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Der Weg zum Glück.

Novellette aus dem Leben.


Vor ungefähr zwanzig Jahren ging ein blutjunger Assessor eines Tages in einer der Hauptstädte unserer östlichen Provinzen als ein Bild der Verzweiflung auf der Promenade umher. Er hatte den Hut tief in die Stirn gedrückt, den Kopf gesenkt, die Augen tief auf die Erde gerichtet und kümmerte sich nicht um Herbstregen und Abendnebel, die wild um ihn her wirbelten. Ein paar Vorübergehende sahen ihn bedenklich an; einer derselben grüßte sogar, aber der Assessor dankte nicht. Er schien geschlossenen Auges, doch keineswegs im Lichte zu wandeln; denn plötzlich lief er gegen einen Herrn an, der ihm entgegen kam und mit einem derben Scheltworte zurückprallte.

»Ich bitte um Verzeihung,« murmelte der Assessor halblaut und mit einem flüchtigen Seitenblicke, indem er seinen Weg fortsetzte

.

»Element!« schrie der Gestoßene, »Deine Höflichkeit heilt meine blauen Flecke nicht.«

»O, Du bist es!« sagte der junge Mann, den der Andere festhielt.

»Ja, ich bin es zu meinem Schaden,« versetzte dieser spöttisch; »aber wie siehst Du denn aus? Jammervoll, blaß und mager, wie der Nachmittags-Prediger Flitte. Bist Du krank?«

»Krank, o nein! doch, wie Du willst ja, auch krank, Vetter. Lebe wohl.«

Der Vetter nahm statt aller Antwort den Arm des Assessors und sagte lachend:

»Mensch, Du sprichst wie Romeo, und wenn hier irgend eine Gartenmauer wäre, verschwändest Du deinem Benvoglio, so spurlos wie jener, Du bist also auf jeden Fall verliebt; gestehe!«

»Still,« sagte der Assessor, indem er sich ängstlich umsah.

»Ach, Narrenspossen!« rief der eifrige Herr, »ich muß Dir die Leviten lesen. Ist das ein Betragen von einem jungen, fixen Gesellen, wie Du; von einem, der ein flotter Bursch war sein Leben lang und jetzt ein Kopfhänger geworden ist; ein Kerl, der, wie Fallstaff sagt, aus einer Käserinde gemacht wurde?! Komm mit, mein Junge, wir müssen das bei einer Flasche Sect weiter abhandeln.«

»Laß mich in Frieden,« sprach der Assessor seufzend, »Du weißt nicht, wie mir ums Herz ist; hast das nie gekannt, was mich bedrückt.«

»O, Patron,« erwiederte der Vetter ladend, »so sollst Du mir nicht kommen! Ich bin Advokat, Justizrath, ein Beichtvater für viele Menschen, die mir ihre Sünden anvertrauen und mich um Hülfe anrufen in aller Lebensnoth. Du aber, den ich von Kindesbeinen an gekannt und lieb gehabt, Du solltest Dich schämen, den Verstockten zu spielen.«

Der Assessor stand mit gesenktem Kopf und drückte die Hand des theilnehmenden Freundes.

»Nun, wenn Du nicht mit der Sprache herauswillst,« fuhr dieser fort, »so will ich Dir sagen, was ich gehört habe; denn Du weißt, es giebt überall, so auch hier Leute, die ihren Nebenmenschen eine bewundernswerthe Aufmerksamkeit widmen. Und einer dieser wahren Christen kam und sprach zu mir: ›Ihr Vetter, der Assessor, hat sich wohl lange nicht bei Ihnen blicken lassen?‹

›Nein, seit ein paar Wochen nicht.‹

›Ah – o ja, das glaube ich wohl.

›Wie so?‹

›Nun, haben Sie wirklich nichts gemerkt?‹

›Ich? nein, nichts.‹

›Kennen Sie den Hofrath Täubner?‹

›Der an der Promenade wohnt?‹

›Ja, der die drei hübschen Töchter hat.‹

Er blinzelte mit den Augen, der gute Mann, als er das sagte, und strich mit der Hand über sein mageres, häßliches Rattengesicht, als ich schrie: ›Was, zum Henker, macht er da die Cour?!‹

›Die Cour,‹ sagte er. ›Es ist eine förmliche Liebesgeschichte mit der Ältesten, der Antonie; wenigstens glaubt man das allgemein.‹

›Herr!‹ schrie ich ärgerlich, ›glauben Sie doch nicht, daß mein Vetter ein Narr ist.‹«

Hier faßte der Assessor den Justizrath lebhaft beim Rockknopf und sagte dringend:

»Ich bitte Dich, sprich nicht zu laut.«

»›Das Mädchen ist hübsch,‹« fuhr der Justizrath fort, »›das geb' ich zu; gut, häuslich, sanft, weiblich, kurz: ein Engel! wie die Verliebten von Jeder sagen. Es mag Alles so sein, meinetwegen; aber der alte, langnasige Hofrath hat nichts als die drei hübschen Kinder, und mein Vetter auch nichts, als sein nagelneues Assessor-Patent. Ergo wäre es eine Narrheit, an reelle Liebschaft zu denken, und es ist ein vernünftiger Junge, ein Mensch von Kopf, aus dem was Rechtes werden soll, wie ich denke; der warten kann und hoffen kann, eine vortheilhafte Partie zu machen. Glatte Gesichter haben sie Alle, seit die Pocken geimpft worden; gut und gebildet sind sie auch, dafür erhalten sie Erziehung; kurz, ich glaube es nicht, und will es nicht glauben, daß es mehr ist als eine gewöhnliche Courmacherei.‹«

»Und dennoch ist es mehr als das; weit mehr!« sagte der Assessor mit einem tiefen Seufzer.

Der Justizrath schlug die Arme zusammen und sah ihn forschend an.

