Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zu spät!


1.

Der reiche Fabrikant Hartberg hatte einen Gang durch seine Werkstätten gemacht und kam nachdenkend daraus zurück. An seinem schönen Wohnhause blieb er auf der Terrasse stehen, die in den Garten hinabführte, und überblickte sein Eigenthum. Die Fabrikgebäude mit ihren Dampfschornsteinen lagen zur Seite, er konnte durch die vielen großen Fenster bemerken, wie Räderwerke und Menschenhände arbeiteten, wie Alles in lärmender und doch wohlgeordneter Thätigkeit war.

Heute aber belebte der zufriedene Stolz nicht, wie sonst, das Auge des klugen Kaufmanns, der als der erste Industrielle des Landes galt. Schnell glitt sein Blick darüber hin zur anderen Seite durch den Garten, über Orangenbäume, Treibhäuser, Blumenbeete und schöne Baumgänge, aus deren Schatten jetzt ein junger Mann trat, der, den Blick zur Erde gerichtet und die Hände auf den Rücken gelegt, sich langsam näherte.

Hartberg ging ihm entgegen und beide Männer schienen die Mißstimmung verbergen zu wollen, welche sie beherrschte. Das blasse Gesicht des jüngeren röthete sich, als er die dargebotene Hand ergriff; er erwiederte verlegen den Gruß des Fabrikherrn und dieser zog ihn mit sich fort in den Bogengang von dichtem Weinlaub, der sie verbarg.

»Es ist gut, daß ich Dich treffe, Georg,« sagte er nach einigen gleichgültigen Worten; »ich wünsche mit Dir zu reden.«

»Dann begegnen sich unsere Wünsche, lieber Vater.«

»Ich weiß nicht recht, wie ich es anfangen soll, Dir Alles zu sagen, was ich gern möchte,« fuhr der alte Herr bewegt fort, »nicht, wie ich Dir meine ganze Liebe und Theilnahme ausdrücken will. Du bist der Sohn, meines alten Freunde und Compagnons. Er starb, als Du ein Kind warst, ich habe Dich erzogen und bin stolz darauf. Keinen auf der Welt möchte ich lieber ganz meinen Sohn nennen, als Dich. Wenn das ein Trost für Dich sein kann, so nimm ihn mit auf die Reise, denn reisen mußt Du.«

»Gerne, lieber Vater,« erwiederte Georg, gerührt von der Zuneigung des alten strengen Mannes.

»Du sollst nach England gehen,« sprach dieser weiter. »Ich habe es längst gewünscht, daß Du es besuchen sollst. Deinen Fleiß, Deine Einsicht und Thätigkeit werde ich hier schmerzlich vermissen, allein Du wirst dort manches sehen und lernen, was dem Fabrikanten nützlich ist.«

»Ich erkenne Ihre Güte, lieber Vater,« erwiederte Georg, »und Danke Ihnen. Ohne Zweifel wird diese Reise nicht ohne Vortheile für meine Bildung sein, ich werde lernen, und – ich werde vergessen,« fügte er leiser hinzu.

»Armer Georg!« rief Hartberg, »ich bedaure Dich.«

Der junge Mann richtete den Kopf stolz und erglühend auf.

»Ich glaube,« sagte er, »daß alles Bedauern in dieser Sache verloren ist.

Es lag ein Vorwurf in dem festen Tone seiner Stimme, den Hartberg sehr wohl verstand. Unruhig wendete er sich hin und her und rief dann nach einem Schweigen:

»Du hast Recht, das Geschäft ist abgethan; der Wechsel ist angenommen, aber, Georg glaube mir, leichten Muthes habe ich ihn nicht unterschrieben.«

»Sie haben unterschrieben, das genügt.«

»Mit zitternder Hand und könnte ich die Schrift durchstreichen –«

»Es ist zu spät!« erwiederte Georg kalt.

In diesem Augenblick erschien auf der Terrasse eine junge schöne Dame, deren glänzende Locken im Winde flatterten. Ihr weißes Morgengewand, von einem himmelblauen Cashemir umhüllt, machte die leichte schwebende Erscheinung reizender. Kaum erblickte sie die beiden Verwandten im Garten, als sie die Stufen hinabsprang und sich ihnen näherte.

»Da kommt Agnes,« rief der alte Herr, und sein ganzes Gesicht drückte einen hohen Grad des Entzückens aus. »Mein liebes Kind, bist Du so früh schon munter? O, ich errathe es, die Freude, die Erwartung, hat Dich herausgetrieben. –«

Er konnte nicht weiter sprechen; denn das junge Mädchen schlang beide Arme um seinen Nacken und bedeckte seinen Mund mit ihren Küssen.

»Mein Väterchen,« rief sie, »Freude und Schmerzen, Kummer und Entzücken haben mich nicht schlafen lassen … Ich dachte daran, wie es sein wird, wenn ich nicht mehr bei Dir bin, wenn ich Dich, die Menschen, die Blumen, die Bäume, alles, was ich kenne, und was mich seit den Kinderjahren umringte und erfreute, missen soll. Heute zum letzten Male tritt alles mit seinem bekannten Glück erinnerungsvoll vor mich hin und jenseits liegt eine fremde, unbekannte Welt.«

»Eine neue Welt und neues Glück,« sprach der Vater. »Ja, mein liebes, theures Kind, Gottes Segen über Dich! Doch was ist das? weint eine Braut an ihrem Hochzeitstage? Fort damit, gleich fort damit!« –

Er küßte ihr zärtlich die Augen und sagte dann drohend:

»Wenn Tamnau das sähe, was würde er denken!«

»Er würde wissen, was meine Thränen bedeuten,« erwiederte sie und sah suchend umher. – »Ist er noch nicht hier, lieber Papa? Er versprach ganz in der Frühe zu kommen.«

Der Fabrikherr lachte laut und vergnügt.

»Da haben wir also die Lösung des Räthsels,« rief er. »Der Bräutigam verspricht mit dem letzten Sternenschein zu kommen und das treibt die Braut vor dem ersten Sonnenstrahl hinaus. Wie findest Du das, Georg?«

»Ganz natürlich,« versetzte dieser, »denn die Unruhe der Liebe ist eine Sehnsucht der Herzen, die wie Magnetnadeln rastlos umher irren, bis sie den Pol gefunden haben.«

»Das heißt den richtigen Pol,« rief Hartberg, »dessen Anziehungskraft nie endet.«

»Ist denn nicht das der richtige Pol, mein Väterchen,« erwiederte Agnes schalkhaft, »der der armen Magnetnadel ein so ungestümes Herzklopfen verursacht, daß sie immer und ewig zu ihm sich sehnen, von ihm träumen, an ihm hangen muß und durch Sonne, Sterne und Himmel nicht von ihm getrennt werden kann? Doch nein,« rief sie lebhafter, »wie kann man den harten Stahl mit der Liebe des Menschenherzens vergleichen. Das hast Du gethan, Georg, weil Du ganz und gar ein Magnetberg bist.«

»Und im Innern brennen vielleicht Vulkane,« rief der Fabrikherr dazwischen.

»Jetzt fällt es mir ein,« fuhr Agnes fort, »was ich vor einiger Zeit, ich weiß nicht genau, träumte oder irgendwo gelesen habe. Gieb mir Deine Hand, lieber Georg, und höre aufmerksam zu. Es fuhr einst ein Schiff in ein fernes Land, das hatte einen Helden an Bord und einen Weisen. Beide wollten eine Reise machen, der eine nach Abenteuern jagen, der andere die Welt erforschen. Sie kamen zu wilden Völkern, zu Riesen, Zwergen und Zauberern, und wenn der Held kämpfte und siegte, saß der weise Mann und dachte darüber nach, warum es so sein müßte und nicht anders geschehen könnte. Endlich hoch im Norden gelangten sie auch zu dem Magnetberg, der das Schiff mit fürchterlicher Gewalt an sich zog, bis alle seine Eisentheile endlich krachend sich ablösten und durch die Lüfte fort zu dem Magnet flogen. Der Held faßte den Weisen und schwamm mit ihm an's Land, und während er dies that, erklärte der Weise, wie es zugegangen sei, daß Schiffbruch über sie gekommen. – Endlich erreichten sie den Berg, aber alle ihre Gefährten waren ertrunken, und es frug sich nun, wie sie selbst davon kommen sollten? Der Weise dachte lange nach, dann sagte er: ›Es giebt keine Rettung. Dieser Magnetberg läßt nichts wieder los, was er hat.‹ ›Dort liegen Holztrümmer am Ufer,‹ rief der Held, ›Seile von den Masten hängen daran. Wir wollen ein Floß bauen, alles, was Eisen an uns ist, fortwerfen; dann rudern wir nach der schönen grünen Insel, die ich fern am Horizont sehen kann.‹ – Der Weise aber wickelte sich fester in sein Kleid und sprach: ›Thor, was nützt es, uns abzumühen? Weißt Du nicht, daß das Blut in uns Eisen enthält? Dein ganzes Hirn und Herz ist dem unglücklichen Magnet verfallen, der uns grausam verspottet und umkommen läßt. Er hat uns auf ewig zu seinen Sclaven gemacht, daran müssen wir untergehn und können nicht anders.‹ Bei diesen muthlosen Worten des Weisen richtete sich der Held stolz empor. Er fühlte Zorn und Stärke zehnfach in seinen Adern. Grollend rief er aus: ›Will der Magnet uns so das Leben rauben, so wollen wir dem fühllosen Stein beweisen, was der Menschenwille vermag! Ich will nicht untergehen die Hände in den Schooß gelegt, unmännlich und verzagt.‹ Hierauf sprang er an den Strand hinab, verband die Balken, welche er fand, mit tüchtigen Stricken und hatte in wenigen Stunden ein starkes Floß bereitet. – ›Komm,‹ rief er dem Gefährten zu, ›begleite mich.‹ – ›Nein,‹ erwiederte dieser, ›warum sollte ich, wie ein Narr, mich quälen? sei verständig und stelle Dein ohnmächtiges Widerstreben ein.‹ – Allein der Held ergriff die Ruder, er kämpfte mit Wellen und Strömung und mit dem Eisen in seinem Blut und Herzen, das ihn wirklich immer wieder zurück zu dem Berge zog. Endlich hatte sein Wille und seine Kraft Alles überwunden; er fühlte sich freier, leichter; sein Fahrzeug schoß rasch über die Fluthen dahin und bald lagen schöne glückliche Inseln vor ihm, wo ihn ein neues Leben erwartete. Der Weise dagegen sah zu spät ein, wie seine Weisheit ihn betrogen, er mußte jammervoll auf dem Magnetberge enden.«

Während dieser Erzählung war Agnes den Gang in Begleitung Georgs hinabgegangen, der es nicht zu bemerken schien, daß die frohe Braut ihrem Vater ein Zeichen gab, zurückzubleiben. – Jetzt stand sie still und sah ihren Pflegebruder bittend an.

»Ich fasse den Sinn Deines Mährchens sehr gut,« sagte dieser ruhig, »allein, liebe Agnes, Du scheinst Dich über mich und meinen Character sehr zu täuschen. Ich bin eben so wenig ein Weiser, der die Hände in den Schooß legt, um zu sterben, wie an einen Magnetberg gestrandet.«

»Still, Georg,« rief das Mädchen und eine höhere Röthe färbte ihr Gesicht; »Du sollst in dieser Minute nicht heucheln und nicht lügen, ich will es auch nicht … Wir haben uns lieb gehabt von Jugend auf und was unsers Vaters Hoffnungen waren, blieb uns nicht verborgen. – In wenigen Stunden bin ich nun Tamnau's Frau. Es hat nicht anders sein können, Georg, glaube mir, obwohl ich selbst kaum weiß, wie es geschah. Warum sollen wir uns nicht ruhig in dieser Minute des Scheidens sagen, daß wir lange glaubten, das Leben vereine uns auf immer in Liebe? – Ich glaubte das, Georg, bis ich Tamnau kennen lernte, da erst wußte ich, o! verzeihe mir, daß ich Dich nie geliebt hatte. Als meinen Freund liebte ich Dich, Georg, doch nicht mit der Leidenschaft, die man Liebe nennt. So laß uns denn Freunde sein, lieber theurer Bruder, zürne mir nicht. Ich denke mir, daß auch Du einst wirst empfinden, was ich empfand; daß die ruhige Freundschaft, die wir Liebe heißen, von einer stürmischen Macht verdunkelt wird; ja, lieber Georg, daß ein neues Leben Dir in schönen glühenden Liebesträumen aufblüht.«

»Du warst immer eine kleine Schwärmerin,« sagte der junge Mann lächelnd, »nun macht die Liebe Dich ganz und gar zum Poeten. – In dieser letzten Minute, Agnes, will ich wahrhaft, wie immer, zu Dir reden. – Meine Liebe ist niemals eine unruhige Leidenschaft gewesen, noch wird sie je es sein können. Wie ich lieben kann auf Erden, so habe ich Dich geliebt, allein wer mag so gering von mir denken, daß ich meine Liebe noch feil biete, wenn sie sich zurückgewiesen sieht! – Seit der Zeit, wo Tamnau sich um Dich bewarb, wo ich bemerkte, daß seine Huldigungen Dir Vergnügen machten, habe ich einen Buchstaben des inhaltschweren Wortes nach dem andern ausgestrichen und nichts ist davon übrig in diesem Augenblick, als ein heißes Verlangen, Dich glücklich zu wissen. – Meine Wünsche begleiten Dich, liebe Agnes, meine Freundschaft ist unwandelbar und wohl magst Du Recht haben, daß ein neues Leben mir neue Freude und neues Glück bringt; denn Gott sei Dank, ich gehöre, wie Dein Held, zu den praktischen Menschen, welche Willenskraft genug besitzen, um nicht so leicht zu verzagen.«

Agnes lächelte zu Georgs Worten ein wenig erzwungen. Es lag ein gewisses verletzendes Etwas für sie darin, das ihre innersten Gedanken berührte. Eine eisige Kälte drang aus dem, was der Mann sagte, von dem sie geglaubt, er sei durch ihren Wankelmuth tief und tödtlich angegriffen, und legte sich auf ihr Herz. – Georgs Ruhe bildete einen grellen Gegensatz zu ihrer Erregtheit, seine Erklärung, daß seine Liebe längst bis auf den letzten Hauch verschwunden, stach sonderbar schmerzend in ihre Brust und mit einiger Überwindung brachte sie es dahin, dem Gespräche eine leichtere Fassung zu verleihen.

»So wollen wir denn beide glücklich zu sein uns bestreben,« rief sie, »ich an Tamnau's Seite, der mit so inniger Zärtlichkeit mich liebt, Du vereint mit einem schönen, edlen Wesen, das es versteht, Dein stolzes Herz zu rühren.«

»Für's Erste,« erwiederte Georg, »werde Du beglückt. Ich dagegen stürze mich in Geschäfte, habe eine große Reise durch England vor und eigentlich gar keine Zeit, mich zu verlieben. Doch Alles ist jetzt abgethan unter uns, mein Schwesterchen: kommt Zeit, kommt Rath; Deinen Traum werde ich mir merken und kein Magnetberg soll je im Stande sein, mir Herzklopfen zu machen, oder gar mich um's Leben zu bringen. So laß uns denn scheiden. Dort kommt der glückliche Bräutigam mit Kisten und Kasten, mich erwarten meine Arbeiter und hämmernde, schnurrende Maschinen, die nicht in Liebestönen sprechen.«

»Aber in zwei Stunden, Georg, wenn ich geschmückt bin, kommst Du?

»Ich komme,« sagte er im Abgehen, »ich werde Dir den Myrthenkranz aufsetzen und Dein Brautführer sein.«

   

2.

Agnes blieb noch einen Augenblick stehen. »Wunderbar!« sagte sie; »o! wie gut ist es, daß er diese fühllose Ruhe besitzt, wie gut auch, daß ich mit meinen heißen Empfindungen nicht an ihn gekettet wurde.«

Ein junger eleganter Herr eilte jetzt auf sie zu. Die schönen und einnehmenden Züge seines Gesichts paßten zu dem großen stolzen Bau seines Körpers. Ein Bärtchen schmückte seine Lippen und durch Agnes Kopf flog in diesem Augenblick ein Vergleich zwischen diesem edelgestalteten Manne, den sie liebte, und den plebejischen Mienen Georgs, dessen ernster Kopf auf den breiten Schultern wie ein Nachtgespenst an ihr hinflog und im Entzücken ihres Glücks verschwand. Sie flog in Tamnau's Arme, dessen Küsse sie bedeckten, und der Vater stand lachend schon lange neben ihnen, ehe sie aus dem süßen Rausch erwachten.

»Kommt auf die Welt zurück, ihr Kinder, und erholt Euch,« rief er den Liebenden zu. »Morgen ist auch noch ein Tag; es wollen viele gelebt sein.«

»Wäre nicht heute Hochzeit,« sagte Agnes, »so sollte ich böse sein, Rudolph, daß ich so lange Dich erwarten mußte.«

»Was hatte ich Alles zu besorgen,« erwiederte der Bräutigam zärtlich; »diese Kleider- und Modenkünstler unserer Zeit sind gar zu sorglos, sie versprechen, ohne Wort zu halten. Nun bin ich aber hier und mein Diener ist bepackt mit Allem, was Noth thut, laß mich denn sehen, theuerste Agnes, ob mein Geschmack Deinen Beifall hat.«

Er zog sie mit sich fort und Agnes hielt an der Hand den Vater fest. Tamnau hatte die schöne Braut gebeten, ihm die Wahl ihres hochzeitlichen Schmuckes und Staates ganz zu überlassen. So ungewöhnlich dies war, so hatte es doch Reiz genug für sie, in dies Begehren zu willigen. Es spannte ihre Erwartungen und mit allen Andeutungen, welche manche frohe Stunde gefüllt, hatte er nichts verrathen. –

Tamnau, aus einer reichen und angesehenen Familie, der Sohn eines hohen Staatsbeamten, welcher vor einigen Jahren gestorben und seinem Erben schöne Güter hinterlassen hatte, war als einer der ersten Männer der Mode und des guten Geschmacks bekannt. – Nach seines Vaters Tode hatte er große Reisen gemacht, lange Zeit in Paris gelebt und auf der Rückkehr seine einzige Schwester besucht, die in früher Jugend an einen kränklichen ältlichen Mann verheirathet, nach unglücklicher Ehe so eben das Witwenkleid angezogen hatte.

Nun war er seit sechs Monaten in der Hauptstadt wieder erschienen, wo er bald der Mittelpunct glänzender Feste wurde. – Auf einem derselben lernte er die Tochter des Fabrikanten kennen, den der Ruf als Millionär pries. Tamnau verwandelte das alte Haus seines Vaters in einen modernen Palast; sein Reichthum, seine Freigebigkeit, sein Geschmack, seine Liebenswürdigkeit mit feinen Sitten machten ihn zum Gegenstand der Bewunderung und der Hoffnungen und er selbst so schön von Körper, der Tongeber aller Moden, erschien als einer jener Lieblinge der Götter, denen nichts versagt ist, was den Sterblichen gewährt werden kann: Jugend, Schönheit, Reichthum, Gesundheit und Glück!

Jetzt stand er neben der Braut und deckte lächelnd das Tuch von dem blumenbesetzten Korbe, der die reichen Feierkleider enthielt. Welche Fülle von Spitzen und Kanten, von reichgestickten Roben, von theuerem herrlichen Putz! Agnes schöne Augen funkelten vor eitler Wonne, als das zierliche Kleid von schwerem weißen Seidenstoff vor ihr hing mit seinen Besätzen lebendiger Myrthe. Tamnau schmückte sie mit dem alten Familienschmuck seiner Mutter und sie ließ es geduldig geschehen, als er aber auch den Kranz in ihre Locken drücken wollte, hielt sie ihn zurück. Sie dachte an Georg.

»Halt ein!« rief sie, »das ist ein geheiligtes Amt, Du sollst es nicht verrichten. – Man überliefert dem Bräutigam die geschmückte, bekränzte Braut und darf nicht von der alten Sitte abweichen, nicht mit den feinen Blättern und Blüthen scherzen, in denen ein geheimnißvoller Zauber ruhet.«

»Und welchen guten Zauberer hast Du denn ausgesucht,« erwiederte Tamnau scherzend, »Der mit kabalistischen Zeichen und Sprüchen den Kranz und unsern Bund segnen soll?«

»Niemand anders als meinen Bruder Georg, der es begehrte,« rief die Braut, und ohne daß sie es hindern konnte, lief ein dunkles Roth plötzlich über ihr Gesicht. Sie erglühte noch stärker, als Tamnau sie verwundert ansah, plötzlich aber ging diese Verwunderung in ein spöttisches Zucken seiner Lippen über. Er schien Mühe zu haben, seine Lust zum lauten Lachen zu beherrschen, und fuhr mit der Hand über Stirn und Haar, seine Regungen dahinter zu verbergen.

