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An einem schönen Sommermorgen des Jahres 1795 ritten zwei Männer auf dem Wege, der von St. James auf der Insel Jamaika an der Küste entlang nach den Roundhill-Bluffs führt. Das Meer lag blau, von einem leichten Winde gekräuselt, zu ihrer Rechten; viele Segel und leichte Barken belebten es, die aus der Montegobai, theils nach fernen Welttheilen steuerten, theils Fischfang treiben wollten. Es waren bewaffnete Schooner darunter, wie sie in den westindischen Gewässern zu finden sind, schnelle Segler, zum Sklavenhandel und Seeraub eingerichtet, oder ehrliche Küstenwächter, die den Schmugglern und Franzosen auflauerten.
Zur Linken aber lagen die hohen Berge von Hanover und Cornwall mit ihren blauen, den Wolken nahen Spitzen, ihren dunkelgrünen Waldketten und aller der prachtvoll wildromantischen Zerrissenheit von rothen Klippen und jähen Felswänden, Klüften und zerschmetterten Geschieben, in deren Trümmern ungeheure Drachen- und Baumwollenbäume ihre Wurzeln schlangenartig eingenistet hatten.
Die beiden Männer, von denen wir reden, waren an Alter, wie an äußerer Gestaltung gleichweit verschieden. Der eine war ein großer, hagerer, von der Tropensonne ausgedörrter Mann. Seine Haut war bronzefarben, sein Haar dunkelglänzend, seine Augen feurig und seine Züge hart und streng. Es war das Bild eines echten Kreolen, klug, streng und vor keiner Gefahr bebend, stolz auf seine Rechte und sein Geld, höflich gegen seines Gleichen, voll unerbittlicher Vorurtheile, wo es galt, die Privilegien seiner Kaste zu bewahren.
Der Andere war jung und von lichtem Haar und Augen. Jugendlich übermüthig und selbstgefällig, schien er von allen seinen Vorzügen durchdrungen zu sein. Er fand es ärgerlich, daß sein Vater, einer der reichsten Pflanzer, ihn schon jetzt aus London zurückgerufen hatte, aber er tröstete sich mit der Aussicht, der bewundertste Stutzer zu sein, und auf allen Festen und Bällen die Blicke der reizendsten Kreolinnen auf sich zu ziehen.
»Und nun, Herr Williamson«, sagte er und hieb mit seiner Peitsche um sich nach einem Schwarm großer Muskitos, der ihn umgaukelte, »erzählen Sie mir etwas Neues. Wer, wie ich, auf einem so verdammten Schiffe sechsundvierzig Tage geschaukelt wurde, wird selbst in Grönland den ersten besten Walfisch fragen, ob der Thran noch so fett sei, wie ehemals.«
Der Kreole sah den jungen Witzling ernst und stolz an.
»Wahrscheinlich«, erwiederte er, »würde der Walfisch antworten: Kommt her und überzeugt Euch, statt so unnütz zu fragen.«
Dann setzte er lächelnd hinzu:
»Vielleicht ist es in England die neueste Mode, mit der Peitsche um sich zu schlagen, hier überlassen wir das unsern Voigten. Verzeihen Sie diese Bemerkung, Herr Adams; was aber Ihres Vaters Haus und Wohl betrifft, so weiß ich nur das Beste. Der alte, gute Herr gehört zu Denen, wo man sieht, das Leben gedeiht in ihnen. Die Tropensonne schmilzt das Fett von den meisten ihrer Kinder, was sie aber Hunderten und Tausenden nimmt, pflegt sie wenigen Günstlingen und Auserwählten um so großmüthiger aufzupacken. Zu diesen gehörte Ihr Vater immer, mein junger Freund, aber seit Sie aus dem Lande waren, hat sich dieser Überfluß so sehr vermehrt, daß er, wie alles Zuviel, eine Plage geworden ist, wie ich fürchte.«
»Ein Talgklumpen also, wie Heinz zum Fallstaff sagt«, rief der junge Adams lachend.
»Meines Erachtens«, versetzte Williamson, »kommt es nicht auf das Fett an, was Fallstaff zum Poltron und König der Narren machte. Man kann mager sein, wie ein Stockfisch, und doch den Namen sehr wohl verdienen.«
»Wir wollen nicht streiten«, lachte der Erbe gutmüthig; »erzählen Sie mir lieber etwas von den Herrlichkeiten, die mich erwarten. Sie kennen meine Cousine Judith?«
»Ich kenne sie.«
»Und was sagen Sie von ihr?«
»Es ist eine junge Dame von trefflichen Eigenschaften«, erwiederte der Kreole nach einer Pause, in welcher er sein Sattelzeug ordnete.
»Das heißt wenig und viel gesagt; dunkel und verständlich, wie ein delphisches Räthsel. Vor allen Dingen, ist sie hübsch geworden?«
»In Wahrheit,« sagte Williamson spöttisch aufblickend, »ich weiß Ihnen nichts darauf zu antworten. Wenn Sie eine schlanke und doch volle Gestalt, einen Kopf mit glänzend dunklem Haar, lebhafte Augen und eine von unserer Sonne bearbeitete Hautfarbe hübsch nennen, so wird sie Ihnen gewiß gefallen.«
»Ich verstehe,« rief der junge Adams, »sie ist keine Schönheit nach kreolischem Geschmack. Hier zu lande, wie überall, schätzt man Das am meisten, was man nicht hat und nur durch Kunst erreichen kann: blondes Haar, blaue Augen, eine zarte weiße Farbe. Und die Dämchen packen sich ein in den kühlen Gemächern, bepanzern Hände und Gesicht vor jedem Sonnenstrahl. Man schickt sie nach London in die Erziehungshäuser, damit sie hübsch weiß und appetitlich bleiben. Es hilft aber Alles nicht. Sie kommen wieder und werden gelb wie die Orangen im Schatten. Was aber Judith anbelangt, so danke ich Ihnen, Herr Williamson, für Ihre zarte Entschuldigung der dunkeln Farbe meiner armen Cousine; oder meinen Sie, ich wüßte nicht, daß die Sünden ihrer Väter darauf haften und fortwirken, daß der Tropfen Neger- oder Mulattenblut, der in ihr ist, noch immer zu Tage brechen will?«
Während dieser leichtfertigen Worte verfinsterte sich das Gesicht des Pflanzers. Die Adern auf seiner Stirn schwollen auf und seine Augen erhielten einen wilden Glanz, den sein Gefährte anfangs nicht beachtete. Unbefangen fuhr er fort:
»Es ist doch sonderbar, wie schwer die Kennzeichen der Racen sich verwischen. Judith's Großmutter, oder Urgroßmutter, war eine Farbige, eine Sklavin, die Gnade vor den Augen ihres Herrn fand. Ihr Sprößling wurde frei; deren Tochter heirathete einen Verwandten meines Vaters, welcher so arm war, wie sie reich, und ich erinnere mich noch sehr wohl Judiths, die ich als Kind gesehen habe, wo unser Spott über ihr gelbes Gesicht sie afrikanisch wild machte.«
»Wa8 Sie da sagen, ist Unsinn!« rief Williamson mit einer Heftigkeit, die den jungen Schwätzer erschreckte. »Wie können Sie es wagen, diese Schmach auf eine edle Dame zu häufen? Wie, mein Herr, wissen Sie nicht, daß es keine größere Schande für eine Familie giebt, als Mitglieder von zweifelhaftem Blut zu besitzen? Hat sie aber keinen Vertheidiger in Ihnen, ihrem nächsten Verwandten, so soll sie diesen in mir haben. Wer sich unterfängt, zu behaupten, es wäre ein Tropfen Blut in ihr, das nicht rein sei, wie Gottes Sonnenlicht, beim Himmel, Herr John! der soll, wo es auch sein mag, sein Leben lassen, oder das meine nehmen.«
Zwischen den beiden Reitern herrschte nach dieser drohenden Erörterung ein längeres Schweigen. John Adams warf Blicke des Unmuths und des Zornes auf seinen Nachbar, und einige Male schien er bereit den Streit wieder aufzunehmen. Der athletische Gliederbau des Kreolen, die unerschütterliche Entschlossenheit in seinen Zügen, welche edel zu nennen waren, wären sie nicht so starr und eisern gewesen, schreckten ihn jedoch von seinem Vorhaben ab, und er fand es zuletzt höchst albern, einen Kampf mit einem blutdürstigen Pflanzer zu beginnen, der niemals Europa gesehen, weder Welt noch feine Sitten kennen gelernt, sondern zwischen Zuckerrohr und Baumwolle, Negern, Mulatten und Abenteuern mit seinen halbwilden Vorurtheilen fest, wie ein Centaur, zusammengewachsen war und, wie ein Eber der blauen Berge, Jeden zu zerreißen drohte, der diese antastete.
Es kam ihm aber auch überaus lächerlich vor, daß er seiner eignen Cousine Judith wegen sich todtschießen lassen sollte. Das häßliche, gelbe Kind trat ihm aus der Jugendzeit entgegen und gewiß hätte er ihrer kaum jemals gedacht, wenn sie nicht in seines Vaters Haus, als dessen Mündel, seit mehren Jahren lebte. Judith's Ältern waren todt, sie war eine reiche Erbin und der alte Herr Adams hatte in seinen letzten Briefen einen Wink fallen lassen, daß er John's schnelle Rückkehr auch deswegen fordere, weil Judith ihn zu sehen wünsche und weil – hier hatte er einen langen Gedankenstrich gemacht, dem drei Ausrufungszeichen und die bedeutungsvollen Worte folgten: Reiche Erbinnen wachsen nicht auf den Bäumen, wie Palmenpflaumen, die Frucht ist selten, komm zurück, John! –
Das Alles bedachte jetzt der junge Adams und er warf die Lippen seines hübschen Gesichts spöttisch auf. Zugleich musterte er von Neuem den Pflanzer an seiner Seite, der in seinem grünen Rock, im Gurt ein breites Fangmesser, am Sattelbogen die Büchse, in den Halftern Pistolen und auf dem Kopf den breiten, weißglänzenden Hut aus Palmenbast mit grünem Bande, wie eine Bildsäule starr und steif vor sich hinsah. Das helle Sonnengefunkel machte sein Gesicht noch finsterer und verbrannter, und wie es zwischen Bart und schwarzem Haar hervorschaute, sah Williamson fast wie ein Wegelagerer aus, auf keinen Fall aber wie ein Ritter, der für Mädchen in den Kampf geht, um Herzen zu erobern.
John prüfte seine eigne elegante Gestalt mit voller Selbstzufriedenheit, dachte an den Eindruck, den er machen würde, und fühlte sich so mild angeregt dadurch, daß er plötzlich seines Nachbarn Arm berührte und mit versöhnlichem Ton sagte:
»Ich hoffe, Herr Williamson, Ihr Zorn ist verraucht und die alte Freundschaft zurückgekehrt. Sie haben recht, es war thöricht von mir, so zu sprechen, und ich bekenne offen, daß ich Ihre Zurechtweisung mir gefallen lassen muß, weil ich vergessen hatte, daß ich auf Jamaika bin.«
Williamson schüttelte seine ausgestreckte Hand und die Strenge in seinen Zügen milderte sich. Er drehte sich lebhaft im Sattel um und schien durch vermehrte Höflichkeit sein rauhes Begegnen wieder gut machen zu wollen.
»Sie sind zu lange aus dem Lande«, sagte er, »um unsere Sitten nicht zum Theil vergessen zu haben, oder, wie ich fast vermuthe, als Vorurtheile zu mißachten. Aber, Herr John, sagen Sie selbst, was sollte wohl aus uns werden, wenn wir nicht mit der ehrenhaftesten Strenge darauf halten, daß unser Blut unangetastet bleibt. Wir sind nicht toll fanatisch, wie die Franzosen da drüben auf Domingo; wir haben hier freie Farbige und freie Neger, aber jedem sein Recht und Jedem seine Weise. Es hat sich indessen die Blutmischung so mannigfach durchkreuzt, daß es schwer sein müßte, Beschimpfungen und zahllose Processe, Ausstoßung aus den Rechten der Bürgerschaft, der Vertretung im District- und Provinzialrathe, für sehr Viele zu vermeiden, wenn nicht Jeder mit der Waffe in der Hand seine Ehre beschützte, und sein gutes Blut mit seinem Blute zu vertheidigen jederzeit bereit wäre.«
John warf einen fragenden, musternden Blick auf den Pflanzer. Es kam ihm plötzlich ein Verständniß, aber er wagte es nicht auszusprechen, denn Williamsons Auge schien das Wort von seinen Lippen zu pflücken. Er murmelte nur halblaut vor sich hin, daß es ihm schiene, als wären sehr viele Familien in der Lage, für gemischtes Blut gehalten zu werden; vielleicht sogar angesehene Männer, die natürlich solche Beschuldigung nicht dulden könnten, aber er war sehr froh, als in dem Augenblick ein Schuß in den Bergen fiel, dessen Echo, von den Klippen und Waldstreifen abprallend, sich wohl zwanzigfach wiederholte und von einem entfernten Geschrei begleitet wurde.
»Was ist das?« fragte er.
»Irgend ein Jäger,« sagte der Pflanzer, »oder ein schwarzer Kerl aus Trelawneytown. Diese Schurken, die immer kühner werden und ihre Streifzüge, Diebereien und Saujagden über die ganze Insel ausdehnen.«
»Die Maroons?« fragte John Adams.
»Allerdings die Maroons,« erwiederte Williamson, indem er mit seinem scharfen Auge eine leichte Rauchwolke betrachtete, welche aus den Waldhöhen zur Seite aufstieg.
»Warum peitscht man diese entlaufenen Sklaven nicht zusammen, und steckt sie in die Zuckermühlen Das deutsche »Mühle« wird hier im Sinne des englischen » mill«, d.h. ›Fabrik‹, verwendet.,« rief John. »Wie kann die General-Assembly es gestatten, daß die Kerle da, schon seit Gott weiß wie langer Zeit, in den Bergen wohnen und, statt zu arbeiten, jagen und stehlen?«
»Was das Letzte betrifft,« versetzte sein Begleiter, »so hat man seit einiger Zeit scharfe Strafen dagegen verhängt, im Übrigen aber läßt sich wenig thun, so lange sie nicht selbst Gelegenheit geben, die Traktate ihrer Freiheit anzugreifen und zu vernichten.«
»Wie konnte man aber mit solchen Wesen Tractate schließen?« sagte der junge Mann tadelnd. »Das hieß freilich ihr Verbrechen anerkennen.«
»Man schloß Frieden und gewährte ihnen Freiheit, weil man im Kriege sie nicht besiegte,« erwiederte Williamson.
»Nicht besiegte,« rief John spöttisch und maß die düstern Gipfel des Gebirgs mit einem Blick.
»Wenn man so mit den Füßen, wie mit den Augen hinauf könnte,« fuhr der Kreole fort, »so würde man es nicht gethan haben. In der Natur des Landes liegt die Sicherheit dieser Vagabonden. So wild zerklüftet, bis in seine tiefsten Eingeweide zerrissen und die Schlünde mit Felsenmauern eingefaßt, welche senkrecht oft bis an die Wolken steigen, ist keines auf der ganzen Erde. Die verwitterte Oberfläche hängt dazu meist voll undurchdringlicher Wälder; wer kann da hindurch; wer kennt die verschlungenen geheimnißvollen Pfade, und wer will sich in diese furchtbaren Einöden wagen, wo zu allen Plagen noch die eines fast gänzlichen Mangels an Quellen kommt? Möchten sie darum immerhin in ihren Nestern wohnen, wo sie nun schon seit anderthalbhundert Jahren stecken, aber die Schurken müssen zur Ordnung und Ruhe angehalten werden, und das ist nicht zu erreichen, so lange sie nicht gedemüthigt sind.«
»Ich denke gehört zu haben,« sagte John, »daß man sie öfter schon zur Ruhe brachte.«
»Seit die Spanier im Jahre 1654 verjagt wurden und England diese Insel in Besitz nahm,« erwiederte der Pflanzer, »hat man wohl zehnmal sie bekriegt und doch wieder Frieden machen müssen. Die ersten Maroons bildeten sich aus den Negersklaven der Spanier, die, ihren Herren entlaufen, in den Wäldern zurückblieben und unter ihrem Anführer, Juan de Boleras, und dem berühmten alten Cudjoe so furchtbare Grausamkeiten verübten. Sie waren so unüberwindlich in ihren Felsen, daß man zuerst im Jahre 1689 einen Tractat mit ihnen schloß. Es wurden nun Commissaire ernannt, die bei ihnen oben in Trelawneytown wohnten, sie beaufsichtigen und civilisiren sollten; aber wie wenig half das? Sie jagten, raubten, plünderten, und wenn man sie bekriegte, wurde das übel noch ärger. Sie überfielen die Pflanzungen, verbrannten die Felder, verlockten die Sklaven, mordeten die Besitzer, und so ist es fortgegangen, immer ärger, immer frecher. Es ist ein schlimmes, nichtsnutziges, unzähmbares Gesindel, das vertilgt werden muß, wenn wir Ruhe und Sicherheit haben wollen.«
»Du lügst!« rief hier plötzlich eine kräftige, männliche Stimme, die wie aus den Wolken zu kommen schien.
Williamson selbst war so überrascht davon, daß er zusammenfuhr und die Hand an seine Waffe legte. Im nächsten Augenblick verdunkelte sich sein Gesicht, drohend schüttelte er den Arm und sah zu dem Felsen empor, unter dessen Überhang der Weg eben hinlief und das gewaltige Geäst und Geblätter eines Baumwollenbaums sich, wie ein dunkles Schirmdach, über den Himmel breitete.
Auch John blickte erschrocken auf und gewahrte eine Gestalt, die, an den Stamm des Baumes gelehnt, gar seltsam anzuschauen war. Weißleuchtend stand sie unter den tieffallenden Zweigen halb versteckt. Man hätte sie für ein Gespenst halten können, wäre es nicht heller Tag gewesen. Wie aber Williamson zornige Schimpf- und Drohworte ausstieß, trat sie langsam, bis an den äußersten Rand der Klippe, wo die Sonne glänzend zwischen die Baumschatten fiel, und nun sah Adams, daß es ein Neger war, dessen schwarzer Kopf aus der seltsamen, aber gar nicht übeln Bekleidung des Körpers, ernsthaft und stolz sie anschaute. Ein weißer Calicomantel mit purpurrothen Säumen hing auf seinen Schultern. Ein weißes Beinkleid, das an den Knöcheln schloß, wo die Riemen seiner Schuhe es befestigten, das blaue mit Roth besetzte, weite Jäckchen, und der breite Hut mit einer Feder geschmückt, die trotzig daran aufstieg, Alles sah malerisch, kühn und romantisch aus. Dazu trug er ein kurzes Feuergewehr, um die Schulter an farbiger Schnur ein glänzendes Horn, und an der Seite in einer Lederscheide ein langes Dolchmesser, dessen gebogener Griff golden blitzte.
Mit Gelassenheit hörte er die heftigen Reden des erzürnten Widersachers an.
»Was schmähen Sie, Herr,« sagte er dann in ganz leidlichem Englisch und in dem tiefen melodischen Tone, der den Männern seiner Farbe oft eigenthümlich ist. »Wenn man Ihr Volk beschimpfte, was würden Sie thun? O, Ihr Herren! schämt Euch doch, ungerecht gegen uns zu sein, während Ihr für Euch selbst immer Recht verlangt.«
»Komm herunter, Schurke,« schrie Williamson, »und ich will Dir Dein Recht angedeihen lassen.«
»Ich komme nicht, Herr,« erwiederte der Neger. »Ihr Drohen ist unnütz, obwohl ich keine Furcht vor Ihrer Peitsche habe.«
»Ich will sie Dir beibringen, Du Hund,« fuhr der Pflanzer wüthend fort; »ich will Dich lehren, Beleidigungen gegen Deine Herren auszustoßen.»
»Ihr seid mein Herr nicht,« rief der Schwarze. »Ich bin ein freier Mann, wie Ihr selbst. Geht, Massa, geht. Ihr seid zornig; denkt daran, daß die General-Assembly erst neulich befohlen hat, allen Streit zu vermeiden, und daß genug schon vorhanden ist, um den Schall des Kriegeshorns aufzuwecken. Warum wollt Ihr ihn vermehren?«
Diese Warnung schien bei dem heftigen Kreolen einige Wirkung zu machen. Er schwieg einen Augenblick; dann sagte er:
»Wer bist Du? Bist Du nicht – ja, ich kenne Dich wieder – Du bist der Sohn der alten Montague.«
»Eduard Montague, Herr,« versetzte der Neger.
»Und was treibt Dich so weit, bis an die Küste hinab?« fuhr Williamson fort. »Habt Ihr nicht hier im Norden alles Wild längst ausgerottet? Höre, Eduard Montague, Du Sohn des alten Häuptlings. Hüte Dich, mir wieder zu begegnen. Den Lohn für Deine Unverschämtheit behältst Du gut, ich werde Dich nicht vergessen.«
»Gut, Massa Williamson,« erwiederte der junge Neger spöttisch lächelnd, »wir werden sehen; auch ich vergesse nichts.«
Die Beiden ritten weiter, als John aber sich umsah, glaubte er mehre Männer unter dem Baume stehen zu sehen und machte seinen Gefährten darauf aufmerksam.
»Wohl möglich,« sagte dieser. »Die Teufelsbrut ist nie allein. Es wird eine ganze Jagdgesellschaft dort oben im Versteck liegen, und gut war es allerdings, daß ich nicht meinen ersten Eingebungen folgte und auf den schwarzen Taugenichts eine Pistole abfeuerte. Aber da haben Sie ein Pröbchen, wie es bei uns aussieht und was wir zu erwarten haben. Man kann kein lautes Wort auf der Straße sprechen, ohne zu vermuthen, daß in irgend einem Hinterhalt von Felsen und Büschen die verrätherischen schwarzen Ohren auf der Lauer liegen, und dieser Eduard Montague ist einer der durchtriebensten Hallunken.«
»Für einen Neger sah der Kerl ganz leidlich aus,« bemerkte John.
»O! sie halten ihn für einen wahren Gott an Schönheit,« rief Williamson lachend, »und da der Narr überhaupt, wie Sie aus seinen Antworten hörten, einen Funken Verstand mehr hat, als die meisten seiner tölpelhaften Genossen, so wird er auch als ein wahres Muster von Weisheit verehrt, mehr noch als sein Vater, der alte Häuptling, der schon im Kriege von 1766 an ihrer Spitze stand, und einer der seltsamsten, listigsten, verdammten alten Neger ist, die ich je gesehen habe.«
Jetzt bog sich die Straße landeinwärts, und die Schwärme von rothen Sandfliegen, welche aus den Büschen aufstäubten und Pferde wie Reiter belästigten, bewirkten, daß man rasch und schweigend ein Paar Meilen zurücklegte. Plötzlich aber öffnete sich die hüglige Landschaft. Der Wald wich auf die Höhen zurück und vor ihnen im Thale lag eine große Pflanzung, bei deren Anblick der junge Adams sogleich seine Stimme erhob:
»Ich sehe,« rief er, »es ist alles noch so, wie es gewesen. Ein Paar Zuckerfelder mehr vielleicht, aber ich erinnere mich noch deutlich an Alles. Da liegt das Haus, die große Fabrik, die Rumbrennerei, die Packhäuser! Ich habe sie schon in meiner Jugend so gekannt, und ich will verdammt sein, wenn es mir nicht Vergnügen macht, Herr Williamson. Wirklich, ich hätte nicht geglaubt, daß mein Herz rascher dabei schlagen könnte.«
Aber es mußte in der That so sein, denn John trieb sein Pferd zur möglichsten Eile an und der Kreole ließ ihn voraus. Er sah, wie der junge Reiter absprang, an dem Gehege von indischen Weiden, wie er durch den Garten eilte, wie er dem alten dicken Herrn, der unter der Veranda saß, Cigarren rauchte und Limonensaft mit Zucker trank, um den Hals fiel, wie er den Tisch dabei fast umstieß, der von den Haussklaven, welche die Fliegenwedel fortwarfen, kaum vom Falle bewahrt wurde, und er sagte zu sich selbst:
»Dieser John ist allerdings einer von den Narren, welche man uns jedes Jahr frisch aus London zuschickt; die mit ihren Ringen und Kettchen, gepuderten Locken und gebrannten Handkrausen sich außerordentlich wichtig und vornehm dünken, aber eine Art Herz hat er doch an der richtigen Stelle; und wenn ihn das gelbe Fieber nicht zu früh abruft, oder ein Schlangenbiß, ein Sturz auf der Jagd, oder die Kugel eines Maroons – was auch sein könnte – so wird er vielleicht noch ein Kreole werden, dessen Freundschaft man sich nicht zu schämen braucht.«
Mitten in seinen Betrachtungen hielt Herr Williamson inne, als plötzlich an der Glasthüre des Saales eine Dame im weißen Kleide sichtbar wurde, der junge Ankömmling lebhaft sich umwendete, und eine verwandtschaftliche Begrüßung stattfand, welche der Pflanzer mit gesteigerter Theilnahme beobachtete.
Er stieg an der Pforte ab, schleuderte den Zügel seines Pferdes einem dienstfertigen Schwarzen zu, der einen zornigen Fluch zum Lohne erhielt, als er den Riemen nicht sogleich fing, und ging dann langsam durch den mit buntem Meereskies ausgelegten Gang. Er sagte kein Wort, aber er zog die Stirnhaut zusammen, als er die lauten lustigen Stimmen im Salon hörte, dann murmelte er Judith's Namen vor sich hin und trat hinein, eben als die, welche er nannte, wieder dicht vor ihm an der Thür erschien.
»Da ist Herr Williamson,« rief sie. »So eben wollten wir nach Ihnen aussehen.«
»Dann komme ich nicht zu früh und ungelegen,« erwiederte der Pflanzer.
»Ungelegen,« sagte sie und blickte ihn fröhlich an; »immer waren Sie uns willkommen, heut aber gewiß mehr als jemals, wo Sie uns den lieben Verwandten und Freund mitbringen.«
Williamson fühlte sich verletzt, er verbeugte sich und schritt an ihr vorüber zu dem alten Herrn am Tische, der ihm beide Hände entgegenstreckte, und von seinem Polstersitze aufstand. Er war in der That ein Mann von stattlichen Formen, dick und groß, leicht behängt mit einem weiten Perkanrock, ein loses weißes Tuch um den mächtigen Hals geknüpft, auf dem ein meist kahler Kopf mit so vielem Fleisch und Fett ausgestopft saß, daß alle Züge darin untergegangen waren; ja, der unangenehm und lächerlich gewesen wäre, wenn die blauen, hellschimmernden Augen nicht ein Gemisch von Gutmüthigkeit und Lebenslust darüber ausgebreitet hätten.
»Willkommen, lieber Freund und Nachbar,« sagte er, »Sie haben meine Bitte erfüllt und John in St. James erwartet. Tausend Dank! und hier setzen Sie sich nieder. Nehmen Sie Cigarren; Pompejus, gieb Feuer; Cäsar, reiche Glas und Limonien! Vorwärts! regt die Hände, und Du, mein Kind, Judith, gieb der Kleopatra den Kellerschlüssel und befiehl, drüben im nördlichen Saale Wein aufzusetzen und das Frühstück zu bestellen. Was sagen Sie zu John, lieber Freund? Ich denke, er hat sich gut herausgemustert und macht mir Freude. Übrigens kommen Sie zur guten Stunde zurück, Williamson, ich erwarte Gäste, seltsame Gäste.«
Alle diese Befehle und Fragen that er, ohne eine Antwort abzuwarten. Dann schob er dem Nachbar die Erfrischungen selbst zu, und lud ihn mit einem Nicken mehrmals ein.
»Ein Fest also zur Feier der glücklichen Ankunft Ihres Erben, wie ich vermuthe,« erwiederte dieser, indem er eine Cigarren anbrannte und einen Blick auf John warf, der seiner Cousine folgte und mit ihr das Zimmer verließ.
»Das eben nicht,« sagte der alte Herr – »gut, daß sie hinaus sind, wir können einen Augenblick allein reden.«
Er winkte den Sklaven, die das Zimmer verließen, und fuhr dann vertraulich fort:
»Haben Sie kein Schreiben vom Oberst Quarrell im Namen der Assembly erhalten?
»Es ist möglich, daß es in meiner Abwesenheit eintraf.«
»Es ist so,« sagte Adams. »Und wissen Sie, weshalb?«
Der Kreole sah ihn fragend an.
»Wegen der beiden Kerle, die Sie peitschen ließen, was so viel Geschrei macht.«
»Ah so!« erwiederte Williamson. »Die beiden Spitzbuben, die Maroons, was ist damit?«
»Es ist eine Commission ernannt, eine Zusammenkunft in meinem Hause. General Reid, Oberst Gallimore, Oberst Quarrell, Major James, Master Knowles und Andere.«
»Und was soll das heißen?« fragte Williamson mit verhaltener Heftigkeit.
»Was es heißen soll, lieber Nachbar?« flüsterte der alte Herr verlegen lächelnd. »Es ist eine Vernehmung über den Vorgang, der jetzt Manchen unangenehm ist. Es giebt Viele, die da sagen, es sei ganz gewiß eine Verletzung des Tractats, den wir mit den schwarzen Bürgern von Trelawneytown abgeschlossen haben, und man müsse ihnen, des allgemeinen Besten willen, eine Art Genugthuung geben.«
Bei diesen letzten Worten zerbrach der Kreole die Cigarre in Stücke und drückte diese in der Hand zusammen.
»Zielt man auf mich,« sagte er mit bebender Stimme, »soll ich etwa gedemüthigt werden? Bei Gott! eher in Stücken gehauen!«
»Wer wird Euch demüthigen wollen, Ralf Williamson,« erwiederte Herr Adams begütigend, »wer denkt daran – nehmt eine neue Cigarre, lieber Freund. Das ganze Ding ist eine Farce; die Assembly weiß das so gut wie wir, sie lacht so gut wie wir. Ihr, als Aufseher des Kirchspiels, thatet Eure Schuldigkeit, und daß Ihr die Kerle, die Spitzbuben, die schwarzen Bürger von Trelawneytown« – er lachte laut auf – »daß ihr diese freien Herrn der Berge von einem sechsfüßigen schwarzen Sklaven peitschen ließt, der sein Amt mit Meisterschaft und von allem Haß beseelt, dessen eine schwarze Seele fähig ist, verwaltete, das hat und ja eben den meisten Spaß gemacht.«
»Was soll also geschehen?« fragte Williamson noch immer aufgeregt.
»Es werden hier erscheinen,« fuhr der dicke Herr fort, indem er sich behaglich im Schaukelstuhl ausstreckte, ein halbes Dutzend ihrer weisesten Häuptlinge, ihrer Grand-Capitains, um mit aller Würde und Feierlichkeit Recht zu begehren. Sie werden Klage führen, wir werden antworten und das Ende der ganzen Komödie wird sein, daß man sie mit einigen guten Lehren und möglichst schwankend auf ihren Beinen wieder nach Hause schickt.«
»Schlimm genug,« sagte der Pflanzer düster, »daß man sich schon die Mühe geben muß, ihnen begreiflich zu machen, daß sie Gesindel sind, daß man sich verantworten soll gegen ihre Anmaßung, daß überhaupt da oben in den Bergen eine Sklavenbande existiren kann, die von Rechts wegen in unsern Mühlen arbeiten müßte.«
»Laßt's gut sein!« rief der versöhnliche alte Herr, »es wäre freilich besser, sie wären nicht, aber da sie einmal da sind, so kann nicht geleugnet werden, daß grade jetzt einige Rücksicht zu nehmen ist. Wir können die Spitzen der Montagues de la Selle da drüben auf den Wellen schwimmen sehen,« fuhr er fort und streckte den Finger aus, »da liegt das Neger- und Franzosennest St. Domingo, uns zum Trotz; da herrschen die verdammten Ideen der Revolution, der Freiheit und Gleichheit; und haben sie dort nicht sogar eben einen Neger, einen gewissen Toussaint, einen entlaufenen Sklaven, zum Divisionsgeneral gemacht? wie es hier in den neusten Blättern steht. – Hat der schwarze Kerl nicht den alten Laveaux befreit? hat er nicht unsere Rothröcke geschlagen, ihnen die Kapstadt abgejagt? O! verdammt sei der Krieg, den England da führt, der unsere ganze Garnison hinüberzieht, um am Sumpffieber und unter den Säbeln und Beilen der Mörderbande zu sterben. Wenn nun jetzt ein neuer Maroonkrieg ausbräche, wenn unsere freien Bürger in Trelawneytown und aus den blauen Bergen das Stückchen von St. Domingo wiederholten, wenn sie« – hier sank seine Stimme herab – »ja, wenn sie unsere vierhunderttausend Neger revoltirten? Ihr begreift, Nachbar, daß die Assembly Rücksichten nehmen muß, wie jeder, der etwas dabei zu verlieren hat.«
Williamson stand rasch auf und sagte:
»Herr Adams, bei Gott! ich bin nicht eben lustig gestimmt, aber ich möchte lachen über Ihre Besorgniß. Domingo und Jamaika! Da ist keine Vergleichung möglich. Dort hat das Mutterland die Empörung bewirkt; der Wahnsinn der Freiheitsschreier in Paris, die Schwarzen hätten es nimmermehr gethan. Die Gelben, die Kreolen, die Anhänger der alten Zeit und der alten Königsfamilie, die Schwindler und Fanatiker, die Clubs in Paris.«
»Und die Negerfreunde in London,« rief der alte Herr dazwischen, »die Anträge Pitts und eines gewissen abscheulichen Kerls, der sich Wilberforce William Wilberforce (1759-1833), britischer Parlamentarier und Anführer im Kampf gegen die Sklaverei und den Sklavenhandel in der westlichen Welt. nennt, denkt auch daran.«
»Hole sie alle der Satan!« versetzte Williamson, »aber Niemand soll mich überreden, daß auch bei uns der gesunde Menschenverstand dahin kommen kann, uns mit diesen elenden Creaturen auf gleiche Stufe zu stellen, unsere Rechte zu vernichten, und befehlen zu wollen, unserm Eigenthum zu entsagen. Ohne Sklaven wird dies reiche Land eine Wüste. Sklaven müssen sein, Gott hat sie dazu bestimmt, das wird Niemand leugnen können; was aber die Maroons betrifft, so wär's mir eine wahre Lust, wenn die Schufte Aufstand begönnen. Dann wäre es an der Zeit, sie zu vernichten, und ich weiß das rechte Mittel dazu, ja gewiß, ich weiß es! Es wird der letzte Krieg sein.«
In dem Augenblick trat Judith wieder herein und der junge Adams folgte ihr.
»Nun, mein Täubchen,« rief der alte Herr, »ich sehe, John ist Dein treuer Begleiter; es steckt gutes Kreolenblut in ihm, er vergißt den Vater und die ganze Welt, um einem hübschen Gesichte nachzulaufen. Vertheidige Dich nicht, John,« fuhr er lachend fort, »ich tadle Dich ja nicht, wir haben Zeit genug, über deine Reisen zu sprechen. Du bist gesund zurückgekehrt, das ist mir für's Erste genug, und wenn Du Dich mit den Einrichtungen unsers Hauses bekannt machen willst, so ist Niemand geschickter für diesen Unterricht, als deine Cousine Judith.«
»Wir haben die alte Bekanntschaft schnell erneut, Onkel,« erwiederte die junge Dame. »John hat sich manche Erinnerungen bewahrt und zu diesen fügt sich das Fremde und Neue. Wie viel weiß er zu erzählen aus dem Wunderlande jenseit des Meeres; wie reizt das die Neugier; wie ist er selbst ganz und gar eine seltene, fremdartige Erscheinung. Gewiß, Vetter John, Sie werden in allen unsern Gesellschaften ein so willkommener Gast sein, daß ich fürchte, wir selbst haben lange Zeit wenig von Ihnen zu erwarten.«
»Und darum hältst Du ihn vorläufig für Dich fest, Du selbstsüchtiges Kind,« sagte der alte Adams. »Begreifen Sie das, Williamson. Sie will die Erste sein, die den Schatz seiner Neuigkeiten ausbeutet, und kann den Andern dann leichter einen Antheil gönnen. So ein Mann aus der Fremde, das ist ein Gegenstand für ein Mädchenherz. Das glänzt und lockt die heimlichen Wünsche hervor. Man möchte selbst über die Wellen auf und davon, hört mit Staunen und Verwunderung Abenteuer, die fabelhaft klingen, und sieht doch, daß es wahr sein muß, denn der Wiedergekehrte ist ein ganz anderer geworden: ein Mann nach der Mode, ein Europäer, ein Gentleman in Blick und Geberde, ein feiner junger Herr, der das große Leben in sich aufgenommen, tausend zierliche Phrasen gelernt und Complimente zu schneiden weiß. Und das wollen die Mädchen überall, sie sind sich alle gleich, in Grönland, in London und Jamaika.«
»Ohne Zweifel, Onkel,« erwiederte Judith lachend und aus ihren dunkeln klaren Augen flog ein Blick des Spottes. »Ein Mann wird erst ein Mann durch eine Reise um die Welt, es müßte denn sonst schon in ihm liegen. Das fremde Kleid und die fremde Sitte thun aber immer das Beste, es sei denn, daß ihm angeboren, was Würde, Schönheit, Kraft genannt wird. Solch ein glücklicher Mensch, sagt man, könne ruhig sitzen sein Lebelang in seinem Hause, weder Gold noch Hemdkrause tragen und doch fühle jeder den Mann heraus. Ja, es kommt manchen Träumern und Narren vor, als müsse man vor allen Dingen fest an seinem Land, an seiner Sitte, an seinem Stamme hängen, und jetzt fällt es mir ein, Onkel: der hochgeartete Sinn, der Verstand, die Tüchtigkeit, das, sagen sie, soll den Mann machen. – Narrheiten, Vetter John, Redensarten, die Jeder in den Wind werfen kann, der eine Zunge hat, und erfunden von Denen, die in ihrem boshaften Neid, weil sie zu Haus blieben, nichts Besseres zu ersinnen wußten. Lassen Sie uns gehen, ich will ihnen meine Blumen zeigen, wenn Sie mich begleiten wollen; dann wollen wir zu der Fabrik hinunter. Die Aufseher haben angefragt, alle Arbeiter verlangen den Sohn des Massa zu sehen. Nehmen Sie meinen Sonnenschirm und thun Sie das Ding da fort, das man in Europa Hut nennt. Setzen Sie den Palmenhut Ihres Vaters auf, oder Sie bekommen den Sonnenstich. Morgen ist bei Herr Seton auf seiner Pflanzung am Meere ein großer Ball, dort können Sie Ihren Glanz entfalten und ich wette, was Sie wollen, mein theurer Vetter, Sie werden einen kostbaren Tag erleben, denn Sie werden alle Welt bezaubern.«
»Ein Ball!« rief John. »Ich hoffe bezaubert zu werden, Judith, und wahrhaftig, ich bin es schon. Wir tanzen den ersten Tanz; aber es ist heiß zum Ersticken.«
»So müssen wir eilen,« sagte sie, »daß wir unsern Weg beenden, ehe die Sonne ihre ganze Kraft erhält. Sie müssen wieder Kreole werden, Vetter, und ich will dazu beitragen.«
Sie gingen, und Williamson's Blicke folgten ihnen lächelnd nach. Kaum bezwang er sich ernsthaft zu bleiben.