»Deine Narrheit ist also ernsthafter Art?« fragte er.

»Nenne es, wie Du willst!« rief der junge Mann leidenschaftlich erregt; »spotte, verhöhne mich. O, ich wollte alle Herzlosigkeit der Menschen, auch der besseren, ertragen, wenn ich damit mein Glück erkaufen könnte.«

»So,« sagte der Vetter gelassen, »es fehlt also noch etwas daran? Sie ist spröde, grausam, tyrannisirt Dich.«

»Wenn Du Alles wissen willst,« erwiederte der Assessor, »so wisse: Nein, nicht sie, aber der Vater – er hat mir gestern …«

»Die Thür gewiesen,« schrie der Justizrath freudig. »Das ist vortrefflich!«

»Nicht das,« fuhr sein Verwandter unwillig fort, »aber er gab mir Andeutungen, die vermuthen ließen, er merke unser Verhältniß und mißbillige es.«

»Wie ein rechtschaffener Vater dies gar nicht anders thun kann,« sagte der Justizrath, »und jetzt sei vernünftig, Gustav. Es giebt viele Tausende Mädchen in der Welt, alle schön und liebenswürdig. Du wirst nicht sitzen bleiben; eine darunter wird sich sicher Deiner erbarmen, wenn die rechte Zeit und Stunde da ist. Mit der aber läufst Du in dein Unglück. – Sieh mich an; ich bin ein alter Junggeselle geworden, und es thut mir keinen Augenblick leid. Entweder muß man vortheilhaft heirathen oder gar nicht. Ich habe das erste nicht gekonnt, Du aber kannst es. Die Zukunft und ihr Glück liegen Dir offen; dies wird wie von selbst über Dich kommen. Entweder Geld oder bedeutende Familienverbindungen, die Dich heben, das muß Dein Wahlspruch sein. Meist heirathet man nur einmal und entscheidet damit für das ganze Leben.«

»So sprechen alle die weisen Leute,« rief der Assessor bitter, »und sie treiben Handel mit Allem, auch mit der Liebe und dem Wohl und Weh der Herzen. Sie begreifen es nicht, daß sich ein Lebensglück nie mit Gold und Ehren abkaufen läßt, daß man in der Hütte, im engen Kreise, seliger wohnen und sich glücklicher preisen kann, als unter Ordensbändern in Palästen.«

»Ich habe manchen Gimpel dies Lied pfeifen hören,« erwiederte der Justizrath nach einer Pause, »aber Du, ein Mann von Geist und Tüchtigkeit, solltest kaltblütiger über die Wahrheit des Lebens denken und den Unverstand der sogenannten Gefühle verachten.«

Der Assessor gab eine erregte, unwillige Antwort, und es half nichts, daß sein verständiger Freund ihm mit unzähligen Gründen aus einander setzte, nichts sei unsinniger und unbesonnener, als diese Vergaffung in ein hübsches Gesicht. Wer hat der Leidenschaft schon Weisheit mit Erfolg gepredigt?!

Eine volle Stunde ging der lebhafte Advokat mit seinem Verwandten ab und auf, trotz des bösen Wetters; doch alle seine Einwürfe und Vorstellungen wurden entschieden verworfen.

»Ich kann nicht,« rief der Assessor wohl zehnmal heftig aus, »und ich will nicht! Ich habe Antonien ewige, unwandelbare Liebe geschworen. Allem Ruhm, allen Planen des Ehrgeizes will ich freudig für sie entsagen. Ich kann nicht leben ohne sie, mein einziger Gedanke ist nur der, irgend ein kleines Amt zu erhalten, das mir Brod giebt. Mag es dürftig sein, wie es will; ich beschwöre Dich, sprich nicht mehr dagegen, es ist vergebens!«

Der Justizrath sah kopfschüttelnd in das brennende Gesicht des jungen Mannes.

»Armer Gustav,« sagte er mitleidig, »Du liebst also wirklich so, daß Du die Welt verpufftest eines hübschen Mädchen wegen?«

»Ich liebe, das ist alles, was ich weiß.«

»Es muß ein seltsamer Zustand sein,« fuhr der Justizrath fort; »Doch wenn Du willst, durchaus willst, wohlan, ich will Dir helfen. In T. suchen die Bürger einen Syndicus; ein Wort von mir, und Du hast die Stelle, die fünfhundert Thaler einbringt.«

Der Assessor fiel mit einem elektrischen Entzücken in allen Gliedern dem Justizrath um den Hals.

»Bester, liebster Vetter, wenn Du das könntest,« rief er, »ich wäre der glücklichste Mensch unter der Sonne.«

»Ich kann es gewiß,« erwiederte dieser mit Überzeugung; »aber, Gustav, wird es Dir nie leid thun?«

»Nie, o, niemals!« rief der Assessor; »wie kannst Du das nur denken!«

»Gut, so wollen wir morgen nach T. fahren. Ich werde Dich vorstellen, und Du wirst gewählt. Nun aber komm. Es ist verdammt kalt und naß; wir wollen die Sache umkehren, uns außen trocken, innerlich naß machen und vergnügt sein.«

Und sie waren vergnügt. Der Assessor lachte und trank und war von dem Glücke seiner Zukunft berauscht, bis in die späte Nacht. Am andern Tage aber stand er zur guten Stunde, in schwarzem Frack, weißer Binde und gelben Handschuhen an der Thür des Hofrathes und Rendanten Täubner, und nach einem minutenlangen Bedenken und Lauschen klopfte er muthig an. Als drinnen eine Stimme antwortete, öffnete er und verbeugte sich ein wenig befangen vor dem großen, dürren Manne, der die Brille von der Nase auf die Stirn geschoben hatte und von seinem Arbeitstische aus die ganze Majestät seines strengen Gesichts zeigte. Es war der Urtypus eines Hofrathes und Cassenbeamten. Ernsthaft und gravitätisch saß er da, mit dem stolzen Bewußtsein seiner Würde und Wichtigkeit im Staate.

