein ernsthaftes Gesicht. Der Bürgermeister wendete sich zu ihm und schien ganz entzückt.

»Sie sind in allen Dingen zu beneiden, Wildener; allerdings in allen Dingen. Es giebt Menschen, denen Alles gelingt, Alles! Ist es nicht wahr, Doctor?«

»Glückspilze, Halbgötter!« sagte Herr Leberecht, indem er den Bauer und den Bürgermeister anblinzelte. »Wie man es nehmen will.«

»Ich bin freilich nicht dazu zu rechnen,« rief Frankenberg und pustete den Staub von seinem Rockärmel. »Leider habe ich kein Kind und bin Witwer. Lebensglück ist vergänglich, und ein Mann, der schwere Berufgeschäfte hat, behält keine Zeit für die sonstigen Lebensfreuden.«

Er lächelte zu Martha hin und drehte sich dann nach dem Sopha um.

»O, Sie haben noch mehr Besuch,« sagte er und sah Hermann mit seiner huldvollsten Freundlichkeit an.

»Das ist mein Pflegekind, werthester Freund,« begann der Doctor, »der nagelneu gebackene Assessor, Hermann Landgraf, Neffe des würdigen Pfarrers von Bolau, welcher mit größerem Recht besungen werden sollte, wie der Pfarrer von Grünau.«

»Er hat immer den Kopf voll Witz, unser Doctor,« rief der Bürgermeister lachend, und indem er den jungen Mann freundlich grüßte, sagte er: »Ich freue mich, einen jungen Collegen kennen zu lernen, von dem ich schon sehr viel Gutes gehört habe. Ich war ebenfalls Jurist, und habe nicht ohne Wehmuth diese ehrenvolle Laufbahn verlassen, als das Vertrauen der Bürgerschaft und das Vertrauen der höchsten Personen im Staate, deren Gnade ich zu erwerben das Glück hatte, mir eine andere Stellung öffnete. Besuchen Sie uns recht bald, Herr Landgraf, es wird mir große Ehre sein, Sie bei uns zu sehen.«

Hermann murmelte einige der üblichen Höflichkeitsworte, und Frankenberg betrachtete ihn mit wohlgefälligen Blicken. Dann nahm er auf dem Sopha Platz und rief dem Schulzen zu, er möge es gestatten, daß er sich ein paar Minuten lang ausruhe; zugleich musterte er die Speisen auf dem Tisch und sagte zum Doctor:

»Im Übrigen sind wir zur rechten Zeit gekommen, die Herren haben sich gütlich gethan.«

»Wenn Sie es nicht verschmähen, Herr Bürgermeister,« fiel Wildener sogleich ein, »so machen Sie es uns nach und langen Sie zu.«

»Ich verschmähe nichts, gewiß nichts,« rief der Bürgermeister, »aber was sagt unser Arzt dazu? Ich bin gestern ein wenig unwohl gewesen.«

Der Doctor warf einen versöhnlichen Blick auf alle die guten Dinge.

»Ich entdecke nichts Schädliches,« sprach er, indem er seinen Stock in den Winkel stellte; »vielmehr erachte ich, daß es nur zuträglich sein kann, wenn die frische Morgenluft durch eine erhitzende Arbeit des Magens ihr wohlthätiges Gegengewicht empfängt. Was mich aber betrifft, so opfere ich gern alle meine Bedenklichkeiten, um meinem theuren Freunde Gesellschaft zu leisten.«

Er rückte dabei einen Stuhl an den Tisch und sagte zu Martha:

»Gieb ein paar Teller, Gläser und Messer, Kind, für alles Übrige werde ich selbst sorgen.«

Der Freischulz sah vergnügt zu, wie der Bürgermeister ohne alle Umstände tapfer einhieb.

»Er ist doch gar nicht so schlimm hochmüthig, wie ihn die Leute machen,« sagte er zu sich selbst. »Setzt sich hier bei dem Bauer an den Tisch und ist und trinkt, was das Zeug halten will. Das thun sie nicht alle. Die Meisten rümpfen die Nase und geberden sich, als sollten sie Gift verschlucken.«

Der Regierungsrath war indessen auch beim Genuß nicht schweigsam, und während Hermann zu Martha trat, die sich ans Nähtischchen zu ihrer Arbeit begeben hatte, wo er heimlich mit ihr flüsterte, eröffnete er mit dem Hofbesitzer das Gespräch über einen Gegenstand, der sein Kommen eigentlich veranlaßt hatte. Es handelte sich darum, den Schulzen zu bewegen, einige Wiesen und Ackerstücke im Flußthale käuflich abzutreten; allein trotz aller Schmeichelworte und Überredungskünste leistete dieser einen Widerstand, der nicht besiegt werden konnte.

Frankenberg's Geduld gerieth auf eine große Probe. Mehr als einmal wurde sein Gesicht ernsthaft, und seine Stirn zog Falten zusammen. Er legte Messer und Gabel fort und suchte nach anderen Beweisen seines Wohlwollens.

»Überlegt es doch verständig, Herr Schulz,« sagte er. »Das Land ist schlecht, und nutzt Euch so viel, wie nichts. Was ich dafür biete, ist das doppelte von dem, was Andere geben würden; ich thue es, weil ich das Stück brauchen kann, das an Wiesen stößt, die mir zugehören. Ist es nicht wahr Doctor?«

»Durchaus wahr und richtig,« versicherte Herr Leberecht.

»Ich will es aber nicht verkaufen,« versetzte der Schulz unmuthig. »Es ist altes Hofland und gehört seit den ältesten Zeiten dazu.«

»Und darum wollt Ihr es nicht verkaufen?« fragte der Bürgermeister lachend.

»Ja, Herr, darum,« sagte Wildener. »Für Sie mag das kein Grund sein, aber bei uns ist es Sitte, den Hof nicht um einen Fuß breit kleiner zu machen.«

»Wahrhaftig,« rief Frankenberg, »thun doch die Leute, als wäre ihr Grund und Boden so unveräußerlich wie eine Majorats-Herrschaft, oder Lehn von Kaiser und Reich.«

»Und sinds denn nicht Majoratsherren, die Herren Bauern hier zu Lande?« fiel der Doctor mit vollen Backen ein. »Kein Fürst und Graf kann so ängstlich für sein Familiengut sorgen. Immer muß es Einer erben, nie wird es getheilt. Die Anderen werden schlecht abgefunden; und als ein Unglück sehen sie es an, wenn eine Ehe vom Himmel reichlich mit Kindern gesegnet wird. Solcher Sinn erbt sich von Geschlecht zu Geschlecht.«

»Finden Sie ihn so unrecht?« sagte der Schulz stolz. »So weit Urkunden reichen und Kirchenbücher, haben meine Vorfahren hier auf ihrem Erbe gesessen. Bei Kaiser und Reich waren es freie Männer, und zu allen Zeiten blieb ihnen ihr freies Gut. Hätten sie es getheilt, wär's längst untergegangen. Rittergüter wären daraus geworden, und aus uns arme Kossäten und Tagelöhner der großen Herren. Jetzt freilich,« fuhr er mit Unmuth fort, »jetzt schickt man uns aus der Stadt Gesindel genug zu, das sich anbaut und uns dann zur Last fällt; darum müssen wir um so fester an den alten Sitten halten und unser Eigenthum bewahren.«

»Mit Euch ist nichts auszurichten,« meinte der Doctor achselzuckend. »Eure Nachbarn verstehn die Zeit besser. Da ist der Ludolph Kracht in Heiningen, das ist ein anderer Mann. Der ist nicht abgeneigt, uns alle seine Wiesen und Äcker im Flugthale abzulassen.«

»Ludolph Kracht?« rief der Schulz mit einem finstern Blicke. »Das ist nicht wahr!«

»So ist es erlogen,« sagte der Doctor ruhig. »Wenn Ihr aber den Bettel durchaus nicht verkaufen wollt, so vertauscht ihn. Der Regierungsrath giebt Euch guten Acker dafür auf der Höhe.«

»Auch das will ich thun,« sprach dieser, »aber ich dächte, Sie nehmen Geld, Wildener. Sie haben keinen Sohn, der Ihr Erbe wäre, und wer die hübsche Tochter freit, wird auch vielleicht das Geld vorziehen, wenn er klug denkt; denn Geld thut in unserer Zeit Alles.«

»Mit nichten, Herr Bürgermeister,« versetzte der Hofbesitzer. »Martha ist eine Erbtochter, und an den fünf Hufen vom alten Schulzenhofe darf keine Elle fehlen.«

»O, dummes Zeug!« schrie der Doctor. »Einen Mann bekommt sie doch, und wenn es etwa der Ludolph ist, so seht Euch vor, daß der nicht den ganzen Kram losschlägt, so wie er ihn hat.«

Eine zornige Röthe trat auf die Stirn des alten Mannes. Er drückte die Faust auf den Tisch und sah den Doctor grimmig an.

»Jeder kümmere sich um sich,« sagte er. »Ob's Ludolph einmal zufällt oder einem Andern, das ist meine Sache. Den Grund verkaufe ich nicht.«

Er stand auf, und die andern Herren thaten dasselbe. Sie waren alle mißgestimmt, aber der Regierungsrath fand zuerst seine Herablassung wieder. Er bot nochmals einen Tausch gegen anderen, weit besseren Acker an, und Wildener versprach, es zu überlegen. Dann nahm Frankenberg seinen Hut und sagte Allen Lebewohl. Gegen Martha war er besonders freundlich. Er lud sie wiederholt zum Besuche ein, und schied endlich mit der Versicherung, daß er sich lange nicht so wohl und froh gefühlt habe, wie hier.

Als der Schulz vom Hofthor zurückkehrte, wohin er die Gäste begleitet hatte, sagte er zu sich selbst:

»Lange könnt ihr warten, ehe ich zu euch komme. Hole der Böse alle großen Herren. Ich habe einen angebornen Abscheu gegen sie, denn es ist immer schlecht Kirschen essen mit ihnen gewesen. Was es aber zu bedeuten hat, weßwegen der knickerige Mann prächtigen Acker gegen mein schlechtes Land geben will, das rathe ein Anderer. Es muß jedoch ein Kniff dahinter stecken, denn was so ein vornehmer schmeichelnder Herr einem Bauer schenkt, daß Gott erbarme! das kennen wir.«

   

Während er so nachsann, gingen der Regierungsrath und der Doctor dem Pfarrhause zu, wo ihr Wagen stand.

Frankenberg sah finster aus und kniff die Lippen zusammen.

»Ich habe mich schwer geärgert,« sagte er. »Lieber mit einem wilden Thiere fertig werden, als mit einem Bauer! Jetzt thut es mir leid, daß ich zu dem alten Flegel gegangen bin und so viel Freundlichkeit umsonst verschwendet habe.«

»Vielleicht glückt es doch noch,« versetzte der Doctor. »Man muß nur nicht ermüden.«

»Ich möchte weit lieber meine Galle ausschütten,« sprach der Bürgermeister. »Dieser alte Kerl ist von der ärgsten Sorte; er ist auch Landtags-Deputirter gewesen, da habe ich sein anmaßendes Wesen kennen gelernt. Das hat man von dem modernen Schwindel. Sie lernen immer etwas und verstärken sich in ihrem Trotz. Aber Sie haben Recht, Doctor; es wäre eine Schande, wenn es nicht glückte.«

»Nur hübsch vorsichtig!« sagte dieser, »man kann auch einen Bären zahm machen und seinen Starrsinn überwinden.« –

Er sah in den Pfarrgarten hinüber und erblickte seinen alten Freund, der im grauen Schlafrock, einen ungeheuren Strohhut auf dem Kopf und beide Arme voll Blumentöpfe, durch die Gänge lief.

»Es ist ein Unglück,« sprach Frankenberg, »daß wir so wenig Unterstützung haben, um Ordnung und Ehrfurcht aufrecht zu erhalten. Da läuft nun die lebendige Vogelscheuche umher und stellt einen Pfarrer vor, einen Staatsbeamten, der eine außerordentliche Gewalt ausüben könnte, wenn er wollte. Die gesinnungslosen Prediger, das ist unser größtes Unglück. Blumen, Bienen und Kinder, die haben sie meist immer vollauf, aber im Übrigen wissen sie entweder von der Welt nichts, oder sind wohl gar zum Theil selbst angesteckt von der Neuerungssucht. Haben Sie gehört, daß der Mensch, der Schulz, einmal Herr Regierungsrath zu mir sagte? Gott bewahre! immer Herr Bürgermeister. – Wir sind in Bolau doch mitberechtigt zum Patronat und könnten wohl etwas zur Verbesserung der Pfarrstelle thun; namentlich würde ich es jetzt beantragen, des Neffen wegen und Ihretwegen; aber man muß doch den Eifer bemerken und die Ergebenheit dessen, dem man dienen soll. Wenn er von Zeit zu Zeit die Bauern über ihre Pflichten belehrte, und was sich für sie ziemte und schickte, würden sie gelenkiger werden; statt dessen kümmert er sich um nichts und trägt in keiner Weise zur Achtung der Obrigkeit bei.«

Der kleine Doctor erwiederte seufzend:

»Es ist, wie Sie sagen, mein würdiger Freund, und Niemand kann mehr darüber trauern als ich; allein ich denke immer, es könnte leicht noch schlimmer sein, und das ist mein Trost. Es ist ein höchst guter, vernünftiger Gedanke, dem Volke den alten Respect vor Gott beizubringen, denn wenn es den erst hat, wird es auch gehorsam und demüthig vor den Menschen wandeln, die seine Herren auf Erden sein sollen; aber unsere Bauern hier wollen weder viel beten, noch sich bücken; weit lieber tanzen, spielen und nirgend sich unterwerfen. Kommt nun ein eifriger Gottesmann, der sie tüchtig herunterkanzelt, so könnte es sein, es würde noch ärger. Der da kennt freilich nur die Blumen und die Sterne, aber weiß es der Himmel, wie es kommt, das dumme Volk hat eine Art schlechter Zärtlichkeit für ihn. Sie kommen gelaufen, wenn sie der Schuh drückt, und bei aller seiner sonstigen Starrheit weiß er doch zu versöhnen, wo Hader waltet, weiß zu trösten und giebt den Armen, so lange er selbst etwas hat.«

»Darum hat er auch selbst nichts!« sagte der Regierungsrath lachend. »Aber hören Sie, Doctor, was den Assessor anbelangt, so wollen wir weiter über ihn sprechen. Er gefällt mir recht wohl, ist bescheiden und scheint gute Anlagen zu besitzen. Bringen Sie ihn doch mit, daß ihn Agathe sieht. Es gehen mir viele Dinge durch den Kopf, und wenn sich Alles fügt und schickt, so wäre es mir lieb.«

»Mir auch,« sagte der Doctor, und mit einem bedeutungsvollen Lachen traten die beiden Herren ins Pfarrhaus.


4.

Am Abend, als die Sonne die Tannenspitzen auf dem Schloßberge beglühte, gingen Martha und Hermann mit dem alten Oheim im Pfarrgarten auf und ab. Martha's Vater war in ein nahes Dorf gefahren, ein Geschäft abzuthun, so hatte sie denn Zeit, unbemerkt zu kommen, um an der Seite ihres Freundes, Hand in Hand mit ihm, durch die Dämmernden Gänge hinter dem Pastor herzuwandeln, der sich von Zeit zu Zeit umkehrte und ihr leises Geflüster unterbrach. –

Die Luft fächelte mild und schwamm voll Blüthenduft. Die jungen Blätter der Bäume streckten sich zum Schlaf aus, das eine lehnte sich an das andere; und die Tulpen schlossen sich, die Maiglöckchen neigten sich tief nieder; träumerisch nickten sich die Lilien zu und schauderten vor den kühlen Fingern der Nacht, die leise an ihr weißes Kleid zupften.

Das alles beobachtete der alte Mann, und seine Seele war voll Rührung über die großen Wunder des Lebens, welche an Halm und Blatt offenbar werden. Er sah dem kleinen Vogel nach, der unter den Zweigen hinschlüpfte, und sein Ruhelager suchte, dann verfolgte er mit mißbilligendem Kopfschütteln eine Biene, die unersättlich noch so spät um die Blumen schwärmte, endlich warf er den Blick hinauf nach dem Hügel, wo am höchsten Baume ein einziger Sonnenblitz hing, und in den Himmel, den das Lichtmeer durchglänzte; aber er sah es nicht, daß dicht bei ihm Hermann seinen Arm kühn um Martha's Leib schlang und Worte in ihr Ohr gleiten ließ, die sich durstig in ihr schlagendes Herz stahlen.

»Es wollte der große Vater der Welt so,« sagte der alte Mann, indem er an einem Beete still stand, »daß, wenn das Dunkel der Nacht kommt, Alles sich traulich an einander schmiegt und Schutz und Liebe suchend sich umschlingt. So neigen sich denn auch hier die zarten Blätter und Blüthen und flüstern heimliche Bitten und Schwüre; so suchen ja die Menschen auch die Menschen, und ihre Herzen öffnen sich, ihre Arme und Lippen.« –

Er sah sich um, Hermann und Martha waren unter den tiefhangenden Zweigen der Kirschbäume zurückgeblieben, und wirklich, es kam dem Pfarrer vor, als hielten sie sich auch in den Armen, Herz an Herz, und Lippe an Lippe gedrückt. Als er aber ihren Namen rief, kamen sie langsam näher.

»Komm her, Martha,« sprach der Pfarrer, »ich will Dir etwas Schönes zeigen. Sieh her Mädchen, die kleine schneeweiße Blume mit den blutrothen Flecken, das ist ein seltenes, liebliches Gebild. Weißt Du, was es ist?«

»Ist es nicht eine Schachblume?« sagte sie. »O, sie ist wunderschön.

Der Alte riß entzückt die Blume ab und steckte sie ihr ans Mieder.

»Du liebes Kind,« rief er, »ich muß Dich schmücken, wie eine Braut; was bist Du für ein Schatz für den, der Dich zu würdigen weiß! Aber geh fort vor dem Menschen da, der es wagt, Dir seine Hand zu bieten. Laß ihn los und komm mit mir. Er kennt keinen Baum und keinen Strauch, höchstens Johannis- und Stachelbeersträuche, und als ich ihm meine Lilien zeigte, hielt er sie für Kaiserkronen. Laß ihn zu den häßlichen, aufgeputzten Kaiserkronen laufen, dahin gehört er, komm Du mit mir, damit ich Dich vor ihm behüte.«

Martha lachte und sagte:

»Wir können uns nicht mehr trennen, lieber Herr Pastor; er hält meine Hand gar zu fest, ich kann sie nicht mehr frei machen. So wollen wir denn beide mitgehen und wollen ihn schelten, wenn er Unrecht thut.« –

Trotz dieser schmeichelnden Worte folgte sie aber doch nicht, denn als der Oheim sich wieder umsah, glaubte er Martha's Gewand an der Laube von spanischem Ginster und Violen flattern zu sehen.

»Leichtsinnige Jugend!« rief er aus, »da hilft kein Warnen und Rathen. Und warum sollten sie nicht leichtsinnig sein?« fügte er mild hinzu. »Was fragt sie danach, wenn er nichts von den Blumen weiß! hält er sie doch selbst wohl für die schönste Blume auf Erden.« –

Diesen Gedanken schien er lächelnd zu verfolgen. –

Wenn es wirklich so wäre!« rief er aus. »Nun, sie sind ja beide jung, und das Blut fließt rasch durch die schlanken Glieder. Sie passen für einander, und wahrlich, es wäre wohl gethan.« –

Er sah noch einmal nach der Laube, aber nach und nach ward der Antheil geringer. Gar zu viele Blumen blühten und forderten seine Aufmerksamkeit.

   

In der Laube hielt Hermann Martha in seinen Armen, und unter Küssen und Betheuerungen sagte er:

»Kannst Du denn noch zweifeln, Martha, daß ich Dich liebe? dein Andenken hat mich immer begleitet, und als ich Dich wiedersah, wußte ich, warum ich immer an Dich denken mußte.«

»Ich glaube Dir,« erwiederte sie, »aber wird es Dir auch nie leid thun? Ich bin so still, so einfach aufgewachsen, eines Bauers Kind, und Du hast so viele schöne Stadtdamen gesehen, die Manches zu reden wissen. Ich weiß nicht, was sich paßt und schickt.«

»Alles, was Du thust, paßt und schickt sich, Martha,« rief er entzückt. »Liebe mich nur, und alles wird gut sein.«

»Wenn es nur das ist!« sagte sie muthig, ihm klar ins Auge sehend. »Kein Mensch auf Erden soll Dich so lieb haben, wie ich.«

So hielten sie sich lange umarmt, und Keiner sprach, bis endlich Hermann wieder begann:

»Morgen soll es dein Vater wissen. Ich will ihm offen sagen, wie es mit uns steht.«

Martha senkte den Kopf. Wie sie an ihren Vater dachte, fiel ein schwarzer Flor auf ihr Herz.

»Rede noch nicht mit ihm,« bat sie, »Du weißt ja, was er dem Ludolph versprochen hat.«

»Aber er hat Dich ihm nicht zugesagt.«

»Freilich nein,« sagte sie ängstlich über seine Heftigkeit, »aber doch halb und halb. Warte noch eine kurze Zeit, ich will es selbst schon machen, daß er es merkt, und zwingen wird er mich nicht.«

»Vielleicht hast Du Recht,« versetzte Hermann nach einiger Überlegung. »Morgen mag zu früh sein, wir wollen warten, bis ich in der Stadt gewesen bin und gesehen habe, wie es dort steht. Ich denke, liebe Martha, daß ich bald ein Mann in Amt und Würden sein werde, Dann läßt es sich besser an Deines Vaters Thür klopfen, und er wird mich nicht abweisen.«

Aus der Laube führte eine Thür aufs Feld, wo ein Weg am Dörfchen zurückleitete. Sie traten hinaus und gingen Hand in Hand weiter. Der Abend dämmerte tief, leuchtende Sterne traten ans Himmelsgewölbe; aber die Beiden hatten so viel zu sprechen und sich Hoffnungsbilder der Zukunft vorzumalen, daß sie nichts sahen und nichts hörten, nicht einmal den festen Tritt eines Mannes, der unter den Bäumen herankam und plötzlich vor ihnen stand.

»Ist es nicht Martha?« rief er. »He, Martha, guten Abend!«

»Ludolph!« erwiederte sie erschrocken. »Wo kommst Du her?«

»Von Heiningen; ich bin zwei Stunden gelaufen, um Dich zu sehen. Ich fand ein Schreiben zu Haus und muß morgen früh nach der Stadt. Wen hast Du denn da bei Dir?«

Er trat dicht an Hermann und erkannte ihn. Ein Gefühl der Eifersucht regte sein Blut auf.

»Ist es nicht der Neffe des Pfarrers?« fragte er. »Wir kennen uns, Herr!«

»Ja wohl,« erwiederte Hermann.

»Es ist der junge Herr Landgraf, Ludolph,« sagte Martha.

»Ich habs mir gedacht,« murmelte der Bauer vor sich hin, und des Mädchens Hand ergreifend, fuhr er fort:

»Komm nach Haus, Martha, es ist spät Abend.«

»Der Vater ist fortgefahren und noch nicht zurück.«

Ludolph Kracht schwieg und ballte heimlich die Fäuste. Er hätte gern seinem Ärger Worte gegeben, nur wußte er nicht recht, wie er es anfangen sollte; aber er wollte es wenigstens merken lassen, wie ingrimmig er war, darum antwortete er lange Zeit auf Martha's Fragen fast gar nichts und schlenderte neben den Beiden her, deren Gespräch er gestört hatte. –

Zuletzt jedoch ward er redseliger und schien ein Mittel ersonnen zu haben, sich an seinem Nebenbuhler zu rächen. Er sprach von seinem Besitzthum und von dem vortheilhaften Kauf des Ritterguts, an dem er Antheil genommen hatte.

