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Es lag einst ein Schloß im Wendenlande, wenige Meilen von dem alten Königssitze Brandenburg an dem Havelstrome; jetzt ist es nicht mehr. Jetzt ist es ein Edelgut, dem weit und breit der fruchtbare Boden zugehört. Mit seinen hohen Fenstern, rothen Dächern und neumodischem Aufputz scheint es eben aus der Hand des Baumeisters hervorgegangen, und erst wenn man es näher betrachtet, erkennt man da und dort uraltes Mauerwerk unter den hellen Farben. Noch steht auch das Thor mit seinen verwitterten Wappen, noch läuft ein Bollwerk von Stein in den tiefen Graben, noch hängt ein alter Söller über dem Strom, der die Grundvesten bespült, und noch rauscht es dort in den Kronen alter Eichen, die mitternächtlich sich klagen, was sie in ihrer Jugend einst gesehen.
An dem Lage aber, wo diese Erzählung beginnt, an einem Frühlingstage des Jahres 1189 war Schloß wie Volk ganz anders anzuschauen, als jetzt. In mächtigen Gewinden und Ketten lief der Wald über das neu eroberte Christenland; nur einzelne Strecken waren gerodet und die Voigte des gestrengen Ritters trieben die unterjochten Wenden mit der Peitsche zur Arbeit. – Greise, Weiber und Kinder kehrten emsig schaufelnd den Boden um, dessen Brot sie nicht essen sollten. Im Hofe des Schlosses aber hielten Wagen von langgehörnten, kleinen Kühen gezogen, plumpe Gestelle mit zwei oder vier Blockrädern, in deren Kasten Hühner und Eier, Speck und Butter, Honig und Mehl lagen, was sie gezwungen dem Hausmeier ablieferten. –
Die großen kräftigen Wilzen in Lederjacken mit struppigem Haar, kleinen Nasen, kurzen Stirnen und dem festen Blick des Hasses und der Knechtschaft beugten sich demuthsvoll vor dem Meier, der in der Hand das Kerbholz hielt, zurückstieß was er an den Lieferungen der Leibeignen zu tadeln fand, und mehr als einmal seine schwere Peitsche brauchte, die Widersprechenden zu züchtigen. Aber der Geschlagene wehrte nicht und klagte nicht; er warf einen scheuen Blick auf seinen Peiniger und auf die Wappner am Burgthurm. O! diese Deutschen, wie gern hätte er ihnen Gift gereicht, statt Brot, diesen grausamen Eindringlingen, welche den freien Mann zum Sclaven gemacht hatten. –
Da standen sie auf ihre Lanzen gelehnt, die Eisenhaube über ihr lang wallendes Haar, das breite Schwert am Koller festgeschnallt, so spotteten sie über die Leiden des besiegten Volkes. Die Wenden haßten diese Unterdrücker tödtlich, aber sie schwiegen, denn wer eine Hand aufhob gegen einen Deutschen, dem wurde sie abgehauen und der Kopf dazu. Besser also leiden und leben, als in verwegenem Thun untergehen.
Der Slave war tapfer, aber ein Knecht, und Knechtschaft macht feige und klug. Der deutsche stolze Mann haßte den Wenden nicht wieder, er verachtete ihn. Er wußte wohl, wie das Volk in Burg und Wald noch immer zu den alten Götzen, zu Flins und Triglav betete und mehr mit höhnischem Lachen, als mit heiligem Eifer nahm er die Peitsche und trieb den unterjochten Schwarm in die Kirche, in das Taufbecken und zum Christenschwur, wenn ein wandernder Priester kam, der bekehren und Zehnten sammeln wollte. –
Er wußte wie die Heiden ihn verfluchten, aber er lachte darüber, und hier im großen Hof der Zwingburg, in deren Thürmen mancher schon geendet, jagten sich die deutschen Knappen mit den wendischen Mägden und trieben Kurzweil mit den rüstigen Dirnen, die nichts dagegen hatten, den Unterdrückern ihres Volks zu gefallen. –
Immer ist bei den Frauen Verderbniß und Verrath am meisten gewesen, wenn es darauf ankam, rohe Sieger sanft zu machen. Das war ein lustiges Treiben und Toben. Die Meute im Zwinger bellte wüthend dazu, drei Bären, die man im Walde gefangen und mit abgehauenen Tatzen im Hofe an Ketten gelegt, brüllten dazwischen, endlich aber that der Hausmeier einen Schwur, übel solle es dem nichtswürdigen wendischen Gesindel und Allen gehen, die nicht Ruhe hielten. Das wirkte so viel, daß sie heimlicher ihre Scherze trieben, aber nur wenige alten Wilzen empfanden die Schmach und wandten ihre Blicke zu Boden, als sie ihre Töchter in den Armen der Fremden sahen, die übrigen drängten sich näher, um als Freunde und Verwandte Theil zu haben an der Ehre.
Während dieß lärmend und laut im Hofe vorging, saßen in einem großen Gemach drinnen zwei Frauen und ein priesterlicher Herr ihnen gegenüber. Es war die Mittagsseite des Kastells, das seine bethürmten Flügel in den Strom senkte und zwischen ihnen und der Hauptfront einen Gartenplatz ließ, der von der hohen Burgmauer geschlossen war. –
Die Damen im Zimmer sahen darüber hinaus auf die breiten Havelseen, welche sanft gekräuselt vom Morgenwinde ihre Fluten vorüber trieben. Helles Sonnengefunkel fiel durch ein offenes Fenster auf den bunten Teppich aus Venetia, der in der Mitte des Gemaches lag, auch brach sich mannigfach lieblich das Licht in den kleinen bunten bleigefaßten Scheiben und warf den farbigen Schein auf die dunkle Eichentäfelung der Wände dieses hübschen Wohnortes. –
Wenige Geräthe schmückten es: Einige große Sessel, ein Tisch mit geschnitzter Kante, ein Schrank in der Ecke, ein Crucifix an der Wand, und im Hintergrunde als Ehren- und Ruheplatz ein Polster; endlich am ungeheuren Kamin eines jener unvollkommenen Instrumente, schwankend zwischen Harfe und Zitter, das aus Italien nach Deutschland gekommen, mit stehen oder neun Saiten bespannt war, und auf den Knieen gespielt wurde. –
Die ältere der Damen saß an dem Tisch und drehte mit kunstfertiger Hand den Faden einer Spindel, die jüngere stand am Fenster, sah in den goldumwebten Himmel, und bald auf den glänzenden tiefblauen Wasserspiegel, auf die leise schwankenden Bäume im Garten und hinüber auf die Waldgelände und Hügel, an denen Weinberge hinzogen, auf deren Kronen stolze riesenhafte Föhren einzeln aufstiegen. –
Dann betrachtete sie ein paar dunkle Punkte, die in weiter Ferne schwammen, und verfolgte die Schaaren kleiner Vögel, welche laut schreiend in die wogenden Schilfwälder stürzten, die Entenschwärme, die rothköpfigen blitzschnellen Taucher, die Reiher, wie sie ernsthaft auf vorspringenden Landzungen auf und nieder schritten, die Schwäne und Störche an den blumenvollen Wiesenflächen, und endlich seufzte sie leise, denn wie heiter Land und Himmel waren, es fehlte doch der schönste Schmuck darin, das frohe Menschenleben!
So weit ihr Auge blickte, es regte sich nichts. Kein Dorf lag an diesen sonnigen Wassern mit ihren zahllosen Buchten, die jetzt so belebt sind. Halb versteckt unter den Sandbergen zog bläulicher Rauch aus ein paar Hütten wendischer Leibeigenen; es barg sich Jeder so viel er konnte vor den übermüthigen Herren. Auch die breiten Seespiegel waren öde, denn selten zog damals ein plumpes Handelsschiff von Brandenburg herauf nach der unterworfenen Wendenstadt Spandowa, oder nach dem neu gestifteten Christenschlosse: In In der Vorlage: »To dem Berlin.«. Hier nach dem Erstdruck in: Die weiße Rose. Taschenbuch für 1845 redigirt von Theodor Mügge. Erster Jahrgang. Druck und Verlag von F. Fechner. S. 187. dem Berlin.
Endlich aber kamen die beiden schwarzen Punkte, welche das Fräulein in der Ferne entdeckt hatte, näher heran und erregten ihre Aufmerksamkeit. Sie erkannte in dem ersten ein kleines Boot, das von einem Manne mit schnellen Schlägen über den See getrieben wurde, ein anderes größeres eilte ihm nach und war nicht weit zurück.
»Was giebt es dort?« fragte die junge Dame und zeigte mit dem Finger auf den Gegenstand ihrer Neugier.
Der Priester in dem langen braunen Kleide legte das feingeschriebene Gebetbuch, in welchem er las, auf den Tisch und trat zu ihr hin. – Er war alt und hatte ein ernstes, hartes Gesicht. Von seiner hohen, kahlen Stirn lief eine fürchterliche Narbe über Wange und Kinn, die ihn sehr entstellte, aber sein Auge war groß und feurig, sein kleiner Körper voller Kraft und sein Haar, das in langen weißen Locken auf sein Gewand fiel, gab ihm ein Ehrfurcht heischendes, schönes Ansehn.
Als er einen Augenblick auf die beiden rudernden Boote gesehen, sagte er mit volltönender, sanfter Stimme:
»Das ist auch eine Jagd, welche Ihr noch nicht kennt, edle Jungfrau Siegelind. – Der da vorn ist ohne Zweifel ein deutscher Mann und Christ, und die ihn jagen sind zornige Heiden. – Wir haben das Kreuz seit dreißig Jahren nun in diesem Lande aufgepflanzt, und Du, mein Heiland! weißt es, wie wir für Deinen Ruhm kämpften und litten. Aber hartnäckig ist dies blinde Volk. Es wendet sich vom ewigen Lichte ab, wo es nur kann, betet zu den scheußlichen Götzenbildern, und würgt und wüthet gegen die Verkündiger des wahren Glaubens; ach gegen Jeden, der den herrlichen Namen eines Christen trägt.«
Das schöne Mädchen sah den Mönch mitleidig an.
»Man hat mir erzählt,« sagte sie, »daß Ihr auch einst in der Heiden Hand waret, lieber Vater Johannes.«
Ein finsteres Lächeln lief über seine Züge.
»War,« sprach er halb vor sich hin, »ja, und fester in ihrer Hand als der kühne Rudrer dort, der, wenn seine Kraft nicht ermattet, ihren mörderischen Fäusten diesmal wohl entkommen wird.«
Er kreuzte die Arme über seine Brust und lehnte sich an den Pfeiler.
»Dreißig Jahre sind es nun,« fuhr er fort, »seit ich mit manchem tapfern Streiter in dies Land zog, und wo sind sie nun alle die kühnen Männer, welche mit Kreuz und Schwert durch diese unermeßlichen Wüsten rannten, bis das Ostmeer ihnen Schranken setzte? Todt, ermordet oder in heißer Schlacht gefallen; auf Opfersteinen zerschnitten, und das Herz unter den Zaubergesängen der Heidenpriester aus ihrer Brust gerissen und drei Mal ihnen ins verscheidende Antlitz geschlagen.«
»Jesus Maria!« rief das Fräulein schaudernd, indem sie sich bekreuzte.