Als er den Eintretenden erkannte und inne ward, daß es kein Besuch in Dienstangelegenheiten sei, verschwand die Falte von seiner Stirn und die Kälte von seinem Gesicht. Er stand auf, gab dem jungen Herrn die Hand, führte ihn zum Sopha, bat ihn, Platz zu nehmen, setzte sich dann neben ihn; und indem er ihm sogar eine Prise anbot, sagte er so freundlich er konnte:

»Ich bin erstaunlich überrascht, sehr freudig überrascht, mein werther Herr Assessor. Was führt Sie in so ungewohnter Stunde zu mir, oder wie? haben Sie sich etwa in der Thür geirrt und wollten dort hinein, um meiner Familie Ihren werthen Besuch zuzuwenden?«

»Ich wollte zu Ihnen, Herr Hofrath,« erwiederte der Assessor.« – –

Der große Mann wurde plötzlich wieder ernsthaft; er witterte einen Supplicanten.

»Womit könnte ich dienen?« murmelte er und preßte die Worte zwischen die Zähne.

Der Assessor drehte seinen Hut rund in den Händen um und heftete die Augen auf den schwarzen Bandsaum. Plötzlich aber schlug er sie auf und sagte:

»Erlauben Sie mir, kurz und bestimmt zu sein. Seit einem Jahre habe ich die Ehre, Ihr Haus zu betreten. Dies gab mir Gelegenheit, Ihre Fräulein Tochter kennen und verehren zu lernen. Ich liebe sie, Antonie erwiedert meine Neigung; es fehlt zu unserm Glücke nur Ihre Einwilligung. Diese zu erbitten, bin ich gekommen, und wenn ich hoffen dürfte … wenn Ihre Achtung wenn mein Charakter … meine Liebe …«

Der alte Herr rückte unruhig auf dem Sopha hin und her. Sein faltenreiches Gesicht wurde mit jedem Wort finsterer; bei der Liebe unterbrach er ihn.

»Alles recht schön,« sagte er, indem er die Brille abnahm und in seine Hand drückte, »ich fühle mich unendlich geehrt, und meine Tochter würde ohne Zweifel kein besseres Loos sich wünschen können, aber …«

»Sie werden unser Lebensglück nicht stören wollen!« rief der Assessor und seine Lippen zitterten, wie die Hand, welche er nach dem strengen Vater ausstreckte.

»Aber,« fuhr der Hofrath in demselben bedächtigen Geschäftstone fort, »ich kann dennoch mein unmaßgebliches Bedenken nicht unterdrücken. Eine Heirath aus Liebe in jungen Jahren scheint allerdings ein sehr verlockendes Glück. Die Liebe läßt Alles im besten Lichte sehen; allein es ist damit wie mit einem falschen Kassenschein, Man glaubt sich schon im Besitz einer Geldsumme zu befinden, betrachtet man es jedoch genau, so steht ein Buchstabe, eine Zahl darin falsch, und die ganze Herrlichkeit ist nichts werth.«

»Und dieser falsche Buchstabe?«

»Das ist die Hauptsache!« rief der alte Herr, »daran knüpft sich Alles. Wenn Liebe Liebe sein und bleiben soll, so ist es nöthig – nichts für ungut, Herr Assessor, – daß sie nicht hungert und nicht friert! Ganz offenherzig, ich habe nichts gegen Ihren Antrag, ich ehre und achte Sie; aber wer eine Frau nimmt, muß denken, er stürzt sich in ein Meer von Sorgen und Nöthen, muß denken, daß sich Wehe auf Ehe reimt, wie unsere Väter schon sagten; muß denken, daß es nicht genug ist, zu lieben und zu heirathen, sondern daß man auch Mittel haben muß, Frau und Kind zu nähren. Und haben Sie das? können Sie daß, bedachten Sie das? Ich kann Antonien nichts geben, als meinen Segen und eine dürftige Ausstattung; Sie, so viel ich weiß, besitzen kein Vermögen, Sie sind Assessor« – er sah ihn mit einem gewissen mitleidigen Blicke an – »allerdings mit Aussicht, weiter zu steigen, bis zu den höchsten Staatsstellen; aber leider – es dauert zu lange jetzt, schlechte Aussichten? Es giebt gar zu Viele von der Sorte,« sagte er versöhnlich lächelnd und seinem Gaste die Hand schüttelnd, »darum dächte ich, wir schlagen es aus dem Kopfe, warten und besinnen uns, legen die Sache ad acta. Was meinen Sie?«

Der junge Verliebte war jedoch dieser Meinung durch aus nicht.

»Sie dürfen versichert sein,« erwiederte er hastig, »daß ich alles wohl bedacht habe. Sie haben, vollkommen Recht. Will man Carriere machen, so gehen Jahre hin, ehe man zu Brod und Stellung kommt. Ich habe mich jedoch entschlossen, allen zweifelhaften ehrgeizigen Plänen zu entsagen, um ein bescheidenes, sicheres Glück zu suchen und rasch zum Ziele zu gelangen. Mit diesen Vorsätzen bin ich hergekommen,« fuhr er dann ruhiger fort, »und damit Sie sehen, daß ich wohl überlege, was ich will, erlauben Sie mir, Ihnen mitzutheilen, daß eine Stelle, welche mir Brod giebt, so gut wie mein ist: In T. ist das Syndicat zu besetzen. Mein Vetter, der Justiz-Commissar, hat alle Schritte zu meiner Wahl gethan; ich habe nur nöthig, mich dort vorzustellen. Das soll morgen geschehen, dann bin ich im Amt, habe fünfhundert Thaler ohne Accidenzien Einnahmen aus Gebühren., und alles in allem läßt sich wohl eine Frau damit ernähren, die so bescheidene Ansprüche macht, wie Antonie.«

Der Hofrath hatte aufmerksam zugehört. Er besaß drei Töchter, die alle hübsch heranwuchsen und Freier begehrten. Er überlegte und rechnete. Einen Syndicus zum Schwiegersohn, fünfhundert Thaler jährlich, es waren freilich keine sonderlichen Aussichten. Aber er konnte ja einmal Stadtrichter oder gar Bürgermeister werden und es immer doch noch zu einigen Titulaturen und Thalern bringen.