»Acht Tausend Thaler hatte ich zu zahlen,« rief er, »und auf einem Brett war das Geld da. Das Gut haben wir verloost, und was ich bekam, schien das Schlechteste von Allem zu sein; aber die gelacht haben, werden sich jetzt ärgern müssen, denn das ganze Thalland, und was mir schon gehörte dazu, kann ich hoch verkaufen. Darum muß ich eben morgen nach der Stadt; was Du haben willst, Martha, bringe ich Dir mit.«

»Ich habe Dir schon gesagt, daß ich nichts will,« erwiederte sie.

»Ach, Schnack!« rief Ludolph, »ich habe Geld genug, ich bin kein pauverer Lump, wie Viele, die groß thun, hochdeutsch sprechen, studirte Leute sind, wie sie es nennen, und kein Pfennig klimpert doch in ihren Taschen. Wär' meinem Vater daran gelegen gewesen, einen Pastor aus mir zu machen, oder einen Richter, oder Doctor, ich hätte es alle Tage werden können.«

Hermann lachte.

»Es ist Schade,« sagte er, »daß Ihr Vater nicht den Einfall gehabt hat.«

»Nein, Herr, dazu war er zu klug,« versetzte Ludolph trotzig, »darum hat er einen Bauer aus mir gemacht. Ich brauche nicht mit einem Ränzchen auf dem Rücken an der Landstraße umher zu laufen, habe nicht nöthig, mich umher zu treiben, auch nicht nöthig, mit Mädchen umher zu schleichen hinter Hecken und Zäunen, sondern kann offen und ehrlich jeder meine Hand geben. Verstanden?«

»Gute Nacht, Martha,« sagte Hermann. »Grüße Deinen Vater, morgen sehe ich Dich wieder.«

Zum größten Ärger Ludolphs nahm er ihre Hand und flüsterte ihr heimlich ins Ohr, was sie eben so heimlich beantwortete; dann trennten sie sich, ohne daß der Neffe des Pfarrers dem Bauern etwas geantwortet hatte.

Martha ging rasch, und Ludolph suchte sie aufzuhalten.

»Laß uns doch ein wenig zusammen plaudern,« sagte er begütigend.

»Ich habe nichts mit Dir zu sprechen, um langsam zu gehen,« erwiederte sie.

»Aber mit dem hochmüthigen Burschen da konntest Du langsam gehen!« rief er erzürnt. »Was hat er Dir die Hände zu drücken und ins Ohr zu flüstern? Ich will es ihm anstreichen, wenn ich es noch einmal sehe!

»Du?« fragte Martha höhnisch »Du bist der rechte Mann dazu! Was hast Du dagegen, wenn ich mit ihm heimlich rede? Du möchtest wohl wissen, was er mir gesagt hat?«

»Ja, was hat er Dir gesagt?«

»Der Mensch scheint betrunken, oder er hat sein Geld verspielt, sonst könnte er unmöglich so dummes Zeug reden, das sagte er.«

Ludolph war einige Augenblicke stumm.

»Und das glaubst Du doch nicht, Martha?« fragte er betroffen.

»Es sieht beinahe so aus, als ob es wahr wäre. Laß meine Hand los, Ludolph Kracht, wenn es Dir wirklich Ernst ist, mir zu gefallen, so mußt Du anders werden, wie Du bist. – Es ist Licht im Hause, der Vater ist zurück.«

An der Thür suchte Ludolph sie zu halten, allein sie entschlüpfte ihm.

»Sei verständig,« rief sie ihm zu, »dann wirst Du selbst merken, wo es fehlt, und zum Einsehen kommen, was Du thun mußt.«

Der Schulz war überrascht, als er seinen künftigen Schwiegersohn hereintreten sah, der gegen seine Gewohnheit ernsthaft und verdrießlich aussah. Als er hörte, was Ludolph bewogen hatte, so bald wieder zu kommen, und von dem Geschäft auf morgen erfuhr, konnte er seine Mißbilligung nicht unterdrücken.

»Ich hoffe doch nicht, daß Du das Land wirklich verkaufen willst, Vetter?« fragte er.

»Warum sollte ich nicht?« erwiederte Ludolph. »Wenn es gut bezahlt wird, mögen es die Narren nehmen.«

Der Schulz runzelte die Stirn und sprach:

»Das wirst Du nimmermehr thun, denn erstens ist es gegen alle Sitte, zweitens geht damit auch ein Theil Deines alten Erbes verloren, und drittens steckt etwas dahinter, was Dir gewiß Nachtheil und Schaden bringt; denn so dumm sind die Leute aus der Stadt nicht, um nicht zu wissen, was sie thun.«

»Meinetwegen mögen sie vorhaben, was sie wollen,« antwortete Ludolph dagegen; »mir ist es genug, wenn sie ihr blankes Geld auf den Tisch legen.«

Der alte Mann sah seinen Verwandten fest an und fragte:

»Brauchst Du blankes Geld so nöthig, Ludolph Kracht?«

»Nein,« erwiederte dieser verlegen.

»So soll es auch nicht geschehen!« rief der Schulz und schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Platte bebte. »Ich sage Dir, Du sollst nicht verkaufen!«

»Aber, Vetter, das Land ist mein, und was ich thun will, hängt von mir ab,« versetzte Ludolph, der sich in seinem Recht gekränkt fühlte.

»So thu, was Du willst. Doch mit leichtsinnigen Menschen habe ich nichts weiter zu schaffen.«

Eine lange Pause trat zwischen den beiden ein, Keiner sprach. Der Alte mit seinem finstern, strengen Gesicht stützte den Kopf in die Hand und blies den Tabacksdampf vor sich hin. Ludolph saß ihm gegenüber und suchte seinen Ärger mit seiner Klugheit zu vermitteln.

›Der Alte ist toll,‹ sagte er zu sich selbst, ›und wenn er etwa sich einbildet mein Vormund zu sein, so hat er sich geirrt, das will ich ihm schon beweisen. Für jetzt mag es gehen; hab' ich die Martha, dann findet es sich, und je eher es geschieht, um so schneller komme ich von ihm los.‹

»Seid doch nicht so hastig, Vetter,« sagte er nach dieser Selbstbetrachtung; »ich kam ja eigentlich, um zu hören, was Ihr meint, und wenn Ihr glaubt, ich dürfe nicht, nun gut, es braucht nichts daraus zu werden.«

Diese Nachgiebigkeit verfehlte ihre Wirkung nicht. Versöhnten Sinnes wendete sich Wildener zu ihm, um ihm deutlich auseinander zu setzen, daß man behalten müsse, was man habe, wenn auch ein scheinbar großer Vortheil aus einen Verkauf entspringen könnte.

»Der Bürgermeister ist ein durchtriebener Fuchs,« sagte er. »Geld hat er von seinem Vater her, welcher die große Cattunfabrik in der Stadt anlegte und den Sohn studiren ließ, der sich beliebt zu machen wußte und bei vornehmen Herren etwas gilt. An der Fabrik hat er immer noch seinen Antheil gehabt; nun gehen aber die Geschäfte schlecht, er zieht sein Geld heraus, hat auch wohl Manches verloren; da denkt er Land anzukaufen zu dem vielen, was er schon besitzt, denn er hat ja das Amt von der Regierung erstanden, und wenn es wahr ist, was die Leute sagen, so will er sich adeln lassen, obwohl er weder Kind noch Frau hat. Sollen wir nun solchen Narrheiten noch die Hand bieten? Sollen wir ihm dabei helfen und unser Erbe hingeben?«

Ludolph schüttelte den Kopf.

»Es ist freilich wahr,« sagte er, »aber er bietet hoch, es muß noch etwas anderes dahinter sein.«

»Das denke ich auch. Kluge Leute sind freilich oft die dümmsten und machen schlechte Rechnung; übertölpeln wollen wir uns nicht lassen. Morgen ist Markt, nach der Stadt muß ich; es soll mir nicht darauf ankommen, selbst zuzusehen, ob ich es nicht herausbringen kann, was sie ausgeheckt haben.«

Ludolph Kracht war damit zufrieden und dachte in seinem Sinne: ›Vielleicht bringt der Bürgermeister ihn selbst herum, und verkauft er, verkaufe ich auch. Geld brauche ich allerdings, denn Manches könnte besser sein. Das Haus kostet, der neue Acker hat viel Geld nöthig gemacht, ich habe aufgenommen, wo ich's haben konnte, und die verdammte Henne hat gestern mir die ganze Katze leer gemacht.‹

»Seht zu, Vetter, was sie vorhaben,« sprach er, »Das ist ein gescheidter Gedanke, fühlt ihnen auf den Zahn, Ihr versteht's, und wenn's glückte …«

Er vollendete nicht, was er sagen wollte, denn er fürchtete sich, und Wildener sah ihn darf an.

… »ja, wenn's glückte,« fuhr er stotternd fort, »so könnten wir sie auslachen, und Martha …«

Wie er den Namen aussprach, fiel ihm die ganze Geschichte ein, die er auf dem Fußsteige erlebt hatte.

»Was ist denn das für ein Kerl,« sagte er, »der sich hier im Dorfe umher treibt, und heut Morgen ins Haus trat, als ich abfuhr?«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu:

»Es ist der Neffe vom alten Pfarrer, ich weiß es, habe ihn schon auf der Landstraße gesehen, und eben jetzt, als ich kam, ging er mit Martha Hand in Hand.«

»Sie sind als Kinder zusammen aufgewachsen,« erwiederte der Schulz gleichgültig.

»Es gefällt mir aber nicht, daß sie auf Du und Du sind, heimlich zusammen gehen und flüstern,« sagte Ludolph finster blickend. »Ihr solltet es nicht leiden, Vetter.«

»Du bist ein Narr!« versetzte der Schulz lachend. »Was denkst Du für Spuk aus? So ein Grashecht meint Wunder, wer er ist; hat den Kopf voll großer Raupen, will hoch hinaus, und fährt in Gedanken mit Vieren, wenn es auch noch so langsam im Sande geht.«

»Aber Ihr hättet es nur hören und sehen sollen,« fiel Ludolph ein. »Von mir wollte sie nichts wissen, behandelte mich wie einen armen Schlucker, ihm hing sie an dem Arm; ich habe schweren Ärger dadurch gehabt, Vetter.«

Der Schulz wurde aufmerksam und verdrießlich.

»Es ist dummes Zeug, was Du sagst,« sprach er nach einigem Schweigen, »aber es ist doch gut, daß ich es weiß. Sei Du ruhig, Ludolph, kein Mensch soll Dir nehmen, was ich Dir zugesagt habe; der da ist am wenigsten dazu gemacht. Erstens hat er nichts, zweitens ist er nichts, denn was er ist, hat in meinen Augen so viel Werth, wie eine taube Nuß.«

Er reichte dem Ludolph über den sich die Hand zur Bekräftigung der Wahrheit, und dieser machte ein froh Gesicht, denn nun war er überzeugt, es möchte kommen, was da wollte, seine Sache stände gut.


5.

Am andern Morgen in der Frühe kam ein Bote des Doctors und brachte einen Brief ins Pfarrhaus an den Assessor Hermann Landgraf.

 

»Mein Junge,« schrieb der Doctor, »der Regierungsrath und Bürgermeister Frankenberg läßt durch mich um die Ehre bitten, Dich heute Mittag bei sich zu sehen. Ziehe Deinen besten Rock an, laß die Manchetten nicht zu Hause und bringe die Taschen voll Artigkeiten mit, denn Du wirst in Gesellschaft einer liebenswürdigen jungen Dame sein, die in Berlin gelernt hat, was ein courmachender Assessor leisten kann. Komm aber bald, oder vielmehr halte Dich bereit, ich werde Dir meinen Wagen schicken.«

 

Diese Einladung war für den jungen hoffenden Mann keine unwillkommene. Er war entschlossen gewesen, auch ohne dieselbe in der Stadt einen Besuch zu machen, dem Doctor sich zu offenbaren, wenn dies anginge, auf jeden Fall aber zu hören, welches denn die günstigen Aussichten seien, die ihm dieser in der Fernsicht gezeigt hatte. Hier hatte er Niemanden, dem er sich vertrauen konnte.

Der Oheim saß und sortirte Levkojenpflanzen, sprach von einfachen, doppelten, gefüllten, langstengeligen oder kurzen, und hatte kaum den Brief beachtet. Erst, als er eine ganze Weile nachgedacht, sagte er:

»Da fällt mir ein, daß der Bürgermeister gestern etwas von einem Frauenzimmer sprach, die er bei sich im Hause hat.«

»Seine Schwestertochter,«erwiederte Hermann.

»Richtig,« fuhr der Pfarrer fort, »und Leberecht faßte mich draußen an den Kragen, wie dies seine schlechte Gewohnheit ist, und sagte: ›Höre, Alter, sprich einmal mit dem Hermann und mache ihm begreiflich, daß es ein gescheidter Streich von ihm wäre, wenn er sich das merkte.‹ ›Was soll er sich denn merken,‹ sagte ich. ›Er hat ein miserables Gedächtniß, nicht den kleinsten lateinischen Namen kann er behalten. Es ist ein Jammer, die Martha ist ein Bauermädchen, aber sie ist weit verständiger.‹ Da lief er davon und schrie, es sei mit mir nichts anzufangen, ich sei toll, und dabei wurde er selbst toll, rannte die Blumentöpfe an der Thür um, und meinte, er wolle es allein thun.«

»Was will er denn thun?« fragte der junge Mann erröthend.

»Wenn ich es mir recht bedenke,« sprach der Oheim, »so hat er sicher das Frauenzimmer gemeint.« –

Hermann antwortete nichts. Er ging auf und ab, in den Garten hinaus und sah über den Platz nach dem Hause an der Höhe; aber Martha wollte sich nicht zeigen. Ein paar Gespanne fuhren von dem Hofe aufs Feld, Knechte und Mägde kamen mit Sicheln und gingen in Wiesenland, um Gras zu schneiden; endlich kam es ihm vor, als stände der alte Wildener am Fenster hinter dem großen Geranium und sähe zu ihm herüber, er konnte es jedoch nicht genau erkennen. Er nickte und winkte, aber es dankte Niemand. Endlich, voller Unruhe öffnete er mit einem bangen Gefühl die Gartenthür, ging über den Platz nach dem Hof unter den Linden und legte die Hand auf den Thürdrücker, als von innen geöffnet wurde und der Schulz heraustrat.

Er hatte seinen breitkrämpigen Hut auf und einen langen Stock in der Hand.

»Guten Morgen, junger Herr,« sagte er freundlich, munter und wohlauf. »Heute ist ein Tag, wo das Arbeiten Lust macht.«

»Ich sehe,« erwiederte Hermann, »Sie wollen auch ins Feld.«

»Muß nach meinen Leuten sehen,« sprach der Alte. »Wo der Herr nicht ist, feiert der Knecht. Mein Haus ist leer, meine Martha hat den Ludolph Kracht begleitet bis auf mein Meiergut am Flusse. Wie gefällt Ihnen das Mädchen, Herr?«

»Ich kann nicht sagen, wie sehr sie mir gefällt,« erwiederte Hermann bedeutungsvoll.

»Glaub's wohl, es ist eine rasche Dirne, habe auch schon meine Rechnung mit ihr gemacht.«

Er blieb stehen, wo der Weg sich theilte, und sagte lachend:

»Wenn Sie bei uns bleiben, bis die Birnen reif sind, wird's eine Hochzeit geben, die so lustig sein soll, wie lange keine gewesen ist. Unter drei Tagen geht's nicht ab; meine Hochzeit war auch so; und Martha soll nichts einbüßen. Grüß' Sie Gott, Herr.«

Mit raschen Schritten ging er davon, und bangen Muthes sah ihm Hermann nach. Er hatte wohl bemerkt, daß bei aller Freundlichkeit das Wesen des alten Mannes etwas Hastiges und Hartes hatte und seine Augen einen Blick annahmen, der nicht viel Gutes versprach. Es ahnete ihm, daß Ludolph an dieser Veränderung Schuld sei, und sehnsüchtig wünschte er, Martha nur einen Augenblick zu sehen; doch wie dicht er auch unter den Fenstern vorüber ging, die Stube war leer, und mißmuthig wandte er sich dem Pfarrgarten zu, eben als der Wagen des Doctors, der ihn abholen sollte, ins Dorf bog.

Da war denn keine Zeit zu verlieren, er mußte sich schmücken und sich beeilen. Der Doctor hatte es sagen lassen, der Kutscher ermahnte dazu, der Oheim kam dreimal die Treppe herauf, um Bestellungen für die Stadt zu machen, und Dore, die Haushälterin, konnte die Zeit nicht erwarten, ihren jungen Herrn im vollen Staat zu betrachten. Sie weinte vor Freude über seine Schönheit, als sie ihn abfahren sah, und sagte zu dem Pfarrer:

»Eine Prinzessin könnte ihn nehmen, so sieht er aus. Ich habe es aber immer gedacht, so müßte es mit ihm kommen, er müßte unser Stolz und unsere Freude in alten Tagen sein.«

Der Pfarrer von Bolau lächelte dazu, es ging ihm doch zu Herzen, was die Frau sagte.

»Liebe Dore, sprach er dann, »Du redest, wie man nicht reden soll. Ist es denn die Farbenpracht allein, um deretwillen eine Blume schön ist? O nein, ich will Dir viele zeigen, die da glänzen und herrlich blühen, und doch mag ich sie nicht dulden; ja, die glänzendsten sind oft die giftigsten. Wie sieht der Eisenhut schön blau und roth aus, besonders Aconitum napellus, und tödtet Menschen und Thiere! Wie liebliche weiße Blumen trägt das ganze Geschlecht der gefährlichen Datura, der Stechapfel, und wie herrlich blüht die Wolfskirsche, anderer nicht zu gedenken! darum soll man nicht das Äußere beachten, nicht den bunten Schimmer, sondern das ganze Wesen der Pflanze, ihre edle Natur, ihren Wohlgeruch und trefflichen Kern erforschen, wenn ein guter Gärtner sich vor Schaden hüten will.

»Lieber Gott!« sagte die alte Frau, indem sie davon lief, »es wird doch zu arg mit ihm; nun vergleicht er gar schon den eigenen Neffen mit allem Giftzeug, was er auffinden kann. Sind Menschen denn Pflanzen? Ein Mensch muß vor allen Dingen ein feines Gesicht haben und den Augen wohlgefällig sein; hat er das, wird er schon durch die Welt kommen; und Gottes Segen über unser Kind! Da ist Keiner, der nicht Liebe und Gutes von ihm spräche.«

   

Während Dore ihre Lobsprüche ausschüttete, fuhr der Wagen durchs Thal nach der Stadt, die bald sich näherte und mit Thürmen und langen Häuserreihen jenseit des Flusses aufstieg. Je näher der Wagen kam, um so geschäftigere Regsamkeit zeigte sich. Fabriken und Bleichen lagen dort, ein paar Dampfschornsteine streckten sich als schlanke Obelisken der modernen Zeit in die sonnige Luft und senkten ihre schwarzen Rauchwolken in das tiefe Flußbett.

Endlich war das Thor erreicht, und die dicken Schimmel des Doctors zogen den Wagen rasch durch die Straßen, weil sie den heimischen Stall witterten. Den fremden Herrn sahen die vorübergehenden Leute musternd an. So groß war die Stadt nicht, daß nicht ein Jeder wissen konnte, wessen der Wagen sei; am meisten aber wurde ihm aus einem Hause am Markt nachgeblickt, das durch seinen neumodischen Bau sich vortheilhaft auszeichnete. An einem der Fenster saß dort hinter Blumen und Epheuranken eine junge Dame, welche durch ihre Doppel-Lorgnette ihn scharf beobachtete, ohne ihrerseits bemerkt zu werden, und erst das Glas vom Auge nahm, als die Thür geöffnet wurde, durch welche der Regierungsrath und Bürgermeister hereintrat.

»Nun, Agathe,« sagte er, »hast Du ihn gesehen?«

»Ja,« erwiederte das Fräulein, indem sie das Buch wieder nahm, in welchem sie gelesen hatte.

»Ein hübscher junger Mann, nicht wahr?« fragte der Bürgermeister.

»Er scheint nicht übel auszusehen, Onkel.«

»Nicht übel auszusehen?« wiederholte Frankenberg. »Er wird Dir gefallen, sage ich. Fünfundzwanzig Jahre, groß und schlank, schöne Zähne, braunes Haar, lebhafte Augen …«

»Mein Himmel, Du beschreibst ihn, wie nach einem Steckbrief-Signalement, Onkel, oder wie einen Sklaven, der zu verkaufen ist!«

»Und wer weiß denn, ob der Sklave nicht verkauft werden soll?« rief der Bürgermeister lachend.

Das Fräulein lachte auch, aber mit einer mißbilligenden, spöttischen Miene.

»Hat er Geist?« fragte sie.

»Du mußt ihn prüfen,« sagte Frankenberg, »ich weiß nichts von ihm, als was der Doctor mir zu seinem Lobe gesagt hat; doch was ich mit ihm gesprochen zeugte von Verständigkeit und Einsicht.«

»Das heißt, er wußte sich über Dies und Das auszudrücken, ohne eine Albernheit zu sagen,« erwiederte Fräulein Agathe verächtlich »ob er aber gesellschaftlichen Geist hat, das steht doch noch sehr dahin. Geistreich sein ist etwas ganz Anderes.«

»Ein glänzendes Talent scheint er nicht zu besitzen, das gebe ich zu,« fuhr Frankenberg selbstgefällig fort, »aber ein solches entwickelt sich durch Naturanlage eben so wohl, wie durch künstliche Ausbildung in der Gesellschaft selbst. Man braucht das Pulver gerade nicht erfunden zu haben und kann doch ein sehr angenehmer, liebenswürdiger Mann sein. Du wirst ihn ja kennen lernen, er muß gleich kommen, und etwas will ich Dir sagen: Wenn er Dir gefällt, so wäre es so übel nicht. Der Doctor hat mir erklärt, daß, was er einmal hinterläßt, ihm zufallen solle, folglich wird er ein recht hübsches Vermögen besitzen; für das Übrige, für seine Carriere, läßt sich anderwärts sorgen. Ich werde meine Verbindungen geltend zu machen wissen.«

»Gut, Onkel,« sagte das Fräulein, spöttisch mit dem Kopfe nickend.

»Sei einmal unwiderstehlich,« rief der Oheim mit einer Liebkosung, »Du kannst es sein, Agathe; wenn Du willst, wird er mit einem Pfeil im Herzen nach Hause taumeln.«

Nach einiger Zeit fanden sich Gäste ein, Justizräthe vom Gericht, Fabrikanten, ein paar Herren und Damen von Adel, die ihren Wohnsitz hier hatten und endlich erschien auch der Doctor mit seinem Schützling, auf den die Gesellschaft schon vorbereitet war.

Der Doctor mit seiner kleinen dicken Gestalt, dem langen kaffeebraunen Frack mit ungeheuren Schößen, und der weißen Weste unter welcher eine große Uhrkette hervorbaumelte, drängte sich durch den Kreis und schleifte an der Hand den Pflegebefohlenen nach, bis er mit ihm vor dem Stuhle des Fräuleins stand. Hier wurde er vorgestellt und artig empfangen, dann trat der Regierungsrath aus dem Nebenzimmer, wo er in der Eile den Orden angesteckt und seine Toilette gemacht hatte.