»O! klagt nicht,« fuhr Johannes mit erhöhter Stimme fort und seine Augen funkelten hell; »wahrlich ich sage Euch, sie gingen ein ins Paradies, und des Erlösers Kuß empfing sie an der Schwelle! Ich,« sagte er dann demüthig, »sollte des Heils der Märtyrerschaft nicht theilhaft werden, dennoch habe ich manche Leidensstunde zu Gottes und seines Sohnes Ehren bestanden, und weiß ich denn, was noch geschehen mag?«
»Gott möge Euch schützen,« fiel das Fräulein ein, »auch sind die Verächter Gottes ja nun überall besiegt.«
»Es ist nicht mehr wie damals,« sagte der Priester, »als ich unter Markgraf Albrechts Banner auszog in dies Land, daß noch keines Christen Fuß betreten. – Wir verfolgten den Weg, diesen Strom hinauf bis ins Land der Obotriten, dann zogen wir den Spreefluß hinab und gelangten endlich zur heidnischen Königsburg in Köpnik; da war es, wo ich gefangen ward. – Sieben Tage hielt man uns in engen Kerkern, Körben von dichtem Weidengeflecht, gebunden und blutend, ohne Acht auf unsere Wunden, denn tapfer, wie treue Männer, hatten wir Priester alle gestritten, den Harnisch über das Wollenkleid geschnallt. Da kam der Opfertag. Wir wurden in den Kreis ihrer Edlen geschleppt und ihrer Götzendiener, die uns richteten. – Tugumir, der Krole, stand auf sein Schwert gestützt, und betrachtete uns lange mit seinen düsteren bösen Augen. – ›Elende,‹ rief er endlich, ›sagt an, warum kamt Ihr in dies Land seine friedlichen, glücklichen Bewohner zu morden? Was thaten wir Euch je zu leide? Worüber habt Ihr Euch zu beklagen?‹
Da trat Martin von Lebus hervor, der hohe Greis. ›Fürst,‹ sagte er, ›Gott sandte uns aus, Dich und Dein Volk vom ewigen Verderben zu erlösen. Falle nieder, bereue und bete an, und ich will Dir Vergebung verkündigen.‹
Da lachte Tugumir, wie ein Teufel lachen mag, dem man sagt: Verlasse Deine Hölle und folge mir zur Seligkeit. Seine Augen glühten und quollen aus ihren Höhlen, seine Zähne knirschten, sein großer ungeschlachter Körper zitterte vor Wuth. – ›Sieh hin, falscher Priester, schrie er, ›sieh auf diese Brandstätten, auf die Haufen der Erschlagenen, ist das der Segen Deines Gottes, ist das die Liebe und das Heil, das Du uns bringst? – Will Dein Gott Blut, so soll er es haben,‹ fuhr er höhnisch fort. ›Euer eigenes Blut wird ihm das liebste sein, denn sein Name ist Unheil, sein Gebot Elend und Knechtschaft, sein Wille Verberben!‹
›Lästre nicht, blinder Heide, Deine Sünde komme auf Dein Haupt, sie wird Dich tief hinabziehen in den glühenden Schwefelpfuhl,‹ rief der fromme Bischof mit Entsetzen und Zorn. ›Noch aber ist es Zeit, kehre um, rette Dich und Deine Seele!‹
›Rette Dich selbst, armseliger Narr,‹ sagte Tugumir verächtlich. ›Seit mehr als zweihundert Jahren kämpft Dein Volk nun gegen das meine, und noch steht Triglavs Tempel so hoch, wie der Deines Gottes. Wenn es aber beschlossen ist in Wodans ewigem Rathe, daß wir untergehen, so wollen wir wie Männer sterben, Dich und Dein übermüthiges Volk hassend. Nicht zur feigen Unterwerfung bereit sollt Ihr uns finden, und nie zu Deinem blutigen Gott betend, der Dich zum Mord und Brand aussandte.‹
›O! mein Herr und Gott,‹ rief der fromme Martin, ›richte ihn nicht!‹
›Höre es, Priester,‹ sagte der König und stolz richtete er sein fürchterliches Herrscherantlitz auf: ›so gewiß wie Du sterben sollst zur Sühne Deiner bösen Thaten, so gewiß wird der Tag einst kommen, wo Dein Gott in den Staub sinkt, wo seine Tempel stürzen, seine Altäre zertrümmert werden, wo man ihn und seine Macht Lüge nennt und mit Hohn und Spott bedeckt.‹
Da stießen wir alle ein schauderndes Wehe! aus, Martin von Lebus aber verfluchte die Heiden, daß sie über uns herfielen und die Martern begannen. O! Herr des Himmels, welche Martern! und doch sangen die frommen Helden Lobgesänge zur Ehre des Allmächtigen. Und schon waren meine Hände durchbohrt, und des Kreuzes spottend, ich selbst ans Kreuz geschlagen, mein Kopf halb zerspalten von dem Hiebe einer Streitaxt, als ein christlicher Ritter, ein frommer Graf, Dein Vater, meine edle Siegelind, den Heidenhaufen überfiel, zu spät um das theure Leben des Bischofs und seiner Diakonen zu erhalten, doch nicht zu spät für mich.«
»Jesus Maria!« rief das Fräulein und deutete auf das Boot, »sie haben ihn.«
»Dann sei Gott seiner Seele gnädig,« sagte der Priester traurig. »O! Herr, Herr! wann wird der Tag Deines Lichtes kommen? Ach! wie schwer ist es doch das Böse auszurotten. – Wohl herrscht im Lande das Kreuz jetzt in Schloß und Stadt, aber überall wuchert das Unkraut noch. Im Dickicht der Wälder lauern Heidenhaufen, welche den christlichen Pilger morden, und in den geheimnißvollen Schlupfwinkeln an diesen Seen wohnen die Rotten wendischer Räuber, deren Frechheit selbst dies feste Schloß nicht wehren kann.«
Er hatte den Kopf bei seinen Worten gesenkt, als er ihn aber aufhob, rief er sogleich: »Der Mann ist noch nicht gefangen; er hat nur eine Wendung gemacht und rudert jetzt auf uns zu. Heiliger Martin! Das ist ein tüchtiger Gesell, und jetzt habt keine Sorge mehr um ihn, edle Siegelind. Hört Ihr, wie der Wächter vom Thurme ruft? und dort eilen schon die Knechte hinab nach dem Wasserthor. Sie springen in ein Boot und rudern zu seiner Hülfe, da wenden die Räuber um und für diesmal ist er frei.«
Bei den letzten Worten des Priesters näherte sich die ältliche Dame dem Fenster und sah einen Augenblick gleichgültig auf das Boot mit bewaffneten Schloßleuten und den kleinen Nachen, der ihnen rasch nahte. –
Die Dame sah in ihrem grünen Wollenkleide, der schwarzen Kappe, welche den Kopf umhüllte, und deren Schnebbe, welche bis auf die Mitte der Stirn lief, fast wie die züchtige Bürgerfrau eines späteren Jahrhunderts aus. Über den weißen Kragen um ihren Hals fiel eine goldene Kette mit entsetzlich großen Gliedern, an welcher zuletzt – nicht etwa eine Uhr – sondern ein Stückchen buntes Parderfell hing, in dem ein Splitter vom wahren Kreuz verborgen, das einer ihrer Vorfahren von seiner Pilgerfahrt nach Jerusalem heimgebracht hatte. –
Die Gräfin von Dornburg hatte den Ernst und die Würde einer Edeldame, aber milde freundliche Züge, und diese spiegelten sich verschönt in dem lieblichen Gesicht ihrer Tochter wieder. Siegelinds blondes reiches Haar war aber von seiner Schnebbenkappe neidisch verborgen. Sie trug eine hohe gestickte Mütze, von goldenen Nadeln gehalten; auch war die Tracht des Fräuleins gewählter, ihr Kleid von feinem Gewebe und zierlich genestelt, der Kragen schön gefaltet und die Aufschläge an den Ärmeln mit Pelz besetzt.
»Ich wollte, mein Herr käme bald zurück,« sagte die Gräfin. »An dem Junker von Eichstädt hat er den rechten Gesellen gefunden. Es ist aber nicht fein, von früh an in dem wilden Wald umherzuspringen und uns einsam zu Haus zu lassen. Die bösen Männer können des Jagens nimmer satt werden.«
Sie ging bei diesen Worten hinaus, weil sie Gelärm von Pferden im Schloßhof zu hören glaubte. – Der Priester blieb bei dem Fräulein stehen, und Beide blickten auf das rudernde Boot, bis dies den Nachen erreicht hatte und der Mann darin von seinen Helfern aufgenommen wurde.
»Gelobt sei Gott!« rief Siegelind freudig.
»In Ewigkeit!« murmelte der Mönch. – Dann sagte er lächelnd: »Ihr seid des wilden Lebens in diesen Wäldern noch nicht gewöhnt.«
»Wie sollte ich,« versetzte sie. »Als Kind lebte ich auf unserem Schloß am Harzgebirge, und dann bei meiner Tante in Bamberg, von wo mein Herr Vater mich nun hierher zurückberufen. – Aber ach! lieber Johannes, wie öde ist dies Land, wie roh und unwissend sind seine Bewohner!«
Der Mond sah sie mitleidig an.
»Und immer einsamer und wilder wird es, je weiter gen Norden,« sprach er leise. »Ja, in den fränkischen und schwäbischen Städten ist es anders. Dort wohnt der Minnegesang und manche Liebes- und Lebenslust, Spiele und Freuden, welche edle Herrn und Frauen aus dem schönen Lande Italia mitgebracht. – Da herrscht Pracht der Kleider, Feinheit der Sitten, und wie herrlich ist der Hofhalt der Fürsten und des großen Hohenstaufen Kaisers Friedrich, unseres gnädigsten Herrn. Es wechseln Bankets und Falkenjagden, Fackeltanz und Ringelstechen. – O! ich kenne das wohl,« sagte er, verloren in Erinnerungen seiner Jugend, »einst kannte ich es!«
»Ihr würdet es aber kaum wieder kennen, wie es jetzt ist,« versetzte Siegelind eifrig. – »Der Kaiser rüstet sich zu seinem großen Zuge nach dem heiligen Grabe; da strömen Volk und Edle aus allen Orten herbei, wo fromme Priester die Erlösung des heiligen Grabes predigen. Die Besten im ganzen Reich nehmen das Kreuz. Fürsten, Grafen, Ritter, Bürger und Bauern folgen dem Gottesrufe, stolze Edeldamen, Weiber und Kinder ziehen mit. Und welche Pracht thut sich da auf, welche Feste werden gefeiert, wie drängt sich das Edelste und Herrlichste, das Deutschland hat, in Nürnberg zusammen.«
»Arme Siegelind!« sagte der Mönch sanft lächelnd, »mitten aus diesen Festen mußtet Ihr scheiden.«
Das schöne Mädchen senkte ihre Augen nieder.
»Ich bin gern gegangen,« sagte sie, »und sehne mich nicht zurück, wenn mir hier nichts Schlimmes bevorsteht.«
»Schlimmes, hier bei Euren Eltern?« fragte Johannes.
»Sagt mir das,« rief sie und eine jähe Röthe flog über das liebliche Gesicht. »Ist es wahr, daß der Freiherr von Eichstädt –«
»Euch in Liebe zugethan ist,« fiel der Mönch ein. »Es ist der liebste Wunsch Eures Vaters, der sich dann erfüllt.«
»Und ich – ich bin – ich soll –« fragte sie mit einem schnellen ängstlichen Blick.
»Sein ehelich Gemal werden, ja, so sprach Euer Vater gestern zu mir und dem Junker.«
Beide schwiegen. Siegelind deckte mit ihrer Hand die Augen zu.
»Da kommt das Boot heran,« sagte Johannes, »und wahrlich es ist Georg, Eures Vaters Leibdiener, der so kühn das Ruder darin geführt hat, den wendischen Räubern zum Trotz.«
Das Fräulein blickte schnell hinab und sah auf den jungen Knappen, der so eben seine Federmütze freudig schwenkend den Geistlichen begrüßte. Dann trat sie vom Fenster zurück, und indem sie zitternd die Hand des guten Paters faßte, sagte sie:
»Um Jesus Willen sagt mir, hat mich mein Vater dem Junker verlobt?«
»Ich sagte es,« erwiederte Johannes, »und wohl werden Viele Euch beneiden, denn der Freiherr von Eichstädt ist eben so kühn und mannhaft, wie anmuthig von Gestalt und Sitten.«
»Und wo wohnt er?« rief Siegelind. »Ach! sprecht nicht, ich weiß es ja. Immer einsamer und wilder wird es gen Norden, sagtet Ihr das nicht auch? Da wohnt er gegen das Ostmeer hin. Ist es nicht so, Vater Johannes?«
Der Priester schüttelte leise sein weißes Haupt.
»Gehört das auch zu Eurem südlichen Wesen und seinen Sitten,« erwiederte er strafend, »daß Ihr der Eltern Willen und Gebot bekrittelt? Wahret Euer ungestümes Herz, mein armes Kind, daß es Euch nicht in Schaden und Sünde bringe.«
»Hört mich an, mein guter Vater,« sagte sie leise.
»Still,« rief er und wandte sein Gesicht. »will Dich hören und reden, wenn es Zeit ist.«
Die Thür öffnete sich und der Schloßherr trat herein, ein stattlicher Mann. Sein ergrautes Haar schlang sich noch immer reich und lockig um die Stirn voll Falten und beschattete ein Paar große beweglich-blaue Augen, die es wohl ausdrückten, daß der letzte männliche Sproß der Grafen von Dornburg ein Held im Rathe und im Felde war. Und wirklich hatte Graf Rüdiger als Diplomat fast mehr noch geleistet, denn als Krieger. Mehr als ein Vertrag über Abtretung bedeutsamer Länder und Rechte war durch ihn bewirkt worden. Er hatte mit Pribislaw von Polen unterhandelt und mit König Jaczo, für seine gnädigen Herrn, die Markgrafen Albrecht und Otto, Vergleiche abgeschlossen mit den Fürsten von Pommern und Mecklenburg, die Unterhandlungen geleitet nach dem Siege gegen die Herzoge von Meißen, Friedrich den Gebissenen und Diezmann, und nach der Niederlage des märkischen Bären den Frieden mit Heinrich dem Löwen vermittelt. Auch die Bischöfe von Brandenburg und Havelberg, und selbst der Erzbischof von Magdeburg kannten seine diplomatischen Künste aus mancherlei Sendungen, wie sein Schwert aus harten Fehden, welche er gegen sie geführt, bis die Markgrafen den Streit beendeten.
So war der Graf ein Feldherr und Staatsmann seiner Zeit, der ein bewegtes, unruhiges Leben geführt, mehrmals an dem Kaiserlichen Hof gewesen und mit Friedrich dem Ersten nach Italien gezogen war. –
Von seiner einstigen Höhe war er jedoch, wie viele Staatsmänner vor und nach ihm, jetzt herabgekommen. Viel Gut ging in unruhiger Zeit verloren, viel Ansehn wich jüngeren Kräften, Günstlingen, Schmeichlern und verändertem Regiment. Mit Bischof und Markgrafen grollend, hielt er sich seit Jahren schon fern vom Hofe auf seinen Schlössern, am tiefsten betrübt darüber, daß er keinen männlichen Erben seines alten Namens besaß. –
Als verständiger Mann fügte er sich dem Unabänderlichen, und daß er Scherz und Lust noch immer liebe, bewies er jetzt, wo er dem Priester, seinem alten Waffengefährten, die Hand schüttelte und lachend fragte, wie diesem gestern der heiße Gewürzwein als Nachttrunk bekommen sei? Dann knipp er sein Töchterchen ins Ohr und küßte sie, warf die Jagdkappe auf den Tisch, und setzte sich in den Lehnstuhl, wo er von der heutigen Jagd erzählte.
»Das müßtet Ihr sehen, Johannes,« rief er, »wie Junker Franz den Bogen braucht. Da fehlt kein Pfeil sein Ziel, es ist eine Lust, solche Kraft und Geschicklichkeit zu bewundern.«
»Und wo bleibt denn der glückliche Jäger?« fragte der Geistliche.
»Vermuthlich wirft er den Jagdrock ab, um im Feierstaat zu erscheinen,« erwiederte der Graf. – »Das gefällt mir, Johannes. Wir haben viele wackere Herren hier im Lande, doch fein und zierlich ist selten einer. Junker Franz aber könnte in des Kaisers Pfalz mit dem zartesten Hoffräulein tanzen. – Laß Dir die Zeit nicht lang werden, Siegelind,« fuhr er dann lachend fort, »Du sollst es bald erproben, ob der Junker den Ringeltanz versteht. Auch wir werden Feste feiern, wie sie in Nürnberg und Bamberg gefeiert werden, und dann soll er vor Allen Dein Tänzer sein.«
Das Fräulein verneigte sich schweigend, Johannes aber sagte halblaut: ›er denke, morgen oder heut schon werde des Junkers Oheim, der Kaiserliche Hauptmann aus Schloß Eberswalde eintreffen, so stehe es im Briefe, der von ihm eingetroffen.‹
»Wir werden viele liebe Gäste sehen,« rief der Graf, »was aber den Kaiserlichen Hauptmann in Schloß Eberswalde betrifft« – hier lachte er anhaltend – »so ist dieser mächtige Titel eine Schwachheit des guten Junkers Hans, denn Kaiser und Reich kümmern sich keinen Deut um seine Hauptmannschaft.«
»Von des Kaisers wegen führt er aber doch den Titel,« sagte der Priester.