»Ich bin Ihren Wünschen gewiß nicht entgegen, lieber junger Freund,« sagte er nach einer Pause. »Wenn Ihre Aussichten auch bescheiden sind, so genügen sie mir doch, und wenn Antonie – halt, halt!« rief er lachend und wehrte den feurigen Dank ab, »erst müssen wir ganz im Reinen sein, ich gebe meine Zustimmung nicht eher, als bis wir Schwarz auf Weiß von wegen der Stelle haben. – Schwarz auf Weiß!« schrie er, »ja, das ist der beste Liebeskitt. So ein Diplom, ein Patent, eine Anweisung, das zieht die Herzen zusammen und wird mit den süßesten Küssen belohnt.«

»Morgen sollen Sie es haben,« rief der glückliche Assessor, »es waltet dabei nicht der geringste Zweifel.«

Der Hofrath zweifelte auch nicht. Er führte den halb und halb Gesegneten zu seiner Familie, und der Rest des Tages verging unter Glücksträumen der Liebenden, die, Hand in Hand, ungestört ihre Luftschlösser bauten und sich von der übrigen Welt absperren durften, recht nach Braut- und Bräutigamsart.

   

Am nächsten Morgen holte der Justiz-Commissar seinen Vetter zu Wagen ab, und beide fuhren nach T. Der Advocat war einer jener lustigen, immer lachenden Gesellen, welche die Welt mit ihren Sorgen und Plagen an sich hingehen lassen, ohne viel danach zu fragen. Die Quintessenz seines Daseins war ein guter Tisch, ein noch besserer Trunk und eine Gesellschaft sorgloser Freunde von gleichem Schlage. übrigens hatte er Herz und Kopf auf der rechten Stelle, und wenn er wollte, Witz und Scharfsinn genug, um seine Lust zum Spott tüchtig damit zu unterstützen.

Es war eine fröhliche Reise, obwohl es eine kalte Herbstnacht war, die eben hereinbrach, als die Thürme der Stadt vor ihnen aufstiegen. Der lustige Vetter hatte tausend Dinge zu bespötteln und zu erzählen. Er sprach, rauchte, trank, lachte und sang ohne Aufhören. Er war das echte Modell eines Junggesellen von vierzig Jahren, der über Liebe nur spöttisch mit den Augen zwiekt, Sarkasmen hervorsprudelt, die Weiber zwar nicht verachtet, aber um so mehr die Ehe. Der sein rundes, rothes Gesicht als die Folge seiner Enthaltsamkeit bewundert und seine Wohlbeleibtheit als das glückliche Ergebniß seiner Freiheit und Unabhängigkeit hoch leben läßt. Es läßt sich denken, daß der Assessor, dem er herzlich zugethan war, nichts desto weniger viel von seinen Spöttereien zu leiden hatte, obgleich er es selbst war, der jenem die Mittel verschaffte, so bald als möglich zur Fahne Hymen's zu schwören.

Als er dem Thore nahe war, hielt er den Wagen plötzlich an und klopfte seine Cigarre ab, indem er nachdenkend mit der Peitsche auf die Stadt wies.

»Es ist doch sonderbar,« rief er aus, »daß eines Menschen Schicksal mit ein paar Schritten weiter, auf immer entschieden werden kann. Ja, wenn ich Dich ansehe, und Alles recht bedenke, möchte ich Thränen weinen oder wenigstens meine Gäule links um machen lassen, um über Hals und Kopf zurückzujagen.«

»Dort,« sagte der Assessor, »dort liegt mein wahrer Lebenshafen.«

»In dem abscheulichen Neste,« schrie der Justizrath, »wo Du verkümmern und untergehen wirst, wenn nicht am Leibe, doch an der Seele! Mensch,« sagte er, und legte seine große Hand auf die Schultern seines Verwandten, den er derb schüttelte, »hast Du auch alles bedacht, Alles überlegt, und willst mit offenen Augen in Dein Unglück rennen? Bist Du reif zum wahren Philister, zum echten Spießbürgerleben? Fühlst Du den unbezwinglichen Trieb, nichts zu sein als der Mann einer Frau, der, wenn sie schmollt und die lieben Kinder schreien, in den Gesellschaftsgarten geht, in die Harmonie, um schlechtes Bier zu trinken, Kegel zu schieben und einfältiges Zeug zu schwatzen? Kannst Du auch vergessen, auf immer und ewig vergessen, was Dein Ehrgeiz Dir einst in unruhigen Träumen vorgespiegelt hat? Du wirst ein armes stilles Leben führen; Deine Wünsche sind abgethan, Deine Zukunft reicht nicht viel weiter, als diese Lehmhütten und Wiesen; Deine Gebeine werden unter den falben Pappeln ruhen, welche dort über das schwarze Gegitter ragen, und Du, mein liebenswürdiger, lebhafter Vetter, Du, der bestimmt schien, bei Muth und Ausdauer, Gott weiß, welche Stufenleiter des Glücks zu erklimmen, Du wirst nicht einmal den Trost haben, daß man auf Deinen Leichenstein setzt: Er wurde Syndicus und starb als Stadtrichter. Weil er ein Weib liebte, vergaß er die Welt und seinen Beruf darin.«

Der Assessor lachte, aber doch brannte manches Wort des guten Vetters wie Feuer in seiner Seele.