»In der That,« sagte er dann, »ich bin dem Jugendfreunde meiner lieben Agnes vielen Dank schuldig für diesen Beweis seiner Ergebenheit und mache ihm gern Raum. Welch ein edles Herz verräth diese Forderung! Georg muß ein herrlicher Mensch sein, es erweckt mein Bedauern, daß wir bisher uns so wenig genähert haben.«

»Da haben Sie Recht,« fiel der Vater ein, »Georg ist ein tüchtiger Mann; er ist mein Stolz und meine Freude so gut wie Agnes; und im Geschäft, in Kenntnissen und Erfahrungen erreicht ihn so leicht Keiner. Wie Schade –«

Hier schwieg er und machte ein erschrockenes Gesicht über das, was er verschluckte. –

»Liebe Kinder,« rief er dann laut und faßte Tamnau's und seiner Tochter Hände: »nehmt denn meinen Segen, der Himmel wird Alles wohl fügen und nun, ehe die Brautjungfern, oder Fräulein, wie man jetzt wohl sagen muß, und Gäste kommen, die uns stören, noch ein paar Worte zu Euch, welche häusliche Sachen angehen.

Was ich an irdischen Gütern besitze, gehört meiner Tochter nach meinem Heimgange, allein auch Georg hat gerechte Ansprüche. Seines Vaters bedeutendes hinterlassenes Vermögen ist ganz in meinem Geschäft, und ich habe gewissermaßen ein Unrecht gut zu machen; denn diese Capitalien ließ ich, nachdem der Tod das Compagnie-Geschäft auflöste, als Hypothekenschuld auf meine Grundstücke eintragen. Das Geld benutzte ich weiter und benutze es noch, ohne daß Georg bis jetzt Rechenschaft begehrt hätte, obgleich er seit drei Jahren mündig ist, denn er betrachtete sich als meinen Sohn. Nun aber ist es Zeit, dies Verhältniß zu ändern. Ich schicke ihn nach England auf ein Jahr; wenn er zurückkommt, wird er mein Compagnon, oder vielmehr, ich denke auf seine junge Schultern die Last des Ganzen zu werfen, und abwechselnd alsdann bei meinen Kindern zu wohnen, unberührt von dem unruhigen Leben eines Geschäftsmannes, der seinen Kopf selten niederlegen kann, ohne von tausend Entwürfen und Sorgen geplagt zu werden. –«

»Du kommst zu uns, zu mir, mein geliebter Vater,« rief Agnes. »Ich und Rudolph, wir werden jede Sorge von Dir scheuchen.«

»Mein Herzenskind,« sagte der alte Herr entzückt, »ich würde auch nicht ohne Dich leben können. – Was nun meinen Willen betrifft, so habe ich den vorläufig aufsetzen lassen und frage Euch, ob Ihr damit einverstanden seid.«

»Wie kannst Du fragen, lieber Vater,« fiel Agnes ein, »Du hast allein darüber zu bestimmen. Theile zwischen mir und Georg.«

»Sie werden Alles gerecht und zur Zufriedenheit ordnen,« fügte Tamnau hinzu.

»Ihnen, lieber Sohn,« fuhr der alte Herr fort, »bringt Agnes jetzt das ganze Vermögen ihrer Mutter zu, ferner einen jährlichen Wirthschaftszuschuß von zwei tausend Ducaten.«

»Lieber Papa,« rief der Schwiegersohn und schloß den Vater in die Arme, »lassen Sie uns heute nicht weiter von diesen Dingen reden. Am Hochzeitstage Geldgeschichten! Wer wird die himmlischen Empfindungen des Glücks so auf die nüchterne Prosa des Alltagslebens bringen! – Da kommen Wagen, da kommen Gäste, die Brautfräulein, oder meinetwegen die Brautjungfern. Nun geschwind, liebe, geliebte Agnes, husch ins Kämmerlein und ruft mir den wackern Ritter Georg, ich sehne mich nach dem seligen Augenblick, wo er den Kranz in diese Locken drückt.«

Er öffnete die Thür und die Gäste kamen. Die Braut ließ sich von ihren Freundinnen schmücken; bald füllten sich die Räume, es wurden Anstalten getroffen zur festlichen Bewirthung und in der That, wenn Herr Hartberg auch seinem Blute und seinem Benehmen nach zum Volke gehörte, so war doch sein Haus, sein Tisch und sein Keller so eingerichtet, daß sie einem Grafen oder Fürsten Ehre machen konnten. Silberne und goldene Geräthe, schwer und gediegen, bewiesen das eben so wohl wie der herrschende Überfluß an theueren und seltenen Dingen.

Die gallonirten Bedienten des Bräutigams und die bescheidenen Diener des Hauses in neuen saubern Trachten eilten geschäftig auf und ab, und so wie die Diener sich schieden, so schieden sich auch fast die Gäste in zwei wohlerkennbare Theile. Tamnau's Verwandte und Freunde gehörten den ersten und feinsten Kreisen der Hauptstadt an, Hartberg's Familie und die von ihm geladen, waren meist aus den arbeitenden Ständen, Kaufleute und Gewerbtreibende, die Geschäftsfreunde des Hauses und deren Familien, sogar auch einige arme Verwandte, die der gutherzige Mann nicht ausschließen wollte, denn er haßte den Hochmuth, der Freunde verläugnet, weil ihr Schicksal sie nicht hoch gestellt oder reich gemacht hat. Hier aber waren sie ganz geeignet, die Contraste zu vermehren und die Kreise noch mehr abzusondern.

Der Onkel des Bräutigams, der Präsident mit seiner Tochter bildeten den Mittelpunkt des glänzenden Flügels, welcher in dem großen Saale die rechte Seite einnahm. Ordenssterne und Uniformen bewegten sich um die Gruppe von Damen, welche die Feste der Hauptstadt verschönten; im Centrum standen meist Herren von zweifelhafterem Gehalt: Kaufleute, ein Paar Advokaten, ein Paar Doktoren mit ihren Frauen und Töchtern und immer tiefer zur Linken hinab hatten sich instinktartig die verbundenen und bekannten Elemente zusammengefunden, bis zuletzt die armen Verwandten in ihren groben einfachen Kleidern sich schüchtern und flüsternd in den Ecken bewegten. –

Der Kitt der Bildung reichte so wenig zu ihnen hin, wie die Anmaßung des Geldes, das stolz herausfordernde Blicke auf seine Diamanten und spöttische Verachtung auf die Armseligkeit der Geburtsvorzüge warf. Hier war mehr als Einer, der heimlich sich an die Tasche schlug und im Stillen dachte: »Ihr guten Leute mit all Eurer Vornehmheit und Euern bestickten und bebänderten Röcken seid nicht im Stande, halb so viel aufzuwenden als ich.«

Ein Paar Damen mit gewaltigen Ketten und Halsbändern, mit Paradießvögeln auf den Köpfen gaben sich das Ansehen des aufgeblähten Bürgerstolzes und wurden das Stichblatt des Witzes für einige boshafte Betrachtungen der rechten Seite; vier junge Mädchen flüsterten sich zu, daß Georg Bernardi krank sei vor Gram und Ärger, und daß es dieser hochmüthigen Agnes gar nichts schaden könne, wenn Reue über sie käme in Folge dieser Heirath, von der so viel Redens gemacht würde. –

»Glauben Sie denn, Liebe,« sagte die Frau eines reichen Kornhändlers, welche vier hoffnungsvolle Söhne hatte, zu ihrer Nachbarin; »glauben Sie denn, daß hinter dem Tamnau'schen Vermögen viel ist? – Die Tamnau's sind alle Verschwender; Vater und Großvater haben schlechte Wirthschaft getrieben, und wie dieser es macht, wissen wir ja Alle. Da ist denn so ein Gänschen mit goldenen Federn recht passend, die leeren Stellen auszufüllen, aber Du mein Gott! man kann einen Brunnen ausschöpfen und wir werden ja sehen, was es für Folgen hat, wenn man vergißt, wer man ist.«

In diesem Augenblicke neigte sich der Präsident zu seiner Nachbarin, der Generalin, und sagte, indem er eine Prise aus seiner goldnen Dose nahm: »Wir sind hier, wie ich finde, ein wenig genirt, meine gnädige Cousine.«

»Finden Sie das?« erwiederte die stolze Frau. »Ich dächte, man hätte diesem Übel vorbeugen können.«

»Eine gewisse Gleichmacherei liegt in der Zeit,« flüsterte der Präsident achselzuckend, »und wir Alle sind ja weit davon entfernt, Vorurtheilen zu huldigen. – Ich freue mich aufrichtig, daß Rudolph diese Verbindung schließt, es läßt sich vieles dafür sagen.«

»Ich denke doch nicht ganz so liberal, wie Sie, Cousin!« sprach die Generalin erregt, »und gestehe, wenn eine meiner Töchter oder einer meiner Söhne in dem Falle wäre, ihre Sentiments triumphiren zu lassen, ohne den Verstand zu Rathe zu ziehen, so wüßte ich nicht –«

Sie schüttelte mißbilligend den Kopf.

Der Präsident sah lächelnd vor sich hin. –

»Was dieser treffliche Herr Hartberg für schönes gediegenes Hausgeräth besitzt,« sagte er nach einer Pause. »Eine Fülle von Silber, ein Geschmack und Luxus, das seinen Reichthum kund giebt. Es hat sich in unsern Tagen doch recht vieles verändert, liebe Cousine. Handel und Industrie haben mancher schlichten Familie großen Besitz in den Schooß geworfen, auch muß man gestehen, daß viele derselben ihre Kinder vortrefflich erziehen lassen, wie denn überhaupt die Bildung, selbst in den Mittelständen hoch gestiegen ist. – Ein solcher junger Adel der Arbeiterklassen, der Geld besitzt und Ansprüche macht, hat ein gewisses Recht, in unsere Reihen überzugehen. Man muß sich regeneriren, werthe Cousine, das ist eine kluge wohlberechnete Maxime, der ich nicht abhold sein kann, allein sehr natürlich soll der Waizen von der Spreu gesondert werden. Ein Mann von Stande heirathet mit einer schönen Erbin nicht etwa den ganzen Troß einer unsauberen Sippschaft; das ist zu bedenken; doch wie viele Mittel giebt es nicht, eine strenge Grenzscheide dagegen aufzurichten!«

Bei seinen letzten Worten ward die Thür geöffnet und eine Dame, in Trauer gekleidet, trat plötzlich in den Saal. Mitten in dieser bunten, blitzenden Versammlung hatte das schwarze Gewand eine überraschende und peinliche Wirkung. Alle erhoben sich verwundert und betrachteten die Nahende. Unter dem schwarzen Krepphut der Dame fielen lange glänzend dunkle Locken an den Seiten eines blassen Gesichts von blendender Weiße nieder. Zwei große strahlende Augen herrschten darin vor; ein gebietender Ausdruck lag in den starken Zügen, deren fast männliche Bestimmtheit durch dichte Augenbraunen vermehrt wurde.

Die schwarze Dame, schritt rasch auf den Präsidenten zu und reichte ihm die Hand.

»Mein theurer Onkel,« sagte sie, »ich komme zur guten Stunde hier an, um den Hochzeitstag meines Bruders begehen zu helfen.«

»Victoria!« rief der Präsident erstaunt, »ist es möglich; das nenne ich eine Überraschung.«

Die Gesellschaft sammelte sich umher und der Präsident, nachdem er die Nichte geküßt und begrüßt hatte, stellte sie als die vor kurzem verwittwete Frau von Bergenheim vor.

»Vor einer Viertelstunde stieg ich aus meinem Wagen,« sagte die Wittwe; »ich frage im Hause nach meinem Bruder und höre, daß er so eben an den Altar treten soll. So säume ich denn nicht, hierherzufahren und bin erfreut, noch zur rechten Zeit einzutreffen. Ich bin eine seltsame störende Erscheinung in diesem Kreise,« fuhr Frau von Bergenheim zu ihrem Oheim gewendet lächelnd fort, »indeß konnte ich der Neugier und Theilnahme nicht widerstehen, welche mich hierher zogen. Ganz fern in der tiefen Ecke will ich der Trauung zusehen und mich dann davon machen, nachdem ich dem jungen Paar meine Glückwünsche gebracht. Nun aber geben Sie mir ganz in Eile einige Notizen. Rudolph schrieb mir sechs Zeilen von seiner Heirath, die er wunderlich stürmisch unternimmt, als sei er gewaltsam dazu hingetrieben.«

Der Präsident lächelte wie ein Hofmann.

»Es ist ein liebenswürdiges Wesen Deine Schwägerin, meine neue, kleine blondlockige Nichte. Ein allerliebstes Gesichtchen, dabei unterrichtet und klug, endlich das einzige Kind ihres Vaters, in dessen Hause Du bist.«

»Geben Sie mehr von Ihrem Wissen,Onkel,« sagte die Wittwe.

»Du meinst von Rudolph? Er ist sehr verliebt, Du wirst es an seinem Hause schon bemerkt haben. Er bringt große Opfer, ich hoffe, er findet Entschädigung. Er muß seine Zeit und sein Geld gut berechnet haben, wahrhaftig sehr gut; ich wünsche ihm Glück dazu.«

»Sonderbare Täuschung!« erwiederte die Nichte; »ich habe immer geglaubt, Rudolph strebte nach einem hohen Ziel.«

»Rudolph hat Recht, sehr recht, mein Kind. Er muß eine Frau haben, die ein Haus zu machen weiß und alle Mittel dazu besitzt, alle Mittel, meine verständige Victoria.«

Die Nichte blickte den Oheim bedeutsam an und dieser nickte mit dem langen weiß bepuderten Kopfe ihr eben so bedeutungsvoll zu. Sie wollte eine neue Frage thun, allein der Präsident kehrte sich ab und statt seiner trat ein junger eleganter Herr zu ihr, der in verbindlichster Weise sie begrüßte.

»Wir haben uns lange nicht gesehen, Herr von Lingen,« sagte die Wittwe, »aber Sie, als einer der besten Freunde meines Bruders, werden mir viel von ihm erzählen können. – Sie kennen die Braut.«

»Der glückliche Rudolph!« versetzte der junge Herr, »er macht eine außerordentliche Partie. Fräulein Agnes Hartberg ist eine wahrhafte Schönheit.«

»Und reich!« fügte Frau von Bergenheim hinzu.

»Sehr reich, die reichste junge Erbin, die wir haben.«

»Rudolph hat, wie es mir scheint, nicht viel Zeit bedurft, diese schöne Braut zu erwerben?«

»Auf Ehre!« rief Herr von Lingen, »man kann von ihm wie von Cäsar sagen: ›Er kam, sah und siegte!‹« –

Er lächelte ein wenig spöttisch und fuhr dann selbstgefällig fort. –

»Wenn man in der Gesellschaft geboren und erzogen ist, öffnen sich die Herzen unwiderstehlich den Zaubersprüchen eines höheren Cultus. Man erreicht in einer Stunde, wozu Andere Jahre nöthig haben.«

»Wirklich?« erwiederte die Dame. »Das heißt wie ein Lion gesprochen, der seine Schule in Paris machte.«

»Um diese Veste zu erobern, bedurfte es vielleicht kaum eines so vollendeten Gentlemans wie Rudolph ist,« fuhr Herr von Lingen fort. »Fräulein Agnes war einfach erzogen.«

»Die Tochter eines Fabrikanten,« fiel Frau von Bergenheim ein.

»Ganz recht! Die Tochter eines Fabrikanten, der nur für die Wünsche seines einzigen lieblichen Kindes lebt und Schätze sammelt.«

»Und dies liebliche Kind ist ohne Zweifel mit heißem Blut und leicht empfänglichem Herzen ihrer ersten Liebe entgegengeflogen?«

»Wie ein Schmetterling, dem die Flügel wachsen,« rief Lingen lachend. »Aber auf Ehre! sie hat alle Anlagen, eine Zierde unserer Kreise zu werden. Welche liebenswürdige Naivetät, welche Lust am bunten Wechsel des Lebens und dabei Geist und Gefühl, Talent und glänzende Gaben der Gesellschaft. Es wäre unverantwortlich gewesen, hätte diese reizvolle poetische Erscheinung in gemeiner Prosa geendet.«

»So war dazu eine Gelegenheit?« fragte die Wittwe.

»Allerdings. Ein plumper Gesell, Pflegebruder, Mündel, Jugendgespiele und dergleichen war der dem Anschein nach vom Schicksal ihr Bestimmte. Drei oder vier Wochen reichten hin, diesen chevalier de la triste figure ganz zu beseitigen und wahrhaftig, er kann sich glücklich schätzen, denn diese Frau an seiner Seite hätte ihn vernichtet. Jetzt wird er als ein Verschmähter interessant und er findet sich in seine Rolle mit aller Stupidität eines guten Christen und wackern Bürgers.«

»Vortrefflich geschildert,« sagte die schwarze Dame lachend. »Auch ich nehme Interesse an dem unglücklichen Liebhaber, dem ich einen Theil ihres Geistes und Witzes wünsche, sein Schicksal wegzuspotten.«

»Nun endlich,« rief der Präsident, der hereintrat; »der feierliche Augenblick ist da. Tritt hier in die Nische, Victoria, damit Du nicht sogleich bemerkt wirst.«


3.

Die Thüren thaten sich auf und hier führte Georg seine Schwester herein, umringt von ihren Gespielinnen, die sie herrlich geschmückt hatten; dort erschien Tamnau von seinen Freunden begleitet. Sein Oheim, der Präsident, nahm seine Hand und führte ihn auf den Teppich der Braut entgegen; der Priester trat herbei an den Tisch, der den Altar bildete. –

Eine heiße zärtliche Umarmung, feierliche Begrüßungen und Liebesnamen folgten sich schnell, plötzlich aber ward es still, denn Georg begann zu sprechen. Der tiefe starke Klang seiner Stimme ging durch den ganzen Saal und Alle blickten in sein ernstes Gesicht, in dem eine bezaubernde Ruhe und Würde lag.

»Ich führe Ihnen meine liebe Agnes zu,« sagte er dem Bräutigam, »und kann sie Ihnen nicht lassen ohne meinen Glückwunsch. Wie reich wird Ihr Leben sein, wie schön und gesegnet; denn Sie empfangen ein Herz, das Ihnen ganz gehört. Pflegen Sie diesen edlen Schatz, beglücken Sie dies frohe, dankbare Gemüth –«

»Mein Himmel!« rief Tamnau plötzlich, dessen Augen durch den Saal irrten, während er mit leisem Lächeln seine Freunde erblickte; »Victoria! welche freudige Überraschung.«

»Noch einen Augenblick, mein Herr,« fiel Georg ein, und faßte den Arm des Bräutigams und hielt ihn fest. »Erlauben Sie mir erst zu vollenden, was ich Ihnen zu sagen habe.« –

Und mit derselben unerschütterlichen Ruhe sagte er:

»Agnes Glück und somit auch das Ihre, ist mein herzlicher Wunsch. Wie die Zukunft sich aber auch gestalten mag, welche das wechselvolle Menschenleben in sich schließt, ich werde Dir nahe sein, meine liebe Schwester, immer Dein treuer Freund, immer bereit, Dir zu dienen und wenn Du Schutz bedarfst, Dich zu schützen.«

»Ich hoffe, Herr Bernardi,« erwiederte Tamnau, welcher mühsam den aufsteigenden Groll unter seiner spöttischen Antwort verbarg, »Ihre Rede, die uns mit Dank und Freude erfüllt, ist jetzt beendet und wir dürfen dem geistlichen Herrn, voll der besten Vorsätze, kühn vor die Augen treten, nachdem ich meine Schwester begrüßt habe.«

Georg Bernardi verbeugte sich stumm und trat zurück. Diese kleine Scene war jedoch nicht ohne die lebhafteste Theilnahme vorübergegangen. Es war der erste offene Beginn eines feindlichen Verhältnisses zwischen zwei Männern, in deren Herzen und Empfindungen längst der Keim gegenseitiger Abneigung wurzelte, und beide fanden in diesem Kreise Sympathien, und Freunde, die ihre Gefühle theilten.

Gerührte und wohlwollende Blicke hafteten auf Georg, als ihn Hartberg väterlich umarmte, auf der andern Seite lächelte manche Lippe und spöttische Bemerkungen wurden geflüstert. Die Braut stand erröthend und beängstigt, sie zürnte dem, dem Tamnau zürnte, und fühlte sich darin bestärkt, als Frau von Bergenheim, von dem Bräutigam herbeigeführt, sie zärtlich umarmte.