»Einen Titel, der Spreu ist,« erwiederte Der Graf. »Ja, wenn er es wüßte, der greise Rothbart, so ländersüchtig er ist, er würde doch über diese Hauptmannschaft lachen.«
»Das meine ich nicht.«
»Warum nicht?« fragte der Ritter.
»Eben weil er mit so habgieriger Hast jeden Schein von Recht benutzt, seine Macht auszudehnen oder zu begründen.«
»Ach, darauf läuft es hinaus,« sagte der Graf. »Freilich, jeder Kuttenträger haßt den starken Hohenstaufen, der dem heiligen Manne in Rom so schwere Stunden gemacht hat. So seid doch zufrieden nun, wo Ihr ihn dahin gebracht habt, Deutschlands Blüthe nach Palästina zu führen. Aber Freund, was Habgier und dergleichen betrifft, darin seid Ihr immer seine Meister geblieben. Eines Pfaffen Seckel hat weder Boden noch Deckel, das ist ein alter weiser Spruch, und Gott gnade dem armen deutschen Lande, wenn die Kapuze jemals zur Herrschaft darin kommt. Dann wehe Dir deutsche Freiheit! Denn was ist Fürsten- gegen Pfaffentyrannei? Nicht unseren Leib und Gut und Geld, auch Geist und Gewissen schnürt Ihr in Ketten. Aber Ihr habt Recht, Johannes. Die Hohenstaufen können die Pfaffen nicht riechen, doch leider den freien Mann, der sie zu Kaisern machte, eben so wenig.«
»Ich hasse den erhabenen Fürsten nicht,« sagte der Mönch, »wie sehr und oft er sich auch versündigt hat.«
»Es hat sich Alles versündigt,« rief der Graf, »sonst wären bessere Zeiten da. Wie mancherlei Druck und Noth ist über uns gekommen, von der unsere Väter nichts wußten. Sonst wählte das freie Volk seine Fürsten, jetzt machen es diese unter sich ab, und verkümmern uns unser Recht. Ist es doch dahin gekommen, daß unser höriges Gesinde in die Städte läuft, und wenn es dort aufgenommen wird, ist es losgegeben und nennt sich Bürger. – Das schmierige lästerliche Volk pfercht sich hinter Mauern und Wällen ein, thut stolz und frech, und die Kaiser schützen es und nennen es reichsfrei, dem Adel zum Spott und zur Widerpart. – Ja, Ihr habt Recht, Johannes, wüßte der alte Rothbart, daß er einen Hauptmann in Eberswalde hätte, und daß die Pfaffen unserm gnädigen Markgrafen so lange schmeichelten, bis er ihnen jetzt in der Nähe ein Kloster baut, prächtig und reich ausgestattet mit Land und Leuten, Chorin genannt, wie der Brief des Hauptmanns sagt, so machte er Eberswalde zur Reichsstadt und thäte den Markgrafen in die Acht, wenn er dagegen spräche.«
Der Priester lächelte und murmelte dann leise vor sich hin:
»
tu mater Lehnin et filia tua Chorin,
ex te est orta nova cella et coeli porta.«
»Schöne Himmelspforten,« rief der Graf spöttisch. »O! ihr Mönche, was werdet ihr noch aus der Welt machen, wenn diese nicht endlich doch klüger ist, als ihr.«
Johannes erwiederte diesen Angriff nicht. Es lag in den Sitten der Zeit, die Mönche zu bespötteln, dennoch aber sich demuthsvoll vor der Kirchengewalt zu beugen, sobald das Gewissen beängstigt war. Er deutete daher nur zum Fenster hinaus und sagte:
»Wer hat das Land erobert, Ihr oder wir? Wer war mächtiger, das Schwert oder das Kreuz? Wer wird den Sieg vollenden, die Liebe oder die Gewalt?«
»Freilich, Johannes,« rief der Graf von Dornburg, und man konnte nicht sagen, sprach Scherz oder Ernst aus ihm – »Alles kommt von Gott und kehrt dahin zurück. Alles auf Erden ist nichtig, alles Dichten und Trachten eitel, aber was Ihr da redet, ist doch eigentlich nichts, als der alte Priesterhochmuth, mehr zu sein und höher im Himmel angeschrieben zu stehen, als die übrige Menschheit. Das ist der Streit zwischen Kaiser und Papst, der es laut genug ausruft, die Welt gehöre ihm sammt aller Menschheit darin. Das ist Eure Habgier, Ihr Herrn von der Kapuze, die Ihr selig sprechen und verdammen wollt, wie Gott selbst, und wenn Ihr Blut vergießt, als sei es schuldlos Wasser, oder Verrath und Empörung anstiftet, aller Ehre und Treue baar, doch stets sagt: Gebt Acht! die Liebe und Christus siegt.«
»Ihr lästert, Herr Graf, entgegnete der Priester sanftmüthig.
»Nein, lieber Freund Johannes,« fuhr der Schloßherr lachend fort, »ich trenne nur Gott meinen Herrn von seinen kirchlichen Dienern und denke dabei, daß wohl einmal eine Zeit kommen kann, wo man Euch noch ganz andere Dinge sagen wird.«
»Habt Ihr auch bedacht,« fragte der Mönch nach einem sinnenden Schweigen, »daß eine Zeit kommen kann, wo der Knecht nicht mehr Knecht ist? Wo er nicht mehr arbeiten wird für den Herrn, sondern für sich selbst, wo die gedrückten Völker erwachen und die Menschheit eine edle Versöhnung feiert? – Und wessen Werk wird das sein, edler Graf? daß des Schwertes oder des Geistes? Die erhabene Folge des Christenthums, oder die des Adels und Wappenbuchs?«
»Was träumt Ihr da für sonderbare Träume,« versetzte der Graf lachend. »Es geht doch nichts über den gedankenvollen Kopf eines Priesters. – Wollt Ihr nicht auch etwa den Satz aufstellen, daß eine Zeit kommen kann, wo dies faule, nichtsnutzige Wendenvolk aus freien Männern bestehen wird? Wo's keine Leibeigenen mehr giebt, wo Jeder gleiches Recht hat? – Doch das sagtet Ihr eigentlich schon, Freund Johannes,« rief er spottend, »und das wird eine herrliche Zeit sein, wo jeder Bauer ein Junker und jeder Junker ein Bauer ist.«
Der Mönch sah still lächelnd vor sich hin. –»Könnt Ihr in die Zukunft lesen,« sagte er endlich, »wie weit Gott seinen Kindern Erkenntniß giebt?«
»Nun, was auch kommen mag,« schrie der Graf lustig neckend, »darauf mein Wort, daß die Priester nimmermehr der Menschheit die Lichter vortragen. Aber macht mich nicht krank mit Euren Träumen, Johannes: Pfui Teufel! ein elender schmutziger Wende frei und mir gleich, das ist arg.«
Jetzt erhallten Stimmen auf dem Gange und einen Augenblick später öffnete sich die Thür, durch welche zwei stattliche Herrn traten. Der eine ältliche Mann war in ritterlicher Reisetracht, in Lederkoller und ungeheuren Stiefeln, an denen handlange Sporen klirrten: der andere hoch und schlank, trug ein feines, pelzverbrämtes Staatskleid, reich benestelt und mit goldenen Fäden bestickt. – Seine langen, blonden Locken fielen an Nacken und Schläfen hin, und trotz dem Ernst, der aus den großen Augen sprach, war er doch schön anzuschauen in der Fülle seiner Jugendkraft und im Ebenmaß seiner Glieder. Er hielt die Hand des älteren Herrn in der seinen und führte ihn so dem Grafen zu, der sogleich aufstand und seine Arme zum herzlichen Empfange ausbreitete. –
»Freiherr Eichstädt,« rief er, »mein tapferer Hauptmann von Eberswalde, warum hörte ich nichts von Eurer Ankunft, um Euch an meiner Schwelle zu empfangen?«
Der ritterliche wohlbeleibte Herr entschuldigte sich mit seinem Wunsche, den Freund zu überraschen, weshalb er einen ganzen Tag früher noch aufgebrochen sei und einen beschwerlichen Marsch gemacht habe. Nun begrüßte er die Damen des Hauses, warf das Koller ab und stellte sein Schwert in die Ecke, dann setzte er sich zu dem Grafen an den Tisch, Wein und Speisen wurden herbeigebracht und es begann eine lange Unterhaltung, welche theils laut, theils leise geführt und dann und wann unterbrochen wurde, um lächelnde Blicke und Winke nach dem Junker zu werfen, der meist bei den Damen und dem Priester an der andern Seite des Zimmers saß.
»Wir sind also einig,« sagte der Graf halblaut. »Euer Neffe hat mein ganzes Herz gewonnen. Ritterlich und tüchtig ist er wie selten ein Jüngling und, wie jung an Jahren, doch klug und würdig. – Ich bin ein abgestorbener Baum. Keine Blüthe ist davon geblieben, als der eine schlanke Zweig, meine Siegelind. So wollen wir denn dies grüne Reis auf den neuen Stamm pfropfen und es soll ein edler stolzer Baum daraus erwachsen, der voll belaubt in den Himmel sprießt.«
»Glück auf!« erwiederte der Freiherr, indem er sein Glas leerte. »Franz ist auch der Beste aus meinem edlen Stamme, dessen Erbe auf ihn gekommen ist. Laßt uns denn nicht säumen; morgen mag Johannes die Schriften aufsetzen, dann wollen wir bald eine fröhliche Hochzeit feiern.«
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände und die jungen Leute hatten wohl etwas davon gehört; Siegelind war glühend roth, wie der Junker ihr etwas heimlich zuflüsterte, und dieser drehte stolz und freudig den Nacken zu seinem Oheim und warf einen lächelnden Blick auf die alten Herrn.
»Es geht aber noch immer schlimm her in diesen Wäldern,« sagte der Kaiserliche Hauptmann nach einer Weile, »und wahrscheinlich säße ich jetzt nicht hier so fröhlich, wäre mein Pferd nicht gut, oder mein Gefolge weniger zahlreich gewesen. Vielleicht aber hätten beide noch nichts genützt, wenn ich nicht einen guten andern Helfer gefunden hätte.«
»Wie das?« rief der Graf. »Habt Ihr Anfechtungen von Wegelagerern gehabt?«
»Ich ritt vor einigen Stunden am Seeufer hin,« erzählte der alte Herr, »da schiffte ein junger Bursch an den Schilfwäldern. Es war ein Fant, der seine Kappe mit Reiherfedern besteckt hatte. Auf der Spitze seines Bootes saß ein Falk und er mit der Armbrust schoß Pfeile nach den Rohrsperlingen und Tauchern, die er gut traf. Der Falk stieg dann und wann in die Luft und brachte einen Vogel, und der Bursch griff zu den Rudern und gab dem Wasser ein paar schnelle Schläge, daß sein Fahrzeug tüchtig weiter schoß. – Wie er das Pferdegetrapp hörte, stand er auf und grüßte mich. – ›Holla, Bursch,‹ rief ich ihm zu, ›wie weit ist die Dornburg?‹ Er deutete gegen den Wald. ›Dort hinaus müßt Ihr, edler Herr, hier liegen tiefe Sümpfe, aber hütet Euch wohl, die Wölfe heulen darin und ihr Rachen ist immer blutig.‹
›Narr,‹ sagte ich, ›was kümmern mich die Wölfe‹. –
›Seid Ihr so fremd hier im Lande, daß Ihr ihre weißen Zähne nicht kennt?‹ schrie er zurück. ›Wollt Ihr sicher zum Grafen, so will ich Euch in meinem Boot hinführen, aber Euch allein, denn es könnte wohl sein, daß das ganze Rudel hinter uns käme.‹
Ich wendete mich an meinen Begleiter und sagte: ›Was meint der Fant?‹ ›Herr,‹ versetzte der alte Herbrand, ›er meint sicher wendische Räuber, die hier überall in den Wäldern nisten,‹ und während wir noch sprachen, sah ich den Burschen aufrecht stehen und mit der Hand schweigend in eine Bucht deuten, welche tief in's Land zog. Ich blickte hin, da lagen vier lange schmale Boote versteckt unter alten Weiden und wüstes Volk tummelte sich am Ufer oder kam aus dem Walde hervor. Mehre schleppten erlegtes Wild herbei, Andere trugen lange Bogen und Streitäxte, aber alle waren still, man hörte keinen Ton und kein Geräusch. Plötzlich verschwanden sie, ich wußte nicht, wohin sie gekommen. Da wandte ich eilig mein Pferd gegen eine Schlucht im Holz, wo ich Spuren von Menschen und Thieren sah und einen Pfad zu finden meinte.«
»Und Ihr fielt in ihren Hinterhalt,« rief der Graf. »Ich kenne ihre Art, Sie hatten Euch bemerkt und verbargen sich, Euch zu fangen und zu erschlagen.«
»So war es,« fuhr der Freiherr fort. »Ich hörte den Burschen hinter mir laut schreien und sah ihn winken, aber ich sprengte eilig davon. Bald jedoch blieb von der Schlucht im Holz nur ein fußbreiter Pfad, der sich durch wildes Dickicht wand und plötzlich schwirrte eine Bogensehne und ein Pfeil flog an mein Koller. Ein halbes Dutzend andere kamen schnell hinterher, verwundeten zwei meiner Knechte sammt meinem Roß und nun lief das Gesindel hervor in hellen Haufen aus den Büschen mit Stangen und Äxten auf uns los, und vor uns von dem dürren Sandhügel hinter den Fichten hervor kam eine ganze Schaar. Es waren wilde schreckliche Gesellen, in Lederröcken und Rappen, bärtig, daß man nur die Augen sah und wie Gespenster anzuschauen in der Heide, so leicht und lautlos flogen sie zwischen den Bäumen hin.«
»Hier schreien die Raben nicht nach Futter,« sagte der Burgherr, »sie fallen stumm auf ihren Raub, damit kein Adler sie stören möge.«
»Wir hatten die Schwerter gezogen, allein was konnten die helfen? Sechs Männer gegen sechszig und im Gebüsch die Bogenschützen dazu. Sie hätten uns erlegt und abgeschlachtet, wie Hirsche. Plötzlich aber hörten wir ein Horn hinter uns und lautes Geschrei: ›Hier, Dornburg, hier, edle Herrn! drauf und dran.‹ Ich blickte um, da stand der Bursch aus dem Boot athemlos bei uns und das wendische Räubervolk floh die Hügel hinauf. – ›Fort, Herr Ritter, fort!‹ rief der Bursch, ›setzt Eurem Thier die Sporen ein; rechts an den Hügeln hin ist eine Lichtung, dort hinüber kommt Ihr auf des Markgrafen Damm, der von Spandowa herführt. Rastet keinen Augenblick, sie werden schnell wieder hinter Euch sein, wenn sie die Täuschung entdecken,‹ und nun stieß er wieder in sein Jagdhorn und sprang zurück. – Ihr könnt denken, daß ich seinen Rath befolgte, und wie er sagte, so war es. Mit aller Macht sprengten wir durch die Heide hin, aber hinter uns lief durch den Wald die wilde, mordlustige und stumme Meute. – Beim heiligen Kreuz! sie waren uns dicht auf den Fersen, als wir endlich die Straße erreichten und nun die Rosse antreiben konnten. Da sahen sie, daß das Wild ihnen entging, und nun heulten sie auf wie die Verdammten in der Hölle heulen und ließen von uns ab.«
Der Junker, die Damen und der Priester hatten sich theilnehmend um den alten Herrn gesammelt. Der Graf aber sagte:
»Wohl mögt Ihr der Gottesmutter ein Geschenk darbringen, denn Eure Gefahr war groß genug, mein alter Freund. – Selten entgeht diesen Räubern der Verirrte, und sie kennen kein Erbarmen. In den großen Wäldern, welche ununterbrochen bis ins Sarmatenland hinein laufen, sind sie die Herren, und wollen wir Ruhe vor ihnen haben, müssen wir thun, als sehen wir sie nicht. – So besteht zwischen uns ein schweigendes Abkommen, das dann und wann nur von Feindseligkeiten unterbrochen wird. Machen sie es zu arg, so geschieht ein Jagen und Todtschlagen nach ihnen; die Städte verbinden sich dann wohl mit dem Adel dazu und eine Anzahl blutiger Köpfe prangt auf den Mauerzinnen und Thoren; das Gesindel ist aber unvertilgbar. Es verbirgt sich in seinen geheimen Schlupfwinkeln, brennt aus Rache unsere Weiler nieder, verwüstet die Felder, mordet unsere Leibeigenen, oder beredet sie, mit ihnen zu entfliehen und, wie sie es nennen, frei zu sein. – Wollen wir ruhig schlafen, ruhig jagen, ohne von unsichtbarer Hand durchbohrt zu werden, so müssen wir sie schonen, so lange es angeht, denn manche tapfere Männer sind bei ihnen, auch deutsche Männer, die aus den Städten verbannt wurden Frevels oder Ungehorsams wegen. Sie alle laufen in die Wälder und leben dort bis ihre Stunde kommt. – Wenn sie nun den ziehenden Kaufmann oder Bauer niederwerfen und seine Säckel leeren, so ist es schlimm genug und nur des Landes und Rechtes willen zu beklagen, obwohl es manchen giebt, der es den übermüthigen Krämern in den Städten gönnt; strecken sie ihre Räuberhände aber auch gegen den Ritter aus, so ist das eine Frechheit, die schwere Züchtigung verdient,« – und hier that der Graf von Dornburg ein Gelübde, indem er das Kreuz küßte, das an einer Kette auf seiner Brust hing – »ich will sie büßen lassen, daß sie lange davon erzählen.«
»Wer aber kann der wackere Bursch sein, der mir so großen Dienst geleistet hat?« sagte der alte Ritter.