»Ich dachte es mir wohl,« sagte er sich selbst, »daß die übermüthige Judith ihren Spott mit ihm treiben würde. Sie hetzt ihn in seinem engen Tuchkleide in der Sonnenhitze umher, und spielt so grausam mit seinen europäischen Narrheiten wie eine Tigerkatze mit dem Hoko In Süd- und Mittelamerika verbreitete Hühnerart., dem sie eine Feder nach der andern ausrupft.«
Er erinnerte sich, wie Puder und Pomade auf dem Haupte John's schon jetzt zusammengeschmolzen waren, und lachte laut auf, worauf Herr Adams, dessen Rede er überhörte, sich umwendete und lebhaft sagte:
»Was giebt es da zu lachen, Williamson, es gefällt mir nicht. Judith ist verzogen, und ihre stolze Gemüthsart, die keinen Widerspruch ertragen mag, keinem Befehl Gehorsam leistet, wird dem armen John noch viele böse Stunden machen.«
»Weshalb böse Stunden machen?« fragte Williamson fast gedankenlos.
»Sie wird es mit ihm machen, wie mit den Anderen,« rief der alte Herr. »Ich habe Alles gethan, was sich thun ließ, Geist und Herz in ihr zu bilden, und eingestehen muß man, sie hat soviel gelernt von den besten Lehrern auf der Insel, die ich auftreiben konnte, weil Gott sie mit scharfem Verstand gesegnet, daß sie tausendmal mehr weiß, als die weißen Töchter meiner Nachbarn. Dazu hat sie sich ganz artig ausgewachsen, weiß sich zu kleiden und zu tragen, und was ihr Vermögen anbelangt, so möchte sie wohl eine der vortheilhaftesten Partien auf der Insel sein. Aber den starren Sinn hat ihr nichts brechen können. Wie sie will, so muß es geschehen; was sie für recht und gut erkennt, das soll es sein für Alle; so kommt es denn, daß sie in vielen ihrer Ansichten abweicht von der Sitte, daß sie die verachtet und verspottet, welche nicht so sind wie sie selbst, und von den meisten dafür als eine Thörin und Schwärmerin betrachtet wird.«
»Gewöhnliche Menschen,« sagte Williamson, »messen Alles mit ihrer Elle, was nicht dazu paßt, wird verworfen. Ich kenne diese Urtheile über Judith, doch wer sind die, welche sie fällen? Sie hat ein Recht, mit Hoheit auf jenes kleine Gewürm herabzuschauen und das Gewäsch zu verspotten. Wo giebt es einen höhern Geist, eine schönere herrlichere Natur. Ihr kreolisch Blut giebt ihr Phantasie und einen kühnen Flug der Gedanken; ihr edles Herz bringt Sanftmuth und Milde hinein, und so kenne ich kein Wesen, das, wie dies, ein lieblicheres Bild des Schöpfers wäre.
Der alte Herr hatte aufmerksam zugehört und mit forschenden Augen nachdenkend seinen Gast betrachtet.
»Sie, Williamson,« rief er nun, »Sie vertheidigen Judith, weil Sie ihr Geistesverwandter sind. Eben so hartnäckig, eben so stolz, herrisch, großmüthig und unbeugsam, kurz eben so durch und durch ein wahres Musterbild unserer Tugenden und Fehler.«
»Nein,« sagte der Pflanzer bewegt, »ich bin ihr nicht gleich, nicht ähnlich, aber sie läßt mich wünschen, wie sie zu sein. Was Sie Eigensinn nennen, ist Festigkeit des Charakters. Ich habe Judith noch niemals heftig und voll Zorn gesehen, davon könnte ich vieles lernen. Sie ist mild und gütig gegen Alle, und spottet allein über die Hochmüthigen; ja, daß sie mit den Sklaven freundlich ist, daß diese sie lieben, oder ich möchte sagen, anbeten; daß sie ihre Hütten besucht, nicht duldet, daß einer ohne Noth gestraft werde, ihnen hülfreich beisteht und sie zu belehren trachtet, das ist, was sich auch dagegen sagen läßt, doch eben so lobenswerth in anderer Art, wie, daß sie selbst im Hause schaltet und waltet, nicht auf dem Ruhebett unter dem Fliegenwedel die Zeit verbringt, wie es Sitte ist bei unseren Damen, und mit der liebenswürdigsten Geschäftigkeit die Regentschaft hier führt, wofür Sie, mein würdiger Freund, ihr doch nicht dankbar genug sein können.«
»Nun, in der That,« rief Adams, »einen wärmeren Lobredner könnte sich Judith nicht wünschen; doch haben Sie in manchem Betracht recht. Um so mehr werden Sie es billigen, wenn ich Ihnen mein Verlangen mittheile, diesem Hause den Schatz zu erhalten. Sie können es denken,« fuhr er leiser fort, »daß es mein Plan ist, John mit Judith zu verbinden, und daß ich ihn deshalb zurückrief. Beider Alter und Vermögen paßt zusammen, das Übrige wird sich finden.«
»Glauben Sie?« sagte Williamson, und ein Lächeln, dem ein finsterer Schatten folgte, lief über seine Züge.
»Warum sollte ich nicht,« erwiederte der alte Herr. »John ist ein hübscher, gewandter Junge, artig, höflich und verliebt, wie ich denke. Was ist da zu fragen und zu zweifeln? Wer, wer könnte eher und gerechter hoffen, dies Herz, das von Neigungen frei ist, für sich zu gewinnen?«
Williamson blickte schweigend vor sich hin und sah kaum auf, als der Pflanzer vom Stuhle sich erhob und ans Fenster schritt.
»Da kommen unsere Gäste,« sagte er. »Oberst Quarrell mit seinem gelben, verbrannten Gesicht ist vorauf, General Reid reitet mit den Commissairen, und da ist auch der ritterliche hübsche Gallimore, es freut mich immer ihn zu sehen. Sie bringen die Maroons mit, ein ganzer Haufe. Die Kerle haben ihren besten Staat an. O! ich kenne sie. Da ist Dumbar, ein tüchtiger Bursche; Smid, der wildeste, verwegenste Gesell. Da ist auch der alte, schlaue Hund, der Montague, und sein Sohn, die Perle von Trelawneytown, der junge Eduard im Staat, wie ein Bräutigam! Wahrhaftig, da sind sie Alle!«
Bei seinen letzten Worten war Williamson aufgestanden. Er sah hinaus und wendete sich verächtlich ab, um seinen Unmuth zu bezwingen. Dicht an dem Fenster ging der junge Maroonchef vorüber.
Vor der Pflanzung war es inzwischen äußerst lebendig geworden. Die Pferde der angelangten wichtigen Personen befanden sich unter der Aufsicht eines Trupps leichter Dragoner, die ihre Begleitung ausgemacht hatten. Die hohen stattlichen Herren, in ihren rothen goldblitzenden Kleidern, gingen unter den Pflaumenpalmen und Tamarinden im Schatten der Hecken hin und näherten sich langsam dem Hause, während sie lebhaft mit mehren der angesehensten Gutsbesitzer aus dem Kirchspiele sprachen, welche mit ihnen gekommen waren. Vor ihnen an der Treppe hatten sich die sechs Maroonchefs aufgestellt, von denen drei betagte Männer, drei aber Jünglinge waren, deren lebhaft rollende Augen die Gruppe der Weißen genau beobachteten.
Als diese bei ihnen vorübergingen, beugten sich die Bürger von Trelawneytown höflich und demüthig, nur Einer that es nicht. Er stand vielmehr stolz und trotzig herausfordernd auf seinen Füßen, den Kopf in den Nacken geworfen und die Hand auf dem Griff seines breiten Dolchmessers. Der letzte der Weißen blieb daher auch vor ihm stehen und sagte leise und warnend:
»Eduard Montague, Du hättest deinen weisen Vater nicht begleiten sollen, denn ich fürchte fast, Du wirst den Frieden dieser Versammlung stören.«
»Major James,« erwiederte der junge Neger, »soll das Lamm niederfallen in den Staub, wenn es das Messer in der Hand des Fleischers erblickt? Warum hat man Capitain Craskell hierher gesandt; warum den Obersten Quarrell, von denen wir Alle wissen, daß sie unsere schlimmsten Feinde sind? Fürchten Sie nicht von mir eine Störung der Friedens, viel eher von Denen, die uns Recht sprechen sollen, denn wahrlich, wir sind hier –«
»Still, still,« sagte der Major, »Du bist ein junger, heißblütiger Mensch, der nicht weiß, was er spricht. Montague, hütet Ihr Euern Sohn. Ihr seid der oberste Leiter Eures Volkes; bedenkt es wohl, was Ihr thut, welche Verantwortlichkeit Ihr vor Gott und Menschen habt, wenn Unheil entsteht. Seid weise und vorsichtig; ich sage Euch,« fügte er leise hinzu, »es wird Euch nöthig sein.«
Der alte Neger, an den diese Worte gerichtet waren, hob seinen Kopf empor, der in einem großen, dreieckigen, mit Goldborten umzogenen Hut steckte und machte eine beistimmende Bewegung.
Es war ein Mann von breiter Gestalt. Sein Körper schien gebeugt von Jahren, aber sein Gesicht hatte einen eigenthümlichen Ausdruck unerschütterlicher Kraft und jener willen Hoheit, die den Fürsten und Herrschern der Wüste gehört.
»Wo Männer reden,« sagte er, mit einem strengen Blicke auf den Jüngling an seiner Seite, »schweigen die Knaben. Major James, mein Sohn wird nicht sprechen, bis ich es ihm erlaube; auch wollen wir ja Alle die Beilegung der Streitigkeiten, und bei dem großen Gott der Christen, wir werden nichts versäumen, um gerecht zu sein.«
Der Major wollte etwas erwiedern, als Capitain Craskell auf der Treppe erschien und mit lauter Stimme die Neger aufforderte, einzutreten. Die Züge dieses Mannes hatten viel Abstoßendes und seine Art der Einladung war stolz und anmaßend. Er war seit einiger Zeit Intendant der Colonialregierung in Trelawneytown an Major James Stelle geworden, und verwaltete dies Amt keineswegs zur Freude seiner Untergebenen.
Dieß erklärten die finstern bedeutungsvollen Blicke, welche die Chefs der Maroons wechselten, doch folgten sie ihm schweigend in den Saal, der zur linken Seite des Hauses lag und die Aussicht auf die Waaren- und Fabrikgebäude der Pflanzung hatte, in welchen man die beschäftigten Sklaven erblickte. In einem Halbkreise saßen die Beamten, welche die Streitpunkte schlichten sollten, hinter ihnen war ein Tisch mit Flaschen, Gläsern und Erfrischungen besetzt, an welchem mehre der Gutsherren Williamson umringten und mit ihm tranken; vor den Richtern lag eine Strohmatte ausgebreitet, und auf diese wies der Capitain, als auf die Stelle, welche die Maroons einzunehmen hätten.
Es lag viel Demüthigendes in dieser Art zu verhandeln, und Niemand schien dies lebhafter zu empfinden, als der junge Eduard Montague. Einen Augenblick stand er still und durch seine Haut von Ebenholz schimmerte die blutige Röthe der Schaam. Er warf einen wilden, fragenden Blick auf die weißen Herren, und dann durch die Fenster auf die arbeitenden Sklaven, deren Geschrei und die antreibenden Worte der Aufseher zu ihm hereinschallten.
Plötzlich wandte er sich um, ergriff die Stühle, mit Seidendamast bezogen, welche in den Nischen und an der Wand standen, stellte sie schnell auf die Matte, und da auf seinen Wink die andern jungen Häuptlinge, welche Herr Adams Smid und Dumbar genannt hatte, dasselbe thaten, saßen die sechs Maroons vor den Abgeordneten der Generalassembly, ehe sich diese von ihrem Erstaunen erholen konnten.
Einige Augenblicke schien es, als sollte diese unerwartete Kühnheit den Anfang zu einem neuen Streite bilden. Oberst Quarrell's Gesicht verdüsterte sich in Hohn und Haß, der Intendant von Trelawneytown zog die Stirn in Falten und blitzte mit seinen grünlichen Augen die Unverschämten an, wie eine wilde Katze, aber der fröhliche Gallimore lachte laut auf, wie er die Reihen der zornigen Pflanzer musterte. Er drückte seinem Freunde, dem Major, die Hand und sagte halblaut:
»Das hat dein junger Schüler, Eduard Montague, vortrefflich gemacht, mein alter James, ich fange an, Achtung vor ihm zu bekommen, und vor dem muthigen Herzen, das in dieser schwarzen Hülle wohnt.«
»Meine Herren,« sagte der General, der je eher, je lieber über diesen Anstoß fort wollte, »Sie wissen Alle, worum es sich bei unserer Zusammenkunft handelt. Die Assembly und die Regierung wünschen beide, daß die Klagen, welche von Trelawneytown laut geworden, näher untersucht werden, um zu beweisen, daß kein Grund der Unzufriedenheit vorhanden ist. Darum nun sind wir hier, und deshalb erschienen auch diese sechs Männer, deren Rede wir hören, und deren Anschuldigungen wir zu entkräften denken.«
Er winkte dabei mit der Hand dem alten Montague und der Maroonchef stand ohne Zögern auf und hielt eine Rede, so klar und einfach, eindringlich und würdig, daß er die weißen Herren zur Achtung zwang.
»Ihr seid unsere Väter,« sagte der alte Mann. »Ihr seit viel weiser als wir, die wir von Euch lernen sollen, darum werdet ihr gerecht sein. Man hat zwei meiner Männer gepeitscht –«
»Weil sie gestohlen hatten,« fiel der Oberst Quarrell ein.
»Es ist möglich,« fuhr Simon Montague fort, »aber Ihr hattet nicht das Recht, sie im Arbeitshause von einem Sklaven peitschen zu lassen, den sie früher seinem Herrn wieder eingefangen.«
»Dafür wurden sie bezahlt, wie es Sitte und Brauch ist,« sagte Craskell.
Der Neger richtete seine gebeugte Gestalt auf und ließ die glänzenden Augen langsam und mit einem klug warnenden Blick über die Versammlung gleiten.
»Gute Väter,« begann er dann, »wenn nun die Maroons Euch nicht mehr die entflohenen Sklaven fangen, wer soll sie aus den Wäldern und Felsenspalten holen? Ihr – Ihr?!«
Er erhob seine Stimme mit Nachdruck und schüttelte den ergrauten Kopf.
»Cornwall reicht an die Wolken,« sagte er, »der weiße Mann hat kein Auge und kein Ohr, keinen Fuß und keine Hand …«
»Ihr seid dazu gehalten,« fiel der General ein, »Ihr müßt das thun nach den bestehenden Tractaten.«
»Nach den Tractaten,« erwiederte der Maroon; »gut, meine Väter, Ihr habt recht. Aber seid ihr nicht auch gehalten, die Tractate zu erfüllen, und habt Ihr das gethan? Bestraft die, welche uns beleidigten, seid gerecht. Was thaten Euch die Männer von Trelawneytown je zu Leide?«
»Was sie uns zu Leide thaten,« rief Williamson, indem er vom Tische aufsprang. »Wo ward je eine Schändlichkeit verübt, an der ein Maroon wenigstens nicht Theil hatte, wenn er der Thäter selbst nicht war. Wer plündert unsere Felder, wer stiehlt das Vieh aus unseren Ställen, wer schleicht sich in unsere Pflanzungen zum heimlichen Verkehr und Verderb mit unsern Sklavinnen, beredet sie zur Flucht, verlockt die Männer dazu, wäre es auch nur, um sie wieder einzufangen und das Häschergeld zu verdienen. Wer legt die Brandfackel an unsere Gebäude, wer zwingt uns beständig zu wachen und zu forschen, Ärger und Noth zu ertragen? Du – Du, alter Häuptling, Du und das Gesindel, das Du dein Volk nennst, das von seinen Schlupfwinkeln herabkommt, sich stellt, als wolle es friedlich unter uns wohnen, durch alle Kirchspiele schleicht, in Städte und Höfe herumlungernd, mit Spielzeug handelnd, mit Schnitzwaaren; ohne Lust zur Arbeit, Andere zu gleichen Tagediebereien verführend und immer gierig umhersuchend, bis es den rechten Augenblick erspäht hat, dem, der ihm wohlgethan, zu betrügen und zu schaden. Die Pest über Euch Alle! Und daß Du es weißt, ich war es, der die beiden Diebe peitschen ließ. Ich habe es gethan, und ich that recht! Hier bin ich, ein freier Bürger, und dies sind meine Richter nicht. Mögen sie untersuchen, so viel ihnen beliebt, was schiert es mich. Ich, als Aufseher des Kirchspiels, habe meine Schuldigkeit gethan; wer wagt es, mich dafür zur Rechenschaft ziehen zu wollen?! Und kämen alle die Spitzbuben aus Trelawneytown, aus Acompong und wie die Nester weiter heißen, und kämst Du selbst und die da mit Dir hier sitzen, ich wollte euch heimschicken mit blutigem Rücken, Pfeffer hineingerieben, spanischen Pfeffer und englisches Salz; die Luft sollte Euch vergehen, jemals wieder Klage zu führen.«
Williamson's Heftigkeit machte den verschiedensten Eindruck. Mehre der Gutsbesitzer und der Beamten schienen freilich ganz seines Sinnes zu sein und mit Wohlgefallen zuzuhören, andere aber suchten ihn zu beruhigen. Einige warfen besorgte Blicke auf die Maroons, welche mit wild glänzenden Augen vor ihnen standen; Oberst Gallimore aber konnte kaum von seinem Freunde James zurückgehalten werden, den unbesonnenen Kreolen zur Rede zu stellen.
»Herr Williamson,« bat der arme alte General, der gerne Alles vermitteln wollte, »enthalten Sie sich der Einsprache. Es ist hier nicht davon die Rede, Sie zu richten, oder Ihre Handlungen zu beurtheilen, dies mag die Assembly thun, aber warum wollen wir Öl ins Feuer gießen? Besser wäre es, wenn von beiden Theilen nachgegeben würde und das gute Vernehmen sich ohne Weitläuftigkeit herstellte.«
»Beide Theile?« rief der Pflanzer. »Ich hoffe nicht, daß man glaubt, ich hätte etwas gethan, was außer der Ordnung wäre.«
»Allerdings,« versetzte Oberst Gallimore streng, »und es ist keine Schande für einen Mann, zu sagen, daß er sich übereilt habe.«
»Übereilt?« fiel Williamson ein. »Hüten Sie sich, Herr, mich zu beleidigen. Was hat das Militair überhaupt mit unsern Streiten zu thun. Es ist ein Eingriff in unsere Rechte. Hier stehen meine Nachbarn; man setze aus ihnen eine Commission zusammen, wenn man etwas untersuchen will, nicht von Menschen, die fremd unter uns sind.«
»Wir stehen hier im Namen des Lord-Lieutenants und Gouverneurs, Lord Balcarres,« sagte der General. »Ich hoffe, Herr Williamson, Sie werden das beachten.«
»Meinen Respect Seiner Herrlichkeit,« versetzte Williamson stolz, »aber wäre er hier an Ihrer Stelle, General, ich würde ihm ganz Dasselbe antworten. Es thut mir übrigens Leid,« fuhr er fort, »überhaupt das Wort ergriffen zu haben. Es hat dadurch wenigstens fast den Schein, als wollte ich mich vertheidigen; selbst der sollte vermieden werden. Schande genug, daß man einen freien Bürger und Grundbesitzer so zu kränken sucht, daß man sich erlaubt, ihn diesen halbwilden Negern entgegenzustellen, die der Fluch unseres Landes sind; die man schmeichelnd zu beruhigen strebt und ihren Trotz und ihre Laster erhöht, statt sie zur Ordnung zu bringen.«
Er wendete sich und ging nach der Thür. Alle blieben stumm; wenige Schritte aber hatte er nur gethan, als Eduard Montague auf ihn zueilte, seinen Arm festhielt und zitternd vor heftiger Aufregung nicht sprechen konnte.
»Elender!« rief Williamson, indem er sich loswand, »was wagst Du mich zu berühren.«
»Massa!« sagte der junge Neger und die Worte rangen sich schwer hervor, »bleib stehen, Du sollst nicht fort, Du sollst nicht, bis Du mich gehört hast. Du hast mein Volk beschimpft, Du hast Fluch und Schande über uns ausgesprochen, Niemand hat Dir geantwortet, ich will es thun. Du klagst die Maroons an, daß sie Diebe sind, wer hat sie dazu gemacht? Du allein, Du und deine Brüder! Wir sind Menschen, wie ihr es seid, der allmächtige Gott, Acompong, der Vater aller Wesen, des Himmels und der Erde, hat euch und uns geschaffen. Warum wohnen wir auf den dürren Felsen und ihr besitzt den fruchtbaren Boden? Warum leben wir arm in den Hütten, schweifen verschmachtend durch die Wälder, um den Eber aufzusuchen, und ihr verhöhnt unser wildes Leben, während ihr im kühlen Hause euch auf Polstern ausstreckt. Wer, Massa, wer lehrte uns weise sein und mild? Wer pflanzte die Freude in unsere Herzen, wer liebte die schwarzen Kinder des großen Gottes, wer kam je von Dir und deinen Brüdern zu uns und sagte: Ihr hungert, wir wollen euch sättigen, ihr dürstet, wir wollen barmherzig euch tränken; ihr seid elend und geplagt, wir wollen eure Leiden mildern? Kommt herab zu uns, pflanzt in Frieden eure Bananen und euern Mais, lehrt euern Kindern Gutes thun, lehrt sie weise sein, hier habt ihr Land, hier habt ihr Freiheit, werdet gut, weil Gott gut ist. Nein, Massa, Niemand that es. Ihr stießet uns fort, ihr verhöhntet unsere Schmerzen, ihr saht mit Verachtung auf uns und unsere Noth. Wie darfst Du anklagen, wenn Du das gethan; Du, Du! der Du vor Allen ein grausamer Herr bist. Unserer sind Viele, wir haben arme Brüder; sie sind wild, wie der Wald, böse wie die Thiere, die sie jagen, in ihrem Sinn ist kein Licht. Was sollen sie thun? Sie sollen kommen und deine Sklaven sein, in Deiner Zuckermühle arbeiten unter den Peitschen deiner Treiber! Geh, Massa, geh, lerne menschlich sein, verachte uns nicht. Schlage an deine Brust, Massa, höre, ob ein Herz da innen klopft, dann frage Dich, ob Du recht handelst, ob Du besser bist wie ich, ob dein Gott und deine Priester Dir sagen: Diese da hasse und verachte, sie sind verflucht, sie sollen es ewig sein!«
Williamson stand vor dem Neger glühend vor Zorn, den er vergebens zu bemeistern strebte. Alle seine Muskeln und Adern spannten sich, seine hohe Gestalt wuchs noch; mehr und aus seinen Blicken sprach ein tödtlicher Haß. Mit der einen Hand ergriff er den jungen Chef der Maroons bei der Brust, mit der andern entriß er dem Capitain Craskell, welcher neben ihm stand, den schweren Bambus, den dieser trug.
»Du willst mir Lehren geben,« rief er aus, »so nimm denn das …«
Er hob den Stock gewaltig, plötzlich aber fühlte er seinen Arm festgehalten. Judith hatte die Thür geöffnet, an der sie lange schon gestanden, und drängte sich in dem Augenblick zwischen Beide, als Gallimore, James, der General selbst und mehre Andere hinzusprangen, um die Mißhandlung zu verhindern.
»Herr Williamson,« rief der General, »bei Gott! das ist nicht zu ertragen. Wohin soll diese Heftigkeit führen? Verlassen Sie den Saal, Herr, ich befehle es Ihnen im Namen des Gouverneurs und der Assembly.«
Der stolze Mann hätte wahrscheinlich diese Drohung wenig beachtet, wenn Judith nicht mit sanfter Gewalt von Neuem seine Hand ergriffen und ihn fortgezogen hätte.
»Kommen Sie, mein Freund,« sagte sie, »Sie dürfen hier nicht länger verweilen; ich will es, Herr Williamson, Sie sollen mich begleiten.«
War es nun die Art, wie sie diese Worte sprach, befehlend und doch bittend zugleich, war es Beschämung über seinen Jähzorn, oder der vorwurfsvolle Anblick des schönen Mädchens, er folgte ihr stumm und verließ den Saal, aus dem heftige und verworrene Stimmen ihm nachhallten.
Gallimore lachte bitter und laut.
»Das ist ein schöner Friedenscongreß,« sagte er. »Ich fange wirklich an zu glauben, daß aus der Tollheit dieser Menschen ein blutiges Unheil entspringen muß.«
»Da hast Du ein Pröbchen von der echten Kreolenart,« erwiederte James betrübt, und leider findet sie in der Assembly allzu viele Freunde und Anhänger. Aber,« sagte er mit düsterem Ernst, »das wahre Übel liegt tiefer. Es ist nicht die tollköpfige Wuth dieses Mannes, der zwei Spitzbuben prügeln ließ, welche den Krieg entzünden wird, sie sind ein Vorwand für andere Dinge. Ein sonderbarer Geist ist in diesen schwarzen Kindern Acompongs erstanden, Gott weiß es, ich habe ihn nicht geweckt. Es liegt in der Zeit; die Luft sagt es, die Bäume rauschen es; ich weiß es nicht, aber er ist da.«
»Welcher Geist?« fragte Gallimore.
»Der Geist der Freiheit,« sagte James.
»Und der dort,« sprach der Oberst, indem er auf Eduard Montague deutete, wird ihn von den Bergen tragen und an der Last sterben.«
Er schüttelte sein schönes, kriegerisches Haupt und sah den jungen Neger mit Theilnahme an.
»Ich weiß es nicht,« sprach er zu seinem Freunde, »warum ich wünsche, daß seine Laufbahn kurz sein mag. Ich sah, wie seine Hand am Messer lag; ohne Laut seine Lippen, ohne Widerstreben sein ganzer Körper, als der tolle Kreole den Stock über seinem Kopf schwang. Mit dem Schlage, den er ausgetheilt, wäre Williamson todt niedergefallen und wir waren sie beide los. Den einen hätten wir begraben, als guten Christen und Märtyrer, und deinen Schüler, alter James, hätten wir morgen gehängt, Andern zum Exempel. Es wäre gewiß das Beste gewesen, denn in diesem Knaben sitzt der ganze alte böse Geist seines Volkes, den Du neu und Geist der Freiheit nennst. Die Andern sind Spreu, in einer Woche will ich sie vernichten. Sonderbar, und doch wünsche ich diesem Neger Glück, doch freue ich mich seines Muthes und seiner hervorragenden Geistesgaben. Warum kam das hübsche Mädchen auch herein und ihre herrischen, schwarzen Augen bezwangen den wilden Pflanzer? Es ist mir so, als wäre es gut für sie, wenn sie nicht gekommen, gut für uns Alle, gut für das ganze Land gewesen.«
»Es hängen große Dinge oft an kleinen Ursachen,« sagte der Major lächelnd, »indeß ist es mir lieb, daß Eduard Montague nicht zum Mörder wurde. Alles kann sich noch leicht zum Besten fügen, und wenn es irgend möglich ist, daß Klugheit, Verstand und menschliche Tugenden in einem schwarzen Kopfe Achtung abnöthigen können, so ist es bei diesem Jüngling der Fall. Wenn er eine weiße Haut hätte, würde er einen hohen Flug nehmen, um den Viele ihn beneiden möchten; wohin das Schicksal ihn gestellt hat, kann es freilich leicht sein, daß er, statt zum Segen, zum Fluch wird.«
Der General hatte inzwischen versucht, in freundlicher Weise die aufgeregten Chefs der Maroons zu beruhigen, und dies gelang ihm besser, als er es vielleicht selbst geglaubt hatte. Er war stolz auf die Wirkungen seiner Beredtsamkeit, drückte dem alten Montague sogar die Hand und nannte ihn Colonel, ein Titel, der diesem allerdings zukam, den aber der Stolz des Europäers gewiß nur bei besondern Gelegenheiten anerkannte.
Der alte Schwarze war dagegen ungemein demüthig. Er nahm bei der Begrüßung des Generals den dreieckigen Hut von seinem ergrauten Schädel und machte ein so unterwürfiges, freundliches Gesicht, daß Reid davon entzückt war. Mit vielen wohlgesetzten Worten entschuldigte er auch Williamson's Härte, kurz er benahm sich wie ein Diplomat, dem darum zu thun ist, durch schlaue Unterwürfigkeit mehr zu gewinnen, als trotzige Entschlossenheit einbringen würde.
»Lieber Montague,« sagte der General am Schlusse eines langen Gesprächs, »es freut mich in Wahrheit, einen so verständigen Mann, wie Ihr seid, kennen zu lernen; ich werde nicht säumen, den General und die Assembly von Allem zu benachrichtigen. Laßt den unangenehmen Vorfall vergessen sein, wir werden gute Freunde bleiben, und gewiß wird man Eure Wünsche, wenn sie gerecht und billig, gern berücksichtigen.«
»Massa General,« erwiederte der Neger, »Sie sprechen aus, was ich bitten wollte. Zwei Dinge sind es, die unsere Herzen beunruhigen.«
»Was ist es,« erwiederte Reid, »was verlangt Ihr, Colonel?«
»Zuvörderst,« fuhr der Neger fort, »sagt es den guten Vätern, wir wollen den Mann dort nicht« – er deutete auf Craskell – »er versteht unsere Herzen nicht und erbittert meine jungen Männer.«
»Erbittert,« versetzte der Capitain, »das heißt, weil ich streng die eingerissenen Unordnungen steure, die Euch zur Gewohnheit geworden sind.«
»Er drängt sich in unsere alten Gebräuche,« fuhr der Neger ruhig fort, »stört den Frieden und verletzt die Gewalt unserer Chefs. Oder ist es nicht so, Massa Craskell,« sagte er mit einem Lächeln; »wollt Ihr uns nicht sogar Eure Sitten und Euren Gott schenken?«
»Ich habe,« rief der Capitain erröthend, »allerdings es für meine Pflicht erachtet, Euch das Unsittliche Eurer heidnischen Gebräuche vorzuhalten.«
»Und er wollte die Priester seines Gottes auf die Berge führen, wo Acompong wohnt, fuhr der Chef von Trelawneytown fort; »die blassen Männer mit den finstern Blicken, welche durch die Pflanzungen schleichen mit den schwarzen Büchern und langen Gewändern. O! Massa, das ist nicht recht.«
»Wenn er das that,« sagte Oberst Quarrell, »so that er es Eures ewigen Heiles wegen, wie jeder gute Christ thun muß, wenn er die Gräuel und Blindheit des Heidenthums sieht. Schlimm für Euch, wenn Ihr Euch diesen Wohlthaten hartnäckig entzieht; schlimmer noch,« fuhr er mit einem strengen Blicke auf Major James fort, »Daß man früher so wenig dahin wirkte, des Herrn Wort zu Euch zu bringen.«
Einer der Commissaire war ein geistlicher Herr, der jetzt aufstand und mit vieler Salbung zu sprechen begann. Er schilderte die Verstocktheit der wilden Maroons, wie sie ohne Gott und Anbetung in ihren Felsenhöhen wohnten, wie sie gar keinen Dienst des Herrn kannten und kaum dunkle Ahnungen und Vorstellungen eines ewigen Wesens ihnen geblieben seien. Alles sei Aberglauben, Trug und Lüge; Alles beruhe auf den afrikanischen Gebräuchen ihrer Vorväter. Er selbst habe das kennen gelernt, als er Capitain Craskell einst besuchte; er selbst habe vergebens Versuche gemacht, die heilige Lehre ihnen zu predigen, die doch einzig und allein das zeitige und ewige Verderben dieser armen, verwilderten Wesen entfernen könne, aber er sei verlacht und verhöhnt worden.
»Nein, mein Vater, Sie irren,« sagte der alte Montague, »wir Alle haben Sie gehört; wir verhöhnten Sie nicht, aber Ihre Lehre paßt nicht für uns.
»Sie paßte nicht!« rief der Pfarrer zornig, »weil die Sünde Euch gefangen hält, Ihr Unglücklichen! Ich weiß es wohl, daß der Teufel die nicht fahren läßt, die ihm gehören, und Gott mit dem Schwerte der Strafe erscheinen muß, wenn er sein Heiliges Evangelium zur Wahrheit führen will.«
»Du sagst es, Massa,« erwiederte der junge Maroon, der Smid genannt wurde. »Dein Gott ist ein blutiger Gott, er macht die Menschen zu Sklaven, welche nicht weiß sind und zu ihm beten; behalte ihn, wir wollen ihn nicht.« –
Mit einer wegwerfenden Geberde wendete er die Hand um gegen den Priester, als Zeichen der Verachtung, und wie er vor ihm stand, groß, kühnblickend, mit rollenden Augen, aus welchen Feuer zu sprühen schien, die Lippen hoch aufgeworfen, die weißen Zähne darunter blitzend, afrikanische Wildheit und Rachelust in dem rothbemalten Gesicht, schien er das Urbild eines gewaltigen Kriegers, der Tapferste und Stärkste seines Volks, der allen Weißen Trotz und Kampf bot, und sie haßte.
Ehe er weiter sprechen oder handeln konnte, zog ihn Eduard Montague an der Hand zurück und der alte Oberchef trat vor Beide und sagte zu dem bestürzten Geistlichen:
»Waren Sie es nicht, Herr, der Fluch über uns aussprach, im Namen Ihres Heilandes, wenn wir unsere Weiber nicht verstoßen und künftig nur mit einer Frau leben wollten?«
»Allerdings war ich es,« erwiederte der Pfarrer, »denn nichts ist trauriger und gottloser, als die Vielweiberei unter Euch. Ihr dürft nur Ein Weib haben, so steht es geschrieben.«
»Halt! halt!« rief der Maroon lächelnd, »und welche sollen wir behalten? Ihr wagt es zu behaupten, daß Jesus Christus dies befiehlt, daß Gott so grausam sein kann? Nein, nein, Herr! Gott ist groß und Gott ist gut; er verlangt von Niemand, daß er Weib und Kinder aus seinem Herzen reiße. Massa, ich sage Dir, wer sein Weib verstößt, ist ein elender schlechter Mann! Das ist eine Lehre, Herr, die keiner von uns befolgen kann, darum behaltet sie, wir bitten Euch. Glaubt Ihr und laßt uns glauben, was Jedem gut thut; denn thöricht ist es, die Gewissen der Menschen zwingen zu wollen. Ihr seid weise, Ihr werdet das einsehen, sagt das den guten Vätern in Kingstown.«
General Reid war froh sich einmischen zu können und die Verhandlung von diesem Streite abzuwenden. Die Colonialregierung hatte viele Versuche gemacht, die Maroons zum Christenthume zu bekehren. Sie hatten christliche Namen angenommen, gewöhnlich die ihrer ehemaligen Herren, aber in der Wildniß war das Wasser der Taufe, das ihre Leiber einst naß gemacht, ohne durch die Haut zu dringen, schnell bis auf die letzte Spur vertrocknet, und wie oft auch Missionnaire hinaufwanderten in die Einöden von Cornwall, sie kamen zornig und entsetzt zurück, denn sie hatten taube Ohren gefunden.
War aber jetzt durch des Generals Bemühungen der Religionsstreit abgethan, so ging es dafür an eine andere schwierige Forderung. Simon Montague bewies eindringlich, daß die funfzehnhundert Morgen Acker an den Abhängen von Trelawneytown nicht zur Ernährung von mehren Tausend Menschen hinreichten. Einst war es genug gewesen, jetzt hatten sich jedoch die Bewohner ansehnlich vermehrt. Er forderte von dem General, daß die Colonialregierung den fruchtbaren Acker verdoppele, und stellte die Vortheile für die Colonie so eindringlich dar, bewies so folgerecht, daß, wenn den armen Maroons Grund und Boden bewilligt würden, sie nicht mehr nöthig hätten, weder zu jagen noch zu stehlen, daß der gutmüthige Mann versprach, er wolle alles Mögliche thun, um die Assembly dazu zu bewegen, dagegen aber das feierliche Versprechen empfing, daß die schwarzen Bürger in den Bergen Frieden und Ruhe halten, alle ihre Pflichten erfüllen, dem Intendanten gehorsam sein, die Straßen ausbessern, endlich, wenn es gefordert würde, sich selbst vor dem Gouverneur und der Assembly stellen und dort weiter unterhandeln wollten.
Dies Alles abgethan, kehrte die Freude zurück. Man drückte sich die Hände, man versicherte sich des gegenseitigen Wohlwollens, die Berathungen waren aufgehoben, Damen und Herren aus der Nähe kamen zum Besuch und vermehrten die Lust und Lebendigkeit. Natürlich waren die Chef der Maroons Gegenstände der Neugier. Zahllose Fragen über ihr Leben und Treiben wurden an sie gerichtet, denn obwohl Trelawneytown nur ungefähr sechs Stunden entfernt lag, kam doch selten ein Weißer bis in die schwer zugänglichen Berge und nie hatte eine Dame es gewagt, die Gastfreundschaft der Neger in der Nähe zu beobachten.