Er verneigte sich würdevoll vor den Freunden und begrüßte den Assessor mit ausnehmender Herablassung, indem er eine Reihe von Fragen an ihn richtete, sich über die Hauptstadt erkundigte, Scherze einmischte, von seinem letzten Besuch erzählte und von einigen Diners und Thees sprach, denen er bei Ministern und hohen Herren beigewohnt hatte. Das Gespräch wurde lebhaft und wandte sich auf Handel und Zeitverhältnisse, endlich auch auf die Eisenbahnen und auf das Project, mit einer solchen die Stadt und das Land in hiesiger Gegend zu beglücken.

Zur nicht geringen Verwunderung eines Theils der Versammlung zeigte Hermann, daß er von diesen Verhältnissen sehr gut unterrichtet sei, und unbefangen erzählte er, daß er vor einem Jahre bei der Errichtung einer Gesellschaft thätig mitgewirkt habe, indem er im Auftrage und in Beihülfe eines berühmten Anwalts der Residenz die Rechtsverhältnisse geordnet, Contracte geschlossen, Reisen gemacht, ja, sogar die Statuten mit entworfen habe. Er beschrieb die Schwierigkeiten eines solchen umfassenden Unternehmens, die mancherlei Vorsichten, welche man zu beobachten, den Widerstand, den man zu überwinden habe, und sprach so belehrend von den Vortheilen der Speculanten, welche sich für diejenigen am meisten herausgestellt, die am schlauesten alle Umstände zu benutzen wußten, daß Alle ihm mit großen Antheil zuhörten.

Der Regierungsrath hatte die Hände auf den Rücken gelegt, wie er es immer that, wenn er aufmerksam und gut gelaunt war, oder Beobachtungen machte. Schweigen war seine schwache Seite, aber hier schwieg er mit Vergnügen, und nur zuweilen konnte er den innern Drang nicht bezähmen einige Worte einzuwerfen, aber es waren nur beistimmende und ermunternde. Erst als er den Stoff nicht länger zu beherbergen wußte, ergriff er die Rede.

»So hören wir denn auch hier die Bestätigung, wie herrlich sich die echten Bemühungen um das Volkswohl lohnen,« sagte er. »Die Actien steigen, der Wohlstand steigt, Alles steigt. Unsere Bahn wird eine der rentabelsten. Funfzig Procent über Pari gehen sie in einem Jahre, ich mache jede Wette; Schwierigkeiten haben wir wenige, und was die Concession betrifft …«

»Ja, die Concession, das ist der kitzeligste Punkt,« fiel einer der Herren ein.

»Lieber Freund,« sagte der Regierungsrath stolz lächelnd, »dafür lassen Sie mich sorgen. Es sollen keine Concessionen mehr gegeben werden, indeß man macht Ausnahme, wo es nöthig ist.«

»Die Hauptsache ist,« sprach ein Anderer, »daß die Gesellschaft sich vervollständigt, die Zeichnung in Ordnung gebracht und eine Generalversammlung berufen wird.«

Der Regierungsrath lächelte noch einmal und antwortete dann:

»Das alles soll und wird geschehen. Das provisorische Comité hat alle Vorbereitungen machen lassen, die ersten Einschüsse praktisch verwandt und wird in den nächsten Tagen vielleicht schon im Stande sein, Ihren Wünschen zu genügen. Ich thue nie etwas halb,« fuhr er dann fort. »Erst alle Wege geebnet, die Schwierigkeiten beseitigt und dann um so fester gehandelt. Man weiß, daß man sich auf mich verlassen kann, das weiß man, und darum« – er warf einen Blick auf das Kreuz im Knopfloch – »ich kann wohl sagen, daß ich Ihnen die Versicherung geben darf: unsere Sache hat den besten Schutz zu hoffen.«

Die Thür zum Speisezimmer wurde geöffnet, und Hermann hatte das Glück, seinen Platz neben Fräulein Agathe zu erhalten. Nach einigen Minuten war das Gespräch begonnen, daß die gewöhnliche Gesellschafts-Unterhaltung nicht überstieg, über Oper und Theater in der Residenz, über Sängerinnen und Vergnügungsorte wegglitt.

»Es ist doch sonderbar,« sagte das Fräulein endlich, »daß auch wir diese tausend Mal abgedroschenen Gegenstände verhandeln. Giebt es denn nichts anderes und Besseres, oder ist unsere geistige Armuth wirklich so groß, daß wir in allen Gesellschaften dasselbe hören müssen?

»Es ist nur der Beweis,« entgegnete Hermann, »daß diese Gegenstände den größten Reiz für uns haben.«

»Finden Sie das in Bezug auf sich selbst?« fragte sie scharf.

»Wenigstens möchte ich mich nie den Reizen wahren Kunstgenusses und der Gesellschaft entziehen, wenn ich auch einen überwiegenden Hang zu einem stillen, begränzten Kreise von Lebensgenüssen besitze.«

»Das heißt also,« erwiederte Agathe, »Sie sind ein Gegner der rauschenden Vergnügungen des Lebens in der großen Welt?

»Kein Gegner, aber auch kein Verehrer,« sagte er. »Mein Leben muß ein geschäftiges, kein zerstreutes sein. Ich gehöre nicht zu den Glückskindern, die von der Arbeit nichts wissen und auch nichts wissen mögen. Arbeit und Mühen sind vielmehr meine treuen Begleiter; wenn ich aber nach sauren Wochen frohe Feste feiern will, muß es mehr sein, als der bunte Schein gewähren kann.«

»Sie gehören zu den Ungenügsamen!« rief das Fräulein scherzend.

»Sagen Sie: zu den Genügsamsten,« erwiederte er in derselben Weise. »Was ich vom Leben will, würde den Meisten nicht gefallen.«

Agathe blickte ihn spöttisch lächelnd an.

»Wer sollte meinen,« sagte sie, »daß Sie so viele idyllische Empfindungen hegen! Ich denke, das glänzende und bewegte Leben der großen Welt, und was diese an Genüssen bietet, muß Ziel und Streben jedes Menschen von Geist sein, und deßhalb mögen Sie sagen, was Sie wollen, ich werde es nicht glauben.«

»Haben Sie davon gehört,« sagte Hermann, »daß es Menschen giebt, die wirklich so thöricht sind, das nicht zu vermissen, was man gewöhnlich die große Welt nennt?«

»Es muß dergleichen Barbaren geben,« versetzte sie, »wer hielte es sonst hier aus, oder empfände nicht wenigstens die tödliche Langeweile, welche mich oft beglückt.«

»Da haben Sie einen Unterschied zwischen uns,« erwiederte er. »Ich langweile mich nie, und diese Kunst muß man verstehen, wenn man sich selbst, wenigen treuen Freunden, einem liebenden Herzen und häuslichem Glücke leben will.«

Sie blickten sich beide fragend und lächelnd an.

»Herrlich!« rief Agathe endlich im unverkennbaren Spott. »Lieber Herr Assessor, Sie haben Grundsätze, die der Himmel Ihnen erhalten möge. Sie könnten in jedem Lande ein Musterbild wahren Glückes sein und in Paris einmal den Tugendpreis davon tragen.«

Ein Diener, der den Bürgermeister heraus rief, bewirkte eine Unterbrechung des Gesprächs. Die Gäste wurden aufmerksam, denn im Nebenzimmer war es laut geworden. Plötzlich öffnete sich die Thür wieder, und Frankenberg führte Martha an der Hand herein, der ihr Vater folgte. Den Beschluß machte ein junger Mann in elegantem Kleide und mit keckem Gesicht, dem ein Bärtchen nach der Mode die nöthige Weihe gab.

»Keine Umstände, lieber Wildener,« sagte der Bürgermeister; »Sie kommen zur rechten Zeit, um mir das Vergnügen zu machen, mit Ihrer Tochter die Zahl meiner Gäste zu vermehren, und hier ist unser Ingenieur, Herr Baumeister Perband, der auch zur guten Stunde zurück gekehrt ist.«

Er führte Martha um den Tisch zu seiner Nichte und rief dieser zu:

»Da bringe ich Dir eine Jugendfreundin, mein Kind, Jungfrau Martha Wildener, Du wirst Dich ihrer gewiß erinnern und entzückt sein, sie zu sehen.«

Das Fräulein stand auf und warf einen verwunderten, messenden Blick auf Martha, der in ein herablassendes Lächeln verschmolz. Sie streckte die Hand mit den blaßgelben Handschuhen und den goldenen, blinkenden Armbändern aus, weil sie bemerkte, daß ihr Oheim Freundlichkeit wünschte, und Martha nahm diese Hand freudig und unbefangen an. Sie drückte die behandschuhten Finger lebhaft in den ihren und sagte:

»Mich mögen Sie freilich vergessen haben, aber ich weiß es noch recht gut, wie wir zusammen in der Schule saßen und uns täglich sahen.«

»Auch ich erinnere mich jetzt,« entgegnete Agathe, »aber ich hätte Sie wirklich nicht wieder gekannt. Wir müssen die alte Bekanntschaft erneuern, liebe Martha. Setzen Sie sich, Herr Landgraf.«

Martha warf einen Blick der Überraschung und der Freude auf ihren Geliebten, dessen Anwesenheit sie bis jetzt nicht bemerkt hatte. Ihr ganzes Gesicht überglühte sich, und doch hätte sie es dabei bewenden lassen und geschwiegen, wenn Hermann sich nicht mit einem Gruße an sie gewendet hätte.

»Willst Du hier meinen Platz nehmen, Martha?« fragte er.

»Nein, Hermann,« erwiederte sie, »Du mußt Deinen Platz behalten, dort wird schon für uns gesorgt.«

Frankenberg hatte zwei Stühle zu beiden Seiten neben den seinen stellen lassen und führte die junge Bäuerin fort, die ohne Verlegenheit ihm folgte. Sie nahm den Strohhut ab, ihr Vater legte Stock und Hut auf ein Seitentischchen, und Beide setzten sich zwischen die geputzten Leute, fast als gehörten sie zu ihnen. Der alte Freischulz in seinem blauen Rock, den Hemdkragen über das schwarze Halstuch geschlagen und sein graues langes Haar zu beiden Seiten des braunen, harten Gesichts niederfallend, blickte würdevoll und ruhig auf die Herren und Damen.

Es waren aber viele, die ihre Augen doch lieber auf Martha richteten und heimlich fragten und urtheilten. Martha's schlanken Formen fehlte es nicht an Reiz und ihrem hübschen Gesicht nicht an Ausdruck. Die blauen, schimmernden Augen enthielten einen süßen Schmelz, und in den sonnengerötheten Zügen lag etwas Bestimmtes und bei aller Schüchternheit Selbstbewußtes. Dazu kam ihre ländliche Tracht, das Mieder mit dem farbigen Besatz und dem Sträußchen von Maiblumen und Flieder daran, die bunten Röcke und die langen schönen Zöpfe, welche weit über den Rüden fielen.

Der Contrast zu den geschmückten Damen war dadurch um so greller, aber er schien in den Augen der Meisten keineswegs nachtheilig für die Bäuerin. Ihre frische Natürlichkeit und ihr hübscher Mund mit weißen Zähnen kam gar manchen liebenswürdiger vor, als die blassen Lippen und aller goldene Putz Agathens, welche, nachdem sie Martha ein Weilchen gemustert hatte, die Huldigungen des jungen Baumeisters annahm, der ihr gegenüber seinen Platz erhielt.

Der junge Herr war so eben von einer Reise in die Umgegend zurückgekehrt, die er im Auftrage Frankenbergs gemacht hatte, um den Zug der Bahnanlagen näher zu bestimmen. Er war höflich und gewandt, und erzählte zum allgemeinen Vergnügen der Zuhörer ein paar kleine Abenteuer, die ihm aufgestoßen waren; ja, es schien fast, als sei mit seinem Erscheinen ein vermehrtes Leben in die Gesellschaft gekommen, denn überall schürte er die Gespräche an, machte sich zum Mittelpunkte derselben, erregte Lachen und Fragen und nebenbei den geheimen Neid des Bürgermeisters, der es nie recht leiden konnte, wenn sein eigenes Licht vor einer fremden Sonne erblaßte.

Der Baumeister wandte sich jedoch meist an Fräulein Agathe, ihr widmete er seine Anrede und bewunderte ihre Antworten. Hermann wollte er in Berlin gesehen haben, obgleich dieser sich keiner Begegnung erinnern konnte und ein geheimes Mißbehagen gegen den Mann empfand. Um so öfter sah er zu Martha hin, die der Bürgermeister beschäftigte, der es sich angelegen sein ließ. Beiden ein gesprächiger Nachbar zu sein.

Das Mahl war ein reiches und erlesenes, denn Frankenberg hielt auf eine vorzügliche Köchin. Er wandte etwas auf seinen Ruf, verschrieb aus der Ferne, was in der Nähe nicht zu haben war, und rühmte sich, daß mancher vornehme Mann in der Hauptstadt nicht bessere Diners gebe, als er. So hatte er denn Vieles zu preisen und seine Gäste mit den Vorzügen und Feinheiten der Gerichte bekannt zu machen, nebenbei scherzte er mit Martha, ergötzte sich an ihren Antworten und nöthigte den alten Wildener zum Trinken von den verschiedensten Weinen, endlich vom Champagner, gegen den der Schulz jedoch seinen entschiedenen Widerwillen aussprach und den heimlichen oder lauten Jubel der ganzen Gesellschaft erregte.

»Ich kenne das ausländische Getränk sehr gut,« sagte er, »Denn wie Sie wissen, bin ich auch zum Öftern auf den Landtagen, bei den Festen gewesen, die große Herren gaben, wo uns alle Herrlichkeiten aufgetischt wurden. Aber,« fuhr er fort und blickte stolz umher, »ein Bauer bleibt ein Bauer, und will nichts Anderes werden. Es ist das Geld nicht, was solche Dinge kosten, darauf käme es nicht an, wir hätten es wohl auch aufzuwenden, aber es widersteht unserer einfachen Natur. Es gehört ein verdorbener Magen dazu, wenn man daran Geschmack finden will.«

Die Gäste lachten über den alten, rohen Menschen, und die Pfropfen knallten um so lauter; nur der Doctor sah ärgerlich darein, bald auf Hermann, bald auf Martha und auf den Baumeister. Er machte seine Betrachtungen, und ein verdrießliche Gesicht war die Folge.

Fräulein Agathe kümmerte sich fast gar nicht um ihren Nachbar, und dieser saß schweigsam und so dumm daneben, als könne er nicht fünf zählen, wie Herr Leberecht zu sich selbst sagte.

Endlich wendete sich Agathe doch zu dem Assessor und schreckte ihn durch eine rasche Frage aus seinen Gedanken.

»Sie kennen also meine ehemalige Schulgenossin?« fragte sie.

»Martha war auch meine Jugendgespielin,« erwiederte er.

»Und diese Freundschaft scheint tiefe Wurzeln geschlagen zu haben,« fuhr sie fort.

»Tiefe und starke Wurzeln. Ich bin stolz darauf, Marthas Freund zu sein.«

Ein mitleidiges Lächeln war die Antwort.

»Es ist sehr Schade,« fuhr Agathe fort, »daß wir nicht mehr im Zeitalter der Ritter und Schäferinnen leben. Nicht wahr, Herr Perband?«

»Allerdings sehr Schade,« versetzte der Baumeister. »Es waren damals noch herrliche Zeiten; jetzt haben die Ritter kaum noch Schäferstunden.«

Diese Antwort erregte Agathens Beifall. Sie nickte dem Baumeister zu, plötzlich aber unterdrückte sie einen lauten Schrei und stieß den Stuhl zurück. Ihr Nachbar hatte ein schreckliches Unglück angerichtet. Die Weinflasche, welche er in seiner Hand hielt, um sein Glas zu füllen, fiel, als er sie niedersetzen wollte, und eine röthliche Flut ergoß sich über das Kleid des Fräuleins.

Sie warf ihm einen Blick des heftigsten Umwillens zu und eilte unter seinen verlegenen Entschuldigungen fort, um nicht wieder zu kommen. Alle Augen richteten sich mißbilligend auf den Frevler, der seine Ungeschicktheit vergebens hinter einer weitläufigen Erklärung zu verstecken strebte und im Innern seine Zerstreutheit und Unvorsichtigkeit verwünschte.

»Lassen wir den unbedeutenden Zufall auf sich beruhen,« fiel Frankenberg lachend ein, »und stoßen Sie mit mir an, daß bedeutendere Dinge durch keinen störenden Zufall behindert werden.«

Jeder nahm diese Worte, wie er sie auffaßte. Man war zufrieden damit, und nach einem lebhaften Klingen der Gläser war das Gastmahl beendet. Im Nebenzimmer wartete der Kaffee schon, und Frankenberg ließ es nicht zu, daß der Schulz und Martha sich entfernen durften.

»Kommen Sie her, lieber Wildener,« sagte er, »setzen Sie sich zu mir. Wir müssen noch zusammen plaudern.«

Er zog ihn freundlich an ein Tischchen und Martha auf einen Polstersessel. Es war ihr doch ein wenig banglich zu Muthe; sie hätte gar zu gern gesehen, daß Hermann gekommen wäre und mit ihr gesprochen hätte, denn heimlich hatte sie wohl bemerkt, daß er das Unglück angerichtet, weil er nach ihr hingesehen und nicht auf das, was er that. Sie fühlte im innersten Herzen eine Art Freude darüber, und eine solche Sehnsucht überkam sie, daß sie am liebsten aufgestanden und ihm nachgegangen wäre, wenn es sich nur geschickt, oder wenn der Vater nicht so genau aufgepaßt hätte.

Vergebens aber verfolgte sie alle Bewegungen ihres Geliebten, den der Doctor eine Zeit lang festhielt, um ihm einige spöttische Vorwürfe über seine feinen Sitten und gesellschaftlichen Studien zu machen; dann wurde er von Anderen in Beschlag genommen, und wie er auch ein paar Mal Miene machte, sich zu nähern, immer kam ein Aufenthalt, der ihn zurückhielt.

Da ging die Thür auf, und Agathe in einem neuen schönen Kleide von Seide trat herein. Hermann eilte ihr entgegen, bat und erhielt Verzeihung, und Martha wurde es ganz weh, als sie sah, daß Beide so lange und so lächelnd und freundlich zusammen sprachen. Aber einen schmerzhaften Stich in's Herz that es ihr, als Hermann die Hand mit dem Handschuh küßte, und das schöne Fräulein ihre schalkhaften Augen mit einem besondern Ausdruck der Güte auf ihn heftete.

»Wenn sie es ihm doch nimmermehr vergeben könnte!« sagte sie heimlich, »und wie kann er den garstigen Handschuh küssen? Ach, wie kann er denn überhaupt so freundlich zu ihr sein, und mich gar nicht ansehen?«

Es war jedoch, als hätte Fräulein Agathe sich heimlich vorgenommen, das Gemüth der armen Martha, so viel sie nur konnte, zu beschweren. Sie setzte sich auf die Bergere und nöthigte Hermann an ihre Seite. Auf den beiden Polsterkissen saßen sie dicht beisammen, und zwischen ihnen war das Kaffeetischchen befestigt. Ihre Hände berührten sich fortwährend, ihr Lachen und ihre Scherze kamen schmerzlich in Martha's Ohr; sie konnte nicht hinsehen, weil es ihr weh that, und sie wohl merkte, wie Agathe ihm zu gefallen suchte.

So ging es ein Weilchen fort, und sie wurde immer trauriger; plötzlich aber schreckte sie auf, denn ihr Vater nahm Abschied. Sie hatte gar nicht gehört, was er mit dem Bürgermeister gesprochen, aber dieser war wie umgewandelt. Nicht einmal die Hand gab er dem Hofbesitzer, als dieser die seine ausstreckte, er machte nur eine grüßende Bewegung damit, und Martha nickte er bald lächelnd, halb ärgerlich mit dem Kopfe zu, und sagte:

»Viel Glück auf den Weg, liebes Kind.«

»Leben Sie recht wohl, liebe Martha,« rief Agathe herüber; »wenn ich einmal nach Bolau kommen sollte, werde ich Ihren Besuch erwiedern.«

Hermann sagte nichts; als Martha aber an der Thür war und sich umwendete, sah sie, wie sein Blick sie verfolgte, und heimlich rief eine Stimme in ihr, die wie Hermanns Stimme klang:

»Es hat Alles nichts zu bedeuten, Martha, sei nur guten Muthes!

Der Schulz setzte seinen Gut auf und schritt mit ernsthaftem Gesicht neben seiner Tochter zur Stadt hinaus. Erst draußen auf dem Fußwege zwischen den Wiesen am Flusse fing er laut an zu lachen, zog die Pfeife aus der Tasche, schlug Feuer und stieß den Stock in den Boden.

»Gott sei Dank,« sagte er, »daß wir hier sind! eine Last fällt mir von der Brust; ist mir doch, als wäre ich aus einem Gefängniß entsprungen. Was schiert mich aller Firlefanz der Stadtleute und was sie sich erfinden, um groß damit zu thun! Hier habe ich Bäume, Berge, Blumen und Kräuter. Die Vögel singen, die Thiere springen lustig umher, und jedes Ding hat seine Ordnung, seine natürliche Bestimmung, nichts wird eingezwängt und eingepreßt, nichts verstellt sich und betrügt durch glattes Wesen. Was müßte man mir geben, wenn ich meinen Hals in solche hohe Binde einschnüren sollte, meine Arme in enge Ärmel, meine Hände in Futterale!«

Er lachte recht aus voller Brust und fuhr dann kopfschüttelnd fort:

»Das Leder ziehen sie gar nicht mehr herunter. Hast Du gesehen, Martha, wie es die Frauenzimmer machten? Als ob sie was Böses hätten, was sie nicht zeigen dürften, so versteckten sie die Finger. Wenn sie nur wüßten, wie häßlich sie aussehen in ihren theuren Putz. Du warst die Allerschönste, mein Kind, auch der Bürgermeister hat es gesagt, und ich glaube, es kam ihm vom Herzen.«

»Er hat es mir auch gesagt,« erwiederte Martha lachend.

»O, der alte Fuchs!« sagte der Schulz; »doch diesmal hat er sich betrogen. Du hast doch gehört, was ich ihm erzählte?

»Ich habe es nicht recht gehört, Vater.«

»Es war ein Spaß, ihn dabei anzusehen,« fuhr Wildener fort. »Als er hörte, ich verkaufte ihm nichts, und Ludolph auch nicht, das sei unser fester Entschluß, war er voll Zorn und Galle. Alle seine Leckerbissen und sein Wein waren umsonst gewesen, und wie ich sprach: ›Schönen Dank, Herr, für Speise und Trank, kommen Sie nach Bolau, so sprechen Sie beim alten Wildener im Freischulzenhofe ein,‹ da stands ihm auf der Stirn: ›In meinem Leben komme ich nicht wieder zu Dir, Du elender Bauer!‹«

Sie gingen weiter, und bald schimmerte die Thurmspitze von Bolau vor ihnen zwischen den hohen Kirchhofsbäumen. Das Pfarrhaus mit seinem weißen Giebel trat im Sonnenglanze hervor, da fiel dem Alten der Hermann ein.

»Hast Du denn mit dem jungen Herrn Landgraf gesprochen?« fragte der Vater.

»Nein, Vater,« sagte Martha.

»Du hast recht gethan, Kind. Bleib von ihm. Er paßt sich besser zu jener, und es ist gut so.«

»Was ist gut so, Vater?«

»Daß er heirathet,« sagte der Schulz. »Es ist auch wohl ein Glück für ihn.

»Wen soll er denn heirathen? Sprecht doch vernünftig, Vater!« rief Martha erschrocken.

Wildener wendete sich zu ihr um.