Der Graf wendete sich nach der Thür, welche so eben geöffnet wurde, und indem er auf einen eintretenden Jüngling in Knappentracht zeigte, sagte er: »Da habt Ihr ihn, ich bin gewiß, der ist es!«
Und so war es wirklich. –
»Mein wackerer Knabe,« rief der Freiherr von Eichstädt, »komm her zu mir, daß ich Dir danke. Wie heißt Du?«
»Georg,« sagte der Bursch.
»Von welchem Geschlecht?«
Eine dunkle Röthe überdeckte das Gesicht des Knappen. Er sah den Grafen von der Dornburg mit seinen großen Augen fragend an.
»Georg ist ein freier Mann,« sagte der Graf, »sein Geschlecht wird von ihm stammen.«
»Gehört er keiner edlen Familie an?« fragte der Freiherr.
»Nein, doch er ist in meinem Hause erzogen.«
»Nun, immerhin,« rief der Ritter, »auch unsere Häuser haben ihre Ahnherrn und Du, Georg, siehst ganz so aus, wie Einer, der sein Haus fest gründen wird.« –
Die hellen Blicke des jungen Knappen antworteten ihm. Der Freiherr hielt seine Hand fest und sagte freundlich:
»Ich möchte Dir gern viel Liebes thun, mein Sohn, ja ich möchte Dich mit mir nehmen, wenn der Graf es gestattet und wenn Du willst. Mehr als einen wackeren Ritter habe ich erzogen und als Bannerherr des heiligen römischen Reichs und Kaiserlicher Hauptmann die goldenen Sporen angeschnallt. Dort steht mein Neffe Franz, der war der letzte, aber er wird der erste zu meiner Ehre sein.«
Der Junker Franz neigte sein schönes lockiges Haupt dem Knappen.
»Ich danke Dir auch,« sprach er, »denn ohne Zweifel hat Deine kühne List meinen Onkel vor Verderben bewahrt. Wenn Du seinen Wunsch erfüllst, wirst Du in nicht minder guter Schule ritterlicher Lehren sein, als hier bei dem edlen Grafen von Dornburg, und einst werde ich als Freund und Waffenbruder gern meinen Bund mit Dir machen.«
»Was sagt Ihr dazu? fragte der Freiherr den Grafen.
»Georg ist ein freier Mann,« erwiederte dieser, »und weil ich ihn erzogen habe von jung auf, kann ich gutes Zeugniß von ihm geben.«
Der Edelknecht war verlegen und bestürzt. Er schlug seine Augen fast ängstlich auf und nieder, endlich aber sagte er bescheiden:
»Ist es mir gestattet, hochgeborner Ritter, meine Meinung zu sagen und darnach zu wählen, so bleibe ich hier bei meinem edlen Herrn, dem ich so vielen Dank schulde und der sich meiner, als ich ein kleines Kindlein war, erbarmt hat. – Ich bin eine Waise und gehöre ganz zu diesem Hause. Sein Gebieter ist auch der meine, was er befiehlt, ist mein Gebot und soll es immer sein.«
»So bleib' denn,« versetzte der Freiherr, »aber gedenke zu allen Zeiten, daß Du einen Freund im Schloß Eberswalde hast, und wenn irgend etwas Dich in Leid versetzt, so komm und klage es mir. Ist es möglich, so will ich es ändern.«
Er schüttelte dem jungen Knappen nochmals die Hand und dieser ging bescheiden hinaus, nachdem auch der Graf ihn belobt hatte. Jetzt erzählte der Priester, wie das kleine Boot von den wendischen Räubern verfolgt wurde, die vermuthlich den Knaben es büßen lassen wollten, daß er dem fremden Reisenden geholfen. Auch die Gräfin wußte viel Gutes von Georgs mildem Sinn und immer heiterer Dienstfertigkeit, der Graf erwähnte seinen Muth und seine Stärke, der Priester aber erwähnte nicht weniger, daß er in kurzer Zeit von ihm das Lesen gelernt und sogar Versuche gemacht habe, die Feder zu führen.«
»Das ist ein Bursch,« sagte der Freiherr vergnügt, »an dem Ihr Freude erleben werdet. Gewandt, schön und muthig ist er, wie ich selten einen sah; Alle wissen nur Gutes von ihm; so thut es mir doppelt leid, daß ich ihm nicht den Ritterschlag geben soll.«
»Den,« sagte der Graf, sich zu seinem Gaste neigend, »wird er niemals erhalten.«
»Und weshalb niemals?« fragte dieser.
»Weil dazu die untadliche Geburt gehört.«
»Hat er die nicht? stammt er von Leibeignen?« versetzte der Kaiserliche Hauptmann. »Es läßt sich vielleicht daran ändern.«
»Es läßt sich nichts ändern,« sagte der Graf. – »Unerläßliche Bedingung ist es, daß ein Ritter freie und deutsche Vorfahren habe, wenn auch der Adel nicht verlangt wird.«
»Und wer sind dieses Knaben Eltern?«
»Ich weiß es nicht. Aber seht sein dunkles Haar, seht seine Augen an und Ihr werdet seine Abkunft nicht verkennen. – Vor zwanzig Jahren führte mich der Krieg mit Herzog Mistislav weit ins östliche Wendenland und einst nach einem heißen blutigen Tage fand ich dort ein Kind, das, wenige Tage alt, neben erschlagenen Männern lag und kläglich schrie. – Ein Knecht hob die Lanze im Vorüberreiten und wollte es durchbohren, ich bedrohte ihn und befahl, mir das Kind zu bringen. Es lag in einem Weidengeflecht, wie die Wenden sie machen, und um seinen Hals trug es Goldfäden. – Ohne Zweifel war es das Kind irgend eines ihrer Vornehmen. – Und als ich es in den Armen hielt, war es still und legte die Händchen um meine Brust. – Du sollst nicht umkommen, wenn es möglich ist, rief ich und so warb wirklich sein Leben gerettet.«
»Gottes Lohn über Euch!« sagte der alte Ritter, »aber, armer Georg! kennt er die klägliche Geschichte?«
»Er weiß, daß er auf einem Schlachtfelde gefunden wurde und jede Mühe vergeblich war, seine Eltern zu entdecken; aber daß er wendischer Abkunft, weiß er nicht.«
»Und das wißt Ihr ebenso wenig, würdiger Freund,« rief der Freiherr eifrig; »denn immer bleibt es zweifelhaft, ob dennoch nicht deutsches Blut in ihm ist. – Sagt mir nichts von seinem Ansehn; es ist ein schöner stattlicher Bursch. Ein Wendenkind hätte nimmermehr so gedeihen können und wäre niemals so treu und fromm geartet herangewachsen.«
Der Graf von Dornburg erwiederte lächelnd:
»So habe ich auch oft gesagt. Georg ist mir lieb, und redlich will ich für ihn sorgen, aber zum Ritter kann ich ihn nicht machen, so wenig, wie Ihr, lieber Herr. Das könnte der Kaiser allein, dessen Schwert alles Blut adelt.«
Der Freiherr schüttelte betrübt den Kopf.
»Armer Georg,« sagte er, »wie soll er zum Kaiser kommen, oder der Kaiser zu ihm? Da muß er freilich Knecht bleiben sein Leben lang. Der Kaiser giebt den Ritterschlag selten, nur den Kindern von Fürsten und hohen Herrn, die es als eine besondere Ehre erbitten.«
So sprachen die beiden noch lange hin und her, endlich aber griffen sie zum Becher und zum Brettspiel. Der Junker Franz ging mit dem Fräulein und ihrer Mutter im Garten auf und nieder, und oben in dem hohen Thurmgemach saß Georg und putzte mit einem alten Wappner seines Herrn Rüstung. –
Bei jedem Rostfleck seufzte der Alte, erzählte von vergangenen Tagen und wie es jetzt doch gar nicht mehr sei, wie damals, wo der gestrenge Graf keinen Tag ohne Helm und Panzer sein konnte. Nach einer Weile sagte er dann:
»Nun ja, die Zeiten sind vorbei. Jetzt drückt ihm der Stahl die Brust und er keucht in dem Kettenhemd, daß er sonst so leicht trug, wie jetzt seinen Hauswams. Aber die Tage werden wiederkehren, wenn der Junker von Eichstädt erst hier wohnt.«
»Noch wohnt er nicht hier, alter Schwätzer,« sagte Georg.
»Aber bald,« erwiederte der Wappner. »Es ist Alles richtig gemacht, dazu ist der Ritter von Eberswalde ja gekommen und der Pfaffe geschwind von seiner Reise zurückgekehrt. – Junker Franz wird unser Herr sein, ehe Du es denkst.«
»Er wird nie mein Herr sein,« rief der Knappe stolz.
»Warum nicht?« fragte sein Gefährte. »Er ist der schönste, wackerste junge Ritter, den ich je gesehen habe. Wie ein Löwe sieht er aus in seinen gelben Mähnen und seine Augen können Blitze schießen. Er soll so stark sein, wie kein anderer Mann im ganzen Lande. In allen Turnieren erringt er den Preis, und dabei ist er gütig und großmüthig, seine Hand ist immer offen. Ist das nicht ein Herr, der Dir auch gefallen kann?«
Der Edelknecht antwortete nicht. Mißmüthig warf er das Panzerstück fort, das er in den Händen hielt, und mit einem zornigen Blick auf den alten Diener ging er davon.
Der Alte lachte in feinen grauen Bart.
»Das wurmt Deinen Ehrgeiz,« sagte er, »und Du siehst aus Deinen Loden hervor, wie eine wilde Katze. Aber mein Bübchen, was hilft das Alles? Knecht bleibt Knecht, Ritter bleibt Ritter, und das kannst Du doch nimmermehr werden.«
»Warum kann ich es nicht werden?« sagte Georg heftig mit dem Fuße stampfend. – »Mancher ist mehr geworden als das, Graf, Fürst und Kaiser sogar! und was rühmst Du den Junker mir zum Trotz? Ich sage Dir, ich werde auch die goldene Kette tragen, eine größere, herrlichere, als er sie besitzt, und wehe dem, der sie mir nehmen will.«
Da schlug der Wappner ein lautes Gelächter auf, das aber schnell verstummte, als der Edelknecht den schweren Hammer ergriff und ihm den Kopf einzuschlagen drohte. –
»Hätte ich nicht Schande und Unehre davon, mit einem Greis zu rechten,« schrie er wüthend, »Du solltest bald fühlen, wessen Arm stärker ist, der meine, oder der Deines zukünftigen Herrn.«
»Recht so,« sagte der alte Mann bestürzt und erbittert, »schlage meinen Kopf ein, und zerbrich die Arme, welche Dich getragen haben, als Du zwei Spannen lang, ein hülfloses Kind warst, das ich Tage und Jahre pflegte, wie ein Vater seinen Sohn pflegt. Du nimmst einen hoben Flug; so beginne Deine Ritterschaft mit einem Mord an dem alten Wappenmeister, und laufe dann in die Wälder, um dort Kaiser zu werden.«
Er konnte nicht weiter sprechen, denn Georg fiel ihm um den Hals und küßte ihn mit Thränen in den Augen.