»Nehmen Sie auch meinen Glückwunsch, liebe theuere Freundin,« sagte die Wittwe. »So jung, so schön und gut wird das Glück mit Ihnen sein, und wenn Sie einen Diener, einen Beschützer bedürfen, so mag es nie ein Anderer sein, als der Mann, der Ihr Herz und Ihre Hand gewonnen hat. Kein Dritter möge jemals störend sich in Ihren Bund drängen.«

Die schwarze, hohe Gestalt stand zwischen Agnes und Georg. Jetzt wandte sie sich zu diesem und beider Augen begegneten sich. Mit einem messenden Blick betrachtete sie ihn, dann legte sie die Hände des jungen Paares zusammen und sagte:

»Dort ist Euer Platz und der Prediger wartet.«

   

Die Ceremonie war vorüber. Während dieser ganzen Zeit hatte Frau von Bergenheim dicht neben Bernardi gestanden. Zuweilen sah sie ihn scharf an, wollte sie seine Gedanken errathen, seine Empfindungen erspähen; aber kein Muskel veränderte sich in seinem Gesicht. – Er brachte nach der Trauung ruhig seine Glückwünsche dar und bei Tische war die schwarze Dame seine Nachbarin. –

Sie hatte den Bitten nachgegeben, trotz ihrer unhochzeitlichen Tracht beim Feste zu bleiben und vielleicht war es ihre Absicht, in George Nähe zu sein. Sie regte das Gespräch an und fand in seinen Antworten zahlreiche neue Verknüpfungspunkte. Der junge Mann mit seinem ernsten stolzen Wesen erregte wirklich ihre Theilnahme. Er sprach mit Klarheit und Verständigkeit, er wußte mit seinen Wendungen allen Fragen zu entgehen, die er nicht beantworten mochte; es fehlte ihm ganz an Witz, an dem Ton der feinen Gesellschaft und doch war in Allem, was er sagte, eine Sicherheit, oft eine Kühnheit der Gedanken, die sie überraschte. Seine ruhige Kälte, die dem männlichen Ausdruck seiner Züge etwas Finsteres und Hartes verlieh, machte sein freundliches Lächeln um so angenehmer.

Victoria bemerkte, daß er glänzend schöne Zähne habe; sie musterte die Züge seines Gesichts und fand es interessant, sie sah ihren Bruder an und machte Vergleichungen. Ihr Auge hing prüfend an Georgs hochgewölbter, kluggebildeter Stirn, an der durchdringenden Klarheit seines Blickes, sie fand diesen Mann nicht schön, nicht liebenswürdig, nicht geistreich und gewandt, vielmehr mit allen den rauhen und eckigen Formen ausgestattet, die dem Plebejer und dem Geschäftsmenschen ankleben, aber sie fand ihn ungewöhnlich und in seinem Wesen eine besondere Macht ihm gewogen zu sein, oder ihn zu fürchten und zu hassen.

Als das lange glänzende Mahl sich zu Ende neigte, sagte sie:

»Ich hoffe, Sie öfter und bald wiederzusehen, Herr Bernardi, denn ich denke mir, wir werden gute Freunde werden.«

»Ich hoffe, meine gnädige Frau,« erwiederte er, »Sie entlassen mich mit der Gewißheit Ihres Wohlwollens.«

»Man erringt das nicht so schnell,« versetzte sie lächelnd, »und verliert es leicht.«

»Dann,« erwiederte Georg, »muß ich Hoffnung und Gefahr entsagen, denn in wenigen Tagen reise ich auf Jahr und Tag aus dem Lande.«

Es entstand eine Pause. Endlich sagte Frau von Bergenheim:

»Wer reisen kann, mag reisen. Wen die Heimath nicht zu fesseln vermag, der muß in die Fremde. Doch sucht man oft über Meer und Land das Glück und vermehrt seinen Schaden. Mag Ihr Schiff dann keinen Schiffbruch leiden und das Haus nicht in Asche liegen, wenn sein Herr wiederkehrt.«

»Mein Schiff,« erwiederte Bernardi in derselben Weise, »ist sturmerprobt, es fürchtet keine Gefahren. Sein Steuermann hat Vertrauen zu sich selbst und kennt den Kompaß. Ein Brett rettet den Schiffbrüchigen, wenn er den Muth nicht verliert, und oft schon wurde ein Haus vom Blitz getroffen, das bald neu und schöner aufgebaut dastand.

»Sie gehen sehr hoffnungsvoll in die Fremde,« sagte Victoria, indem sie ihn scharf anblickte.

»Hoffnungsvoll, weil ich Glückliche zurücklasse.«

»Wer kann das sagen?« rief sie rasch. »Was ist das Glück der Menschen? Eine Blume, heute in den schönsten Farben prangend, morgen welk und todesreif.«

Georg sah fragend in das dunkle Auge seiner schönen Nachbarin.

»Wenn das Glück wie Blumenstaub auf den Blättern liegt,« sagte er, »daß es der Wind faßt und fortweht, dann haben Sie Recht.«

»Wenn es aber im Herzen wohnt, die ganze Seele füllt, dann ist es ein Diamant, den die scharfe Feile nur glänzender macht,« fiel sie lachend ein. »Wer wird das Menschenglück so tiefsinnig auffassen, mein theurer Herr; sind denn die Menschen danach angethan, solch Glück zu wollen? Sehen Sie hier unser junges Pärchen. Es wird hintanzen auf den Lebenswellen, ganz in Blumenstaub eingehüllt; heute führt ein Sturm, oder was Sie so nennen, einen Theil davon fort, morgen ersetzt man ihn mit farbigem Puder. Ich versichere Sie, er thut dieselben Dienste. Dasselbe Glück blüht lustig darin auf und sollte einmal der Vorrath ausgehen, sollte wirklich ein Schiffbruch entstehen, dann –«

»Dann werden Sie der gute Engel fein, der hülfreich ihnen nahe ist,« sagte Georg.

»Wie besorgt Sie sind. Ich sage Ihnen, man wird mich nöthig haben. In der größten Welt, Herr Bernardi, ist ein solches Unglück nicht eben lebensgefährlich. Ich habe das kennen lernen, ich weiß davon zu erzählen. Die Wellen, in welche man versinkt, durchnässen, betäuben, doch wenn der Schreck vorüber ist, verständigt man sich mit dem Unvermeidlichen und – tröstet sich, wie man eben kann. Sein Sie daher ganz ruhig und wenn Sie einen guten Rath auf die Reise von mir nicht verschmähen, so rathe ich Ihnen, glauben Sie nicht zu fest an Grundsätze, nach denen alle Menschen selig werden sollen. Sehe Jeder, wo er bleibe, Herr Bernardi; das ist ein alter sehr weiser Spruch. Alle Zeit besteht aus Augenblicken, und Vergänglichkeit ist das große Gesetz der Schöpfung, darum; wer den Augenblick ergreift, lebt, liebt, sich glücklich macht, der versteht seine Aufgabe.«

»Ich danke Ihnen, für diese Belehrung,« sagte Georg, als sie aufstanden. »Sie haben Recht, Jeder in seiner Weise, doch –«

Er heftete seinen Blick auf Agnes, welche so eben von Tamnau fortgeführt wurde.

»Wenn Sie wüßten, wie leicht sich das lernt,« rief Victoria, die seinen Augen folgte. »Doch jetzt zum Schluß: Glauben Sie nicht, daß die Menschen in weißen Gewändern Engel und die in schwarzen –« hier warf sie einen Blick auf ihr eigenes dunkles Kleid – »Dämonen sind.«

Es war spät, als Georg in sein einsames Zimmer trat. Mit einer heftigen Bewegung riß er die Weste auf und preßte beide Hände auf seine Brust, als wollte er auch diese öffnen. Die Lichter auf dem Consol unter dem Spiegel zeigten ihm seine bleichen verstörten Züge. Er warf sich in den Lehnstuhl vor dem Kamin und plötzlich verschwand der Rest seiner mühsam behaupteten Fassung. Ein heftiges Zittern schüttelte seinen Körper wie im Fieber. Der krampfhafte Schmerz in seinem Herzen theilte sich den Gliedern mit, er kämpfte einen letzten fürchterlichen Kampf mit seinen Empfindungen, die ihn wahnsinnig zu machen drohten und er hörte es nicht, daß ein Mann hereintrat, ein alter kleiner Herr mit ergrautem Haar und langem, mageren faltigen Gesicht, das tief in einer weißen Binde verborgen lag.

Er hielt ein Licht in der Hand und trat vorsichtig näher, dann blieb er prüfend stehen und endlich nahm er seine dürre Hand, strich das Haar von Georgs Stirn und sah ihm in die stierblickenden Augen.

Seine kalten Finger weckten Georg auf. Er richtete sich empor und blickte den Störer unwillig an. –

»Sie sind es, Herr Springer?« sagte er, »mir ist nicht wohl, ich bin müde, recht müde.«

»Ich will Sie nicht stören,« erwiederte der alte Herr, »aber ich konnte mich nicht entfernen, ohne Sie gesehen zu haben.«

Er hielt inne und sah mitleidig auf den jungen Mann. –

»Ich glaube es wohl, daß Ihnen weh um's Herz ist,« fuhr er dann fort, »Darum kam ich, Ihnen eine frohe Nachricht als Trost zu bringen. Ich kenne Sie von Ihren ersten Tagen an, lieber Herr Bernardi; denn als Sie geboren wurden, war ich ja schon Buchhalter hier im Hause. Während ich alt ward, sind Sie aufgewachsen und es war unrecht von Hartberg, ich sag' es noch einmal, es war unrecht, daß er mit Ihrem Vermögen schaltete, wie er es that.«

»Still, still!« sagte Georg, »ich habe mich niemals beklagt.«

»Das thaten Sie nicht,« rief der alte Buchhalter, »denn wenn Agnes – gut, ich will nicht weiter reden, ich will nur sagen, daß Herr Hartberg heute seinen Fehler gut gemacht hat.«

Bernardi sah den Vertrauten fragend an und dieser flüsterte:

»Er hat sein Testament gemacht. Ich habe es aufsetzen helfen; es soll dem Gericht übergeben werden. – Sie haben die ganzen Fabriken erhalten und Alles, was dazu gehört. – Nun folgen Sie meinem Rath, reisen Sie nicht, warten Sie noch, bleiben Sie bei uns, lieber Herr. – Hartberg ist jetzt in der richtigen Stimmung, Ihnen das Geschäft gleich abzutreten, denn er ist ganz vernarrt – Gott verzeihe mir diese Sprache! – in das Glück, daß seine Tochter gemacht hat, und wird gewiß darauf eingehen, Sie sofort in Besitz zu setzen. Halb und halb war er dazu entschieden; wenn Georg nicht reisen müßte, sagte er, so brauchte ich dies Document nicht, wir könnten es gleich zu Stande bringen.«

»Er hat Recht!« sagte Bernardi vor sich hin, »ich muß reisen!«

»Nein, nein!« rief der kleine Buchhalter ängstlich, »wer weiß denn, was geschähe; bedenken Sie Alles wohl, lieber verehrter Freund. Ich möchte Ihnen etwas vertrauen,« fuhr er fort, »was ich denke und beobachtet habe, nur müssen Sie mir versprechen, nicht ärgerlich zu werden und es Niemandem wieder zu sagen. – Ich denke mir,« fuhr er leiser fort und legte den Finger an seine Nase, »daß die Freude und das Entzücken hier nicht lange Stich halten werden. – Sehen Sie, lieber Freund, wir kennen ja beide den alten Herrn, thätig, ernst, streng und gerecht, wie er ist, und nun sehen Sie die geputzten Puppen an, die feinen vornehmen Leute, die nichts weiter kennen als Vergnügen, Geld ausgeben, lustig leben in Saus und Braus, wie soll sich das vertragen?«

»Es wird sich vertragen,« erwiederte Bernardi mit einer bitteren Empfindung. »Der Vater wird sich in die Lebenssitte der Tochter fügen, wie er sich in alle ihre Wünsche und Launen gefügt hat.«

»Um so schlimmer, wenn das geschieht,« rief Herr Springer, »um so schlimmer, mein theurer Herr, denn dann grämt er sich heimlich dafür und dieser Gram hat schon angefangen. Sehen Sie ihn doch an, er ist nicht mehr derselbe, unzufrieden, reizbar und dann wieder in sich gekehrt, so wehmüthig und schwermüthig, daß man weinen möchte. Gehen Sie fort, so ist seine letzte Stütze verloren; er bricht zusammen, glauben Sie mir, er hält es nicht aus und dann ist es zu spät, es ist Alles zu spät, auch für Sie.«

»Für mich zu spät!« murmelte Georg. »Sagen Sie das auch? Was soll zu spät sein? Ich bin jung, thätig, meines Willens mir bewußt. Sorgen Sie nicht, Herr Springer, mir kann nichts geschehen, was meine Zukunft verderben könnte, ich bin der Mann, um Mißgeschick zu überwinden.«

»So höre ich Sie gern reden,« rief Herr Springer, und der kleine Mann lächelte beglückt, indem er beide Hände nach dem jungen Freund ausstreckte. »Wenn ich Sie so betrachtete, lieber Georg – verzeihen Sie mir die Vertraulichkeit – wenn ich Ihr stattliches stolzes Gesicht gesehen, so ist es mir, als hätten Sie gar keine Ursache, sich zu grämen. Ein Mann, wie Sie, kann das reichste und schönste Mädchen freien, wenn er nur will, und eine, die es redlich meint, die Sie liebt, merken Sie wohl auf, mein junger Freund, die Sie liebt! – Was wollen Sie also Ihr Herz beschweren um Eine, die über Ihren Kummer lacht.«

Bernardi schüttelte abwehrend den Kopf. –

»Bei meiner Seele,« sagte der tröstende alte Herr eifrig, »das thut sie, ich habe dabei gestanden, mit meinen Ohren habe ich es gehört. Der Herr Gemahl sagte dies und das von Ihnen; er und seine Freunde malten Sie ab als Ritter von der traurigen Gestalt, als Automat, als Einen, der seufzend in der Nacht im Mondenschein umherwandeln würde, und die junge Frau lachte dazu, ihre Augen funkelten höhnisch. Er hat uns den ganzen Tag verdorben, dieser Mensch voll eiserner Nüchternheit, sagte sie lachend, gut, daß er von uns geht, daß ich sein Gesicht auf lange nicht sehen werde, es würde mich ärgern oder zum Lachen reizen.«

»Zum Lachen reizen!« rief Georg, dunkel erglühend, »sagte sie das, sagte sie das wirklich?«

»Ja wahrhaftig, das hat sie wirklich gesagt.«

Bernardi war aufgesprungen von dem Sessel, er faßte mit der Hand krampfhaft in die kalte Marmorplatte des Tisches.

»Mein Gott! beruhigen Sie sich, theurer Georg,« rief der alte Mann erschrocken. »Ich habe es gut gemeint, ich sagte es Ihnen, damit Sie leichter vergessen mögen, was nicht zu ändern ist.«

»Und ich danke Ihnen dafür, mein alter Freund,« erwiederte Bernardi, indem er ihm die Hand bot. »Sie haben mir einen wahren Dienst erwiesen. Ihre Mittheilung macht mich ruhig, ganz ruhig, ich werde schlafen können, nicht seufzend umherirren, dann freilich verdiente ich ausgelacht zu werden.« –

Mit großen Schritten ging er auf und nieder und kehrte zu seinem Vertrauten zurück.

»Gehen Sie zu Bett, lieber Freund,« jagte er, was wir sprachen, bleibt unter uns. Aber reisen muß ich jetzt, sprechen Sie nichts dagegen, ich würde dies Haus verlassen selbst gegen den Willen meines Pflegevaters. In spätestens drei Tagen bin ich auf dem Wege nach England, wir können bis dahin noch Vieles überlegen. Genug für heute und gute Nacht.«

Er schob den alten Mann, der ängstlich widersprach, zur Thüre hinaus und drückte den Riegel zu.


4.

So geschah es denn, daß am dritten Tage wirklich der Reisende seinen Weg nach Hamburg nahm und eine freiwillige Verbannung antrat. Er hatte das junge Paar nicht wieder gesehen.

Am Tage nach der Hochzeit gab Tamnau ein großes Fest, am nächsten wurde dies auf seinem Landgute fortgesetzt. – Hartberg, der die jungen Vermählten begleitete, kam spät in der Nacht hoch beglückt davon zurück. Er war geschmeichelt von den Huldigungen, die sein einziges Kind erfuhr und deren Abglanz auf ihn zurückstrahlte.

Der Minister, welcher eingeladen war, hatte lange mit ihm gesprochen; er hatte sich gewundert, weshalb ein in der industriellen Welt so bedeutsamer Mann nicht einen Titel besitze, nicht geheimer Commerzienrath sei, seine bekannten Verdienste selbst nicht einmal durch einen Orden belohnt wären. Mit einem lächelnden Wink deutete er auf die nächste Zukunft, und dem besonnenen, einfachen Fabrikherrn kam es in diesem Kreise selbst so vor, als fehle ihm etwas, als sei es ganz natürlich, daß er Titel und Auszeichnung hier haben müsse, wo jeder dies besitze. Mit einem Paar Excellenzen hatte er am Whisttische gesessen und mit Vergnügen eine bedeutende Summe verloren, die ihn gar nicht ärgerte, obwohl er hohes Spiel haßte und ein Feind aller Verschwendungen war. –

Er befand sich in einem Taumel erregter Eitelkeit, die er sonst nicht gekannt hatte, und träumte bis zum Morgen von allerlei herrlich geputzten Menschen und Sälen, von glänzenden Aufzügen, Musik und Tanz und wie Agnes, die Königin aller dieser Herrlichkeiten, in langen blumengestickten Gewändern dahin rauschte und wie sie lächelnd ihm zunickte und ihn küßte.

Als er aufwachte war freilich Alles vorbei, allein er fühlte eine Sehnsucht nach seinem Kinde, eine tiefe Lust, Zeuge ihres Glücks zu sein und sein Theil davon zu empfangen. Kein Wunder daher, daß er von Georgs Eintritt unangenehm berührt wurde und daß seine Stirn sich in Falten legte, als dieser ihm eröffnete, daß, nachdem alle hemmenden Geschäfte jetzt abgethan und wohl geordnet seien, er heute seine Reise anzutreten wünsche. –

Hartberg bangte heimlich vor dem Gedanken, Georg, der die Seele der Thätigkeit seines Hauses war, zu verlieren; es kam ihm Alles ganz anders vor als vor einigen Tagen, er begriff nicht recht, warum sein Pflegesohn ihn nun so schnell verlassen wollte, da die Hochzeit doch vorüber war.

»Ich habe allerdings Dich selbst zur Reise aufgefordert,« sagte er nach manchen Einwürfen und Hin- und Herreden, »allein wenn Du wolltest, lieber Georg, so ließe sich die Sache auch ohne dies wohl ordnen. Ich bin alt, es wird mir schwer, angestrengt zu arbeiten, ich brauche einen Gehülfen und wer könnte das anders sein, als Du? Dein Vater war mein Compagnon, sein Sohn hat ein Recht, diesen Platz wieder einzunehmen, und wenn ich abgerufen werde, Georg, so ist mein Wille aufgesetzt, daß das Ganze Dein ist und Dein bleibt.«

»So schwer es mir wird, lieber Vater, Sie zu verlassen,« erwiederte Bernardi in seiner ruhigen Weise, »so muß es dennoch geschehen. Ich kann nicht bleiben, meine Reise ist fest beschlossen.«

Die sanguinische Natur des Fabrikanten regte sich bei diesem entschlossenen Widerspruch.