Bei den Kreolen that es vornehmlich die Verachtung, welche sie so fern hielt, jetzt aber schienen manchen diese sie vergessen, oder doch in der letzten Kammer ihrer stolzen Herzen verschlossen zu haben. Sie drängten sich um die alten Männer, besonders um Simon Montague, der in dem Kriege von 1776 schon der Anführer seines Volkes gewesen, dessen Name, Schlauheit und grausame Verheerungswuth in vielen schrecklichen Erzählungen auf der Insel fortlebte, und hörten aufmerksam seine Reden, die verständig, sogar höflich und gar nicht so übel im Munde eines alten, wilden Ungeheuers klangen.
So war der fürchterliche Feind, der die Regierung gezwungen hatte, um Frieden zu bitten und ihm Geld und Titel zu geben, mitten unter Denen, deren Väter er erschlagen, und er merkte es nicht, daß doch alle die Aufmerksamkeit, welche man ihm erwies, die schmeichelhaften Worte, welche man ihm hinwarf, eigentlich nichts waren, als Folgen der angeregten Neugier, die nach ihrer augenblicklichen Befriedigung schnell genug von dem alten Hochmuth und dem alten Haß und Spott verdrängt werden würden.
Dies zeigte sich genugsam, als das Mahl bereit war, von dem die Maroons zwar ihr reichliches Theil erhielten, aber an einem besondern Tische, – denn wer hätte mit ihnen gemeinschaftlich essen mögen? Allein sie waren so sehr daran gewöhnt, ihre weisen Väter als höhergeartete Wesen zu betrachten, und den kreolischen Stolz zu ertragen, daß sie ihn nicht empfanden, vielleicht mit Ausnahme der beiden jungen Häuptlinge, von denen der Eine seine wildbrennenden Augen, mordlustigen Räubern gleich, über die schwatzende, lachende Gesellschaft losstürzen ließ, der Andere sie mit schwermüthigen Blicken betrachtete, die gedankenvoll und fragend sich an den Mienen der Einen oder Anderen festhielten und dann langsam zurückkehrten, als hätten sie traurige Botschaft auszurichten.
Den Maroons grade gegenüber saß der alte fröhliche Adams, der Herr vom Hause; an seiner Seite General Reid, Oberst Gallimore und die schönsten Damen. Darunter war auch Judith, die zwischen ihrem Vetter und Williamson Platz genommen, der sein ernsthaftes, finsteres Wesen abgelegt und alle Formen eines liebenswürdigen und fröhlichen Gesellschafters angenommen hatte. Er sowohl, wie John, wetteiferten, die schöne Tischgefährtin angenehm zu unterhalten, und nur zuweilen sah Williamson ungeduldig und messend den glücklichen unbefangenen Nachbar an, wenn dieser seiner gelenkigen Zunge keinen Einhalt thun wollte. In solchen Augenblicken begegneten seine Augen auch denen Eduard Montague's, und er wandte sich mit einer zornigen Empfindung fort.
»Ich sehe,« sagte die junge Dame lächelnd und leise, indem sie ihn beobachtete, »welch' unversöhnliches Herz Sie haben. Auch jetzt noch, nachdem Sie mir versprochen, allen Zorn aufzugeben, ist der junge Neger der Gegenstand Ihres Hasses. Daß er dort bescheiden in seiner Ecke sitzen und an dem Geripp eines armseligen Puters nagen darf, ist Ihnen ein Gräuel.«
»Nicht sowohl, daß er dort sitzt,« erwiederte Williamson, »oder daß man die Nachsicht und Feigheit so weit treibt, diesen wilden Thieren die Haut zu streicheln, um ihnen bequem die Krallen zu verschneiden, nicht das ärgert mich; auch möchte er mich anstarren, so viel ihm beliebt, daß er aber auch Sie mit seinen unverschämten Blicken belästigt, das möchte ich immer von Neuem bestrafen und wenn ich's nicht versprochen hätte, ihn zu verachten und zu meiden, würde ich ihm einen andern Platz anweisen.«
»Sieht er mich denn an?« erwiederte Judith lächelnd, indem sie lange und freundlich hinüberblickte. »Ach! der arme Knabe, ich gönne ihm mein Antlitz. Da oben in seinen wüsten Bergen wird er nicht viele so lustige, helle Gesichter sehen, obgleich meine Farbe auch nicht zu den zartesten gehört, und wenn ich wüßte, daß es ihm Freude machte, wollte ich ihm meine Hand zum Abschied reichen und ihm sagen: Komm wieder, wenn Du mich gern siehst. Was meinen Sie, Herr Williamson, und Du, John?«
Der Kreole antwortete nichts; eine leichte Röthe stieg auf seine Stirn und beantwortete ihren herausfordernden Spott, John aber erwiederte lachend:
»Das mußt Du thun, Judith, das ist ein köstlicher Spaß; ich glaube, der Kerl wird närrisch und Du bezauberst ihn eben so mit einem einzigen Blick, wie die Klapperschlange die kleinen Vögel, welche mit den Flügeln schlagen und davon wollen, aber unaufhaltsam ihrer blutglänzenden Feindin entgegenfliegen.«
»Hat man je solchen unpassenden, unfeinen Vergleich gehört!« rief sie lustig.
»Und doch ist er wahr,« versetzte John. »Sieh ihn doch an, wie starr und still er dort sitzt und unverwandt zu Dir hersieht. Noch ein einziges Lächeln, und er ist verloren. Ich glaube wahrhaftig, Du kannst ihn und das ganze Volk besser zum Christenthum bekehren, als alle die langen, vertrockneten Missionaire mit den dicken Gebetbüchern. Sie sprängen in die Kirche und in's Taufbecken, wie die Fische, und stießen ihre Weiber und Kinder zum Heulen und Zähnklappen sämmtlich hinaus in die Finsterniß.«
»Ist er denn verheirathet?« fragte sie.
»Ich glaube, diese Fürstenhand ist noch frei,« sagte John. »Die schwarzen Prinzessinnen, Töchter der großen Häuptlinge von Congo, Edre, Ashantee, oder gar von Timbuktu, warten noch auf die Ehre; übrigens ist er in seiner Art ein Dandy und in seinem Wesen liegt etwas Apartes, das ihm wohlsteht. Vielleicht hat er Lust, in meine Dienste zu treten, Reitknecht, Kutscher oder dergleichen zu werden. In einer hübschen, goldbetreßten Livree muß er sich ganz artig machen.«
Mit einen Blick voll unbeschreiblichem Hohn sah Judith ihren Vetter an.
»Dein Reitknecht, dein Kutscher,« sagte sie. »Eher fielen die rothen Klippen dort ins Meer und es würden Fische daraus, die Französisch sprächen, wie Du und lustige Anekdoten zu erzählen wüßten. Der dort kann sich niemals beugen und bücken, niemals dienen und aufwarten. Ich habe ihn reden hören, wie ein Mann redet, so stolz und kühn, ohne Furcht und Tadel; Du hast ihm nichts zu bieten und zu geben, was ihn bewegen könnte, sein Knie zu beugen; das wird er nie, nein, niemals!«
Sie hatte diese Worte so laut und selbst mit Heftigkeit gesprochen, daß sie Aufmerksamkeit erregten, und vielleicht waren sie selbst bis zu dem gedrungen, welcher der eigentliche Gegenstand derselben war. Der junge Montague saß starr und still, wie John es gesagt, hoch aufgerichtet auf seinem Platze. Ein Lächeln schwebte auf seinen Lippen, ein Ausdruck des Dankes, der Freude und des Stolzes, der verklärend sich über fein Gesicht breitete. Es war, als könnte er sein Auge nicht abziehen von dem herrlichen, gottähnlichen Wesen, das im Heiligenschein dort für ihn gesprochen; als wüßte, empfände er Alles, was sie gesagt, als müßte er zu ihr eilen und zu ihren Füßen sinken. Und indem er dies dachte, stand er auf und Alle standen auf, denn General Reid hatte sein Glas erhoben und trank auf das gute Vernehmen und Verhalten der schwarzen Bürger von Trelawneytown. Als das Geräusch sich aber legte, war Judith fort. Ihr Platz war leer; die Damen hatten sich zurückgezogen.
Erst als die Sonne sank, verließen die Maroons das gastliche Haus in Begleitung des Generals und einiger der Commissarien, die ihnen das Geleit bis zu den Bergpässen gaben. Alle waren in Friede und Freundschaft geschieden, nun aber, als die Kinder der Wildniß hinter den Aloehecken der Pflanzung verschwanden, brach das laute Gelächter und der lustige Spott über sie aus. Die jungen Damen und Herren ahmten die unbehülflichen Bewegungen und unterwürfigen Höflichkeitsbezeigungen der alten Neger nach; sie lachten unmäßig über die vielen verstümmelten englischen Ausdrücke, welche mit Congo- und Ashanteeendungen verbrämt waren; sie bewitzelten die Gesichter und Gestalten und keiner fand Gnade vor ihren Augen, selbst nicht der hübscheste dieser, der Sklavenpeitsche entronnenen Gesellen, der als eitler Geck und Narr am schlimmsten behandelt wurde.
Judith hörte alle Schmähungen an und lachte dazu, denn ihr Vetter John schien ein Vergnügen zu empfinden, grade diesen zierlichen, geschniegelten Burschen wegen seines Putzes zu verspotten, und er merkte gar nicht, daß das übermüthige Mädchen, als sie einstimmte, ihn selbst im Sinne hatte und seinen europäischen Staat Stück für Stück der lächerlichsten Musterung unterwarf.
Der alte Major erzählte dann manches von den Jagden der freien Neger und von ihren gefährlichen Zügen durch die ganze Insel, bis in das innerste, wildeste Gewirr von Klippen und Thälern, die noch nie eines Europäers Fuß betreten und welche selbst wenigen der Maroons hinlänglich bekannt seien.
»Es mag wahr sein,« fuhr er dann fort, »daß dieser Sohn des alten Montague, wie Herr John Adams sagt, gleich einem aufgestutzten Truthahn hier erschienen und ein junger Fant ist, der sich etwas auf seine Bänder und ärmlichen Lappen einbildet; so viel aber ist gewiß, daß ich nie einen schöneren Mann sah, den Gott mit einer schwarzen Haut bedeckte. Was aber noch mehr sagen will, ich sah auch nie einen verständigeren, edleren und besseren Menschen seiner Farbe. Eduard Montague wird unter den Maroons nicht allein verehrt, weil Jedermann ihn gern sieht und weil er der einzige Sohn und Erbe des vornehmsten ihrer Häuptlinge ist, er wird auch geliebt wegen seiner Güte, gefürchtet wegen seiner Kraft und Kühnheit, bewundert wegen seiner Jägerkunst und Kenntniß der ganzen Insel, und angebetet von dem ganzen Stamme, weil er in jungen Jahren schon für überaus weise und als Liebling des großen Gottes gilt, mit dem er in den Nebeln und Dünsten der geheimnißvollen Felsengipfel Unterredungen hält, wie einst Moses auf dem Berge Horeb mit Jehova.«
»Und eines schönen Tages,« rief Williamson spöttisch, »wird er mit den Gesetztafeln herabsteigen und sein Volk in das gelobte Land führen.«
»Möglich, Herr Williamson, wohl möglich,« erwiederte James voll tiefen Ernstes in seinem schwermüthigen Gesicht. »Alle ausgestoßenen, irrenden Völker haben die Sehnsucht der Erlösung tief in ihren Herzen, alle warten des Propheten und Messias, und wenn er ihnen erscheint, dann wehe Denen, die in ihre Hand gegeben sind!«
Williamson erwiederte stolz: »Sie legen eine Bedeutung in Ihre Worte, Major James, welche gar nicht dahin gehört. Dieser verächtliche Räuberhaufe in den Bergen ist kein Volk, es sind entlaufene Sklaven. Wenn es aber auch so wäre, so würde es doch unrecht und unpassend sein, von dessen Rechten zu sprechen. Wir sehen, was solche Reden drüben in Domingo angerichtet, und jeder Weiße, jeder Mann von Ehre, sollte sich hüten, als ein Freund von Sklaven gelten zu wollen. Beim Himmel! es sollte nicht geduldet werden, wenn man unser Eigenthum, unsere Existenz, unser Leben leichtfertig antastet.«
Die Adern an James Stirn schwollen an bei der Beleidigung.
»Herr Williamson,« sagte er, »Sie haben uns heut schon Proben gegeben, wie groß ihre Abneigung gegen diese schwarzen Kinder der Wildniß ist. Dies macht Sie ungerecht.«
»Ungerecht?« rief der Pflanzer heftig.
»Ja, so sage ich,« erwiederte der Major mit Nachdruck. »Ich vertheidige die bösen Thaten der Maroons nicht, aber ich beklage es aus tiefstem Herzen, daß man nichts gethan hat, um sie zu bessern. Sie sind ein Christ, Herr Williamson, wollte Gott, wir wären es Alle nach den Vorschriften des Heilandes. Wir hätten dann das Mitleid und Erbarmen der Liebe für Die, welche elend sind. Statt Pharisäer zu sein, würden wir, dem Samariter gleich, Öl in die Wunden der Leidenden träufeln; die uns verbrüderte Menschheit zu erheben suchen; statt Messer und Peitsche die Wage der Gerechtigkeit in der Hand halten und hätten nicht zu fürchten, daß Sklaven das Eigenthum und Leben freier Männer bedrohen.«
Seine Worte machten Eindruck. Williamson wendete sich unwillig ab und sprach vor sich hin, daß er nicht Lust habe, sich eine moralische Vorlesung halten zu lassen. Er verließ den Kreis, ärgerlich auch über Judith, die den Major bat, ihr Weiteres von dem romantischen Leben in der Wildniß zu erzählen, und gesellte sich zu dem Obersten Quarrell, dem Capitain Craskell und dem Pfarrer Benjamin aus St. James, welche in dem Schatten der Tamarinden und der hohen Jasminbüsche auf und nieder gingen. Ihr Gespräch drehte sich natürlich um die Begebnisse des Tages und wurde in lebhaft erbitterter Weise über die eitle Schwäche des General Reid geführt, der den Maroons so schöne Versprechungen gemacht hatte und nun Alles abgethan und hergestellt glaubte.
Quarrell lachte hämisch und schüttelte seinen langen Kopf.
»Laßt doch dem alten Herrn seine Vergnügen,« sagte er; »es wird nimmermehr angehen. Ich habe mit Williamson schon darüber gesprochen. Ich nehme die Briefe an seinen Verwandten, den Präsidenten und an andere einflußreiche Glieder der Assembly mit. Benjamin hilft mir dabei; Lord Balcarres, meinem Gönner und Freunde, werde ich die nöthigen Aufschlüsse mittheilen, und ich denke, von allen den schönen Träumen, welche in den schwarzen Köpfen ausgeheckt wurden, soll sich nicht ein einziger erfüllen.«
»Und ich?« sagte Craskell.
»Du bleibst Intendant in Trelawneytown; das versteht sich,« erwiederte Quarrell. »Niemals darf James wieder diesen Platz einnehmen.«
»Also Krieg,« versetzte der Capitain.
»Glaubst Du das so bestimmt?«
»So gewiß wie wir hier gehen. Sie wollen mich nicht. Um jeden Preis wollen sie die strenge Zucht los sein.«
»Die entsetzlichen Heiden!« seufzte der Pfarrer. »Sie müssen vertilgt werden von der Erde, wie Enaks Kinder vertilgt wurden, die ungeschlachten Riesen.«
»Keinen Fuß breit Land sollen sie haben,« sagte Quarrell; »keine ihrer eingebildeten Klagen soll berücksichtigt werden, dafür stehe ich ein. Jede Nachgiebigkeit ist Verbrechen; wir sehen, was es den Franzosen eingetragen hat und jetzt besonders, jetzt, wo der größte Theil unserer Besatzung da drüben auf Domingo kämpft, wäre es Tollheit, Negern Concessionen zu machen. Wir haben viermalhunderttausend Sklaven zu bewachen, darum fort mit aller Rechtsempfindelei. Das einzige Recht auf Erden ist die Selbsterhaltung.«
»Wird aber der Krieg,« sagte der junge Sidney besorgt, »nicht große Gefahren mit sich bringen? Von meinem Vater habe ich gehört, wie 1766 die Schurken Alles mordeten und verbrannten, und, wie dagegen Niemand in ihre verdammten Hohlwege und Felsenspalten dringen konnte.«
»Es kann wohl sein, daß es wieder so kommt,« versetzte Williamson kalt, »und mein Eigenthum wirb sicher dann das sein, was zunächst der Vernichtung preisgegeben ist. Gut, mag es in Flammen aufgehen. Wenn sie es wagen, den Frieden zu brechen, so sei es hier zu Gott geschworen, ich will nicht rasten und ruhen, bis sie vernichtet sind, und ich denke, es soll geschehen.«
»Laßt uns nach den Ananashecken hinabgehen,« sagte Quarrell, »wir können dort ungestört sprechen. Da kommen Gallimore, James, Bedford und die Männer des Friedens. Zum Henker mit allem philantropischen Unsinn. Ich hasse und verachte diese Hohlköpfe. Ihre romantische Faselei über Gleichheit und Freiheit aller Menschen brockt das Elend ein, das wir Andern ausessen müssen.«
Sie wichen den Kommenden aus, die ihrerseits keine Lust hatten, ihnen zu folgen. Gallimore neckte sich mit den schönen Damen, welche auf der Terrasse standen und in die Stadt der Neger schauten. John sagte ihnen fade Artigkeiten und die neuesten Witze aus London. Judith sah still hinab, wo tief zwischen den blühenden Gebüschen die Schellentrommel ertönte, und das gellende Geschrei der wilden, nackten Tänzer. Nach und nach kamen die Schwärme der großen Cygados, wie Feuerwolken, von den Höhen herab und zogen glänzende, magische Zeichen über den ganzen Himmel.
An den Bergspitzen haftete ein letzter Sonnenblick, dann war es Nacht. Die prachtvollen Gestirne traten schnell an das tiefdunkle Firmament und vom Meere herauf wehte ein kühles Windfächeln wohlthätig erquickend durch die raschelnd langen Blätter der Bäume und Hecken. Nun wurde in dem Saale Licht angezündet; die Gazethüren wehrten den Mosquitos den Zugang, und, wie die Neger auf dem Grase, drehten sich hier die Kreolen nach den Tönen des Claviers. Aller Haß, alle Sorgen, alle Wuth gegen die räuberischen Maroons ward in bacchantischer Lust vergessen.
In den Bergen von Hanover, ein Paar Meilen von der Straße, die zwischen Felsen und Waldgewinden, als schmaler, wenig betretener Pfad, nach Trelawneytown führt, lag ein röthlicher Felsengipfel. In der Mitte einer entsetzlichen Zertrümmerung von Blöcken und Geschieben streckte er sein Haupt aus Gruppen von wilden Feigenbäumen hervor, die seinen Fuß bekränzten.
Man hatte eine weite, schöne Aussicht hier. Von drei Seiten fiel das Gebirge zum Meere nieder. Über die Waldstreifen von Eisenholz, Mahagoni- und Baumwollenbäumen sah das Auge hinaus auf ein unermeßliches Gewimmel von reizenden, kleinen und großen Gründen und Thälern, wechselnd grün und lieblich zwischen Höhenzügen, Hügeln, Felsenmassen zerstreut, die in stufenförmiger Abdachung bis an den Rand des Meeres fortliefen und in ihrem Schooße den Reichthum des Landes bargen. Zwischen Palmen und Tamarinden glänzten die bunten Schindeldächer der Herrenhäuser in den Pflanzungen, an den Berglehnen stiegen Rauchsäulen aus den Fabrikgebäuden und auf kleinen Hügeln erhoben sich weit und breit die Mühlen, in denen das Zuckerrohr zu Brei gequetscht wird.
Ein scharfes Auge konnte bei der durchsichtigen Luft auch die regelmäßig und seltsam geviereckten Felder erkennen, auf denen das süße Rohr wächst, und die wimmelnden Haufen schwarzer, hellbeschürzter Gestalten, welche unter taktmäßigen Gesängen ihre schwere Arbeit verrichteten. Dies konnte wenigstens gewiß der Mann, der hier, den Rücken an den Felsen gelehnt, im Schatten eines Baumes saß und durch ein Fernglas die Gegend musterte. Er trug die Kleidung eines Europäers und besaß die Haut eines Weißen, den die Tropensonne gebräunt hat. Sein langer Zopf, sein Bart, sein Hut, sein Degen, das Pistol, das neben ihm lag, die Lebendigkeit seiner forschenden Blicke, und sein unruhiges, ungeduldiges Wesen, Alles zeigte an, daß er ein Fremder sei in diesem Lande und Sorge habe, uns entdeckt zu bleiben.
Zuweilen, wenn er die Moskitos mit seinem dampfenden Cigarr verscheucht hatte und müde war, Berg und Thal zu durchforschen, wandte er sein Auge seitwärts gegen die Baumgruppe, wo eine dunkle Gestalt unter den tiefhängenden Ästen der wilden Feigen kauerte, dort bei einem kleinen Feuer am Holzspieß ein Paar Waldtauben briet und halb roh verschlang. Der weiße Mann betrachtete das mit einem verächtlichen Blick, dann stand er auf, ging hin und her, murmelte heftige Worte vor sich hin und sagte endlich laut:
»Hört, Smid, oder wie Ihr sonst heißt, Bürger da unter den Drachenzweigen, es kommt mir vor, als würden wir allein bleiben. Ich bin umsonst in diese Wildniß geklettert, wo man eine Katzennatur haben muß, um ohne Schaden wieder hinunterzukommen.«
Der Neger, welcher sich auf dem Boden ausgestreckt hatte, lachte dazu.
»Was sind diese kleinen Kegel,« sagte er, »gegen die großen Hörner dort hinter uns, wenn Ihr da hinauf solltet, Massa!«
Er streckte die Hand gegen die hohen Gipfel der Bergkette, die in dem Lichte der Abendsonne glänzten. Plötzlich, aber sprang er auf und trat aus dem Schatten.
»Still, Massa,« rief er, »fürchtet nichts, er kommt.«
»Ich höre nichts.
»Ihr habt das taube Ohr eines weißen Mannes. Hört Ihr das Stampfen seines Pferdes?«
»Ein Pferd!« rief der Europäer verwundert.
Der Neger griff nach dem Horne, das an seiner Seite hing.
»Was wollt Ihr thun, Smid?« fragte der Weiße. »Was soll das Blasen?«
»Ihr habt es nicht gehört,« versetzte der Maroon; »was kann der Massa auch hören.«
Ein langer, sanfter, gewundener Ton ward von ihm hervorgestoßen, der leise über die Ebene hinzog und an dem Waldsaume sich verlor. Mit wildem Stolz auf seine Überlegenheit sagte der Neger dann:
»Ich hörte den Ruf seines Hornes, das meinen Namen sprach, ich antwortete und sagte: Komm, wir erwarten Dich.«
Er lachte über die erstaunte Miene des Europäers.
»Funfzig Krieger zählt mein Stamm,« sagte er, »und für jeden habe ich einen Ton; um ihn zu rufen. Das ist die Kunst des Maroons. Der Massa hört nichts, seine Soldaten sind blind und taub; er hat es gehört, da ist er!«
Er deutete auf den Rand des fernen Gebüsches; der Weiße sah hinab und mit Entsetzen und Verwunderung erblickte er einen Reiter, der aus der Waldtiefe über den felsigen und zerrissenen Boden sprengte. Einige Male verschwand er in den Höhlungen so schnell, als wäre er in den Abgrund niedergestürzt, bald aber kam er wieder zum Vorschein und endlich kletterte das kleine Pferd die steile Anhöhe hinauf. Durch zahllose Windungen nahm es seinen Weg, als kenne es alle Schwierigkeiten; der Reiter saß ohne Wanken auf dem nackten Rücken des Thiers. Seine weißen Gewänder leuchteten wie Silber, Der leichte Mantel schwamm, vom Winde getrieben, ihm nach. Ganz dicht an dem Felsengipfel sprang er ab und nach wenigen Augenblicken stand er vor den Beiden, die ihn erwarteten.
»Capitain Montague,« rief der Fremde, »Du bist ein Reiter, wie ich ihn nie gesehen; aber gut, daß Du kommst!«
Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn einige Schritte mit sich fort.
»Du stehst mich hier zum zweiten Male,« sagte er; »ich bin beauftragt, Dir zu bringen, was Du wünschest. Wir haben einen sichern Mann an der Küste gefunden, derselbe der mich in der Nacht in die Berge führte. Vorläufig bringe ich Euch Pulver und Gewehre.«
»Es ist nichts, Herr Fauchet,« erwiederte der Häuptling, finster vor sich hinblickend und zog die Hand zurück. »Nehmt Euer Pulver und Eure Gewehre und geht.«
»Wie soll ich das verstehen?« sagte der Andere erstaunt. »Als ich bei Dir war vor einigen Monaten, umringten mich deine jungen Männer, Du warst an ihrer Spitze. Ich erzählte euch, wie eure Brüder in Domingo das Joch der Sklaverei abgeworfen, wie die Republik sie als ihre Bürger anerkannt, und ich brauchte keine Ermahnungen, daß ihr diesem Beispiele folgen solltet. Du warst der Erste, der diesen stolzen Herren, die euch verachten, Rache schwor. Du gelobtest, deine Brüder frei zu machen, Du fordertest mich auf, Waffen zu bringen, mehr wolltest Du nicht. Jetzt komme ich zurück und bringe Dir mehr, als Du begehrtest; nicht Waffen allein, sondern auch die feierliche Zusage, daß viertausend französische schwarze Bürger hier landen sollen, sobald der Krieg begonnen hat; daß wir euch helfen werden, ein Vaterland erwerben, und Du zagst, Du willst ein Knecht bleiben, Du wagst es nicht, deine Hand nach der Freiheit auszustrecken? Was ist das? Capitain Montague; was hat Dich feige gemacht, wie ein Weib?«
Der Neger senkte beschämt und schmerzlich den Kopf tief auf die Brust.
»Feige,« rief er, »ich bin nicht feige, aber –«
Er sah über das Land hinaus und sagte dann:
»Da ist alles grün und schön jetzt, die Bäume hängen voll Blüthen und Früchte, die Menschen sind froh, sie singen und lachen, die Kinder und Weiber, sie denken nicht an das breite Messer der Maroons! Und wie wird es sein in wenigen Tagen, Herr Fauchet, wenn die Flammen zum Himmel schlagen, so weit das Auge reicht, wenn die Bäche blutig ins Meer stürzen, wenn Alles, was so lieblich glänzt, was so mühsam aufgebaut wurde, zerstört ist? Die Todten liegen da kalt und schwarz und die Geier fliegen über ihnen. Nein, nein! ich will nicht, und mein Vater – er will den Frieden – er würde mich verfluchen, wenn ich meine Hand aufhöbe.«
Der französische Unterhändler zerrte sich wild an dem Bart.
»Ich möchte mich zerreißen und doch lachen über deine kindischen Gedanken,« erwiederte er. – »Dein Vater will nicht, dein Vater ist alt; so er sonst war, so dumm ist er jetzt. Ich habe mit ihm gesprochen, der alte General Reid hat ihm den Kopf verdreht; er denkt Acker zu erhalten, aber ich sage Dir, nicht einen Feldstein, wie diesen, geben sie euch. Ich kenne diese filzigen Schurken; ich bin in ihren Städten gewesen, sie hassen und verachten euch, als entlaufene Sklaven; sie werden euch fangen und aufhängen, wenn ihr ihnen traut, und deinen Vetter zuerst. Was aber Dich betrifft, so bist Du ein Narr. Was geht Dich die grüne Ebene an, die fruchtbaren reichen Felder und Ernten? Sie gehören Dir nicht, deine Brüder, die Sklaven, bethauen sie mit ihrem Schweiße und mit ihrem Blute, das von den Peitschen der Voigte fließt! Laß die Bäche roth fließen, laß sie die Leichenhaufen der Aristokraten ins Meer schwemmen, mögen sie Dort gierigen Haien zum Fraß dienen, ein Raubthier frißt das andere auf. Vierhunderttausend schwarze Menschen seufzen auf diesen Boden in Knechtschaft, ihr habt euch von ihnen getrennt. Sinnlos habt ihr euch dazu gebrauchen lassen, die zu fangen und grausamen Herren auszuliefern, welche vor der Tyrannei flohen. Ihr seid die Hunde der Sklavenhändler seit Jahrhunderten gewesen; wenn ihr das nicht thatet, wäre längst kein weißes Gesicht mehr hier. Erhebt euch jetzt, greift zu den Waffen, ruft die Freiheit aus, steigt zu euern Brüdern nieder, sprengt ihre Ketten, vereinigt sie, und die Fahne der Freiheit wird hier so groß und roth wehen, wie sie in Domingo weht. Die Felder und Ernten werden euch dann gehören; ihr werdet in den kühlen, schönen Häusern wohnen; die Weiber und Mädchen werden euch zulächeln. Eduard Montague! Dein Volk blickt auf Dich, heraus mit dem Messer; scheue Blut und Thränen nicht, wo Glück und Freude, wo die Freiheit daraus hervorwächst!«
Er rüttelte den Arm des jungen Häuptlings, der mit Augen voll Begeisterung ihn anblickte; plötzlich aber verschwand das angefachte Feuer. Wie von Entsetzen ergriffen, riß er sich los, und ehe der Agent ihn aufhalten konnte, sprang er die steile Höhe hinab, warf sich auf sein Pferd, das ihn ruhig erwartet hatte, und sprengte, ohne auf den zürnenden Zuruf zu hören, davon.
»Verräther!« rief der Franzose, »er entflieht, halt!« –
Er hob das Pistol auf, das am Boden lag, und warf es wieder fort, dann schlug er die Arme heftig zusammen und starrte seinen Begleiter an, der dicht herangetreten war.
»Steht es so,« sagte er, »habt ihr den Muth verloren, frei zu sein, gut, so bleibt Knechte. Beugt eure Nacken, bald genug wird die Zuckermühle euer Loos sein. Denn gewiß ist es, wenn ihr nicht wollt, sie wollen es. Sie wollen euch nicht länger dulden, selbst diesen Rest eurer wilden Freiheit gönnen sie euch nicht. Führt mich hinab, Smid, in drei Monaten wird kein Maroon mehr diese dürren Felsen sein Vaterland nennen.«
Der herkulische Neger sah seinem Freunde nach, bis dieser im Walde verschwunden war, dann sagte er finster:
»Er hat seine böse Stunde, ich weiß es nicht, aber sein Geist wird wieder hell werden. Massa Fauchet, Sie dürfen nicht so von uns gehen, wir wollen das Pulver haben, ich will es haben, ich! Eduard Montague ist ein Mann, ich bin es auch, und ich habe geschworen, Massa, wir Alle haben geschworen, alle junge Männer. O! laßt sie kommen, wir kennen sie, sie hassen uns, aber ich bin kein feiger Eboe, ich bin ein Coromantee, mein Stamm ist alt, so alt wie Cudjoe's Stamm. Laß sie kommen, wir wollen ihre Herzen, wir wollen ihr Blut, wir lachen, Massa! Diese Felsen sind hoch, die Nacht ist dunkel, aber der Maroon weiß den Weg, Feuer soll ihn hell machen.«
Der Agent der Republik betrachtete die wilde kraftvolle Gestalt mit Wohlgefallen. Das Feuer afrikanischer Leidenschaft sprühte aus den weitgeöffneten, röthlichen Augen; die muskelvolle Faust hielt den Griff des breiten Jagdmessers umspannt, als suche er sein erstes Opfer.
»Große Göttin der Freiheit!« rief er, »ich danke Dir, Du weckst Männer auf, überall wo Knechtschaft wohnt. Ihr sollt haben, was ihr verlangt; komm, führe mich zu den jungen Männern, wir wollen handeln ohne Montague, der vom bösen Geiste besessen ist.«
Und diese Bezeichnung schien der junge Häuptling in der That zu verdienen. Wer ihn gesehen hätte, wie er durch die gefahrvolle Wildniß jagte, ohne den Lauf seines muthigen Thieres zu zügeln, vorgebeugt über den Hals des Rosses, das mitten durch den Urwald, steile Höhen hinab und hinauf seinen Weg nahm, während der Abend niedersank und das ungewisse Dämmerlicht erst das Land in der Tiefe bedeckte, dann die Vorberge und Wälder, in denen ein ewiges Schweigen herrscht, der mußte wohl glauben, daß nur ein Toller, oder ein Wesen, das der Wirklichkeit nicht mehr gehört, solche Wagniß bestehen konnte.
Erst nach zwei Stunden hielt der Reiter an. Vor ihm lag auf einem kleinen Wiesenplan eine Hütte, kegelartig aus der Erde steigend, und die langen Schilfhalme ihres Daches bis auf den Boden gesenkt. Als der Häuptling leise in sein Horn stieß, kam ein Mann hervorgesprungen, der erfreut in die Hände schlug, das Pferd in Empfang nahm und den späten Gast bat, in sein Haus zu treten, wo der Tisch bereit sei. Dienstfertig eilte mit einem brennenden, harzigen Cedernspan auch ein Weib herbei, die streng und kurz den Befehl empfing, das Thier zu bürsten, zu säubern und zu pflegen, worauf sie demüthig schweigsam mit ihm davon ging.
Montague trat in die Hütte und warf sich in einen der Stühle von Binsen geflochten. Der düstere Raum war halb mit Rauch gefüllt, welcher durch die spärlichen Öffnungen im Dach einen Ausweg suchte. In der fernen Ecke brannte in einem Loche ein Feuer, dann und wann mit hellerem Schein aufflackernd und einen Augenblick den matten Glanz der kleinen Lampe vermehrend, die der Maroon zur Ehre seines Gastes angezündet hatte.
Grobes Geschirr stand und lag auf dem Boden, an der Wand war eine Lagerstelle von Moos mit einem schmutzigen Tuche bedeckt; ein Carabiner und ein breites Dolchmesser hingen neben Jagdgeräth aller Art darüber; daneben standen Milcheimer, denn dies war ein Mann, der Viehzucht trieb; und aus dem tiefen Winkel, der wie eine spitze Schlucht sich verlor, brummte und murrte es dumpf; die Hörner der kleinen bunt gefleckten Kühe rasselten an der Verschalung.
Nach einer langen Zeit, während welcher der alte Meier sorgsame und zärtliche Blicke auf den Sohn seines Oberhauptes warf, und den Tisch mit Eiern, Früchten und einigen maroonischen Lederbissen besetzte, stand dieser plötzlich auf und sagte:
»Laß Deine Anstalten, guter Palmer, ich bin weder hungrig noch müde. Behalte nur mein Pferd, ich komme zurück, und statt meines zerrissenen Kleides gieb mir Deinen Mantel.«
Er legte seinen Überwurf ab und nahm den des Meiers, der, ohne ein Wort zu sagen, that, was jener wollte. Als er die Jagdkappe auf seine Locken drückte und der Thüre zuschritt, blickten die Augen des alten Mannes ihm nach, aber er that keine Frage. Er blieb nur an der Öffnung stehen und sah mit Entzücken, wie der junge Häuptling hoch über die stachlige Hecke sprang, welche den Wiesengrund einfaßte. Das Licht der unermeßlichen Welten im südlichen Kreuz leuchtete hell genug, um die Dunkle Gestalt zu verfolgen, wie sie an den Felsenwänden hinfloh, dann auf dem Gipfel stand, einem Adler gleich, der am Firmamente schwebt, und endlich sich darin verliert.
Der alte Maroon dachte an die Tage seiner eignen Jugend und Stärke; er murmelte wohl zehn blumenvolle Reden vor sich hin, durch welche er Montague mit allen möglichen starken Thieren, mit Bäumen und Gebirgen verglich, aber er schüttelte den Kopf, als er die Richtung bedachte, welche der Held seines Stammes nahm. Dort ging es hinab in die Ebene zum Meere, zu den falschen Weißen, und was wollte der dort, der in den Bergen König war?
Er war unmuthig darüber, so unruhig, daß er seinem Weibe, dem Lastthiere, die aus dem Stalle kam und schnatternde Fragen that, einen derben Stoß versetzte, nach Maroongebrauch und Sitte, und vielleicht würde er dies öfter noch wiederholt haben, wenn nicht bald darauf der Bürger Fauchet und dessen Begleiter eingetroffen wären, welche hungrig über die Vorräthe herfielen und den Ärger des alten Mannes glücklich beseitigten.
Montague hatte inzwischen seinen Weg fortgesetzt, behutsam vermeidend, was ihn aufhalten konnte. Kein Maroon durfte im Lande umherwandern ohne einen Erlaubnißschein, keiner eine Botschaft ausrichten ohne eine Bescheinigung des weißen Herrn, der ihn benutzte. Jetzt war die Miliz der Grafschaft auf den Beinen, die Kirchspiele hatten ihre Wächter vermehrt, die Pflanzungen wurden von großen wilden Hunden bewacht, aber der Maroon lachte über alle diese Vorsichtsmaßregeln.
Wer konnte den freien Sohn der Wildniß aufhalten, der keinen gebahnten Weg nöthig hatte? Auf der Höhe an der Pflanzung des reichen Herrn Adams unter den Kohlpalmen, die, wie schöne Federbüsche, im Nachtwinde schwankten, stand der junge Neger still und ließ sein Auge auf das erleuchtete Haus hinabschweifen. Was wollte er hier? Was hatte er an einem Orte zu schaffen, wo sein Erscheinen mit Gefahren verknüpft war?
Der Mond lag fern auf dem Rande des Meeres, das seinen strahlenden Schild ihm entgegenhielt, und als sehe er in einem Spiegel seine dunkle der Verachtung und Knechtschaft preisgegebene Gestalt, wendete er sich seufzend ab und stieg langsam, vorsichtig durch die Gehege und Becken in den Schatten der hohen Jasmingebüsche, bis er fern am Ende derselben sich in einer Laube niedersetzte. Die Töne der Musik schallten aus dem Hause zu ihm herüber. Er konnte die schönen, weißen Menschen sehen, in ihren dunkeln, flatternden Locken, geschmückt mit Blumen, blitzenden Goldspangen und Gehängen, wie sie wirbelnd sich drehten, wie ihre liebeheißen Augen und Herzen sich suchten, und er saß allein, lauschend auf Verrath, auf das heisere Gebell der Hunde, die ihn zerfleischen würden, wenn man ihn entdeckte. Um ihn summten Myriaden Feuerfliegen und glänzende Käfer, die den Wasserfall vergoldeten und beglühten, der aus dem Felsen quoll und klingend leise in ein Marmorbecken stürzte.