»Lieber alter Wolf,« rief er, »Du weißt es wohl, ich hätte es nimmermehr gethan, aber ich liege im Fieber und das läßt mir keine Ruhe.«
Mit diesen Worten lief er aus der Waffenkammer und Wolf sah ihm betrübt nach. –
»Das alte Sünderblut brennt in seinem Herzen,« sagte er dann, »das wendische böse Blut, das in ihm ist, und doch könnt ich es ihm nimmermehr sagen. Wohl mag sein Vater ein stolzer, tapferer Mann gewesen sein, das sieht man dem Kinde an, und« – hier lächelte er in Liebe zu seinem Zögling – »mag man sagen, was man will, selten würde ein schönerer, edlerer Ritter sein Roß getummelt und sein Schwert geschwungen haben, als dieser, denn wer von Allen thut es ihm gleich? Ach! armer Georg, warum bist Du keines Junkers Sohn? Warum bist Du nicht der Junker Franz?«
Er ließ den Hammer sinken, der die Beulen aus dem Harnisch trieb und dessen Schläge seine Worte begleitet hatten –
»Dann würde Georg hier Herr sein, der Graf sein Vater und die liebliche Siegelind – Du bist ein Narr, alter Wolf!« schrie er, und der Hammer fiel mit vermehrter Heftigkeit auf das Eisen.
Während er so beschäftigt war, sprang Georg die Wendeltreppe hinab, aber plötzlich blieb er an dem letzten der schiefen Fenster stehen, das nach dem Garten die Aussicht hatte. Dicht vor ihm unter dem Holunder saßen der Junker Franz und Siegelind. Der junge Freiherr heftete seine tiefblauen glänzenden Augen auf die schöne Erbin, und hielt die kleinen Finger ihrer Hand, wie sie sträubend auch zuckten, fest in der seinen.
»Das müßt ihr mir gestehen, theuere Siegelind,« sagte er flüsternd: »Es sind in Franken, wie ich weiß, viele feine Herren, ist es denn keinem gelungen sich Euch bemerklich zu machen?«
»Und was könnte es Euch nützen,« erwiederte sie lächelnd, »wenn ich Euch zu meinem Beichtvater machte?«
»Viel, sehr viel, schöne Dame. Laßt uns ein wenig ernsthaft sprechen.«
»Sprecht,« sagte sie, »ich werde Eure aufmerksame Zuhörerin sein.«
»Ihr wißt, schöne Siegelind, was Eure Eltern und mein Oheim über uns beschlossen haben.«
»Ich vermuthe es,« erwiederte sie.
»Und was sagt Ihr dazu?«
»Mein Vater hat über seine Tochter zu bestimmen.«
»Nein, liebe Siegelind, das genügt mir nicht. Ihr seid so schön und gut; ich fühle mich glücklich in Eurer Nähe, aber wärt Ihr schöner als die Königin von Saba, ich muß wissen, ob Ihr Euch auch in dem Gedanken glücklich wißt, mein eigen zu werden. Ja, ich muß wissen, Siegelind, ob nicht ein feiner Herr aus Franken oder Schwaben von des Kaisers Hof, wo man Minnelieder macht, mir zuvor gekommen ist.«
»Junker Franz!« rief Siegelind erröthend – Dann schwieg sie. Endlich aber begann sie leise: »Wenn Ihr es verlangt, so wißt denn: Es ist kein Ritter auf Erden, der sich rühmen könnte meine Huld erlangt, oder meine Farbe getragen zu haben.«
»O! tausend Dank, theuere Siegelind,« rief der junge Mann, indem er ihre sträubenden Hände an seine Lippen führte. »Dann laßt es mich sein, nie soll es Euch reuen. Ich will Euch lieben und dienen, wie man edlen Frauen dient, mit Herz und Blut und Leben bis in den Tod.«
In dem Augenblick war es, als stiege ein Seufzer aus dem Boden herauf, ein leiser Schrei des Schmerzes, den der glückliche Junker nicht hörte. Aber Siegelind wendete sich erschrocken, und erbleichend sprang sie auf.
»Was fehlt Euch, liebe Siegelind?« rief der junge Mann und faßte von Neuem ihre Hand.
»Laßt mich, o! laßt mich,« sagte sie. »Ich weiß nicht was es ist, aber es zittert mir durch Kopf und Brust. Es ist ein sonderbares Weh, das wird vorüber geben; ich will zu meiner Mutter.«
Der Priester Johannes trat aus dem Portal. Seine Schülerin schlüpfte rasch an ihm vorüber und der Mönch blickte fragend auf den Junker, der alle Seligkeit der Liebe in seinen leuchtenden Augen trug.
»Setzt Euch zu mir her, lieber Vater,« rief er ihm entgegen, »damit ich einen Menschen habe, dem ich mein Glück vertrauen kann. – Sie liebt mich, Johannes; doch ach! Ihr wißt nicht, was das heißt, von einem so edlen herrlichen Gottesbilde geliebt zu sein.«
Der alte Mönch senkte schweigend seine Augen, ein trübes Lächeln lief durch seine Züge. –
»Ich kann empfinden, was Euch entzückt,« sagte er. »Hat Siegelind Euch eine gütige Antwort ertheilt?«
»Sie that, was ich mir dachte,« fuhr der Junker fort. »Sie nahm es übel auf, als ich um ihres Herzens Zustand fragte, dann gestand sie leise, Niemand habe je ihre Farbe getragen, und endlich, erröthend und beängstigt, wand sie sich los und entfloh. – So, lieber Vater Johannes, muß es sein. So stellte ich mir vor, müsse sie es machen, wenn ich ihr von Liebe spräche. Verschämt, verwirrt von einer mächtigen unbekannten Gewalt, beseligt und geplagt zu gleicher Zeit! – Mein Glück kennt keine Grenzen. Mir ist wohl, unermeßlich wohl, und doch fühle ich auch das Weh dieses Glücks.«
»Wer hat Euch in den nordischen Wäldern solche schwärmerische Worte gelehrt?« fragte Johannes lächelnd.
»Wer es mich lehrte?« rief der Junker. »Als ob, wer ein Herz hat, nicht von ihm zur rechten Stunde auch zum Dichter geadelt würde. Wie oft habe ich in der grünen Heide gelegen und nachgedacht, wie die Dame sein müsse, vor der ich Knie und Sinn beugen würde. Mancherlei schöne Gestalten zogen an mir vorüber in solchen Träumereien, und immer wies ich sie stolz zurück. An Herzog Bogislaws Hofe gab es auch Schönheiten, mein guter Johannes, doch keine konnte mich rühren. – Es schwebte vor meinen Blicken das dunkle Bild eines lieblichen, edlen Wesens, in welchem Milde und Stolz sich paarten. Demüthig und doch erhaben stand es oft vor mir, so groß, leuchtend und überirdisch, daß ich verzweifelte es je zu finden.«
»Und nun plötzlich ist Euer Träumen Wahrheit geworden.«
»Eine Wahrheit, deren unermeßliches Glück ich doch nicht ahnete. Ich bin in einen Zauberquell getaucht, wie sie im Lande Arabien fließen, wo ein Augenblick der Benetzung hinreicht, ein langes, seliges Leben zu führen.«
»Aber man erwacht davon, ehe man es denkt,« sagte der Priester.
»Ich werde nicht erwachen, mein lieber Johannes. Ich werde Siegelind mit derselben heißen Liebe lieben, bis dies Herz seinen letzten Schlag gethan.«
»So müssen wir eilen,« fuhr der Mönch lächelnd fort, »Euren Flammen die rechte Nahrung zu geben. Laßt mich mit dem Grafen und Eurem Oheim die letzte Verabredung treffen, und morgen –«
»Nicht morgen,« fiel der Junker ein. »Siegelind muß Zeit haben, das neue Gefühl ganz in sich aufzunehmen, und ich will wenigstens einen Tag noch, als Buße für mein Glück, in bangen und süßen Gedanken mich bewegen. – Sind wir verlobt, so ist das Glück eine Gewißheit, aber es ist auch schön, mein Vater, jeden Reim zu pflegen und wandelbare Hoffnungen an einen Blick der Geliebten zu knüpfen.«
»Niemand,« sagte der Priester mit ernstem Tone, »soll auf Hoffnungen bauen, die trügerisch wie Well und Wind schon manches frohe Lebenschiff scheitern ließen.«
»Wollt Ihr mir Unheil prophezeihen?« rief der Junker lachend und sprang auf. »Das sollt Ihr nicht. – Ein reiches, schönes Leben liegt vor mir. Wollte mich der Hohenstaufe auf seinen Thron setzen, um alle seine Größe, um seine goldne Krone und seinen Ruhm gäbe ich nicht auf, was mein ist.«
Er ergriff den Arm seines alten Freundes, und zog ihn im heitern Sprechen mit sich fort durch die schattigen Gänge.
Am andern Morgen zog Junker Franz aufs Waidwerk hinaus in den wilden Tann. Er hatte es mit dem Knappen Georg ausgemacht, daß dieser ihn allein begleiten solle sammt einem Buben, der ihre Rosse in Verwahrsam nahm, als sie das weite Heideland durchsuchten. –
Es war, als wollte der Junker seinem Glück an Rehen, Wildschweinen, Füchsen und Wölfen einen Ableiter geben. Er konnte es nicht satt werden ihnen nachzusetzen, und war unermüdlich schnell, fast schneller als die lechzenden Hunde, im Dienste Dianas. –
So ging manche Stunde hin, und er sprach kaum ein Wort zu seinem Begleiter, der ihm getreulich zur Seite blieb und, weil er den großen Wald genau kannte, ein trefflicher Schutz gegen Verirrungen war. – Der Junker mit seinem weithallenden Jagdruf zog immer vorauf, er schwang den Spieß und schoß Pfeil auf Pfeil von der Armbrust, bis nichts mehr zu verschießen war. –
Bei aller seiner gerühmten Jägerkunst und Stärke hatte er aber doch wenig erbeutet. Endlich, als die Sonne hoc stand und er lange vergeblich einen Hirsch verfolgte, warf er sich im Schatten einer ungeheuren Eiche nieder. An dem untern Rande eines Hügels stand diese und rund umher breitete sich eine jener lieblichen Waldeinsamkeiten aus, wie sie häufig in diesen Wäldern noch jetzt zu treffen sind. –
Umsäumt von sanften mit Buchen und Eichen dicht bewachsenen Höhen lag ein großer See, aus dessen Spiegel Himmel und Erde wiederstrahlte. Geröhr faßte ihn ein, duftiges blumengesticktes Wiesengelände lief daran hin, und am Rande der Gebüsche weidete eine gefleckte Heerde edles Damwild ganz sicher und sorglos, als gäbe es keine Gefahr für sie.
Der Junker Franz trank durstig aus dem Wiesenquell, der am Hügel leise über den Kiessand floß, dann streckte er sich lang aus, daß sein langes gelbes Haar über den Rasen flog, so rief er dem nahenden Gefährten zu:
»Laßt uns hier verweilen, lieber Gesell, und holt was Ihr habt aus der Jagdtasche. Mags genug sein für heut mit allem Jagen. Hirsche und Wölfe sind auch Geschöpfe Gottes, ja käme eines mir jetzt dicht vor den Speer, ich würde es doch laufen und leben lassen.«
So mild gestimmt warf er sich über die Vorräthe, welche Georg hervorzog, und beide hielten ihr einsames Mahl wohlgemuth und einträchtig. Der junge Ritter war heiter und lachlustig, sein Gefährte höflich und unterwürfig, wie es dem Diener geziemt, aber er war vielleicht mehr als nöthig ernsthaft und zurückhaltend und wollte in den Scherz des Freiherrn gar nicht eingehen.
»Was fehlt Euch denn, Georg?« sagte dieser endlich, »Ihr eßt nicht, ihr lacht nicht, und ich wollte doch Ihr thätet beides. Wer hat es Euch angethan? Etwa eine Dirne? Bekennt es, ich will Euer Vertrauter werden.«
Der Edelknecht schlug sein großes, dunkles Auge feurig auf und murmelte einige hastige Worte, Franz aber lachte über seine Verlegenheit.
»Laßt es gut sein, lieber Gesell,« rief er, »und wenn es nicht wahr ist, so vergebt mir. Seh ich jetzt einen Menschen nachdenkend, so kommt es mir vor, er müsse verliebt sein.«
»Ihr seid es also wohl, edler Junker?« fragte Georg.
»Bis an die letzte Haarspitze,« versetzte dieser, »und weshalb sollte ich es Euch verschweigen? Ihr seid ein paar Jahre jünger als ich, aber wenn ihr auch noch niemals liebtet, Georg, so wißt Ihr doch, daß es ein Gesetz auf Erden giebt, nach welchem eines Mannes ganzes Leben plötzlich von einem anderen fremden Leben gefesselt und umwunden wird. Das werdet Ihr auch einst kennen lernen,« fuhr er ernster fort, »und weil ich Euch wohl will, so sollt Ihr mir versprechen, kein unrecht Ding mit Eurem Herzen und andern Herzen zu treiben.«
»Wie meint Ihr das, Herr?« sagte der junge Knapp.
»Seht, Georg, fuhr Franz fort, »ein Mann soll nie um eines Weibes schönen Leib vergessen, daß sein höchstes Gebot die Ehre ist; so lautet ein alter Ritterspruch. Mancher hat das schon bereut, und Mancher wird es noch bereuen. – Liebt Ihr, so sei es ein Weib, das edel und sittig in allen Dingen ist. – Du nun, Georg,« sagte er mit herzlichem Tone und gab ihm die Hand, »Du bist ein junger Gesell, der mit dem Schwert in der Hand in die Welt tritt und von ihr fein Glück begehrt. Wer steigen will, muß seinen Blick in den Himmel richten, nicht den Boden durchsuchen und in den Winkeln stöbern. Was er dann finden kann, paßt nicht für sein Begehr. Weil ich nun glaube, Du wirst einen hohen Flug nehmen, so versprich mir Dein Herz zu des wahren vor allem unedlen Thun, auch vor Weiberliebe, die Dir nicht anständig. Suche die Höchste und Edelste zu erringen, oder stirb, wenn es Dir mißglückt, das muß Dein Wahlspruch sein. Willst Du das geloben?«
»Das will ich geloben und schwören!« rief Georg freudig.