»Der Bürgermeister hat es mir gesagt, Martha, er denke, sie sollen ein Paar werden, der Hermann und seine Agathe.«

Martha schwieg still, Zunge und Füße waren ihr wie gelähmt. Nach einigen Augenblicken war jedoch der Schreck überwunden, sie wußte ganz bestimmt, daß nichts daraus werden konnte.

»Wenn's wahr wäre,« sagte sie, so müßte es gewiß gut sein; ich glaube es aber nicht.«

»Das halte, wie Du willst,« sprach der Schulz.

Nach einer Weile fing sie eins ihrer Liedchen an zu singen, die ihr Vater immer gern hörte, und sie sang mit so frischer, heller Stimme, daß ihm wohl dabei wurde. –

»Kummer und Gram hat sie nicht,« murmelte er vor sich hin, »denn wer so singen kann, der weiß nichts davon, am wenigsten aber kann es ein Liebesgram sein. Wenn ein Mädchen hört, ihr Herzallerliebster will eine Andere freien, so reißt sie sich wohl das Haar aus und heult Tag und Nacht, aber singen thut keine. Also ist's auch nichts damit, und der Ludolph ist ein Narr. Laß ihn kommen, ich werd's ihm sagen, aber will's Gott, haben wir noch vor Martini Hochzeit.«

Es war ein vergnügter Abend für den Schulzen. Er ließ Martha gehen, wohin sie wollte, und erzählte seinen Nachbarn, wie er die Herren und Damen in der Stadt gefunden und wie der Bürgermeister sich benommen.


6.

Am andern Tage war Sonntag. Lichtgoldener Frühschein drang in Martha's Kammer, aber er weckte sie nicht auf, denn längst lag sie mit offenen Augen und dachte an Hermann und wie Alles werden und enden sollte. Es wurde ihr bei dem Sinnen bald heiß und bang, sie sprang aus dem Bett und kleidete sich an. Der Sonntagmorgen lag in seiner festlichen Stille auf Flur und Dorf. Alle Arbeit ruhte, Alles schimmerte im Gottesfrieden grün und herrlich, nur die Bienen zogen, nach wie vor, in ihren emsigen Geschäften auf und ab, und unzählige Lerchen schwebten als lobpreisende, unsichtbare Stimmen am Himmel.

Martha war froh und weich gestimmt. Sie faltete die Hände und legte sie auf das Fensterkreuz.

»Du lieber Gott,« sagte sie leise, »ich will es Dir anheim geben, wie es sich fügt. Lenke Du es doch zum Guten und mache mich glücklich; ich möchte so gern recht glücklich sein.«

Da kam der Muth in ihr Herz, und sie sagte lauter:

»Warum soll es denn nicht auch zum Glücke ausschlagen? Man muß nur recht ernsthaft wollen, was man will; recht standhaft muß man seien und fest vertrauen, so kommt man zum Ziele.«

Sie sah nach dem Pfarrhause hinüber, und ihr Herz schlug laut, als oben das Erkerfenster geöffnet wurde und zwischen den Latten und Weinlaubranken sich ein winkender Arm herausstreckte. Hermann suchte auch den Kopf nachzuschicken, aber es wollte nicht gelingen, er preßte ihn an das Gegitter und rief Grüße, die lautlos verhallten, Denn eben begannen die Kirchenglocken den Sonntagsdienst einzuläuten.

Martha streckte ihre Hände dem entfernten Freunde entgegen, dann nahm sie ihr Schürzchen und ließ es wehen; das Glück zog jubelnd bei ihr ein, und als es nach einiger Weile lebendiger im Hofe wurde, als die Thüren unten auf und zu gingen, und die Stimme ihres Vaters sich hören ließ, nahm sie den Sonntagsstaat aus dem Schrank, holte die große Goldkette hervor, welche ihre Mutter ihr als Erbe vermacht, kämmte und flocht dann ihr langes Haar mit besonderer Sorgfalt und schmückte sich zum Kirchgange mit mädchenhafter Lust.

»Er muß doch sehen, daß ich auch etwas auf ihn halte,« sagte sie, als sie sich im Spiegel betrachtete, »und daß ich nicht die Häßlichste bin,« setzte sie leise lachend hinzu.

Dann ging sie hinunter und sah in der Wirthschaft umher, ob die Mägde ihre Schuldigkeit gethan, ordnete an, was fehlte, und trat endlich zu ihrem Vater, der am Schreibpulte vor Papieren und Rechnungen saß.

Der alte Mann hatte auch das sonntägliche Kleid an: die hohen blanken Stiefel und die lange Schoßweste. Im weißen Hemde saß er und schrieb Zahlen zusammen, als aber Martha hereintrat, verschwand der Ernst von seinem Gesicht, und obwohl er nichts sagte, sah man es doch, wie viel Wohlgefallen an seinem hübschen Kinde in ihm aufgeregt war, denn von Zeit zu Zeit wandte er seine Blicke immer wieder von den Papieren ab und verfolgte ihre häusliche Geschäftigkeit.

Endlich war der Kaffee getrunken. Die Glocken läuteten wieder, Martha nahm das Gesangbuch vom Schrank und die weißen Handschuhe aus dem Koffer; dann holte sie des Vaters Hut und bürstete ihn, zuletzt aber legte sie den Rock bereit und wartete, daß der alte Mann aufstehen sollte, als plötzlich draußen auf der sandbestreuten Diele Schritte knisterten und Hermann einen Augenblick darauf vor ihr im Zimmer stand.

»Guten Morgen, Herr Wildener,« sagte er, und zugleich reichte er Martha die Hand und drückte sie mit Innigkeit.

Der Schulz stand freundlich auf und erwiederte den Gruß.

»Nun,« fragte er, »sind Sie auch wiedergekommen und haben die Stadtleute verlassen, um mit den Bauern in die Kirche zu gehen?«

»Ich bin am liebsten hier,« sagte Hermann.

»Recht, junger Herr,« fuhr der Hofbesitzer lobend fort; »wer, wie Sie, unter dem Landvolke aufgewachsen ist, der muß immer auch eine Zuneigung dafür behalten.«

Hermann sah Martha bedeutungsvoll an.

»Eine recht tiefe, wahre Zuneigung habe ich,« rief er aus, »und am liebsten wäre es mir, wenn ich ganz und gar ein Landmann sein könnte.«

»Jeder Stand hat seine Vortheile,« sprach der Schulz, indem er mit innerer Genugthuung die Worte hörte, »allein für Sie paßt sich der Bauer nicht. Sie haben in die Welt und in die Bücher gesehen, und müssen nun mit einem andern Pflug pflügen. Jedem das Seine, Herr Landgraf; wenn Sie aber einmal in der Stadt wohnen, die Schornsteine dort gar zu sehr qualmen und die Straßen gar zu heiß und staubig sind, so kommen Sie zu uns heraus und sagen Sie, wie die Herren immer sagen: ›Ich will auf's Land, um mich zu erholen.‹ Was kann man Besseres vom Bauernleben sagen?«

Hermann stimmte ihm bei und sprach dann:

»Ich habe wirklich die bestimmte Aussicht, schon in der nächsten Zeit meinen Wohnsitz in der Stadt zu nehmen. Die Stelle eines Justiz-Commissairs ist dort offen, und längst bewerbe ich mich um ein solches Amt. Nun hat mir der Bürgermeister freundlich zugesprochen, mich zu melden; so habe ich denn gestern gleich an den Minister geschrieben; was Frankenberg dabei durch Verwendung thun kann, soll geschehen; die Syndicats-Geschäfte würden mir auch wohl übertragen werden, und wenn die Eisenbahn gebaut wird, fällt mir das einträgliche Amt des Rechtsbeistandes der Gesellschaft zu.«

»Das macht sich gut,« erwiederte der Alte. »Es freut mich, zu hören, wenn ein junger Mann, der tüchtig ist, auch rasch in der Welt fortkommt. Viel Glück, Herr Landgraf, und viel Segen ins Haus, wenn es sich mit einer jungen Frau vermehrt!«

»Wie meinen Sie das?« fragte Hermann erröthend.

»Nun, ich denke nur so,« versetzte der Schulz lächelnd. »Sie werden doch nicht unbeweibt bleiben wollen!«

»O nein!« rief Hermann rasch.

»Das ist recht,« sprach Wildener, »machen Sie nicht, wie es Viele jetzt machen; nehmen Sie ein Weib; das bindet ans Haus, legt Pflichten auf und macht verständig. Ich denke aber, Sie haben schon etwas für sich auf dem Rohr.«

»Ja, Herr Wildener, wirklich, das habe ich,« rief Hermann überrascht.

»Konnte es mir denken,« erwiederte der Schulz. »Habe es wohl bemerkt und auch ein Wort davon gehört.«

»Von wem? von Martha?« rief der junge Mann freudig, indem er Wildener's Hand festhielt. »So wissen Sie es,« fuhr er fort, »Sie haben es bemerkt und wollen Ihren väterlichen Segen uns nicht entziehen. Ja, ich liebe Martha tief und aufrichtig als Kind schon und jetzt noch tausendmal mehr.«

Der alte Mann hatte regungslos diese plötzliche Werbung gehört, nur sein Gesicht veränderte sich. Die dunkle Farbe darin schien zu verblassen, dann röthete es sich bis unter das dichte graue Haar, das sich empor zu sträuben schien. Die Wölbung der Augäpfel schimmerte mit blutigem Glanz. Hermann stockte und verstummte vor den schnellen und zuckenden Blitzen. Der Schulz zog seine Hand zurück, und Martha preßte ängstlich ihre Finger auf der Brust zusammen.

Es schien, als bedürfte der Hofbesitzer einiger Zeit, um mit sich einig zu werden, welche Antwort er geben solle, und als kämpfe er mühsam gegen den Ausbruch seines Zornes, den er beherrschen wollte. Er stützte den Arm mit solcher Gewalt auf die Klappe des Schreibpultes, daß es zu brechen drohte, und preßte Lippen und Zähne heftig zusammen. So stand er dem Freiwerber eine Minute gegenüber; dann wendete er sich gegen Martha um, blickte sie drohend an und sagte:

»Komm her, Martha.«

Sie näherte sich mit niedergeschlagenen Augen.

»Ist es wahr, was der junge Herr da sagt?« fragte er.

»Ja, Vater.«

»Ist es wahr, daß Du ihm Liebe zugesagt hast?«

»Ja, Vater,« erwiederte sie lauter.

»Das hast Du gethan?!« rief der Schulz mit furchtbarer Heftigkeit.

»Ja, Vater, ich hab's gethan,« versetzte sie mit leiser, aber fester Stimme; »ich konnt' es nicht lassen.«

Der Alte trat mit dem Fuße auf die Diele und ballte die Faust zusammen. Er holte tief Athem.

»Morgen,« sagte er dann, so ruhig er konnte, »fahren wir nach Heiningen und besuchen Ludolph Kracht's Wirthschaft. Geh hinaus jetzt, dort hinein in die Kammer, und halt Dich bereit, bis ich zur Kirche rufe.«

Martha warf einen langen Blick des Abschieds auf Hermann, dann drehte sie sich um und ging. Der Alte folgte ihr mit den Augen, als aber die Thür geschlossen war, sagte er:

»Was ich dem Mädchen zur Antwort gab, war auch die Antwort für Sie, Herr. Ich danke für die Ehre, die Sie mir und Martha anthun, aber es kann nichts daraus werden.«

»Lieber Herr Wildener,« begann Hermann bittend, doch der Schulz fiel ihm sogleich ins Wort.

»Machen Sie kein unnützes Gerede, Herr Landgraf,« sprach er, »es läßt sich nichts helfen und nichts ändern daran. Ludolph Kracht hat mein Wort, das hab' ich nie gebrochen, und will's auch nimmermehr thun; wenn's aber auch nicht so wäre, ich könnte es doch nicht zugeben. Gleich paßt sich zu Gleich. Mein Schwiegersohn muß ein erbgesessener Mann sein, das ist alte Sitte und Recht bei uns, das weicht und wankt nicht, so lang' ich lebe. Was Sie mit dem unbesonnenen Mädchen vorgehabt, ist Ihre Schuld. Ich sollte billig wohl Rechenschaft fordern; mag's vergessen sein, vergessen Sie es denn auch.«

»Wie könnte ich es vergessen!« rief Hermann. »Bedenken Sie, daß mein und Martha's Lebensglück auf immer zerstört ist.«

»Was das Mädchen betrifft, entgegnete Wildener, »so werde ich schon dafür sorgen, daß sie glücklich wird. Sie aber, Herr, sollten einsehen, daß Klagen und Händeringen nicht Mannes Sache ist. Da läuten die Glocken zum dritten Male,« fuhr er nach einer Pause fort, als Hermann noch immer mit gesenkten Augen vor ihm stand. »Gehen Sie in die Kirche, Herr, das wird Ihnen, wie uns allen wohl thun. Frieden haben wir nöthig, darum müssen Sie mein Haus von heute ab meiden; wenn es aber irgend vorkommt, daß der Hans Wildener in Bolau Ihnen einmal einen Dienst erweisen kann, so kommen Sie zu ihm, er wird es immer gern thun.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er hinaus, und Hermann verließ das Zimmer und das Haus mit dem lebendigen Gefühl der Beschämung und des Liebesgrams im Herzen. Sein Stolz war nicht wenig gekränkt von der Zurückweisung, die er von dem Vater seiner Geliebten erfahren, denn ganz konnte er das Vorurtheil doch nicht unterdrücken, das ihm leise die Verschiedenheit des Ranges und der Ansprüche an die Welt zuflüsterte, welche er zu machen hatte.

Der Freischulz war ein wohlhabender Mann, wie Alle wußten, aber er war doch nichts, als der Besitzer eines Hofes, nichts als ein Bauer, der billiger Weise erfreut sein konnte, wenn seine Tochter über ihren Stand hinaus heirathete. Statt dessen betrachtete der alte Mann offenbar den Antrag als ein Verbrechen gegen seine Ehre, und die Heirath als eine Mißheirath, wohl im gleichen Maße, als hätte Hermann es gewagt, um die Hand des einzigen Kindes eines Grafen oder Barons zu werben.

Seinen ersten heftigen Empfindungen folgend, rang Hermann mit dem Entschlusse, wirklich eine Neigung auszureißen, die so seltsamen und, wie es schien, unbeugsamen Widerstand fand, aber im nächsten Augenblicke schon schien es ihm unmöglich, und als er nun in das kleine Gotteshaus trat und Martha erblickte, die mit ihren großen, treuen Augen klagend und doch tröstend zu ihm herüber schaute, da kam es ihm vor, als sei doch alle Menschenlist und Härte vergebens; denn das liebende Vertrauen zu Martha mischte sich mit heißer Leidenschaft in seiner Brust zu einem eisernen Kitt, der seinen Willen, zu hoffen und zu wagen, fest machte. Mit solchem Willen aber ist die Liebe in der Menschenbrust unbesiegbar.

Es war ihm, als hätte der greise Oheim auf der Kanzel das eben auch ausgesprochen. Milde Worte tönten in seinem Ohr, er horchte aufmerksamer. Der alte Pfarrer sprach von der Liebe, die allmächtig sei im Himmel, wie auf Erden. Und als er die kleine Gemeinde ermahnte, standhaft auszuharren in jeglicher Noth und nicht zu verzagen, wie Wetter drohten, auch allerlei Gleichniß anführte von Blumen, die in langer Dürre ihr Haupt neigten, aber der gute Gärtner lege die Hände nicht in den Schooß; vom Säemann, der seine Saaten welken und dorren sähe, doch nicht verzweifle, denn zur rechten Zeit komme wohl die Hülfe, da blickte Hermann zu Martha hin, und Beide lächelten leise, sie fühlten sich beruhigt.

Als die Predigt beendet, und das lange Lied bis zum letzten Verse gesungen war, gelang es Hermann, an der Kirchthür dicht neben Martha zu treten. Ihr Vater hatte mit einem Nachbar zu sprechen, er wendete den Kopf zur andern Seite, und im Gedränge war es leicht, die Hand des Mädchens zu ergreifen und zu drücken. So standen sie und hielten sich fest, ohne daß Einer etwas merkte. Sprechen konnten sie nicht, denn dicht dabei waren Mädchen und Männer, die neugierig auf Alles sahen, und nur ganz leise, als sie über die Schwelle traten und scheiden sollten, sagte Hermann:

»Lebe wohl, Martha, und sei standhaft.«

»Ich will's versuchen,« entgegnete sie.

Da sah sich der Vater um, und über seinen weißen Augenbrauen dunkelte sich die Stirn. Mit einem heftigen Ruck zog er Martha zu sich hin und ging rasch über den Platz nach seinem Hause zur großen Verwunderung der Nachbarn, die allerlei Bemerkungen machten und halb und halb auch das Rechte trafen. –

Wie es so zu gehen pflegt; es war mancher zu abgünstigen Urtheilen bereit. Nicht umsonst erzählte man vom Hochmuth des Alten, der das Mädchen in die Stadtschule geschickt habe, und daß sie noch immer zum Pfarrer laufe und sich besser dünke, als Andere. Der Ludolph Kracht werbe um sie, aber es sei Schade darum, er werde schon merken, wie es stehe. Und als nun eben der Ludolph selbst in seiner neuen Calesche gefahren kam, die Pferde mit großen rothen Bandquasten an den Köpfen, und er selbst so stattlich, wie ein Edelmann, da stieg noch größerer Neid bei den Mädchen auf, die sich gar Vieles mit Schadenfreude zu erzählen hatten und heimlich lachend am Pfarrhause vorüber gingen, wo der Neffe des Pastors im Schatten der Lindenlaube zu sehen war.

Dore, die Haushälterin, hatte den Sonntag besonders festlich zu feiern beschlossen. Ein Braten war aus der Stadt geholt worden, junges Gemüse hatte der Garten geliefert, der Pfarrer selbst hatte gestern Abend mit ihr vereint und unter einer langen Abhandlung über die beste Art, Spargel zu ziehen, mit dem Eisen in der Hand die Beete durchmustert und die dicksten Stangen ausgestochen. In gleicher Weise war der Salat ausgewählt; jedes Blatt fast hatte eine belehrende Besichtigung hervorgerufen, und jetzt stand nun Alles bereit im Lindenschatten, wo das weiße Tischzeug glänzte. Dore trug die Suppe auf und sah dann ärgerlich nach dem Hausherrn um.

»Wo ist er denn geblieben?« sagte sie. »So geht es mir doch immer. Stundenlang kann man warten und muß das Beste verderben sehen, ehe es ihm einfällt, daran zu denken, daß die Speise auf dem Tische steht.«

Indem sie also eiferte, ging die Gartenpforte auf, und ein unerwarteter Besuch trat herein. Der Doctor Leberecht kam, den Hut in der Hand haltend und seine Perrücke auf dem Stocke vor sich her tragend, während er den Schweiß von seinem blanken Schädel trocknete.

»Element!« rief er schon von Weitem, »ich spüre den Duft von Zuckerwurzeln und jungen Möhren, Schotenkörnern und Spargelstücken; das ist mir lieb, so zur rechten Stunde zu kommen. Wer den Augenblick ergreift, das ist der Mann! das merke Dir, Hermann! Du hast Dich gestern benommen, wie ein Krähwinkler, doch davon nachher. Jetzt, Dore …«

Er setzte sich, ergriff den Vorlegelöffel und schöpfte sich auf.

… »jetzt hole den Alten und bringe ihm andere Teller, oder lasse ihn meinetwegen in seiner Weise laufen und fasten, bis ihn der Hunger herauslockt, wir wollen uns jedoch seiner Grillen wegen nicht den geringsten Zwang anthun.«

Diesen Ausspruch machte Herr Leberecht wahr. Er aß, was er konnte, ermunterte Hermann, lobte die Suppe, und erzählte in abgebrochenen Sätzen, daß er einen Patienten besucht und sich dabei vorgenommen habe, in der Pfarre einzusprechen und gute Nachrichten zu bringen. –

»Denn trotz Deiner schlechten Manieren und Deiner geringen Unterhaltungsgabe,« fuhr er fort, »muß ich Dir sagen, daß Du doch vielen Leuten gefallen hast. Fräulein Agathe läßt Dich grüßen und bitten, bald einmal wieder zu erscheinen, vorausgesetzt, daß Du keine Weinflaschen umstoßen willst; was aber Frankenberg betrifft, so läßt er Dich auf morgen einladen, bei der Generalversammlung gegenwärtig zu sein und das Protocoll zu führen. Es geht Alles gut, mein Junge; es geht vortrefflich, und wenn Du einigermaßen nicht geradezu auf den Kopf gefallen bist, werden wir Freude an Dir erleben.«

Eine Antwort wurde Hermann erspart, denn aus dem Hause trat jetzt der Pfarrer, der in beiden Händen sorgfältig einen verdeckten Napf trug. Sein Gesicht drückte einen hohen Grad freudiger Erwartung aus, und wie er in die Laube trat, sagte er mit einer gewissen Feierlichkeit:

Das ist mir wahrhaft von Herzen lieb, alter Leberecht, daß Du heute mir die Freude machst, mein Gast zu sein. Ein seltenes Gericht sollst Du kosten, einen Salat, wie er Dir noch nicht vorgekommen ist. Ich habe ihn selbst bereitet und mit allen Zuthaten versehen, wie es sein muß.«

Er setzte den Napf auf den Tisch, der Doctor zog ihn zu sich hin und betrachtete die gemischte, zuckerbestreute Blättermasse, die er entdecken konnte, mit offenbarem Mißtrauen.

»Was hat er denn wieder da zusammen gebrauet?« fragte er. »Was ist es denn, was soll es sein?

»Koste es nur,« erwiederte der Pfarrer, behaglich lachend.

»Ich werde mich hüten,« sagte der Doctor, aber er war doch lüstern; betrachtete es, wendete das Gefäß hin und her, prüfte es aufmerksam und meinte dann, daß es so übel nicht röche.

»Nimm Deine Gabel, und thu', wie ich thue,« sprach der alte Herr ermunternd, indem er sich bewaffnete.

»Nun, im Namen des Himmels!« rief der Doctor. »Eine, zwei, drei!«

Er brachte das unbekannte Gericht in den Mund, plötzlich aber öffnete er diesen, so weit er konnte, verdrehte die Augen und stieß einen kläglichen Laut aus. Der Pfarrer öffnete seine Lippen ebenfalls, als wollte er etwas sagen, und vermochte es nicht, dann aber schluckte er herzhaft zu, und nun sahen sich Beide mit starrer Verwunderung an, bis der Doctor leise sagte:

»Du Unmensch, Giftmischer! was habe ich Dir gethan? Herr Gott! was ist es? Wolfsmilch oder Schierling? Zu Hülfe! Es brennt mir den Kopf ab!«

»Was hast Du denn angerichtet, Onkel?« rief Hermann, mit Lachen und Erschrecken kämpfend.

»Plinius hat dennoch Unrecht,« sagte der Pfarrer mit vieler Ruhe. »Er spricht mit einer Verachtung von ihr, die sie nicht verdient. Ich habe von diesem Salat eine vortreffliche Beschreibung gelesen und wahrscheinlich nur irgend einen Fehler gemacht, denn in der That, ich glaube beinahe, wir haben uns die Lippen und die Zunge verbrannt.«

»Lippen, Zunge, Hals und alle edlen Eingeweide,« sagte der Doctor mit matter Stimme. »Komme ich des Plinius wegen um mein Leben, alter Mensch, so will ich Dich und ihn zur Rechenschaft ziehen.«

»Lästere doch nicht, Leberecht,« erwiederte der alte Herr sanftmüthig; »was thut es denn, wenn man der Wissenschaft wegen ein paar Blasen davon trägt? – Jetzt fällt es mir ein, sie hätten abgebrüht werden müssen, daß habe ich vergessen.«

»Wer – sie? was ist das Teufelszeug?« schrie der Doctor.