Mit Heftigkeit schlug Eduard Montague endlich beide Hände über sein schwarzes Gesicht, und als er die Finger krampfhaft verschlungen hielt, sprach er mit schmerzlicher, dumpfer Stimme:
»Wer bin ich, Du großer allmächtiger Geist, daß ich elend und verachtet lebend und sterben soll? Weswegen hast Du mich verdammt? Sind Deine schwarzen Kinder von Dir verstoßen; ist es denn nicht genug, daß wir wild und arm sind, unwissend und ohne Freuden; muß meine Farbe hinreichen, daß sie mich verachten?! O! ihr schwelgerischen, eiteln Weißen, ihr grausamen, harten Menschen, ich wollte eine lange Rechnung mit euch halten, und nun – nun ist meine Hand schwach geworden. Ich verfluche euch, und doch – doch möchte ich euch lieben.«
Wie er die letzten Worte sagte, hörte er Schritte, die den Gang heraufkamen, und kaum behielt er Zeit, tief in den Winkel der Laube dicht an der Felsenwand zwischen dem Geblätter sich zu verbergen, als ein Mann hereintrat, in dem er auf der Stelle seinen Feind Williamson erkannte. Es war, als wenn die scharfen Sinne des Kreolen den Verborgenen witterten, er starrte suchend umher und stampfte heftig mit dem Fuße auf, als er einige Male auf und abgegangen war.
»Es will mir das Herz zersprengen,« rief er laut, »ich kann es nicht ertragen, ich muß sie sprechen, muß es ihr sagen, denn jeder Augenblick wird mir zur Höllenpein. Sie kommt nicht, noch immer nicht, wenn sie nicht käme, – ha, bei Gott! –«
Er knirschte mit den Zähnen und drückte die Hand an seine Stirn. –
»Erst seit der Narr hier ist,« fuhr er mit tiefer, bewegter Stimme fort, »erst jetzt weiß ich, wie sehr ich sie liebe und daß ich – Da kommt sie,« sagte er, »ich will ruhig sein.«
Im Augenblick trat eine weißleuchtende Frauengestalt herein, deren Stimme einen süßen Schauer durch die Adern des verborgenen Lauschers jagte.
»Sie haben mich sprechen wollen, Williamson,« sagte sie. »Geschwind denn, offenbaren Sie Ihre Geheimnisse, ehe man uns vermißt.«
»Theuerste Judith,« erwiederte der Pflanzer, indem er ihre Hand ergriff, »sagt Ihnen keine Ahnung, was ich Ihnen zu entdecken habe, und spricht nichts dafür in Ihrer Brust?
»In der That,« versetzte sie lächelnd, »das ist ein unerwartet feierlicher Eingang, Herr Williamson.«
»Scherzen Sie nicht, Judith, es bringt Verzweiflung über mich.«
»Also Ernst,« erwiederte sie, »und im vollen Ernst, mein lieber Freund, Sie machen mich bange und besorgt über Ihr heftig aufgeregtes Blut.«
»Ich bin ruhig, aber hören Sie mich an. Ihr Vetter ist zurückgerufen worden. Wissen Sie weshalb?«
»Ohne Zweifel, um mich mit seiner weißen zarten Hand zu beglücken und zu seiner Frau zu machen,« erwiederte sie lachend.
»Morgen schon wird Ihr Onkel Ihnen seinen Willen eröffnen.«
»Aber diesen Willen werde ich nicht befolgen.«
»Dann sehe ich finstere Tage und Stunden über Sie hereinbrechen.«
»John ist ein Narr,« rief Judith lebhaft, »wie kann ich einen Menschen heirathen, der die ganze Wichtigkeit seines Daseins in seinen Rock, seine Frisur, seinen Stockknopf oder seine Manschetten setzt? Ich will nicht, Herr Williamson, verlassen Sie sich darauf. Die finstern Tage fürchte ich nicht, aber ich danke Ihnen für die Warnung vor einem Übel, das ich freilich schon längst geahnet habe.«
»Und nun, theuerste Judith,« fuhr Williamson fort, indem in ängstlicher Spannung seine Stimme zitterte, »ich fürchte mich zu sprechen und doch muß ich es thun, weil Schweigen mich tödten würde. Sie verachten den Gecken, der nicht werth ist, den Saum Ihres Kleides zu berühren, aber haben Sie nie bemerkt, daß auch ein anderer Mann längst von Ihrer Schönheit, Ihren Tugenden, Ihren edlen Reizen gefesselt wurde? haben Sie nie geahnet, was in seiner Brust vorging? Doch, mein Gott! wie sollten Sie es. Ist er sich selbst doch seit wenigen Stunden nicht bewußt geworden, wie es da drinnen steht, und daß sein Leben ein Nichts, ein trostloses, elendes Dasein ist, wenn ihm die Hoffnung genommen wird, es durch Ihren Besitz beglückt und reich zu machen. Reden Sie Judith,« rief er mit Heftigkeit, »um Gottes willen: reden Sie, ich kann diese schreckliche Ungewißheit nicht ertragen.«
»Herr Williamson,« sagte sie, »ich bin nicht so sehr überrascht, wie ich bestürzt bin über diese schnelle Aufklärung. Warum soll ich es leugnen, daß ich längst geahnet habe, Ihr Wohlwollen würde mir zu Theil.«
»Meine heiße, meine ewige Liebe, Judith,« rief der Kreole mit Leidenschaft, indem er ihre Hände mit Küssen bedeckte. »Nie habe ich empfunden, was ich jetzt empfinde. Mir mangeln die Worte, ich bin kein Mann der Zunge, Judith, aber mein Wille ist ewig, mein Herz unwandelbar. Sagen Sie mir das Eine, sagen Sie mir, daß ich hoffen darf; oder ich bin verschmäht, wie John, der Narr?!«
Er stieß diese Worte fast drohend aus, dann fuhr er fort:
»Verzeihung, Verzeihung! Sie wissen nicht, was ich dabei leide. O! Judith, verschmähen Sie mich nicht. Ich kann nicht von Ihnen scheiden, bestes, theuerstes Mädchen, ohne eine Hoffnung der Gewährung, dann will ich ruhig sein und mich fügen.«
»Geben Sie mir Zeit zu überlegen,« sagte sie, »wir müssen Beide unsere Lage bedenken.«
»Diese mädchenhafte Bedenklichkeit,« rief Williamson, »wie Mancher mußte schon darunter leiden.«
»Und haben Sie auch selbst bedacht,« versetzte Judith, »was mein Oheim, was John Ihnen an Widerstand bereiten, wie sie eilen werden, Ihre Wünsche zu durchkreuzen?«
»Mögen sie es,« rief Williamson, »ich bin der Mann, das zu ertragen und zu Schanden zu machen. Ja, lassen Sie uns bedenken, aber lassen Sie uns handeln, lassen Sie mich handeln, Judith, rasch, sicher, kühn.«
»Wer ist da?« rief Judith, und sprang auf. »Ich hörte ein Geräusch. Gehen Sie, Williamson, schnell, gehen Sie, wir finden uns wieder.«
Als er fort war, blieb sie in der Mitte der Laube stehen.
»Wie betrübt und beängstigt mich das,« sagt sie, »und o! wie lange habe ich mit geheimer Furcht in sein unbewegliches Gesicht geschaut, während seine Augen in Leidenschaft glühten.«
Plötzlich drehte sie sich um und sagte laut:
»Wer steht dort an der Wand hinter dem Quell? Wer ist so unverschämt, mich zu behorchen? Du bist es, John? ist das Deine feine Erziehung? So komm denn hervor und bestätige das alte Sprichwort, daß der Horcher an der Wand meist seine eigne Schande hört.«
Mit langsamen, leisen Schritten trat Montague zu ihr hin. Sie wich zurück vor der fremden, großen Gestalt bis an den Eingang des Geblätters; da fiel ein Mondblitz durch die Büsche und sie erkannte ihn.
»Eduard Montague, der Maroon,« rief sie überrascht, doch freundlich lächelnd, »was lockt Dich in diesen Garten?«
»Du, Herrin,« erwiederte er.
»Ich,« sagte sie. »Was kannst Du wünschen?«
»Mein Ohr ist scharf,« sprach der junge Häuptling. »Du sprachst, als ich Dir gegenüber saß: Mag er kommen und mein weißes, gutes Gesicht anschauen, wenn es ihm gefällt und er kein so schönes in seinen Bergen findet. Ich bin gekommen.«
»Und nun?« fragte Judith, »nun hast Du mich gesehen.«
»Ich werde geben,« erwiederte er sanft, »und niemals werde ich wiederkehren. Doch höre mich, Herrin: Geh aus diesem Lande, geh weit fort und werde glücklich. Möge Gott Dich segnen, der groß und gut ist. Lebe wohl!«
Sie faßte sein Gewand.
»Du warnst mich, Montague. Droht mir Gefahr?«
Er machte ein bejahendes Zeichen, dann sagte er schnell: »Schlafe sicher, ich wache für Dich. Du hast einen Freund in den Bergen, der für Dich sterben kann.«
»Und warum will mein Freund nicht für mich leben?« erwiederte sie gerührt.
»Warum?« rief er und mit schmerzlicher Gewalt preßte er ihre weiße kleine Hand in der seinen. »Ziehst Du sie nicht fort, fliehst Du nicht?! Sieh mich an; blicke her, was liest Dein Auge? O, ich Narr! bin ich nicht schwarz, wie deine Sklaven dort? Mitleidig schlägst Du deinen Blick nieder. Lebe wohl, Herrin, Du bist mild und gütig, aber bemitleide mich nicht, ich bin stolz, wie Du.«
Mit einem raschen Sprunge war er aus dem Gehege.
»Montague,« rief Judith, »kommt morgen, ich will Dich hier finden.«
Er antwortete nicht; die Büsche rauschten. Nach einigen Minuten war er oben. Sie sah ihn im Mondlicht unter den Palmen. Sein Mantel flatterte im Winde, das Schwert blitzte in seiner Hand, um seinen Nacken hing das goldene Horn.
»Wie schön, wie kühn ist dieser wilde Mensch,« sagte sie nach einem langen Schweigen, »und wie feig und gemein sind jene zahmen Geschöpfe, die dort tanzen.« –
Gedankenvoll ging sie zurück, sie tanzte nicht mehr. Williamson hoffte vergebens auf einen Blick des Einverständnisses.
Am nächsten Tage geschah, was Williamson ihr angekündet hatte. Der alte Herr benutzte eine günstige Gelegenheit, ihr seine Wünsche und John's Hoffnungen auszudrücken. Er wollte den Einwand nicht gelten lassen, daß die Zeit von vierundzwanzig Stunden doch allzu kurz sei, um Entschlüsse zu fassen, welche für ein ganzes Leben Gültigkeit haben sollten.
»Du bist ein wildes, übermüthiges Mädchen,« sagte er, »wie ernsthaft und besonnen auch Dein Gesicht jetzt aussieht; ganz nothwendig ist es, daß Du einen Herrn und Gefährten findest, der Dein Leben regelt und in feste Grenzen bringt. John aber ist ein guter, freundlicher Bursche, er wird leider Deinen Launen und Einfällen vielleicht einen allzugroßen Spielraum geben, und das werden, was die Weiber einen guten Ehemann nennen. Nun aber keine Possen, Judith, Du hast Deine Jahre und bist immer ein verständiges Kind gewesen. Verdirb mir die Freude nicht, Mädchen, seit Jahren ist es ja mein liebster Wunsch und den Gefallen mußt Du mir thun. Was willst Du denn auch? Ihr paßt zusammen, wie zwei Leute nur immer auf der ganzen Insel passen können.« –
Und nun rechnete er ihr an den Fingern vor, wie es gar nicht anders sein könnte, und Judith lachte. Es war gar zu komisch, daß sie dem Onkel den Gefallen thun sollte, ihren Cousin zu heirathen, aber der alte freundliche, kluge Mann rechnete aufmerksam weiter, addirte die Äcker zusammen und die Capitalien und brachte heraus, daß ein kleiner sehr unbedeutender Vortheil allerdings noch auf Seiten Judith's wäre.
»Dafür aber,« sagte er zum Schluß, »bekommst Du einen Mann von Welt und feinen Sitten, was mehr werth ist, als ein Paar tausend Pfund, die Der oder Jener mehr haben mag.«
»Williamson, zum Beispiel,« rief Judith.
»Williamson!« sagte Herr Adams und sein lächelndes Auge nahm plötzlich einen Grad der Aufregung an, der durch die Fleischmassen seines Gesichts drang und eine Falte auf seiner Stirn zusammenzog; »höre mich an, Mädchen, was ich Dir zu sagen habe. Er ist ein wohlfundirter Mann, und was sein Gut betrifft, obwohl es sich mit dem unsern nicht messen kann, ist es doch groß genug, um mit Achtung von ihm zu reden. Was aber sein Wesen und sein Gemüth betrifft, so gehört es zu denen, die man ehren und fürchten, aber niemals lieben kann. Es ist ein schwarzgallichter Gesell, immer bereit zur raschen That, ein Mensch dessen heillose Heftigkeit eben jetzt das ganze Land in schwere Sorge versetzt. Denn hat er nicht mit seiner übermüthigen Wildheit den ganzen Streit mit dem elenden Negergesindel in den Wäldern angezettelt? Und wie er die Maroons behandelte, so wird er Jedem thun, der seine Leidenschaft aufregt, die so ungebändigt ist, wie das Meer, wenn es stürmt. In Sonnenschein und Windstille kann er wohl auch glatt und friedlich sein, wie jenes, aber lieber wollte ich sehen, ein Wesen, das ich gern hätte, liefe in die Mornen hinauf unter die Wilden und lebte in den armseligen Strohhütten mit einem der Vagabonden dort, als daß es sein Schicksal mit dem des reichen Williamson verkettete, der es doch nimmermehr glücklich machen kann. Ich sage das nicht zu Dir, Judith,« fuhr er fort, als er bemerkte, wie aufmerksam die schöne Nichte seinen Worten folgte. »Williamson ist über die Jahre hinaus, wo er die Theilnahme junger hübscher Damen erregt. Er ist ein guter Dreißiger, seine Jugend war wüst, das hat ihm tiefe Spuren aufgedrückt; daß er öfter zu uns kommt, ist mir auch recht, er ist ein gefälliger Freund und Nachbar, und Du –« er unterdrückte eine Bemerkung, die er machen wollte, – »Du sollst sehen, daß ich recht habe, Du wirst eine glückliche Frau sein, die Freude und der Stolz meiner alten Tage, eine glückliche, hochgeehrte Frau. John wird Mitglied der Assembly und Niemand soll sagen, es war je ein Mann im hohen Rathe, der fröhlicher über die Schwelle seines Hauses trat, als John Adams.« –
Er reichte ihr seine breite Hand und Judith hielt diese fest.
»Oheim,« sagte sie, »ich möchte Sie ungern betrübt sehen. Sie haben mich erzogen und Gutes an mir gethan, was ich nie genug preisen kann. Daß Sie mich ganz zu Ihrer Tochter machen wollen, ist ein neues Zeichen Ihrer Liebe und Güte. Ich will gern Ihren Wünschen folgen, sobald es hier in meinem Herzen Ja dazu sagt, aber mancherlei Bedenklichkeiten sind zu erwägen, und was ich auch thun möchte, mein Cousin hat nicht minder seine Stimme. John ist jung, ein reicher Erbe. Es giebt viele schöne Mädchen hier, die ihre Blicke auf ihn werfen werden. John hat Augen, er wird sie nicht zumachen. Gold und edle Abkunft stehen ihm offen bei seiner Wahl; er kennt das Land nicht, er hat es kaum betreten, wir dürfen nichts übereilen, darum –«
»Ist das Deine ganze Sorge, beste Judith,« rief John, indem er die Thür öffnete, wo er verborgen gelauscht hatte, und nun herein trat, »so wisse, daß ich mir ganz und gar nichts aus allen den schönen und reichen Damen mache, die auf der Insel sind. Du bist zu bescheiden und hältst mich zu hoch, oder zu hochmüthig, ich liebe die Einfachheit, und was ich in fremden Landen gesehen und erfahren, dafür will ich gern Dein Lehrmeister sein. Deiner Mutter Haus in Kingstown hat allzu lange leer gestanden; wir wollen es zum Muster des Geschmacks und der guten Sitte machen. Gastlich und festlich soll es sein und Du die Königin darin, liebste Judith, so siehst Du auch aus mit Deiner hohen, stolzen Stirn. Fort mit allen kleinlichen Lebenssorgen! Wir stellen die Pflanzungen unter Aufsicht eines Intendanten und behalten uns die Oberherrlichkeit vor. Wie wirst Du prächtig aussehen in den neusten Moden von London; wie wird man mich beneiden um die Schönste der Schönen, und wenn es uns hier zu langweilig wird, so schiffen wir über's Meer, leben in England, in Frankreich, in der Schweiz oder in Italien; das können wir, das wollen wir, ja, auf Ehre! Das soll geschehen.«
Jetzt erst sah Judith, daß Ihres Vetters Blut in ungewöhnlicher Aufregung war. Das Leben auf der Insel war ein Leben voll kreolischer Genüsse. Die schwelgerischen Freuden der Tafel und der Flasche standen dabei obenan, aber man war gewöhnt, unter diesem heißen Himmel zwischen den süßen, köstlichen Früchten, leckeren Speisen und schäumenden, schweren Weinen doch ein gewisses Maß zu halten.
Wer aus dem Nebelhimmel Englands in dies Sonnenland kam, mußte sich wohl hüten vor allem Übermaß. Da aber der Engländer am Nordpol, wie in der Südsee, immer Altenglands Sitten und Gebräuche mit sich umherträgt, so war die regelmäßige Folge davon, daß jährlich die Hälfte am gelben Fieber starb, welches auch diejenigen der Eingebornen häufig hinmordete, die längere Zeit entfernt gewesen waren, und mit fremden Gewohnheiten bereichert wiederkehrten.
Judith sagte daher lächelnd und drohend:
»Du hast mit Deinen jungen Gefährten augenscheinlich zu oft meine Gesundheit getrunken, um zu wissen, was Du thust. Williamson war wohl nicht zugegen, um euch durch seinen Ernst in Ordnung zu halten; nimm Dich aber in Acht, John, daß statt der Braut, die Du erwerben willst Dich nicht der bleiche Reiter, welcher nächtlich über die Klippen und Felsen jagt, in seinen Arm faßt und auf sein gelbes, glutsprühendes Roß wirft, das noch keinen Sterblichen von dem fürchterlichen Rücken wieder absteigen ließ.«
Sei es nun, daß John sie nicht verstand, oder daß er die alte Sage vergessen hatte, wie der böse Geist, der die Pest über den ganzen Kreis der westlichen Colonien so oft verbreitet, ein bläulich schimmerndes, entsetzliches Gespenst sei, das auf feurigem, riesenhaftem Pferde über Land und Berg jagt, und, was sein Athem berührt, dem Verderben weiht; er umfaßte den schlanken Leib seiner Cousine mit einem seiner Arme, sah ihr lachend ins Gesicht, und rief:
»Meiner Treu, Du bist schön, Du bist schöner als Alle! Magst Du auch so wild und eigensinnig sein, wie eine böse Nixe, das reizt noch mehr. Was will denn der Narr, der Williamson, der mir sagte, Du würdest mir nicht gefallen, Du hättest nichts von dem, was man liebte hier zu Lande? Dein Haar sei schwarz, Dein Auge eine Nacht voll Sterne, Deine Haut gelb gebräunt.«
»Da hat er Recht,« erwiederte Judith.
»Was kümmert es mich,« rief John, »ich habe es Williamson schon gesagt, daß afrikanisches Blut in Deinen Adern ist. Er wollte mich todtschießen dafür, der Eisenfresser. Was mache ich mir daraus? Ich heirathe Dich, Judith, von Jugend auf haben wir Dich ja damit geneckt, Du kleine, gelbe Hexe, und –« hier hielt er plötzlich inne und taumelte zurück; ein lautschallender Schlag ins Gesicht hatte ihn getroffen. Judith stand vor ihm mit heißen, messenden Blicken.
»Und von Jugend auf habe ich Deine Unverschämtheit in dieser Weise vergolten. Weil ich keinen Beschützer habe, muß ich mir selbst vor der frechen Rohheit Schutz verschaffen.«
Der junge Adams stand beschämt und abgekühlt; der alte Herr aber, der bisher ruhig lächelnd John seine Sache führen ließ, gerieth in gerechtem Unwillen.
»Unbesonnenes, heilloses Mädchen,« rief er, »wer ist roher, als Du selbst in Deiner wilden Leidenschaft. John hat Recht, es ist afrikanische, blinde Wuth in Dir, und was hält mich ab, Dir die ganze Gewalt fühlen zu lassen, welche ich über Dich besitze.«
»Beim Himmel!« sagte John finster, »Danke Gott, Judith, daß Du ein Weib bist.«
»Hasse mich immerhin,« erwiederte sie stolz, »ich kann es ertragen.«
»Du sollst ihm die Hand reichen, und um Verzeihung bitten,« rief der alte Herr, und er schlug auf den Tisch, daß es dröhnte, »oder ich will Dir einen Tanz aufspielen, der Deinen Übermuth zu Boden schlagen soll.«
»Thut es,« sagte das Mädchen trotzig, »ich will nicht!«
Wahrscheinlich hätte der Streit eine immer ernstere Wendung genommen, wenn nicht plötzlich, als Herr Adams zornig aus seinem Schaukelstuhle sprang, durch eben die halboffene Thür, welche John einließ, auch Williamson hereingetreten wäre.
»Was wollen Sie thun, Freund,« sagte er und hielt ihn zurück; »ich hoffe nicht, daß Sie Judith kränken oder beleidigen werden.«
Die Wuth des alten Herrn bekam durch das plötzliche Erscheinen des Mannes, dem er seit kurzem offenbar abgeneigt war, eine neue Richtung.
»Was ich thun will, Herr Williamson?« fragte er. »Das ist, wie ich denke, Herr, meine eigne Angelegenheit, bei der jeder Fremde überflüssig ist.
»Nicht überflüssig, Herr Adams, wenn es sich darum handelt, einer Dame Schutz zu verleihen gegen Gewalt.«
»Gewalt!« rief der alte Herr. »Wer übt Gewalt?«
»Es scheint mir allerdings,« versetzte der Pflanzer mit einem spöttischen Blick auf Johns rothes Gesicht, »als wäre Gewalt durch Gewalt hier schon vertrieben worden.«
Der Hohn in seinen Worten gab dem jungen Adams das volle Bewußtsein seiner Schmach.
»Herr Williamson,« sagte er, »Sie verletzen die Rechte der Gastfreundschaft, wie kein Mann von Ehre dies soll. Ihr übermüthiger, anmaßender Stolz hat schon gestern mich zu kränken gesucht; ich warne Sie, Herr, sein Sie auf Ihrer Hut.«
»Sie warnen mich!« rief der Kreole und sein Gesicht verzog sich in Spott, während ein mitleidvolles Lächeln um seine Lippen spielte. »Junger Mensch, kennen Sie den Ralf Williamson? – Ich gebe wenig auf das Drohen eines Knaben,« fuhr er stolzer fort, »und vergesse gern die Beleidigungen eines alten Freundes, aber hüten Sie sich selbst, John Adams. Jede Langmuth hat ihre Grenzen und die meine ist kurz.«
»Ich wünsche sie nicht verlängert zu sehen,« rief John hitzig, »und fordere Sie auf, augenblicklich diesen Ort zu räumen, wenn nicht –«
»Wenn nicht Gewalt mich vertreiben soll. Gewalt, Herr John, ich bin dabei, wie Sie diese wünschen.«
»Halt!« rief der alte Herr und zog seinen Sohn zurück; »Du sollst nicht, bei Gottes Allmacht! Du sollst keinen Schritt thun, kein Wort mehr sagen. Herr Williamson hat Recht, Du kennst ihn nicht. Wie er da vor Dir steht, ist er Dir in Allem überlegen, armer John, nur nicht in dem, was man Herzensgüte und Gefühl nennt. – Er war noch nicht so alt wie Du, und er hatte zwei Duelle gehabt, in denen er seine Gegner niederschoß; ja, gewiß, es ist in diesem ganzen Lande Niemand, der besser, wie er, die Waffen zu führen weiß und mehr körperliche Geschicklichkeit besäße. Soll es Dir auch so gehen, wie jenen, willst Du, daß Dein alter Vater mit Kummer und Verzweiflung über Dein Grab sich beugt? Halt, John, ich weiß, Du hast Muth genug, ihn nicht zu fürchten, aber was Du willst, kann leichter, besser und gesetzmäßiger vor sich gehen. Herr Williamson,« sagte er und wendete sich zu dem Pflanzer, »es thut mir leid, daß es unter alten Freunden zu so ernsthaften Erörterungen kommen soll. Ich hätte gewünscht, sie zu vermeiden und Alles im Guten still zu ordnen, Sie selbst aber heben dies Verlangen auf.«
»Ich denke, Ihnen nie Anlaß gegeben zu haben, sich über mich zu beklagen,« sagte Williamson kalt und bestimmt. »Ich kam, um Abschied von Ihnen zu nehmen, und war an dieser Thüre Zeuge eines Vorganges, der meine ganze Theilnahme erweckte.«
»Ich kenne diese Theilnahme,« entgegnete der alte Herr, »und da es Noth thut, so hören Sie meine Meinung. Ich weiß, daß Judith Wünsche in Ihnen erregt hat, die niemals zur Wirklichkeit werden können.«
»Und warum nicht?« fragte der Kreole.
»Das fragen Sie? Was zum Henker? weil Judith mit John so gut wie verlobt ist.«
»Es fragt sich,« sagte Williamson, »wie weit Sie den Zwang und die Gewalt Ihrer Rechte ausdehnen wollen. Das aber glaube ich behaupten zu können, daß Miß Judith niemals freiwillig und in Liebe diesen Bund schließen wird.«
»Und ich,« rief der alte Herr empört, »ich sage Ihnen, sie wird, sie soll und sie muß! Wäre es aber auch nicht so, nun und nimmermehr würde ich meine Einwilligung geben, wenn sie etwa den tollen Einfall hätte, Ihre Lebensgefährtin zu werden. Ich glaube es nicht, ich sage und meine nichts, ich will Sie nicht beleidigen, Herr, aber wie die Sachen stehen, so ist es nothwendig, daß wir uns trennen, und daß Sie die Güte haben, – es muß heraus, Herr Williamson, – daß Sie dies Haus meiden, bis es ruhiger darin geworden ist. Im übrigen will ich gern und jederzeit zu Ihren Diensten sein.«
Williamson blickte einige Minuten lang den alten Herrn finster an. Er kämpfte einen schweren Kampf mit seiner Leidenschaft, dann sagte er langsam:
»So schüttele ich den Staub auf diese ungastliche Schwelle, die mein Fuß nicht wieder betreten wird. Sie haben mir gesagt, was Sie empfinden und wollen, ich bin Ihnen gleiche Offenheit schuldig. Wissen Sie denn, ich liebe Judith, und sie soll mein sein, Herr Adams, hören Sie, was ich sage, sie soll mein sein und wenn der junge Herr da mit dem Rock von Seide und den Knöpfen von Perlmutter schon den Ring am Finger trüge und der Priester am Altare wartete; ich würde sie doch gewinnen.«
»Es ist lächerlich, theurer Herr,« rief der alte Mann, »es ist unverschämt,« schrie er zornig; »was Sie da sagen, ist Unsinn! Judith heirathet John, und wenn eine Stimme aus den Wolken riefe: Es soll nicht sein! ich sagte, es soll, es muß geschehen! Und hier ist auch meine Geduld zu Ende,« fügte er erschöpft hinzu. »Lassen Sie uns allein, gehen Sie meinetwegen wohin Sie wollen, thun Sie, was Ihnen gefällt, es ändert sich nichts. In meinem Leben habe ich mich nicht so viel geärgert und so viel gesprochen.«
»Und um wen? sagte Judith, »um meine arme Person, die man hier wie eine Waare behandelt, ohne nach meiner Zustimmung zu fragen.«
Sie schlug ein helles Gelächter auf, das zornig und verächtlich klang.
»O, über die klugen Leute,« rief sie, »die ganz vergessen, daß ich auch einen Willen habe. Und so erkläre ich hier denn eben so feierlich, daß ich es äußerst thöricht finde, um den Besitz eines Wesens zu streiten, an dem Niemand ein Recht hat. Bin ich etwa eine Sclavin, der ihr Herr einen Mann giebt und sagt: Dieser soll es sein! Es empört mich, das zu denken; womit habe ich diese Verachtung verdient? – Fort mit Euch, fort mit Euch Allen! Kann der gemeine Sinn sich so weit vergessen, über mich, wie über ein Eigenthum zu schwören, so sehet wohl zu, ob Ihr den Schwur halten könnt. Ich sage nein tausendmal nein! und werde mich zu schützen wissen.«
Sie ging schnell aus dem Zimmer. Bald darauf verließ auch Williamson das Haus und den ganzen Tag über war es öde und still darin.
Am Abend war in der Nachbarschaft ein Ball, aber John mußte allein in Begleitung seines Vaters den Weg antreten.
»Laß sie schmollen,« sagte der alte Herr, »in ein paar Tagen wird sie vernünftiger sein, dann wollen wir weiter reden.«
Tief in der Nacht öffnete Judith die Thür der Veranda und trat hinaus. Die Pflanzung lag, wie todt, vor ihr ausgebreitet, es regte sich nichts. Die Waarenhäuser und Gebäude stiegen in dem lichten Scheine des Mondes auf, so friedlich schweigsam, wie in der Landschaft eines Malers, als haftete kein Seufzer, kein Fluch an diesen geschwärzten Mauern, als hätten sie nie das Geschrei des Schmerzes, das Wimmern der Gemarterten gehört. Mit langsamen Schritten ging sie durch den großen stillen Raum. Die Schatten der Gebüsche hüllten sie ein; der Duft der Violen und der Goldlackfelder, welche wildwuchernd weit bis an die Berge liefen, der Granaten und tausend blühender Bäume und Pflanzen erfüllte den ganzen Luftkreis mit süßem, nervenreizendem Balsam.
Plötzlich stand Judith still und sah zu dem Hügel auf, der den Garten schloß. Dort stand ein alter Drachenbaum, ein riesenhafter, weitverzweigter Patriarch, der zahllosen Tornados getrotzt hatte und seine Wurzeln, sein Geäst, sein traufenförmiges, dichtes Geblätter bis an den Boden senkte. Es regte sich in diesem undurchdringlich finstern Raum, der wie eine Insel mitten in dem Silberlichte lag, das um ihn ausgegossen war, und gerade auf der Grenze, da, wo der Schatten die helle Fläche abschnitt, saß ein Mensch, den Judith sogleich als den erkannte, um den sie gekommen war. –
Sie stieg hinauf, er kam ihr entgegen und reichte ihr die Hand. So führte er sie ohne Furcht und Zögern zu dem Baume, wo er seinen Mantel zum Sitz ausgebreitet hatte, dann ließ er sich an ihrer Seite nieder und hielt ihre Finger fest in den seinen, ohne zu sprechen.
»Montague,« sprach Judith endlich, »Du bist gekommen, ich danke Dir.«
»Ich hörte Deinen Ruf, Herrin,« erwiederte er. »Lange sann ich heut darüber nach, ob ich Dich sehen sollte. Es mußte sein; ich erwarte Deine Rede.«
»Erzähle mir von Deinem Lande, von Deinem Leben, von Dir,« sagte Judith.
»Mein Land?« erwiederte der Häuptling verwundert und lächelnd; »es ist arm und wild; mein Leben einsam, Herrin, ich habe Dir wenig zu erzählen. Zuweilen, wenn ich in unsern Wäldern wandelte, Du kennst sie nicht, wie schön und gewaltig sie sind; wenn ich allein war, auf viele Meilen ein einziges lebendiges Geschöpf, und wenn ich oben stand auf jenen Klippen, die in das unermeßliche blaue Gewölbe der Luft steigen, und von der höchsten scharfen Spitze herabschaute auf die Insel, die so tief und klein zu meinen Füßen verschwand, auf das Meer hinaus über Himmel und Erde, dann öffnete sich mein Auge und ich empfand, wie verächtlich die Menschen den großen Gott um seine Welt betrogen. Ich wußte, daß ich besser war, wie jene stolzen Buccras Abfälliger Ausdruck für »Weiße«.; meine Brust that sich weit auf, ich hätte Dir vieles sagen können. Acompong war bei mir.«
»Acompong,« sagte Judith, »das ist Dein Gott.«
»Mein Gott,« wiederholte der Maroon, »er ist auch Dein Gott, Herrin. Er hat die Welt erschaffen, den Himmel, die Sterne, Dich und mich. Nenne ihn mit allen Namen, was hat das mit ihm und seinem heiligen Wesen zu schaffen? Aber Du bist eine Christin,« rief er, und ein Lächeln lief über sein Gesicht. »Du hast einen eigenen Gott, einen eigenen Himmel und verdammt sind die, welche nicht an ihn glauben.«
»Sind die Beiden nicht blind und ihr Aberglaube zu verwerfen?« versetzte Judith nun auch lächelnd.
»Und ihr,« sagte der Neger, »Du, Du wandelst im Lichte! – Wenn es wahr ist, was eure Weisen sagen,« fuhr er nachdenkend fort, »wenn das Land, auf dem die Menschen wohnen, wie Major James mich gelehrt hat, nur ein Splitter der Welt ist, ein Nichts gegen die unermeßlichen Sterne, welche auf uns niedersehen, o, Herrin! wie thöricht ist es dann von Deinen Priestern zu glauben, sie allein erkennen und begreifen Den, der Alles geschaffen. Da oben in den leuchtenden Sonnen, wen mögen sie dort anbeten, was mag für sie Gott und Wahrheit sein?«
Er stieß ein bittres, heftiges Lachen aus und sagte dann:
»Ihr ruft nach Weisheit und seid die ärgsten Thoren. Ihr faltet die Hände und sagt: Gerechtigkeit, Tugend, komme zu uns, daß wir seien, wie unser Gott! und ihr seid falsch und ungerecht. Ja, der Maroon ist besser wie eure treulosen Männer; er verachtet nicht die andern Wesen seiner Art. Er betrügt die nicht, die auf ihn vertrauen; er ist arm, und wild und einfältig. Er hat keine Priester und keine Tempel, er betet nicht, aber er fürchtet den großen Gott und eine Stimme sagt in ihm: Sei gut, weil Gott gut ist!«
»So hassest Du die Weißen?« sagte Judith, lebhaft gerührt von dieser Sprache.
»Ich hasse sie, ja – ich haßte sie Alle, ehe ich Dich sah,« erwiederte er. »Und wie sollte ich die nicht hassen, die nur gewohnt sind, den schwarzen Mann als einen Elenden zu mißhandeln und zu verfolgen. Als ich Dich sah, Herrin,« fuhr er milder fort, »starb die kalte Hand auf meinem Herzen. Meine Finger ließen das Messer los, das ich gezückt hatte, um es dem schlimmsten Feinde meines Stammes in die Brust zu stoßen. Aus Deinen Augen leuchtete Güte, die mich entzückte, und ich sagte mir: Sie sind nicht alle fühllos und grausam. Ich sah Dich wieder an und Deine Stimme war Wohllaut in meinem Ohr; ich hätte Dich bitten können, immer zu sprechen, weil es mich gut machte; ich hätte vergessen können, daß Cudjoe's Geist durch die Wälder der Mornen geht, daß ich Montague heiße und daß mein Volk auf mich sieht.«
»Du bist der Sohn des obersten Anführers der Maroons. Wo stammst Du her? sage mir das.«
»Weit über das Meer dort, o! weit,« sagte er und blickte mit seinen glänzenden Augen schwermüthig in die Ferne und dann in Judith's Gesicht. »Der weiße Mann ist stolz auf seine Abkunft und sein Alter, wir könnten stolzer sein als er, denn unser Geschlecht ist älter. Die grausamen Spanier hatten schwarze Männer geraubt und hergeführt, aber viele entflohen. Dein Volk, nicht besser, als jene, hat die Sclavenkette weiter ausgesponnen, aber der Tag wird kommen, wo sie zerbricht.«
»Möchte er morgen erscheinen,« rief Judith. »Gewiß, Montague, hätte ich die Macht, sie zu lösen, es wäre längst geschehen.«
»Weil Du gut bist, Herrin,« sagte der Neger und er küßte ihre Finger, »weil Gott in Deinen strahlenden Augen wohnt. Der Maroon ist frei, Cudjoe hat ihn frei gemacht, aber Niemand hat sein Werk vollendet.«
»Wer war Cudjoe?« fragte Judith.
»Ein alter Mann, ein Neger, ein Sclave, der Dein Volk bezwang, daß es Frieden machen mußte. Er wohnte dort oben, er erbaute Acompong und Trelawneytown. Es waren Männer hergebracht worden, Coromantees, groß und wild, welche die Sclavenkette niemals tragen konnten. Zu diesen kam ein andrer Stamm, schön und stark, die man Madagaskaren nannte. Ihr Haar war weich und lockig, nicht so kraus, wie das Haar eurer Sklaven, der Eboeneger; ihre Farbe war glänzend schwarz wie die Nacht, ihre Augen, groß und hell, funkelten wie die Sterne, ihre Stirn war hoch und voll, ihre Nase schmal, wie die der weißen Männer.«
»Und Du,« rief Judith, indem sie ihn lebhaft anblickte, »Du gehörst zu diesem schönen Stamme?«
»Ich bin der Urenkel ihres Häuptlings,« erwiederte Montague, »der hoch im Ansehn stand und aus dessen Familie immer Cudjoe's Nachfolger erwählt wurden.«
Judith legte die Hand auf seine Locken, die weich wie Seide an seiner Stirn niederflossen. Sie schlang sie um ihre Finger, er senkte leise den Kopf und legte ihre Hände in die seinen. So saßen sie stumm und blickten sich an. Endlich lehnte sich Judith an seine Schulter, er legte den Arm um ihren Leib, ein Schauer der Freude, des Entzückens durchdrang ihn, er zitterte in süßer schwindelnder Erstarrung.