»So ist es recht,« sagte der Junker, »und wenn Du mit vollem Manneswillen dabei bist, so wird es gelingen; wenigstens wird immer die Ehre mit Dir sein. – Ich aber bin Dein Helfer,« fuhr er fort. »Wo es auch sein mag, ich will getreulich für Dich kämpfen; wir wollen Freunde bleiben im Leben und im Tode.«
Er schüttelte ihm beide Hände und sagte dann lächelnd:
»Ich brauche auch einen Freund, Georg, neben einander wollen wir aufrichtig stehen. – In der unruhigen Zeit, in welcher wir leben, gilt es mehr als je, treu zusammenzuhalten. Was ziehen die Narren nach dem heiligen Lande? giebt es doch auf der deutschen Erde genug zu thun, um seine Sünden abzubüßen! – Hast Du Helm und Schild erst, so führe ich Dich an den Hof der Markgrafen; dort braucht man tapfere Arme und belohnt sie. Man frägt nicht nach den Ahnen, wenn die Thaten sprechen, und herrenloses Land ist genug vorhanden, um den Ehrgeizigsten satt zu machen. – Dafür laß mich sorgen, thue Du nur das übrige, und wenn einst von Deinem Thurme Dein Wappenzeichen weht, dann tritt an die Stolzeste und blick ihren Sippen dreist in das Gesicht. Ich werde bei Dir sein und Deine Hand halten, Dein Glück wird mein Glück, Dein Schimpf mein Schimpf sein.«
»Ihr seid voller Güte gegen mich,« sagte Georg verwirrt, »und ich weiß nicht, womit ich es verdiene.«
»Weiß ich es doch selbst nicht,« sprach der Junker, »aber ich habe Dich wie einen Bruder lieb, und möchte Alles mit Dir theilen. So öffne ich Dir auch mein Herz ganz vertrauungsvoll,« fuhr er fort, »will Dich wissen lassen, wie es darin aussieht. – Man nennt mich sonst wohl stolz, ernsthaft und kalt, auch habe ich nie einen Menschen gehabt, der mein Vertrauen besessen hätte; Du hast es nun ohne daß Du es willst, also weile mich nicht zurück.«
Er setzte sich näher zu ihm und fuhr dann fort:
»Was ich Dir wünschte, lieber Freund, habe ich schon gefunden, denn leichter und besser meint es mein Schicksal mit mir.« –
»Ihr sprecht von Siegelind?« sagte Georg.
»Und von wem könnte ich sonst wohl sprechen? Erzähle mir von ihr, Georg, sage mir alles was Du weißt. Ich dürste danach von ihr das Unbedeutendste zu hören.«
»Ihr wißt,« fiel der Knappe ein, »daß die edle Jungfrau erst seit einigen Monaten hier verweilt.«
»Und Du hattest keine Augen und hast keine Zunge, um, wenn Du sie eine Stunde sahst, tagelang von ihr zu erzählen? – O! wäre ich an Deiner Stelle gewesen.«
»Ihr werdet bald an meiner Stelle sein,« sprach Georg.
»Ich werde sie heimführen, ehe der Mond wieder voll wird,« rief der Freiherr, »dann beginnt ein neues Leben für mich. – Sie liebt mich, und diese Liebe wird mich weibisch machen.«
»Sie liebt Euch, wißt Ihr das?«
»Könnte ich sonst froh sein? – Gestern war die Laube im Burggarten Zeuge meines Glücks, und am Abend wiederholte Siegelind heimlich ihr Geständniß.«
»That sie das?«
»Sie floh, wenn ich ihr nahte, sie erröthete, wenn sich unsere Blicke trafen, sie verwirrte mehr als ein Mal ihre Rede, wenn sie mir antworten sollte. Ich leerte den Becher der Seligkeit bis auf den Grund. O! mein Freund, das kennst Du nicht. Es ist so süß und wonniglich, in eines Mädchens holdem Verstummen und Entweichen die Ursach lächelnd zu enträthseln.«
»Und sie antwortete Euren Liebesworten?«
»Ich sage Dir, nein,« rief der Junker. »Du hast keinen Sinn für die Künste der Mädchen, bis einmal Deine Stunde kommen wird. Was können Worte dabei thun?«
»Auch die Worte werden kommen,« sagte Georg.
»Sie wären heut schon erfolgt, lieber Gesell,« fuhr Franz fort, »wenn ich es nicht mit meiner Flucht in den Wald gehindert hätte. Der Graf und mein Oheim wollten die Versprechung in der Morgenstunde, der Priester hat die Schrift aufgesetzt, ich aber will die Neckerei der Liebe verlängern. Heut giebt es noch ein Sperren und Entweichen, ein Suchen und Erglühen, morgen schließe ich sie frank und frei in meine Arme vor allem Burgvolk beim Blasen der Trompeten. Da ist es mit der Heimlichkeit aus, und alle Liebesnoth hat ein Ende.«
»Sehnt Ihr Euch denn so nach der Noth?« rief Georg. »Sie kann kommen, ehe Ihr es denkt.«
»Nimmst Du keinen größeren Antheil an mir und Siegelind, als durch Spott?« sagte der Junker verdrießlich, »so will ich schweigen.«
Er stand vom Boden auf, nahm seinen Spieß und beide Jünglinge sahen sich einen Augenblick fragend an.
Endlich rief der Ritter lachend:
»Du bist ein Widerspiel der Natur. Du hast einen schönen stolzen Leib und Augen voll südlicher Glut und Keckheit, aber es ist als wärst Du aus Eis gemacht. Wart, guter Freund, Siegelind soll Dich bekehren. Wenn Du uns besuchst einst und bei uns ausruhst, soll sie mit ihrem lieblichen Wesen Dein Herz in Unruhe versetzen, und Dir Lust machen es mir gleich zu thun.«
»Ich hoffe nicht,« sagte Georg, »daß das nöthig sein wird; auch bin ich nicht im Herzen Eis oder Stein. Wohl erkenne ich die Schönheit und den Liebreiz der edlen Jungfrau, welche Gottes Engel zu jeder Zeit hüten mögen. Ja, sie ist eine Sonne in diesem wilden Lande, die Leben und Segen bringt« –
Und nun begann er zum Lobe Siegelinds eine feurige Rebe, die der Junker mit steigender Lust hörte.
Er schritt neben seinem Gefährten her und verlor kein Wort davon, Fragen wechselten mit Fragen, beide Jünglinge ergänzten sich in dem, was sie sagten, und so wurde der lange Weg gar kurz, daß Junker Franz fast zürnte, als sie den Buben mit den Pferden in der Nähe sahen.
»Mein Freund und Bruder,« rief er, »Du hast meinem Herzen wohl gethan. Wie herrlich ist es, seine Geliebte preisen zu hören auch aus anderem Munde! Nimm meinen Dank, bald soll Dir Siegelind selbst danken, denn, wenn etwas meine Liebesglut erhöhen könnte, so war es Deine Rede, die begeistert zu ihrem Ruhme von Deinen Lippen floß.«
Da erlosch das Feuer in Georgs Blicken, und wenn Franz von Eichstädt in diesem Augenblick seinen Jagdgesellen angeblickt hätte, würde er gemeint haben, dieser sei plötzlich heftig erkrankt. Der Edelknecht bückte sich aber tief nieder zu dem Geschirr der Rosse und hielt dem Ritter den Bügel, dann schwang er sich auf sein eigen Pferd und trieb es mit solcher wilden Hast, als wolle er eher noch als der verliebte Junker bei der schönen Braut im Schlosse sein.
Spät Abends trat der Mond groß und still über die Waldberge und warf sein feines Licht auf Land und Schloß. – Die stolzen Thürme stiegen schlank in den lichtvollen Himmel, die breiten Wasser blitzten in dem duftigen Schein; Schatten, welche schwarz und schwer das Hellbeleuchtete einfaßten, zogen Rahmen darum bis in weit verschwindende Fernen. Und jeder Baum und Strauch, an dem das silberne Funkeln niederfloß, fand seinen Gegensatz in der Nacht, welche unter seinem Geäst lag.
Ein geheimnißvolles Schweigen strömte mit diesem milden todten Lichte nieder, es brachte den Schlaf und den Frieden. Die Thiere ruhten im Walde, der arme Knecht schlief sicher in der elenden Hütte, das weite Schloß und seine Wächter fürchteten nichts von den wendischen Räubern, und selbst des Thürmers Leuchte schien erloschen, denn in solcher lichten Nacht war von eines Feindes Bosheit nichts zu fürchten. –
Da aber, wo der Laubengang des Gartens das Ufer berührte, lag ein Söller über den Wellen hinaus. An der Landseite, dicht umzogen vom Geflecht des wilden Hopfens, dessen Ranken ein Dach auf ihm bildeten, wuchs, wo die Wellen sein Pfahlwerk benetzten, hohes Schilf über das Geländer. –
Der Mond sah durch die leise schwankenden Blätter und spielte mit Licht und Schatten über die Gestalt im dunklen Gewande, welche auf der niederen Bank saß, und das leise Fächeln der Lüfte führte das Geflüster schnell davon, das aus diesem Versteck von Zeit zu Zeit hörbar wurde.
Plötzlich riß ein stärkerer Windzug die leichten Ranken weiter auf und das volle Licht fiel auf Siegelind, vor der mit strafendem Gesicht der Mönch Johannes stand.
»Was Ihr auch sagen mögt,« sprach er, »es war thöricht und verwegen gehandelt. Dachtet Ihr nicht an Eure Pflichten, dachtet Ihr nicht an den Schmerz und Zorn Eures Vaters? Wenn er es je erführe, was würde aus Euch und was aus dem Unbesonnenen werden, der der Theilnehmer dieses Frevels ist?«
»Halt, mein Vater,« erwiederte Georg, der jetzt aus dem finstern Schatten trat, »warum wollt Ihr uns so schwer bedrohen? Was thaten wir? Und ist es denn nicht genug,« setzte er leiser hinzu, »daß es das letzte Mal ist, wo ich sie sehen werde?«
»Du wagst es, Dein Vergehen zu entschuldigen?« versetzte Johannes. »Ist eine nächtliche Zusammenkunft mit der Tochter Deines Herrn nicht ein Verbrechen, das Deinen gewaltsamen Tod nach sich ziehen muß? Thörichter Knabe! soll Dein Leib im Kerker verfaulen und Siegelind ihr junges Leben in einer Zelle vertrauern?!«
»O!« rief Georg mit Heftigkeit, »sie wären grausam genug dazu, und was ist unsere Schuld? – Als Siegelind in dies Schloß kam, war ich ihr Diener und auf allen Wegen, durch meines Herrn Huld, ihr Begleiter. – Hier wohnet kein Wesen, dem sie ihre Freundschaft schenken konnte; ich gewann sie und man ließ es geschehen. – Auf diesem Söller saßen wir oft sprechend und scherzend, Niemand hinderte es. Endlich fanden wir uns hier ohne Verabredung auch an Abenden wieder, und wir sprachen weiter, wie wir es gethan.«
»Und dachtest Du nicht daran, daß Sitte und Gebot dies verdammen? daß eine frevelhafte Leidenschaft in Dein Herz zog? daß eine tiefe Kluft zwischen dem Knecht und der Grafentochter liegt?«
»Dem Knecht!« rief Georg sich aufrichtend. »Ich bin ein freier Mann, mein Vater, bald werde ich Helm und Sporen tragen, um eines Kaisers Tochter kann ich dann werben.«
»Ist das die Triebfeder Deines Stolzes,« erwiederte der Mönch, »nun so wisse, Knabe, daß es eitel Lüge ist. Ein Knecht wirst Du bleiben bei den Knechten Dein Leben lang, denn an Deinem Blute haftet Makel. Wer kann Zeugniß für Dich geben, daß es nicht Wendenblut sei, was drinnen fließt? Kein Mann hier im Lande, und wäre er noch so edel, kann Dich zum Ritter machen, und Du, der Knecht, dem man mitleidsvoll es bisher verborgen hat, was seine Schande, Du wagst es, Deinen Herrn und Wohlthäter zu beschimpfen? Du wagst es, einen edlen Freiherrn zum Tode zu beleidigen, heimliche Zusammenkunft zu haben mit seiner Braut, für welche Du frevelhaft sündliche Neigung trägst?«
Lautlos hatte Georg den Mönch angehört; als er schwieg, schöpfte er tief Athem.
»Ist das wahr, was Ihr sagt?« rief er leidenschaftlich.
»Beim heiligen Kreuze!« sprach Johannes.
»So sei mir Gott gnädig!« sagte er verzweifelnd. »Ja wisse, Mönch, Du hast mein Leben gut getroffen. Das war mein Stolz und mein Trost, der Abglanz aller meiner Hoffnungen. – Was kümmert mich der Graf und der Junker Franz, was schiert es mich, ob ich ihn beleidigte. In seine Hand habe ich geschworen, einen hohen Flug zu nehmen zu der Edelsten und Schönsten im Lande, und ich that dies, ehe ich schwur, ohne daß ich es wußte. – Jetzt weiß ich es. Ja, mein Herz neigte sich zu dieser schönen Jungfrau, ich sage es laut und würde es aller Welt sagen, möge sie mit Abscheu sich von mir wenden, möge sie mich verdammen und martern. Ich liebe Dich, Siegelind, ich werde Dich ewig lieben, und wärst Du des Kaisers einziges Kind, Du kannst es mir nicht wehren! – Jetzt stoße mich hinaus, verlache den wendischen Knecht, rufe die Männer von edlem Blut herbei und laß mich zum Tode führen. Ein verachteter Knecht, Gottesmutter! ich ein verachteter Knecht!«
Er wollte sich entfernen, als Siegelind rasch aufstand und seinen Namen mit bebender Stimme rief.