» Urtica von der schönsten Sorte,« sagte der Pfarrer. »Ich habe sie vorher an der Kirche gepflückt. Die echte Urtica urens, von der Plinius im Dreizehnten Buch seiner historia mundi …«

Aber er konnte nicht weiter reden, denn der Doctor warf in höchster Wuth die Gabel fort, faßte den Napf mit dem Salat, und suchte dem Pfarrer den Inhalt aufzunöthigen.

»Nesseln,« schrie er, »die kein Vieh frißt, setzt der alte Pfarrer seinen Gästen vor; so erprobe es denn selbst, wie sie schmecken, mache Deine Versuche an Dir und ende, wie der einfältige Plinius geendet hat. Ersticke in giftigen Dämpfen, oder stirb an einem hübschen Gericht Pilze, von der Tollwurzel hast Du längst genossen.«

Die beiden alten Herren waren nun im besten Zuge. Je mehr der Doctor tobte und sich ereiferte, um so sanfter antwortete der Pfarrer, der sich trotz alles Schimpfens seines Freundes nicht irre machen ließ, daß die Nessel ein vortreffliches nutzbares Gericht sei, und alle Beweise zusammenzählte, wie sie gebraucht, und selbst gegessen werden könnte. –

Hermann würde sich dabei sehr belustigt haben, wenn er weniger mit sich selbst beschäftigt gewesen wäre. So saß er still und fast antheillos neben dem zankenden Doctor. Niemand bemerkte, daß er die Speise fast unberührt ließ und, sobald er nur konnte, sich aus der Laube entfernte. Ein trauriges Gefühl der Sehnsucht trieb ihn fort. In dieser ländlichen Abgeschiedenheit, ohne einen Vertrauten, ohne Beschäftigung, wenige Schritte von dem Gegenstande seiner Neigung entfernt, dem einzigen, der ihn fesseln und, dem er nicht nahen konnte, empfand er die Schmerzen der Liebe um so heftiger.

Über die Hecken weg konnte er sehen, wie Ludolph Kracht mit dem alten Wildener im Garten auf und abging, und wie Beide eifrig discutirten, bis sie endlich ins Haus zurückkehrten. – Der Alte wahrscheinlich, um seinen Nachmittagsschlaf zu halten, Ludolph aber um bei Martha zu sitzen und sie mit seinen plumpen Liebkosungen zu quälen.

Als er eine Zeitlang sinnend unter den Bäumen auf und abgegangen war und eben hinter den Holunderbüschen versteckt lauschend stand, kam ihm plötzlich ein Bundesgenosse, an den er noch nicht gedacht hatte. Er hörte Tritte hinter sich, und siehe da, es war Dore, die ihm vertraulich zulächelte.

»Nur still,« sagte sie mit dem Finger drohend, »der Herr Pfarrer hat sich aufs Canape gelegt, und der Doctor schnarcht auf der andern Seite; aber was ist denn hier unter den Sträuchen für ein unruhiges Laufen und Hin- und Hersehen? Mir nur kein Geheimniß vorgemacht, Hermännchen, ich weiß es längst, und warum sollte ich es denn nicht wissen? Du lieber Gott! ich wüßte nicht, was mir mehr Freude machen könnte. Martha ist keine vornehme Dame, aber klüger ist sie, als viele, die in Sammt und Seide gehen, und darin hat der Herr Pfarrer Recht, es ist ein Mädchen wie eine Blume, wie die schönste Rose, oder wie eine stolze Tulpe; es ist alles gut und schön an ihr.«

Hermann ließ die alte Frau geschwätzig erzählen; denn es that ihm wohl, Martha rühmen und seine Liebe so warm rechtfertigen zu hören. Erst als die Frau sich erschöpft hatte, sagte er:

»Wie viel Dank bin ich Dir schuldig, Dore, und wie herzlich freue ich mich, daß Du so spricht! Ich liebe Martha, aber leider will ihr Vater nichts davon wissen.«

»Nichts davon wissen?« schrie die Haushälterin entrüstet. »Er will nichts von des Pfarrers Neffen wissen? Seh mir einer den hochmüthigen Bauer an! Aber wahr ist es, das Bauervolk ist ein stolzes Volk, und der da, der alte Schulz, denkt Wunder, was er ist. Er hat sich das Commando angemaßt in der ganzen Gegend. Wenn irgend etwas los ist, laufen sie zu ihm, und er ertheilt seinen klugen Rath; denn reden kann er wie ein Advocat, und sagen muß man, daß er verständig zu rathen weiß. Aber streng ist er in seinem Willen; das weiß Jeder; ein gerechter Mann, doch ein harter Mann; sie fürchten ihn weit und breit und haben einen Respect vor ihm, wie vor einem großen Herrn.«

Hermann theilte ihr alles mit, auch wie es heute Morgen mit seiner Werbung abgelaufen, was einen noch heftigern Erguß des Unmuths bei ihr erregte.

»Das arme Kind!« rief sie, »an den Ludolph möchte er sie verkaufen, und das wird er thun, wenn nicht etwas dagegen geschieht.«

»Wenn ich nur mit Martha sprechen könnte,« murmelte Hermann.

»Es ist ein schlaues Mädchen,« versetzte Dore. »Wenn sie es wüßte, würde sie wohl ein Mittel finden.«

»Liebe Dore,« sagte Hermann bittend, »würdest Du ihr nicht ein Briefchen geben können.«

»Freilich würde ich es können,« erwiederte sie. »Nur her damit, ich will es gern thun. Ich gehe hinüber, stecke es ihr in die Hand, und will's schon machen, daß es Keiner sieht.«

Hermann setzte sich auf die Bank, riß ein Blatt aus seiner Schreibtafel, schrieb und legte es ganz klein zusammen, daß es die Haushälterin bequem zwischen den Fingern halten konnte.

»So,« sagte er, »es sind nur ein paar Worte, aber es wird genug sein. Abends erwarte ich sie auf dem Schloßberge

Mit lebhafter Unruhe verfolgte er die Vertraute, die unterwegs entschuldigend zu sich sagte:

»Wir wollen den Alten schon zwingen, daß er Ja sagt. Es ist ein griesgrämlicher alter Mann, und geschieht ihm ganz recht, wenn er für seinen Eigensinn bestraft wird. Freilich ist es wohl nicht ganz schicklich, daß ich in meinen alten Tagen Liebesbriefe trage, und gegen die Moral ist es auch, hinter des Vaters Rücken die Kinder zu verleiten; aber Sünde ist es nicht, denn es soll ja nur Gutes damit bewirkt werden, und obenein weiß es Niemand, als ich und mein Hermännchen.«

So gestärkt, klinkte sie die Thür auf und verschwand im Hofe; während Hermann in steigender Bewegung den engen Raum in der Laube maß. Es war ihm, als könnte er Alles sehen und hören. Jetzt trat Dore hinein, jetzt machte sie ihren Knix und fragte den Alten freundlich nach Diesem und Jenem. Nun ging sie zu Martha, die saß mit der Näherei hinter dem Geranium. Sie beugte sich zu ihr, und da – das Briefchen war in ihrer Hand. Martha hielt es verborgen und las es, sie nickte verstohlen, und Dore lachte vergnügt, denn nun konnte sie sich setzen, und nach Herzenslust plappern, was ihr in den Mund kam; aber jetzt …

»Sie kommt schon zurück,« rief Hermann beglückt, und wirklich ging die Thür am Schulzenhofe wieder auf. Dore's weißer Rock wurde sichtbar; doch was war das? Der alte Wildener streckte sein zorniges Gesicht dicht hinter ihr aus dem Thürspalt, durch den er die Haushälterin des Pfarrers hinausschob, und seine gewichtige Hand gab ihr einen so nachdrücklichen Stoß auf den Weg, daß sie viel schneller über die Schwelle flog, als gut war.

Sie taumelte gegen den Baum, ihre Haube drehte sich auf dem Kopfe herum. Wildener schlug die Thür zu, daß es krachte, und vor Schaam, Ärger, Wuth und Furcht leichenblaß lief Dore nach dem Pfarrhause, wo sie weinend und händeringend anlangte. Es dauerte eine gute Weile, ehe sie sprechen konnte, denn nur Drohungen, Verwünschungen und Klagen kamen heraus. Bald richtete sie ihre Vorwürfe gegen sich selbst, bald gegen den groben, nichtswürdigen alten Bauer, der es wagte, eine Frau, wie sie, geradezu aus dem Hause zu werfen, und erst als ihr Schützling sein tiefes Bedauern ausdrückte, daß er die eigentliche Ursache ihres Unfalls sei, was er sich nie vergeben könne, fühlte sie den großmüthigen Wunsch, ihn zu trösten.

»Wenn Einer Schuld hat, so bin ich's,« sagte sie, »Denn warum habe ich's gethan, und wenn ich's that, warum bin ich nicht vorsichtiger gewesen? Ich konnte wohl denken, daß der alte Bär aufpassen würde, und wie ich ins Haus trat und er mir entgegen kam, mit seinen grimmigen Augen, da hätte ich merken sollen, was er vor hatte. In die Stube ließ er mich gar nicht, Martha wäre nicht da, sagte er. Wir sprachen hin und her, plötzlich aber faßte er nach meiner Hand, wo ich das Zettelchen hielt, brach sie auf, daß ich laut schrie, nahm es mir ab, sah hinein und ehe ich vor Schreck die Sprache finden konnte, war ich draußen. Gott sei Dank, daß es Niemand gesehen hat; ich könnte die Schande nie verwinden!«

Nach manchen Beruhigungen und Trostgründen war Dore so gefaßt in ihr Unglück, daß sie lachen konnte, als sie ein Stück des Zettels aus der Tasche zog, den sie dem Alten entrissen hatte.

»Das übrige hat er behalten,« rief sie, »aber wenn er sich je untersteht, den Fuß über unsere Schwelle zu setzen, so will ich es ihm schon beibringen, was es heißt, eine ehrbare Frau zu mißhandeln. Nur ruhig, Hermännchen, nur ruhig! Noch ist nicht aller Tage Abend; der Ludolph steht noch nicht in der Kirche, und Kranz und Krone sind auch noch nicht für Martha gewunden.«


7.

Während so im Pfarrgarten verhandelt wurde, war Martha mit Ludolph allein und hörte schweigend seine Liebkosungen und Betheuerungen an, die sie von Zeit zu Zeit mit einigen abweisenden und spöttischen Worten unterbrach. Sie fühlte, je länger der begünstigte Anbeter sprach und je zärtlicher er wurde, eine steigende Erbitterung und ließ ihm dies so deutlich fühlen, daß er endlich die Geduld verlor und mit erhitzter Stirn seinen Unmuth aussprach.

»Alles in Ehren,« sagte er, »ich lasse mir viel von Dir gefallen, Martha, von Keiner in der Welt würde ich's leiden; aber was bist Du für ein trotziges Mädchen! Kannst einen ehrlichen Kerl ja mit Deinen Stichelreden wild und toll machen!«

»Es ist so meine Art,« sagte sie.

»Deine Art gefällt mir aber ganz und gar nicht,« rief Ludolph ärgerlich.

»Mir geht es gerade so mit Dir,« versetzte Martha.

Ludolph schwieg eine Zeitlang und biß mit den Zähnen grausam in die Pfeifenspitze. Endlich sagte er:

»Das ist aber doch schlimm, Martha, wenn's so bleiben sollte. Eheleute sollen friedlich leben und verträglich, sonst wird eine Hölle daraus.«

»Darum fange bald an, Dich zu ändern,« sprach sie.

»Ich?« fragte er.

»Nun, wer sonst, als Du!« rief Martha.

»Höre,« sagte Ludolph mit einigem Nachdruck, »ich denke es würde das Beste sein, wenn Du es thätest. Die Frau soll sich nach dem Manne richten; wenn sie ihn leiden mag, wird sie es gern thun.«

»Wenn sie ihn leiden mag, ja!« lachte Martha spöttisch.

Ludolph ließ die Pfeife sinken.

»Du kannst mich also wohl nicht leiden?« fragte er.

»Nein,« versetzte sie und blickte ihn starr an.

Ein ungläubiges Lächeln flog über Ludolphs Gesicht.

»Was? mich?« rief er, »den Ludolph Kracht!«

Er schwieg still und schüttelte den Kopf.

»Warte Du schlimme Dirne,« sagte er dann, »jetzt sehe ich, wie Du necken willst. Wenn ich mit dem Finger winke, kommen sie alle, drei Meilen in der Runde.«

»So nimm sie alle, nur mich nicht,« erwiederte Martha stolz.

»Potz Wetter!« rief der beleidigte Liebhaber, »jetzt könnte ich es ernstlich nehmen. Höre auf mit dem Zeug, Du willst mich ja heirathen, Schatz.«

»Wenn der Vater mich in die Kirche schleppt, so muß es geschehen,« sprach sie kläglich; »freiwillig aber thäte ich es nimmermehr.«

»Nimmermehr?« schrie Ludolph, indem er aufsprang.

»Nein, nimmermehr! Geh hin, rufe meinen Vater, sage es ihm, macht mit mir, was ihr wollt, aber aus meinem Willen werde ich nie deine Frau.«

»Wirklich, Martha,« sagte er sich zwingend, »Du thust, als solltest Du Rhabarber nehmen.«

»Es ist wohl tausend Mal schlimmer, was ich nehmen soll,« erwiederte sie tief seufzend.

Ludolph blickte wild vor sich hin, endlich ballte er die Faust und drohte nach dem Pfarrhause hinüber.

»Der verdammte Kerl,« sagte er, »hat an Allem Schuld. Himmel Element! wenn ich ihn erwische! Rede selbst, Martha, hat er nicht an Allem Schuld?«

»Du kannst es immer wissen; ja, Du sollst es wissen,« versetzte sie. »Ich liebe ihn, und Dich mag ich nicht. Du hast mir versprochen, so wahr Du ehrlich sein willst, alles zu thun, was ich begehre; so bitte ich Dich, wenn Du mich wirklich lieb hast, nimm mich nicht, Ludolph, wähle Dir ein Mädchen, das Dich recht von Herzen wieder liebt; aus uns wird nie ein Paar, das Glück und Segen genießt.«

Ludolph stand da, wie ein Träumender. Halb glaubte er es, halb kam es ihm immer noch wie Neckerei vor; aber Martha sah blaß und verstört aus; zuletzt bemerkte er, daß sie die Augen voll Thränen hatte. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Es wurmte ihn im Herzen, und doch war er auch stolz. Das Blut stieg ihm heiß ins Gesicht. Sollte er sich so verspotten und verachten lassen, abziehen mit Schimpf und Schande und das Gelächter Aller hinter sich schallen hören, die da wußten, er werbe um Martha und denen er es gesagt und sich gerühmt hatte?

Daneben war es die reichste Braut im Kreise und mit dem Alten der Handel abgemacht; denn vor einer Stunde hatte ihn Wildener allein genommen und sogar von der Mitgift gesprochen. Zehntausend Thaler zahlte er baar am Hochzeitstage, und das Meiergut trat er obenein ab; dazu kamen die Kisten und Truhen voll Leinen, Betten und Geräth, die seit Marthas Geburt gesammelt und immer höher aufgethürmt waren.

Ludolph schüttelte daher nochmals den Kopf und sprach:

»Ich will's nicht glauben, Martha, schlage Dir die Sorgen aus dem Sinn, es wird Alles gut gehen mit uns beiden.«

»Meinst Du?« sagte sie heftig, »ich denke nicht so, Ludolph. Es wird schlecht gehen und immer schlechter; alle Schuld aber wird auf die fallen, die mich gezwungen haben, in dein Haus zu treten. Ein rechter Mann würde so nicht handeln; er würde es niemals thun, nicht um Ehre, nicht um Geld und Gut.«

Das war zu viel für Ludolph.

»Schweig still mit solchen Worten,« rief er. »Ich bin kein Bettler, der um Gottes willen ein Mädchen nimmt. Wenn's fein soll, will ich gleich gehen und nicht wieder kommen.«

Er griff nach seinem Hute und stand zögernd, als Wildener herein trat, der einen Theil des Streites an der Thür gehört haben mußte.

»Wo willst Du hin, Ludolph?« fragte er.

»Nach Haus,« antwortete der junge Mann trotzig.

Der Schulz sah ihn fest an.

»Gut, ich will Dich nicht halten, aber in vier Wochen gebe ich Martha mit Dir zusammen, und das ist mein Wille, den kein Mensch zerbrechen kann. Da sitzt sie, nimm ihre Hand, so soll es ein Gelöbniß sein. Gieb ihm die Hand, Martha!« rief er mit einer Stimme, daß die Wände dröhnten – »so, jetzt geh, wenn Du willst, Ludolph, oder bleib. Der Pfarrer soll am nächsten Sonntag das Aufgebot verlesen.«

Ludolph war in seinem Herzen froh, seine Augen hellten sich auf, er suchte Martha liebreich zuzusprechen, allein er konnte nichts bewirken. Darum zog er es vor, lieber bald nach Haus zu fahren, und dem Alten die Ermahnungen zu überlassen. Martha hatte ihm mechanisch die Hand gereicht; doch diese war kalt wie Eis, daß ihm schauderte; auch erwiederte sie keine Sylbe, was er immer sagen mochte.

Als er auf dem Wagen saß und davon fuhr, dachte er daran, was es werden würde, wenn das Mädchen sich nicht änderte. Eine Frau von solcher Art jagte ihm Schrecken ein; bald aber tröstete er sich und sagte:

»Manche Dirne hat schon Thränen am Hochzeitstage geweint und ist nachher glücklicher gewesen, als viele, die vor Liebe und Zärtlichkeit nicht wußten, wohin. So kann es auch mit uns kommen, und je eher, desto besser. Hat erst der Pfarrer den Segen gesprochen, so ist es mit allen Einwänden vorbei. Fügen muß sie sich; mit dem Alten werde ich auch fertig werden.«

   

Als Ludolph fort war, nahm der Hofbesitzer seinen Hut, und ohne es zu beachten, daß Martha den Kopf hängen ließ und ihre Schürze in die Augen drückte, verließ er das Zimmer und schritt über den Vorplatz nach dem Pfarrhause, wo der Doctor sich eben fertig machte, nach der Stadt zurückzukehren. Hermann sollte ihn begleiten, um morgen früh bei der Versammlung zu sein, und vergebens lud der Pastor Beide zum längern Verweilen und zum Abendessen ein. Herr Leberecht schlug ein Kreuz vor ihm und schauderte zurück.

»Einmal bin ich dem Tode entgangen,« sagte er, »obwohl ich die Brandwunden noch an meinem Körper trage; sich an demselben Tage solcher Gefahr abermals aussetzen, hieße die Götter versuchen. Wenn mir der fürchterliche Salat einfällt, bekomme ich innere Zuckungen, und einzig aus dem Grunde nehme ich den Hermann heute schon mit, um ihn vor meuchelmörderischer Vergiftung zu behüten.«

»Sorge nur dafür,« sagte der Pfarrer lächelnd, »daß die giftigen Gewächse, die am liebsten in den Städten gedeihen, ihm nicht schädlich werden.«

»Was!« rief der Doctor erstaunt, »Du wagst es, eine Anspielung zu machen? Wer gab Dir diesen Gedanken ein, alter Mensch? Ich sage Dir, es giebt kein Gift, das nicht heilsam wäre in der geschickten Hand, während die Unwissenheit mit Rosenöl Mord begehen kann. Deinen Neffen nehme ich mit, hoffentlich aber wird er vielleicht morgen schon als ein anderer Mensch zurückkehren, als ein beamteter und beglückter Mann, der – hier klopfte er auf seine Finger – einen goldenen Gnadenbrief für seine verkaufte Freiheit empfangen hat.«

Die scheltende Stimme der Haushälterin unterbrach draußen auf der Flur die Mittheilung des alten Herrn sowohl, als die Antwort, zu welcher Hermann sich bereit machte.

»Der Herr Pfarrer hat Besuch,« rief sie mürrisch, »und kann sich heut am Sonntag nicht mit Euch aufhalten, mit einem Menschen, der nur Ärger bringt und Gewalt. Wollt Ihr mich verklagen, so kann ich es noch besser thun und es den Menschen wissen lassen, was sie zu gewärtigen haben, wenn sie Eure Schwelle betreten.«

Statt aller Antwort klopfte es stark an der Thür, und zur Verwunderung des Pfarrers trat der Schulz herein, der die keifende Haushälterin rücksichtslos bei Seite geschoben hatte. Er grüßte höflich und sagte:

»Nehmen Sie es nicht übel, Herr Pastor, wenn ich Ihnen heut noch beschwerlich falle, aber ich halte es für recht, zu Ihnen zu kommen und ohne Umschweife zu reden. Da steht Ihr Neffe, der bezeugen kann, daß nichts falsch ist. Wenn er's anders weiß, mag er's sagen.«

»Ich verstehe noch kein Wort davon, Wildener,« entgegnete der alte Herr.

»Ich auch nicht,« sagte der Doctor.

»Ich glaube es gern,« sprach der Schulz. »Heute Morgen hat der junge Herr da um meine Martha bei mir angehalten.«

»Was?« schrie Herr Leberecht erschrocken, bald den Einen, bald den Andern ansehend. »Angehalten? Er ist nicht klug! Kinderstreiche!«

»So habe ich auch gedacht,« fuhr Wildener ruhig fort, »doch ich sehe, daß es Beiden Ernst ist.«

»Und da,« sagte der Doctor grinsend, »da seid ihr nun gekommen, um als ein guter Vater Eure Einwilligung zu geben.«

»Herr!« erwiederte der alte Mann mit Stolz, »Ihnen habe ich eigentlich nichts zu antworten. Wollte ich Ja sagen, so würde ich's thun, ohne mich zu kümmern, wem es gefiele. Ich sage aber Nein! und bleibe bei meinem Nein! nur möchte ich den Herrn Pastor damit bekannt machen, damit er seinem Neffen den Kopf zurecht setze.«

»Das heißt verständig gesprochen,« fiel der Arzt erfreut ein; »wie ein kluger Mann habt Ihr die Sache angesehen. Es paßt sich nicht und schickt sich nicht. Martha ist ein gutes Kind, ich weiß es, habe sie ja ein paar Mal unter den Händen gehabt; aber in die Stadt taugt sie nicht, da verlangt man andere Dinge, die sie nicht versteht.«.

»Recht, Herr,« erwiederte der Freischulz, und mit einem verächtlichen Lächeln fügte er hinzu: »Meiner Martha Hand paßt nicht in lakirtes Leder, darum soll sie davon bleiben, und so bin ich denn hier, ihr Aufgebot für den nächsten Sonntag zu bestellen.«

»Aufgebot? Hochzeit! Mann, Ihr trefft den Nagel auf den Kopf,« rief der Doctor. »Das ist die allerbeste Cur für kranke Herzen. Verheirathet sie, so heilt der Schaden von selbst. Wer soll sie haben?«

»Ludolph Kracht von Heiningen.«

»Ein prächtiger Bursche, gesund wie eine Schwalbe,« sprach der Doctor beifällig weiter, »und immer lustig, immer flott, der wird ihr die Grillen schon vertreiben. Den da, den jungen Herrn, den werde ich gesund machen. Heda, Pfarrer von Bolau, es giebt eine Hochzeit, laß Dir den Kuchen und Braten nicht entgehen, spute Dich, schreibe Deinen Zettel und denke hübsch an deine Gebühren.«

Diese Ermahnungen schienen jedoch wenig zu wirken. Der Pfarrer stand nachdenkend und schüttelte den Kopf. Dann trat er an den Schrank, holte ein Kirchenbuch hervor, nahm eine Feder und kehrte wieder um.