»Du weißt nicht, was es heißt: lieben!« sagte er darauf. »Soll ich eitel Lug und Trug, leeren Phantomen nachjagen und dafür ein Wesen aus meinem Herzen reißen, ohne welches mir alles Glück gleichgültig wäre? Du bist ein kalter, verstockter Egoist, der nur in feinen Lüsten den Reiz des Lebens findet. Dir mag, was ich thue, ein schweres Opfer scheinen, für mich ist es keines. Übrigens aber kommen alle Deine gute Lehren zu spät, darum fahre weiter, es wird kalte Nacht.«

Der Justizrath nickte bedauerlich seinem verstockten Freunde zu, dann hieb er auf die Pferde.

»So lauf denn in Dein Unheil, Patron!« schrie er: »mit keinem Narren in der Welt ist schwieriger auszukommen, als mit dem verliebten. Du thust mir auch nicht einmal mehr leid,« fuhr er dann fort: »Was man verschuldet, muß man tragen, was das Herz gesündigt, hat Mancher schon bis zum Tode gebüßt! Und so gehe denn auch Du mit Deinem Kreuze und seufze nicht darunter, wenigstens nicht öffentlich, denn alle Welt würde Dich auslachen, und ich am meisten. Du hast es gewollt, nun hast Du es!«

Der Assessor wickelte sich fester in seinen Mantel, sein Vetter aber fuhr ohne Zögern in die Stadt und hielt vor dem besten Gasthause an. Man kannte ihn hier; bald waren die beiden Reisenden behaglich eingerichtet, aber beide waren unmuthig angeregt. Der Assessor starrte finster vor sich hin, der Justizrath aber pfiff ein Liedchen, setzte dann seinen Hut auf und ging hastig im Zimmer auf und nieder. Es that ihm leid, einen Freund beleidigt zu haben, und doch wollte er nicht ein Geständniß machen, daß er Unrecht gethan. Nach einem Weilchen hielt er es nicht mehr aus; er ging, um, wie er sagte, ein paar nöthige Geschäftsgänge heute noch abzumachen, und versprach, in einer Stunde zurück zu sein.

Als der Assessor allein war, bestand er einen angsthaften Kampf mit sich selbst. Er drückte die Hände in beide Augen, murmelte heftige Worte vor sich hin und stierte dann wieder in die lange verkohlte Schuppe des Lichtes. Die Worte des Vetters hallten immer von Neuem in ihm wieder und erweckten einen Trübsinn, der sich nicht bewältigen lassen wollte. Fern von der Geliebten, kam ihm Manches in ganz anderem Lichte vor. Nicht seine Liebe schien ihm verändert, aber er fragte sich, ob die Mittel zum Zwecke nicht auch anders sein könnten, ob er nicht wirklich hier moralischen Tod erleiden werde. Er dachte an alle Hoffnungen und Träume, die er gewaltsam zerrissen hatte und nun standen sie in ihren Sterbekleidern vor ihm und ängstigten ihn als Gespenster.

Endlich trat er ans Fenster und sah auf die todte Straße hinab. Bang und immer bänger trat ihm der Gedanke an, hier leben und – wie der Justizrath spottend gesagt hatte – sterben zu müssen. Er konnte es nicht mehr aushalten, drüben nach dem Bäckerladen zu sehen, wo eine trübselige Lampe drei oder vier kleine Brötchen beschien, die Niemand abholen wollte.

So nahm er denn auch seinen Hut und schlich leise zum Hause hinaus durch die stillen Gassen, sah die Häuser an, stand an den Spalten der Fensterläden still, durch welche, da und dort, ein Lichtstrahl brach), und beschaute sich das Stillleben innen, die nüchterne Häuslichkeit, an den Tisch gesetzt, um mit den Gaben, die Gott bescheert hatte, satt gemacht zu werden. Die Genügsamkeit und Einförmigkeit dieses von der Welt abgetrennten Familienglücks fröstelte ihn eiskalt an; ein Gefühl trostloser Langenweile rieselte durch Herz und Adern.

Er ließ den Kopf seufzend tief auf die Brust sinken und hob ihn erst wieder auf, als er in seiner Nähe helles Licht durch helle Scheiben fallen sah und laute Stimmen hörte. Da stand mit goldenen Buchstaben groß geschrieben: Wein- und Kaffeehaus; der ehrenwerthe Namen des Wirths darunter.

»Ah!« rief der Assessor, und neuer Muth floß in sein Herz, »giebt es Wein- und Kaffeehäuser hier, so steht es besser, als ich dachte. Überhaupt aber, was soll das Grübeln und Bedenken? Der nichtsnutzige Spott des Vetters kann mich nicht anfechten; meine Entschlüsse stehen fest!«

Mit diesen Gedanken trat er in die kleine Wirthsstube, aus der die gemischten Gerüche von allerlei Speisen und Getränken ihm entgegen wehten, eingewickelt in Wolken von Tabacksdampf, aus welchen die plumpen Gestalten drei oder vier ehrsamer Bürger, wie Ossianische Götter Ossian ist der angebliche Autor von altgälischen Gesängen und Epen aus der keltischen Mythologie. Die »Gesänge des Ossian« sind jedoch eine Fälschung des Schotten James Macpherson (1736-1796) und haben episch dargestellte Schlachten und die Schicksale auserwählter edler Helden zum Inhalt, die sich meist um die Rettung von Königreichen bemühen. Die Handlung spielt im schottischen Hochland und in Skandinavien; deren rauhe landschaftliche und klimatische Gegebenheiten spielen eine wichtige Rolle. aus Nebeln schauten.