»Es scheint ja fast,« sagte er aufbrausend, »als wolltest Du fort, selbst wenn ich Dir beföhle zu bleiben.«

»Auch dann,« versetzte Georg. »Glauben Sie mir, es ist nothwendig, daß ich mich auf einige Zeit entferne.«

»Da sieht man die Menschen,« rief Hartberg zornig, »Undank ist ihnen allen eigen. Auch dieser, der mir Alles verdankt, den ich wie mein eigen Blut liebe und groß gezogen habe, er vergißt, was er mir schuldig ist, sobald es sich um sein Interesse handelt.«

»Das kann Ihr Ernst nicht sein, lieber Vater, sagte Georg nach einem Schweigen; »mein Interesse kann Ihnen nie Grund gegeben haben, mir Undankbarkeit vorzuwerfen.«

»Ah so!« schrie Hartberg erhitzt und stand auf; »Du willst mir Vorwürfe machen, ich merke, worauf das zielt. Dein Vermögen bringt Dir nicht genug Zins ein? es scheint Dir nicht sicher angelegt? Du kannst es heben, heute noch heben. Jetzt ist es noch Zeit, die Fabriken zu verkaufen und mich zurückzuziehen. Die Umstände verschlechtern sich von Tage zu Tage; man muß sich anstrengen, tüchtig anstrengen, um Concurrenzen auszuhalten; ich alter Mann werde mich hüten, wahrhaftig, ich werde mich hüten, die letzten Jahre meines Lebens mich ins Joch zu spannen und wofür? Um diese Werke für Dich, für einen Undankbaren zu erhalten, der in der Welt lustig umherschwärmt und zu Hause plagen läßt, wer sich plagen will. Allein Du irrst Dich, ich werde bald genug einen Käufer finden; nimm Du Dein Geld und gehe, wir sind quitt, völlig quitt! Mein Testament, das Dich zum Erben der Schöpfungen meines Fleißes einsetzt, werde ich zerreißen.«

Bei seinen letzten Worten erschienen zu gleicher Zeit von der einen Seite der alte Buchhalter Springer, von der andern Tamnau. Beide blieben an den Thüren stehen, als sie die streitenden aufgeregten Männer erblickten, Hartberg aber machte gegen Alle eine abwehrende Bewegung.

»Ich kann in diesem Augenblick mit Niemandem reden,« rief er, »nehmen Sie es nicht übel, lieber Tamnau, wenn ich Sie bitte, in ein paar Stunden wiederzukommen. Sie, Herr Springer, gehen gefälligst auf's Comtoir zurück, ich werde kommen, und Du, Georg, besinne Dich wohl, was Du thust. Beharrst Du auf Deinem Entschluß, zu reisen, so reise denn, aber trage auch die Folgen Deines Ungehorsams.«

Mit diesen Worten ging er in sein Kabinet.

Bernardi ging bei Tamnau, der noch immer an der Schwelle stand, kalt grüßend vorüber und ließ seine Koffer packen; noch war jedoch keine Stunde vergangen, als Hartberg ihn von Neuem rufen ließ. Er kam dem Eintretenden lächelnd entgegen.

»Dummes Zeug, Georg,« rief er, »welcher böser Geist plagt uns denn, daß Vater und Sohn Schande über sich bringen wollen? – Vergiß, was ich vorhin sagte, und denke: ein alter Mann hat es gesprochen, der reden mag, was er will, ich weiß doch, daß er mich herzlich liebt.«

»Ja, gewiß, das weiß ich, lieber Vater,« rief Georg gerührt.

»Nun also. Und was hast Du beschlossen, mein Sohn?«

»Ich muß fort, ich kann nicht anders.«

»Gut, so reise,« sagte Hartberg. –

Er legte die Hand an seine Stirn und sah ernst vor sich hin.

»Es ist möglich,« sprach er dann, »daß Deine Abwesenheit, die meine angestrengte Thätigkeit verlangt, auch gut für mich ist und doch ist mir's so, als sollte ich Dich nicht fortlassen, weil Unglück für uns Alle daraus entsteht. Doch was hilft das bange Nachsinnen? Du willst es, so mag es denn sein.«

Er umarmte Georg und suchte durch Beweise der Liebe seine Heftigkeit zu vergüten, deren er sich wahrscheinlich mit Scham erinnerte. –

Von Agnes war nicht die Rede, aber der alte Herr dachte an sie mit Unruhe. Zwischen ihrem Leben und seinem lag eine Kluft, die er nicht ganz ausfüllen konnte. Er saß in seinem Stuhle, während Georg die letzten Vorbereitungen machte, ihn zu verlassen, und vor seinen Augen malten sich die Gedanken aus, wie es anders hätte sein können, wenn das Mädchen vernünftig gewesen wäre, wie er halblaut vor sich hin sagte; wenn sie Georgs Hausfrau geworden und mit ihm hier einträchtig wohnte … – Dann würde das kranke Herz des Sohnes es nicht fordern, den Vater zu verlassen; Lust und Leben füllten dann die öden Räume, ein anderes gewohntes herzliches Band der Liebe würde sich um Vater und Kinder schlingen. Das war nun Alles auf immer verloren und beängstigte ihn in der Abschiedsstunde.

Endlich trat diese ein. –

»Genieße die Welt, Georg,« sagte Hartberg noch im letzten Augenblick, »sei vergnügt, spare nichts, denke immer daran, daß Du nicht nöthig hast, irgend eine Ausgabe zu scheuen. Ziehe Wechsel auf mich, so viel Du magst, ich acceptire Alles; schreibe auch so oft Du kannst und laß uns hören, daß es Dir wohl geht. Die größte Freude, die Du mir jedoch machen kannst, wird die sein, wenn ich Dich wieder gesund und heiter in meine Arme schließen kann.«

Er sprach diese Abschiedsworte im Beisein vieler seiner Hausgenossen, die herbeigeeilt waren, ihrem jungen Herrn Glück auf die Reise zu wünschen, und klopfte den alten Buchhalter dann lachend auf die Schulter, als wollte er sagen: »Nun, Springer, habe ich es so recht gemacht?«

Der Buchhalter nickte auch freundlich dazu und suchte die wehmüthigen Falten von seinen dünnen Wangen zu bringen; als er aber wieder an dem Pulte saß und gedankenvoll an der langbefiederten Pose Schreibfeder. kaute, stampfte er plötzlich die Spitze derselben auf, daß sie abbrach, und murmelte mit Heftigkeit vor sich hin:

»Ich bleibe doch dabei, daß es ein Malheur für uns ist, diese Reise und diese Heirath und diese unbesonnene Speculation, diese nachlässige oberflächliche Geschäftsansicht, welche –« er sah sich besorgt um, ob es Niemand gehört habe – »dem Verlust-Conto eine sehr fatale Seite liefern wird.«

   

Wir können den jungen Handelsherrn nur mit wenigen Andeutungen auf seinen Reisen begleiten, die durch England und Schottland gingen, endlich sich aber sogar nach den Vereinigten Staaten und bis Mexiko ausdehnten. Der alte Hartberg war nach und nach einverstanden mit der längeren Abwesenheit seines Pflegesohnes, dessen interessante Briefe über Fabrikverhältnisse, neue Erfindungen, Maschinenanwendung und Vervollkommnung der einheimischen Industrie ihm manche stolze Hoffnungen malten. Georg knüpfte Verbindungen an, ermunterte Hartberg zu Handelsspeculationen nach Amerika, und als diese im Gange waren, erschien es sogar nothwendig, daß Bernardi selbst den befrachteten Schiffen nacheilte, weil sich drohende Conjuncturen und schlaue Übervortheilungen vereinten, um die glücklichen Resultate dieser Expedition sehr ungewiß zu machen.

Mitten in den sorgenvollsten Geschäften und seit vielen Monaten ohne Nachricht von Haus, empfing der Reisende in Mexico endlich ein Schreiben, das den erschütterndsten Eindruck hervorrufen mußte. Es war von der Hand seines Freundes Springer und bestand aus wenigen Zeilen:

 

»Ich benachrichtige Sie hiermit,« so begann es, »daß es dem Allmächtigen gefallen hat, gestern nach kurzem Unwohlsein unsern Herrn Hartberg in die Ewigkeit abzurufen. Die Verwirrung ist groß und allgemein. Die Geschäfte unsere Hauses sind in der letzten Zeit sehr verwickelt worden, die Umstände äußerst betrübend, große Verluste und häusliche Sorgen hatten den Verewigten in der letzten Zeit seines Lebens sehr heftigen Gemüthsbewegungen ausgesetzt. Wollen Sie, daß nicht Alles verloren gehen soll, wollen Sie Ihr eigenes Vermögen retten, so eilen Sie ohne Aufenthalt zu uns zurück. – O, hätten Sie doch meinen Rath befolgt und wären nicht von uns gegangen!« –

 

Die Todesnachricht wirkte einige Minuten lang zerschmetternd auf Georg, er überließ sich seinem Schmerze, aber wie alle energische Charactere fand er eben so schnell die Kraft, mit verdoppeltem Muthe dem Andrange eines feindlichen Schicksals zu widerstehen.

»Was ist vorgegangen?« rief er aus, »Was hat so heftige Gemüthsunruhen herbeiführen können? – Die Verluste dieser unglücklichen Expedition können es nicht sein. Sie sind groß, aber sie reichen nicht hin, Vermögen und Credit zu erschüttern, ja sie sind keineswegs gewiß, denn noch kann Alles sich glücklich wenden.« –

Er sah nach dem Datum des Briefes; dieser war über vier Monate alt. –

»Ich muß sogleich zurück,« rief er entschlossen, »mag werden hier, was da will; der alte Springer hat Recht, meine Gegenwart ist durchaus nöthig.«

Er übertrug nun die Vollmacht, im Interesse des großen deutschen Hauses zu handeln, einem kenntnißreichen und redlichen Agenten, indem er diesem zugleich mittheilte, daß nach dem Tode Hartberg's er der durch das Testament des Erblassers berechtigte Chef der Firma sei. Dann, als er Alles vorsichtig geordnet, trat er die Rückreise an; allein durch den Winter und manche Zufälligkeiten in New-York aufgehalten, begrünte der Frühling die große deutsche Ebene, ehe er den Fuß auf vaterländischen Boden setzen konnte.

Mit banger Erwartung sah er die Thürme der großen Stadt aufsteigen, und heftige Empfindungen regten sich in ihm, als er an dem großen palastartigen Hause Tamnau's vorüberfuhr. Es dämmerte kaum und doch brannten an der Auffahrt große Feuerbecken, von den Sälen herunter drang der Schein zahlloser Wachskerzen, durch die hellen Spiegelscheiben konnte er viele geschmückte Herren und Damen erblicken, deren Wagen und Diener die Straße sperrten. Man feierte ein Fest hier und der alte todte Fabrikherr war längst vergessen; man leerte dessen Geldsäcke, trank Weine, edle Weine und verspottete wohl dabei den Thoren, der sein Lebelang für Andere gesammelt hatte.

Mit diesen düstern Gedanken erreichte er den Baumweg am Flusse, der zu den großen Fabrikanlagen führte. Die hohen Gebäude stiegen empor, umringt von den modernen Obelisken der Industrie, aber Georg richtete sich erstaunt im Wagen auf, als er nirgends ein Licht in diesen weitläuftigen Anstalten erblickte. Sonst hatten viele Hunderte geschäftiger Arbeiter diesen Weg belebt, jetzt lager gänzlich öde; kein Mensch zeigte sich und erst, nachdem der Postillon mehrmals ins Horn gestoßen, öffnete sich die Seitenpforte am Thorwege, aus der der alte Hauswart hervortrat. Georg rief ihn bei Namen und mit einem Freudengeschrei riß der Mann feine Mütze vom Kopf. –

»Gott sei gelobt, daß Sie hier sind, lieber Herr,« rief er. »Herr Springer hat es heute noch gesagt: er wird kommen, er muß kommen, es kann nicht geduldet werben!«

»Was kann nicht geduldet werden?«

»Daß Alles hier verkauft wird, lieber Herr. – Wir arbeiten schon seit vier Monaten nicht mehr. Alles liegt wüst und öde. Gras wächst aus dem Boden; wenn das der alte Hartberg sehen könnte, er würde aus seinem Grabe wiederkommen.«

Der Wagen fuhr in den Hof. Der Hauswart öffnete die Thüren des Herrenhauses. und mit trüben Empfindungen trat Georg hinein. Staubwolken flogen ihm entgegen. Niemand hatte seit langer Zeit diese Räume betreten.

»Das Beste, was da war,« sagte der alte Mann, »haben sie sich geholt; das übrige liegt und steht noch, wie es eben da war. Es soll in der Auction verkauft werden und ich weiß nicht, wo Sie ein Bett finden werden, wenn es nicht hier auf dem Sopha sein kann, auf welchem der alte Herr dort in der Ecke entschlummert ist.«

Georg verlangte Springer zu sehen und als der Hauswart gegangen war, warf er sich auf das Sopha und bedeckte mit beiden Händen seine von Thränen verdunkelten Augen. Zwei Jahre, zwei kurze Jahre seines Lebens, wie hatten sie Alles verändert! Er überdachte mit tausend sich verschlingenden Gedanken die Vorgänge, deren Zusammenhang er immer noch nicht ganz begreifen konnte, und erwartete mit Ungeduld die Ankunft des treuen Freundes. –

Seine Blicke irrten durch den düstern Raum, durch diese Reihe schallender leerer Gemächer, über die Werkstätten, in denen die Stille des Todes herrschte. Wie kam man dazu, sein Eigenthum anzutasten, was ihm gehörte, zu verkaufen, so zu verfahren, als sei er nicht mehr vorhanden? Unzählige Möglichkeiten und finstere Ahndungen stiegen in ihm auf und mühsam gelang es ihm, seine Ruhe äußerlich zu behaupten, als er die Schritte des alten Buchhalters auf der Treppe hörte und dieser endlich, unfähig zu sprechen, vor ihm stand.

Die ersten Worte des alten Mannes waren:

»Mein lieber theurer Herr, ach, Georg! warum mußten Sie uns verlassen? Jetzt ist alles verloren, Alles dahin, es ist zu spät, viel zu spät!«

»Mit diesen Worten haben Sie mich entlassen,« erwiederte Bernardi, »und so empfangen Sie mich. Muth, mein Freund, beruhigen Sie sich, ich bin hier, und nichts ist verloren.« –

Er führte ihn zum Sopha und seine Entschlossenheit schien auf die Zuversicht des alten Herrn wohlthätig zu wirken.

»Es tröstet mich freilich, daß Sie zur Stelle sind,« sagte er. »Ist noch zu helfen, so sind Sie der Einzige, der es vermag, aber machen Sie sich gefaßt, das Schlimmste zu hören.«

»Ich bin gefaßt darauf,« erwiederte Georg.

»Es ist Alles so gekommen, wie ich es geahnt habe,« fuhr Springer fort; »denn kaum waren Sie fort, so entstanden allerlei Mißhelligkeiten zwischen Hartberg und Tamnau. Das mütterliche Vermögen seiner Frau ward ihm ausgezahlt, allein es fand sich, daß er schwer verschuldet war. Das Geld reichte lange nicht hin, die Schulden zu decken, Hartberg mußte bedeutende Summen zulegen; die Güter, welche Tamnau besaß, waren ruinirt, mit Hypotheken belastet, kurz in den ersten sechs Monaten schon war der Friede durch Vorwürfe und ärgerliche Scenen gestört. – Die junge Frau machte jedoch immer wieder die Vermittlerin und ihren Bitten, Thränen und Schmeichelworten haben wir es zu danken, daß stets von Neuem die unverschämten Anforderungen befriedigt wurden. Hartberg ärgerte und kümmerte sich darüber, allein der tiefste Gram kam erst, als er bemerkte, daß seine Tochter nicht besser sei, als der Herr Gemahl. – Wenn er sie besuchen wollte, waren sie in Gesellschaften, er wurde abgewiesen, verlassen; sie kamen nur zu ihm, wenn sie von ihm haben wollten, und nach und nach kam es mir vor, als schämte sie sich des Vaters und dessen einfacher Sitten. Das merkte er und von der Zeit an verfiel er sichtlich. Sein Gedächtniß, das so bewundernswürdig war, verließ ihn, er hatte keinen Willen mehr. Bald war er in äußerster Aufregung und Entrüstung, bald wieder wurde eine Versöhnung gefeiert und durch neue kostbare Geschenke die Freundschaft besiegelt.«

»Und von alle dem habe ich nichts gewußt!« rief Georg betrübt.

»Er schämte sich wohl, Ihnen zu gestehen, wie es herging; mir hatte er es streng verboten und ich fürchtete mich auch, den Unfrieden zu vergrößern. – Hundert Mal war ich doch darauf und daran, Ihnen Alles zu schreiben, und hätte ich ahnen können, daß sein Tod so nahe sei, ich hätte es nicht eine Minute beanstandet.«

»Er starb ohne krank zu sein?«

»Acht Tage war er unwohl, es schien unbedeutend, da kam ein Vorfall dazu, der es zu Ende brachte.«

Der alte Herr neigte sich zu Georg und sagte leiser:

»Die Ehe war ganz und gar nicht glücklich. Tamnau ging und that was er wollte und Agnes soll, wie man sagt, es auch so gemacht haben. Das hatte auch Hartberg erfahren, denn in der ganzen Stadt sprach man davon und wie nun der alte Herr ein Mann von großem Ehrgefühl war, der auf Sitte und Anstand hielt, war er außer sich, solche Schändlichkeiten seinem Kinde nachsagen zu hören. – Er warf es ihr vor, und statt sich zu vertheidigen, spottete sie über die gemeinen Ansichten des Pöbels. Es kam Wort zu Wort, endlich zu heftigen erbitterten Erklärungen, bis sich die Tochter gänzlich verbat, daß der Vater ihren Lebenswandel prüfe, dessen gerechte Würdigung seinen beschränkten Ansichten unmöglich sei. – So stieg sie erhitzt in den Wagen und fuhr davon, aber nach einer halben Stunde war sie schon wieder hier, denn dort lag der alte Herr bewußtlos in der Ecke. Ein Schlagfluß hatte ihn getroffen.«

»Schändlich, schändlich!« rief Georg empört.

»Eine Stunde später war er todt. Geschrieen, geweint, die Hände gerungen, und den Todten um Verzeihung gebeten wurde genug; aber schon nach den ersten Wochen änderte sich Alles. Sie fielen über das Erbe her, wie Raben, und suchten zu nehmen, was zu nehmen war.«

»Wie aber konnten sie wagen, diese Gebäude, diese Anstalten anzutasten, die Fabriken außer Thätigkeit zu setzen, mir zu rauben, was mein war?«

»Warum?« rief der Buchhalter, »Das ist ja eben die Krone ihrer Schlechtigkeiten; weil kein Testament gefunden worden ist!«

»Was sagen Sie da?« rief Bernardi erschreckt. »Kein Testament?! Nun erst versteh' ich den Zusammenhang. – Ich bin also leer ausgegangen, gänzlich enterbt und mein eigenes Vermögen –«

»Steht zur letzten Hypothek auf den leeren Gebäuden dort,« erwiederte der alte Mann kläglich. »Ja, mein theurer Herr, so ist es und ich fürchte beinahe, Sie sind auch darum betrogen. Wer will in dieser schlimmen Zeit die große Fabrik nach ihrem wahren Werth kaufen? Wer hat die Mittel, die Kenntnisse und Fähigkeiten? Für ein Spottgeld wird es losgeschlagen werden und Sie gehen leer aus, Ihre Hypothek erlischt von selbst. Gott vergebe es dem Todten, daß er so gegen Sie gehandelt hat.«

»Sagen Sie mir aufrichtig, Springer,« sagte Georg nach einigem Nachdenken, »glauben Sie, daß das Testament beim Tode meines Vaters vorhanden gewesen ist?«

»So gewiß wir beide leben,« erwiederte der Buchhalter feierlich. »Es war gerichtlich gemacht und in allen Formen fest beglaubigt; ich kann die Personen aufrufen, die dies vollzogen haben; leider aber wurde immer von Hartberg gezögert, es auch gerichtlich zu deponiren. Da dies nun nicht geschehen ist und sich nichts vorgefunden hat, so muß angenommen werden, daß Hartberg es vernichtete, wenn man nicht annehmen will –«

»Daß es entwendet und vernichtet wurde,« sagte Georg. »Es sieht beinahe so aus und doch kann ich es nicht glauben.

»Nicht glauben?« schrie Springer heftig, »glauben Sie das Schlechteste von diesen Menschen und Sie erreichen die Wahrheit doch nicht. Sie thun Alles, um Sie zum Bettler zu machen, daran ist nicht zu zweifeln und um dies gewissenlose Werk bestens durchzuführen, haben sie den Beistand des pfiffigsten Advocaten, den es giebt, sich ausersehen. Auf Antrag dieses Rechtsverdrehers ist die Fabrik aufgelöst, der Verkauf angeordnet und alles mit der wüthendsten Eile betrieben worden, damit es abgethan sei, ehe Sie etwa einträfen. Nun aber hat es sich doch anders gefügt; Sie sind hier und der Verkaufstermin fällt erst in drei Tagen.«

Georg ließ sich den Namen des Advocaten nennen und tief in der Nacht erst, nach manchen reiflichen Erwägungen und genauer Mittheilung aller Vorgänge, entfernte sich der kleine Buchhalter zufriedener und hoffnungsvoller, als er seit langer Zeit gewesen war.


5.

Am nächsten Morgen besuchte Bernardi einen bewährten Rechtsfreund und trug diesem den Fall vor.

Der Justizrath zuckte die Achseln.