Der Mond machte Alles tageshell. Die Pflanzung lag tief vor ihnen; an dem saftigen Grün der Cacaonutbäume und dem reichen Geblätter der Mangolas rieselte das glänzende Licht nieder und schien in Silberströmen über den Blumenboden hinzufließen. Plötzlich tönte ein Horn aus der Sklavenstadt und eine rauhe Stimme schrie unverständliche Worte.
Mit einer raschen heftigen Bewegung sprang der junge Häuptling auf seine Füße.
»Hörst Du es,« sagte er und sein Auge rollte wild, »sie rufen die Sklaven aus dem Schlaf, der ihre Knechtschaft zudeckte. Hörst Du ihre Hunde heulen, welche die Elenden bewachen? Ha, wie bald, wie bald kann auch um meinen Fuß die Kette klirren, und wenn man Dich entdeckt, Dich, Herrin; wenn sie erführen, daß Deine Hand in der des elenden Negers lag, sie würden Dich ausstoßen, sie würden Dich verachten, doch Du – Du wirst schwören, es sei erlogen, und sie würden Dir glauben, denn wie könnte es auch möglich sein?«
Judith sah ihn stolz an.
»Ich würde nicht schwören,« sagte sie, »Dich nicht verleugnen, doch wenn ich schwören soll, so will ich sagen –«
Sie hielt inne. Der Schall des Windes trug Menschenstimmen von der Waldseite, wo der Weg hinlief, zu ihnen herüber. –
»Mein Oheim kehrt zurück,« flüsterte sie. »Ich bin Deine Freundin, Montague; ich habe Dich lieb. Geh, sie sollen Dich nicht finden, jetzt nicht; komm morgen, ich werde hier unter dem Baume sitzen.«
Er sah sie fest an und sagte leise:
»Ich werde kommen, ich glaube Dir.«
Plötzlich sank er vor ihr nieder, drückte ihre Hände an seine heiße Stirn, dann aufspringend an sein Herz und entschlüpfte in den finstern Schatten der wilden Feigen. Sie glaubte ihn noch darin verborgen, da stand er schon jenseits auf der Höhe, ein schwebender Schatten, der plötzlich versank, wieder im Lichte erschien und verschwand.
»Kühner Mann,« sagte Judith, »wie ein Löwe der Wildniß, so schön und kühn. Wer machte ihn so willensstark, wer gab ihm diese Gedanken, diesen Stolz, dies Leben, dies Feuer seiner Augen?«
Sie stand sinnend still und murmelte leise Worte vor sich hin:
»Warum ist er nicht weiß, warum nicht – Adams Sohn. – Adams Sohn!« sie lächelte. »Ist er es nicht,« rief sie, »und ich, ah, ich bin Eva's Tochter! Traurige Schlechtigkeit der Menschen und ihrer Vorurtheile! Dieser da könnte eines Königs Sohn sein, so edel ist seine Seele. Eduard, Montague, Du bist weißer, als diese weißen Herren!«
Seit dieser Nacht gingen zwei Wochen hin und oft war es dem alten Herrn Adams, wenn er so in seinen Träumen lag, auf den weichen Kissen in dem Bett mit dem Musquitogehängen, als hörte er ein Rauschen und Knarren an der Veranda. Er warf aber nur einen matten Blick durch die Gaze, hörte das Schwirren der Leuchtkäfer, der geflügelten Ameisen, oder das häßliche Singen der großen Blutsauger, welche durch die offenen Fenster schwärmten, offen, damit die Nachtkühle frisch und frei einbringen mochte, verwünschte alle die gräulichen Geschöpfe, welche Gott zur Plage der armen Menschen geschaffen, und schlief wieder ein.
An jedem Morgen aber brachte Judith die Zeitung von Kingstown herein, sobald der Oheim in seinem Stuhle saß, Verwalter und Aufseher ihre Berichte erstattet hatten, und er, seine Zigarre wohlgefällig zwischen den breiten Lippen, das erste Glas süßen Swizzle Alkoholisches Mischgetränk auf Rum-oder Gin-Basis. mischte. Er sagte nichts dazu, wenn sie ihm die Hand küßte, er schaute es auch ruhig an, wenn sie in geschäftiger Eile über die spiegelblanken Mahagonifußboden lief, und unterdrückte die Freude, mit der er ihre häusliche Sorgfalt beobachtete. Was er that, war wohlberechnet und John hatte ihn darum gebeten, so und nicht anders zu verfahren.
Der junge, übermüthige Mensch war zu der Einsicht gekommen, daß es unter seiner Würde sei, den empfindsamen Schäfer zu spielen und um Herz und Hand eines Mädchens sich abzumühen, die dem Himmel doch eigentlich für ihr Glück danken sollte. Er war überzeugt, daß er am Ende unwiderstehlich sei. In allen Gesellschaften, wo er erschienen war, eroberte er im Fluge die Stolzesten, bezauberte sie Alle mit seinem Witz, seiner Höflichkeit, seinen geselligen, feinen Manieren, und diese wilde, gelbe Cousine dies Mischlingsblut, murmelte er zwischen den Zähnen sie sollte mich verschmähen?!
Er hätte sie wahrscheinlich gänzlich verachtet, wenn sie nicht so besondern Reiz für ihn gehabt hätte. Erstens, war sie sehr reich, dann war ihre hohe hochgewölbte Stirn, die Fülle ihrer dunkeln Loden, und der wunderbare, feuchte, seltsame Glanz ihrer schönen Augen wirklich Gegenstand seiner aufrichtigen Bewunderung, endlich aber war er auch aus Stolz und Haß ihr Anbeter. Aus Stolz, weil es ihm schmeichelte, dies spröde Herz zu bändigen, aus Haß gegen den elenden Nebenbuhler, gegen Williamson, worüber er freilich oft lachte und seine Glossen machte.
Er ließ seine Cousine aber doch beobachten und beobachtete sie selbst, ob nicht etwa der Kreole, den er zu Allem fähig glaubte, ein heimliches Verständniß unterhielte, ob er Briefe ins Haus zu bringen suchte, ob er nicht etwa selbst erschiene? allein nichts von Allem ließ sich entdecken.
Williamson hatte eine Zeit lang mancherlei Geschäfte, von denen man meinen sollte, sie würden die Liebesgrillen und Plagen in den tiefsten Hintergrund seines Herzens bringen, denn er war nach der Hauptstadt berufen worden vor die Assembly und den Gouverneur, und dort hatte es Ärger genug und heftige Streite gesetzt über die Maroonangelegenheit, welche noch immer im vollen Gange war. Manche Stimmen sprachen gegen ihn, er fand jedoch noch mehr Freunde und nach manchen stürmischen Sitzungen kam es dahin, daß die Majorität sich nicht allein dafür erklärte, die schwarzen Vagabonden mit allen ihren Klagen abzuweisen, sondern ihnen auch weder Acker, noch ihren alten geliebten Intendanten zu bewilligen.
Man ging von dem Grundsatze aus, daß man durchaus keine Concessionen machen müsse, weil diese Wilden, wenn ihnen ein Finger gereicht werde, die Hand und den ganzen Körper nach sich ziehen würden. Besorgnisse vor Feindseligkeiten machten sich wohl auch geltend und mancher Blick hing beobachtend und sorgenvoll an den düstern Waldgewinden, aber die Verachtung und der Haß waren bei der Menge viel zu groß. Zudem hatte man Nachricht, daß die Maroons in Acompong und die windwärts wohnenden freien Neger keineswegs die Ansichten ihrer Brüder in Trelawneytown theilten; im schlimmsten Falle also hatte man es nur mit diesen zu thun und war ziemlich gewiß, mit ihnen ein schnelles Ende zu machen.
Auffallend blieb es jedoch, daß man gar nichts von ihnen hörte. Die Vogelhändler, die Butterverkäufer, die geschäftigen Boten, welche sonst in der Stadt erschienen und ihre Dienste anboten, waren seit einiger Zeit verschwunden. Capitain Craskell, der Intendant, brachte zwar gute Botschaft aus den Bergen, aber er schien Scheu zu haben, auf seinen Posten zurückzukehren.
Es war eine große Volksversammlung in Trelawneytown gehalten worden, alle waffenfähigen Männer waren dort beisammen gewesen aus der ganzen Gemeinde. Der alte Montague hatte zur Ruhe ermahnt, Frieden geboten und es mit seinem Ansehen durchgesetzt, daß Arbeiter, wie es die Regierung wollte, um zu sehen, ob ihre Befehle Macht hätten, zu dem Straßenbau abgesendet wurden; allein die vier Commissaire bemerkten, eben so wohl die wilden Blicke der jungen Mannschaft, wie ihr Geflüster, und ihre heimlichen Gedanken, die sie nicht vor den scharfen Augen des Mißtrauens verbergen konnten; sie sprachen daher die Meinung aus, daß dieser Stimmung nicht zu trauen sei und daß man sich bereit halten müsse auf jeden Fall.
So kam die kriegerische Regung in alle Gemüther. Vorsichtsmaßregeln wurden angeordnet, viele Pflanzungen wurden mit Gräben und Pallisaden umgeben, Wächter aufgestellt gegen einen Feind, der nicht vorhanden war, und in aller Eile die Fregatte Succeß zurückgerufen, welche das dreiundachtzigste Regiment, eines der wenigen, die auf der Insel noch geblieben, an Bord genommen hatte, um es in der Mole St. Nicolas auf Domingo ans Land zu setzen, wo der Krieg gegen die Franzosen und ihre schwarzen freien Mitbürger im vollen Gange war. Zuweilen brachte der Seewind den fernen Schall des Kanonendonners über das Meer, der von den Gestaden Hayti's herübertönte. Eine Bangigkeit ergriff dann die weißen Herrn, daß dieser Laut, wie Glockentöne der Freiheit, an den hohen rothen Klippen abprallen und in den Herzen von hunderttausend Sklaven wiederhallen würde.
Die Pflanzer auf Jamaika waren in der Regel nicht grausam. Sie waren stolz und im Gefühl ihres Rechtes, mit dem erkauften Menschengut zu schalten und zu walten, aber sie waren kluge, berechnende Kaufleute. Sie wußten, daß die Kuh, welche Milch und Butter geben sollte, auch Futter und Sorgfalt bedürftig sei, und so paarten sie mit der Strenge die Milde, denn es lag ein Keim in ihrem altenglischen Charakter, bedächtiger zu handeln, ein gewisses Recht auch im Sklaven zu achten, alte Gewohnheiten zu ehren und ihre Leidenschaften besser zu zügeln, als die wilden, übermüthigen Kreolen auf Domingo es gethan. Das hatte selbst die Glut der Tropensonne nicht aus ihren Adern schmelzen können.
Ihre Sklaven sangen auf den Feldern, verwünschten die Maroons, tanzten Abends unter den Cacaobüschen, bauten ihre kleinen Mais- und Yamsfelder mit Lust und schüttelten die Palmenpflaumen von den Bäumen, welche um ihre Hütten standen. Aber die Herren wußten doch recht gut, was afrikanische Leidenschaft sei, und eine geheime Furcht stak tief in ihren Herzen, die Furcht vor dem entfesselten Knecht, das Gefühl der Gewalt mit der Stimme der Natur im Kampfe.
Die Sklavenzwinger wurden darum stärker verwahrt, die geheimen Besuche, sonst allnächtlich von verliebten Leuten aus einer Pflanzung in die andere gemacht, wurden streng verboten, bewaffnete Wächter und Hunde hüteten alle Wege, jeder Neger wurde aufgegriffen und bestraft, der zur bestimmten Stunde nicht in seiner Wohnung sich befand, und dies Mißtrauen vermehrte sich durch allerlei Gerüchte von heimlichen Agenten drüben aus dem Heerde der Revolution, welche durch die Insel schweifen sollten, um das Gift der Verführung auszustreuen.
Bei solcher Bewandniß war es gefährlich, ein Fremder zu sein. Es kamen Verhaftungen vor, Mißhandlungen durch den Pöbel, harte Strafen für die schwarzen Übertreter der Vorschriften, und man konnte es den Maroons wohl nicht verdenken, wenn sie in ihren Bergen blieben, denn mehre wurden schwer bedroht, aus den Pflanzungen gewiesen und Büchsenläufe auf sie gerichtet.
Die großen, schönen Kinder der Wildniß gingen stumm davon. Ihre dunkeln Gesichter zeigten keinen Zorn und keine Aufregung. Sie verschwanden in den Wäldern, aber man hörte ihre Hörner an der ganzen Küste hin. Der Knall ihrer Karabiner schreckte mahnend die Herren von den weichen Kissen. Es war, als hätten sie zur Lust sich vorgenommen, den Buccras zu zeigen, was diese zu erwarten hätten, und daß das Land nach allen Seiten ihnen offen liege, so daß Niemand sicher sei und doch Niemand wissen könne, wenn und wie ihn sein schreckliches Schicksal ereile.
Der alte Herr Adams, welcher die Zeitung von Kingstown eifrig las, legte auch das Blatt zwei oder dreimal fort, als er in den Bergen Schüsse fallen hörte, und dann nahm er es mit finster Miene wieder auf und sagte:
»Das heidnische Gesindel, mag es verdammt sein! es ist Niemand seines Lebens mehr sicher. Aber hier steht es und es wird und muß auch anders werden. Oberst Gallimore hat den Befehl, mit dem dreiundachtzigsten Regimente einen Cordon um die rothen Berge zu ziehen und Lord Balcarres hat den Montague und den andern Anführern der gesetzlosen Schufte angedeutet, sie sollten zu ihm herabkommen und zwar ohne Waffen, damit er ihnen ihr Unrecht vorstelle.«
»Das heißt, Lord Balcarres will unterhandeln,« sagte Judith, »aber sie werden nicht kommen.«
»Sie werden nicht kommen? meinst Du,« erwiederte der alte Herr, indem er nachdachte. »Sollten sie es wagen und doch – es wäre schlimm, wenn sie nicht kämen.«
»Ich meine das,« fuhr Judith fort, »weil ich nicht kommen würde, wenn ich ein Maroonchef wäre. Da oben in meinen Bergen möchten sie mich suchen, wenn sie wollten, aber hüten würde ich mich hinabzusteigen, mein Knie zu beugen, mich zu demüthigen vor dem stolzen Lord oder mich in seine Gewalt zu geben; und ich denke, die Maroons sind klug genug, das zu begreifen.«
»Ich denke es nicht, und glaube, sie werden erscheinen und in die Schlinge gehen,« antwortete eine bekannte Stimme unter dem Fenster.
»Capitain Craskell,« rief der Pflanzer, »wie können Sie uns so erschrecken? Doch herein, herein!« fuhr er fort, aber er ließ den Ton sinken und schwieg, als er, neben dem Capitain, Williamson erblickte, der ehrerbietig den Hut zog und Judith begrüßte, welche die Thür der Piazza geöffnet hatte.
»Verzeihung, Herr Adams,« sagte er, »daß ich störe. Ich ritt mit Capitain Craskell vorüber; er wünschte Sie einen Augenblick zu begrüßen, um Ihnen guten Tag zu sagen und einige Neuigkeiten mitzutheilen.«
»Das Neueste ist,« fiel der Capitain lachend ein, »daß die Maroonchefs versprochen haben zu kommen, und wenn sie wirklich so dumm sind, beim Himmel!« – hier that er einen Soldatenfluch – »so verdienen sie nichts Besseres, als ihre Nester nicht wieder zu sehen.«
»Aha,« rief der Pflanzer mit einem schlauen Augenzwinken, »ich merke wohl, man wird dafür sorgen und ein Stückchen salzig Wasser zwischen sie und ihre Höhlen legen. Wird man? Ha?«
»Ich weiß es nicht zu sagen,« erwiederte Craskell in der Art, die bestimmt ausdrückte: Das kannst du wohl denken, daß es so ist. »Aber,« fuhr er fort, »es könnte doch auch sein, daß sie entwischen, oder daß sich eine Rauferei entspänne. Ich setze den Fall, man wollte der allgemeinen Wohlfahrt wegen sie festnehmen und es gingen bei ihrem Widerstande ein paar Kugeln durch die harten Wollköpfe – dann, Herr Adams, läßt sich fast voraussetzen, daß die verzweifelten Schurken da oben einen blutigen Kampf beginnen werden. Da nun ihre Pflanzung so recht am Ein- und Ausgange der Schluchten liegt, könnte es wohl sein, daß in einer finsteren Nacht ihr mörderisches Geschrei Sie aus dem Schlafe weckte, und es sind wilde rachsüchtige Gesellen darunter, verstockte, blutgierige Teufel, Herr Adams.«
Der alte Herr wurde sichtlich bestürzt durch diese Mittheilungen. Er hatte sich die Gefahr nicht so nahe gedacht. Jetzt stieß er einen tiefen Seufzer aus und warf einen langen finstern Blick auf Williamson.
»Wenn man es gelassen hätte, wie es so lange war,« murmelte er, »wenn man sie nicht aufgestört hätte, so könnten wir ruhig schlafen. Aber gut, Capitain Craskell, ich danke Ihnen, Herr, gewiß, ich will mich dem Vergnügen nicht aussetzen, an einem hübschen Morgen mit abgeschnittener Kehle unter den rauchenden Trümmern meines Hauses zu liegen.«
»Nur keine unnöthige Angst,« erwiederte der Capitain. »Oberst Gallimore besetzt jeden Paß, Oberst Quarrell bildet eine zweite Linie. Da ist Hülfe genug vorhanden, und General Walpole, Lord Balcarres selbst und Oberst Hull mit seinen Dragonern umringen die Berge von allen Seiten.«
»Alles gut,« erwiederte der Pflanzer, »allein es wird mich nicht abhalten, mein Haus in Kingstown zu beziehen. Ich denke auch, wir werden dort am rechten Platze sein,« fügte er lächelnd hinzu. »Da ist meine Nichte Judith, die künftig dort wohnen soll, und John wird es wahrlich lieber sein, wenn er in Muße seine Einrichtungen trifft, als wenn er hier in Angst und Sorgen um seine hübsche Braut lebt.«
Er blinzelte auf Williamson, um den Eindruck seiner Worte zu beobachten, dann auf Judith, der er die Hand drückte. Er hatte seit drei Wochen nichts gethan, was die Festigkeit seines Entschlusses anzeigte, jetzt bewies er, wie es damit stand.
Williamson veränderte keinen Zug seines ernsten, gebräunten Gesichts, auf Judith's blasser Stirn sammelte sich ein leichtes Roth; der Capitain aber brachte seine Glückwünsche dar mit vieler Theilnahme und in wohlgesetzten Reden.
»Ich kann es mir denken,« sagte er, »daß dies ein Bündniß ist, das die zärtlichste Zuneigung schließt. Wie sollte es auch anders sein. Herr John ist ein junger Mann, der ein Stolz dieser Insel zu jeder Zeit sein wird, und wo fände sich eine junge Dame von so glänzenden Eigenschaften, wo Geburt, geistige Vorzüge, körperliche Schönheit und die treffliche Zugabe des Reichthums so herrlich vereint wären. Wahrhaftig, diese Verbindung wird Aufsehen erregen. Wer kennt den jungen, trefflichen Gentleman nicht, der auf den Bällen alle Herzen bezaubert, der die neuesten Moden ins Land gebracht hat, den Neid aller Nebenbuhler erregt, und wer sollte sich nicht mit Entzücken das Glück malen, das aus dieser so passenden Verbindung entspringen muß. Was sagen Sie, Williamson?« fuhr er dann fort. »Warum stehen Sie da, Mann, ohne meine Glückwünsche zu vermehren.«
»Weil ich schon wußte, was Sie jetzt erfahren,« erwiederte der Kreole, »und weil ich meine Glückwünsche schon dargebracht habe.«
»Ah, Sie sind ein Freund des Hauses, ich hatte es vergessen,« rief der Capitain. »Aber lassen Sie uns auf das Brautpaar anstoßen, auf das glückliche Paar und ganz besondere auf den Bräutigam, dem das Glück so wohl will, diesen edlen Schatz sein zu nennen.«
Craskell umarmte dabei den alten Herrn, der einen Augenblick nicht recht wußte, ob er hinter den feurigen Lobeserhebungen eine versteckte Spötterei suchen sollte. Sein Mißtrauen verscheuchte sich jedoch durch die ehrliche unbefangene Art, in welcher der Capitain zu reden fortfuhr und ihn dringend ermahnte, in Kingstown bald eine fröhliche Hochzeit zu feiern.
»Morgen, wenn es sein kann, brechen wir auf,« rief Herr Adams, »und es soll nicht lange dauern, Gott segne es! daß wir bald den Großvatertanz halten.«
Er eilte jedoch, seine Gäste von dem gefährlichen Kapitel zu bringen, und that mehre hastige Fragen an Craskell über den Stand der Angelegenheiten der Maroons, die dieser ohne Zögern beantwortete. –
»Es ist nichtsnutziges Gesindel,« sagte er in wegwerfendem Ton, »das wir zu Paaren treiben werden ohne viele Mühe. Der alte Montague ist der einzige Mann unter Allen, der eine Art Verstand hat; doch diesen würdigen Colonel, denke ich, werden wir morgen in aller Frühe in Sicherheit gebracht haben. Dann ist freilich noch sein Sohn übrig, Eduard Montague, den Sie auch hier gesehen haben. Das ist ein Fant, ein Hitzkopf; ein junger Wilder, dem der alte James eingebildet hat, er wäre ein Weiser und den das dumme Volk angafft, wegen seiner schlanken Glieder und seiner dunkeln, glänzenden Haut. Diesen werden wir beseitigen müssen. Es sind einige Anstalten auch dazu getroffen. Der Rest ist Spreu. Palmer ist ein wilder ungeschlachter Tölpel, Smid ein Riese ohne Kopf, Perkinson ein Narr; kurz, Herr Adams, es wird aus mit ihnen sein, ehe sie es selbst denken, und sollte es nicht, nun so hat Williamson noch ein besonderes Mittel, hab' ich Recht?« –
Er brach in ein wildes Gelächter aus.
»Alles schön, alles gut,« fiel Herr Adams ein, »aber wenn ich an alte Zeiten denke, –«
Er schüttelte nachsinnend den Kopf.
»Muth, Herr Adams, Muth!« rief Craskell. »Damals waren es alle Stämme des heillosen Volkes, die sich gegen uns verbunden hatten, jetzt haben wir es nur mit denen von Trelawneytown zu thun. Die Männer von Acompong und die im Westen sind gescheiter; sie wollen nichts damit zu schaffen haben, und da draußen steht Einer. Da steht er« – er deutete zum Fenster hinaus auf einen hohen, starken Neger, der unter den Bäumen im Schatten lehnte, wie eine Statue – »es ist Chambers, ein Capitain aus Acompong, der hat uns seine treuen Dienste zugesagt, denn das ist ein Glück, daß diese Einfaltspinsel der eine auf den andern Haß und Neid hegen, und ich wette, Chambers wird den wilden hübschen Montague bald ruhig machen, so ruhig, daß er sagen kann wie Mercutio: Fragt morgen nach mir und ihr werdet einen stillen Mann finden. Was, Williamson, ist es nicht so?«
Der Kreole hemmte den Redefluß seines Gefährten durch einen mißbilligenden Blick, aber er unterstützte eifrig die Gründe seines Freundes, daß der Krieg, wenn er käme, nicht sonderlich viel zu bedeuten habe. Nach und nach schien Herr Adams auch freundlicher gegen den alten Nachbar zu werden, und den Stein zu vergessen, den dieser in sein Netz geworfen. Er litt es durchaus nicht, daß die beiden Gäste sich nach kurzer Rast entfernen wollten.
Was aber ihr Bleiben besser bewirkte, als seine Einladungen, waren die kriegerischen Töne, welche sich bald darauf zwischen den Hügeln hören ließen. Es währte nicht lange und alle erkannten die Ursache. Eine Wolke röthlichen Staubes verfinsterte das Sonnenlicht, doch bald blitzte helles Waffengefunkel daraus hervor. Eine Schaar leichter Dragoner näherte sich und an ihrer Spitze erkannte man bald die hohe, ritterliche Gestalt Gallimore's, begleitet von Offizieren, welche mehr oder minder hier bekannt waren.
Alle gingen ihnen entgegen und empfingen sie auf der Veranda, während die Dragoner, schöne, wohlbewaffnete Soldaten, vorüberzogen und ihnen ein Regiment Fußvolk nachfolgte, dessen wettergebräunte Veteranen die größte Zuversicht erweckten. Craskell konnte sich nicht enthalten, den Marooncapitain, der noch immer still an dem Mangolastamme stand, zuzurufen, was er wohl meine, ob das nicht Männer seien, vor denen die Empörer in Trelawneytown zittern würden? Der große Neger warf einen höhnischen Blick auf die ziehende Schaar und dann auf den Frager.
»Wir wollen sehen,« sagte er. »Die Felsen sind spitz, Herr Craskell, die Sonne ist heiß. Buccrasoldaten schwitzen sehr, schwarzer Mann schwitzt nie. Schwarzer Mann dürstet nie; schwarzer Mann wie der rothköpfige Geier ist, fliegt über die Berge, trägt nichts, Alles leicht. Schwarzer Mann von Trelawneytown sehr stark, sehr klug. –
Craskell lachte laut.
»Ich kenne sie, alter Bursche, kenne sie Alle, Capitain Chambers, aber ich sage Dir, Guntrees Baum wird diesen Buccraskriegern Schatten geben, ehe die klugen schwarzen Männer es begreifen können.«
Der Neger erwiederte nichts, aber wie er den Kopf stolz in den Nacken warf, sah man wohl, er hegte manche Zweifel und sein Blick schien sagen zu wollen: Ohne mich kommt ihr nicht hinauf, ihr übermüthigen Massas. Judith vor Allen betrachtete ihn mit prüfender Aufmerksamkeit. Seine ungeheuern Backenknochen, die tiefliegenden, funkelnden Augen, der Bart, welcher dünn, aber wie die Borsten eines Stachelschweins, sein Kinn umgab und die unmäßig wulstigen Lippen unter einer völlig breitgequetschten Nase machten ihn abscheulich häßlich und wild.
Drei weiße Streifen liefen über sein Gesicht; ein Zeichen, daß er zu einer Obifamilie gehöre, zu jenen seltsamen Wesen, halb Priester, halb Zauberer, die einem Gotte dienten, der keinen Cultus hatte. Nächtlich tanzten sie auf Bergesspitzen um Feuer aus harzigen Cederstämmen, wilde Orgien haltend, wobei sie den berauschenden Palmensaft tranken, dann wie Rasende mit brennenden Fackeln durch die Wälder liefen, ein Geheul ausstoßend, wie kein menschliches Wesen es sonst vermag, bis sie am Morgen wieder um den Aschenhaufen kauerten und verhüllten Hauptes, starren Blickes den zitternden, demuthsvollen Gläubigen die Schicksalssprüche ihrer Zukunft aus den wunderlichen Figuren des verkohlten, heiligen Holzes weissagten.
Gallimore, der mit dem alten Adams gesprochen hatte, wendete. sich zu dem Neger und sagte lebhaft:
»Er hat nur zu Recht. In allen unsern Kriegen mit diesem Bergvolke haben wir meist darum nichts ausgerichtet, weil, ehe wir ans Ziel kamen, unsere Soldaten matt wie die Fliegen waren. Hungrig, halb verschmachtet, die Schuhe zerrissen an den scharfen Felsenkanten, erdrückt von der schweren Kleidung und dem Gepäck, fielen sie unter den Büchsenkugeln und Fangmessern der wilden Jäger.«
»Und jetzt,« rief Judith, »ist es jetzt anders, Oberst Gallimore?«
»Nicht um ein Haar anders,« erwiederte dieser lächelnd.
»Und Sie wollen doch hinauf?«
»Gerade hinauf,« sagte der tapfere Mann. »Ich habe den Auftrag erhalten, Trelawneytown zu besetzen, in alle Schlupfwinkel der Maroons einzudringen, und geben sie sich nicht, Alles zu zerstören. Morgen früh, wenn die sechs Chefs der schwarzen Männer, in unserer Gewalt sind, steige ich mitten durch die Wälder und Felsen ins Herz des Gebirges.«
»Schande über euch!« rief das stolze Mädchen, »welche häßliche Verrätherei soll den Pfad ebnen? Man fängt die Männer, welche sich um des Friedens willen vertrauungsvoll und ohne Waffen nahen, und will durch Schreck und Überraschung die Freien zu Knechten machen. Ist das englische Sitte? Hinterlist, gemeine Falschheit!«
Gallimore's Stirn rollte in Falten zusammen, er warf einen Blick auf Craskell, der laut lachend rief:
»Da haben wir eine allerliebste Vertheidigerin der Menschenrechte. Doch, mein schönes Fräulein, betrüben Sie Ihr edles Herz nicht allzu sehr. Gegen diese Diebesbande ist alle List erlaubt, alle Mittel heiligt der Zweck. Wenn wir sie nicht also packen und binden, möchte es leicht von Ihnen selbst empfunden werden, was es heißt, mit dieser Rotte Korah Korach war der Anführer eines Aufstands gegen Mose und Aaron während des Exodus des Volkes Israel. Die von Luther gewählte Bezeichnung ›Rotte Korach‹ (Num 26,9) hat sich im deutschen Sprachraum etabliert. zu thun zu haben. Nein, kein Mitleid, keine Schonung! Das ist der Schrei, der jetzt durch diese Insel geht, und ich bin stolz darauf, im Verein mit Oberst Quarrell und meinem Freunde Williamson den Plan entworfen zu haben, welchen Lord Balcarres genehmigte. Ja, wir werden diese sogenannten Capitaine fragen, wir werden das Nest in den Bergen verbrennen, wir werden die Brut vertilgen und den Rest zu arbeitsamen Zöglingen für unsere Pflanzungen machen. Wenn dieser Montague, dieser Häuptling, der den Nacken in den Wolken trägt, wenn dieser Narr ihn tief beugen muß. um die Wurzel des Zuckerrohrs am Boden abzuschneiden: es wird ein Anblick zum Entzücken sein! Williamson hat es sich vorbehalten, ihn in sein Haus zu nehmen und einen ordentlichen Menschen aus ihm zu machen.«
Dieser rohe Hohn mißfiel Gallimore, der düster vor sich hinblickte.
»Ich wollte,« sagte er, »wir hätten das Wild erlegt, aber es ist thöricht, schon vorher die besten Stücke zu vertheilen. Die Maroons sind tapfere Männer, es ist Unsinn sie zu verspotten, und dieser Montague hat etwas in seinen Augen, das nicht aussieht, als könnte er jemals an einer Zuckermühle stehen. Ja, wüßte ich das und er fiele in meine Gewalt, ich würde ihm den Weg zeigen, der ihn auf ewig vor solcher Schmach bewahrte.«
»Eduard Montague,« sagte Judith stolz, »wird niemals ein Gefangener sein!« –
Sie ging die Stufen hinab, ihrem Vetter entgegen, der so eben mit einer Gesellschaft Damen und Herren aus Kingstown anlangte; ihre Worte machten jedoch einen eigenthümlichen, befremdenden Eindruck. Craskell und mehre der Offiziere lachten darüber, andere blickten ihr verwundert nach, am finstersten und längsten Williamson.
Als die Nacht von den Bergen sank, schwer und unheimlich, und die Lichter in dem Herrenhause erloschen, stand der Pflanzer aus dem Round-hill-Bluffs auf der Hügelspitze unter dem Drachenbaume. Bald nahm er den Hut ab, um seinen Kopf in dem leisen, dumpfen Athem des Windes zu fühlen, der durch die Schluchten der Berge stoßweis fühlbar war, bald blickte er gegen Süden hin, wo eine dunkle Wolkenschicht mit zackigen, weißschimmernden Kanten lagerte, aus der ein schwaches phosphorisches Leuchten zu kommen schien, das dann und wann über die ungeheuern schwarzen Massen des Gebirges zitterte und von den hohlen Wellen des Meeres abprallte; bald wieder horchte er in das Dunkel hinaus, auf fernes Geschrei, auf ein schwaches Klirren, auf das Zucken eines Feuerscheins, der aus einem der tiefen, zahllosen Thäler aufstieg.
»Gallimore hat seine Posten gut ausgestellt,« murmelte Williamson vor sich hin, »aber sie werden einen hübschen Vorgeschmack ihrer Arbeit erhalten. Die Nacht wird stürmisch sein; immerhin mag es sein, mag der Blitz diese Stämme spalten, was kümmert es mich. – Wenn sie nicht käme, wenn sie nicht käme!« rief er mit Heftigkeit, als wollte er lauter sein, als das Rauschen des Baumes, der seine Stimme unhörbar machte. »Doch nein, sie wird kommen, meine Nachrichten sind zu gewiß.«
In dem Augenblick sah er eine Gestalt, welche aus den Bogengängen des Jasmins den steilen Hügel hinanstieg, und er stand still, sein Kopf senkte sich auf die Brust, er zitterte unwillkührlich.
»Montague,« flüsterte Judith tief athmend, »was wagst Du; ich glaubte nicht, Dich hier zu treffen, und doch sagte eine Stimme unaufhörlich: Geh, du wirst ihn finden. Flieh, du bist verrathen; sag es deinen Brüdern, deinem Vater; doch nein, geh nicht, ich wollte dir etwas sagen, du weißt nicht, was ich heut Alles erlebte. Ich soll fort, nach der Stadt; sie fürchten Alle den Krieg und wann, mein Freund, wann wird Judith dich wiedersehen?«
Niemals!« erwiederte Williamson, indem er aus dem Geblätter trat und mit rauher Festigkeit ihre Hand ergriff, die sie gewaltsam ihm entwinden wollte. »Halt! halt!« sagte er und seine Stimme schwankte zwischen fürchterlichem Hohn und schwer gebändigter Wuth, »halt! schöne Freundin eines spitzbübischen Negers. Mein Schätzchen Judith! um Gottes Barmherzigkeit! meine Ohren haben es gehört und doch können die Sinne es nicht fassen; meine Augen sahen die Schmach und ich möchte sie darum ausreißen. Sage nein, Mädchen, sage nein! und ich will Dir glauben. Ein Teufel hat es ausgesonnen, es ist nicht möglich!«
»Was ist nicht möglich?« fragte sie mit solcher Fassung, daß Williamson die Hand losließ, welche schlaff an ihm niedersank. »Was ist nicht möglich, Herr Williamson?« wiederholte sie, indem sie dicht an ihn hintrat. »Mit welchem Rechte beobachten Sie meine Schritte, mit welchem Rechte finde ich Sie hier in der Nacht? Wer wagt es mir zu sagen, was ich thun oder lassen soll?«
»Mit welchem Rechte?« erwiederte er fast traurig, indem er sein blasses Gesicht aufhob, das von dem phosphorischen Lichte einen Augenblick erhellt wurde. »Mit dem Rechte meiner Liebe, Judith! O, es ist nur allzuwahr, was Craskell sagt, daß sie mich zum Kinde und närrisch gemacht hat. Ich fühle tief, daß er Recht hat, denn Judith, ich liebe Sie noch. Es ist Wahnsinn, es ist Raserei, aber ich kann es nicht ändern, und vielleicht ist es doch nicht so, vielleicht ist es Täuschung, Verrath, man wollte mich betrügen, ich selbst – Du – Du –«
Ein krampfhaftes Zittern erstickte seine Stimme, dann sagte er:
»Es muß so sein, Gott der Gnaden! es kann ja nicht anders sein. Sie, so jung, so liebenswerth, die Edelste ihres Geschlechts und dieser elende, ekle Wilde, dieser nackte Jäger, der Maroon ohne Bildung, ohne Gefühl, ohne Sitte, ohne Zukunft! Es ist lächerlich, abgeschmackt, eine Täuschung, eine Ihrer bizarren Launen, Judith, ein Scherz, den Sie sich erlaubten, ein böser gewagter Scherz, aber doch nur ein Scherz. Nicht wahr? so war es? Sagen Sie: so war es! und beim ewigen Himmel! meine Lippen sollen nie eine Erinnerung an diese Stunde aussprechen!«
»So war es nicht,« versetzte Judith, und es schien, als wollte sie Alles thun, um die ganze Wuth des Kreolen anzufachen: »Nein, es war nicht so, aber ich habe Ihnen kein Wort zu meiner Rechtfertigung zu sagen, weil Sie kein Recht haben, diese von mir zu fordern.«
»Das sagen Sie,« erwiederte er, »aber Sie täuschen sich. Ich habe Rechte, heilige Rechte, und diese will ich niemals aufgeben. Dort unten in jener Laube haben Sie meine Schwüre empfangen; Sie haben sie angenommen, Judith, Ihre Hand ruhte in der meinen. Sie zogen sie nicht zurück, Sie riefen mir nicht zu: Schwöre nicht!«
»Und dennoch habe ich Sie nie geliebt,« versetzte sie. »Nie, keinen Augenblick lang habe ich daran gedacht, Ihnen meine Hand zu reichen.«
»Nicht,« sagte er, wie betäubt von dieser Mittheilung; »nicht – auch da nicht, wo ich in Anwesenheit Ihres Oheims einen Eid ablegte, Sie sollten und müßten die Meine werden? Dann, Judith, haben Sie mit meinem Leben und mit meiner Seele Seeligkeit ein fürchterliches Spiel getrieben. Aber mag es sein, Wahrheit oder Täuschung, gleichviel. Alle Schuld fällt auf Sie selbst. Ich, beim Allmächtigen! ich weiß mich frei und bin nicht der Mann, von einem Mädchen mich betrügen zu lassen.«
»Sie betrogen sich selbst,« erwiederte Judith. »Die wilde Leidenschaft Ihres Characters erlaubte Ihnen nicht, einen freien Blick zu thun. Vergebens glaubte ich durch eine edle Freundschaft diese verderbliche Wildheit zu versöhnen, welche jetzt sich so weit vergißt, mir zu drohen. Aber wissen sollen Sie,« fuhr sie fort und hob abweisend die Hand auf, »das auch mein Sinn unbeugbar ist. Ich befehle ihnen, zu gehen; ich befehle Ihnen, mich für immer zu verlassen und mich zu vergessen.«
»Eher,« sagte er, indem er von Neuem ihre Hand ergriff und sie so heftig zusammenpreßte, daß sie zermalmt schien, »eher werden die Berghäupter dort ins Meer stürzen und die Todten lebendig werden. Nein, Judith, nein! nichts soll mich abhalten, auszuführen, was ich beschlossen habe.«
»Und was haben Sie beschlossen?« fragte sie ruhig.