»Georg,« sagte sie,»ist das Deine Liebe, daß Du so niedrig von mir denken kannst? – Du liebst mich und was hindert mich, zu sagen, daß ich Dich liebe? – Wenige Minuten noch und ich werde Dich nicht mehr sehen. Morgen werden die Trompeten schmettern, wenn ein ungeliebter Mann seine Hand auf mein Herz legt und seine Lippen auf die meinen. Aber kann das mich hindern, Dich immer treu zu lieben? – Ich folge dem Gebot meiner Eltern, sie schalten über meinen Leib, meinem Eheherrn werde ich eine treue Hausfrau sein, aber meine Seele gehört Gott und Dir. So lebe wohl, Georg, lebe wohl und liebe mich. – Zieh, wohin Du willst, mein Segen soll Dich geleiten, und dies sei ein Andenken, das trage und denke mein, wenn Du es anblickst.« –
Sie riß das kleine Kreuz von Elfenbein, das am Bande um ihren Nacken hing, ab und reichte es Georg, der vor ihr stand und ihre Hand in der seinen hielt. –
Plötzlich drückte er einen Kuß heftig und schnell auf ihre Lippen und sprang in den Garten, wo er unter den Bäumen verschwand. Nach einigen Minuten folgten ihm der Priester und Siegelind. Es rauschte in der dichten Wand des Hopfens, sie hörten es aber nicht. Johannes redete eindringlich mit dem schönen Mädchen, die ihm kurze und bestimmte Antworten gab.
»Thut Eure Pflicht, mein Vater,« sagte sie. »Erzählt, was geschehen, oder schweigt, es mag kommen, wie Ihr wollt. – Ich habe von Georg einen ewigen Abschied genommen, daß weiß ich. Morgen werde ich mit dem Junker Franz verlobt, ich kann es nicht ändern. Schickt mich in ein Kloster, ich werde auch damit zufrieden sein. Gute Nacht, Johannes, überlegt, was das beste sei.«
Der alte Mann stand vor dem Portale still und blickte schweigend zu der reinen Himmelsbläue empor.
»Du Herr der Welt auf Deinem unermeßlichen Throne weißt es am besten, was hier geschehen soll. Leite Du sie aus dieser Trübsal. Ach! wie kummervoll sind ihre Herzen, und ihr Leben ist so jung, so schön und hoffnungsvoll. – Arme Kinder,« rief er seufzend, »o! wir armen Menschen, wann, Du Allmächtiger, wann wird der Tag kommen, wo alle Wesen frei und glücklich sind?!«
Am nächsten Morgen war der Burghof voller stattlicher Rosse und reisiger Leute. Mehre Edelherrn und Damen aus der Umgegend waren gekommen; auch die Lehnsleute des Grafen fanden sich ein, und vor dem Hause des Maiers luden die Wenden große Vorräthe ab, welche sogleich in die Küchen geschafft wurden, wo gewaltige Feuer loderten. Dazu waren Brauhaus und Keller geöffnet. Heut war ein Festtag, die Leibeigenen selbst empfanden das. Die Peitsche des Schaffners bedrohte sie nicht, statt dessen erhielten sie gefüllte große Krüge, um auf das Wohl ihrer gestrengen Herrn, die plötzlich gütige Herrn geworden, sich zu betrinken.
Und drinnen in den Pfeilersälen des Schlosses lagen Teppiche ausgebreitet; Eichentische waren in langen Reihen aufgestellt, voll blanker Trinkgefäße und bauchiger Fladen. – Herrn und Damen lustwandelten auf und nieder, auf einem Gerüst aber standen vier Männer in des Grafen Farben mit Posaunen und Trompeten, deren Zweck wohl bekannt war. Auch lehnten an den Thüren Wappner mit schöngestickten Binden geziert und im Hintergrunde waren Schranken errichtet, wo die Dienstleute und das Hausgesinde seinen Platz nahm.
Endlich erschien der Graf im reichen Sammetkleide mit Puffen und Besätzen, wie es bei hohen Festen von vornehmen Herrn an Fürstenhöfen getragen wurde. Nicht minder schön waren die Damen geschmückt. Siegelind ging an der Hand ihrer Mutter, ganz in schwerer weißer Seide, die mit goldnen Blättern und Ranken durchwirkt, und über ihr Haar lag ein kostbarer Spitzenschleier von Goldfäden in Arabesken durchzogen. – Da staunte wohl Jedermann über die schöne Braut und beneidete den Glücklichen, der sie heimführen sollte. –
Dieser folgte mit seinem Oheim, und gewiß war sein kriegerisch stolzer Anblick nicht minder prächtig und Neid erregend. Ein Panzer von polirtem Stahl umschloß den Leib des Ritters, Ganz sicher war es von ächt mailändischer Arbeit, denn so kunstvoll und fein verstand es Niemand sonst reiche goldene Zierathen in das harte Erz zu legen. – Dies reichte hinab bis zum geharnischten Fuß, das Haupt allein blickte frei und kühn aus der klingenden Hülle. Um seine Brust lag eine mächtige Goldkette, über den Rücken aber floßen die langen gelben Locken als ein königlicher Schmuck, den wenige Sterbliche mit ihm theilten. –
Zulegt kam der Mönch Johannes, Pergamentrollen in seiner Hand, und hinter ihm folgten die Mannen des Grafen in ihren besten Kleidern mit Fahnen, Wappen und bewimpelten Lanzen.
So standen sie nun auf dem großen Teppich aus Venetia, in welchem Heiligengeschichten in bunten Farben prangten, und als das laute freudige Hoch verklungen war, das ihnen von allen Anwesenden gebracht wurde, sprach der Graf und that seine Absicht kund, sein einzig Kind mit dem Freiherrn zu vermählen. In seiner wohlgesetzten Rede berührte er auch leise, daß kein männlicher Erbe ihm gegeben sei, dann aber pries er den Eidam, den er sich gewählt und gab endlich dem Priester einen Wink, daß dieser vortrete und die Ehepakten lese.
Während Johannes die Rolle entfaltete, nahm der Graf seiner Tochter Hand, der Kaiserliche Hauptmann ergriff die seines Neffen, so führten sie ihre Kinder sich entgegen, und eben setzten die Trompeter ihre Instrumente an den Mund und wollten die Jubelfanfare' beginnen, als der junge Freiherr plötzlich vortrat und sich verneigend zu sprechen begann.
»Edler Herr und Graf, sagte er, »wohl preise ich mich glücklich für alle die Huld, welche mir wiederfährt, und meine Hand ist bereit, ein heiliges Gelöbniß abzulegen, doch ehe ich dies thue, muß ich erklären, daß ein ander Gelöbniß mir besondere und strenge Pflichten auferlegt.
»Welche Pflichten sind es, die Ihr meint?« fragte der Graf und Alle blickten erstaunt auf den Junker.
»Es ist mein Gelöbniß,« fuhr Franz fort, »ehe Siegelind von mir heimgeführt wird, an des Erlösers Grab Vergebung meiner Sünden zu suchen.«
Diese Worte machten einen unbeschreiblichen Eindruck. Der Graf von Dornburg trat erschreckt zurück. Ein Murmeln lief durch die Versammlung. Die Gräfin faßte bestürzt ihrer Tochter Hand mit tröstender Theilnahme, der alte Ritter aber rief mit Heftigkeit:
»Bist Du toll geworden, Franz! Seit wann ist dieser Vorsatz in Dir erwacht? Es ist unmöglich, daß Du, der gestern noch sehnsüchtig diese Stunde herbeiwünschte, nun auf Jahre sie hinausschieben willst.«
»Mein Vorsatz ist fest und wohl erwogen,« erwiederte der Junker. »Zu Gottes Ehre leide ich; zu seinem Ruhme will ich entsagen. – Mein Gelöbniß will ich halten hier und dort, gewiß aber wird Niemand mich hindern wollen, zu des Kaisers Fahnen zu stoßen, das Kreuz auf meine Brust zu heften und Christi Banner zu tragen.«
Das wagte auch Niemand. Die Begeisterung des Glaubens war längst bis in diese fernen Grenzmarken gedrungen. Ritter und Grafen hatten Züge ins gelobte Land gemacht; Markgraf Albrecht selbst war hingepilgert und viele Edle mit ihm. Ja, man begriff es, wie der Geist plötzlich über den Junker gekommen und wie er ihn trieb, zu Gottes Ehre seinem schönsten Glücke zu entsagen. Manches Auge glänzte in Thränen und manches Herz schlug im ähnlichen Verlangen. Gott will es haben! war der alte fanatische Ruf, mit dem man die theuersten Bande zu zerreißen gewohnt war, und auch hier ließ er sich hören. Mit Bewunderung blickte man auf den jungen Helden, der, wie eine Bildsäule von Erz in seiner glänzenden Rüstung stand und seine stolzen Augen auf die Menge heftete.
»Ist das Euer fester Wille und Entschluß, mein Sohn?« sagte der Graf, »so müssen freilich die Menschen mit ihren Wünschen den Befehlen Gottes weichen. Zieht hin und Gott geleite Euch. – Siegelind soll sich als Eure Braut betrachten und auf den Tag hoffen, der Euch zurückführt. Ihr schlagt ihrem und unsern Herzen eine tiefe Wunde, allein die Zukunft wird diese heilen und endlich Alles zum Guten leiten.«
Nun erfolgte der feierliche Verlöbnißakt ungestört, aber es war doch eher ein Fest der Trauer als der Freude. –
Der Graf war an Verbergung seiner wahren Empfindungen gewöhnt genug, um sich nicht offen merken zu lassen, wie sehr ihn diese plötzliche Täuschung schmerze. Er war so viele Jahre lang ein heftiger Gegner der Kreuzzüge gewesen, als verderblich für das Abendland und für Deutschland insbesondere; er spottete des Wahns, verachtete den Pfaffentrug, haßte den Kaiser, nun mußte er es erleben, daß ein Jüngling, dem er so viele Überlegung und Klugheit zugetraut, vom Geiste der Schwärmerei ergriffen wurde, und er war geneigt, dies für ein Werk des Teufels zu halten, wenn er bedachte, wie und wann es geschehen konnte. –
Er sann nach, wodurch es entstanden sei, aber er bestärkte sich in seinen Muthmaßungen, als Franz auf seine herzlichen Fragen ihm einsilbig antwortete: daß er in der Nacht eine Erscheinung gehabt habe, die zu entsetzlich sei, als daß je eine Silbe davon über seine Lippen kommen werde, diese Erscheinung habe ihn zu seinen Entschlüssen geführt. Die Art, wie die Augen des Junkers bei dieser Erzählung rollten, wie seine Lippen bebten und sein ganzer Körper krampfhaft zu zittern begann, schienen die Leiden eines Entsetzens, das nur ein fürchterliches Gespenst, oder der böse Feind selbst bewirken konnte. –
Vergebens war es auch, einen fröhlicheren Ton anzustimmen, als die Tafeln ihre Gäste empfingen. Der Junker saß steif und stumm neben der geschmückten Braut und diese schien ihre Rolle mit der ihres unglücklichen Verlobten vertauscht zu haben. Sie redete freundlich zu ihm, doch seine Antworten waren abgebrochen und kalt. Seine Düsterheit theilte sich der ganzen Versammlung mit und als die Gäste das Schloß verließen, mochten sie sich froh dünken, seinen Hallen entronnen zu sein. Die Zurückbleibenden wurden aber fremder und verstimmter.
Traurig bestieg der Kaiserliche Hauptmann schon am nächsten Morgen sein Pferd, um nach Eberswalde zurück zu reiten, doch der Graf von Dornburg machte noch einen letzten Versuch im Verein mit dem Priester Johannes, den Entschluß seines jungen Eidams zu verhindern.
Als der Junker gerüstet in den Saal trat, waren seine Mienen mild und sein Auge freundlich. Er beugte sich lächelnd vor seiner Verlobten, ergriff deren Hand und redete, wie ein junger Ritter redet, der einen langen zweifelhaften Abschied nimmt.
»Ihr werdet meiner gedenken, theuere Siegelind,« sagte er, »und ich werde Euch nie vergessen. Eure Farbe an meinem Banner wird mich zum Siege leiten, Euer Name soll in der Schlacht auf meinen Lippen sein; in aller Noth und Gefahr werde ich zu Euch rufen, bis an den Tag –«
»Wo sie Euch im Brautschmuck empfangen soll,« fiel der Graf hier ein. »Doch, Franz, kann es nicht noch viel leichter der Witwenschleier sein, den sie bald um Euch tragen muß, und soll ihr Auge roth und trübe werden in der langen Herzenstrauer? Warum wollt Ihr so viel Leid auf die bringen, welche Euch liebt? Bleib bei uns, mein Sohn, bleib bei uns, Franz. Ich habe ja nichts als dies Kind und Dich. Reiß Dich nicht von unsern Herzen. Jedes Wesen strebt nach Glück und Frieden, warum willst Du in das ferne Land, in seinen sengenden mörderischen Himmel, unter die giftigen Pfeile, der Sarazenen fliehen, statt hier in zwei weiche Arme, an eine Brust voll Liebe zu sinken?!«
Der Ritter stand schwankend und gesenkten Hauptes, nur zuweilen warf er einen scheuen Blick auf Siegelind. O! es hätte wohl nur eines zärtlichen Flehens bedurft, und er hätte den Stahlhelm in den Winkel geworfen; aber die edle Jungfrau stand ihm gegenüber stumm und starr, und die Röthe des Lebens wich langsam aus ihrem Gesicht.
»Welches Glück des Hauses und der edelsten Freuden erwarten Euch, wenn Ihr bleibt, mein Sohn,« sagte der Mönch; »welchen Kummer laßt Ihr zurück, wenn Ihr geht! Wohl ist es ein heiliges Werk, für Gottes Ehre und seines Sohnes heiliges Grab gegen die wilden Heiden zu streiten; allein viele Tausend tapfere Kämpfer sind schon dazu vereint.«
»Ich habe ein Gelübd gethan,« murmelte Franz.