Sie saßen und tranken und schienen zu dem wohlhabenden Theile der Bevölkerung zu gehören; besonders der Eine, ein stattlicher, dickleibiger Herr mit rothem, hochmüthigem Gesichte, von dem jeder Zoll es deutlich aussprach: Habt Respect, ich bin der Mann, der mehr Geld hat als ihr alle! Dieser plebejische Dünkel, der so häufig in der reichgewordenen Handwerksklasse zu finden ist, trat dem Assessor widerwillig entgegen. Er wendete schnell den Blick von der Gesellschaft ab, setzte sich an einen Seitentisch, forderte Punsch und bemerkte es gar nicht, daß seine Nichtbeachtung der anwesenden Honoratioren sofort eine Art Verschwörung gegen ihn zu Stande gebracht hatte.

Der dicke Herr betrachtete ihn mit Hohn und Zorn. Er blinzelte unaufhörlich nach dem fabelhaften Menschen, der die Frechheit hatte, ihn nicht zu grüßen und den Hut erst abzunehmen, als er längst an dem Tische saß. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, steckte die Hand in die Tasche, klimperte mit Geld, warf dann den Kopf stolz hintenüber und blies den Rauch seiner Pfeife weit von sich, wobei er mit den Achseln zuckte und hell auflachte, als einer seiner Gefährten ihm etwas zuflüsterte.

Nach und nach entspann sich ein Gespräch, das immer lauter wurde, je weniger der Gegenstand desselben sich daran kehrte; denn der Assessor stützte den Kopf in die Hand und starrte auf ein altes Zeitungsblatt, das auf dem Tische lag, wobei er an etwas ganz anderes dachte. Erst nach einer Weile, als das Lachen um ihn nicht aufhörte, sah er die Gäste einen Augenblick an. Alle grins'ten zu ihm herüber; der dicke Herr betrachtete ihn mit dem Ausdrucke äußerster Verachtung und musterte ihn vom Wirbel bis zur Zehe.

Mit einer ärgerlichen Empfindung wandte der reizbare junge Mann sich ab und fiel in seine vorige Stellung, aber er konnte nicht umhin, von nun an auf das Gespräch zu hören.

»Man hat jetzt eine neue Erfindung gemacht,« schrie ein kleiner Kerl mit einer krähenden Stimme. »Die alte Mühle ist wieder entdeckt worden, auf der die Grobheit abgeschliffen wird.«

»Da wüßte ich gleich Einen, den wir hinschicken könnten,« fiel der dicke Herr ein, und deutete mit der Posenspitze Aus Posen, d. h. Federspulen, machte man gefärbte Aufsätze an Tonpfeifen. seiner Thonpfeife über die Achsel auf den Assessor.

Ein brüllendes Gelächter belohnte ihn: Der reiche Mann behielt seine Würde und nickte seinen Gefährten zu, fortzufahren. Schaden könnte es nicht, rief der Dritte, der ganz heiser war.

»Ich glaube, sie bekämen da ein gutes Probestück,« krähte der Kleine.

»Wenn man seinen Mitmenschen nutzen will,« sagte der dicke Herr, »muß man keine Mühe scheuen. Gern wollte ich selbst dabei helfen.«

»Sie! Sie!« riefen die Anderen und lachten wie toll.

»Es ist erstaunlich! machen Sie nicht solche Witze, bei denen man umkommen muß vor Lachen,« schrie der Kleine, wie er sich erholt hatte.

»Ich setze jetzt meinen Hut auf,« fing der Heisere »Es ist Mode.«

»Wissen Sie, Stieglitz, warum das jetzt Mode ist?« fragte der dicke Herr mit Würde.

»Nein; warum denn?«

»Weil die armen Schlucker in der Residenz allerlei Raupen im Kopfe haben, die sie nicht herauslassen wollen.«

»Ich platze! ich platze!« schrie der Kleine, indem er fast von seinem Sitze fiel, und Alle hielten sich die Seiten und fingen immer wieder an herzerschütternder zu lachen, je mehr sie den Assessor ansahen.

»Hier ist das aber nicht Mode,« fuhr der dicke Herr fort, als sich der Sturm einigermaßen gelegt hatte; »es kann selbst zuweilen schlagende Folgen haben.«

Dabei machte er mit der Hand gegen den Fremden eine sehr bezeichnende Bewegung, gerade, als dieser den Kopf wieder aufhob und ihn ansah.

Eine schnelle Röthe lief über das Gesicht des jungen Mannes. Plötzlich setzte er den Hut auf und trat dicht vor den dicken Herrn, zufällig vielleicht sogar auf dessen Füße; denn mit einem zornigen Schrei stieß dieser den Stuhl zurück, sprang auf, so schnell er konnte, und schrie:

»Was ist denn das für ein Benehmen von Ihnen, Herr? Was wollen Sie, Herr? Wissen Sie, Herr, mit wem Sie es zu thun haben?.

»Danach verlangt mich durchaus nicht,« erwiederte der Assessor; »jedenfalls aber mit einem pöbelhaften dummen Menschen.«

Der dicke Herr hielt den Mund vor Entsetzen offen.

»Er ist verrückt,« sagte er, »oder … oder … es ist unerhört.«

»Er ist verrückt!« schrieen die anderen. »Es ist unerhört!«

»Sie haben sich unterstanden, zu behaupten, daß Sie mir den Hut abschlagen wollen,« fuhr der Assessor während des Geschreies fort. »Wohlan denn, schlagen Sie, wenn Sie Muth haben. Schlagen Sie!«

Der dicke Herr machte eine Bewegung, von der man nicht wußte, wollte er wirklich ausführen, was er behauptet, oder sollte es eine abwehrende Demonstration sein. Ehe er seine Absichten aber entwickeln konnte, gab es einen lauten Schall in der Stube, und noch einen, offenbar eine Folge der zweifachen blitzschnellen Berührung des dicken rothen Gesichts mit der Hand des Assessors. Der dicke Herr sank in den Stuhl zurück, der ganze Körper hatte das Gleichgewicht verloren und stürzte zu Boden.