»Sie fortzuführen an einen sichern Ort, bis es möglich ist, Versöhnung in diesen traurigen Streit zu bringen. Hören Sie mich an, bewegen Sie sich nicht, versuchen Sie nicht zu entfliehen. Bei Gott! bei dem bösen Geiste, der meiner Väter Erbtheil ist, ich würde Sie erreichen, wo es auch sein mag, und ich könnte eine That thun, von der man erzählen würde, so lange die Insel steht.«
»Elender!« rief Judith empört, »selbst Ihr Messer soll mich nicht abhalten, Ihnen zu sagen, daß ich anfange, Sie zu verachten; daß der, den Sie einen eklen Wilden nennen, ein edles, reines, sittliches Wesen ist, das hoch über Ihnen steht, dessen Menschenwürde, dessen Muth und Ehrgefühl Sie nicht begreifen. Würde ich zu ihm sagen: Montague, ich liebe dich nicht, er ginge still und stolz von hinnen. Wer von Euch ist der Wilde? Wer ist der Rohe, Sittenlose? O! er ist besser, freier, ehrenvoller als ihr Alle. Er ist ein Mann, jeder Zoll ein Mann, und darum, Herr Williamson, hören Sie es, darum liebe ich ihn, obgleich das meine Lippe noch nie aussprach, es nie schwor, weil es unnöthig war, weil er es weiß, wie ich es weiß, ohne Wort, ohne Versprechen.«
»Sie ist wahnsinnig!« rief der Pflanzer und er schlug die Hände vor seiner Stirn zusammen und ballte sie dann, von Leidenschaft hingerissen. »Nur dem Wahnsinn ist es möglich, Sitte, Scham, Pflicht und Ehre so zu vergessen, aber um so fester ist mein Vorsatz, ein Wesen, das ich liebte, dem Verderben zu entreißen. In Ihres Oheims Hause würde man Sie zwingen, den Narren zu heirathen, dessen Verstand in seinen Kleidern steckt; sich selbst überlassen, würden Sie einen Weg gehen, den ich ewig beweinen müßte, weil er Schande und Spott auf Sie und Ihre Familie bringt. Ich kam heut zu Ihnen, Judith, in dem Wahne, Ihr Herz zu besitzen, und mit dem Vorsatz, Sie zu einer Flucht zu bewegen, zu der ich Alles vorbereitet hatte. Ich habe Freunde in Ihrer Nähe; diese benachrichtigten mich von Ihren nächtlichen Spaziergängen. Man hatte Sie beobachtet; nun hatte ich selbst Gelegenheit, zu sehen, mit welchem unbesonnenen Eifer Sie den Neger vertheidigten, der schon früher Ihre Aufmerksamkeit erregt und Ihren Schutz erhalten hatte. Ein Verdacht stieg in mir auf, aber ich verwarf ihn, weil er eine unerhörte Beleidigung für Sie enthielt. Ich verwerfe ihn noch, weil ich überzeugt bin, daß nur ein Fieber, der Paroxismus einer Krankheit Sie befallen hat, von der Sie genesen und mit Entsetzen daran zurückdenken werden. Noch immer bin ich Ihr Freund, Judith. Folgen Sie mir, Sie sollen, Sie müssen mir folgen. Jenseit der Hügel erwartet mich Craskell mit Pferden; an der Küste liegt ein kleinen Schoner, er bringt Sie zu der Pflanzung eines meiner Verwandten in Cuba, eines Engländers, der eine Spanierin geheirathet hat; dort ist alles zu Ihrer Aufnahme bereit. Sie werden sicher, ruhig und verborgen leben bis die Zeit um ist, wo es sein muß, daß wir getrennt sind. Von Ihnen allein wird es abhängen, wie lange ich warten muß, bis Sie mich rufen.«
»Und durch solche gesetzlose Gewaltthat,« sagte Judith stolz, »Denken Sie meinen Willen zu brechen?«
Plötzlich horchte sie auf ein Rauschen in dem Geblätter. Sie riß ihre Hand los und rief dann freudig und mit starker Stimme:
»Montague, Du kommst! Du wirst es nicht dulden.«
Williamson stieß ein verächtliches Lachen aus.
»Thörichtes Mädchen,« rief er, »schrei nach Deinem Buhlen, er wird Dich nicht hören. Eine dreifache Kette von Soldaten ist um diese Berge gewunden; bald genug, vielleicht morgen schon, werden seine schwarzen Locken, naß und blutig um die Pike hängen, an der man den Kopf des Rebellen auf das Thor von Kingstown steckt. Aber käme er, käme er doch – o! der Schmach und des Entsetzlichen! welche höllische Macht hat es denn ersonnen? – ich wollte es auslöschen, auf immer und ewig wollte ich es begraben.« –
Er war zurückgetreten, seine Hand lag am Jagdmesser. Ein blendend blauer Blitz zuckte aus den dunkeln Wolken, ein Donnerschlag, der Himmel und Erde zu spalten schien, folgte ihm nach und dicht neben Judith, wie zu ihrem Schutz aus dem Boden gezaubert, in der Faust den breiten Hirschfänger der Maroons, erblickte Williamson den, den er so eben mit tödlichem Haß herbeigewünscht hatte.
Und ehe noch das Rollen des Donners verhallte, ehe die Blitze des beginnenden Tornados, wie Schlangen durch das nächtige Gewölbe des Himmels fuhren, wurde ihr Feuer durch die Funken ersetzt, die der Stahl aus dem Stahle schlug. Bei ihrem Sprühen sahen sich die rachsüchtigen Gegner und suchten sich zu durchbohren. Ein Kampf von wenigen Minuten, aber ein entsetzlicher, begann.
Williamson, seiner Riesenkraft vertrauend, stürzte sich auf den Neger, der sich ihm entwand und ihn zurückwarf. Die Schwerter trafen zusammen, die Hiebe, mit furchtbarer Gewalt geführt, sprengten und brachen die Stangen der Gefäße. Kein Wort wurde gewechselt zwischen den Beiden, kein Fluch, kein Laut.
Plötzlich aber war es, als risse das Firmament sich auf und würfe einen Feuerballen aus dem Spalt, der die Nacht des ganzen Himmels mit Glut und Schwefellohe überdeckte. Zahllose weißglänzende Streifen zuckten daraus hervor und glitten an der Kuppel des ungeheuren Domes nieder. Die Wälder, die hohen Klippen und Felsen, das Land, das brüllende Meer mit seinen weißbeschäumten Wellen, Alles aus der Grabesnacht gerissen, lag klar in dem Zauberlichte.
Aber Judith sah nur das Eine, sie sah nur die beiden funkelnden, hochgeschwungenen Klingen, sie hörte das Schmettern des Donners nicht, aber mitten daraus hervor einen knirschenden Schlag; und als das Feuer des Himmels wiederkehrte, taumelte die hohe Gestalt Williamson's an ihr hin, als sei er davon getroffen. Noch einen machtlosen Hieb suchte er zu führen, dann stürzte er zu Boden Ein Blutstrom lief breit über sein finsteres Gesicht, Montague beugte sich über ihn, um in ungesättigter Rache ihm sein Schwert in die Brust zu stoßen.
Judith hielt ihn zurück.
»Halt ein!»sagte sie, »es ist genug.«
»Grausamer Massa!« schrie der junge Häuptling, zitternd in seiner heißerregten Leidenschaft und Siegeslust; »mein blutiges Haupt wolltest Du auf die Pike stecken und nun liegt Dein nasses Haar unter meinem Fuße und ich stehe hier und lache.«
Judith trennte ihn von dem Verwundeten und ihre Worte waren so mächtig, daß er das Schwert in die Scheide stieß.
»Laß uns fort von diesem blutigen Boden,« rief sie, »Craskell ist in der Nähe und unten in der Pflanzung hat der Tornado Alle aufgeweckt.«
»Und Du?« sagte Montague.
»Ich werde nicht zurückkehren,« erwiederte sie. »Ich kann nicht und ich will nicht. Ich will sein, wo Du bist. Dein Loos will ich theilen, mag es fallen, wie es will, ich bin Dein, Gott sei uns gnädig, es muß geschehen!«
Er hielt sie in seinen Armen fest an seinem Herzen stumm in Entzücken und in stolzen Entschlüssen.
»Willst Du mein Weib sein,« rief er, »o! ihr Massas, dann hütet euch, hütet euch wohl. Komm, Geliebte, vertraue mir. Ich führe Dich sicher in die grünen, ewigen Wälder. Du sollst in einem Palast wohnen, herrlicher und schöner, wie ihn die weißen Künstler aufrichten, denn Gott hat ihn gebaut. Aber bald wirst Du wieder in Städten leben, wenn Du es begehrst, denn beim großen Gott der Welt, ich will diese Weißen lehren, Dich zu achten, das Weib Eduard Montague's. Ich will Deiner werth sein, Judith. O, meine süße Herrin; ich danke Dir, Du bringst mir neues Leben, bringst die Stimme, welche über die Wellen des Meeres nach Kampf und Freiheit ruft, sie kehrt in meine Brust zurück.«
In dem Herrenhause wurden Lichter hin und her getragen, und in der Schlucht, zwischen den Hügeln erhellte der Schein einer Fackel die Gebüsche. Montague führte Judith schnell über die Hügel hin, dann trug er sie durch das wilde Gestrüpp des Thales, folgte dem Lauf eines kleinen Bergwassers immer aufwärts nach den Höhen, bis aus einem Cederndickicht auf seinen leisen Ruf ein Mann sprang in der leichten Linnentracht der Maroons, die Büchse in der Hand, an der andern zwei der muthigen, starken Bergrosse.
Nach wenigen gewechselten Worten schwang sich Montague auf das eine, sein Begleiter hob Judith vor ihn auf das Kissen und dann sprengte er den beiden nach, über den Kamm der steil emporsteigenden Kette, welche bis an die Region der Mahagoniwälder einen schmalen, gefährlichen Sattel bildete.
Unten in der Tiefe flammten die Nachtfeuer der Soldaten, oben loderte das Firmament in Flammen und der Sturm kämpfte in den Wolken. Wenn der Tornado mit seiner vernichtenden Gewalt losbrach, ehe sie die Waldungen erreichten, würde Roß und Mann in die Abgründe geweht sein, und Williamson hatte sich aufgerichtet aus seiner Betäubung, er wischte das Blut von seiner Stirn, sein Blick fiel auf die fernen Höhen, der Himmel, welcher seine glühenden Augen unaufhörlich aufschlug, zeigte ihm die verwegenen Reiter. Er sah die Rosse, die flatternden Gewänder, die weißen Mäntel der Maroonchefs; er glaubte Judiths schwarzes, langes Haar zu erblicken, wie es aufgelöst in der Nacht flatterte und hinter ihr ein langer, feuriger Streif zog.
Er knirrschte mit den Zähnen und taumelte vom Boden auf, da fuhr ein Heulen durch die Luft, ein Brausen, ein Krachen und Bersten der Bäume und Äste. Der Tornado kam in seiner ganzen Schrecklichkeit; die Krone des hundertjährigen Drachenbaums stürzte zersplittert an ihm nieder.
»Sie sind verloren!« rief er mit wilder Rachelust.
Nun sah er sie nicht mehr; die Flüchtlinge hatten den Wald erreicht. –
»Nein, nein!« schrie er laut, »sie sollen es nicht sein, sie sind mir verfallen! Nicht rasten, nicht ruhen will ich, nicht sterben, bis ich meine Rache genommen!« –
Der Tornado warf ihn zu Boden, die Sinne verließen ihn; so fand ihn Craskell, der mit einem treuen Begleiter aus der Schlucht heraufstieg, in welcher sie vergebens gewartet hatten. Eilig schafften sie den Verwundeten in die Pflanzung hinab, wo Verwirrung, Schrecken und Entsetzten ihrem Erscheinen folgten. Der Arzt der Pflanzung erklärte die tiefe Kopfwunde für äußerst gefährlich und empfahl die größte Ruhe. – Williamson lag schweigend unter den Schnitten der Schere und des Messers.
»Wie ist es zugegangen? Um Gottes willen, reden Sie, lieber Freund,« rief Herr Adams, »wer hat Sie so zugerichtet?« –
»Wer?« rief Williamson, indem er sich plötzlich aufrichtete, »der Teufel, der Judith stahl und sie – lauft in ihre Kammer, ihr werdet sie leer finden. Sucht sie dort oben in den Wäldern bei den Negern! Sie sind entehrt, Adams, auf ewig entehrt und ich mit Ihnen. Judith – Montague – verflucht sei seine Hand!«
Er sank zurück, das Haus füllte sich mit Jammer.
Die Fliehenden hatten in einem der gewaltigen Felsengewölbe tief im Schoße der Berge übernachtet, welche zahllose Naturrevolutionen zerspaltet und zerklüftet hatten. Hier waren sie sicher vor den Fluthen des Tornado's und Montague war unermüdlich, der, die In der Vorlage: »der«. ihn erwählt, und ihr Schicksal mit dem seinen verbunden, Beweise seiner Ergebenheit und Liebe zu geben. Er hatte ein großes Feuer angezündet, Judith auf weichem Moos gebettet und nun saß er vor ihr und lauschte auf jedem Athemzug der Schlummernden, Erschöpften.
In seinen glänzenden Augen malten sich alle die süßen und traurigen Regungen, von denen sein Herz erfüllt war. Bald strahlten sie vor Entzücken, bald senkten sie sich düster und betrachteten melancholisch das geliebte Weib; dann wieder blitzte ein hoher Muth darin auf, der erhabene, stolze Entschlüsse anzeigte. Eine wilde Gewalt der Leidenschaft verdrängte alle Sorgen und Zweifel, und doch zeigten sich diese bald von Neuem und verdunkelten seinen Blick.
Endlich aber war es nur Liebe und zärtliches Mitleid, das ihn erfüllte. Mit jedem neuen Cederstück, daß er der Flamme zuwarf, und mit jedem neuen Leuchten des Feuers sah er inniger und ruhiger auf Judith. Eine feste Zuversicht beherrschte sein ganzes Wesen. Er fühlte den männlichen stolzen Geist, der in ihr so gewaltig war, und zitterte weder vor ihrem Erwachen, noch vor ihrer Reue.
Und als der Morgen den ersten rothen Finger leise auf das ungeheure Felsenhorn der blauen Berge legte, schlug Judith die Augen auf. Montague lächelte ihr zu und sie reichte ihm die Hand. Sie stand auf und trat hinaus. Da lag die unbekannte Welt mit ihrer Wildheit und allen ihren Schrecken noch tief eingehüllt und weich bewahrt in den dichten Mantel der Nacht. Nur der einzige Gipfel glühte, wie der Thron eines Gottes. Oben war der Himmel sanft anzuschauen. Leise murrten die Wälder, und als die Schatten lichter wurden und sanken, warfen sie die Schleier ab und traten in ihrer wunderbaren Pracht hervor. Der Donner von hundert Bächen, welche der Tornado lebendig gemacht, rauschte in ihr Ohr. Von steilen Höhen ranken sie weiß schäumend nieder, funkelten hoch über den Blüthenkronen der riesengroßen Bäume und stürzten in tief ausgewaschene Klüfte, aus denen ihr Rauschen widerhallte.
Und nun stieg der Tag auf und weckte das Leben. Die Sonne rief hervor, was sie geboren: die bunten Vögelschaaren, die zahllosen Insecten und das häßliche Zerrbild menschlicher Gestalt, den Affen, der, an dem langen Schwanz sich wiegend, verwundert den fremden, weißen Menschen betrachtete, ehe er floh. Jetzt lief der helle Schein über die Abhänge und Wiesenstriche, er drang in die Schluchten und deckte die ganze wunderbare Zerrissenheit auf.
Und unten lag die Nacht noch. Der weite Kreis des Meeres war von Dunst und Nebeln eingehüllt; das Land der Pflanzer, die Küste, die Vorberge, die reiche Ebene, Alles ruhte schweigend und geheimnißvoll in der grauen Tiefe.
Judith wandte sich fort und blickte auf die sonnigen hohen Berge.
»O! wie schön ist es dort,« sagte sie. »Wohin führst Du mich?«
»Dort sollst Du wohnen,« erwiederte er und streckte die Hand aus gegen das Gebirge. »Ich habe ein kleines Haus, das tief verborgen liegt, dahin führe ich Dich, Geliebte; alle Massas der Erde sollen Dich nicht finden; für alle ihre Schätze wird Niemand bis zu Deiner Schwelle dringen.«
»Höre mich an,« sagte Judith. »Ich gehöre nicht mehr zu dem weißen Volke, das die Ebene bewohnt, ich habe gewählt, ich gehöre Dir, Deinem Stamme, Deinem Schicksal, das will ich redlich theilen im Bösen und Guten. Führe mich, wohin Du willst, Du bist mein Herr. Ich liebe Dich, Montague, weil Du stolz und gut bist, weil Du besser bist, als Alle. Auf denn, rufe dein Volk zu den Waffen, kämpfe, mache frei; vernichte die Hochmüthigen, Elenden, die es wagen, Dich um dein heiliges Recht zu betrügen, und wenn es nicht sein kann, mein Geliebter, dann, dann – stirb wie ein Mann und laß mich sterben.«
»Ich werde leben,« erwiederte der Neger. »Wie dort in Domingo die Franzosen die freien, schwarzen Bürger zu Generälen und Oberanführern, zu Richtern und Magistraten machen, wenn Gott sie mit Verstand begabte, so will ich diese stolzen Engländer zwingen, ein Gleiches mit uns zu thun. Fürchte nichts, meine schöne Herrin, ich verlache ihre Soldaten, ihre Prahlereien und ihre Künste. Du hast mich gewählt, ich sage, Deine Wahl war gut. Ich bin Deiner würdig und nun laß die Vergangenheit versunken sein. Liebe mich, Du schöne Blume der Erde; ich lebe nur für Dich, Dein hoher Sinn wird mir immer neue Kraft geben, nie will ich aufhören, Dir zu gefallen.«
Er beugte sich zu ihr nieder, die heißeste Zärtlichkeit in seinen Blicken. Sein schöner junger Körper mit den aufschwellenden Muskeln und der breiten Brust glänzte wie Ebenholz in dem Sonnenblitz, der ihn jetzt überstrahlte; seine stolzen, männlichen Züge gehörten dem Helden und dem liebeglühenden Jüngling. Er hielt sie in seinen Armen ganz berauscht von seinem Glück und rief den großen Acompong auf seinem strahlenden Weltenthrone zum Zeugen an, daß er sie ewig lieben, ewig ihr treu und ergeben sein wollte. Dann legte er ein Goldstück auf Judiths Lippen und sie nahm es lächelnd und sagte:
»Ich nehme dein Gold, nimm Du dafür mich, meinen Leib und meine Seele für immer. Vater und Mutter will ich verlassen und will Dir folgen, schwöre Du mir, daß Du mich nicht verstoßen willst.«
Das war die Heirathsceremonie bei den Maroons, Montague hatte ihr davon erzählt; nun feierte sie diese selbst mitten in dem rauschenden Mahagoniwalde, und oben von den Riesenbäumen sahen die klugen Vögel herab, mit buntem goldigen Gefieder und wiegten sich schreiend und sangen die Brautlieder.
Montague aber kniete vor ihr nieder und sagte feierlich:
»So soll Acompong mich verlassen, wenn ich Dich verlasse; so sollen die giftigen Zauber mein Gebein verzehren, wenn ich aufhöre Dich zu lieben. Du hast mein Gold genommen, nun bist Du mein. Mein Haus ist Dein Haus, mein Herz ist Dein Herz und wenn der Tod mich ruft, wird Acompong Dich zu mir führen; selig werden wir in seinen goldenen Sternen wohnen, bei ihm, dem Allvater aller Dinge.«
Nun wand er ihr den Kranz von Blumen und Blüthen und warf Graß und frische Zweige auf das Moos. – So fand Palmer die Jungvermählten, als er nach einer Stunde kam, mit Vorräthen aller Art beladen. Mit der Anhänglichkeit eines Wesens, das ein unbedingtes Vertrauen in die höhere Weisheit seines Freundes setzt, hieß er Alles gut, was geschehen, und äußerte die wildesten Freudenbezeigungen, daß ein weißes Mädchen das Weib eines schwarzen Häuptlings geworden sei; aber er hatte eine so hohe Verehrung vor dem schönen, klugen Sohne seines Oberanführers, daß Judiths Glück ihm höher dünkte, als was jener gewonnen. –
Nach einer kurzen Unterredung in der Coromanteesprache und nachdem der geschäftige schwarze Riese mit vielen Geschick Thee bereitet, frische, platte Maiskuchen aus seiner Jagdtasche gezogen und an langen, hölzernen Spießen ein paar Waldtauben gebraten hatte, wurden die Pferde aus dem Innern der Höhle gezogen, von den Reisenden bestiegen und nun ging es sorgsam und vorsichtig durch die Wälder und Felsengewinde weiter.
Judith konnte die ungeheuren Schwierigkeiten jetzt wohl begreifen, welche dies seltsame Land bei jedem Schritt dem Europäer darbot. Sie staunte diese entsetzliche Zerrissenheit an, von der sie, trotz mancher Beschreibung, keine Vorstellung gehabt, diese chaotische Zertrümmerung. Hier Klüfte, Spalten und Abgründe, welche bis in den Mittelpunkt der Erde zu führen schienen, dort Felsen, welche senkrecht steil, wie mit der Axt behauen tausend Fuß hoch aufstiegen; tief sandiges Geröll und dicht daneben aufquellender Sumpf mit dem verrätherischen, dunkeln Grün einer unermeßlich üppigen und seltsamen Vegetation bedeckt.
Bald war es auch nicht möglich, länger die Pferde zu gebrauchen. Judiths Füße wurden mit leichten Sandalen bekleidet, dann führte und trug sie der beglückte Häuptling über Klüfte und Abgründe, wo Lianengeflecht einen einzelnen Baumstamm an dem nassen Boden festhielt, bis hinauf auf die hohen Gipfel. Und wie sie umschaute, lag unter ihr die Stadt der Neger, Trelawneytown, mitten in einem Gewirr von kleinen Wiesen, Mais- und Yamsfeldern, unter Fruchtbäumen, Paradiesfeigen und den großen, köstlichen Karaibenbirnen, Hecken von Aloe und prächtigen Ananasgehegen.
Die kegelartigen Hütten sahen gar nicht so übel aus mit ihren langen Dächern von blankem Schilf unter überhangenden Felswänden, die wie zum Schirm darüber lagen. Die Unregelmäßigkeit der Wohnungen vermehrte das Malerische des Anblicks. Alle waren still und friedlich. Aus einigen stieg dicker Rauch auf und zeigte die innere häusliche Geschäftigkeit an; auf den kleinen Feldern bewegten sich dunkle Weibergestalten, mit der Arbeit beschäftigt. Die Schläge der Axt, welche ein kräftiger Mann schwang, der sein Haus baute, schallten durch das Thal. Ein paar Andere in ihrer weißen Tracht, den grünen Gürtel um den Leib, an welchem Kugelbeutel, Pulverhorn und das breite Sagomesser hing, die blanke Büchse auf der Schulter, kletterten leicht an der Felsenwand gegenüber auf und verschwanden im Walde.
Montague aber schüttelte leise den Kopf, als Judith fragte, ob er dort wohne, und welches seines Vaters Haus sei?
»Dies ist die neue Stadt,« sagte er, »welche gebaut wurde, als die Zahl der Maroons sich vermehrte. Die alte liegt tief in dem Felsenthale jenseit der Hohlwege, geschützter und sicherer, aber auch dort sollst Du nicht wohnen.«
Er setzte sich mit ihr unter einen Feigenbaum, legte den Arm um ihren Leib und sagte:
»Die Maroons sind ein armes, wildes Volk, Du wirst sie nicht verachten, weil sie roh und unwissend sind; denn ist es ihr Verbrechen? Aber so fein und schön wie Du bist, würdest Du in dem Schmutz und der Armuth jener Hütten nicht ausdauern können. Siehst Du dort den alten, ungeheuern Baumwollenbaum? Es ist der heilige Baum meines Volkes. So lange er steht, werden wir leben. Es ist Guntreesbaum, wo Cudjoe, mein Ahnherr, den ersten Frieden mit dem Anführer Deines Volkes schloß. Von diesem trägt er seinen Namen im ganzen Lande, seit länger als hundert Jahren. Hinter diesem Baume verdecken die Büsche einen Felsenspalt, senkrecht eingeschnitten, als hätte ein Zauberer ihn mit dem Schwerte zerspalten; fünf hundert Fuß hoch und doch kaum so breit, daß zwei oder drei Männer neben einander hindurchgehen können. Zwei tausend Schritte ist er lang, dann endet er in ein liebliches Thal, wohl eine Meile lang und fast so breit. Dort hatte Cudjoe sein Reich gegründet, die alte erste Stadt der Maroons erbaut und niemals haben die weißen Männer bis dorthin vorbringen können.«
»Und diese feste Burg ist Dir noch nicht fest genug?« sagte Judith lächelnd.
»Nein,« erwiederte er, »denn die Massas aus der Ebene fechten diesmal nicht allein. Sie haben durch ihre List unsere Brüder von Acompong verlockt; manche werden mit ihnen sein, und es giebt Pfade, um diese Felsen zu erklimmen. Aber hinter jenem Thale folgen andere Thäler. Es liegen neun davon, das eine hinter dem andern. Nur schmale steile Wege führen durch die Klüfte; ja, es giebt viele, welche selbst der größte Theil meines Volkes nicht kennt und nicht betritt. Dorthin, in einem dieser geheimen stillen Zufluchtsörter will ich Dich führen, Geliebte, dort sollst Du wohnen und mich erwarten.«
»Seltsam! seltsam!« sagte Judith.
»Was Du siehst,« versetzte Eduard, »hat Acompong mit seiner zürnenden Macht geschaffen. Er hat seinen schwarzen verfolgten Kindern ein freies Haus gründen wollen. Einst, so sagen die Obis, war es anders hier. Damals waren diese Berge schön und sanft; die Felsen schlummerten ruhig unter einer weichen, grünen Decke; die Bäche murmelten durch den Wald, man konnte, bis auf die höchsten Spitzen mühlos hinaufsteigen. Überall war die Natur gut, weil die Menschen gut waren, welche darin lebten. Aber sie wurden böse und schlecht und der große Geist ergrimmte über sie. Da brachen die Flammen aus der Erde Schooß, die Berge wankten, borsten und stürzten zusammen. Abgründe thaten sich auf, die grünen Wälder versanken darin und Felsen wuchsen dafür bis an die Wolken. Acompongs Geister waren losgelassen und sie freuten sich über die Zerstörung, welche von Zeit zu Zeit immer von Neuem wiederkehrt, weil der Zorn des Weltengottes nicht aufhören kann. Die Menschen sind noch immer böse, Geliebte, und noch immer bebt die Erde und spaltet sich von Neuem, zerschmettert und zermalmt die Städte an der Küste und die Wälder und Gefilde. Es wird nicht eher besser werden, bis die Menschen gut geworden, dahin muß man streben.«
»Streben, gut, weise und glücklich zu sein,« rief Judith traurig. »O! wo ist der Weg, der dahin führt?«
»Hast Du den Tornado gesehen,« erwiederte er, und ergriff ihre Hand, indem er sie fest anschaute. »Seine Blitze zerschmettern, seine Fluthen ersäufen die Heerden, aber am nächsten Tage ist das Land ein reicher Garten. Gutes wird durch Böses erzeugt, das Böse muß sterben und immer wieder sterben, bis das Gute bleibt und herrscht.«
In dem Augenblicke sprang er auf und horchte scharf in den Wind.
»Was ist das?« rief er. »Ein Schuß, und noch ein Schuß, ha! sind die Buccras so nahe? Erklimmen sie die Felsen von Trelawneytown, und mein Vater, mein Vater Simon, wo ist er?«
»Ich höre nichts,« sagte Judith.
»Dein Ohr ist das Ohr des Weißen,« versetzte der Häuptling. »Ich höre die Hörner meiner Brüder, sie fliehen, sie rufen mich. Bleibe hier, Geliebte, an dieser Stelle erwarte mich oder die ich sende.«
Er zog ein Pistol aus dem Gürtel, feuerte es ab und glitt an dem glatten Felsen nieder von Absatz zu Absatz. Mit Bangen und stolzer Freude sah ihn Judith nach. Diese kühne Kraft zur That erweckte ihre eigene Kühnheit.
»Wo ist der Mann,« rief sie, »der ihm gleicht! Wie ein Adler schwebt er durch das Gebirge.«
Sie beugte sich hinab. Ein Haufen Maroons eilte aus den Häusern, ihre Waffen in den Händen zu dem heiligen Baume. Plötzlich sprangen ein paar Männer in das Thal, matt und blutend. Was sie erzählten, hörte Judith nicht, aber nach wenigen Minuten folgten fünfhundert Krieger Montague, der, sein bloßes Schwert in der Hand, ihnen voran eilte, und Judith sah ihm nach und sagte:
»Er geht zum Kampfe, er wird als Sieger wiederkehren, der schöne, stolze Sohn der Freiheit. Ich bin sein Weib, auch in meinen Adern ist afrikanisches Blut. Ihr übermüthigen Sklavenhändler, hütet euch. Die weiße Raçe wird von diesen Inseln verschwinden; Acompong hat sie nicht für euch bestimmt. Afrikanische Leiber braucht es, um diese Sonne zu ertragen, diese Felder fruchtbar zu machen. – Thörichtes Geschlecht! Geh in dein kaltes Land; gieb uns zurück, was uns gehört, oder zittere vor der Vergeltung!«
Williamson lag seit zwei Wochen auf seinem Lager und seine Wunde heilte langsam, vielleicht weil sein Gemüthszustand eine rasche Herstellung nicht möglich machte. Er hatte sich auf seine eigene Pflanzung an der Küste bringen lassen, wo die kühlen Seewinde das Klima milderten.
Der alte Herr Adams war mit seinem Sohne dagegen nach Kingstown geflüchtet und über Judiths Verschwinden lag eine Art lautes Geheimniß verbreitet, das heißt, Jeder wußte etwas davon und Niemand sprach darüber öffentlich. Herr Adams grämte sich sichtlich. Er hatte das Mädchen aufrichtig lieb gehabt, nun kam zu dem Schaden die Schande, und welche furchtbare, unerträgliche Schande, die ihn und seine ganze Familie traf. Man sagte sich ziemlich allgemein, daß Judith doch eigentlich eine Mulattin sei, denn von solcher nur könne die Zügellosigkeit und Schamlosigkeit so weit getrieben werden, daß sie mit einem Neger auf und davon gehe, aber dennoch wußte man es nicht gewiß und tausend Gerüchte durchkreuzten sich. Bald wollten Offiziere von der Miliz gehört haben, daß ein weißes Mädchen in dem Hause eines Maroonchefs lebe, bald hieß es, ein französischer Agent habe sie entführt und oben in den Bergen versteckt, bald wieder war es ein spanischer Don, der sie glücklich nach Cuba gebracht, und man fügte hinzu, daß Judith geflohen sei, weil sie ihren Vetter gezwungen heirathen sollte.
Für den eiteln jungen John war dies eben nicht schmeichelhaft, aber er tröstete sich, wie er konnte. Er schwor, daß er selbst nicht wisse, was aus seiner Cousine geworden, daß Williamson wahrscheinlich der einzige Mensch sei, der darüber Auskunft geben könne, daß es aber ein merkwürdig starker, kühner Gesell sein müsse, beweise der zerschmetterte Schädel des Kreolen, welcher so oft sich seiner Kraft gerühmt, und verdammt wolle er sein, wenn er sich nicht darüber freue. Im übrigen aber habe er nichts mit der ganzen Geschichte zu thun, eine Cousine Judith gebe es für ihn nicht mehr auf der Welt.
Es war nun mehr als Einer, der gern Williamson gesehen und gehört hätte, aber die Wenigen, welche nach seiner Pflanzung ritten, kamen unverrichteter Dinge heim. Niemand wurde zu ihm gelassen. Hinter den dichtgeschlossenen Jalousien saß er finster blickend auf seinem Lager, oft im Paroxismus des Fiebers, von Frost und Wuth bebend, brütend über seine Rachepläne und Entwürfe, Judiths Namen leise auf den Lippen, den er dann durch einen Fluch verdrängte.
Eines Tages aber öffnete sich die Thür und wie er hinschaute, erkannte er Craskell.
»Wie geht es Dir?« sagte der Capitain theilnehmend.
»Ich denke gut,« erwiederte Williamson.
Statt der Antwort schlug der Capitain eine der Jalousien auf und sah ihn mitleidig kopfschüttelnd an.
»Du siehst einem Schatten ähnlicher, als einem Menschen, mein armer Ralf,« sagte er. »Richte Dich auf, wenn es möglich ist.«
»Wie steht es in den Bergen?« fragte der Kreole.
»Leidlich schlecht,« rief Craskell, »obwohl sie meinen, leidlich gut, die unwissenden Narren. Daß wir die Maroonchefs glücklich fingen und gebunden nach Kingstown schafften, weißt Du, aber der Angriff, welcher darauf folgte, ist gänzlich gescheitert. Der junge Montague, mag er verdammt sein! er hat alle unsere schönen Pläne vereitelt. Wir drangen, mehr als viertausend tapfere Soldaten, bis in die Felsen von Trelawneytown, und kaum dreihundert der schwarzen Schurken fochten gegen uns. Aber aus allen Büschen, aus allen Felsenspalten, ja, aus den Abgründen kamen die Kugeln und, man muß es sagen, sie verstehen zu schießen. Kurz und gut, wir mußten zurück. Lord Balcarres und die Generale waren jedoch nicht klüger dadurch geworden. Sie machten ein Paar neue Angriffe und litten eben so viele Niederlagen. Verstärkungen kamen, wir umzingelten das ganze Gebirge, aber mitten durch unsere Colonnen schlich das Gesindel in den finstern Nächten, und da brannte eine Mühle, hier eine Pflanzung, dort schlachteten ihre Fangmesser alle Weißen, welche sie erreichen konnten. – Und überall dieser Hund, dieser Montague,« rief er und ballte die Faust. »Ich habe es oft gesagt, er ist die Seele, der Nerv des ganzen wilden Haufens. Auf seinem schwarzen Teufelspferde sprengt er über Klippen und Klüfte, als wären es Maulwurfshaufen. Überall wird er gesehen, überall ist er voran und keine Kugel trifft ihn, als hätte er ein verzaubertes Leben. Balcarres hat tausend Pfund auf seinen Kopf gesetzt; tausend Pfund für einen Negerkopf!«
»Will denn Niemand das Geld verdienen?« rief Williamson ingrimmig. »Elendes Gesindel!«
»Geduld, Geduld!« sagte Craskell lachend, »ich hoffe jetzt Alles von unserm guten Freund Chambers, dem Häuptling von Acompong. Ist irgend Jemand im Stande, dem gefährlichen Rebellen den Kopf abzuschneiden, so wird er es thun. Er hat geschworen in Trelawneytown zu erscheinen, um zum Frieden zu rathen, und bei dieser Gelegenheit dürfte es sich ereignen, daß Montague's Stunde schlägt. Ist Chambers oben, so werden wir es erfahren, dann soll unser Angriff erfolgen, Guntree's Defilé erstürmt werden, und haben wir das Felsennest, ist Montague todt, so ist der Krieg beendet. Denn was übrig bleibt, wird in den wasserlosen Wäldern und Einöden umkommen, oder erschossen werden von unsern guten Freunden aus den blauen Bergen. Wir brauchen nur das Schießgeld zu bezahlen.«
Williamson hatte ruhig ihm zugehört, jetzt richtete er einen so fragenden, angstvollen Blick auf seinen Freund, daß dieser ihn sogleich verstand:
»Was das bewußte, wahnsinnige Mädchen betrifft,« sagte er, »so ist es nur zu gewiß, daß sie lebt und sich bei Montague befindet, der, wie ich gehört, einen eigenen Hofstaat für sie errichtet hat. Sie wohnt in seinem Hause jenseit der Defilé's; mehre schwarze Mädchen bilden ihre Dienerschaft und eine Schaar von Leibtrabanten oder Garde hält Wache, damit sie den Scheusalen nicht entspringen kann; denn, ich wette, sie würde es thun, wenn es irgend möglich wäre. Man ist allgemein der Meinung, daß sie gewaltsam geraubt sei, und Gallimore bat geschworen, sie zu befreien. Er verbürgt sich für ihre Ehre und Tugend; ja, ich glaube, der ritterliche Oberst reicht ihr selbst die Hand, wenn sein Degen sie aus der Negerrotte herausgehauen hat und die süße Last in seinen Armen ruht.«
Craskell lachte über seinen Spott; Williamson aber rief mit seiner alten wilden Heftigkeit:
»So ist es, bei Gottes Thron! gewaltsam ward sie hingeführt und Gallimore hat Recht, sie ist schuldlos, wer wagt es zu widersprechen? Sie ist unschuldig wie die Sonne, wenn eine Wolke sie verdunkelt. Ich kenne Judith, nie habe ich eine klarere, schärfere Verständigkeit gesehen. Sie muß befreit werden, aber Montague, verflucht sei der Name, er soll von meiner Hand sterben. Dann ist der Zauber gebrochen.«
Er war von dem Lager aufgestanden; Craskell hielt ihn sanft zurück.
»Bleib,« sagte er, »erwarte die Zeit, beruhige Dich. Wenn es möglich ist, wird sie sicher frei; wir werden sehen, ob Du dann noch Hoffnungen haben kannst.«
»Hoffnungen!« erwiederte Williamson düster, indem er die Hände auf den Verband seiner Wunde legte. »Ich müßte wahnsinnig sein, wenn ich diese Binde fasse und dann noch hoffen könnte. Ihr Ohr hörte durch das Brausen des Tornados den Tritt des Elenden, noch ehe er bei mir stand. Himmel und Verdammniß! ich sah sie in seinen Armen, ich sehe sie noch in dem Zucken der Blitze und doch – ich bin Narr genug, auf die Stimme zu hören, die mir sagt: Es ist unmöglich, es kann nicht sein!«
Craskell schlug mit einem leisen Lächeln den bespornten Fuß in das Mahagonigetäfel.