»Ich glaube wirklich nicht, daß es wohl gethan ist,« begann er: »Haben Sie auch alles recht bedacht, Wildener?

»Alles habe ich überlegt und festgestellt,« antwortete der Bauer.

»Aber Martha,« fuhr der Pfarrer fort. »Sie ist ein sanftes, verständiges Kind, weit verständiger als viele, und Ludolph Kracht ist ein roher, wilder Mensch, der trinkt und spielt.«

»Herr Pastor,« fiel der Schulz mit zürnenden Tone ein, »Sie haben schon einmal Ihre Bedenken gegen mich geäußert, ich dächte aber, der Vater müßte am besten wissen, was seinem Kinde gut ist …

»Allerdings muß es der Vater wissen, sagte der Doctor. »Schreib' den Zettel, und damit Punctum.«

»Aber will sie ihn denn auch nehmen?« fragte der alte Herr zögernd.

»Ob sie will?« rief Wildener. »So sollten Sie nicht sprechen, Herr, der Sie kennen, was Sitte und Gebrauch hier zu Lande ist. Ich habe den Ludolph Kracht gewählt, und Martha wird seine Frau, weil es so beredet ist mit Wort und Handschlag. Das wäre genug, sollte ich denken, und hat Niemand weiter etwas zu fragen.«

Der Pfarrer schrieb die Namen auf und sagte dann:

»Den Taufschein für Martha werde ich besorgen lassen. Den Bräutigam schickt zu mir, er muß sich selbst melden und Rede und Antwort geben, ehe ich es niederschreibe.«

Die Buchstaben schienen ihm schwer zu werden, und leise brummte er vor sich hin. ›So ist es denn nichts mit der Erbschaft. Die arme Martha! Gott fügte es wohl anders, aber der Menschen Wille scheidet es, obgleich es geschrieben steht, daß es nicht geschehen soll.‹

Der Schulz hatte indeß den jungen Landgraf ins Auge gefaßt, und es that ihm fast weh, als er sah, wie Hermanns Gesicht einen Schmerz ausdrückte, den er begriff. Die heitern Züge, welche sonst das Wohlwollen des Menschen erweckten, waren verstört, erschlafft und die Lippen blaß und zusammengepreßt. Der harte Mann fühlte ein Mitleid mit dem jungen Blut, das da verzagen wollte, und er trat vor ihn hin und rührte ihn an.

»Junger Herr,« sprach er, »heben Sie den Kopf auf und sehen Sie muthig in die Welt. Was gesagt ist, ist gesagt, kein Wort davon darf verloren gehen. Wäre es so bestimmt gewesen, daß Gottes Güte Sie gestellt hätte, wo der Ludolph steht, wären Sie ein Mann, der seßhaft zu uns gehörte mit Land und Eigenthum, Sie sollten erkennen, daß ich ein Herz für Sie habe.«

»Ist es denn nur das,« rief Hermann, »so ist es ja nichts, als ein Vorurtheil. Ich bitte Sie um Alles, lassen Sie mir die Hoffnung, es zu ändern. Martha …«

»Martha thut, was sie soll,« fiel der Alte ein, »und jetzt ist mein Geschäft abgemacht. Bringen Sie keine Noth über das Mädchen, Herr, wenn Sie es wirklich lieb haben. Es hilft nichts, machen Sie es nicht schlimmer; wir aber wollen gute Freunde bleiben. Wie es auch kommt, ich will es Ihnen beweisen.«

Er grüßte den Pfarrer und verließ das Zimmer, wo der Doctor allein nach einiger Zeit seine Stimme erhob und gegen seine Gewohnheit ernsthaft sagte:

»Was soll man von den Herren erwarten, wenn ein Bauer so auftritt, wie dieser. Alle Welt! ich habe eine Art Respect vor dem Alten bekommen, an dem nichts zu biegen und zu beugen ist, und ich wette Leib und Leben, es könnte ein Graf da stehen, oder ein Prinz, die Martha müßte den Ludolph Kracht aus Heiningen nehmen. Also,« sagte er tröstend,»ist es nichts mit der rothbäckigen Dirne, Hermann; doch glaube mir, sie thut sich darüber kein Leid an. Von Jugend auf sind sie daran gewöhnt, den zu nehmen, der ihnen ausgewählt wird, und ich kenne kein Beispiel, wo sich eine geweigert hätte. Glücklich werden sie hinterher alle; was nennt denn solch Volk Glück?! Noth hat es nicht zu leiden, Anfechtungen bleiben aus, häßlicher und älter werden sie alle Tage, so denken sie denn bald nur daran, es mit ihren Kindern eben so zu machen, wie es mit ihnen gemacht wurde.«

Der Doctor nahm seinen Hut, und Hermann folgte ihm.

Der Pfarrer aber sagte, als er allein war:

»Welche Saaten hattest Du ausgestreut, du hoher Herr dort oben, und was ist aufgegangen, so lange Dein Reich währt? – O meine lieben blauen und weißen und rothen Freunde, ihr kennt keinen Unterschied, ihr seid alle gleich und frei, Republicaner seid ihr, die den Übermüthigen nicht dulden. Doch nein,« fuhr er bald bedenklich fort, »auch bei euch ist ja Ungleichheit und Bedrückung. Entzieht ihr nicht mit geheimem Neid euch Blut und Säfte, wollt ihr nicht oft getrennt leben, haßt euch bitterlich und könnt es nicht ertragen, friedlich bei einander zu stehen? dehnt sich der Reiche nicht gewaltig aus und zermalmt die armen, schwachen Nachbarn, die ängstlich zitternd erkranken und sterben, ohne daß er Mitleid fühlt?« –

Der alte Mann schüttelte leise den Kopf und flüsterte dann traurig:

»Der Leberecht spricht, es gehe ein erbarmungsloser Geist durch die Welt, ein Gesetz in der Hand, dem sich alles beugt, und dessen Gerechtigkeit wir vergebens nachforschen. Sehe denn Jeder zu, wie er dem Schaden abhelfe, so viel er immer kann. – Die Menschen kann ich freilich nicht bessern,« rief er entschuldigend, »die sind mir zu stark und gewaltig, aber wäret ihr armen Kinder Rosen oder Lilien, und der alte Schulz etwa eine Ringelraupe, die eure Vermählung hinderte, ich wollte ihm schon die Lust vertreiben; da ihr aber leider Menschen seid, so seht zu, wie ihr fertig werdet; ich kann nichts weiter für euch thun.«

   

Während der Pfarrer mit solchen Trostgründen sich beruhigte und bewaffnet mit seiner großen Haupenscheere durch den Garten schritt, verfolgten die beiden Andern ihren Weg zur Stadt, auf welchem der Doctor Zeit hatte, in seinem jungen Begleiter neue Hoffnungen zu erwecken. Er machte ihn jetzt ohne Umstände mit allem bekannt, was er von der Zukunft zu erwarten habe, wenn er vergessen wolle, daß er unkluger Weise sich in ein Liebesverständniß eingelassen, das so wenig für ihn passe.

»Ich mache Dir keine Vorwürfe,« sagte er, »denn was helfen Vorwürfe bei solchen Geschichten. Überdies ist der Gedanke, die Martha zu freien, so ganz übel nicht; denn der Alte ist reicher, als mancher Herr mit einem langen Titel, und das Mädchen wäre eine Partie für viele, die sonst wohl den Kopf hoch genug tragen, dennoch aber hastig zugreifen möchten.«

»Sie werden mir nicht zutrauen,« erwiederte Hermann, »daß ich je an Marthas Geld dachte.«

»Toll genug bist Du dazu,« rief Herr Leberecht, »obgleich es das Verständigste gewesen wäre, was Du zu deiner Rechtfertigung sagen könntest. Magst Du aber gedacht haben, was Du wolltest, die Sache ist die, daß nichts daraus werden kann, und somit ist das Eine so viel werth, wie das Andere. Was willst Du nun thun? Martha ist in drei Wochen verheirathet, sorge dafür, daß es nicht viel länger mit Dir dauert, und lache den alten Bauer aus, wenn Du an der Seite eines reichen feinen Weibchens in Bolau einfährst.«

»Wie können Sie so grausam mit mir spotten,« sagte Hermann mit Heftigkeit.

»Spotten?« versetzte der Doctor; »das fällt mir nicht ein, wie sehr Du es auch verdienst. Laß es aber nur die Leute in der Stadt erfahren, daß Du um die Hand der Bauerdirne angehalten hast und schmählich nach Hause geschickt wurdest, so wird es an Spott nicht fehlen. Darum sei ein Mann; betrachte die Sache, wie ein Jurist, der einen verlorenen Proceß sammt allen Acten in den tiefsten Winkel reponirt, um nicht wieder daran zu denken; doch nimm Dir vor, mit mehr Klugheit das nächste Mal zu Werke zu gehen.«

»Es wird lange dauern,« entgegnete der junge Mann, »ehe diese Klugheit mir nöthig ist.«

»Du Undankbarer!« rief sein kleiner Beschützer, »soll ich Dir das A B C des Lebens an den Fingern herrechnen, um Dich zur Vernunft zu bringen? Gewalt über Dich habe ich zwar nicht, wie Martha's Vater über sein Kind, dafür muß die Macht der Überzeugung durch Dein besseres Einsehen kommen. Du hast nichts, guter Freund, als sechsundzwanzig wohlgezählte Jahre, und bist nichts, als ein Mensch, der einmal, wenn das Glück gut ist, einen Stadtrichter- oder Landrichter-Posten erhalten kann. Nun öffnen sich Dir plötzlich Aussichten, die weit über jene Ansprüche hinaus gehen. Eine einträgliche Stelle bietet sich Dir, Nebenbeschäftigungen, die Geld bringen; Du trittst mit Leuten in Verbindungen, welche es nicht daran fehlen lassen werden, Dich weiter hinauf zu empfehlen und zu befördern. Ein wohlthätiger Nepotismus, der jetzt überall hervortritt, will sich Deiner annehmen, und obenein erwarten Dich die weißen Arme eines hübschen Mädchens, eines Mädchens, die Vermögen besitzt und noch mehr zu erwarten hat; denn für wen sammelt wohl Frankenberg, der weder Weib noch Kind hinterläßt? So befehle ich Dir denn im Namen der Vernunft, Du junger, verliebter und betrübter Thor, Du sollst von Stund an nicht mehr an das ordinäre, gesunde Gesicht in Bolau denken, sondern wie ein verständiger und gebildeter Mensch, der sein Glück in der Welt machen will, an die Frau von feinen Sitten, die Dich mit dem Weltleben verbinden soll. Und diesmal hast Du Grund, darauf zu hoffen, denn ich kann Dir sagen, es wird wenige Künste kosten, und Du hast, was Du wünschen kannst.«

»Was ich wünschen kann,« entgegnete Hermann, »besteht allein darin, alle Heirathspläne und alle Weiber zu vergessen.«

»O, Du närrischer Junge!« rief Leberecht lachend; »aber jetzt steht es schon halbweg gut mit Dir, denn so sagen sie alle, und wie bald erwacht doch das Verlangen nach den Äpfeln wieder! Heirathen ist eine gar schöne Sache. Was bin ich einfältig gewesen, daß ich in jungen Jahren die Zeit vorüber gehen ließ und nicht mit in den Glückstopf griff! Es ist wahr, daß viele Nieten darin liegen, wer aber mit Verstand zu Werke geht, der wird doch meist einen Treffer ziehen, wenigstens wird er es glauben, und das ist in dieser miserablen Welt schon ein gewaltiges Glück. – Thu mir jetzt den einzigen Gefallen, liebes Kind, und verdirb mir meine Absichten nicht. Mein Sohn und mein Erbe sollst Du sein, mache mir also Ehre. Bedenke Alles, dann fasse ein Herz und springe frisch ins Netz. Ich denke, Agathe wird das Fischchen gern fangen und Deinen Kummer süß zu trösten wissen.«


8.

Am andern Morgen war die Generalversammlung im Hause des Bürgermeisters anberaumt, und früh schon hatte sich Hermann eingefunden, der ein Amt dabei übernehmen sollte. Den ganzen gestrigen Abend hatte der Doctor angewandt, ihm Lebensklugheit vorzupredigen, und es endlich dahin gebracht, das Versprechen zu empfangen, vorsichtig sich selbst und die Verhältnisse zu prüfen und nicht etwa in thörichter Verblendung eines Mädchens wegen, die weder zu seiner Lebensstellung paßte, noch welche er zu gewinnen hoffen durfte, seine Zukunft zu zerstören.

Alles, was Herr Leberecht sagte, mußte Hermann als wahr zugeben, und finster blickend gestand er sich selbst, daß er gar kein Mittel kenne, den Willen des alten Wildener zu beugen, der, wie der Doctor geurtheilt, unter den Bauern selbst – deren Vorurtheile zu zerstören überhaupt weit schwerer sei, als ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen zu lassen – als der Hartnäckigste und Starrsinnigste gelte. Martha mußte gehorchen, und konnte es nicht auch so sein, wie der Doctor versicherte, daß ihre Thränen schnell versiegen würden, wenn sie erst in Ludolphs Hause wohnte?

Er glaubte es nicht und konnte den Gedanken an Martha nicht los werden. Die ganze Nacht stand sie vor ihm, bald mit den frohen, treuen Augen und klugen Mienen ihn anblickend, bald klagend und betrübt, und als er jetzt in das Haus des Bürgermeisters trat, war es ihm, als müsse er den Fuß zurückziehen, denn er wurde schwer wie Blei; er athmete beklommen und war sehr erfreut, als er hörte, Frankenberg sei noch nicht zu sprechen.

Ein großer Saal im untern Geschoß war für die Versammlung bestimmt. Die Diener trugen Stühle herein, ein Tisch mit grünem Tuch bedeckt stand am obern Ende, Papier, Actenstücke und Zeichnungen wurden nach und nach herbeigebracht. Nach einiger Zeit fanden sich die Theilnehmer ein. Rathsherren, reiche Bürger, einige Fabrikanten und Beamte erschienen; Wagen kamen und brachten aus einigen weiter liegenden Städten und Orten die eingeladenen Notabilitäten, nebst mehren Gutsbesitzern und Herren vom Adel, die in lebhaften Gesprächen über den wichtigen Gegenstand der Berathung den Saal füllten.

Aus diesem Lärm der Vorbereitungen zog sich Hermann zurück, um endlich den Bürgermeister aufzusuchen und Abrede mit ihm zu nehmen.

»Sie werden ihn im Garten treffen,« sagte einer der Hausleute, den er fragte, »gehen Sie nur hier durch das Gitter; links ist das Gewächshaus.« –

Der Assessor ging und irrte durch die Jasmingebüsche und Fliederlauben in den stillen schattigen Gängen umher. Hier war es kühl und still, Alles schön und sorgsam gehalten, und leisen Schrittes, unmuthig und bewegt, durchstrich er die Kieswege, ohne den Besitzer entdecken zu können. Plötzlich stand er still, denn vor ihm lag ein dichtes Gehege von blühender indischer Weide, aus dem eine laute, lachende Stimme erscholl, der eine andere antwortete. Nach einigen Minuten wurde es zum leisen Geflüster. Hermann stand zögernd und bedenkend.

»Es ist Frankenberg und Agathe,« murmelte er, »Doch was hilft's! einmal muß es geschehen, also –«

Er trat um die Biegung und sah auf der Gartenbank vor sich eine Dame sitzen, die sich tief herabbeugte und einen knieenden Mann zu ihren Füßen, der ihre Hände mit Küssen bedeckte. Mit einem Blicke entdeckte er Alles: Agathe, den Baumeister, dessen Liebesschwüre nicht ungehört verhallten, ihre glänzenden Augen, ihr erhörendes Lächeln, und leise, wie er gekommen war, trat er zurück. Eine Last fiel von seinem Herzen, er hätte ihnen Glück und Segen wünschen mögen.

Im nächsten Augenblicke bellte Agathens Hündchen ihm nach, und wie er rasch durch die Gänge eilte, glaubte er hinter sich Schritte zu vernehmen. Ohne umzublicken, eilte er aus dem Garten ins Haus, und gerade an der Thür traf er auf den Bürgermeister, der herauftreten wollte.

»Ich suche Sie,« rief Frankenberg ihm entgegen. »Sie sind im Garten gewesen, haben Sie Agathen gesehen?«

»Ja, Herr Regierungsrath,« erwiederte Hermann.

»Das freut mich,« fuhr jener fort, »und dem Anscheine nach hat die Unterhaltung Ihnen Vergnügen gemacht? Schön, lieber junger Freund. – Jetzt an die Geschäfte, wir wollen das Thema später wieder aufnehmen. Erst das Nützliche, dann das Angenehme. Sie zeichnen doch auch auf unsere Bahn?«

»Meine Vermögensumstände gestatten mir keine Speculationen.«

»Das wird sich finden,« versetzte Frankenberg mit seinem Gönnerblick. »Ihre Vermögensumstände sind in bester Ordnung, und warum wollen Sie denn nicht eben so gut, wie Andere, Theil nehmen am Erfolg, den Sie erzielen helfen? Zeichnen Sie fünfzigtausend Thaler, ich wünsche es. Die Bahn ist so gut, daß sie in drei Monaten fünfzehn oder zwanzig Procent daran verdient haben; damit legen Sie den Grund zu einem eigenen Vermögen.«

Der Baumeister trat jetzt herein und fixirte mit einem scharfen Blicke die beiden Herren, von denen jeder der Zufriedenste schien.

»Gut, daß Sie kommen,« sagte Frankenberg; »sind die Pläne und Zeichnungen sämmtlich zur Stelle?« –

Der Baumeister bejahte die Frage.

»Mit genauen Erörterungen über den Zug der Bahn wollten wir uns heute nicht im Geringsten einlassen,« fuhr der Bürgermeister fort; »es ist genug, wenn wir die Actionäre vervollständigen und das Directorium wählen, dem das Weitere überlassen bleiben muß.«

Mit einem klugen Lächeln verbeugte sich der Ingenieur und ging in den Saal. Frankenberg aber faßte den Assessor vertraulich unter den Arm und flüsterte ihm zu:

»Sie wissen, wie zäh diese Bauern an den Verkauf gehen, und wenn sie erst erfahren, die Gesellschaft muß ihr Land haben, wie es allerdings der Fall ist, so werden sie sich hüten, es mir abzutreten. Bei einem Paar ist es jedoch gelungen, und wie ich hoffe, soll es wenigstens noch bei dem Ludolph Kracht aus Heiningen glücken, der das meiste besitzt. Das kann ein einträgliches Nebengeschäft werden, und so macht sich Manches in der Welt, was unglaublich scheint; man muß nur den rechten Augenblick wahrnehmen.«

Der Saal war zahlreich besetzt, als Frankenberg erschien und mit würdigem Anstand grüßend seinen Präsidententisch zu erreichen strebte. Der stattliche Mann mit dem Orden im Knopfloch war voller Höflichkeit und hatte Vielen bald freundlich die Hand zu drücken, bald ein paar Worte zuzuflüstern, indem er geheimnisvoll wichtig seine Stirn in die Höhe zog und herablassend lächelte. Endlich war er zur Stelle. Rechte und links saßen die beiden anderen Comité-Mitglieder, ein Fabrikant und ein pensionirter Hauptmann, dann auf der einen Ecke der Ingenieur, auf der anderen der Assessor mit dem Protocollführer.

Der Bürgermeister ordnete die Papiere, flüsterte einige Augenblicke mit den Beisitzern und erhob sich nun mit lächelndem Gesicht, indem er seine goldene Brille zurecht rückte und die Gesellschaft mit einem gebietenden Blicke zur Aufmerksamkeit aufforderte.

Es wurde gezischt und Ruhe geboten, was der Doctor vornehmlich durch ein schreckliches Stampfen mit seinem Bambus bewirkte; dann hielt Frankenberg mit sanfter Stimme eine Rede, die allgemeine Begeisterung hervorrief. Er schilderte den Fortschritt der Welt, die große Erfindung, welche die Menschheit durch Dampfmaschinen und Eisenbahnen gemacht habe, und ergoß sich in patriotischen Gefühlen.

»Deutschland, unser geliebtes Vaterland,« rief er, »kann nicht zurück bleiben. Ein großes, ein einiges Deutschland, innig vereint durch eiserne Bande, die von allen Seiten es umwinden. Ein Eisenbahnnetz wird es in ein paar Jahren überdecken, man wird in wenigen Stunden vom Niemen an den Rhein fahren können und die ganze Erde zuletzt mit Vogelgeschwindigkeit durchfliegen. Deutschland aber ist der Mittelpunct Europa's; in Deutschlands Mitte liegen wir, so sind wir also zu dem großen Glück erkoren, das eigentliche Centrum des Universums zu bilden. Von diesem Gefühle lassen Sie sich erfüllen und leiten, meine Herren!«

»Das Centrum der unüberwindlichen Eisenbahn-Armee!« rief der Hauptmann tief bewegt.

»Haben Sie diesen Standpunct erreicht, so wird es leicht, sich das Weitere zu denken,« fuhr Frankenberg fort. »Welche Entwickelungen werden wir zur Reife führen, welches Beispiel geben wir durch unsern Patriotismus, durch unsere Civilisations-Anstrengungen und hingebende Aufopferung für die große Sache! Eilen wir, uns dem jauchzenden Vaterlande anzuschließen, das überall sich erhoben hat, und nach Eisenbahnen ruft. Wir fördern damit das allgemeine Wohl, wir fördern das allgemeine Feldgeschrei unseres Volkes, das wahre Vorwärts! Wir kommen der echten Aufklärung, der wirklichen Freiheit zu Hülfe, die ihren Sitz bei uns hat, und verdienen den Dank der Fürsten und des Volkes, wie den Dank der Mit- und Nachwelt.«

Ein allgemeiner Beifall belohnte den Redner, der sich verneigte und gerührt sagte:

»Meine Herren, Ihr Comité hat mit aller Anstrengung seine Aufgabe erfüllt. Es hat die Vorarbeiten eifrig geleitet, die Rentabilität der Bahn ermittelt und von den hohen Behörden die vorläufige Zusage der Concession empfangen. Es kommt jetzt darauf an, fester zusammen zu treten, die Gesellschaft zu organisiren und die Statuten anzunehmen, welche von uns entworfen wurden und Ihnen hier vorliegen. Stimmen Sie für diese Vorschläge, so erklären Sie sich durch Ihr geneigtes Aufstehen oder Sitzenbleiben.«

Die ganze Versammlung erhob sich einmüthig, und als eines der Mitglieder den Vorschlag machte, zuvörderst dem provisorischen Comité für alle Mühleistungen den Dank der Gesellschaft abzustatten, erhob sich ein stürmischer Beifallruf, der lange nicht enden wollte.

Die drei Belohnten dankten mit würdevoller Bescheidenheit.

»Meine Herren,« sagte Frankenberg, indem er die Hand auf's Herz legte, »wir würden vergebens nach Worten suchen, unsere Gefühle auszudrücken; aber wir hoffen, daß das Unternehmen selbst für uns sprechen wird. Denn ganz ohne Zweifel wird die Bahn mindestens zehn Procent tragen, und daher auch bald allen, die sich mit uns zur Ausführung verbinden, einen reichlichen Ersatz für Ihre muthige Aufopferung gewähren.«

Einige angeführte Zahlenverhältnisse und die Erklärungen des Ingenieurs brachten die Stimmung auf einen noch höheren Wärmegrad, so daß, als der Bürgermeister zur Vervollständigung der Actienzeichnung aufforderte, ein wahrer Wetteifer entstand, die Feder zuerst zu erhaschen und seinen Namen einzutragen. Die Gewinnlust war mächtig aufgeregt. Der Eine stachelte den Anderen an, und große Summen wurden hastig eingeschrieben, so daß dem Eifer endlich Einhalt gethan werden mußte, da dieser die Erfordernisse weit überstieg.