»Wenn ich Ihnen rathen soll, lieber Freund,« sagte er, »so suchen Sie einen Vergleich zu fließen. Beweisen können Sie für das Vorhandensein des Testaments nichts. Ihr eignes Vermögen scheint jedoch nur dann nicht ganz verloren, wenn eine gütliche Vermittelung eintritt. – Tamnau muß die öffentliche Stimme fürchten. Es würde eine heillose durch nichts zu rechtfertigende Schlechtigkeit sein, die ihn und seine Frau beschimpft, wenn sie, als die einzigen Erben des reichen Hartberg, die Unbesonnenheit nicht gut machen wollten, welche der alte Herr mit Ihrem Gelde getrieben hat. – Sie müssen das Kapital zahlen, und am besten wäre es wohl, Sie sprächen selbst mit Ihrer Pflegeschwester darüber. So wird es am schnellsten und leichtesten zu lösen sein.«

»Ich glaube, leider! daß Sie sich irren,« erwiederte Georg, »denn Alles, was bisher geschehen, zeugt dafür, man will keine Rücksichten nehmen.«

»Dann sind Sie zu beklagen, lieber Freund,« rief der Advocat, »denn das Gesetz kann Ihnen nicht helfen. Kommen die Grundstücke zum Verkauf, so gehen Sie leer aus. Warum aber, wenn Sie so bösen Willen voraussetzen mußten, warum duldeten Sie, daß Ihr Vermögen so wenig gesichert war?«

»Hartberg war mein Pflegevater,« sagte Georg; »ich hatte Gründe, viele Gründe, mich ganz als seinen Sohn zu betrachten und wenn der Tod ihn nicht überrascht hätte –«

»Ja freilich,« fiel der Freund ein, »Sie sind ein Opfer des Vertrauens und der menschlichen Schwächen, die schon so viele betrogen haben. Hartberg's Gram über die Ehe und das Leben seiner Tochter waren die Nägel zu seinem Sarge; das ist bekannt genug. Glück hat es nicht gebracht, daß er den jungen Wüstling als Eidam erhielt, der mit allem Gelde, das der Alte gespart, wohl fertig werden wird. Das ist wenigstens die allgemeine Meinung, Herr Bernardi, indeß eben weil Tamnau das Geld fortwirft, wird er, wie ich denke, mit Ihnen nicht knickern, wo es sich um seine Ehre handelt. Das Übrige geben Sie auf; an einen Erbschaftsstreit ist nicht zu denken.«

Mit so geringen Hoffnungen entfernte sich Bernardi. Er überlegte, ob er dem Rathe des erfahrenen Freundes folgen und selbst vor diejenigen treten sollte, welche so feindlich gegen ihn verfuhren, oder ob er ganz zurücktreten und was etwa zu erlangen sei, den Vermittelungen des Justizraths überlassen solle! Ein kaum zu besiegender Widerwille gegen eine Unterhandlung, in der er sich Tamnau gegenüber stellen mußte, machte ihn geneigt, den zweiten Weg vorzuziehen.

Schmerzlich zog sich sein Herz zusammen, wenn er an Agnes dachte; er war überzeugt, sein Anblick müsse sie reuevoll erschüttern und Schamröthe in ihr Gesicht bringen, und schon deshalb und seiner eigenen traurigen Empfindungen wegen wünschte er ein Begegnen zu vermeiden. Er fürchtete sich vor dem Anblick eines Wesens, daß er heiß und innig geliebt hatte; zugleich aber empörte sich sein Stolz, einem Manne entgegen zu treten, den er verachtete, der sich unheilvoll in sein Leben gedrängt, der ihn beraubt und besiegt hatte. Es regte sich Alles in ihm gegen den Gedanken, diesem Menschen einen Dank schuldig zu sein, und doch mußte er, wenn er nicht ganz arm sein wollte, demüthig bitten, ihn nicht völlig auszuplündern, und sein Eigenthum als eine Wohlthat oder als ein Almosen annehmen, das von tausend bittern Kränkungen begleitet ihm gereicht wurde.

Als er nach Hause kam, änderten sich seine Entschlüsse. Er fand einen Brief von Tamnau's Advocaten, der in der höflichsten Weise um einen baldigen Besuch bat, da er Herrn Bernardi Wichtiges mitzutheilen habe.

Georg erfüllte dies sogleich. Er fand einen feinen, klug aussehenden Mann, der ihn lächelnd Platz zu nehmen bat und mit einigen höflichen und bedauerlichen Worten auf die eigentliche Sache kam.

»Sie befinden sich in einer schwierigen Lage, Herr Bernardi,« sagte er, »und sind ein viel zu guter Geschäftsmann, um nicht einzusehen, daß Ihr ganzes Vermögen auf dem Spiele steht.«

»Sagen Sie, daß es keinen Pfennig werth hat,« erwiederte Georg.

»Leider ist es so. Die Zeiten sind zu böse, um auf einen guten Verkauf der Gebäude zu rechnen. Ich bin daher beauftragt, im Namen des Baron Tamnau und dessen Gemahlin Ihnen in Betracht mancher Nebenumstände einen Vergleich anzubieten, der vielleicht Ihren Beifall findet.«

»Ich bitte, reden Sie weiter,« sagte Bernardi, als der Advocat schwieg.

»Mit einem Worte: Herr von Tamnau will die Hypothek an sich kaufen und Ihnen die Hälfte des Werths dafür zahlen.«

Bernardi erhob sich kalt.

»Sagen Sie dem Herrn von Tamnau,« sprach er, »daß sie ihm umsonst zu Befehl steht; oder noch besser,« fuhr er fort und zog die Augen düster zusammen, »ich werde ihm das selbst sagen.«

»Sie werden ihn nicht in der Stadt finden,« versetzte der Advocat in seiner lächelnden Weise, »er ist heute auf mehrere Wochen auf sein Gut Beerfelde gereist. Allein, lieber Herr Bernardi, Sie fassen diese Angelegenheit viel zu heißblütig auf. Überlegen Sie meinen Antrag, berechnen Sie genau Gewinn und Verlust dabei, und wie die Verhältnisse nun einmal sind, werden Sie sich eingestehen müssen, daß Sie nicht nein sagen dürfen.«

»Und dennoch werde ich mit Ihrer Erlaubniß dies thun,« sagte Georg. »Wie, mein Herr, Sie, der Sie den ganzen Umfang und den Hergang dieser Sache kennen müssen, Sie können mir rathen, die Hälfte meines Vermögens als ein Geschenk von den Erben eines Mannes anzunehmen, der freilich nicht ahnen konnte, wie man nach seinem Tode schaltet und seinen Namen mit Schande zu bedecken sucht?«

»Ich handle hier nach Auftrag,« versetzte der Advocat, »indeß kann ich wohl sagen, daß einige Gegengründe wohl berücksichtigt zu werden verdienen. – Das hinterlassene Vermögen war nicht so bedeutend, wie man es angiebt. Die Fabrik hatte seit Jahr und Tag mit Schaden gearbeitet, große Summen waren bei der verfehlten Speculation nach Amerika verloren gegangen.«

»Mein Herr,« rief Georg erzürnt, »ich, der Pflegesohn und innigste Vertraute Hartberg's, weiß am Besten, wie die Vermögensumstände des Hauses waren. – Da kein Testament gefunden ist, wie man sagt, sollte man wenigstens so viel wissen können von dem Erbe, um nicht wucherisch über mein Eigenthum zu schachern.«

»Das Testament!« sagte der Rechtsgelehrte süßlich. »Was ist darnach gesucht worden, allein es ist allzugewiß, daß Hartberg es vernichtet hat.«

»Das ist sehr zu bedauern für mich.«

»Sehr zu bedauern, allerdings, indeß läßt es sich erklären, Herr Bernardi. Sie reisten damals ganz gegen den Willen des alten Herrn und unverfängliche Zeugen haben es angehört, wie Hartberg beim Abschiede Ihnen die Wahl ließ, entweder zu bleiben oder als Erbe ganz auszufallen. Es ist nun wohl als gewiß anzunehmen, daß der alte, starrsinnige Mann seinem Vorsatze treu geblieben ist und Sie somit um das Vermächtniß gekommen sind.«

Georgs Blick ruhte forschend auf dem glatten Gesicht des Advocaten. –

»Nun, ich sehe,« sagte er dann, »Sie haben sich gut vorbereitet, mein Herr. Erfüllen Sie denn Ihr Amt und helfen Sie Ihrem Clienten bei dieser gerechten Sache, ich werde keinen Vergleich eingehen, durch den mir nicht mein Eigenthum ungeschmälert zugeht und zwar nicht als ein Geschenk, sondern unter Anerkennung, daß man eine Verpflichtung erfüllt. Das bin ich, wie ich meine, dem Andenken meines verblichenen Pflegevaters schuldig.« –

Er verbeugte sich und ging der Thüre zu, als diese geöffnet wurde und plötzlich Frau von Bergenheim vor ihm stand.

»Sieh da,« sagte sie, »Herr Bernardi. Sie sind von Ihrer weiten Reise glücklich heimgekehrt?«

»Ja, meine gnädige Frau.«

»Und Sie haben keinen Schiffbruch gelitten?«

»Ich habe Land unter den Füßen.«

»Das heißt, Sie halten sich für gerettet.«

Sie warf einen raschen Blick auf den Advocaten der leise den Kopf schüttelte, und sagte dann:

»Mein Bruder wird erfreut sein, noch mehr meine kleine Schwägerin; wir gaben Sie halb und halb verloren.«

»Das ist mir selbst so vorgekommen,« erwiederte Georg.

»Wie sehr hat sich alles verändert,« rief Victoria, »und Sie selbst, Herr Bernardi, Sie sehen ganz anders aus. Sie sind größer geworden, sollte ich meinen, wohler, gebräunter von der Tropensonne. Sie werden uns viel Abenteuerliches zu erzählen wissen.«

»Das Abenteuerlichste dürfte meine eigene Geschichte sein,« sagte Georg lächelnd.

»Ihre Enterbung,« fiel Frau von Bergenheim ein, »das wirft ein besonderes interessantes Licht auf Sie. – Warum gingen Sie damals? indeß wird mein Bruder dies auszugleichen suchen.«

»In der That,« versetzte Bernardi, »er thut es, denn er läßt mir großmüthig für Alles, was ich besitze, die Hälfte bieten.«

»Thut er das wirklich?« rief Victoria; wahrhaftig, »ich hätte es ihm nicht zugetraut!« –

Der Ton ihrer Stimme war so schwankend zwischen Spott und Ernst, daß Georg nicht wußte, was sie eigentlich meine. Im Augenblick darauf aber fuhr sie fort:

»Wie man mir gesagt hat, so haben Sie gar nichts zu erwarten; es wäre daher Thorheit, nicht das anzunehmen, was zu bekommen ist.«

»Es kommt darauf an, ob nicht mehr dabei aufgegeben wird.«

»So haben Sie Lust, einen Proceß anzufangen? – Schade, daß keine Öffentlichkeit des Verfahrens hier stattfindet, es müßten interessante Scenen dabei vorkommen.«

»Es giebt noch eine dritte Art der Abhülfe,« sagte Georg. »Demjenigen den Rest hinzuwerfen, der ohne Gewissensunruhe sich das Meiste aneignete.«

Eine unglaubliche Verwunderung drückte sich in den Zügen der Dame aus, die dann von einem spöttischen Lächeln belebt wurden.

»Wie, Herr Bernardi?« rief sie aus, »Sie sind ein Kaufmann und wollen solchen chevaleresken Träumereien huldigen? Ich versichere Sie, mein Bruder wird sich nicht darum betrüben. Sagen Sie ihm das, wenn das Geld schon aufgezählt liegt, und er streicht es dankbar wieder ein. – Um des Himmelswillen handeln Sie wie ein deutscher Mann, fein bedächtig und vorsichtig; die Summe ist noch immer bedeutend genug, sich zwei Mal zu bedenken.«

»Sie haben Recht, Madame,« sagte Georg, »ich werde es zwei Mal bedenken.«

Als er gehen wollte, faßte sie seinen Arm.

»Hören Sie noch einen Augenblick,« sagte sie. »Ich fahre von hier nach Beerfelde hinaus, kommen Sie nach, es ist überhaupt schicklich, daß Sie sich Ihren Freunden vorstellen. Ich werde kein Wort plaudern, daß ich Sie gesehen, allein kommen Sie nur, das übrige wird sich finden. In Fällen wie diesem, ist es am besten, wenn Mann gegen Mann steht, Freundlichkeit von beiden Seiten thut dann mehr als – die spitzige Zunge und scharfe Feder eines Advocaten sammt allen Rechten und Gesetzen. Fragen Sie den gelehrten Herrn hier selbst.«

Sie wendete sich, mit dem Finger drohend, zu dem Anwalt, der lachend betheuerte, er könne dagegen nichts einwenden; was geschehen solle, müsse jedoch bald geschehen, denn der Verkauf und die Entscheidung sei vor der Thür.

   

Die Rückkehr Bernardi's war schnell bekannt geworden und die allgemeine Theilnahme wendete sich ihm zu. Von den alten Freunden Hartberg's kamen viele, welche ihr Bedauern ausdrückten und an Schmähungen über Tamnau's Benehmen, wie noch mehr über das eitle herzlose Wesen seiner Frau es nicht fehlen ließen. Sie behaupteten, daß selbst manche Bekannte sich von Tamnau zurückgezogen hätten, daß dieser nur durch seine schwelgerischen Feste noch Menschen um sich sammle, daß namentlich das vermißte Testament einen argen, seine Ehre angreifenden Verdacht erregt habe, und in seiner eigenen Familie sich bitter tadelnde und verdammende Stimmen erhöben.

Was half das jedoch dem Bedrohten? Jeder mußte eingestehen, daß Bernardi ein Bettler sei, wenn es ihm nicht gelänge, sein Vermögen durch Vergleich zu retten, und Alle fanden es gut, wenn er in der mildesten Weise durch persönliches Einwirken dazu gelangte. –

Der alte Buchhalter war der Einzige, der nichts davon wissen wollte. –

»Gehen Sie nicht zu Denen, die Sie betrogen haben,« sagte er; »ich bin überzeugt, es hilft zu nichts. Betteln und sich demüthigen werden Sie nicht wollen und nicht können, und das wäre der einzige Weg, wodurch es möglich wäre.«

»Und welchen andern soll ich einschlagen?

»Nehmen Sie, was Sie bekommen können, dann wenden Sie sich an Ihre Freunde. Es giebt wohl mehr als einen darunter, der einem so fermen Kaufmann wie Sie, mit Geld und Credit beispringt; einen ganz gewiß, der, was er sein ganzes Leben über erspart hat, freudig in Ihre Hände legt, ja, gewiß, mein theurer Georg, das thut er und thut es auf der Stelle.«

Herr Springer streckte mit einem begeisterten Lächeln die Hand aus, die Bernardi gerührt und herzlich drückte; eine Stunde später saß er jedoch im Wagen und fuhr nach Beerfelde. Er glaubte es sich schuldig zu sein, jeden Versuch zu machen, sein Erbe zu retten, und heimlich mußte er Victoria's Worten Recht geben, heimlich zogen ihn diese hinaus, denn es war ihm, als fände er einen mächtigen Beistand dort.

Nachdem der Wagen einige Meilen auf der Heerstraße zurückgelegt hatte, lenkte er zur Seite ab in ein Hügel- und wasserreiches Land, das, lieblich begrünt, einen reichen Wechsel von Saaten, blühenden Bäumen und Waldstreifen bot. –

Mitten in einem weiten Thalgrunde lag das große Gut Tamnau's. Das Schloß mit seinen Gärten senkte sich zum See hinab; die Abendsonne spiegelte sich in den hohen Fenstern, überall herrschte tiefe Ruhe und erst als der Wagen in den Vorhof fuhr, sprangen große Hunde bellend herbei, die aus der Thür eines Zwingers schlüpften, an der ein Mann im eleganten Jagdkleide lehnte. Als er sich umwendete, erkannte Bernardi, daß es Tamnau war, der sich, neugierig auf den Besuch, ihm näherte. In der nächsten Minute standen sich beide gegenüber

Das schöngeformte Gesicht des Barons hatte merklich an Jugendfrische verloren. Es lag etwas Abgelebtes, Abgespanntes in seinen Zügen, die von Leidenschaften und Genüssen erschlafft und verbraucht waren. Als er Georg erkannte, lief ein feuriges Roth über seine Stirn, im nächsten Augenblick reichte er ihm höflich die Hand und begrüßte ihn mit allen feinen Formen der Gesellschaft. –

»Ich freue mich, Sie zu sehen,« sagte er, »und freue mich doppelt, daß Sie selbst der Erste sind, der uns die Nachricht Ihrer glücklichen Rückkehr anzeigt. Lassen Sie uns schnell ins Haus gehen, damit Agnes Sie nicht erblickt; wir müssen sie überraschen, ihr Entzücken wird groß sein.«

Der Baron Tamnau führte Georg durch einen Seitengang eine Treppe aufwärts, dann durch mehrere Zimmer und endlich stand er still und winkte ihm; ein lautes lustiges Lachen erscholl durch die nächste Thür. Leise traten die beiden Herren ein. Eine Dame im gewähltesten Anzug saß in einem Lehnstuhl, ein Buch in der Hand, und vor ihr auf Polster und Decke hingestreckt, auf den Elnbogen gestützt, lag ein Mann in nachlässiger Stellung, der ohne Zweifel die heitere Stimmung der schönen Frau erregt hatte.

»Hören Sie auf, Lingen,« rief die Dame so eben, »Ihre Verzweiflung wirkt ansteckend auf mich.«

»Ich bin zu Ende damit,« erwiederte der junge Herr; »aber Sie müssen mir das Zeugniß geben, ein Muster von Beständigkeit zu sein.«

»Wo ist Victoria?«

»Davon gelaufen, als ich ein ernsthaftes Gespräch begann.«

»So hätten Sie ihr nachlaufen müssen.«

»Ach! meine theuere Freundin,« rief der Herr auf dem Polster, indem er tragisch die Hände zusammenschlug, »ich fürchte, ich bin zu lange nachgelaufen. – Hätte sie Ihre schöne Seele; allein sie ist unerschöpflich in Launen und Grausamkeiten.«

»Um so größer ist der Reiz des Sieges,« lachte die Dame.

»Sie spotten meiner,« sagte Lingen. »Zwei Jahre sind es nun, daß ich diesem Sieg nachstrebe. Ich bin vergebens naiv, sentimental, schwermüthig und witzig gewesen.«

Agnes lachte laut. »Und nun?« fragte sie.

»Nun bin ich entschlossen, diese Fesseln zu zerreißen und zu fliehen.«

»Wohin?« rief die Dame; »wir lassen das nicht zu.«

»Und wie gerne,« sagte Lingen, indem er ihre Hand ergriff und küßte, »werde ich mich festhalten lassen.«

Tamnau war auf den Teppich hinter den Stuhl seiner Frau getreten und deckte beide Hände über ihre Augen.

Sie stieß einen Schrei der Überraschung aus und suchte sich frei zu machen.

»Rathe, wer hier an meiner Seite steht,« sagte Tamnau, und Agnes wendete den Kopf und nannte eine Reihe von Namen, deren keiner paßte.

Endlich ließ Tamnau sie los.

»Du räthst es nicht,« rief er, »so sieh denn selbst.« –

Sie blickte den Fremden einen Augenblick an, wie Jemanden, dessen Bild man sich aus dunklen Erinnerungen zurückrufen muß; plötzlich erkannte sie ihn, aber statt der Freude schien nur Bestürzung oder Schrecken die Aufregung zu bewirken, die sie ergriff.

»Georg,« sagte sie mit ungewisser Stimme, »Du bist es, Du bist zurückgekehrt! wie sehr freue ich mich, lieber Georg. Mein Gott! wie mich das überrascht. Du hast Dich sehr verändert.«

Sie hatte ihm die Hand fast zögernd geboten und stand vor ihm, die Augen unruhig auf- und niederschlagend, unvermögend, ihn fest und freundlich anzublicken.

Die schmerzlichste Erschütterung preßte Bernardi's Herz zusammen. Zum Theil war dadurch erfüllt, was er vorhergesagt. Er sah die Röthe der Schaam und die Mahnungen des Gewissens auf ihrem Gesicht, dennoch hatte er es anders gedacht. Er hatte geglaubt, daß Agnes, überwältigt von Erinnerungen und Empfindungen, ihn als den Freund ihrer Jugend, als Bruder, als den Sohn ihres Vaters empfangen würde, nun stand sie wie eine fremde, feindliche Erscheinung da, die nicht den gleißnerischen Ton einer glatten, höflichen Gesellschaftsform finden konnte, wie diese Tamnau zu Gebote stand, und doch nicht Muth und Würde genug besaß, oder eiserne Schlechtigkeit genug, um geharnischt das Ersonnene auszuführen.