Die Freunde eilten schimpfend, Hülfe wie Rache fordernd herbei; der Wirth aber, der offenbar mit einem Gefühl gesättigter Schadenfreude den ganzen Handel im Hintergrunde mit angesehen hatte, faßte den Assessor an den Arm, öffnete die Thür und drängte ihn hinaus und sagte lachend und leise:

»Nun, junger Herr, machen Sie, daß Sie fortkommen. Der Spaß ist zehn Thaler werth; o je! der ist nicht zu bezahlen, aber fort mit Ihnen!«

Und dann schrie er ein paar laute, heftige Redensarten über Störung des Hausfriedens hinterher und warf die Thür heftig zu.

Nach ruhiger Überlegung schämte sich der Assessor ein wenig seiner Heftigkeit und gestand sich ein, unvorsichtig gehandelt zu haben; aber er war doch auch erfreut über den Ausgang, und verließ lachend den Kampfplatz mit dem Vorsatze, daß für's Erste Niemand von dem Handel etwas erfahren solle.

So kam er denn ganz fröhlich gestimmt im Gasthofe an und fand den Justizrath, der ihn schon am wohlbesetzten Tische erwartete, eben so heiter gelaunt und bereit, allen Hader vergessen zu machen.

»Du hast also Dein künftiges Paradies in Augenschein genommen,« begann er, »wo es Dir vielleicht besser gefallen hat, als bei Tage, wozu Du noch Zeit genug haben wirst … Deine Sachen stehen gut. Ich habe mit dem einflußreichsten Manne am Orte gesprochen, der Alles entschieden hat. Er hat mir mit Hand und Mund gelobt, Dir zu helfen; so ist es denn so gut, als wärest Du schon der Herr Syndicus dieser würdigen, romantisch gelegenen Stadt. Morgen machen wir unsern Besuch, er hat uns zum Frühstück eingeladen; Abends nimmst Du deine Anstellung mit nach Hause. Kein Wort mehr, Vetter. Jeder sehe, wie er's treibe. Du hast, was Du willst, übrigens bist Du und bleibst Du mein Herzensfreund; und nun laß uns ein Glas auf Dein wahrhaftes Glück und eine frohe Zukunft leeren. Julie,« rief er der niedlichen Kellnerin zu, »eine frische Flasche, mein Kind, vom Besten für den Herrn Syndicus.«

Bald waren sie beide in der besten Laune; Scherz folgte auf Scherz, und wie es der Abend gelassen, begann der Morgen wieder, bis sie ausstaffirt in bester Weise sich auf den Weg zu dem wohlgesinnten Gönner machten, dessen Küche und Keller der Justizrath nachdrücklich pries.

Bald standen sie an einem stattlichen Hause. Ein flinkes Mädchen öffnete die Thür vor ihnen und endlich das Staatszimmer, in welchem der Hausherr zu finden sein sollte.

Der Justizrath drang in seiner Weise hinein.

»Wo ist er?« schrie er. »Wo ist mein wackerer, hochverehrter Freund? Ah da! Mein würdiger Herr, hier bringe ich unsern Candidaten, der sich Ihrer dauernden Gewogenheit zu empfehlen wissen wird.«

Der würdige Herr kam mit freundlichem Lächeln und ausgestreckten Armen näher; plötzlich aber blieb er stehen. Sein rothes Gesicht wurde blau und dunkel vor Zorn und Entsetzen, dann trat er zurück und schrie mit großer Heftigkeit:

»Er hat sich schon empfohlen, nachdrücklich empfohlen; aber Hab und Gut will ich verlieren, Herr, ehe Sie die Stelle bekommen, Herr, das schwöre ich Ihnen! Ich habe nichts, gar nichts mit Ihnen zu schaffen!«

So lief er hinaus und warf die Thür ins Schloß, daß das Zimmer dröhnte.

Der Assessor stand bleich und starr vor seinem Verwandten, der ein ganz unbegreifliches Gesicht machte, mit dem Finger nach seiner Stirn tippte und leise sagte:

»Der alte Mensch ist augenscheinlich so eben verrückt geworden; ich hoffe, er wird wieder vernünftig werden.«

»Gieb Dir keine Mühe,« erwiederte der Assessor, so gefaßt als möglich, »dies Vorurtheil gegen mich ist zu fest eingeprägt.«

Mit wenigen Worten erzählte er den Vorgang, nach dessen Anhören der Justizrath ohne ein Wort seines Vetters Arm ergriff, ihn auf die Straße führend, wo er plötzlich in ein anhaltendes Gelächter ausbrach, während Verzweiflung, Schaam und Wuth den Angstschweiß auf die Stirn des Assessors trieb.

»Da ist freilich nichts mehr zu machen,« rief der Justizrath. »Gott will es nicht haben! Lob sei Dir in der Höhe, Herr! Wir können aber wirklich nichts Besseres thun, als so schnell wie möglich nach Hause zu fahren.«

   

Das thaten sie denn auch; doch in welchem Seelenzustande gelangte der arme Vetter in sein stilles Zimmerchen! Er konnte das Licht sehen, das seiner harrenden, glücklichen Braut leuchtete, und starrte trostlos darauf hin, bis es erlosch. Es giebt keine Qualen der Hoffnungslosigkeit und des Liebesgrams, die ihn nicht in dieser dunkeln und einsamen Nacht anfielen und sein Herz zerfleischten; kein Unglück, das mit dem feinen ihm vergleichbar dünkte. Er blätterte das Buch seiner Zukunft durch, und jedes Blatt schien ein neues furchtbares Bild zu tragen. Schmerz, Spott, Schande leuchteten ihm überall entgegen und verwirrten sein Denken bis zur Vernichtung. Er sollte die aufgeben und verlieren, um derentwillen ihm das Leben allein Reiz zu haben schien. Trennung war unvermeidlich, sie mußte erfolgen, und doch glaubte er sie nicht ertragen zu können.