Der Assessor, der die Zusammenzählungen leitete, flüsterte Frankenberg zu, daß es nöthig sei, eine Summe für solche offen zu halten, die sich schon durch vorläufige Zeichnungen betheiligt hätten und Ansprüche erheben würden. Er dachte an Wildener und was dieser von der Theilnahme der Bauern gesagt hatte. Der Bürgermeister drückte ihm dafür bedeutungsvoll den Arm, dankte dann in einer neuen Rede der Versammlung für ihre glänzend bewiesene Theilnahme, und forderte sie nun zur Wahl ihrer Vorstände auf, da die Vollmacht der bisherigen Leiter des Unternehmens erloschen sei.

Dies war das Signal für den Doctor, sich zu erheben, um von der Gesellschaft zu fordern, daß die würdigen Männer, deren Einsicht und Thätigkeit nicht genug zu rühmen sei, auch fernerhin mit der Leitung des Ganzen beauftragt würden.

»Wen könnten wir anders wählen, als diese durch Geist und Kenntniß berufene Dreiheit,« rief er, »die unser gläubigstes Vertrauen verdient, und wodurch könnten wir ihnen besser unsere allgemeinste Zufriedenheit ausdrücken, als daß wir sie zu Directoren machen, wo ihre schweren Mühen doch durch ein kleines Gehalt von einigen tausend Thalern versüßt werden?«

Trotz des Beifalls, den der Antrag des Doctors hervorrief, suchte Frankenberg sich zurück zu ziehen.

»Meine Herren,« sagte er, »wie sehr mich auch Ihr Vertrauen ehrt, dennoch – meine vielen Geschäfte – meine Kränklichkeit – ich bitte sehr – verschonen Sie mich – es wird nicht schwer sein, einen Würdigern zu finden.«

»Es giebt keinen!« schrie der Doctor. »Sie dürfen nicht zurücktreten. –Sie dürfen die große Sache nicht verlassen!« schrieen Andere.

Von vielen der Anwesenden dringend gebeten, sagte nun der Bürgermeister bescheiden:

»So will ich denn Ihre Wünsche als einen Befehl nehmen und alle meine Kräfte der guten Sache widmen. Sie wählen mich also, den Statuten nach, als ersten Director auf zehn Jahre?«

Nach einer kleinen Pause wurde dies vollstimmig bejaht und nach diesem ersten Schritt Alles in Pausch und Bogen angenommen, was vorgelegt wurde. Zuletzt stellte Frankenberg der Gesellschaft den Assessor vor und ersuchte sie, diesen jungen, hoffnungsvollen Mann als Justitiarius anzuerkennen.

»Herr Landgraf gehört der Provinz an und ist in diese zurückgekehrt, ihr seine Zukunft zu widmen,« sprach er. »In kurzer Zeit wird derselbe in unserer Stadt seinen Wohnstatt nehmen und in die nächsten Beziehungen zu uns und unsern Mitbürgern treten, indem er als Justiz-Commissarius seine Anstellung erwartet. Ich empfehle diesen talentvollen, trefflichen Mann als Rechtsbeistand des Vereins mit dem vollsten Bewußtsein, keinen Würdigern vorschlagen zu können. Ich bin stolz darauf, ihn als einen der Unsrigen zu begrüßen.«

Nach einer solchen Empfehlung war Hermanns Ernennung außer allem Zweifel. Die Gesellschaft erklärte sich einstimmig mit der Wahl zufrieden und nahm seinen bescheidenen Dank für das erwiesene Vertrauen mit Wohlgefallen an.

Alle waren erfreut über den guten Ausgang der Versammlung, Alle voll Hoffnungen auf einen gewinnreichen Erfolg, und unter solchen Erwartungen verschwanden vereinzelte Bedenklichkeiten und Betrachtungen. Der Bürgermeister bezauberte überdies durch seine Herablassung und Gastfreiheit. Er ließ Wein umher reichen; man stieß auf das rasche Steigen der Actien jubelnd an, sprach von den hohen Coursen, und wie das Papier gleich in Werth kommen würde; beglückwünschte sich gegenseitig, winkte sich zu und gratulirte den neuen Directoren und dem jungen Rechtsconsulenten, der endlich, als sich die glücklichen Actionäre entfernten, von Frankenberg huldvoll festgehalten und in sein Cabinet geführt wurde, wohin Herr Leberecht Krumm folgte.

»Nun,« rief der Regierungsrath, »die Sache ist im besten Zuge, und wir können uns jetzt darüber freuen.«

»Es war eben keine große Kunst,« versetzte der Doctor lachend. »Eine Komödie, ein Lustspiel mit gut besetzten Rollen verfehlt seinen Beifall nie, besonders wenn die Acteurs so vortrefflich bei Stimme sind, wie hier. Ich hätte es Keinem rathen wollen, einen Pfiff hören zu lassen.«

»Freund, sagte Frankenberg den Kopf aufwerfend, »glauben Sie mir, Alles ist Komödie in dieser Welt, aber eben die Kunst der Schauspieler, das ist es, was den Erfolg sichert. Ihnen, lieber Assessor,« fuhr er fort, »danke ich noch besonders für die Erinnerung, nicht die ganze Actiensumme fortzugeben. In ihrer glorreichen Begeisterung hätte diese edle Versammlung uns selbst wohl zuletzt nichts übrig gelassen; allein wir haben den Vortheil, die Ersten zu sein, und jetzt ist durch Ihre Besonnenheit auch dafür gesorgt, guten Freunden und einflußreichen Gönnern durch eine Betheiligung an unserer Sache diese angenehm zu machen.«

»Ich habe gehört,« entgegnete Hermann, »daß auch auf dem Lande Versammlungen gehalten und vorläufige sehr bedeutende Zeichnungen eröffnet wurden.«

»Worauf wir keine Rücksicht nehmen können,« fiel Frankenberg achselzuckend ein. »Laffen wir die Bauern aus dem Spiel; ich ärgere mich, wenn ich an sie denke, und bin zufrieden, daß wir ohne sie die Gesellschaft begründet haben. Zähes, eigensinniges Volk, voll Anmaßung und Vorurtheil, das uns mit seinen überklugen Bedenklichkeiten nur schwere Stunden machen würde. Leider werden sie uns doch Geld in Menge abnehmen, wenn es an den Bodenverkauf geht, der ihnen theuer bezahlt werden muß.«

»Wenn sie klagen,« versetzte der Assessor, »wird ihnen das Recht der Theilnahme nicht bestritten werden können.«

»Aber, lieber junger Freund,« rief der Bürgermeister lachend, »was kann man nicht alles bestreiten und doch nichts erhalten? Warum meldeten sie sich nicht zur rechten Zeit? Was wir haben, halten wir fest, und wer im Besitz ist, ist im Recht. Sie sind jetzt unser Vertheidiger und werden in den dicken Gesetzbüchern, Rescripten und Erklärungen Mittel genug für die klarsten Deductionen finden. Sie wissen doch, daß Sie von jetzt ab ein Gehalt von achthundert Thalern beziehen?«

Hermann verbeugte sich, aber der Doctor sprach, die Hände faltend:

»Was liegt doch für ein Wohlklang in dem kleinen Wörtchen ›Gehalt‹! Ein Mensch ohne Gehalt ist ein ganz leeres, ein bemitleidenswerthes Wesen; je mehr Gehalt, je höher steigt man in gerechter Achtung aller Verständigen, und wie lasterhaft, wie verbrecherisch ist das Geschrei, das die schlechte Gesinnung des neidischen, gehaltlosen, hungrigen Volkes so oft gegen die Gehaltreichsten erhebt! Glücklicher Weise kehrt man sich nicht daran, reicht dem Verdienste seine Kronen und fördert die Gehaltszunahme der Menschheit im Interesse des Rechts und der Tugend auf Erden, wie es sich gebührt. Nun kommen die Eisenbahnen und vermehren die Zahl der Auserwählten, und daß ich darunter Euch beide erblicke, ist ein wahres Labsal für mein altes Herz. Der erste Director Frankenberg hat zwar nur lumpige zweitausend Thaler Gehalt, aber wir werden schon weiter kommen. Es ist zu spottbillig, um nicht in der nächsten General-Versammlung wenigstens noch eine Tantieme durchzusetzen; den Eifer des Consulenten wollen wir dagegen noch eher anzuschüren und zu belohnen suchen.«

»O alter Prakticus!« rief Frankenberg lachend, »Darauf läuft es also hinaus! Nun, ich will mich nicht widersetzen und, wenn Herzen für einander brennen, dies göttliche Feuer nicht löschen.« –

Er legte dem Assessor die Hand auf die Schulter und blickte ihn liebevoll an.

»Sie brauchen nicht roth zu werden,« fuhr er fort, »überlassen Sie das Agathen, die Mädchen verstehen so etwas viel besser, als wir. Ich denke aber, Sie haben die erste Schüchternheit schon überwunden, und darum sprechen Sie dreist, lieber Landgraf, es ist ja überdies Alles eigentlich zwischen uns abgemacht. Sie wissen, wie geneigt ich Ihnen bin.«

»Herr Regierungsrath – Herr Bürgermeister,« erwiederte Hermann zögernd, »ich bin beglückt durch so viele Güte, allein hier waltet ein Irrthum, der mich bestürzt macht.«

»Was nennen Sie einen Irrthum, lieber Assessor?« fragte Frankenberg ein wenig gereizt.

»Ich besitze die Neigung Ihrer Nichte nicht,« erwiederte der junge Mann nach einer Pause, »Davon habe ich heute Morgen die feste Überzeugung erhalten. Fragen Sie mich nicht weiter, Fräulein Agathe wird Ihnen bestätigen, was ich sage, aber verzeihen Sie mir, wenn ich bestimmt erkläre, daß ich, als ein Undankbarer, Ihre gütigen Absichten durchaus ablehnen muß.«

»Wirklich?« rief der Regierungsrath mit zornrother Stirn, nachdem er das erste Erstaunen überwunden hatte, »o! beruhigen Sie sich, ich dringe Ihnen nicht auf, aber ich klage den an, der mich in solche Lage setzte. Wahrhaftig, ich begreife mich nicht! Ich war so thöricht, mich für einen jungen Mann zu interessiren, der mir verständig schien, mein Gefallen erregte. Diesen Irrthum habe ich allein zu beklagen.«

»Und geht es mir etwa besser?« sagte der Doctor, indem er mit Heftigkeit vor seinen Schützling trat. »Als ich Dich vor zwölf oder dreizehn Jahren in den Postwagen schob, rief ich Dir zu: ›Komm wieder, Junge, wenn Du klüger geworden bist!‹ Du bist jedoch so einfältig geblieben, wie Du warst. Geh also Deinen Weg, ich werde den meinen finden; wir passen nicht zusammen. Zieh zu Deinem närrischen Onkel, oder lauf meinetwegen, wohin Du willst; kümmern will ich mich nicht mehr um Dich; ich will nicht hören und nichts sehen von Dir, denn es kann doch nur Narrheit und Tollheit sein.«

»Sie werden mir Ihr Herz nicht ganz entziehen, mein väterlicher Freund!« sagte Hermann bittend.

»O, geh zum Henker!« schrie Herr Leberecht, die Hand zurückschleudernd, »und verschone mich mit allen Freundschaftsbezeugungen.«

Frankenberg war auf- und abgegangen; jetzt blieb er vor dem Assessor stehen und sagte ruhig:

»Unter diesen Umständen werden Sie es ohne Zweifel vorziehen, die gewonnenen Anknüpfungspunkte aufzugeben, und eine Gegend verlassen, welche Ihnen nicht angenehm sein kann.«

»Ich wüßte nicht, Herr Regierungsrath,« erwiederte Hermann, »was mich zu diesem äußersten Schritte bewegen sollte. Auf Ihren Rath habe ich mich gestern an den Minister gewandt und um die erledigte Stelle gebeten, Ihre gütige Empfehlung hat mir heute ein einträgliches Nebenamt verschafft; es hieße daher sehr unklug handeln, wollte ich mich zurückziehen.«

»Sie trotzen auf das Erlangte,« rief der Bürgermeister heftig, »aber, mein Herr, Alles läßt sich noch widerrufen, Alles ungeschehen machen; ich rathe Ihnen, das wohl zu bedenken.«

»Bedenken Sie selbst, was Sie thun, Herr Regierungsrath,« sagte der Assessor, und mit einem messenden Blick auf den erzürnten Gegner fuhr er fort: »Ich werde bleiben und mich zu schützen wissen. Glauben Sie nicht, daß ein Werkzeug Ihres Willens oder Ihrer Laune Ihnen gegenüber steht, das Ihr Wink hervorruft und verschwinden läßt. Ihr Wahlspruch ist: Was ich habe, halte ich fest! Das ist auch der meinige, und somit werden Sie einsehen, daß ich nichts, gar nichts von dem Erlangten aufgeben kann und will; doch werde ich nie vergessen, was ich Ihrer Gewogenheit schulde.«

Der Regierungsrath war trotz seiner Erbitterung bestürzt über die unerwartete Entschlossenheit, die er dem milden Wesen des jungen Mannes nicht zugetraut hatte. Er raffte die Papiere zusammen, welche auf dem Tische lagen, und sagte gefaßter:

»Ich schreibe Ihnen keine Befehle vor, im Gegentheil, ich werde mich auch ferner bestreben, Ihnen zu dienen; nur Ihrer selbst wegen machte ich Ihnen meinen Vorschlag – im Übrigen haben wir später Zeit, uns auszusprechen, darum – leben Sie für jetzt wohl, Herr Assessor.«

Er verließ das Zimmer; Hermann griff nach seinem Hut und näherte sich noch einmal dem Doctor, der ihm den Rücken zuwendete. Es war ihm, als lache Herr Leberecht leise vor sich hin, als er ihn aber anrührte, drehte er sich um und machte ein schrecklich böses Gesicht.

»Geh, und laß mich in Frieden,« rief er, »geh, Du unbesonnener Mensch! Hätte ich nur die Macht über Dich, wie Martha's Vater über das alberne Mädchen, ich wollte Dich vernünftig machen!«

»Sie würden es nicht thun, wenn Sie sähen, daß zu den Füßen der Braut, welche Sie mir erwählten, ein Anderer, Begünstigter, Platz genommen hätte,« flüsterte ihm Hermann zu.

»So?« rief der Doctor, und ein versöhnliches Lächeln spielte um seinen Mundwinkel, »und das brachte Dich wohl zur Verzweiflung? Im Grunde war das auch nichts, was nicht alle Tage in der Welt vorkommt. Die Sache ist jetzt aus, doch einen Trost will ich Dir auf den Weg geben. So thöricht bist Du nicht, wie ich dachte, sonst wärst Du auf und davon gegangen und hättest dem Regierungsrath das Feld geräumt. Vielleicht kann doch noch etwas aus Dir werden! bis dahin aber komm mir nicht zu nahe.«


9.

Beim Einbrechen des Abends zog ein Gewitter herauf, das seine ersten Regenschauer über das Thal schickte, als Hermann einen hastigen Sprung über die Schwelle des Wirthshauses zur Henne machte, und glücklich der Durchnässung entging. Er war den Tag über in der Stadt umhergelaufen, hatte Besuche bei richterlichen Collegen gemacht, einen früheren Bekannten dabei aufgefunden, der ihm guten Rath ertheilte, in manche Verhältnisse einweihte und mit dessen Beistand er seine nächsten Plane entwarf. Dann hatten die beiden Freunde gemeinschaftlich gespeist, getrunken und endlich sich getrennt.

Der fröhliche Zuspruch eines Altersgenossen, der heiter gestimmt ins Leben sah, verfehlte seine wohlthätige Wirkung so wenig, als der Wein, der das Menschenherz erfreut; und mitten in diesem geheimnißvollen Duell aller Leiden und Freuden, der bald so schwer und matt, bald so leicht und schnell fließt, entwickelte sich ein Hoffnungsschimmer, welcher nach und nach Hermanns Brust mit neuem Muth erwärmte. –

›Aufrichtig gestanden,‹ so rief er sich zu, ›war doch heute kein unglücklicher Tag für mich. Ein gesegneter Zufall bringt mich in äußerlich sorgenfreie Lage und schließt mir eine erfreuliche Zukunft auf; ein anderer Zufall und ein rascher Entschluß befreit mich von den unheimlichen Planen meiner Beschützer. Nur Eines steht mir entgegen, und freilich ist es das Böseste von Allen; denn, ach! was helfen mir die kleinen Glücksfälle, wenn das größte Glück verloren geht? Ich kann es nicht denken,‹ fuhr er fort; ›ich will es nicht denken, und wenn der alte, starrköpfige Mann hört und sieht, wie es jetzt mit mir steht, wenn Martha Muth hat, so schlägt der Jurist doch zuletzt den Bauer aus dem Felde.‹

Er überlegte es hin und her, wie er es anfangen müsse, um geschickt und vorsichtig zu handeln, und, wie viele Zweifel und bange Einwürfe sich auch zeigten, er fand immer wieder einen Grund, zu glauben, daß die strenge Redlichkeit und Verständigkeit des alten Wildener doch endlich überzeugt werden könne, Ludolph Kracht von Heiningen sei kein Mann für seine Tochter.

»Der wüste, übermüthige Bauer?« rief Hermann, »und meine liebe, freundliche Martha, wie könnten sie wohl zusammen passen? Ihr Vater drückt mit Gewalt die Augen zu, um nicht zu sehen, was er doch empfinden muß, aber ich will sie ihm öffnen, und sollte es mit Gewalt geschehen.« –

So mit sich selbst beschäftigt, ging er durch das Thal und schreckte erst auf, als die ersten Donnerschläge rollten. Der Himmel sah finster drohend aus, und dort lag das Wirthshaus, als einzige Zufluchtsstätte. Rasch sprang er darauf los, und kaum saß er hinter dem Eichentisch am Fenster und hatte den Krug Doppelbier begehrt, als das Wetter draußen losbrach und alle Fenster klirren ließ. Es war fast ganz dunkel in der Halle und deren Vordergrund leer von Besuch, doch hinten bei der Schenke saßen Männer um einen Tisch, auf welchem Lichter brannten. Hermann hörte Geld klappern und Kartenblätter mit gewaltigem Nachdruck auf den Tisch werfen. Um die Spieler stand eine Gruppe von Männern als Zuschauer, und nur einzelne kräftige Ausrufungen wurden dann und wann aus dem Tabacksqualm gehört, der in dichter Wolke um Alle schwebte.

Jetzt kam der Wirth in der Zipfelmütze, der unruhig auf- und ablief, den fremden Wanderer am Tisch einen Augenblick betrachtete und grüßte, dann ans Fenster trat und die Riegel fester drehte, bei einem blendenden Blitz aber zurücksprang und zu den Spielern lief.

»Herren,« sagte er, »ich bitte Euch, werft die Karten weg. Es ist ein wildes Wetter draußen, wer weiß, ob nicht ein Unglück kommt!«

Ein spöttisches Gelächter war die Antwort. »Schier Dich fort!« schrie der Eine. – »Steck Dich hinter den Ofen!« sagte der Andere. – Ein Dritter aber rief: »Hol der Henker Dich und Dein Haus! Es ist ein Unglücksnest; wenn's der Blitz niederbrennte, ich lachte dazu und rührte mich nicht.«

»Schäme Dich Ludolph,« erwiederte der Wirth ärgerlich, »wie kannst Du mich und mein Haus so beleidigen. Spiele nicht, ich heiße es Dich nicht; aber wenn Du die Begier nicht zähmen kannst, so nimm es auch hin, wie es fällt, und bürde nicht ehrlichen Leuten Dein Unglück auf.«

Ludolph Kracht sprang vom Sitz und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Du garstig Kameel!« schrie er, »habe ich gesagt, daß ich es anders haben will? Verdammt seien die Karten! aber was sie mich kosten, ist meine Sache. Jetzt mach, daß Du fortkommst.«

Die Andern zogen ihn nieder und thaten gütlichen Einspruch, aber Ludolph war so bald nicht zum Schweigen zu bringen.

»Was will der dicke Matz?« fuhr er fort, »will er uns los sein, so darf er's nur sagen. Lange wird's so nicht dauern, so habe ich ein Weib, und kann nicht mehr alle Tage in der Henne liegen.«

»Es ist schmählich genug, daß es so mit Dir kommen muß,« sprach Einer darauf. »Wirst böse Gesichter und schmale Bissen genug davon tragen.

»Und der alte Wildener dazu, das wäre ein Schwiegervater, wie ich ihn wünsche!« rief ein Zweiter lachend.

»Hat die Dirne erzogen, wie eine Wachspuppe,« fiel ein Dritter ein. »Was willst Du mit ihr anfangen, Ludolph? Kannst sie in die Schoten stellen, wenn sie reif werden.«

Ein allgemeines Gelächter folgte. Ludolph Kracht nahm es übel.

»Ihr Tapse,« sagte er, »was denkt Ihr denn? Die Martha hat ein vornehmes Wesen, ich will's ihr wohl abgewöhnen; will ihr wohl zeigen, wie ich's haben möchte. Dem Alten aber sage ich ein ander Wort. Wann's nur erst ist, wo es sein soll, wird es mich wenig kümmern, was ihm gefällt oder nicht gefällt.«

»Pst!« murmelte sein Nachbar. »Behalt's für Dich, was Du thun willst, und laß es hier nicht hören.«

»Kreuz Element!« schrie Ludolph will, »einen Vormund brauch' ich nicht und habe es ihm gesagt. Konnte mein Land gestern noch an den Bürgermeister verkaufen um den doppelten Preis, das hat der Alte hintertrieben. Alles war fertig aufgesetzt, nun ist es vorbei und kommt mir nicht zum zweiten Male.«

Der Fremde auf der Bank rückte hin und her; er schien unschlüssig, was er thun sollte.

»Was hat der Bürgermeister geboten?« fragten mehre Stimmen.

»Drei Tausend Thaler baar und blank aufgezählt,« sagte Ludolph, »jetzt kann ich's sagen, weil es vorbei ist; aber böte es mir Einer wieder, und wenn es dem Alten ins Herz ginge, ich ließe den Handel nicht aus der Hand.«

Einige höhnische Äußerungen über Wildener's Eigensinn folgten, und alle gaben dem Ludolph Recht, daß es ein vortheilhafter Handel gewesen sei, den kein vernünftiger Mensch ausgeschlagen hätte.

»Deine Noth wirst Du haben,« riefen sie, »und wer weiß, wie es ausfällt? ich thät's nicht, trotz alles Geldes.«

»Ich thu's,« rief er dagegen. »Heda! einen neuen Krug; ich thu's, und wär's auch nur darum …«

Hier hielt er plötzlich inne, denn drüben vor den Fremden hatte der Wirth jetzt auch ein Licht gestellt, und es kam ihm vor, als sitze dort der Candidat, sein Feind, und blicke ihn fest an.

»Was ist denn das?« sagte er verwundert. »Ein neuer Gast? Ihr da, seid ihr es wirklich?«

Er schwankte ein wenig, als er auf Hermann zuschritt, aber seine erhitzten Augen und Mienen gewannen einen höhnischen und beleidigenden Ausdruck, je mehr er sich von der Wahrheit überzeugte.

»Weshalb kommt Ihr hieher, Herr?« fragte er mit Nachdruck.

»Ich denke, daß dies ein Haus ist, wohin Jedermann kommen kann,« erwiederte Hermann ruhig.