»Ich will Deinen Glauben nicht stören,« versetzte er, »ja ich wünsche es, daß Du Recht hast, aber Montague ist ein schöner, kräftiger Bursche, der schönste aller Schwarzen, die ich je gesehen, und die Maroons haben doch herrliche Gestalten aufzuweisen. Was die Farbe betrifft, was thut die viel bei einem heißen Herzen. Othello war auch schwarz und die sanfte, schüchterne Tochter des Brabantio sah es nicht. Da klagte der Vater vergeblich über Zaubertränke, vergeblich rief er: Es ist unmöglich, es kann nicht sein! Es war so, Ralf; und so wird es ewig sein. Die Weiber fürchten die Hölle nicht, wenn der Teufel ihr Herz erobert hat.«
Williamson saß tief nachsinnend eine Zeit lang, dann rief er plötzlich:
»Ich will Dich begleiten, wenn Du zurückkehrst, ich will dabei sein, wenn sie Trelawneytown stürmen.«
»Du bist krank, armer Ralf;« erwiederte Craskell, »Du kannst die Beschwerden nicht ertragen.«
»Gallimore,« sagte Williamson, »soll nicht allein sein, wenn es gilt, um Judiths Leib und um ihre unsterbliche Seele den Kampf zu wagen. Sprich nichts dawider, ich habe es beschlossen.«
Und als könne sein fester Wille über alle Leiden seines Körpers jeden Sieg erringen, so sah man ihn kräftig, wie sonst im Hause. Er ordnete was zu ordnen war, sein Intendant empfing genaue Befehle, die Widersprüche des Arztes wurden zum Schweigen gebracht und am nächsten Morgen ritten die beiden Freunde langsam auf dem Küstenwege den Bergen zu, an deren Abhängen sie am Abend die Dragoner des Obersten Hull trafen, welche die Pässe besetzt hielten. von ihnen erhielten sie die Nachricht, daß Gallimore's Regiment und ein anderes, durch einige Schützenabtheilungen und Milizcompagnien vermehrt, in der Nacht aufwärts gezogen seien und am nächsten Tage Guntrees Defilé gestürmt werden solle.
Diese Kunde reichte hin, ihre Reise zu beschleunigen. Nach einiger Rast brachen sie auf und zogen durch die wilden Berge unter Fackelschein vorsichtig weiter. Die einzige Straße, ein schmaler, tiefsumpfiger, oft von Engpässen und dichten Wäldern durchschnittener Pfad war kaum gangbar. Theils hatten ihn die ziehenden Soldaten verdorben, theils schien er von den Maroons durch Baumstämme und Felsenstücke verrammelt gewesen zu sein. Craskell warf manchen besorgten Blick auf dies Chaos, durch welches sie sich mühsam winden mußten.
»Wenn es fehl schlägt,« murmelte er vor sich hin, »so werden wenige genug von denen, die hier hinaufgingen, zurückkehren, um zu erzählen, was sie sahen.«
Gern wäre er vielleicht selbst an den Pässen geblieben, denn ihm schien nichts Gutes zu ahnen, aber Williamson bestand darauf, weiter zu gehen. Er achtete die Beschwerde nicht, welche ihm der nächtliche Zug machte, und sei es, daß seine Wunde in der That weniger schmerzte, oder daß der kriegerische Muth, der Durst nach Rache und die Aussicht auf Erfolg seine Lebenskräfte stählten, er war gesprächiger und heiterer, als er früher gewesen, und scherzte über die Besorgnisse seines Freundes so übermüthig, als sei er seiner Sache gewiß.
Als der Morgen fast dämmerte, hörten sie den Ruf der Schildwachen, und bald waren sie auf einer jener Ebenen, die, von hohen Bergen eingeschlossen, das Gebirge durchziehen. Hier fanden sie die englische Streitmacht gelagert. Oberst Gallimore empfing die Ankommenden in seinem Zelte, wo er mit einigen der ersten Offiziere einen Kriegsrath hielt, aber sichtlich waren ihm Craskell sowohl wie Williamson wenig angenehme Gäste. Der alte Major James seufzte, als er die Beiden erblickte, und sagte vor sich hin:
»Ich hätte wohl gemeint, vielleicht noch jetzt das Blutvergießen abzuwenden, nun führt der böse Feind Die zu uns herauf, welche alles Unheil verschulden, und nur der Dritte fehlt noch, Quarrell fehlt, um das ganze Drachennest beisammen zu haben, bei dessen Anblick die wilden Menschen in Wuth und Entsetzen gerathen müssen.«
Er sah seinen Freund Gallimore traurig an; der Oberst aber sagte mit fester Entschiedenheit:
»Wir haben einen listigen, grausamen Feind vor uns, der unterworfen werden muß, koste es, was es wolle. Aber wir dürfen nicht verkennen, daß die Maroons auch unter dem Schutz der Gesetze stehen, daß sie Unterthanen Sr. Majestät sind, wie wir alle, und daß ihren gerechten Klagen Abhülfe werden muß und soll, wenn sie geziemend verfahren. Ich bin daher entschlossen, wenn wir Trelawneytown erreichen, den Weg der Unterhandlung zu versuchen, und will mich glücklich schätzen, wenn es gelingt, Blut zu sparen. Darum befehle ich bei Todesstrafe, daß keine Feindseligkeit begangen wird, kein Schuß fällt, keine Drohung laut wird, bis ich das Zeichen dazu gebe.«
Alle Theilnehmer des Kriegsraths waren damit einverstanden und mehr als eine Äußerung ließ sich hören, wie es am Willen der Assembly und an dem bösen Einflusse einiger Mitglieder gelegen, daß dieser Krieg überhaupt entstanden sei. Man unterhielt sich von den Beschwerden und Gefahren, von der entsetzlichen Wildheit des Gebirges, von dem, was am Morgen geschehen werde, und tröstete sich mit der Aussicht auf eine Versöhnung, die durch Major James Beliebtheit und Gallimores Edelmuth wohl leicht vermittelt werden könne.
Craskell hörte mit unerschütterlicher Ruhe alle diese Gespräche, auch solche, die ihn persönlich beleidigen konnten. Er lächelte still vor sich hin und hielt Williamson zurück, als dieser einige Male sich einmischen wollte.
»Laß diese Narren,« sagte er leise und verächtlich, »die wie bunte Raben gelehrig nachschwatzen, was ihnen vorgesagt wird. Glück auf für den tapfern Gallimore und den philanthropischen James, ich fürchte nur, ihre menschenfreundlichen Absichten kommen zu spät. Gallimore weiß nichts von Chambers Auftrag, das ist unser Geheimniß. Erst wenn geschehen, was geschehen soll, wird er es erfahren und dann handeln, wie ein tapferer Soldat muß. Das Übrige ist nicht seine Sache.«
Der Morgen kam, und die Colonnen brachen auf; der größte Theil des Gepäcks und die Pferde mußten zurückgelassen werden. Es war ein schöner, freundlicher Tag! Die Sonne fiel heiß auf den dampfenden feuchten Waldboden, sie brannte auf die rothen, nackten Felsen, eine erstickende Hitze füllte die Thäler und Alle eilten, so schnell die ermattenden Kräfte es gestatteten, die gewundenen schmalen Pfade aufwärts, um vom Winde gekühlt zu werden, der über die freien Höhen strich.
Gallimore sah oft besorgt zurück, wenn er oben stand und auf den Haufen seiner Krieger blickte, der in dieser gewaltigen Natur so unbedeutend und machtlos erschien. Wie eine endlose Schlange ringelte sich der Zug um die Felsen, ohne Ordnung, ohne Zusammenhang. Ermattet blieb da oder dort ein Einzelner am Wege, mehre stürzten von den Abhängen in die Tiefen, wo Niemand ihnen helfen konnte, drohend sprangen Klippen, mit düsterm Wald besetzt, weit über den Pfad. Er mußte sich sagen, daß es den Maroons, wenn sie wollten, an hundert Orten leicht sein würde, den Marsch aufzuhalten, die Colonnen zurückzustürzen, sie mit Steinen zu zermalmen, und pries sein Glück, daß es nicht geschah, denn alles war schweigsam still, kein Horn ließ sich hören, kein Knall der Büchsen, keine Menschenstimme. Scharen von rothköpfigen Geiern schwebten hoch über den Wäldern und verfolgten den Zug immer in derselben stillen, kreisenden Bewegung.
Endlich, als Mittag vorüber war, hatten sie das Plateau erreicht und der Wald lag vor ihnen, welcher Trelawneytown verbarg. Gallimore ordnete seine Krieger, kleine Trupps wurden vorangeschickt, das dichte Buschwerk zu durchsuchen. Er ahnte den versteckten Feind, denn er kannte die Art der Maroons zu wohl, welche immer nur aus dem Hinterhalt fochten und mit dem Messer in der Hand erst hervorbrachen, wenn der Sieg entschieden war. Um so erstaunter war er, als man ihm meldete, nichts sei zu finden. Die braunen Schützen und die Milizen hatten Alles durchspürt, jetzt ließ der Anführer die Bajonette aufpflanzen und mit der größten Vorsicht ward der Wald durcheilt.
In diesem Augenblick schritt Williamson neben Gallimore an der Spitze.
»Oberst,« sagte der Kreole, »ich habe Ihnen ein Wort zu sagen. Sie wissen, was mich hergetrieben, was ich in jener Räuberhöhle suche.«
»Ich denke es zu wissen, Herr Williamson,« erwiederte der Offizier.
»Rache, Mitleid, Freundschaft und innige Zuneigung zu dem unglücklichen Mädchen,« fuhr jener fort, »das Alles füllt meine Brust. Fluch und Verdammniß auf den Schurken Montague.«
»Er soll der Rechenschaft über diesen Raub nicht entgehen.«
»Der Rechenschaft,« rief Williamson höhnisch, »nein, meiner Hand, meiner Kugel nicht, wenn er noch lebt. Aber Judith, Oberst Gallimore; ich will nicht aufhören sie zu suchen, und hätte man sie in den tiefsten Höhlen der blauen Berge verborgen, ja flöhe sie selbst vor mir bis in jene undurchdringlichen Einöden, von denen Niemand etwas weiß; ich will sie haben, sie ist mein, bei Gottes allmächtigem Thron! Niemand soll sie mir nehmen.«
Gallimore sah ihn erstaunt und unwillig an. In Williamson's Augen funkelte es wie Wahnsinn. Seine Züge waren verzerrt, seine großen gelblichen Augen blutig unterlaufen.
»Wenn es gelingen sollte, die arme junge Dame zu entdecken und zu befreien,« sagte der Oberst kalt, »so ist es meine Pflicht, sie ihren Verwandten zurückzugeben. Und das soll gesehen, Herr Williamson, gewissenhaft und gesetzlich, im Fall nämlich, daß es nicht ist, wie man sagt –«
»Was sagt man?« rief der Pflanzer rauh.
»Daß sie freiwillig dem Chef der Maroons folgte und sein Weib ist.«
»Und dann?« fragte Williamson, sich mühsam fassend.
»Dann mag das Gesetz entscheiden, ich habe nichts damit zu schaffen.«
»Aber ich,« rief der Kreole, »ich, Oberst Gallimore; wer es auch sein mag, ich warne Jeden, der mich hindern will. Niemand hat ein Recht, über Judith zu verfügen, als ich allein; Niemand soll sich darin mischen, oder er sehe zu, was die Folgen sind.«
»Ich habe keine Zeit, die Ausbrüche Ihrer Leidenschaft anzuhören,« erwiederte Gallimore stolz. »Sie hätten wohlgethan, nicht hierher zu kommen; da Sie aber hier sind, so warne ich Sie selbst, nichts zu thun, was gegen meine Befehle, gegen die Gesetze überhaupt streitet. Was das Rechte ist, das soll und muß geschehen; den Wahnsinn blinder Wuth werde ich zu bändigen wissen.«
Gallimore wurde hier durch eine Botschaft unterbrochen, die ihn plötzlich zu seiner kriegerischen Pflicht rief. Einer der vorausgesandten Offiziere kam zurück und berichtete, daß Rauch und Flammen den ganzen Ausgang des Waldes bedeckten und die Stadt der Neger wahrscheinlich von ihren Bewohnern selbst verbrannt werde. So war es in der That. Mit jedem Schritte erkannte man es deutlicher. Dampfwolken drangen den anziehenden Soldaten entgegen; bald sahen sie das Feuer, das schnell die leichten Hütten, die Ernten der Felder, die Hecken und Fruchtbäume verzehrte und eine gewisse Bangigkeit bemächtigte sich der Gemüther. Diese allgemeine Zerstörung war ein sicheres Zeichen des hartnäckigsten Widerstandes. Man wußte nun, warum die Maroons ihren Feinden den Weg nicht verlegten, sie wollten ihnen zeigen, daß Trelawneytown von ihnen selbst vernichtet werden könne, ohne daß jene etwas dadurch gewonnen.
Es bedurfte einiger Stunden, ehe die englischen Soldaten sich dem Felsenkessel nahen konnten, in dessen Hintergrunde Guntrees gewaltiger Baum stand und der Eingang zu dem seltsamen Felsenspalt verborgen lag, der von Thal zu Thal führte. Rauchende Trümmer und die tiefen morastigen Wege zwischen hohem Gestein, welches fast jedes einzelne Haus von dem andern getrennt hatte, versperrten ihnen den Weg. Viele der Soldaten hatten die Schuhe verloren, oder sie ließen sie jetzt stecken. Manche waren so erschöpft, daß sie mühsam nur sich weiter halfen. Beschmutzt, mit zerrissenen Kleidern und Händen, vom Durst mehr noch wie vom Hunger gepeinigt, stiegen sie über die spitzen Gerölle und sammelten sich endlich den Felsen gegenüber, die hoch und wild verwachsen mit Gestrüpp und stacheligen Dorngeflechten einen tausend Fuß breiten Halbkreis bildeten. Bis jetzt hatte kein menschliches Wesen sich gezeigt, keine Spur verkündete die Nähe eines Feindes und doch mußte er vorhanden sein.
Plötzlich fuhr ein Brausen und Donnern durch das Gebirge, einer jener schnellen Windstöße ging darüber hin. Mit Bewunderung und ängstlicher Neugier blickten die Engländer auf Guntrees Baum, von dem sie so viel gehört, und wie er mit seiner majestätischen Krone jetzt stolz und leise schwankte, als neige er sich ihnen zum Empfange, wie er seine weißen zahllosen Blüthen schüttelte und unten in den Kreis schwerer Schatten ausstreute, da schien es, als regten sich wunderliche Gestalten in seinen Ästen und Zweigen, als steige Cudjoe's zürnender Schatten und die zauberischen Obis alle aus dem geheimnisvollen Dunkel, als rauschten sie den Unterdrückern der wilden Freiheit ihres Volkes entgegen.
Gallimore ließ sämmtliche Trommeln und Pfeifen seines Heeres erschallen und als der Wirbel endete, antwortete ihm der Ton eines Hornes, der schwermüthig weich widerhallte.
»Ihr Maroons,« rief der Oberst mit seiner männlich kräftigen Stimme, »ich, der Oberst Gallimore, bin hier im Namen der Assembly dieser Insel und des Gouverneurs des Königs von England, um mit euch zu reden. Laßt eure Anführer hervortreten, damit ich mit ihnen spreche.«
In diesem Augenblick ward auf der Höhe der Felsenwand, dicht an dem Spalt, der das Defilé bildete, eine große weiß und rothe Fahne sichtbar, dann erblickte man die Köpfe und Leiber mehrer Menschen, welche das Panier umringten, und aus dem Kreise trat im flatternd weißen rothbesetzten Mantel ein Mann, der sogleich für den jungen Montague erkannt wurde.
»Was wollt ihr in Cudjoe's Land, im Lande der freien Maroons?« rief er herab. »Wer, ihr Buccras, gab euch das Recht, hier einzudringen?«
Gallimore, James, mehre Offiziere, und unter ihnen auch Craskell und Williamson, traten näher heran.
»Eduard Montague,« sagte Gallimore, »Du bist, wie ich glaube, an die Stelle Deines Vaters getreten, als erster Chef Deines Volks; willst Du zu mir herabkommen, so will ich einen Eid leisten, daß Dir kein Haar gekrümmt werden soll.«
»Nein,« rief der Häuptling zurück; »ich habe nichts mit Dir zu schaffen. Ewige Falschheit ist euch eigen. Kommen will ich, Oberst Gallimore, zu Dir und Deinem Volke, aber mit dem Schwerte in der Hand und in der andern die Fackel. Siehst Du die Geier dort, falscher Weißer? Sieh sie an, höre ihre heisere Stimmen, sie wittern ihre Beute; denn in wenigen Stunden werden ihre Schnäbel und Klauen Dein Gebein zerhacken.«
»Montague,« sagte der alte Major James, indem er vortrat, »mein Sohn, Du kennst mich, höre auf mein Wort. Oberst Gallimore meint es redlich; er will den Frieden, will Blut sparen. Komm zu mir herab, ich selbst will mit meinem Leben das Deine verbürgen.«
»Major James,« erwiederte der Neger, »es thut mir leid, Sie dort zu erblicken. Ihr habt meinen Vater in Ketten geschlagen, als er, auf euren Schwur vertrauend, mit seinen Freunden zu euch kam. Ihr haßt den schwarzen Mann, ihr Alle, die Räuber seines Eigenthums, aber die Stunde eurer Vernichtung ist da.«
»So komme Dein Blut, Dein Untergang über Dich!« rief Gallimore.
»Daß ich lebe,« sagte Montague stolz, »ist nicht Dein Verdienst, Gallimore. Du aber bist der Mann nicht, der es mir nehmen soll. Doch Eines merkt Euch, Herr, sendet künftig klügere Mörder aus, die den Eduard Montague tödten sollen, und nehmt das als ein Geschenk von ihm.«
In dem Augenblicke öffnete er den Mantel, und mit weitem Wurf schleuderte er von der Felsenhöhe ein blutiges Menschenhaupt herunter, das auf den weichen Boden zu den Füßen der Offiziere kollerte, die entsetzt zurücksprangen.
»Chambers!« rief Craskell mit Angst und Wuth, »sie haben ihn ermordet.«
Gallimore errieth den Zusammenhang.
»Bei Gott und meiner Ehre!« rief er, »ich weiß nichts von dieser Schandthat.
»Warst Du es nicht, so thaten es Deine Freunde,« rief Montague zurück. »Wie, Du wagst es von Frieden und Vertrauen zu sprechen, und Dein General bietet Gold umher, wer mich ermordet! und dort steht der elende Craskell, dessen Lust es war, uns zu peinigen, dort sehe ich den blutigen Williamson, der ärgste Feind, den meine Brüder haben. Schweige, falscher Mann. Laß Deine Hörner blasen und komm, Du sollst sehen, daß ich Dein Schicksal richtig prophezeit habe.«
»Halt, Montague!« rief Gallimore, und der düstere Schatten, der über seine edeln Züge lief, wurde schnell verdrängt. »Du wählst den Krieg, so mag denn Krieg sein; aber eine edle junge Dame ist Deine Gefangene, nenne den Preis, fordere Gold, ich will es Dir geben, wenn Du diese mir auslieferst.«
Montague antwortete nicht, er wendete sich um und an seiner Hand trat eine weibliche Gestalt, dicht gehüllt in einen großen roth leuchtenden Callicomantel, wie ihn die Frauen der Häuptlinge der Maroons trugen, bis an den Rand.
»Judith!« rief Williamson mit wilder Leidenschaft, die Hand zu ihr emporhebend. »Sie ist fein Weib!«
»Sein Weib,« rief Judith, »ja, und ich sage es mit Stolz. Oberst Gallimore, Sie kennen mich! Ich bin keine Gefangene. Freiwillig bin ich Dem gefolgt, den ich liebe. Euer Hochmuth zählte einst die Blutstropfen in meinen Adern und es rollte heiß darin. Ihr blicktet mit Hohn auf den gelben Rand meiner Augen, und nur die Furcht hielt euch ab, oder die Habgier trieb euch an, mir nicht zu sagen, daß Verachtung oder Spott in euern falschen Herzen war. Jetzt habe ich die Bande zerrissen und nie will ich sie wieder tragen. Ihr aber geht, Knechte der Tyrannei, ich verachte euch. Ich werde glücklich sein, im Leben wie im Tode mit Dem vereint, der weißer und reiner ist, wie euer Gott und die Taufe eurer Priester euch jemals schaffen konnten.«
In dem Augenblicke fiel ein Schuß. Die Kugel zischte dicht an Judiths Kopf hin; sie taumelte zurück in Montague's Arm.
»Wahnsinniger!« rief Gallimore, und drang auf Williamson ein, dem er das rauchende Gewehr fortriß; in demselben Augenblick aber krachten hundert Büchsen aus dem Gebüsch an der Felsenwand. Todte und Verwundete stürzten zu Boden.
»Mir nach!« rief der Anführer, indem er den Degen schwang und auf Guntrees Baum zustürzte. Die Soldaten folgten gehorsam, aber ehe sie ihr Ziel erreichten, begann ein zerstörendes Feuer in ihrem Rücken. Von den Seiten, aus allen Büschen, von allen Höhen, aus den Spalten der Felsen, aus den Trümmern der zerstörten Hütten kam es und in wenigen Minuten war jede Ordnung aufgelöst. –
»Rette sich, wer kann!« riefen die Milizen. Die braunen Jäger flohen zuerst; die Soldaten wurden fortgerissen, die Kugeln des fürchterlichen Feindes, den Niemand sah, trafen mit entsetzlicher Sicherheit ihre Opfer, die Offiziere zumeist, die ihnen als beste Zielpuncte dienten; und als sie nun hervorstürzten, die wilden kraftvollen Männer, das Kriegsgeheul von Kongo, die Erbschaft ihrer Väter auf den Lippen, glühende Rachelust in den funkelnden Augen, in der Faust das breite entsetzliche Messer, da hörte aller Widerstand auf. Viele, erschöpft bis zum Tode, ließen sich ohne Widerstand hinschlachten, die meisten flohen in die Wälder und Wildnisse und kamen dort um, der kleinste Theil erreichte die Pässe und das ebene Land, aber sie dankten ihr Leben nur der Milde der Maroons, die sie nicht verfolgten.
Gallimore hatte gekämpft, lange aufrecht gestanden. Zweimal fiel er und sprang wieder auf, seine Krieger zur Ausdauer und zur Ordnung rufend. Blut floß an seinem Gesicht nieder, die Flucht war allgemein, der alte Major James war an seiner Seite und suchte ihn zu führen. Plötzlich hörten sie den Schlachtruf der Maroons, dunkle Gestalten sprangen durch den Pulverdampf.
»Rette Dich! James,« rief Gallimore strauchelnd, »leb wohl, ich kann nicht weiter!«
Im nächsten Augenblick faßte eine schwarze Faust sein Bandelier. Er führte einen Degenstoß nach dem Angreifer, den letzten, den er unsicher that. Eine blitzende Klinge fuhr auf ihn nieder, ein Gewehr ward dicht an seiner Brust abgedrückt; ein Sterbender, sank er auf Sterbende nieder.
Als er die Augen aufschlug, standen die Sterne kalt und still an dem ewigen Gotteshimmel und sahen barmherzig tröstend auf ihn nieder. Die Palmen tropften leise kühlenden Thau auf sein Gesicht, ein süßer Duft von Violen und Cedern zog um den sterbenden Mann, der seinen erlöschenden Blick aussandte nach der Taube mit dem Ölzweige des Friedens.
Nach und nach sammelte sich sein Geist. Er sah, daß man ihn auf die Moosdecke eines kleinen Hügels gelegt, er sah auch seinen alten Freund James neben sich, das graue Haupt tief niedergebeugt, blaß, blutig und kalt. Er wußte, daß er todt war, der ehrliche Freund; er, der die Männer von Trelawneytown so lieb gehabt hatte, und der Zorn stieg ihm auf, daß dort an seiner Seite ein dunkler Mann saß, der ernst und schweigend auf den Todten blickte und auf ihn selbst, bis ihre Augen sich begegneten.
»Wer bist Du?« fragte Gallimore mit Anstrengung.
»Du kennst mich nicht,« erwiederte der Gefragte, »und doch habe ich Dir Dein Schicksal verkündigt. Nun liegst Du hier, weißer stolzer Mann, und oben über Dir schweben die Geier; hörst Du sie? So ist mein Wort erfüllt.«
»Montague!« murmelte Gallimore. »Was war es doch, was ich dem alten James sagte. Eine Stimme sprach zu mir, dieser wird Dich verderben, Dich und James und die holde, schöne Judith. Du wirst sie alle tödten, Montague, und Dich selbst, Dein ganzes Volk.«
»Wenn es wahr ist, was Du sagst,« versetzte der Neger, indem er sich stolz aufrichtete, »so mag der Tod kommen, ich fürchte ihn nicht. Ich werde sterben wie ein freier Mann; mein Volk wird untergehen, ungebeugt, und sie, die Du genannt hast, Judith, mein Weib, sie wird mich nicht verlassen. Wenn mein Geist frei durch den ewigen Himmel schwebt, über die Sonnen und Sterne zu Acompongs Thron, wird sie liebend mich begleiten; wenn alle Banden abgefallen sind, wenn dieser arme schwarze Körper nicht mehr gequält werden kann von weißen Tyrannen, wenn es weder Sclaven giebt noch Herren, dann Gallimore, dann ist Judith, die ich getödtet habe, wie Du sagst, noch immer mein, unauflöslich, ewig mein, und ich frage nicht nach Ende und Vernichtung. Ich weiß, daß ich sterben kann; in ihrem Herzen sterbe ich nicht.«
Es rauschte an dem Stamme der Palme und Gallimore sah ein weißes schimmerndes Gewand, er sah ein Weib, die in den Armen des schwarzen Mannes lag und ihn innig umfaßt hielt.
»Flieht!« sagte er nach einer langen Stille, »flieht, wenn Ihr leben wollt. Benutzt die Verwirrung, die nach Euerm Siege herrschen wird; gewinnt die Küste, verlaßt dies Land, schifft nach Domingo.«
»Nimmermehr!« rief Montague. »Ich fliehe nicht. Hier ist mein Vaterland, hier muß ich leben und um die Freiheit kämpfen. Du bist edel und großmüthig; jetzt, wo der Tod Dich fortnimmt, bist Du kein Massa mehr, ich weiß, daß Du handeln würdest wie ich, wenn Du Montague wärst.«
Gallimore reichte ihm die Hand.
»Lebe wohl,« sagte er, »Gott schütze Dich. Kämpfe, erringe die Freiheit, wenn Du kannst, und stirb wie ein Mann, wenn Knechtschaft Dich fassen will. – Lebe wohl, Judith! ich segne Dich – hüte Dich vor Williamson – ich bin müde und die Nacht ist da.« –
Er fiel sanft zurück und war todt.
Sie gruben ihm ein Grab tief unter einem Felsen, füllten es mit Gras und Blumen und legten ihn hinein. Dann bettete Montague seinen alten Gönner James neben ihn, und die ernste Feier dauerte bis zum Morgen.
Als die junge Sonne über die Wipfel der Bäume trat und das Thal des Todes beleuchtete, zogen dreihundert Maroons siegstrunken unter ihrem kühnen Führer aus, um über die Ebene Tod und Flammen zu verbreiten, wo jetzt Schrecken und Wehklagen herrschte.
Die Bestürzung, welche der Tod und die Niederlage Gallimore's hervorbrachten, wurde durch die Kühnheit vermehrt, mit welcher die Neger auch ein Paar andere Abtheilungen des Colonialheers angriffen und schlugen. Bald war die Ebene im Westen von ihnen überzogen, die schönen Besitzungen an der Küste niedergebrannt, auch des alten Herrn Adams und Williamson's Pflanzungen zerstört und nur mit genauer Noth rettete John sein Leben, als er an der Spitze einer Milizabtheilung sein väterliches Gut zu vertheidigen suchte. Er kam davon, aber er verlor sämmtliche Kleider, Hüte, Locken und sonstige Modeartikel, die nicht nach Kingstown gebracht waren, was ihn sehr schmerzlich berührte und die Folge hatte, daß er lange Zeit sich aus aller Gesellschaft zurückzog, bis er nach und nach sich daran gewöhnte, in der einfachen und leichten Tracht der Kreolen zu erscheinen.
Der alte Herr Adams aber grämte sich über den Verlust des sonderbaren Mädchens, die seine Einsamkeit und sein Alter zu versüßen wußte, mehr als gut war. Er wurde immer verdrießlicher und schrumpfte zusammen. Nichts schmeckte ihm mehr, keine Cigarre, kein Sagarell, keine köstliche Krabbe, keine zarte Waldtaube. Er seufzte bei jedem Bissen, denn dann dachte er erst recht an sie, die ihm alles so zierlich zu bereiten verstand, und unzählige Male murmelte er vor sich hin:
»Wenn es ein Hafenarbeiter wäre, ein Wasserträger, ein Matrose, man würde sich darin finden können; aber ein Neger, ein Saujäger, ein Rebell, und obendrein Einer, auf dessen Kopf ein Preis steht, ein Mordbrenner, der mir selbst mein liebes altes, schönes Haus niedergebrannt hat, meine Sklaven zerstreut, mein Eigenthum verwüstet, ach, Judith, daß du den John nicht genommen hast, der nun ganz und gar ein Narr geworden ist, während ich mich so sachte todt gräme, das kann ich dir nie verzeihen.«
Trotz dessen aber hörte der alte Herr es mit einem gewissen Vergnügen, wenn die Thaten Montague's erzählt wurden, ob auch Verwünschungen sie begleiteten. Da hatte er ein Regiment geschlagen, dort war er bis an die Küste gedrungen, hier hatte er einen Trupp Neger befreit und einen Aufruf an alle Sklaven erlassen, ihre Henker niederzubeilen und die Fahne der Freiheit zu ergreifen.
Obwohl nun dieser Aufruf wenig Erfolg hatte, denn die Pflanzer waren einig, die Truppen zahlreich und die Neger haßten die Maroons, dennoch war das Entsetzen und die Wuth groß gegen den kühnen Rebellen. Man wußte sich nicht zu rathen, nicht zu helfen; Alles, was man versuchte, blieb fruchtlos. Stiegen die Soldaten ins Gebirgsland hinauf, so konnte man sicher sein, sie kamen bald mit blutigen Köpfen zurück, und die Maroons waren ihnen dann auf den Fersen. Da half keine Umzingelung der Gebirge, keine noch so große Vorsicht. In den nächsten Nächten büßten die Pflanzungen. Feuer loderte er auf, Blut wurde vergossen, und man mochte es als ein Glück preisen, daß es dem Montague noch immer nicht gelungen war, auch die übrigen Maroons in Acompong und die, welche windwärts wohnten, zum allgemeinen Kriege zu bewegen. Geschah dies, so ward der Krieg auf der ganzen Insel allgemein und die Gefahr ihres Verlustes nicht unbedeutend, zumal, wenn etwa Negerschaaren helfend von Domingo kommen sollten.
Dies besorgend, kreuzte eine Flotte unausgesetzt und bewachte die ganze Küste; aber die Neger in Domingo hatten noch immer zu viel mit sich selbst zu thun und mit ihren ehemaligen Herren. Der Vorrath von Pulver, Kugeln und Gewehren, den der Agent Fouchet den Maroons gebracht hatte, war und blieb das Einzige, was für diese geschah. Um so größer und bewundernswürdiger erschien der Muth, mit dem ein Paar hundert Männer viele Monate für ihre Freiheit kämpften und die stolze Assembly so sehr zum Zittern brachten, daß sie jedes Mittel, das abscheulichste selbst, für recht und gerechtfertigt hielt, wenn es nur im Stande schien, die fürchterlichen Gegner zu vernichten.
Eines Tages ward der alte Herr von einem Besuche überrascht, der von Allen ihm am unangenehmsten war. Er schlug das Auge finster zu Boden, um den Mann nicht anzusehen, der auf seiner Schwelle stand, und antwortete murmelnd auf dessen Gruß, ohne ein: Setzt Euch! hinzuzufügen. Aber der Besuchende setzte sich von selbst, er mischte sich von den süßen Swizzle, nahm eine Cigarre und sagte mit seiner tiefen Stimme:
»Ich bin zurück, Herr Adams, glücklich zurück.«
»Wo sind Sie gewesen, Herr Williamson?« fragte der alte Herr nach einer Pause.
»Leben Sie so einsam?« rief der Pflanzer. »Doch ja,« fuhr er fort, indem er ihn anblickte, »Gram und Kummer sind böse Gefährten, die keinen Andern neben sich dulden, und sie zehren am Leben, sie saugen das Mark aus, die Lebenskraft, und machen uns müde an der Welt und was in ihr ist.«
Die Blicke der beiden Männer begegneten sich. Williamson war von Sonne und Wetter so tief gebräunt und ausgedörrt, als sei er selbst ein Neger. Sein schwarzes Haar hing buschig bis auf die Augen nieder, welche düster aus ihren tiefen Höhlen funkelten. Der Bart, der wild sein Gesicht umwucherte, erhöhte das Unheimliche seines Anblicks. Er musterte mit einer Art Genugthuung die welke, faltige Gestalt seines Nachbars, den er so rothwangig und in straffer Fleischfülle gekannt, und sagte dann vor sich hin:
»So bin ich es wohl nicht allein, der die Vergangenheit nicht vergessen kann und von der Zukunft nichts mehr hofft. Das ist das Schlimmste, was einem Menschen begegnen mag: aber wenn weder Hoffnung noch Zukunft uns mehr leben heißen, was kann uns bestimmen, ein elendes Dasein länger zu ertragen?«
Er strich mit der Hand das Haar von seiner Stirn und rief mit Heftigkeit:
»Ich will leben! Ich war in Todesangst, als der Schoner so nahe daran war, Schiffbruch zu leiden. Ich muß erfüllen, was ich gelobte. – Ich komme von Cuba, Herr Adams.«
»Von den Spaniern?« sagte der alte Herr gleichgültig.
»Und mit Mühe und Noth haben wir die Jäger und ihre Hunde herübergeschafft, Quarrell und ich.«
»Hunde und Jäger?« sagte Adams. »Was ist's für Race?«
»O! von der besten, von der allerfeinsten,« fuhr Williamson mit einem wilden Lachen fort, »in Cuba ist sie allein zu haben. Nun aber sind sie hier und morgen geht es hinauf in die Felsen von Clarendon. Endlich! endlich! werden wir sie auftreiben aus ihren Höhlen und Schluchten. Ich werde ihn finden, den Elenden, den Mörder; ich werde ihn jagen, wie man einen Bergstier jagt, und wenn ihn die scharfen Zähne fassen, wenn er zerfleischt, zerrissen vor meinen Füßen liegt, dann, Judith!« –
Er hielt inne, eine entsetzliche Freude zuckte um seine Lippen, der alte Herr aber sagte mit Abscheu:
»So habt Ihr Bluthunde aus Cuba geholt und wollt es wie die Spanier machen, auf denen der Fluch der Menschheit ruht. So ist es denn wahr, daß Engländer sich so weit herabwürdigen wollen, Gottes Ebenbild von Bestien jagen und zerreißen zu lassen? O! Schmach über Den, der das ersonnen hat.«
»Ich habe es ersonnen,« rief Williamson stolz. »Noch ehe dieser Krieg begann, wußte ich, daß er nur so geendet werden konnte, und ich will die Verantwortung tragen vor Gott und Menschen. Ich habe es der Assembly vorgeschlagen, als Niemand mehr wußte, was zu beginnen sei. Die Colonie ist am Rande des Verderbens, ich rette das Land. Ist denn das ein Volk,« fuhr er fort, als Adams schwieg. »Hetzen und zerreißen wir etwa unschuldige Menschen, wie die blutgierigen Eroberer Mexikos? Nein, einer Mörderbande gilt es, die offen erklärt, sie wolle keinen Frieden, bis wir die Insel räumen, das Erbtheil unserer Väter, das reichste, das köstlichste Gut, das England besitzt. General Walpole hat sich vergebens bemüht, ihnen gute Bedingungen zu bieten. Der elende Montague! – verdammt, daß ich den Namen nennen muß, der meine Zunge verbrennt – er will die Rolle hier spielen, die drüben auf Domingo der Neger Toussaint übernommen hat. Doch, er wird es nicht, – ich, – ich, Ralf Williamson, ich werde es verhindern.«
Er drückte die geballte Faust fest vor sich auf den Tisch, und es währte einige Zeit, ehe er seiner wilden Empfindungen Meister wurde. Endlich sagte er beruhigter:
»Sie können denken, Herr Adams, daß das, was wir thaten, genau und lange überlegt wurde. Als Oberst Gallimore an Guntrees Defilé gefallen war, wurde ich von der Flucht fortgerissen, irrte ein Paar Tage in den Wäldern umher, und kam, dem Tode nahe, endlich zu Freunden. Da habe ich kennen lernen, was es heißt, in diese öden Berge dringen, und daß es ganz unmöglich ist, die Mörder zu bekämpfen ohne Spürhunde aus Cuba. Ich schlug es der großen Assembly vor, ich sagte ihr, wie die Spanier in der Muskitobai binnen zwei Monaten drei Regimenter durch die Überfälle der Eingeborenen verloren und das Land unfehlbar verlassen mußten, wenn man nicht auf den gescheiten Einfall gekommen wäre, zwölf Bluthunde aus Cuba zu holen. In kurzer Zeit waren die Wilden in ihren Schlupfwinkeln aufgespürt und vernichtet. Das Alles sagte ich der Assembly, aber vergebens, denn es gab auch dort Leute genug, die in die Hände schlugen, vor Scham roth zu werden vorgaben und Gottes Zorn fürchteten, mehr aber wohl noch den Zeitungszorn aus London, den Hohn, das sinnlose Gelärm der Schreier an der Themse, des Pitt, Wilberforce, Clarendale, und wie die elenden Narren alle heißen, welche mit den Händen in den Taschen sich von ihren Sitzen erheben und inbrünstig über Dinge schwatzen, von denen sie keine Ahnung haben.