Nach und nach aber sänftigte sich sein Sturm durch das Erwachen eben jenes Muthes, der kräftigen Naturen im Kampfe mit widerwärtigem Geschick immer zu Hülfe kommt. Sein Stolz und sein männlicher Sinn erwachten zur That. Entschlüsse durchblitzten seine Seele; eine trotzige Energie strömte von belebenden Gedanken und Vorsätzen aus. Neue Bahnen zu betreten, dem Schicksal die Stirn zu bieten, nicht zu wanken, nicht zu weichen, dazu fand ihn der Morgen bereit, und gefaßten Sinnes ging er endlich dem Hause zu, wo seine Zukunft entschieden werden sollte.

Als er näher kam, öffnete Antonie das Fenster. Glück lag auf ihren lächelnden Lippen, es strömte aus ihren zärtlichen und funkelnden Augen auf ihn nieder. Sie ließ ihr Taschentuch ihm verstohlen entgegen wehen, die Liebesflagge, welche das gescheiterte Schiff vergebens begrüßte. In ihren heiligen schönen Empfindungen bemerkte sie seinen kummervollen Dank nicht. Sie sprang ihm entgegen, riß die Thür vom Zimmer ihres Vaters auf und rief mit freudeberauschter, zitternder Stimme:

»Da ist er! Und nun ist Alles gut; nicht wahr, lieber theurer Vater, nun ist Alles gut?!«

Der liebe Vater, dessen Hand sie festhielt, kam dem Assessor entgegen, und er war ein praktischer Mann, der auf den ersten Blick erkannte, daß nicht alles gut sei. Seine grauen Augen zogen sich unter den Wimpern zusammen; sein Ernst wurde zum Hohn, und seine Stimme klang abschreckend scharf, als er ausrief:

»Was habe ich gesagt? Es ist nicht so leicht, Brod zu finden? Das habe ich gesagt.«

Der Assessor wandte sich von ihm zu Antonie, die plötzlich, wie eine Todte, die großen offenen Augen auf ihn richtete, in welchen Thränen hingen, die darin erstarrten und nicht weiter fließen wollten.

»Höre mich an,« sagte er und faßte ihre beiden Hände. »Ein seltsamer Zufall, ein Ungefähr, eine Laune des Schicksals, so lächerlich, daß ich es nicht wieder sagen mag, hat mich um alle meine Hoffnungen gebracht. Aber er hat mich nicht vernichtet, sondern mir neuen Muth gegeben, nach Höherem zu ringen. Willst Du an mich glauben, mir vertrauen? willst Du mich treu lieben, bis die rechte Stunde kommt, so soll nichts uns trennen. Willst Du?«

»Ich will,« sagte sie leise und zitternd, »aber – o Gott!«

»Ich muß sehr bitten,« fiel der Vater zornig ein, »keine Komödie aufzuführen, die nur Unglück stiften kann. Sie sehen wohl, daß hier nur ein Weg möglich ist.«

»Der von Ihnen zu scheiden,« rief der junge Mann, mit fester Stimme, »und bin bereit dazu. Ich verlange keine Versprechungen, Antonie. Kannst Du mich vergessen; kann eines andern Mannes Herz und Hand Dich beglücken, so sei gesegnet, ich klage nicht. So lange dies nicht der Fall ist, halte ich mich für gebunden. Lebe wohl, ich komme gewiß zurück, auf diese Stelle zurück. Ich komme!« sagte er und ließ ihre Hand los.

Er ging, und Niemand hielt ihn auf. In den nächsten Tagen verließ er die Stadt, besuchte einen Verwandten in der Nähe und betrieb seine Versetzung in eine entfernte Provinz, die schnell erfolgte.

   

Drei Jahre gingen hin, und während dieser langen Zeit wurden wenige Briefe zwischen den Liebenden heimlich empfangen und erwiedert, als einziges Zeichen fortbestehender Liebe. Im letzten Jahre war Alles still geworden, denn der Vater hatte doch etwas von der Correspondenz entdeckt und, da inzwischen ein anderer, nicht unannehmbarer Freier sich gemeldet, bei seinem höchsten Zorne jede Fortsetzung der albernen Schreiberei, wie er sagte, verboten.

Da geschah es eines Tages, daß an die Thür des Hofrathes geklopft wurde, eben als Antonie im Zimmer war. Der alte Herr richtete sich auf, schob die Brille über die Stirne und ließ von dem Sermon ab, den er seiner Tochter hielt, welche demüthig, aber in entschiedenen Ausdrücken erklärt hatte, sie werde alle Bewerbungen zurückweisen. Im nächsten Augenblicke that sie einen jähen Schrei und schlang beide Arme um den Eintretenden, der sie festhielt und küßte und wieder küßte, bis der Vater sich störend einmischte.

»Hier stehe ich auf derselben Stelle,« sagte der Assessor, »um zu halten, was ich versprochen. Damals konnte ich Ihnen kein Zeugniß bringen, wie ich es gelobt, das mir Ihren Segen erworben hätte; jetzt aber kann ich es. Nehmen Sie, lesen Sie!« –

Er reichte ihm sein Patent als Regierungsrath.

Es versteht sich, daß die Hochzeit bald gefeiert wurde, und am Abend schlang der Justizrath seine Arme um das junge Paar und rief in lustiger Laune:

»Was habe ich Dir gesagt, Du glücklicher Mensch?! Zum Syndicus in dem Neste warst Du zu schlecht; aber Regierungsrath, Geheimerrath, Präsident zu werden, dazu bist Du gut genug und aus dem rechten Holze. Gott sei ewig gedankt für die Ohrfeigen, die Du dem Kerl gegeben hast, sie haben Dir auf den Weg zum Glück geholfen. In zehn Jahren bist Du Präsident!«

Und zehn Jahre später war der Regierungsrath Präsident.


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