»Jedermann, aber Ihr nicht, wenn ich hier bin!« schrie Ludolph Kracht.

»Ich würde Ihre Gesellschaft auch wohl nicht suchen, Hätte das Wetter mich nicht hereingedrängt,« fuhr der Assessor fort. »Im Übrigen habe ich, wie ich denke, Niemanden beleidigt.

»Da ist die Thür,« sagte der Bauer, »und geht Ihr nicht den Augenblick, Kreuz Element! so will ich Euch davon helfen.«

Er hob drohend die Faust gegen Hermann auf, der sich nicht bewegte; die übrigen hielten ihren Cameraden fest, aber sie lachten zu dem ganzen Handel. Es war den Meisten ein Spaß, daß ein Herr aus der Stadt in Angst und Noth gesetzt wurde.

»Ich weiß nicht, was Sie wollen,« sagte Hermann, »und was Sie in solchen Zorn setzen kann. Ich bin der Neffe des Pastors Landgraf, Gerichtsassessor, trete ruhig hier ein und habe so eben die Absicht, zu Ihnen zu gehen, Sie zu fragen, ob es noch Ihr Wille ist, das Land im Thale zu verkaufen, als Sie mich mit Schmähungen angreifen, die Ihnen übel bekommen würden, wollte ich sie vor Gericht geltend machen.«

Die Sache des Angegriffenen und seine Erklärung blieben nicht ohne gute Folgen. Mehre sahen das Unrecht ein und sprachen ihre Meinung aus, Ludolph zum Schweigen zu bringen. Dieser aber hatte von Allem, was der Assessor sagte, nur begriffen, daß er gefragt werde, ob er sein Land im Thale noch verkaufen wollte.

»Schickt Euch der Bürgermeister?« sprach er und machte sich frei.

»Der Bürgermeister schickt mich nicht,« antwortete Hermann.

»Wer will es kaufen?« fragte Ludolph verwundert. »Der Doctor?«

»Auch der nicht. Ich will es selbst kaufen.«

»Ihr?« schrie der Bauer, und er lachte laut auf; »Ihr wollt das Land kaufen? Wo habt Ihr Euer Ränzchen und Stöckchen? Womit wollt Ihr es bezahlen?«

»Wenn Ihr die Punctationen, die der Bürgermeister aufnehmen ließ, bei Euch habt, wie ich vermuthe, so zahle ich auf der Stelle tausend Thaler als Angeld; morgen bei der Contracts-Auslieferung die andern zweitausend.«

Ludolph starrte ihn ganz verwundert an.

»Ist es wahr,« sagte er im höchsten Unglauben, »so zeigt erst das Geld.«

Hermann öffnete seine Brieftasche und legte zwei fünfhundert Thalerscheine auf den Tisch, die Ludolph nach allen Seiten betrachtete und prüfte, dann den Wirth herbeirief und, als endlich Alle das Geld für richtig und gut erklärten, den Contracts-Entwurf aus der Tasche zog und ihn auf den Tisch warf.

»Ich will's thun!« rief er, »gebt Dinte und Feder her, setzt die Namen hinein, und Ihr Alle unterschreibt als Zeugen. Wenn Euch aber der Kauf leid wird, oder Ihr morgen die Zweitausend nicht zahlen könnt,« setzte er bedächtig hinzu, »so ist das Angeld verloren.«

Der Assessor willigte ein, und Ludolph warf lachend die Feder fort, als Alles in Ordnung war.

»Hört, Herr – Herr Candidat oder Herr Assessor, es ist gleich viel!« rief er, »ich hatte Euch eine ordentliche Tracht Prügel zugedacht, das Warum wißt Ihr wohl, wenn Ihr auch jetzt so thut, als wäre nichts geschehen; nun aber mag's drum sein, wir wollen gute Freunde werden. Ich gebe Euch das Land statt der Hiebe, denkt also, Ihr bekommt sie in den Kauf; wenn ich aber Hochzeit mache mit der Martha, so fehlt nicht dabei; ich würde es gern sehen, wenn Ihr unter den Gästen wäret. Nehmt meinen Glückwunsch zu dem Besitze, Herr, und bringt mir den Eurigen für das, was ich bekomme.«

»Von Herzen,« erwiederte Hermann, und den Bauer scharf anblickend, sagte er: »Möge Ihnen, Herr Ludolph Kracht, und mir dieser Handel alles Glück bringen, welches wir davon erwarten; Martha's Hochzeit soll jedoch nie gefeiert werden, ohne daß ich dabei bin!«

»Topp!« rief Ludolph, »dabei bleibt es. Sie sind ein aufrichtiger Mann, Herr, und das bin ich auch. Vergessen soll vergessen bleiben, und jetzt lassen Sie uns auf gutes Vernehmen anstoßen. Wein her, Wirth, ich bezahle Alles.«

   

Nach einigen Stunden erst schlich sich Hermann davon. Die reichen Bauern von Heiningen merkten es nicht. Sie waren im Haus und Spiel, und spielten nicht um Kleinigkeiten, denn Ludolph hatte schon von dem Kaufgelde mehre Hundert Thaler verloren.

Spät kam Hermann nach Bolau. Die Lichter waren alle erloschen; die müden Menschen lagen im tiefen Schlaf. Mit langsamen Schritten ging er am Pfarrgarten hin und stand endlich an der Heckenwand still, die Wildeners Hof umzäunte. Sehnsüchtig blickte er nach dem Fenster auf, wo Martha schlief. Die Bäume tropften noch vom Regen; der Wind schüttelte die Zweige der Linden und klapperte an den Scheiben. Plötzlich hörte er ein schwaches Klirren oben, das Fenster wurde aufgethan; eine weiße Gestalt lauschte durch den Spalt.

»Martha!« flüsterte er.

»Sprich leise, Hermann,« sagte sie, »hier unten schläft mein Vater.«

»O liebe Martha!« rief er herauf, »könnte er nur Alles deutlich hören, er würde nicht auf seinem Willen bestehen.«

»Er wird nicht andern Sinnes werden,« entgegnete sie. »Sonst könnte er nicht sehen, daß ich so traurig bin. Heute hat er den ganzen Tag kein Wort zu mir gesprochen.«

»Wenn er nur hinginge, wo ich herkomme,« sagte Hermann, »ins Wirthshaus, Zur Henne, er könnte den Mann dort sitzen sehen, den er für Dich ausgesucht hat – trinkend und spielend, mit andern wüsten Gesellen, die ihm das Geld abnehmen; fluchend und schwörend, wie er es in Zukunft mit Dir und ihm halten will.«

»Ich weiß es wohl,« flüsterte sie, »und er weiß es auch.«

»Und was willst Du thun, Martha?«

»Was kann ich gegen des Vaters Willen thun!« rief sie zurück.

»Du sollst ihm nicht folgen, weil es Dein Unglück ist,« sagte er. »Kein Mensch auf Erden hat das Recht, den andern wie einen Sclaven zu verhandeln; kein guter Vater wird das thun. Ich will ihm morgen einen Spiegel vorhalten, Martha, nichts soll mich daran hindern, und wenn er dann noch sagt: Ich will! dann ist es an Dir, zu antworten: ›Ich will nicht, Vater!‹«

Ehe Martha eine Antwort geben konnte, polterte es heftig unten in der Stube, und leise schloß sich oben das Fenster. Hermann sprang hinter den Stamm des großen Baumes, der ihn versteckte. Nach einigen Minuten war Alles wieder still, aber Martha kam nicht zurück, und nach langem Zögern schlich der Assessor dem Pfarrhause zu und kletterte die schmale Treppe hinauf in seine Kammer.

Als er hinüber sah zu dem Hofe, kam es ihm vor, als fiele Lichtschein durch die ausgeschnittenen Herzen in den Fensterladen, dann klapperte es am Thor, und drüben unter den Bäumen an der Straße ging ein Mann hin, der einen Augenblick vor dem Pfarrhause stehen blieb, dann aber raschen Schrittes in der Dunkelheit verschwand.


10.

Es war eine trübselige Nacht für Martha, und als der Morgen grau und düster hereinbrach, sah sie ihm seufzend entgegen. Die Wolken zogen so schwer und tief, der Gewittersturm hatte Bäume zerbrochen, die gestern noch frisch und grün standen; er hatte auch die Blumen im Pfarrgarten arg zerzaust und geknickt, nun ging der alte Pfarrer drüben umher, sammelte die Todten, verband die Verwundeten und klagte und seufzte um sie.

Martha kam sich vor wie eine der zerbrochenen Lilien, die ihr Haupt tief neigten. Kummervoll und mit gefalteten Händen saß sie auf dem Rande ihres Bettes, bis sie unten die rufende Stimme ihres Vaters hörte. Da sprang sie auf und sagte:

»Was hilft das Klagen! es macht nichts besser. Kein Mensch kann die Todten wieder aufwecken, und was geschehen soll, muß ertragen werden. Sprechen will ich aber, und wissen muß er, daß es mir das Herz bricht vor der Zeit.«

Als sie in die Stube trat, war ihr Vater schon in den Kleidern. Fertig angezogen ging er in seinen hohen Stiefeln, die ganz beschmutzt waren, auf und ab. Ihren Morgengruß erwiederte er nicht; ohne sie anzusehen, ging er bei ihr hin, die Hände auf den Rücken gelegt und vor sich hinschauend. Martha blieb an dem Tische stehen, räumte das Geräth zusammen und legte Manches an seinen Platz, still bedenkend, was in dem alten Mann vorgehe. Plötzlich aber kehrte sich dieser um, und wie er vor ihr stand, sah er sie mit einem strengen Blicke an.

»Wer war gestern spät unter Deinem Fenster?« fragte er.

»Es war Hermann, Vater,« antwortete Martha.

»Und was hatte er Dir heimlich in Lug und Trug zu erzählen und zu rathen?« fuhr er heftiger fort.

Martha schwieg, ihre Augen wurden groß und starr.

»Was er mir sagte,« sprach sie endlich gefaßt, »wird Dir nicht verborgen sein, Vater, Lüge war es nicht.«

»Willst Du ein gehorsames Kind sein, das des Vaters Willen ehrt?« fragte der alte Mann.

»Ja, Vater,« erwiederte sie leise

.

»Du willst den Ludolph nehmen ohne Widerspruch?«

Eine dunkle Röthe schoß über ihr blasses Gesicht. »Ein Mensch trägt, was er tragen kann, Vater,« sagte sie. »Muß es sein, will ich's thun. Gott der Allmächtige stehe mir bei und bringe kein Unheil über uns Beide!«

Vater und Tochter betrachteten sich schweigend; endlich faßte Wildener ihre Hand, sie war kalt und ohne Leben. Er schien etwas sagen und sie zu sich hinziehen zu wollen, aber die Regung des Augenblicks ging vorüber. Langsam ließ er sie los und trat ans Fenster, finster die Stirn faltend und im heftigen Streit mit seinen Empfindungen.

»Es ist ein Unglück,« sprach er vor sich hin, »ein einziges Kind und so viel Leid, aber das Gewissen geht über Alles; Ehre und Recht lassen sich nicht todt machen.. Es ist ein Unglück, Martha.«

»Ein schweres Unglück, Vater,« sagte sie.

»Aber es wird vorüber gehen, wie Sturm und Blitz vorüber geht.«

»Das wird's, Vater, es geht Alles vorüber. Meinen Kirschbaum hat der Wind gebrochen, es wird ein anderer wachsen, der eben so weiß blüht.«

Der alte Mann trat einen Schritt auf sie zu. sah in ihr blasses Gesicht, in ihre reglosen Augen und sagte milder:

»Du bist krank, Mädchen, wir müssen den Doctor rufen.«

»Da ist er!« rief Martha zusammenschreckend. »Ach, Vater!«

Wildener blickte nach der Thür, doch als er den Neffen des Pastors dort stehen sah, stieß er Martha's Hand zurück und wandte sich zu dem unwillkommenen Gaste, der mit höflichem Gruß sich näherte.

»Ich komme in der Frühe,« sagte Hermann, »allein es geht nicht anders, Herr Wildener, meine Bitte ist dringend.«

Der Freischulz sah ihn fragend an.

»Ist es ein Geschäft?« versetzte er, »und kann ich dienen, soll's gern geschehen.«

»Ich will Ihnen aufrichtig vertrauen, wo es fehlt,« fuhr der Assessor fort. »Gestern war ich in der Stadt, wo ich bald meinen Platz als Advocat zu erhalten denke, aber schon jetzt durch guter Leute Hülfe und Glück zum Rechtsconsulenten der Eisenbahn ernannt worden bin.«

»Das freut mich, Herr Landgraf,« sagte Wildener. »Brauchen Sie etwa zu den ersten Einrichtungen Geld, so klopfen Sie dreist bei mir an.«

»So ist es wirklich,« entgegnete Hermann lächelnd, »wenn auch nicht zu den ersten Einrichtungen.«

»Dafür wird der Bürgermeister sorgen,« fiel der Schulz ein.

»Der gewiß nicht,« antwortete der Assessor schnell, »denn käme es auf ihn an, so hätte er mich schnell wieder abgesetzt und weggejagt.«

Wildeners Theilnahme stieg.

»Was brauchen Sie denn?« fragte er.

»Ich habe Land gekauft,« sagte Hermann, »theuer zwar, aber doch wohlfeil, denn die Eisenbahn-Gesellschaft wird es mir wieder abnehmen und gut bezahlen müssen, weil sie es haben muß. Auch Ihr Land, Herr Wildener muß gekauft werden. Sie haben Recht gehabt, es dem Bürgermeister nicht zu überlassen.«

»Kommt es so heraus!« rief der Schulz erfreut. »Sagte ich es nicht, ein Kniff liegt dahinter! Ludolph Kracht wollte es nicht glauben.«

»Ludolph Kracht's Land habe ich eben gestern gekauft,« fuhr Hermann fort. »Tausend Thaler habe ich auf der Stelle gezahlt, es war alles, was ich aus der Erbschaft meiner Tante besaß; heute soll ich nun die fehlenden zweitausend geben, und da ich Niemand kenne, der sie mir leihen möchte, mit Bürgermeister und Doctor verfeindet bin, so komme ich denn her und frage, ob es wahr ist, daß ich an Ihre Thür klopfen darf.«

Der Schulz stand vor dem Assessor, wie von Erstaunen übermannt, dann aber rollten seine Augen im heftigsten Zorn, und mit starker Stimme rief er:

»Haben Sie das ausgesonnen, um mich zu täuschen, junger Herr, so sollen Sie wissen, daß ich der Mann nicht bin, der sich so leicht irre machen läßt. Ich weiß es, daß Ludolph seine Fehler hat, daß er Wein und Karten liebt; ich weiß auch, daß er gestern im Wirthshause saß und schlemmte, ich habe alles gehört, was Sie dem Mädchen da in der Nacht erzählten, und bin selbst gegangen, mich zu überzeugen. Es geht mir nahe, daß ich das sagen muß, aber ein Mensch ist wohl schwach und braucht doch nicht schlecht zu sein. Ludolph Kracht ist aber tüchtig, bis auf seine Fehler, die er bessern muß. Er hat mir Wort und Handschlag gegeben, sein Land nicht zu verkaufen, das hat er nicht gethan und wird es nicht thun. Er kann es nicht, denn er wäre ein wortbrüchiger, falscher Bube.«

Hermann hatte den Alten ruhig gewähren lassen, jetzt zog er das Papier aus der Tasche und hielt es ihm hin.

»Sehen Sie hier, Herr,« sagte er, »hier steht sein Name, hier die Zeugen. Ich verleumde Niemanden, wie könnte die Wahrheit denn auch verborgen bleiben?«

Wildener nahm die Schrift und las, dann drückte er sie zusammen und legte sie auf den Tisch. Plötzlich ergriff er Hermanns Hand und mit der andern die Hand seiner Tochter. Ein schwerer Kampf war in seinen Mienen, aber ohne ein Wort zu sprechen, legte er die beiden Hände zusammen.

»Meine Martha!« rief Hermann, und Martha's Arme umschlangen ihn fest.

Der Vater stand daneben, sein hartes Gesicht wurde immer milder, als er ihr Glück sah, das ihn ergriff, ohne daß er es länger wehren konnte. Es überkam ihn, er wußte selbst nicht, wie, als habe er Unrecht gut zu machen, und als nun Beide ihn liebkosend dankten und Martha's glänzende Augen ihn so zärtlich liebevoll anblickten, da ging ihm das Herz auf, er mochte es nicht mehr zurückhalten.

»Gottes Segen über Euch,« sprach er, »und kein Wort mehr von dem Ludolph und allem, was vergangen ist. Falschheit soll ihren Lohn haben, den hat sie gefunden; wohl uns, daß es so kam, ehe es zu spät war! Und ist es denn nicht auch etwas Großes,« fuhr er wie zum eigenen Troste fort, »daß meine Martha, eines Bauers Kind, den geputzten Damen aus der Stadt vorgezogen wird? Schande freilich würde sie keinem Könige machen, und an Geld und Gut fehlt es ihr auch nicht. Es soll Niemand sagen, des Freischulzen Hans Wildeners Tochter von Bolau wäre leer in ihres Mannes Haus gekommen. Auf dem Hofe, wo die Wildeners wohnten,« fuhr er ernster fort, »werdet ihr zwar nicht einziehen, denn der Pflug paßt nicht für die Hand, die ihr Lebtage die Feder gehalten hat, allein es ist auch eine Ehre und erfordert tüchtige kluge Männer. – Die Richter im Volk, das sind zu allen Zeiten ja mit die Ersten gewesen; hoch gepriesen werden die Gerechten, welche der Wahrheit dienten und ohne Menschenfurcht den Schwachen gegen den Mächtigen schützten. Was Ihr aber nicht könnt,« sprach er dann froher weiter, »das können die, welche nach Euch kommen. Eurem Erstgebornen will ich den Hof in Bolau bewahren, der soll hier wieder sitzen auf seines Großvaters freiem Erbe, der es ihm treu erhalten wird. Denn der erste Stand auf Erden ist und bleibt doch der Bauernstand, aus dem geht alle Kraft hervor und alles unverdorbene tüchtige Menschenleben.« –

Der Stolz des alten Mannes fühlte sich durch die Anerkennung seines Ausspruchs gehoben, und er schätzte seinen Schwiegersohn um so höher, als dieser ihm erklärte, er wolle es dem Ludolph Kracht ganz anheim stellen, ob er ihm sein Geld zurückgeben und sein Land dafür wieder nehmen wolle, oder nicht.

»Recht, lieber Sohn,« rief er erfreut; »man soll nicht sagen, der Mann, der die Martha Wildener genommen, hat den Ludolph nicht allein um die Braut gebracht, sondern auch um seinen Acker. Ich denke aber,« fügte er lachend hinzu, »Sie sind zufrieden, die Braut zu haben!«

»Alles, was er will, soll er haben, nur Dich nicht!« rief Hermann, indem er Martha in seine Arme schloß.

»Jetzt zum Pfarrer hinüber,« sagte der Schulz. »Wir müssen ihn nicht vergessen, denn er liebt das Mädchen und hatte auch seine Plane für ihr Glück gemacht.«

Sie gingen und traten leise ins Haus. In der Flur schon hörten sie die laute scheltende Stimme des Doctors.

»Es hat mir keine Ruhe gelassen,« sagte der, als sie an der Thür horchten, »ich mußte in aller Frühe auf meinen alten Beinen hinaus stolpern, um zu sehen, wie es hier nach dem Gewitter von gestern aussieht.«

»O, Du guter Leberecht!« erwiederte der Pfarrer kläglich, »ich hätte kaum geglaubt, daß Du so viel Theilnahme für meine armen Kinder und für mich hast. Es ist ein trauriger, schauriger Anblick. Viele liegen mit zerrissenen Leibern, verstümmelt und elendiglich umgekommen; das Schicksal hat sie jäh ereilt. In Monaten werde ich den Verlust nicht überwinden!«

»Was faselt der alte Mensch wieder!« rief der Doctor zornig; »was gehen mich seine verrückten Thorheiten an! Nach dem Hermann frage ich! Was hat er gesagt? Wo ist er? Was denkt er zu thun?«

»Ich weiß es nicht, entgegnete der Pfarrer. »Ich habe ihn nicht gesehen.«

»Da haben wir's!« schrie Herr Leberecht, »von dem Neffen weiß er nichts, weiß nicht, ob der in Gewitterstürmen lebendig oder todt geblieben, aber an jeder nichtsnutzigen Blume hat er die fehlenden Blätter längst gezählt und beseufzt! Es wäre auch ganz vergebens, Dir mitzutheilen, was sich mit Hermann zugetragen hat,« fuhr er fort, »Du würdest es doch wieder vergessen; aber ein tapferes Herz hat er gezeigt, das dem Sturm Trotz bietet, und nun mein Ärger überwunden ist, möchte ich sehen, was denn sonst an ihm zu curiren wäre, denn der Junge hat eine Wunde im Herzen, die man heilen muß, wie es eben geht.«

Hermann machte die Thür auf und trat mit Martha herein, Beide so freundlich lachend, wie junges Glück. Der alte Wildener ging voran und grüßte den Pfarrer.

»Lieber Herr Pastor,« sprach er, »vor ein paar Tagen bestellte ich ein Aufgebot, und dabei bleibt es, es soll an Schrift und Zeit nichts geändert werden; den Namen des Bräutigams aber haben Sie offen gelassen, bis er selbst kommen und nähere Auskunft geben könne, so bringe ich ihn denn hier mit mir; fragen Sie ihn aus und schreiben Sie es dann nieder, wie es sich gehört.«

»Martha!« rief der Pfarrer mit bewegter Stimme, »und Du Hermann, ihr guten Kinder, so ist mein Wunsch nun doch erfüllt! Meine einzige Erbin sollst Du sein, Martha, und meine Blumen …«

»Du alter Sünder!« schrie der Doctor dazwischen; »schweig und denke an die Blumen die da vor Dir stehen und auf Deinen Segen warten.« –

Er faßte den Assessor beim Kopf und schüttelte ihn.

»Höre,« sagte er, »ich muß es sagen, Du bist doch ganz gescheid zurück gekommen. Alles Unrecht bitte ich Dir ab, und es hilft nichts, es muß heraus: Du bist klüger gewesen als ich, Du hast gekonnt, was ich nimmermehr gekonnt hätte, Du hast den Hans Wildener von Bolau um seinen Willen gebracht, das ist ein Kunststück, welches noch Keinem gelungen ist.«

Der Schulz von Bolau reichte dem Doctor vergnügt die Hand.

»Einmal ist es geschehen!« rief er, »ich gebe es zu, aber zum zweiten Male soll es mir nicht wieder kommen.«

Als er sich umdrehte, stand die Haushälterin Dore hinter ihm. Mit dem freudigsten Gesicht machte sie einen tiefen Knix und hielt ihm ein zerrissenes Stückchen Papier hin.

»Hier, Herr Schulz,« sprach sie, »hier ist der Rest von dem Briefchen, Ihr wißt schon. Jetzt klebt es zusammen und lest es zu Hause verständig durch.«

»Gut, Frau Dore,« entgegnete der Alte, »Martha soll es mir vorlesen, verlaßt Euch darauf. In vier Wochen aber feiern wir eine Hochzeit, und den Großvatertanz führen wir beiden auf.« – –

   

So ist es geschehen in Bolau; jetzt aber, wo Martha seit zwei Jahren in der Stadt wohnt, in welcher der geschickte Advocat Landgraf ein schönes Haus besitzt, kommt der Freischulz Hans Wildener in jeder Woche zwei Mal, bringt Grüße und Sträuße von dem Pfarrer, zankt mit dem Doctor Leberecht, und herzt seinen Enkel, der den Hof am Berge unter den Linden erben soll.


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