Diese verlegene und bedrückende Stimmung verschwand auch nicht durch das nachfolgende Gespräch. Beide Theile bestrebten sich so viel als möglich nicht auf das zu kommen, was nothwendig der eigentliche Zweck des unerfreulichen Besuchs sein mußte. Georg erzählte von seinen Reisen, Agnes von ihrem Leben in der Stadt; lange Pausen traten ein, bis endlich Herr von Lingen, der vom Polster sich erhoben hatte, um sich an's Fenster zu stellen, das Zimmer verließ.

Bernardi benutzte diese Entfernung. Er setzte sich neben seine Pflegeschwester und indem er ihre Hand zwischen die seinen legte, sagte er mit bewegter Stimme:

»Es muß gesprochen werden, liebe Agnes, um wo möglich die finstere Wolke fortzuscheuchen, welche sich zwischen uns gewälzt hat. Wir alle sind peinlich angeregt, wir können nicht so, wie wir gerne möchten, unsere Herzen öffnen zum lebendigen Austausch unserer Schicksale und Gedanken; das macht, weil Mißverständnisse uns trennen, die zuvörderst getilgt sein wollen.«

»Ich dachte, lieber Herr Bernardi,« fiel Tamnau lächelnd ein, »wir verdürben uns nicht die kurzen Stunden Ihres Besuchs mit trübseligen Geschäften. Herr Schlingmann, unser Anwalt, ist mit der Vermittelung von allem auf unsere Verhältnisse Bezüglichen beauftragt und seinen Erfahrungen, seinen geschickten Händen können wir Alle wohl vertrauen.«

»Ich fürchte nur,« erwiederte Georg, »daß eben diese geschickten Hände leicht einen Knoten knüpfen, der schwer zu lösen ist, und eben um dies zu verhindern bin ich selbst gekommen, um mit meiner Schwester aufrichtig zu sprechen.«

»In diesem Falle, Herr Bernardi, würden Sie mir Ihre Wünsche vortragen müssen, da meine Frau die ganze Last dieser Angelegenheit mir übertragen hat; dann aber würden wir lieber eine andere Stunde zu einem Gespräche unter uns wählen.«

»Das ist auch mein Wunsch,« sagte Agnes beistimmend.

»Und hast Du alle Deine Rechte auf Dein Vermögen Deinem Gatten übertragen?

»Was ich besitze, gehört ihm; er hat die Vollmacht, Alles nach seinem Willen zu ordnen. – Wir wollen Niemandem Unrecht thun,« fuhr sie fort, als Georg schwieg, »allein es kann uns auch nicht zugemuthet werden, Thorheiten zu begehen und unser Erbe zu verschwenden.«

»Gewiß nicht,« fiel Tamnau hier ein. »Es waltet in dieser Angelegenheit ein unglückliches Verhängniß, dessen Spitze sich gegen Sie kehrt, lieber Herr Bernardi. Niemand kann dies tiefer und aufrichtiger beklagen, als ich, und gern bin ich bereit, dazu beizutragen, um es möglichst von Ihnen abzuwenden. Ich habe meinen Anwalt beauftragt –«

»Mir die Hälfte meines Vermögens für das Ganze zu bieten –«

»Sie wissen es also?«

»Und wo ist die zweite Hälfte des Geldes, das mir gehört? Hartberg hat es in seinen Unternehmungen angewendet, es ist ein Theil dessen, was Sie geerbt haben.«

»Ich bin nicht gehalten, für die Handlungen meines verstorbenen Schwiegervaters einzustehen,« erwiederte Tamnau; »wie dem aber auch sein mag, es wird mir schwerlich jemand mit Recht verargen können, wenn ich mich weigere, aus dem schon sehr geschmälerten Nachlaß eine so bedeutende Summe Ihnen ohne Weiteres auszuzahlen.«

»Auch nicht, wenn Sie einsehen, daß Sie dies dem Andenken und der Ehre des Verstorbenen schuldig sind? Mein Geld war das seines Mündels.«

»Sie waren mündig,« sagte Tamnau. »Es war Ihre Sache, für Ihr Eigenthum und dessen Sicherheit zu sorgen.«

»Und Du, Agnes, ist das auch Deine Meinung? Konnte und durfte ich das?«

»O! mich verschone, ich bitte Dich,« rief die junge Frau. »Es ist mir fatal, das Geringste davon zu hören; ich hasse alle Auftritte.«

»Armer Vater!« sagte Georg betrübt, »wenn es möglich ist, daß auch die Todten um die Thaten der Lebendigen sich grämen, mit welchem Gram mußt Du auf uns niedersehen.«

»Lassen Sie und ohne Geisterseherei sprechen, lieber Herr Bernardi,« fiel Tamnau lächelnd ein, »die Nerven meiner Frau sind nicht die besten.«

»Du bist undankbar, egoistisch, wie Du es immer gewesen,« rief Agnes mit Heftigkeit. »Mein Vater hat Dich erzogen, er hat Dich geliebt, wie seinen Sohn, nun möchtest Du seine Asche beschimpfen. – Wer hat Schuld als Du und Deine unbesonnenen Pläne, Deine Reisen, Deine trügerischen Speculationen, daß in den letzten Jahren so viel Geld verloren gegangen ist! – Ich habe die Zahlen gesehen, welche in den Büchern enthalten sind und bittere Thränen geweint; ich habe auch die Zahlen der Summen gesehen, welche Du selbst verbraucht hast. Das ging alles auf meines Vaters Kosten; Du hattest nichts dabei zu verlieren. Jetzt aber, wo es sich um Dein Vermögen handelt, jetzt möchtest Du es bis auf den letzten Pfennig von uns herauspressen, statt uns zu danken, wenn wir, was wir nicht nöthig haben, Dir aus Wohlwollen zuwenden.«

Eine tödtliche Blässe bedeckte Bernardi's Gesicht. Er war so betäubt von diesen Vorwürfen, daß er keine Antwort finden konnte.

»Still, still, liebe Agnes,« sagte Tamnau, »erhitze Dich nicht, Herr Bernardi kann unmöglich verkennen, daß wir ihm freundlich gesinnt sind und den lebhaftesten Antheil an ihm nehmen.«

»Ohne Zweifel haben Sie Recht,« erwiederte Georg, »Denn dieser Antheil ist so unverkennbar groß, daß er mich bedrückt. Wir wollen diese Sache rasch beenden. Ihr Wohlwollen, oder vielmehr Ihr Mitleid findet leider einen Unwürdigen, der es verschmäht – Ich thue eine Frage an Sie. – Sie haben kein Testament gefunden, nicht wahr, Sie haben kein Testament gefunden?«

Der durchbohrende Blick seines Auges machte einen jähen Eindruck der Bestürzung auf Tamnau. Es lag eine fürchterliche Gewalt in diesem starren bis in die Seele dringenden Leuchten, eine Gewalt, welche durch alle Adern und Nerven des Befragten zitterte. –

»Mein Herr,« rief er, »es ist unverschämt, bei Gott! es verdient – doch nein, es ist verächtlich, ein Wort darauf zu erwiedern.«

»Sie haben kein Testament gefunden,« fuhr Bernardi fort und Tamnau stand wie festgebannt unter seinen Blicken, »allein Sie haben sich gut daran erinnert, am Tage meiner Entfernung einer Scene beigewohnt zu haben, die Anlaß geworden sein soll, daß mein Vater das Testament zerriß. – So haben Sie Ihren Advokaten instruirt, Sie waren also auf meine Ansprüche vorbereitet. Ich lasse Ihnen die Wahl: entweder Sie zahlen mir mein Vermögen, ohne Ihr Wohlwollen und Mitleid, oder –«

»Nun, oder? was will Ihr Oder sagen?«

»Es sind Zeugen vorhanden, welche beschwören können, das Testament den Tag vor dem Tode meines Vaters gesehen zu haben,« sagte Georg mit Nachdruck. »Ich werde Klage erheben gegen diejenigen, welche aller Papiere sich bemächtigten und nichts fanden. Nicht ich allein, die ganze Welt glaubt es mit mir, daß das Testament vorhanden war.«

»Schändlich! nichtswürdig!« rief Agnes. »Allmächtiger Gott! ich sterbe. Welche Schmach!«

»Mein Herr,« sagte Tamnau stolz, »danken Sie es dem Gastrecht, danken Sie meiner Nachricht, wenn ich meine Genugthuung nicht augenblicklich nehme. Entfernen Sie sich aus meinem Hause, das Sie entehren. Auf der Stelle entfernen Sie sich!«

Die Thüren wurden aufgerissen und zwischen die erhitzten Männer trat Victoria. Sie legte die eine Hand abwehrend auf ihres Bruders Brust, die andere auf Georgs Arm und sagte mit fast befehlendem Tone:

»Sie haben hier nichts mehr zu thun, Herr Bernardi, begleiten Sie mich, ich habe mit Ihnen zu reden.«


6.

Sie führte Georg in den Park hinaus und er folgte ihr ohne zu widerstreben. Beide gingen still durch die hohen Baumgänge, welche vom ersten frischen Grün lieblich bedeckt und umduftet waren. In den Fliederbüschen, die wild und dicht einen Hügel besetzten, schlugen Nachtigallen, eine Bank stand dort, man hatte die Aussicht auf den weiten See, auf das Dorf an seinen Ufern, auf die Landschaft bis an die Berge hin, wo zwischen einzelnen mächtigen Buchen, die ihre Spitze krönten, die rothe Sonnenkugel strahlenlos unterging.

Victoria schlug mit ihren Taschentuch ins Gebüsch und verscheuchte die singenden Vögel.

»Fort mit Euch,« sagte sie im scherzenden Tone, »was sollen uns hier eure Ermahnungen zur Liebe, eure sanften Klagen, die nur für stille Herzen passen? In uns ist Zorn und Unruhe und diese ganze Landschaft mit ihrem weichmüthigen Frieden wäre besser anzuschauen, wenn aus Wetterwolken Blitze darauf niederschössen, wenn Feuersbrunst den Himmel röthete, Sturm und Sturmglocken sich hören ließen

.

»Sie spotten meiner,« erwiederte Georg. »Das schmerzt noch mehr, als alle Beleidigungen Ihres Bruders.«

»Weil Sie Ihr Unrecht fühlen,« rief Frau von Bergenheim, »ja, mein Herr, Ihr großes Unrecht. Ich habe Sie hierher geführt, nicht etwa um Ihnen Lobsprüche über Ihre Thaten zu machen, nein, um Ihnen zu sagen, daß Sie handelten, ungefähr wie der edle Ritter aus der Mancha. – Statt klug und geschmeidig zu sein, vertraut mit der Welt und deren Gang fein erwägend, wie man Hammer wird statt Ambos, sind Sie rücksichtslos allen Eingebungen des Augenblicks gefolgt.«

»Aber bedenken Sie auch, welche Behandlung ich erlitt,« sagte Georg, bewegt durch diese Vorwürfe, in denen er Wahrheit und eine Theilnahme erkannte, die ihm wohl that. »Von dem Augenblick an, wo ich den Fuß in dies unglückliche Schloß setzte, bereute ich es, nicht dem Rathe meiner Freunde gefolgt zu sein, die es mir bringend widerriethen.«

»Und was trieb Sie denn, diesen weisen Rath Ihrer Freunde zu mißachten?« rief die Dame.

»Wenn ich es sagen soll, Ihr Rath; Sie, Ihre Worte, Ihr –«

Er blickte sie so fest und ausdrucksvoll an, daß sie lächelnd erwiederte:

»So war Ihr Vertrauen also auf mich gesetzt und Sie glaubten, eine halb und halb Verbündete, eine Freundin, hier zu finden? – Ich sage das nicht, mein Herr, ich bin zum mindesten neutral, ich muß in diesem sonderbaren unheimlichen Streite neutral sein; das ist alles, was ich thun kann. Allein wenn Sie meinten, meinem Rathe folgen zu müssen, warum haben Sie ihn nicht besser gemerkt? Hörten Sie nicht, was ich sagte? – Ich sagte: Sie sind ein Kaufmann, mein Herr Georg, verzeihen Sie, wenn ich Georg sage, ich höre Sie immer hier so nennen also, mein Herr Georg, handeln Sie klug, nehmen Sie, was Sie bekommen können. Statt dessen sind Sie wie ein Bramarbas aufgetreten, der Himmel behüte uns! wie ein spanischer Don, der seine Taschen umkehrt und den Degen zieht mit dem Ruf: Entweder füllt sie mir bis zum Rande, oder ich bringe Euch um.«

»Und wer kann sagen, daß ich Unrecht that?« erwiederte Georg. »Ich will kein Geschenk, ich verachte ihr Mitleid, dies Gefühl würde mich tödten. Man nimmt mir, was ich besitze, und wirft dem Beraubten mitleidig ein Stück seiner Habe zu, damit er nicht verhungere, und die Welt den großmüthigen, tugendhaften Räuber preise. – Genug, genug, ich will nichts, oder mein Recht; würden Sie anders handeln? Ich lese in Ihren Augen, Sie würden es nicht thun.«

»Wie ich handeln würde,« versetzte Victoria, »kommt nicht in Betracht. Allein ich sehe, Sie sind ein schlechter Kaufmann, der kein Vertrauen verdient.«

»Rein Vertrauen?« sagte Georg, und in seinen Augen malte sich der beleidigte Stolz. »Glauben Sie, daß ein Kaufmann wie ich sich beugen und winden muß des elenden Metalls wegen? Glauben Sie, daß es ihm ziemt, demüthig zu sein gegen den durch Reichthum oder Geburt übermüthigen Feind? Nein, meine gnädige Frau, Sie denken falsch. Sie hatten Recht, mir zu sagen, Ihr Bruder würde das Geld einstreichen, wenn es schon auf dem Tische läge, wollte ich großmüthig albern verfahren. Ich werde nicht großmüthig sein, es wäre übel angewandt; ich werde für mein gefährdetes Vermögen streiten, so viel ich vermag.«

»So gnade uns Gott!« rief Victoria. »Sie müssen Ihrer Sache gewiß sein, um einen solchen verwegenen Prozeß anzufangen.«

»O sorgen Sie nicht,« sagte Bernardi, »ich werde ihn verlieren, allein meine Ehre wird makelloser glänzen, ich werde mein Haupt stolzer erheben können, als die, welche vom Gesetz freigesprochen wurden.«

»Das ist ein Punkt, mein ritterlicher Herr, den wir nicht verlassen wollen,« fiel Frau von Bergenheim plötzlich ein; »darüber eben wollte ich Sie sprechen … Sie rühmen sich makelloser Ehre, Sie hassen meinen Bruder, Sie haben vielleicht Ursache dazu, allein Sie wagten es, eine fürchterliche Beschimpfung gegen ihn auszusprechen, und er ist Edelmann, mein Herr Georg, kein Schimpf darf auf ihm haften, er muß mit Blut abgewaschen werden, das ist Sitte und Gebrauch im Reiche der Ehre. Haben Sie nun den Muth dazu, sind Sie der stolze, kühne Mann, der Sie zu sein scheinen, wohlan denn, so verlange ich im Namen meines beleidigten Bruders diejenige Genugthuung, wie Männer von Ehre sich nie weigern sollen, sie zu geben.«

Das Erstaunen über diese sonderbare Aufforderung zum Zweikampf mischte sich bei Georg mit Unwillen und einer bittern schmerzlichen Empfindung. Er fühlte, daß er vor einer innern Schaam erröthete, vor der Schaam als ein Feigling zu gelten, wenn er zurückwiche. Ein paar schweigende Minuten lang war er unschlüssig. Das Gefühl des Hasses durchzuckte sein Herz, das im wilden Verlangen bebte, männlich seine Unerschrockenheit zu wahren. Er betrachtete die seltsame Frau zweifelnd, ob sie im Ernst gesprochen, ob sie wirklich die Scheu ihres Geschlechts vor gewaltsamem gesetzlosen Handeln so abgestreift, daß sie eine blutige That begehren konnte; doch ihre Augen waren so streng und düster auf ihn gerichtet, es lag ein Zug des herausfordernden Spottes so klar um ihre Lippen, daß er sich sagen mußte, es sei ihr völlig Ernst damit.

»Sie fordern von mir, was ich nicht geben kann,« rief er. »Ich bin kein Edelmann, hoffentlich aber ist meine Ehre darum nicht geringer.«

»Keinesweges,« erwiederte sie. »Über Vorurtheile sind wir hinaus; mein Bruder wird nicht den geringsten Anstand nehmen.«

»Aber ich,« sagte Georg, »ich werde mich wohl hüten, Handlungen zu begehen, die ich verabscheue.«

»Sie weigern sich also?« fragte Victoria gereizt.

»Ohne Zweifel, ja.« –

Das Geräusch eine Nahenden unterbrach das Gespräch.

»Sie kommen eben recht, Herr von Lingen,« rief die Dame und wandte sich gegen den Freund, der den Weg herauf kam, »wir haben hier einen herrlichen Streit

»Welchen Streit?« fragte der junge Edelmann, indem er herantrat.

»Was sagen Sie dazu, wenn ein Mann seinen Gegner tödtlich beschimpft und sich dann weigert, ihm Genugthuung zu geben?«

»Es kommt darauf an, wer derjenige ist, von dem die Genugthuung begehrt wird?

»Sehr wahr, mein Herr,« unterbrach ihn Georg. »Ich bin es, von dem hier die Rede sein soll.«

»Sie sind Kaufmann, Fabrikant, wenn ich nicht irre?

»So ist es.« –

»Dann sind Sie vollkommen gerechtfertigt,« rief Lingen mit einem spöttischen Ausdruck, der dunkle Röthe auf Bernardi's Gesicht brachte. – »Ein Kaufmann ist ein Mann des Friedens, ein Mann der Elle, der Feder, des Prozesses. – Dies soll durchaus nicht beleidigend sein, werther Herr, auf meine Ehre! ich denke nicht daran, welche Absichten könnte ich auch dabei haben? Aber noch ein Mal, Sie haben vollkommen Recht, sich jedes gesetzlosen Blutvergießens zu enthalten.«

»Ich danke Ihnen,« erwiederte Georg, stolz sich aufrichtend; – »es ist, was Sie sagen, ohne Ihr Zuthun, das Schönste, was Sie mir sagen können. Sie haben mich einen schlechten Kaufmann genannt, gnädige Frau, allein Sie sehen, ich wäre sicherlich ein noch schlechterer Edelmann geworden.«

Victoria war aufgestanden und reichte Lingen den Arm.

»Herr Georg,« sagte sie lächelnd, »hören Sie mich an: bleiben Sie bei Ihren friedlichen Grundsätzen und Sie werden wenigstens ein alter Mann werden. Lassen Sie die Richter richten, die Injurienprozesse sind niemals so theuer, wie der kostbare rothe Saft in unsern Adern, und verzagen Sie nicht, es hat noch Niemanden gereut, stolz und tugendhaft gewesen zu sein.«

Lingen konnte sich eines beleidigenden lauten Lachens nicht enthalten. –

»Sie werden den armen Menschen wahnsinnig oder zuletzt doch zum Helden machen,« sagte er halblaut.

»Fürchten Sie nichts,« erwiederte Georg, ihn anblickend; »hier ist kein Grund vorhanden, weder zum Einen noch zum Andern.«

Victoria wendete sich rasch von ihm und zog ihren Begleiter mit sich fort. Bernardi blieb zurück. Er warf sich in die Ecke der Bank und sah in das letzte lichte Gewölk am abendlichen Himmel. Von fern hörte er die Stimmen der laut Sprechenden, welche sich entfernten; er hörte das Lachen des fremden Mannes, das verwundend in seine Brust drang. Zitternd deckte er die Hände auf seine Augen, die heftig glühten, und sagte leise seufzend:

»Wie schwer ist es für ein muthiges Herz solchen Anfechtungen nicht zu erliegen, wie schwer, Vorurtheilen sich zu entziehen!« –

Seine Lage war eine höchst peinliche. Er überlegte lange, was er zu thun habe. Zurückzukehren in das Schloß, dessen Bewohner ihn ausgestoßen hatten, war unmöglich, er mußte fürchten, daß man ihm die Thüre wies, und man hatte dies ja schon gethan. Er dachte mit Verachtung an den Auftritt, den er erlebt, mit Bitterkeit an Agnes, aber mit den bängsten Schmerzen an das Leid, das ihm Victoria bereitet hatte.

Ein unerklärbares Etwas zwang ihn, für diese Frau geheime Theilnahme zu hegen. Gleichgültig wäre ihm der Haß aller übrigen gewesen, denn er konnte ihn zurückgeben; daß sie jedoch ihn verachtet und verspottet, daß sie ihn als einen Feigling behandelt und verlacht, das erschütterte seinen Stolz.