»Nein, Herr, nein!« rief der alte Herr kopfschüttelnd, »ich hätte es auch nicht zugegeben.«
»Sie hätten es zugegeben, wenn Sie die Greuel gesehen, die Aschenhaufen, das Blut, die täglich wachsende Gefahr vor einem allgemeinen Aufstande. O! ich kenne das, was es heißt, zwischen zwei übeln das kleinste wählen und, das Messer an der eigenen Kehle, des Anderen Kehle abzuschneiden. Drei Monate, nachdem sie Zeter geschrien, sagten sie alle mit Freuden Ja und Lord Balcarres selbst schrieb den Empfehlungsbrief an Seine Excellenz den Gouverneur von Havanna, Don Luis de Las Casas, worin er um eine Portion Bluthunde bat, hinreichend, die mörderischen Schufte aus ihren Felsenthälern zu jagen. So sind wir denn hier,« fuhr er nach einer Pause fort, in welcher der Spott aus seinen Zügen verschwand, »und nichts hat sich geändert. Von den rothen Gipfeln der Berge von Hanover steigt der Rauch wie sonst auf. Wir können die Pferde und Kühe der Räuber sehen, wie sie an den hohen Gipfeln weiden, ja ich glaube, die rächende Gottheit wollte mir einschärfen, daß ich einen Eid zu lösen habe – sie hätte es nicht bedurft – aber sie zeigte mir Den zuerst vor Allen, der die Schuld unsers Elends trägt.«
»Montague?« fragte der alte Mann.
»Er, ja er war es,« sagte Williamson düster. »Er und seine unmenschlichen Genossen hatten die Pflanzung des Doctor Brooke in letzter Nacht verbrannt. Noch rauchten die Trümmer und verkohlten die Körper der Erschlagenen. Ein Weib und vier Kinder fanden wir am Wege, und oben auf den Felsenhügeln jagte der Räuberchef sein teuflisches Pferd, auf dessen Rücken er in seinem rothen flatternden Mantel wie Satan selbst saß, so stolz, tückisch und wuthlachend.
»Und Niemand kann ihn fangen, Niemand wider ihn streiten,« murmelte Adams. »Es ist ein merkwürdiger, tapferer, schwarzer Kerl, der eine seltene Gewalt über die Menschen hat. Judith! Gott mag es ihr verzeihen, was sie gethan, aber wenigstens habe ich den Trost, daß sie nicht ganz unglücklich ist.«
Williamson runzelte die Stirn.
»Nicht unglücklich! meinen Sie das wirklich?« rief er höhnisch.
»Ich muß es glauben,« fuhr der Oheim fort, und aus dem Kasten, der vor ihm stand, suchte er ein Blättchen Papier hervor. »Es sind ein Paar Wochen, daß eines Abends an mein Fenster gepocht wurde. Als ich öffnete, warf eine unsichtbare Hand dies Zettelchen herein, und da lesen Sie selbst, da steht es mit ihren kleinen feinen Buchstaben geschrieben, die ich aus tausend herauskennen wollte: ›Verzeihung, theurer Oheim! wenn auch Alle mich verdammen, Sie können es nicht. Ich bin glücklich! Einst wird der Tag kommen, wo ich Ihr Knie umfassen darf, wo Sie mich segnen werden, das hoffe ich mit Zuversicht, und er, den ich liebe, er hofft es mit mir.‹ – Was sagen Sie nun?«
Der Kreole starrte die Buchstaben an, seine Hand bebte, plötzlich warf er den Zettel fort.
»Giebt es denn kein Mittel, ein Weib dazu zu zwingen?« sagte er, »und wenn sie es schrieb, ist es nicht Wahnsinn, muß es nicht Wahnsinn sein, der sie ganz toll und fühllos gemacht hat? Das ändert nichts, das erhöht mein Verlangen, sie aus den höllischen Banden frei zu machen.«
Er nahm seinen Hut.
»Wollen Sie mich begleiten?« fragte er. »General Walpole will die Jäger und die Hunde mustern.«
»Ich will nicht sehen, nichts hören,« rief der alte Herr. »Am wenigsten« –
Er sah Williamson bedeutungsvoll an und sagte dann:
»Ich bin am liebsten allein.«
»Gut,« erwiederte der Pflanzer, »ich verstehe Ihre Worte. Diese Thüre wird sich nicht wieder öffnen für mich, es sei denn, daß ich mit Judith komme. Das denke ich, Herr Adams; gewiß, es soll vollendet sein, so oder so. Wie viel Kraft, Schönheit und Muth,« sagte er düster blickend, »ist über die Erde gegangen und hat keine Spur zurückgelassen? So werden auch wir uns in unser Grab legen und wer fragt darnach, was wir litten und thaten? Die Vernichtung geht über alle hin, einen Tag früher, einen Tag später, gleichviel; wer aber betrogen ward, wie ich, um Glück und Dasein, muß wenigstens sorgen, daß die Elenden nicht zurückbleiben und ihn auslachen.«
Er ging ohne weitern Gruß davon und folgte dem Zuge vieler Menschen, die auf den Platz hinausliefen, um die spanischen Jäger zu sehen. Da standen sie Alle in scheuer Verwunderung von weitem und schauten die seltsamen Männer an, welche unter den Palmbäumen lagerten und in der Hand an baumwollenen Seilen große langgestreckte Hunde von röthlich fahler Farbe hielten, die fast wie Windhunde aussahen, nur waren sie weit kräftiger gebaut und ihre dicken Köpfe mit stark zugehender Schnauze steckten in gewaltigen Beißkörben. Diese wurden ihnen aber bald abgenommen, weil sie gefüttert werden sollten.
Ein Paar Stiere waren zu ihrer Speise bestimmt. Auf den Wink der Jäger stürzten sich einige der Hunde, von den Seilen losgelassen, auf die Beute, sprangen an Kopfseiten auf und rissen sie zu Boden. Die Jäger in ihren breiten Kappen von Schilf, in ihren weiten baumwollenen Hemden, um den dunklen Hals ein silbernes Crucifix am Bande, und an der Seite ein zwei Fuß langes, spitzes scharfes Messer, nahten sich den brüllenden Opfern mit der größten Gleichgültigkeit. Die Messer wurden gezogen, mit der Spitze die Kehlen der Thiere durchschnitten und nun stürzten sich die Hunde darüber her, zerrissen ihren Fraß, und lagerten sich, bedeckt mit Blut, auf den todten Leibern, von denen bald nichts als Knochenreste zu sehen waren.
Diese schreckliche Mahlzeit machte den tiefsten Eindruck auf viele der Zuschauer. Bei den wenigsten behielt der Haß gegen die Maroons die Oberhand über das empörte menschliche Gefühl. Die meisten gingen fort, Abscheu und Fluch auf den Lippen. Die Neger und die farbigen Männer aber, welche während des Zuges der Jäger durch die Insel von der Arbeit entflohen, sobald diese sich nahten, flohen auch hier und sahen zitternd zu den blauen Berggipfeln empor, Gott dankend, daß sie vor den Zähnen dieser Ungeheuer sicher waren.
Vierzig Jäger und zwei und achtzig Hunde, die Quarrell herübergeführt, stellten sich dann in einer Linie auf, als der Wagen des Generals Walpole heranrollte und dieser Offizier ausstieg, um seine neuen Hülfstruppen zu mustern. Quarrell überreichte ihm eine Abschrift des Contractes, den er mit den Jägern geschlossen hatte. Jedem waren für dreimonatliche Dienste zweihundert Dollars zugesichert, überdies der Lebensunterhalt und alles Nöthige für sich und ihre Hunde; endlich auch Belohnungen für die Neger, die sie einfangen würden.
»Das ist eine theure Hülfe,« sagte der General, »und dennoch wahrscheinlich eine ziemlich unnütze.«
Er betrachtete die blutigen großen Hunde; ein Schauder ergriff ihn, ein edler Stolz faßte ihn an.
»Und mit solchen Waffengefährten sollen wir in einer Linie fechten?« rief er aus. »Beim Himmel! das ist viel verlangt.«
»Auch Columbus,« erwiederte Capitain Craskell, der sich bei ihm befand, »hat diese Bundesgenossen gehabt.«
»Wahr, Capitain,« versetzte Walpole rasch und mit einem festen Blicke, »aber Columbus war kein Engländer.«
Er ging zu den Jägern und sprach mit ihnen:
»Wißt ihr auch,« sagte er, »Daß die Maroons die besten Schützen der Welt sind? Sie werden euch niederschießen, und eure Hunde dazu, ehe ihr ihnen nahe kommt.«
Ein grimmiges Lächeln stieg in den lederbraunen Gesichtern der Spanier auf.
»Stellen Sie uns auf die Probe, Sennor General,« riefen sie. »Durch und durch geschossen werden unsere Hunde sterbend ihren Feind fassen und halten.«
»Im Übrigen,« bemerkte Quarrell, »sind die Hunde besonders dazu brauchbar, um mit ihrem wunderbar feinen Instinct jeden nahen Feind zu wittern. Überfälle und Verstecke werden wir nicht mehr zu fürchten haben.«
»Recht, Oberst Quarrell,« sagte Walpole, »Das mag ihr Nutzen sein, der Kampf selbst aber soll nicht durch spanische Bluthunde entschieden werden; den denke ich mit englischen Hieben und Fäusten auszufechten.«
Craskell wandte sich verächtlich lächelnd zu Williamson.
»Es ist lustig,« sagte er, »wie dieser tapfere General den Eisenfresser spielt, obgleich er zehnmal von den Maroons geschlagen wurde. Ich sage euch, englische Fäuste und spanische Hunde helfen nichts, wenn ihr den Montague nicht habt. Werft den zu Boden, in Ketten, in einen Abgrund, und eins von beiden ist genug.«
»In die ewige Verdammniß!« murmelte Williamson. »Wo ist Cato?«
»Da steht er und wartet auf deinen Wink,« versetzte sein Gefährte.
Seitwärts unter den Bäumen kauerte ein alter Neger, der auf Craskells Wink schnell herbeisprang und demüthig seinen Hut vom Wollkopfe riß.
»Der alte Bursche ist ein Freigelassener,« sagte der Capitain. »Er hat uns bei den Maroons, bei denen er lange lebte, als Spion gedient, bis sie ihm auf die Spur kamen. Da ist er dann entwichen, aber er kennt ihre Schliche und kann Dir dienen, wie er schwört
.«
»Cato,« sagte Williamson, »Du weißt also, wo der Montague die weiße Frau verbirgt?«
»Weiß, Mafia, weiß gut« – lachte der Schwarze. »Schlimmer Weg, Massa, tief in den Cokpits, in den Felsenthälern der Berge von Clarendon, o! viel tief durch die Schluchten. Ein, zwei, drei, zehn Cokpits, einer hinter dem andern! dann ein Thal kommt mit einem Wasserfall und Yamsfeldern, Ananashecken und Caraibenbäumen. Acompongs Thal, Massa, wohnt da weiße Frau ganz allein. Wissen wenige nur, aber Cato weiß es, Cato hat es ausgespürt, weiß alles.«
Er zeigte seine weißen Zähne.
»Also kannst Du mich dahin führen, Cato?«
»Cato kann, Massa, aber – Weg schlimm, sehr viel Gefahr – Maroon Messer scharf, Maroon Ohr hört Alles. Cato arm, Massa.« –
Er zuckte die Schultern.
»Hundert Guineen, Cato, wenn Du ein guter Führer bist,« sagte Williamson, »und noch einmal so viel, wenn wir finden, was wir suchen. Sei ohne Furcht, Wollkopf. Siehst Du dort den langen Spanier mit den zwei großen Hunden, der soll uns begleiten und kein Maroon wird auf eine Meile uns nahe sein, ohne daß wir es wissen.«
Das Gespräch zwischen dem pfiffigen Neger, dem Pflanzer und dem Capitain wurde jetzt leiser und eifriger geführt, während General Walpole die Jäger eine Übung machen ließ, welche ihn von ihrer Tüchtigkeit und der Wildheit und Stärke der Bluthunde überzeugte. Die Spanier wurden mit Büchsen bewaffnet und rückten auf der kleinen Ebene vor, nach einem Ziele feuernd; aber kaum hatten sie einige Schüsse gethan, als ihre Hunde in einen Zustand der entsetzlichsten Wuth geriethen. Sie rissen die Jäger mit sich fort, welche unter eigener Gefahr sie mühsam an den Beinen festhielten, bissen Stücke aus den Kolben der Gewehre, die ihren Herren gehörten, liefen gegen den General Walpole und dessen Gefolge, gegen die Wägen mit den Rossen und gegen die Zuschauer dieser Scene an, welche eiligst in die Stadt flohen.
Walpole rettete sich in seine Equipage, in welcher er schnell davon fuhr; er hatte aber den Befehl zurückgelassen, daß die Jäger mit den Hunden beim Nachzuge bleiben und auf keinen Fall ohne seine Erlaubniß Jagd auf die Maroons machen sollten. Die teuflische Wuth der unbändigen Thiere hatte Alle gleichmäßig erschreckt. Man lobte den Befehl des menschenfreundlichen Mannes, aber er wurde dennoch nicht befolgt.
Denn als es Abend werden wollte, stiegen sechs Männer rasch durch die Schluchten der Furryberge gegen die Wälder hinauf. Voran schritt der Neger Cato, dann folgten Williamson, Craskell und zwei ihrer Leute, die als kühne und ausgezeichnete Schützen bekannt waren; den Schluß machte der spanische Jäger, welcher zwei der stärksten Bluthunde führte. Bald verloren sie sich in dem Schatten dieser unermeßlichen Einöden und kletterten schweigend zu den hohen Gipfeln auf Pfaden empor, wo ein einziger Fehltritt, ein loser Stein, ein fußbreites Abweichen des vorschreitenden Führers sie ohne Rettung in die Abgründe gestürzt hätte.
Endlich waren sie auf der vollen Höhe der Gebirge und schritten nun mit doppelter Vorsicht durch die aufgethürmten Massen mächtiger Felsen, welche dann und wann Spalten und Thore bildeten und die nächtlichen Wanderer in die Reihen jener seltsamen Thäler einließen, wo das eine an das andere hängt. Oft waren die Schluchten so eng und so geheimnißvoll verborgen, daß der Neger Cato Mühe hatte, sie aufzufinden, und es großer Anstrengung bedurfte, um durch die dichtwuchernden stacheligen Büsche, durch Sumpfwasser und scharfes Gestein vorwärts zu dringen. Dann lauschten sie lange an jeder freiern Stelle.
Sie schlichen im Schatten der glatten Wände hin, ihre Hand an der Waffe, ihr Auge immer aufmerksam, das Ohr gespannt auf das kleinste Rauschen, und wenn ein Nachtvogel aufflog, wenn ein Gewürm in den langen starken Flechten raschelte, wenn der Wind das häßliche Bartmoos an den Felsen hintrieb, glaubten sie oft den verwegenen schlauen Feind nahe, oder den schrecklichen Ton ihrer Hörner zu hören und sie sanken lautlos auf den Boden nieder, bis der Irrthum entdeckt war. Zuweilen auch strauchelten und fielen die Männer. Ihre Kleider zerrissen, ihre Hände wurden blutig, ihre Lippen vertrockneten trotz der Nachtkühle und des Thaues, der sie durchnäßte; aber mit der Erschöpfung ihrer Leiber steigerte sich ihre Erbitterung, ihr Durst nach Rache und ihr Haß, der sich in entsetzlichen Verwünschungen Luft machte.
»Wohin führt uns dieser Schurke von Neger?« rief Craskell endlich. »Verdammt sei diese Wildniß und verdammt der Narr, der ohne Noth darin umkömmt! Der Tag wird anbrechen, dann ist es aus mit uns. Einem Maroonauge entgeht nichts, und wer kann sagen, ob sie nicht längst hinter uns schleichen, oder vor uns, neben uns verborgen liegen?«
Williamson deutete auf den Spanier, der mit den Hunden hinter dem Schwarzen herschritt. Der ausgedörrte dünne Kerl schlich, wie ein Schatten, unter dem Felsen hin; seine Thiere folgten mit gesenkten Köpfen und eingezogenen Schweifen.
»Kein Maroon ist hier,« sagte er, »aber wären sie auch alle da, versperrte die ganze Bande diesen Weg und führte er bis in die tiefsten Eingeweide der Gebirge, ich würde ihn doch gehen, wenn auch Niemand mir folgen wollte. Meine einzige Sorge ist allein, den, welchen ich suche, nicht zu finden, und daß dieser Schuft von Neger, der dort umherspürt und den Ausgang nicht entdecken kann, uns zwecklos in der Irre führt.«
Plötzlich schwieg der Kreole und preßte seine Hand heftig auf seines Freundes Arm. Von der Höhe eines Felsen fiel ein Schatten auf sie nieder, der Schatten eines Menschen, der mit leichten Schritten auf einen Absatz der Bergwand von Stein zu Stein sprang; wie eine Gemse der Alpen kühn von der schwindlichen Spitze niederfuhr, einen Busch ergriff, sich dort in einem Spalt am wuchernden Gestrüpp festzuhalten schien und plötzlich verschwunden war, als hätte sich das Gebirge aufgethan und ihn verschlungen.
Cato hatte sich auf den Boden geworfen, der Spanier hielt die Hunde, welche leise knurrend sich an der Hand aufrichteten und ihr borstiges Nackenhaar emporsträubten; die beiden andern Männer standen regungslos.
»Er ist es!« rief Williamson, »wir haben ihn. Hinauf, ihm nach, dort muß seine Höhle sein!«
Er versuchte empor zu klimmen, der Neger hielt ihn fest und flüsterte:
»Still, Massa, still! Cato jetzt weiß, wo Maroon wohnt. Oberst Montague das war. Es ist ein Teufel, Massa; wo er geht, kann keiner gehen, fällt herunter. Hier aber, hinter den Aloebüschen, armer schwarzer Mann hinauf kann und Massa auch hinauf; doch kein Wort sprechen, Maroon Oberst großer Zauberer.«
Ein wildes Gebüsch von Aloeranken und hohem indischen Ginster In der Vorlage: »Giester«. lehnte sich in den tiefen Winkel der Felsen und bedeckte den jähen Abhang. Wo es an der Bergwand anlag, stieg der Neger empor und seine Gefährten folgten ihm ein tiefes Gerinn aufwärts, das die Neigung zweier verschiedenen Schichtungen bildete. Plötzlich richtete sich Cato auf und blieb vor einer finstern Höhle stehen, einem Loche, das abschüssig in die Tiefe zu führen schien.
»Ist das seine Wohnung?« sagte Williamson und seine Frage klang schmerzlich fast, als bedaure er die, welche einen so gräßlichen Aufenthalt hatten.
»Nein, nein, Massa,« erwiederte der Neger, »hier Maroon Oberster nicht wohnen. Cokpit da unten liegt; aber still, Massa, still; armen schwarzen Mann die Hand geben.«
Ein kühler Luftstrom drang aus dem dunkeln Schlunde, der, je weiter sie herabstiegen, um so stärker wurde, und die Rede des Führers bestätigte, daß dies nur der von der Natur wunderbar gebildete Eingang eines Thales sei, das sie tief verborgen in der Wildniß schuf.
Bald hatten sie alle den steilen gewundenen Pfad zurückgelegt und aufathmend traten sie aus dem engen Gewölbe hervor in das neuentdeckte Land. Still lag es vor ihnen, und eingeschlossen von hohen senkrechten Wänden, einen Grund von mehreren Ackern bildend, der, wie eine jener lieblichen Oasen mitten in verbrannter Wüste, paradiesisch herrlich erschien. Eine dämmernde Ahnung, daß ein Tag der tiefen Nacht folgen werde, hing an den höchsten Gipfeln und warf ein Leuchten nieder, das von dem matten Schimmer der Mondessichel vermehrt wurde, welche an dem äußersten Rande des sichtbaren Horizontes schwebte.
Der dämmernde Schein fiel auf ein kleines Gebüsch von Pflaumen und Kohlpalmen, auf eine Hecke von Ananas, auf Fruchtbäume, die ein bebautes Feld und ein Gärtchen einschlossen, in welchem Blumen und schwere Maiskolben sich schlaftrunken zunickten. An dem Gehege hin sprudelte ein lebendiger Quell, der leise plätschernd aus dem Felsen sprang, rund umher grünte der Boden dicht und voll und die langen Schlingen des Grases wanden sich um die schleichenden Tritte dieser mordlustigen Männer, als wollten sie sie aufhalten.
Die beiden Gebirgsschützen blieben auf Williamsons Befehl an dem Eingangsthore dieser Veste, er selbst, Craskell und der Spanier näherten sich dem Lichtstrahl, welcher aus einer niedrigen Hütte kam, die unter dem Schirme des Felsens an der Westseite stand. Der spanische Jäger zog die Hunde zurück und blieb wenige Schritte vor dem Gehege stehen; Williamson zitterte und hielt sich an Craskell. Eine Stimme traf sein Ohr, die das Herz ihm beben machte, und diese Stimme klang hell und freudig.
»Keine Übereilung,«, flüsterte der Capitain; »wir müssen ihn lebendig fangen. Besonnen und kühn handeln, ist hier nothwendig.«
Er wollte vor ihm hin, aber der Kreole hielt ihn krampfhaft fest und trat an eine der Spalten, welche die Rohrjalousieen eines Fensters dicht an der Thüre freigelassen. Leise hob er die großen Blätter und Blüthen der schönen Limabohne fort, welche dicht das ganze Haus vom Gipfel bis zur Sohle umrankte, und mit einem Blick konnte er nun den ganzen Raum überschauen.
Kegelförmig hob sich dieser nach allen Seiten, wie die Hütten der Maroons es gewöhnlich thun, aber rein und zierlich sah es innen aus. Da stand ein Tisch und weiße Binsenstühle, aus Aloebast geflochten, da brannten Lichter und der festgestampfte Boden war mit Gras und Blättern bestreut. Den Hintergrund füllte ein Bett mit rother Muskitogaze bedeckt. Schimmerndes Linnen lag über die Matratzen und selbst auf der Tafel, wo Teller und Tischgeräth prangte. Silberne Becher standen bei den Schüsseln, welche zwei schwarze Mädchen geschäftig auftrugen, gefüllt mit Wildprett, Krabben und einer Auswahl schöner Früchte.
Williamson aber blickte unverwandt nach der Stelle hin, wo er Die entdeckt, nach deren Anblick er lange geschmachtet, und dort sah er sie sitzen, das Gesicht ihm zugewendet, vom Lichte hell beleuchtet, das ihm nichts verbarg, auch den verhaßten Neger nicht, der seine schwarzen Hände um diesen edlen Leib legte. Ihr langes Haar, so seidenweich und glänzend, fiel über Hals und Nacken nieder. Goldene Kämme hielten es an beiden Seiten und eine goldene Spange befestigte das weite Kleid, aus dem die Arme frei und voll sich um die Brust des Mannes schlangen, dem sie ihr Leben geopfert hatte.
Montague war mit einer Uniform bekleidet, die er trug, seit er an die Stelle seines Vaters getreten. Der blaue Rock mit goldener Stickerei hing lose auf seinen Schultern und so schien es, als hätten Beide die Rollen gewechselt, der Maroon sei zum Europäer, die weiße Dame zur Afrikanerin geworden. Jetzt aber warf er das enge Kleid ab und nun stand er vor ihr in seinem gewürfelten bunten Maroonhemd, das von einem grünen Gürtel um die Hüften geschlossen wurde und seine schöne Gliederung nicht verbarg.
»Ich bin bei Dir, Licht meiner Augen,« sagte er zärtlich, »darum verlade ich all ihr Drohen. Was können sie mir nehmen, da ich Dich besitze?«
»Die Elenden!« rief Judith, und es war das Erste, was Williamson deutlich hörte, »haben sie Muth und Ehre schon so ganz verloren, daß sie bei den Spaniern um Bundesgenossen bitten, welche die bitterste Schande über sie bringen?! Haben sie vergessen, wie die Geschichte der Menschen die Mörder verflucht, welche ihre grausame Knechtschaft nur mit so schrecklichen Helfern zu begründen wußten? Ach! Eduard, ich bin noch zu sehr eine Weiße, eine Engländerin, um nicht diese Schmach für mein Volk zu empfinden, und zage doch zugleich für Dich und dein großes Werk.«
»Zage nicht, meine Geliebte,« erwiederte der Maroon mit Zuversicht, nichts wird mich abhalten, die Ketten der Sklaverei zu zerbrechen. Was wollen diese Bluthunde in unsern Felsen beginnen? Wir sind keine Eboeneger, die, nackt und waffenlos, ihrem Herrn entlaufen und in den Wäldern umherirren, bis die Bestien sie zerreißen. Laß sie kommen, Montague fürchtet sie nicht. Wir haben Pulver und Kugeln vollauf, um Jäger, wie Hunde niederzustrecken. Bald, geliebte Judith, bald wird das Horn des Maroons sie Alle aus ihren Städten jagen, auf ihre hölzernen Häuser über das Meer, und Du, meine Königin, wirst hervorgehen aus der Wildniß so schön, so stolz, daß Alle niederfallen und Dich anbeten, wie ich Dich anbete, wo ich gehe und wo ich bin.«
Judith lächelte ihm zu und sagte:
»So denkst Du in Krieg und Schlachten an mich und ich träume von Dir und deinen Thaten.«
»Du machst mich gut,« rief der junge Häuptling, »und wir Alle werden besser durch Dich. Gestern in der Nacht verbrannte ich die Pflanzung des weißen Mannes, den sie Doctor Brookes nennen. Er hatte unsere Wege dem General Walpole verrathen, zweimal; er hat seine schwarzen Sklaven viele Jahre gequält, er war ein ungerechter, grausamer Massa. Sein Haus loderte auf, seine Diener sanken unter unseren Messern und Johnsons Axt spaltete seinen Kopf; da stürzte mitten aus den Flammen eine Frau, vier Kinder waren bei ihr. Was meinst Du, Geliebte, was die wilden, blutigen Maroons thaten? O! ihr weißen Herrn, was hättet ihr gethan, wenn ein armes Maroonweib mit vier kleinen Kindern vor euch niedergefallen und um Erbarmen gebeten hätte?«
»Du beschütztest sie, Du gabst sie frei!« rief Judith freudig.
»Ich hatte nicht nöthig, meine Stimme zu erheben,« sagte Montague stolz. »Johnson rief: ›Steh auf, weiße Frau, die Maroons führen keinen Krieg mit Weibern.‹ Und sie nahmen die Kinder und trugen sie bis an den Ausgang der Hügel, wo Kingstown am Meere liegt.«
»Ja, gewiß,« rief Judith, indem sie mit leuchtendem Auge die Arme um ihren Gatten schlang, »es wird eine Zeit kommen, wo das hochmüthige weiße Geschlecht mit Achtung auf seine schwarzen Brüder blickt; wo diese, menschlicher und besser als ihre Unterdrücker, frei und beglückt diese schönen Inseln bewohnen, wo sie eintreten in die Reihe der Völker und eine neue Welt begründen.«
Eduard schüttelte lächelnd und leise den Kopf.
»Lange, o! lange,« sagte er, »wird es dauern, ehe die Blume dieses Glückes für uns blüht, denn kaum ist sie gepflanzt und meine armen Brüder sind roh und unwissend, die Buccras, mächtig und böse. Als die weiße Frau in der Ebene war, kamen Reiter und ich kannte sie. Es waren die, welche die Bluthunde aus Havanna geholt hatten. An ihrer Spitze sah ich Williamson, der mir Flüche nachrief.«
»Der Elende! der Unglückliche!« sagte Judith.
»Er maß mit seinen wilden Augen die Berge von Hanover und rief: ›Wir kommen Dir nach, ich finde Dich, Sklave, Dich und sie, wo Du sie auch verstecken magst!‹ Und er lachte, als die giftigen Hunde heulten, welche die Spanier an langen Seilen hielten. Darum bin ich gekommen, theure Judith. Diese Berge sind nicht mehr sicher, dieses Thal kann ausgekundschaftet werden, aber ich weiß andere, lieblichere, tief in der Kette der blauen Berge, wohin noch keines Menschen Fuß gekommen. Quellen springen aus den Felsen da, Fruchtbäume stehen umher, Blumen wachsen und blühen, Acompong, der große Gott, hat sie geschaffen für liebende Herzen, die einsam, selig dort wohnen können.«
»Du fürchtest Gefahr?« fragte Judith.
»Allein für Dich,« erwiederte er. »Welchen Namen erfände ich für mein Schicksal, wenn ich käme und deine süße Stimme antwortete mir nicht?«
Er legte die Hand nachdenkend an seine Stirn, die andere umfaßte krampfhaft die Waffen in seinem Gürtel.
»Nein, nein! meine Geliebte!« rief er, »Du mußt fort, ich muß Dich besser verbergen. Ich bin arm, und du, o! Du, das einzige Kleinod meines Lebens. Die Maroons sind erschreckt; sie haben gehört von der grausamen Wuth der wilden Thiere, die man herbeigeholt, um ihre Leiber zu zerfleischen. Sie zittern nicht, sie haben muthige Herzen und bald wird mein Beispiel sie mit neuer Kraft erfüllen. Sie werden diese wilden Bestien tödten, wie sie den Eber tödten, der so stark ist, wie der Sieger. Ich lache über diese weißen Thoren; sie stehen auf einem Abgrund und sehen ihn nicht. Aber wenige Wochen noch und der Tornado wird kommen, seine Blitze werden sie zerknicken wie Rohr, die Erde wird beben und sie verschlingen.«
.
Schön und stolz aufgerichtet wie, ein König sprach er, und Judith rief:
»So will ich Dich immer sehen, so frei und muthig und ich ahne es, der allgemeine Aufstand ist nahe.«
»Meine Brüder in Acompong und im Westen sind erwacht und unten in den Pflanzungen gährt es,« sagte der Häuptling. »Ich habe meine Männer hinabgeschickt; sie haben ihre Worte in die Ohren der feigen Eboes geträufelt wie süßen Saft, der sie berauscht hat. Nur dieß Eine noch: diese Spanier und ihre Hunde todt, einen Sieg noch über die Buccras, die ich so oft wie dürre Mangolablätter vor mir hergejagt habe, und hunderttausend Arme erheben sich. Ihr Massas, ihr grausamen, verrätherischen Massas, zittert! Acompongs Donner ist euch nahe und er, der Erbärmliche, der nach meinem Blute dürstet, mehr als alle die wilden Hunde der Spanier, Williamson, ich werde ihn finden.«
In dem Augenblick that Judith einen lauten Schrei, indem sie aufsprang und nach der Thür stürzte. Montague wandte den Blick dorthin. Eine Gestalt, die sein Blut erstarren machte, stand auf der Schwelle. Williamson in seinem schmutzigen, zerrissenen Kleide, das bleiche Gesicht, in dem die Augen mit unaussprechlicher Gier nach Rache und Tod auf ihn geheftet waren, schien riesenhaft, gespenstisch aus dem Boden gewachsen.
»Hier bin ich,« rief er mit tiefer grollender Stimme, »und da –«
Montague stürzte den Tisch mit den Lichtern in dem Augenblick zu Boden, als Judith dem Pflanzer einen so heftigen Stoß gab, daß er von der Schwelle zurückgeschleudert wurde. Sein Gewehr entlud sich vor ihm, er wußte nicht, ob die Kugel seinen Feind getroffen hatte. Er lief gegen die Thür von Bambusstäben, sie widerstand und drin war es still.
»Zurück,« schrie Craskell, »Du wirst getödtet!«
Aber Williamson warf sich mit voller Gewalt gegen die schwache Verkleidung, bis sie brach, und das Pistol in der einen, sein langes Waidmesser in der andern Hand, sprang er in die tief dunkle Hütte. Die Hunde eilten bei ihm hin; ein Gekreisch von Mädchenstimmen erhob sich im Hintergrunde, die schwarzen Dienerinnen wurden von den Thieren herbeigeschleppt.
Plötzlich stieß der Neger Cato draußen ein lautes Geheul aus.
»Massa, komm! komm!« schrie er, »Maroon Capitain Teufel ist, hat einen andern Ausgang, da, da!«
Und er deutete auf die jäh abschüssige Felswand, an welche die Hütte sich lehnte, von der ein schmaler Pfad hinaufführen mußte, denn deutlich in dem Dämmerlichte sahen sie Alle den Häuptling, der Judith in seinen Armen trug und doch mit unbegreiflicher Schnelle zu dem Gipfel aufstieg. Drei Büchsenkugeln flogen zu ihm empor, aber sicher war er nicht getroffen. Mit größerer Behendigkeit nur verfolgte er den Weg. Doch hinter ihm her kletterte ein dunkler Gegenstand, ein anderer folgte, dann eine menschliche Gestalt, die an dem glatten Felsen sich aufhalf.
»Beim Himmel!« rief Craskell, »die Hunde haben den Weg gefunden und Williamson ist ihm nach. Vorwärts denn! tausend Goldstücke, wer den Montague fängt!«
Mit Vorsicht und unter großer Gefahr versuchten sie nachzuklimmen, aber lange, ehe sie den Gipfel erreichten, hörten sie in weiter Ferne das heisere, wüthende Gebell der Hunde und Williamson's Jagdgeschrei verhallen. Plötzlich fiel ein Schuß, gleich darauf ein zweiter, dann meinten sie den Lärm eines Kampfes zu hören, wo Stahl an Stahl schlägt; als sie aber oben lauschten, war Alles verstummt. Vergebens pfiff der spanische Jäger seinen Hunden die sonst so folgsam waren, vergebens ließ er sein Hillooh! erschallen, es antwortete keine Stimme. Der junge Tag stieg leise von den höchsten Gipfeln und der Neger Cato bückte sich nieder und fuhr zurück.
»Blut! Massa,« rief er schaudernd und deutete auf große, rothe Tropfen, die den Boden bedeckten. »Maroon Capitain blutet! hier ist er gegangen, dies sein Fuß ist.« –
»Sein Blut oder das seiner Metze,« rief Craskell, »gleichviel, eins ist so schlecht und dick wie das andere.«
Plötzlich zeigte der Spanier stumm und ernsthaft auf einen Gegenstand im hohen Grase. –
»Es ist dein Hund, er ist todt!« rief der Capitain.
»O! Massa! Massa!« schrie der Neger, »und da zweiter Bluthund todt liegt!«
Das Thier lag mit zerschossenem Kopf über den Wurzeln eines Eichenholzbaumes dicht am Eingange der Urwälder, die bis an den nackten Gipfel der blauen Berge laufen.
»Wo ist Williamson?« schrie Craskell verzweifelnd, und er wiederholte den Namen mit steigender Angst, indem er die Spur verfolgte, welche durch Fußtapfen und dunkle Tropfen auf dem hellen Sande hinlänglich bezeichnet wurde. Aber noch war er nicht weit vorgedrungen, als er das Gewehr aus seinen Händen fallen ließ, und zwischen den Bäumen hin einer kleinen begrünten Fläche zusprang, die den Fuß mächtiger Felsen umzog.
Da lag der tapfere Kreole auf ewig stumm und machtlos. In seiner Brust steckte tief das zweischneidige Messer des Maroonhäuptlings, seine Hände waren festgeballt, mit den Fetzen von Judiths Kleide und mit langem glänzenden Haar gefüllt. Rund umher war der Boden zertreten, rund umher Lachen von Blut.
»Es kann nicht sein!« rief Craskell, »mein tapferer Freund, Du konntest nicht sterben, ohne deine Rache zu vollenden. Sucht umher und ihr werdet ihre Leichen finden. Die Genugthuung soll er haben, daß sie kalt und todt bei den Todten liegen.«
Sie durchsuchten die Felsenhöhen, aber nichts wurde gefunden; sogar die Blutspur hörte an dem Platze auf, wo Williamson lag, und traurig, unter Noth und Gefahr, traten sie den Rückweg nach Kingstown an.
Aber der Krieg war aus mit diesem Tage, denn Montague kehrte niemals wieder. Die Maroons verloren den Muth; die furchtbaren Hunde machten sie zittern. Sie flohen vereinzelt in die Wälder und bald ergaben sich alle ihre Häuptlinge dem menschlichen Walpole, der die spanischen Jäger schnell zurück nach Cuba sandte. Kniend baten fünfhundert schwarze Männer auf dem Felde vor Kingstown Lord Balcarres und die stolze General-Assembly um Gnade.
Sie ward ihnen gewährt, doch die grünen Berge von Hanover sahen sie nicht wieder. Man packte die Rebellen in Schiffe und führte sie nach Rhodes Island auf einen andern Boden, in ein kaltes neues Vaterland. Die Kinder der heißen Sonne hörten nicht mehr den Tornado donnern; sie lagen nicht mehr unter dem Flockengewimmel des Baumwollenbaumes, ach! Cudjoe's heiligen Baum hatte die Axt des weißen Mannes gefällt.
Ihre Hand führte nicht mehr die scharfe Büchse, sie jagten nicht mehr den Eber der Sümpfe, ihr glänzender starker Körper trug nicht länger das leichte, bunte Kleid mit dem grünen Gürtel. Frost und Reif sanken auf sie nieder; da neigten sie ihr Haupt wie Blumen, die der unwissende Gärtner verpflanzt.
In wenigen Jahren lebte kein Maroon mehr auf Rhode Island. Trelawneytown aber liegt wüst und leer; nur alte Leute erzählen noch von dem schönen, schwarzen Menschenstamm, der einst dort oben wohnte und dem kein anderer Neger gleichgekommen.
Aber eine Sage geht durch das Land von dem jungen Häuptling und einer schönen Kreolin, die Beide tief im Schooß der blauen Berge wohnen, in einem seligen, blumenvollen Thale, wohin kein Menschenfuß gelangen kann. Zuweilen glaubt der einsame Wanderer wohl den Ton eines Hornes zu hören, zuweilen auch schreiten durch die Nebel der hohen Felsengipfel schlanke, leichte Gestalten, welche weit über die Gebirge schweben. Sind es Truggebilde, oder umkreisen die Geister edler Todten nächtlich die Stätten, auf denen sie lebten, litten und liebten? Hat Eduard Montague seine Geliebte gerettet und wohnt er nun mit ihr in jenem schönen, unbekannten Thale? – Man weiß es nicht. Kein sterbliches Auge hat die Verschwundenen je mehr erblickt. Historischer Hintergrund ist der Zweite Maroonkrieg auf Jamaika; er brach 1795 aus, nachdem die Maroons sich geweigert hatten, weiterhin Menschen auszuliefern. Der Auslöser für die Kämpfe war die Folterung zweier Sklaven. 5000 Soldaten sowie auf Menschenjagd abgerichtete Bluthunde schlugen den Aufstand nieder. Die Maroon-Anführer wurden gefangen genommen und nach Nova Scotia in Kanada deportiert, von wo aus sie später nach Sierra Leone gebracht wurden.