Bernardi ging durch den Park zurück und am Schlosse vorüber durch den Hof des großen Gebäudes, ohne daß Jemand sich blicken ließ. Plötzlich jedoch hörte er seinen Namen ganz in der Nähe aussprechen und aus dem Baumgange, den er so eben verlassen, trat Victoria ihm entgegen.

»Ich war zurückgekehrt, um Sie aufzusuchen,« sagte sie, »denn ich vermuthete fast, Sie würden uns mitten in der Nacht verlassen wollen.«

»Meine Gegenwart kann nicht anders als belästigend sein,« erwiederte er.

»Auch die Gastfreundschaft ist eine Sitte edler Geschlechter,« versetzte sie. – »Mein Bruder läßt Sie bitten, diese Nacht in seinem Hause zu verweilen. Es ist kein Gasthof in der Nähe, die Wege sind schlecht und beschwerlich; Sie könnten Unglück haben und wie leicht ist es um eines Menschen Entwürfe und Pläne geschehen.«

»Um so besser für uns Alle,« erwiederte Georg, düster vor sich hinblickend.

»Wie!« rief die Dame lächelnd, »haben Sie so sehr den Muth verloren, den Tod herbeizuwünschen, oder ist vielmehr Ihr Muth so hoch gestiegen, den Tod nicht zu fürchten?

»Den Lob zu fürchten?!« sagte Georg. »Es ist unmöglich, daß Sie glauben können, ich sei feig oder furchtsam. – Ich zittere vor dem Gedanken. Nur gegen Sie möchte ich mich rechtfertigen, nur Sie allein wünschte ich zu überzeugen, daß Recht und Ehre in allen Dingen mit mir sind.«

»Und was könnte es Ihnen helfen?« fiel Victoria ein, »was schadet es Ihnen, was ich glaube und meine? Ich bin ein schwaches Geschöpf, das nirgend einen Einfluß üben kann, ob es auch noch so laut seine Stimme erhöbe.«

»Nicht was Sie sagen und was die Welt hört, nein, was Sie denken und empfinden, das bekümmert mich,« rief Georg. »Ich stehe allein, ich habe kein Wesen, das sich an mich lehnt, keines, bei dem ich Trost und Hoffnung suchen könnte. Einsam bin ich aufgewachsen, einsam gestählt worden in inneren und äußeren Lebenskämpfen. So habe ich empfinden, so Entschlüsse fassen lernen; so trafen mich Schicksalsstürme, in denen ich nie die Festigkeit des mannhaften Selbstvertrauens verlor.«

»Und nun?« sagte Victoria, »nun ist diese männliche Festigkeit erschöpft?«

»Nicht erschöpft, erwiederte Bernardi sanft, »denn Niemand wird mich je von den Pfaden der Ehre und des Rechts ein Haar breit wanken sehen; aber erschüttert in dem Glauben an Alles, was dem Menschen heilig, fühle ich ein fressendes Weh am Herzen, Ekel vor den Wesen, die immer bereit sind, zu jedem Leichtsinn, zu jedem Bösen, jedem Unrecht zu greifen, wenn ihre Leidenschaften sie antreiben.«

»Sonderbar,« rief die Dame, indem sie still stand, »wir haben ziemlich denselben Lebensweg gemacht und sind doch zu ganz verschiedenen Resultaten gelangt. Auch ich habe nie ein Wesen gehabt, das mir Liebe und Vertrauen gegeben und empfangen hätte. Auch ich war früh verwaist, dann freudlos einem Manne überantwortet, den ich verachtete. – Was half es Alles, die Menschen wollten es so. Mich ekelte ihre Lüge, ihre Gemeinheit an, ich mußte dennoch gehorchen. – Erinnern Sie sich unsers Gesprächs, als ich Sie zuerst am Hochzeitstage meines Bruders sah? Sie waren ein strenger Moralist mit der tiefen Wunde im Herzen, über welche Sie sorgfältig den Mantel zogen. Ich bewunderte Sie, aber ich verspottete Ihr tugendhaftes Selbstgefühl. – Ich sagte es Ihnen vorher, wie Alles kommen würde, wie diese Welt und diese Menschen sind und wie man am besten mit ihnen fertig wird. Sie schlugen ein Kreuz vor mir und stürzten sich in ein fremdes, neues Leben, das Sie nicht besser und nicht klüger gemacht hat. Und ist nicht alles gekommen, wie ich sagte? Hat sich nicht erfüllt, was ich vorher sah?! – Der Blütenstaub der Liebe ist verweht in dieser Ehe, aber der rothe Puder ersetzt ihn vollkommen. – Es paßt alles hier gut zusammen und wird passen bis zum Ende. – Man kann die Welt bis zum Ekel verachten, Herr Georg, man kann die Menschen für das erbärmlichste Gesindel halten, das nicht werth ist unterzugehen, aber man muß nicht vergessen, daß man selbst zu ihnen gehört, und muß die Betrüger betrügen, um wenigstens mit lachen zu können. Im Übrigen, lieber Herr Georg, muß man doch auch immer sagen, unter der Masse von Gesindel giebt es einige ehrliche Leute, jeder in seiner Weise, wie zum Beispiel Sie und ich, wenn Sie es mir glauben wollen. Und nun gehen Sie, dort zeigt sich der Hausmeister an der Thür, der Sie erwartet. Folgen Sie ihm und halten Sie einen großen Kriegsrath, der einige kluge, strategische Kunststücke ersinnt, um den Feind zu besiegen. Gute Nacht, mein Herr Ritter Georg!«


7.

Diese letzten Worte wurden mit so vieler Herzlichkeit gesprochen, daß ein Strom von Beruhigung über den Scheidenden kam. Victoria reichte ihm die Hand und er fühlte den Druck ihrer Finger fest in den seinen, als wollte sie ihm den Trost ihrer Freundschaft mitgeben. –

Dann ging sie unter den Bäumen der Terrasse zu und Georg, der ein inniges Verlangen fühlte, weiter mit ihr zu sprechen, folgte mit Überwindung dem alten Manne, der ihn in das weitläuftige Gebäude und zuletzt in ein großes, schöngeschmücktes Zimmer führte, wo Alles zu seiner Aufnahme bereit war. Wachskerzen brannten auf schweren Armleuchtern, eine Tafel war gedeckt und mit Speisen besetzt, Weine in verschiedener Auswahl besetzten den Schenktisch; auch war ein Diener zu seinem Befehl bereit.

Mit einem Gefühl des Wohlbehagens ließ Georg sich die treffliche Bewirthung gefallen. Die finstere Stimmung, welche ihn beherrscht hatte, war verschwunden, eine freudige Empfindung hatte sie verdrängt und als das Mahl vorüber und der Diener gegangen war, nachdem er im Kamin ein leichtes Feuer angezündet, um Nachtluft und Kühle zu bewältigen, rückte Bernardi einen der großen Damaststühle an das goldene Gitter dicht an die Flamme und verfolgte lächelnd die Funken, die ihn mit glänzenden Augen anzublicken schienen, welche er zu kennen meinte. –

Er prüfte die theuere Ausschmückung dieses Zimmers, den schönen Teppich, die Seidentapeten, das prachtvolle Geräth und er sagte vor sich hin:

»Sie bedürfen große Summen, um ihre Verschwendungen zu befriedigen. Haben sie in diesem Landsitze schon so viel verwandt, was muß ihr Haus und ihr Haushalt in der Stadt kosten? Da wird es denn schwer, gerecht zu sein, sehr schwer sich von dem Einzigen loszureißen, was Werth für diese Menschen hat, vom Gelde!«

Lächelnd deckte er die Hand auf die Stirn und flüsterte weiter:

»Wie mild und verzeihlich mir in diesem Augenblicke ihre Schlechtigkeit vorkommt! Ich verachte sie nicht weniger, wie sonst; allein ich könnte eher über ihr Treiben spotten, als sie hassen, und gar nicht viel würde dazu gehören, ihnen ganz lustig zu sagen: behaltet den Raub, den ihr haben müßt, weil ihr eben seid, wie ihr seid. Gott sei's geklagt, daß er seine Wesen nicht besser machte; ihr könnt nicht anders. – Victoria!« rief er plötzlich erschreckend und nachsinnend fügte er hinzu: »Ist das nicht ihre Meinung? O! sie hat wohl recht; man muß den Wesen der Welt kein allzustrenger Richter sein, wenigstens kein Richter, der vergißt, daß er selbst zu ihnen gehört.«

Er versank in Nachdenken und bildete sich manchen Plan aus, wie er am nächsten Morgen die Unterhandlungen erneuen und durch ein Gemisch von Festigkeit und Nachgiebigkeit sein Ziel erreichen könne, als ein Klopfen an der Thür ihn aufstörte. Es war spät geworden, die Lichter tief niedergebrannt, er glaubte sich geirrt zu haben, allein das Klopfen erneuerte sich und als er öffnete, stand ein hübsches Mädchen vor ihm, die unter dem Tuch, der ihr Kopf und Gesicht halb umhüllte, ihn schelmisch und vertraulich anlächelte:

»Ich habe den Auftrag erhalten,« sagte sie leise, »Sie zu bitten, mir zu folgen. Man wünscht Sie zu sprechen.«

»Wer?« fragte Georg erstaunt und erwartungsvoll.

»Meine gnädige Frau,« erwiederte sie. »Eilen Sie, sein Sie vorsichtig und still, es darf uns Niemand hören.«

Sie nahm seine Hand, um ihn zu führen, und halb mechanisch folgte er ihr. Sonderbare Zweifel stiegen in ihm auf, sein Herz schlug heftig.

»Bist Du auch gewiß,« flüsterte er, »daß Deine gnädige Frau mich zu sehen wünscht?«

»Aber, mein Herr,« erwiederte das Mädchen lachend, »glauben Sie doch, daß ich einige Erfahrungen im Dienste meiner gnädigen Frau erlangt habe.«

»Hast Du das? o! vortrefflich,« sagte Georg und es kam ihm vor, als spräche er mit Victoriens Stimme, so verächtlich und spöttisch klang es.

»Schweigen Sie, hier ist die Thür, treten Sie ein, und da –«

Sie öffnete ein Zimmer. Eine Doppelampel in Rubinglas schwebte an der Decke und verbreitete ein mattes, magisches Licht. Die Vorhänge der Fenster waren dicht geschlossen, auf den Teppichen keine Fußtritte zu hören und einen Augenblick blieb Georg am Eingange stehen, denn er gewahrte Niemand.

Plötzlich aber richtete sich eine Dame von dem sammtenen Ruhebett im Hintergrunde auf und streckte ihm die Arme entgegen. Ihr weiß glänzendes Nachtgewand ward von dem röthlichen Lichte der Ampel überzittert, sie winkte ihm, näher zu treten, und Georg, von Empfindungen überwältigt, eilte auf sie zu, ergriff ihre Hände, die er mit seinen Küssen bedeckte und ließ sie mit einer heftigen Bewegung los, als er ihr ins Gesicht blickte.

»Agnes!« rief er, »was soll das bedeuten?«

»Still,« sagte sie, »setze Dich hierher zu mir, ich habe mit Dir zu sprechen. Alles schläft, wir sind allein und Niemand wird uns stören. Ich habe mit Dir zu reden, um Dir meine Lage, mein Leben, mein Herz und seine Leiden zu enthüllen, dann will ich Dich um Verzeihung bitten und endlich versuchen, Dich zu versöhnen. – Doch womit soll ich anfangen? – Ich bin nicht glücklich, lieber Georg, und doch in den Augen der Welt nicht unglücklich, zu der ich mich rechnen muß. Wir führen unsere Ehe, wie sie in solchen Verhältnissen geführt werden kann. Wir geben uns die Freiheit, so glücklich zu sein, wie wir können. Tamnau geht seinen Neigungen nach, ich hindere ihn nicht darin, was könnte ich thun, ohne das Übel zu vergrößern? Er liebt den Glanz, die Pracht, er ist daran gewöhnt und ich kann es mir nicht läugnen, er hat mich geheirathet, um glanzvoll leben zu können. – Wir haben vor einem Jahre schon dies unter uns erörtert und sind übereingekommen, dieses Thema nicht weiter zu berühren; es würde uns unglücklich machen, wollten wir genaue Untersuchungen darüber anstellen. Genug, wir sind vereint und bestreben uns, wechselseitig unsere Lage angenehm zu machen, uns mit unnützen Vorwürfen zu verschonen. Doch woher kommt der Trost, woher die Resignation? Wir schicken uns, weil wir müssen, und suchen in Zerstreuungen, was wir nicht gefunden haben.«

»Ich bedaure Dich,« sagte Georg.

»Um nun leben zu können, wie es uns nöthig,« fuhr die Dame fort, »bedürfen wir, was wir an Mitteln besitzen. Große Summen hat mein Vater geopfert, meinen Mann aus der Verschuldung zu reißen; jetzt nach des Vaters Tode ist Tamnau klug genug, einzusehen, daß Ordnung nöthig sei, um nicht in die alte Lage zu gerathen. Unsere Ausgaben sind berechnet, unser Geld ist angelegt, wir haben uns darum vertragen, ein Theil bleibt in meinen Händen. Wollen wir fortleben, wie wir gewohnt sind, so ist nichts zu missen; kaum wird es möglich sein, Dir die Hälfte Deines Vermögens zurückzugeben, ohne uns in Noth zu versetzen.«

Bis hierher hatte Bernardi ruhig zugehört, jetzt verfinsterte sich sein Gesicht. –

»Und ist es diesem ´kaltblütigen schrankenlosen Egoismus nie eingefallen,« rief er aus, »daß seine üppige Schwelgerei einen Raub an fremdem Gut, eine Lossagung von Ehre und Gewissen in sich schließt?«

»Höre mich ganz,« fiel Agnes ein, »ich bitte Dich, sei nicht ungestüm. Tamnau will nicht geben und ich kann es nicht. Wir wollen von dem unglücklichen Testament schweigen, ich weiß nichts davon; wenn Du jedoch, dies schreckliche Papier in der Hand, von uns die Erfüllung verlangtest, so beginnst Du ein Verbrechen. Du würdest mir einen großen Theil meines Erbes entreißen, Du drängtest Dich verderblich in mein Leben, zerstörtest, was ich noch an Glück besitze! – Georg! mein Bruder, Du hast es feierlich gelobt, mir stets Freund und Beschützer zu sein, jetzt mahne ich Dich daran; ich bitte Dich, ich beschwöre Dich, um meinetwillen trachte nicht darnach, Dich zu meinem Verderber zu machen.«

Bernardi erstarrte vor dieser Sprache; ein verächtliches Mitleid, das er nie gekannt, erfüllte ihn ganz.

»Wirklich,« sagte er, §ich hätte nie geglaubt, daß es möglich sei, auf solche Weise Unrecht in Recht zu verwandeln und damit sich zu beruhigen; doch Du hast mich aufgerufen, ein feierliches Versprechen zu erfüllen, und ich will es halten. Nimm denn, was mir gehört, mache mich zum Bettler, es sei darum.«

»Du bist erzürnt,« rief Agnes, als er aufstand, »allein giebt es denn kein Mittel, Deinen Verlust zu ersetzen, Dich zu versöhnen, daß wir in Freundschaft und Liebe auch ferner uns zugethan bleiben?«

»Ich muß bedauern,« erwiederte Bernardi lächelnd, »ich habe nichts mehr zu geben.«

»Aber ich,« erwiederte sie im vertraulichen Tone; »ja, mein lieber Freund; Du sollst mir eingestehen, daß ich nichts umsonst begehrte. Wie gefällt Dir meine Schwägerin, Victoria?« fragte sie plötzlich.

»Wie soll ich diese Frage deuten?« versetzte er verwirrt.

»Höre mich an;« fuhr Agnes fort, »ich will Dir ein Geheimniß vertrauen. Victoria ist reich, sehr reich und – sie liebt Dich!«

»Mich?« rief Georg. »Unmöglich! Wie könnte es möglich sein?«

»Ich will es Dir sagen. Victoria ist eine jener seltsamen Frauen von Willenskraft und stolzer Characterfestigkeit. Sie hat unglückliche Erfahrungen in ihrer Ehe gemacht und die meisten verspottet, alle abgewiesen, welche später um sie warben. Du hast den Herrn von Lingen gesehen; er ist seit zwei Jahren ihr Verehrer, ohne daß seine geistreiche Liebenswürdigkeit einen Sieg errungen hätte. Dein Erscheinen bei uns hat eine Erklärung herbeigeführt, einen Zank, der mit einem förmlichen Bruch endete. Lingen, der Victoria kennt, vermuthete aus ihrem Benehmen gegen Dich, daß sie sich lebhaft interessire. Er griff Dich an und sie übernahm Deine Vertheidigung. Sie schilderte Dich als einen Mann von wahrhaftem Muth, voll tiefer innerer Würde und Sittlichkeit, die zur Hochachtung nöthige, endlich aber gedrängt von ihrem Gegner im Feuer ihrer Empfindungen rief sie plötzlich: Ich läugne es nicht, ich fühlte mich angeregt, als ich diesen Mann zum ersten Male an euerem Hochzeitstage bemerkte; ich habe mich seiner mit Wohlbehagen erinnert, so lange er entfernt war und jetzt, nun ich ihn wiedergesehen, entzückt mich seine Entschlossenheit, sein starkes Rechtsgefühl, sein schönes, stolzes Wesen. Wenn ich einen Herrn wählen möchte, so würde es dieser sein, und wenn er käme und zu mir spräche: ich liebe Dich! ich wäre im Stande, so fest darauf zu bauen, daß ich ihm um den Hals fiele und riefe: So laß uns versuchen, glücklich zu sein!«

Georg stand stumm da, mit glänzenden Augen und hochgeröthetem Gesicht. Plötzlich aber sagte er:

»Sie kann nicht lügen, nein, sie würde es nicht thun, aber Du, Du lügst! – Wer gab Dir diese neue Täuschung ein und zu welchem Zweck soll sie dienen? Wenn es aber wahr wäre, wer gab Dir das Recht mir das zu sagen? mir das Geheimniß eines edlen Herzens als Kaufpreis für mein schmählich errungenes Erbe anzubieten?«

»Theurer Georg!« rief Agnes ängstlich, »ich bitte Dich, ich beschwöre Dich, nur meine Freundschaft, mein heißer Wunsch, Dich zu versöhnen, vermochte mich zu dieser Mittheilung.«

»Oder der edle Wunsch, den armen Lingen von einer thörichten Aufregung vollständig zu heilen,« sagte eine spottende Stimme hinter den Sprechenden, die erschrocken sich umblickten und an einer geöffneten Tapetenthür Victoria stehen sahen.

»Du hast uns behorcht!« sagte Agnes entrüstet.

»Ja, meine liebe Schwägerin,« erwiederte Victoria, »das that ich und ich gestehe ein, es war nicht Zufall, es war meine Absicht, Dich zu behorchen.«

»Nun wahrhaftig,« rief die Frau vom Hause, »es gehört Deine nichtsachtende Offenheit dazu, dies zu bekennen.«

»O, still, wer wird so zornig sein!« fuhr Victoria lächelnd fort. »Hättest Du mich und was mich angeht, nicht ins Spiel gezogen, ich wäre vielleicht ganz leise davon gegangen und hätte es diesem jungen Herrn überlassen, sein nächtliches Abenteuer auszufechten. – Nun aber,« fuhr sie fort und legte ihrer Schwägerin vertraulich die Hand auf die Schulter, »nun bin ich gezwungen, mich ein wenig einzumischen, liebe Agnes, ein wenig nach meiner Weise zu handeln und da es möglich wäre, daß mein Bruder etwa da oder dort zufällig den Thüren nahe käme und auch etwas hören möchte von dem, was ich zu sagen habe, so werde ich laut sprechen, damit es ihm unbenommen bleibt, nach seinem Gefallen hereinzutreten, um unverhofft ein edles Werk zu krönen.«

»Ich kann nicht glauben,« sagte Agnes stolz, »daß Du denken könntest, Dein Bruder –«

»Ich denke nichts,« fiel Frau von Bergenheim ein, »aber höre, welch wunderbarer schauerlicher Vorfall mir begegnet ist. – Das Testament, dies unglückliche Papier, das durch seinen Verlust allen den Wirrwarr, die Verdrießlichkeiten, endlich die argen Kränkungen sogar verschuldet, welche mein Bruder von dem Herrn Georg ertragen mußte …« –

»Ich hoffe, Georg ist versöhnt und denkt besser jetzt von Tamnau.«

»Gleichviel, ich war davon auf's Heftigste beunruhigt. – Ich konnte nicht schlafen vor dem Gedanken, was meinem Bruder widerfahren, und als ich endlich die Augen schloß, begann ein unerklärbarer seltsamer Traum. Mein dunkles Zimmer erschien mir plötzlich von einem weißglänzenden schönen Lichte erhellt, das geisterhaft und geheimnißvoll den ganzen Raum füllte und plötzlich mich zwang, die Augen aufzuschlagen, welche sich auf eine Gestalt richteten, die an meinem Bette saß. – Denke Dir mein Entsetzen! Es war der alte Herr Hartberg, Dein Vater, liebe Agnes. Das strenge, ehrwürdige Gesicht war zu mir aufgerichtet; Schmerz und Kummer lagen in seinen großen starrglänzenden Augen; er war ganz so anzuschauen, auch ganz so gekleidet, wie ich ihn ein paar Tage vor seinem Tode gesehen hatte, wo er mit Dir zürnte.«

»Es scheint,« rief Agnes, sie unterbrechend, »daß dies Mährchen ausgesonnen wurde, mich zu beleidigen. Ich will es nicht weiter hören.«

»Du sollst und mußt es hören,« sagte Victoria mit erhobener Stimme, »es ist wichtig für Dich. – ›Was willst Du von mir, verklärter Geist?‹ rief ich in meiner Angst und eine tiefe Stimme antwortete mir:‹ ich kann nicht ruhen vor dem Testament!‹

›Es giebt kein Testament,‹ sagte ich, ›Du selbst hast es ja vernichtet.‹

›Es ist vorhanden,‹ erwiederte der Geist Deines Vaters. ›Stehe auf und gehe in das dritte Zimmer an der Thurmseite, wo Dein Bruder wohnt. Dort steht der große Schreibtisch, welcher einst mein eigen war. Öffne den Tisch, ziehe den letzten Kasten heraus, dort findest Du eine Feder, diese drück nach innen, dann wird aus der Hinterwand ein Schubfach springen, in ihm liegt mein Testament.‹« –

»Mein Gott!« rief Agnes und alles Blut entwich aus ihrem Gesicht.

»Bei dem letzten Worte,« fuhr Victoria fort, »erwachte ich und mein Zimmer war dunkel. Ich sprang aus dem Bette.«

– »Du gingst!« –

»Ich ging,« sagte Victoria, »ich suchte, ich fand. Es war alles so, wie Dein Vater es beschrieben und hier – hier ist das Testament!

»Es ist nicht wahr!« schrie Agnes und mit einer heftigen Bewegung faßte sie nach der versiegelten Schrift in der Hand ihrer Schwägerin, welche diese zurückzog. –

»Beruhige Dich, liebe Freundin,« sagte Victoria, »dem Himmel sei Dank! Alles hellt sich auf. – Eine gütige Vorsehung wollte, daß dies wichtige Papier nicht vernichtet wurde; jetzt sind wir im Stande, alles Unrecht zu vergüten, allen Verdacht von uns abzuwenden. Meines Bruders, Deines Mannes Ehre ist gereinigt. Du selbst hast das Glück Deinem Jugendfreund, dem Sohn Deines Vaters, gerecht zu werden, dieses guten Vaters letzten Willen getreu zu erfüllen. Herr Bernardi aber muß bekennen, daß er sich übereilte; der Himmel tritt für uns und ihn in die Schranken, die Todten wachen auf und machen mich Unwürdige zu ihrem Werkzeuge. Hier, Herr Georg, ist das Testament, prüfen Sie es, ob keine Täuschung darin steckt.«

»Es ist die Hand meines Vaters,« sagte Bernardi; »ohne Zweifel, es ist sein Testament, gerichtlich beglaubigt und besiegelt.«

»So danken Sie Gott und nehmen Sie Ihr Erbe in Besitz.«

»Dein Erbe!« rief Agnes, die, aus ihrer Bestürzung erwachend, plötzlich George Arme festhielt, »Es ist Dein Erbe nicht, Du hast ihm entsagt, Du bist zufrieden gewesen, Dich mit uns zu vereinbaren; kannst Du jetzt Dein Wort brechen? Du kannst es nicht wollen; nur was Dein ist, magst Du begehren und das habe ich Dir zugesagt.«

Ihre Angst und Heftigkeit erregte Bernardi's tiefste Verachtung. Schweigend faßte er das Testament:

»So nimm denn hin, was Dir höher dünkt als Ehre und Gewissen,« sprach er, »doch wie ich dies Papier zerreiße, so zerreiße ich jedes Band, das zwischen uns noch sein könnte.«

»Halt! mein Herr,« rief Victoria; allein es war zu spät.

Mitten durchgerissen und in zehn Stücke getheilt, warf Bernardi das verhängnißvolle Blatt zu Boden.

Victoria lachte laut und lehnte sich auf Agnes, die sie umfaßte.

»Was habe ich gesagt,« rief sie, »giebt es einen unbesonnenern Kaufmann wie diesen Herrn Georg? Vergebens sind alle Warnungen, vergebens steigen die Todten aus ihren Grüften, vergebens muß ich mich von ihnen ängstigen und aus dem Schlafe jagen lassen, bis es wirklich gelingt, dies verwünschte Papier habhaft zu werden, das alle seine Wünsche erfüllt. Wozu dient es aber? Damit er einen Streich begeht, über den jeder vernünftige Mensch ihn auslachen muß.«

»Nein, mein theurer Bruder,« rief Agnes, indem sie sich Georg näherte, »glaube ihr nicht. Nie will ich vergessen, was Du gethan, meine ewige Dankbarkeit soll es Dir zu vergüten suchen.«

»Madame,« erwiederte Georg, indem er kalt zurücktrat und auf die Papierstücke am Boden zeigte, »hier liegt eine Kluft zwischen uns, die nicht zu überschreiten ist! – Es ist zu spät!« rief er mit schmerzvoller Heftigkeit, »jetzt ist es zu spät. Entwürdigt, ohne Ehre und Gewissen steht ein Wesen vor mir, das ich bis zur Anbetung geliebt und unter namenlosen Qualen verloren habe. Das ist der letzte Schmerz, der überwunden sein will, doch ich erkenne es, mein Schicksal hat es gut mit mir gemeint.«

»Noch einen Augenblick,« sagte Victoria und hielt ihn auf, als er gehen wollte. »Was Sie mit meiner Schwägerin verhandelten, hat keine Gültigkeit für mich.«

Sie richtete die blitzenden Augen fest auf ihn und fuhr dann mit ihrem gewöhnlichen lustigen Lächeln fort:

»Die Todten erscheinen nicht zum zweiten Male, aber die Lebendigen haben die Verpflichtung, für sie in die Schranken zu treten, Unehre von sich abzuwenden und den Unverständigen Vernunft zu lehren. – Gute Nacht, Herr Georg, nehmen Sie ein Licht da vom Tische und hüten Sie sich vor allen Abenteuern und Geistererscheinungen.«


8.

Der Rest der Nacht verging Bernardi in fieberhafter Aufregung. Was er erfahren und erlebt, strömte nun in zahllosen Bildern und Träumen an ihm vorüber und ließ den wechselndsten Empfindungen Raum, deren er nicht Herr werden konnte. –

Victoria liebte ihn; sie hatte den Worten ihrer Schwägerin nicht widersprochen und doch hatte sie diese gehört. – Dieser Gedanke zitterte beglückend durch sein Herz, er machte ihn froh und muthig und er rechtfertigte ihn durch jedes Wort, das sie gesprochen, durch jeden Blick, den sie ihm zugewandt. –

Victoria war seine Verbündete in diesem traurigen Streite, der ihm alles geraubt, aber gern hätte er zum zweiten Male das Testament zerrissen und der Habsucht zugeschleudert für die Zusicherung der Liebe, die Agnes ihm angekündigt hatte. –

Bald machten sich jedoch auch die Zweifel derselben geltend und mit jedem Dahineilen der Stunden sanken sie schwerer auf ihn herab. Alles kam ihm wie ein süßer Traum vor, aus dem eine kalte Hand ihn langsam aufweckte, wie eine grausame Täuschung, die man nur ersonnen habe, um ihn zu verspotten. –

Zuweilen, wenn diese Gedanken ihn übermannten, stand er auf und er glaubte ein fernes Geräusch und dumpfe Worte zu hören; er glaubte Victoriens Stimme zu erkennen, ihr Lachen, den scharfen Ton, mit welchem sie seinen Namen aussprach, und er zitterte in dem finsteren Zimmer, wo das Licht längst niedergebrannt war, allein zu sein, denn er sah sie neben ihren Verwandten vertraulich verkehren, oder Arm in Arm mit dem geckenhaften Anbeter an ihm vorüberrauschen.

So kam endlich der Morgen, dessen ersten Schein er mit Ungeduld erwartete. Es ward lebendig im Hofe, die junge Sonne übergoß mit glühendem reinen Lichte die hohen Bäume im Park und seine sehnsüchtige Angst wuchs, als er die thauigen Gänge durchirrte, ohne die, welche er suchte, anzutreffen. Er hatte sich eingebildet, sie müsse ihm begegnen; bei jedem Rauschen der Gebüsche glaubte er sie nahe, jetzt kehrte er verdüstert und gekränkt zurück und sein Vertrauen schwand ganz, als er seinen Wagen zur Abreise fertig und ihn erwartend an der Thür erblickte.

Der alte Diener, welcher am Schlage stand, sagte höflich: ›Da es wohl anzunehmen, daß der Herr eilig zur Stadt zurückzukehren wünsche, habe er alle Vorbereitungen getroffen.‹

»Und die Damen?« fragte Bernardi. »Ich wünschte mich ihnen zu empfehlen.«

»Der gnädige Herr sowohl, wie die Damen,« sagte der Diener, »lassen eine glückliche Reise wünschen.«

Man wollte ihn nicht wieder sehen! Mit dieser niederschlagenden Überzeugung stieg er in den Wagen und fuhr zum Thore hinaus. Als der Baumweg sich wandte, blickte er zurück. Eine weibliche Gestalt stand auf der Terrasse und lehnte an dem grünenden sonnenumflossenen Geländer. Ihr schwarzer Seidenmantel flatterte im Morgenwinde.

In dem Augenblick trat eine zweite aus der Thür und beide eilten sich entgegen, fröhlich die Arme ausbreitend. Es war Victoria, die ihre Schwägerin umarmte. Georg glaubte ihre spottende Stimme zu hören und er drückte die Hand vor seine Augen und sagte still vor sich hin:

»Narr, der ich war, dieser Komödie zu glauben. Ich habe, wie es scheint, eine traurige Rolle darin gespielt, die Rolle des edelmüthigen Hanswurstes, der nach allen Stößen, die er empfangen, ausgelacht wird.«

Zur Mittagszeit war er endlich in seiner Wohnung, wo ihn der treue alte Freund erwartete, welcher heut ganz freundlich aus seiner faltigen steifen Halsbinde hervorsah und nicht wenig erschrak, als er in die Unglück verkündenden starren Gesichtszüge seines jungen Herrn sah.

»Nun,« rief er aus, »ich kann's mir denken, denn ich sehe es Ihnen an, wie es gegangen ist. Die saubere Sippschaft ist von Stahl und Eisen in ihren Schlechtigkeiten und alle Unterhandlungen sind vergebens gewesen.«

»So ist es,« erwiederte Georg. »Es ist Alles verloren.«

»Nur die Ehre nicht!« rief Herr Springer mit Pathos, »hoffentlich aber gefallen Ihnen meine Mittheilungen besser. Was würden Sie sagen, wenn wir Nachricht erhielten, daß unsere in Amerika verlorengegebenen Summen höchst wahrscheinlich ganz gerettet werden?«

»Das würde,« erwiederte Bernardi, »wenn diese Nachricht jetzt einträfe, ein sehr glückliches Ereigniß für die Verkäufer sein. – Haben Sie Briefe erhalten?«

»Nein,« sagte Springer, ihn erschrocken anblickend, »aber ich habe alle Anstalten getroffen, daß morgen beim Verkauf womöglich Sie der Käufer bleiben.« –

Bei dem ungläubigen Kopfschütteln Bernardi's fuhr er dann eifrig fort:

»Was ich selbst besitze, ist disponibel, außerdem haben sich zwei achtbare Freunde erboten, bedeutende Vorschüsse zu machen; so können wir denn ziemlich getrost auf dem Platze erscheinen und dürfen uns um so dreister in die Schranken stellen, da Niemand so gut wie wir weiß, was die Fabrik unter den jetzigen Umständen mit ihren Aktivas und Passivas werth ist.«

Der alte vorsorgliche Buchhalter legte nun in der That dem jungen Fabrikanten einige Papiere vor, durch welche zwei angesehene Kaufleute sich erboten, gewisse Summen zum Ankauf der Fabrik vorzustrecken. Die Bedingungen waren nicht leicht, allein sie konnten angenommen und erfüllt werden, wenn die Umstände sich einigermaßen günstig gestalteten. Bernardi hatte damit den Tag über Geschäfte genug abzumachen, um an die Vorgänge im Schlosse nicht allzu oft erinnert zu werden.

Erst als er spät Abends allein war, erwachte der Schmerz über alle Kränkungen und Täuschungen, welche er erfahren, in voller Stärke. Victoriens Bild wollte ihn nicht verlassen. Er rief sich jede Scene zurück, prüfte jedes Wort nochmals, und je mehr er sich damit beschäftigte, um so mehr Ruhe und Freude kam über ihn. –

Sehnsüchtiger Kummer zauberte ihn die Geliebte vor, wie sie stolz fragend vor ihn hintrat und zürnend rief, ob er an ihr zweifeln könne? Sie schalt ihn kleinmüthig und mit Entzücken streckte er die Arme aus, um sie traurig sinken zu lassen, denn der Raum war leer, die Zeit entfloh, wenige Stunden nur lagen zwischen der Entscheidung; was kommen sollte, mußte schnell geschehen. –

»Wenn das die Liebe ist,« sprach er und legte die Hand auf sein Herz, »die mich beseligt und vernichtet, nun so habe ich sie empfunden in ihrem Entzücken wie in ihrem Leid. – Was habe ich denn geglaubt? Kenne ich denn die Menschen so wenig, standen sie mir nicht nahe genug mit ihrer gemeinen Selbstsucht? Aus ihnen hervor hob sich Victoriens leuchtende Gestalt auf dem dunklen Grunde, wie ein Maler seine herrlichsten Bilder zwischen Wüsten und nackter Dürre hinstellt.« –

Unter solchen Klagen verging die Nacht, bis er endlich mit männlicher Entschiedenheit sich frei zu machen strebte.

»Was helfen meine Worte?« sagte er lächelnd, »war ich schwach, so war es die Schwäche eines Herzens, das nun in Arbeit und tapferem Kampf mit dem Leben seinen Frieden wieder gewinnen muß. Nein, Victoria, ich zweifle nicht; wie mein Loos auch fällt, Niemand soll mir sagen, Du hättest mich verrathen. Ich glaube an Dich, ich hoffe und vertraue. Du wirst kommen, meine Geliebte; wie ich Dich jetzt sehe, so wirst Du in Wahrheit vor mir stehen und was Du auch beschlossen hast, es wird, es muß das Rechte sein.«

So kam der Morgen und Georg war so heiter und zuversichtlich, daß Jedermann und Herr Springer am meisten überzeugt war, er sei seiner Sache gewiß. Um die zehnte Stunde war die Versteigerung angesetzt. Nach und nach wurden die Vorbereitungen dazu gemacht, mehrere Käufer fanden sich ein und endlich erschien auch der Advokat Tamnau's, der noch zwei Herren mitbrachte, mit denen er eifrig und angelegentlich sprach.

Als er Bernardi ansichtig wurde, wandte er sich sogleich zu diesem und sagte mit seiner süßen Freundlichkeit:

»Sie haben, wie ich erfahren, gestern Briefe aus New-York erhalten, verehrter Herr, nach denen ein bedeutender Theil der großen Summe gerettet werden wird, welche das Haus dort noch stecken hat.«

»Ich weiß nichts davon,« erwiederte Georg verwundert.

»Dann hat es Ihnen der gute Herr Springer wahrscheinlich noch nicht mitgetheilt,« fuhr der Advokat fort und er sah den alten Buchhalter lächelnd an, der bleich und verlegen wurde. – »Nicht wahr, lieber Herr Springer, Sie wollten diese wichtige Nachricht erst heute bei der Auction veröffentlichen; es hat sich jedoch das Gerücht voreilig verbreitet und ist von äußerster Wichtigkeit für den Verkauf.«

»Ich habe – ich wollte –« sagte Herr Springer, indem er zwei Briefe aus seiner Brusttasche zog.

»Ganz recht,« rief der Anwalt, der die Papiere rasch aufschlug, »hier steht es: das verlorengegebene Geschäft wird zum großen Vortheil umschlagen. Diese Nachricht ist 50 000 Thaler werth, meine Herren, merken Sie wohl auf, besonders Sie, Herr Geheimer Commerzienrath.«

Hier wandte er sich an einen großen stolzblickenden Herrn, der ihm verbindlich zunickte und offenbar der gefährlichste Concurrent war.

»Dies Geschäft verkaufe ich im Auftrage meiner Mandanten besonders und trenne es von den übrigen,« fuhr der Advokat fort. »Wir können die Auction beginnen, treten Sie heran. Die Fabrik also, meine Herren, wie sie steht und liegt mit Allem, was dazu gehört, aber mit Ausnahme des amerikanischen Geschäfts.«

»O, lieber Herr Bernardi,« flüsterte der alte Buchhalter zitternd und große Thränen liefen über sein faltiges Gesicht, »jetzt ist Alles vorbei, jetzt haben Sie alles verloren.«

»Wer sagt Ihnen das?« rief eine laute helle Stimme und eine Hand tippte leise auf Georgs Schulter.

»Vierzig Tausend Thaler zum ersten!« schrie der Ausrufer, aber Alle wendeten sich um, denn neben Georg, Hand in Hand mit diesem stand eine Dame, ein großes besiegeltes Papier in der Rechten. –

»Verzeihen Sie mein störendes Erscheinen, meine Herren,« sagte sie stolz lächelnd, »allein es ließ sich nicht ändern und ich fürchte fast, Sie werden sich noch mehr beklagen. Werther Herr Justizrath,« fuhr sie dann fort, »lesen Sie doch gefälligst dies Instrument, daß mein Bruder leider in Ihrer Abwesenheit von einem Richter in unserer Nähe aufsetzen lassen mußte, das jedoch jedenfalls seine volle Gültigkeit hat.«

Der Justizrath las, blickte auf zu Victoria, die ihm zunickte, las wieder und rief dann:

»So hat die Auction ein Ende, meine Herren, ehe sie begonnen hat. Die bisherigen Eigenthümer haben hier eine Abtretungs-Urkunde in bester Form ausgestellt, nach welcher die Fabrik mit Allem, was dazu gehört, ohne jede Ausnahme auf Herrn Georg Bernardi übergeht, dem ich meine herzlichsten Glückwünsche darbringe.«

»Victoria!« schrie der alte Buchhalter und seine Thränen wurden zu Freudenthränen.

»Victoria!« rief auch Georg und er preßte ihre beiden Hände zitternd an sein Herz und seine Lippen; ihre Augen begegneten sich, es malte sich darin die schöne Gewißheit des Verständnisses ihrer Herzen. »Mein Bruder und Agnes schicken viele Grüße und Glückwünsche; lieber Georg,« sagte sie; »morgen oder übermorgen treten sie in Lingen's Begleitung eine Reise nach Italien an.«

»Und Sie – Sie?« erwiederte Georg mit Innigkeit.

»Ich bleibe hier,« sagte sie bewegt und leise – »ich bleibe bei Dir! –«

Und schnell wendete sie sich zu den Versammelten, die mit neugieriger Theilnahme umherstanden.

»Meine Herren,« rief sie in ihrer Weise spöttisch lachend, »Sie nehmen eine Neuigkeit mit, die Aufsehen erregen wird, ich will eine zweite hinzufügen, die den Reiz sehr erhöhen muß. Erzählen Sie, daß Georg Bernardi nicht allein sein Erbe plötzlich erhalten, sondern daß er sich auch zur Stelle verlobt hat. Braut und Bräutigam stehen vor Ihnen.«

Dem neuen Erstaunen folgten die Glückwünsche. –

»Zu viel, o, zu viel Seligkeit in einer kurzen Lebensminute zusammengedrängt,« rief Bernardi in Victoriens Arme.

Sie blickte ihn liebevoll an. »Nicht eine Minute, mein Georg, ein ganzes Leben erwartet uns, so laß uns denn wagen, glücklich zu sein!« –


 << zurück