»Ich spreche Euch los davon, Freiherr von Eichstädt,« sagte der Priester. »Hier steht die edle Magd, der Ihr gestern ein hohes Himmelsgelübd geleistet, sie zu beglücken. – Und wollt Ihr Euer Wort lösen, wollt Ihr Euer ritterlich Schwert im Kampfe gegen die Verächter des Christengottes prüfen, so zieht hinauf in das heidnische Preußenland an der Ostsee, wie dies viele wackre Ritter thun. Streitet dort im Namen Christi, oder besinnt Euch wenigstens ein Jahr. Ein Jahr, edler Herr, dann seht zu, ob Euer Wille nicht besiegt wurde.«
»Welcher Teufel hat Dein Herz vergiftet, Franz? rief der alte Herr von Eberswalde, »Sage an, sage es an, Du Grillenfänger. Um aller Heiligen und Deiner selbst willen, zerstöre Dein Glück und Leben nicht. – Habe ich darum Dein Schloß in Kolbatz neu aufputzen lassen von der Zinne zum Keller, damit die Spinnen darin wohnen sollen? Nimm, was ich habe, Franz, es ist Alles Dein, aber gehe nicht von uns. Dort ist Dein Platz, dort, am Herzen Deiner Verlobten. Siegelind, mein Herzenskind, nimm Deine weiche Hand und halte ihn fest, er soll und darf nicht gehen.«
Aber Siegelind regte sich nicht und hielt ihn nicht. Sie breitete langsam die Arme aus, mechanisch nach dem Gebot, und sah ihn an mit Blicken, in denen kein Schmerz und keine Liebe zu lesen war. Ein ungeheures Weh zitterte durch die Nerven und Muskeln des Junkers. In seinen heißen, unstäten Blicken lagen alle Qualen, welche seine Seele folterten.
»Ich kann nicht,« rief er endlich, »und käme der Erlöser selbst herab, ich kann nicht.« –
Dann raffte er allen Mannessinn und Stolz zusammen und sagte mit entsagender Gewalt:
»Wie ich selbst leide, leidet Niemand von Euch Allen. Es zerreißt mich mit glühenden Schmerzen, aber ich muß es tragen. Gnadensreiche Gottesmutter, stärke Du mich! – Ich gehe, meine geliebten Freunde, und lasse Euch zürnend zurück; ach! wüßtet Ihr, wie ich leide, Ihr würdet Euch meiner erbarmen. – Es muß sein!« rief er mit seiner markigen Stimme, »und müßte mein Leben auch hier zur Stelle ausströmen, es muß sein: Gott will es haben!«
»So geht denn,« sagte der Graf mild, »nicht unser Zorn, unser aller Liebe soll Euch folgen. Muß es aber sein, so will ich Euch Briefe geben an meinen Freund, den Markgrafen Ludwig von Thüringen, und an andere gute Leute, die Euch in des Kaisers Nähe bringen, damit Ihr, mein Sohn und Erbe, unter seinen Augen Ruhm erwerben möget.«
In dieser Weise bereitete sich der Abschied, welcher nach wenigen Stunden erfolgte. Der junge Ritter zog mit seinem Oheim und gelobte, wenn er seine Reise geordnet und die Schaar der Pilger, welche er dem Kaiser zuzuführen dachte, gesammelt habe, noch einmal wiederzukehren.
Aber in dem Schlosse an der Havel wartete man vergebens. Statt des Ritters kam ein Schreiben, nach welchem es ihm unmöglich gewesen war, seinen liebsten Wunsch zu erfüllen. Mit andern Kreuzfahrern von der Ostseeküste hatte er sich westwärts gewendet gen Oldenburg, wo Friesen- und Dänenschaaren sich ihnen anschlossen, welche zu Schiffe den Weg durch die weiten Meere nach Konstantinopel nahmen, dort den Kaiser zu erwarten.
Siegelind hörte diese Botschaft mit geheimer Lust, doch auch ihre geheimen Schmerzen erneuten sich, als Graf Rüdiger den Brief auf den Tisch warf und fast wehmüthig sagte:
»So gehen sie denn Alle und verlassen mich alten Mann. – Wer soll nun mein Stab sein für die letzten Tage? – Johannes ist ins Land gezogen nach Frankfurt und Lebus, Franz, in dessen männlichem Sinn und Waffenkunst ich mich wieder jung fühlte, läuft mit den Schwärmen von Narren, welche der tollgewordne alte Kaiser sammelt, nach Asien, und Georg – was mag aus ihm geworden sein?! Meine schöner muthiger Georg, er ist verschwunden, und das ist auch ein Nagel zu meinem Sarge. Ich gräme mich um ihn mehr, als ich sagen kann.«
»Todt ist er wohl nicht, edler Herr,« sagte der alte Waffenmeister Wolf, der einer Botschaft wegen eben im Gemach war. »Ich weiß es nicht, aber ich denke es mir, denn Georg ist ein Bursche, der vom Thurme fallen kann wie eine Katze, und er steht wieder auf.«
»Wo kann er geblieben sein, Wolf?« fragte die Gräfin. »Wäre er in der Wenden Handgefallen, koste es was es wolle, er muß frei werden.«
»Bei den Wölfen im Walde ist er nicht,« sagte der Alte. »Aber am Abend der Nacht, in welcher er verschwand – das war die Nacht, welche der Verlobung der edlen Jungfrau vorging – fragte er mich vielerlei über die Zeit, wo ich mit Kaiser Konrad in Syrien war, über Land und Leute, so daß ich denke, er ist plötzlich auf und davon nach Regensburg gegangen, wo er das Kreuz auf die Pickelhaube gesteckt hat.«
»Und welcher Höllenteufel hat in jener Nacht mein Haus heimgesucht?« rief der Graf mit Heftigkeit. »Wäre es möglich, wäre Georg auch von der Wuth zum Pilgern befallen worden, so muß etwas Entsetzliches hier vorgegangen sein, das ich nicht ergründen kann. – Armer Georg! armer Franz! nie werde ich euch wiedersehen!«
Siegelinds Augen füllten sich mit Thränen; sie konnte ihre Schmerzen nicht länger verbergen und weinte, laut. – Die Mutter schloß sie tröstend an ihr Herz. –
»Weine nicht, sagte sie, »Gottes Engel wachen. Sie werden den zurückführen, um den Du trostlos klagst. Glaube und hoffe, mein Kind, dann wird die Seele stark ihr Leib zu tragen.«
Es war aber so, wie der alte Wolf es gesagt. – Tief in der Nacht hatte Georg sich aus seiner Kammer geschlichen, sein Schwert genommen, seinen Bogen und die Streitaxt sammt dem Zehrpfennig, den er in der Truhe verwahrte. Leise stieg er im tiefen Schatten am Thurme nieder in den Graben, durchwatete diesen, suchte dann am geheimen Platze sein Pferd auf, das er am Abend schon dahin geführt, und war, als der Morgen anbrach, mehre Meilen entfernt vom Schlosse.
Rüstig, jung und kühn fand er seinen Weg ohne Anfechtungen. Durch die Wälder über Brandenburg nach Magdeburg, und von dort nach Leipzig und ins Reich hinein lief des Königs Hochstraße, der einzige Handelsweg, welcher von Franken und Schwaben durch Sachsen bis Polen führte. Auf ihr war der Wald fortgehauen, meist Gräben an den Seiten aufgeworfen, und hier wurde Geleit gezahlt und Zoll erhoben. Kein Kaufmann durfte sich davon entfernen, dagegen traf Acht und Tod den Räuber, welcher das kaiserliche Geleit verletzte. –
Die Räuber kehrten sich jedoch oft wenig genug daran, und der einzelne Kaufmann war in steter Gefahr niedergeworfen, ausgeplündert und ermordet zu werden. – Nichts aber schützt der Mensch mit größerer Tapferkeit und List als sein Eigenthum, und darum kam es häufig vor, daß der Kaufmann den Räuber besiegte. Er trug Panzer und Schwert wie ein Krieger, auch thaten sich mehre zusammen und widerstanden ganzen Banden Wegelagerer. Zu den Kaufleuten gesellten sich andere Reisende, Edle und Mönche, Weiber und fahrende Dirnen, Bürger und reisige Knechte. –
Gemeinsame Gefahr verband sie Alle, jetzt aber waren die Straßen voll Pilger aus allen Ständen, die nach Regensburg eilten, und zu des Kaisers Geleit und Acht war der Bannfluch des Papstes gekommen, welcher Jeden traf, der einen der Gottesstreiter beschädigte.
Georg schloß sich nun bald Kaufleuten an, denen er für freie Zehrung im Fall der Noth seine Hülfe zusicherte, bald reiste er mit Pilgerhaufen, die Psalmen singend und Fahnen mit dem Kreuz vortragend, unter Anführung von Mönchen, fanatischen Rathsherrn der Städte, oder irgend eines herabgekommenen Junkers sich auf den Weg zum heiligen Grabe gemacht hatten. –
Es war nicht mehr wie zur Zeit des ersten Kreuzzuges, wo Schaaren von zwanzig und funfzigtausend Mann, wehr- und waffenlos Gesindel aller Art, sich von Ziegen und Gänsen den Pfad zeigen ließen, den sie gehen sollten; doch vereinte sich auch zu dieser dritten großen Pilgerfahrt so viel heilloses Volk, daß der Kaiser noch an der Gränze Ungarns funfzehnhundert liederlichen Dirnen gebot das Heer zu verlassen, und sie zurücktreiben ließ. –
Je mehr der reisige Knapp dem großen Sammelplatz nahete, je kriegerischer ward der Anblick. Große Reiterschaaren von Grafen und Fürsten geführt, in Harnischen und mit wehenden Bannern zogen dahin. Ritter und Edle von berühmtem Stamme erschienen mit glänzendem Gefolge, schöne Frauen begleiteten ihre Eheherrn, Kinder kamen in Begleitung ihrer Eltern; überall war das bunteste Gewimmel von Bischöfen, Prälaten, Äbten und Mönchen, von Kriegern aller Art, hoch und gering, und von Volk, das sich gewinnsüchtig und hungrig herbeidrängte.
Auf dem Wege zum großen Feldlager ward dem Georg auch mehr als einmal Gelegenheit, in den Dienst edler Herrn zu treten. Er hatte Zeichen und Feldbinde des Grafen von Dornburg abgelegt, als Beweis, daß er zu keines Ritters Gefolge gehöre; um den kräftigen, kühnblickenden Burschen kümmerten sich daher viele, die ihr Fähnlein vermehren wollten. Denn große Ehre war es für den Ritter, an der Spitze einer stattlichen Schaar zu reiten, welche er besoldete, und dies war ganz seine Sache. –
Der Kaiser hatte streng befohlen, daß Jeder, der als freier Mann den Zug mitmachte, zwei Jahre lang sich auch erhalte. Wer das nicht konnte, mußte in eines Reichen Dienst oder in die Schaaren des Fußvolks sich einstellen, das aus dem Zehnten besoldet wurde, welchen die Zurückbleibenden zu zahlen hatten; wer aber ein ritterlicher Herr und vermögens genug war, einen stahlfesten Haufen zu sammeln und zu ernähren, der warb die kräftigsten und tüchtigsten Männer, und es wurde als keine Schande auch für den Ritter ohne Habe gerechnet, wenn er für die Dauer der Kreuzfahrt sich in eines anderen Ritters oder Grafen Dienst gab und diesem Gehorsam leistete.
So wurde denn auch Georg öfter angeredet und zugesprochen, sich dieser und jener Schaar einzureihen; er entschuldigte sich jedoch mit Versprechungen, welche er einem edlen Herrn geleistet, den er in Regensburg zu finden denke, und so zog er endlich mit andern in die alte berühmte Stadt, um welche überall auf weiter Ebene ein unermeßliches Gewühl von Menschen und Thieren, von Zelten und grünen Hütten verbreitet war.
Wie viel Neues und Staunenswerthes war hier zu sehen! – Mächtige Heerschaaren lagerten sich rings umher, und hatten ihre wandelbaren Städte nach den Volksstämmen aufgeschlagen, zu denen sie gehörten. – Hier waren die Schwaben, dort die Franken, weiterhin die Baiern und Sachsen, die Böhmen und die Mannen der rheinischen Grafen, der Herrn von Nassau, von Meran, des Pfalzgrafen von Thüringen, des Markgrafen von Baden, von Meißen und anderer edeln Herrn.
An diese schlossen sich dann die Zelte und Wappner der hohen Geistlichen, welche den Kaiser ins gelobte Land begleiteten, und deren waren nicht wenige. Man sah die Farben und Banner der Bischöfe von Basel, Bamberg, Lüttich, Münster, Meißen, Freisingen, Osnabrück, Nassau, Regensburg, Verden, endlich auch die große Fahne des begeisterten Bischofs von Würzburg, aus dessen Händen der Kaiser selbst das Kreuz genommen hatte.
Georg blickte mit Staunen auf dies Gewühl und auf die Stadt der Krämer und Verkäufer, deren Zelte und Hütten in weitester Ferne kein Ende nehmen wollten. Er wagte es nicht sich in dies Gewühl zu stürzen, und an wen sollte er sich wenden, bei wem Aufnahme begehren?! –
Am Fuße des Hügels, auf welchem er von seinem Rosse gestiegen war, lagerte sich wüstes liederliches Volk, in Erdlöchern und Tangerhütten hausend; leichtsinnige Dirnen schwärmten in Haufen umher, denn der fahrenden Schwestern, wie sie genannt wurden, gab es damals viele, was schlimmes Zeugniß giebt für die Moralität des Mittelalters, nach welchem doch in unseren Tagen so manche fromme Seele seufzt. Rohe Scherze und Liebkosungen trieben sie mit den Reisigen, welche sie aufsuchten, schmausend und zechend lagen sie mit ihnen am Boden umher, und weithin zwischen den Feuern der Kochstellen und an den Heerden der Höker und Händler sah man sie sitzen, jubeln und schlechte Lieder singen. –
Die eigentlichen Lagerplätze aber waren diesem Gesindel, wie allem geringen Volk verschlossen. Der Kaiser hatte eine strenge Lagerordnung erlassen, zahlreiche Wachen hielten diese aufrecht, und das gefürchtete Ansehn des Herrschers war so groß, daß es so leicht Niemand wagte seinen Befehlen Trotz zu bieten.
Der junge Knappe zögerte ungewiß, was er beginnen und bei welchen Zeltreihen er um Aufnahme bitten sollte, als plötzlich ein glänzender Ritterzug an ihm vorübersprengte. Ein junger Held im himmelblauen Wappenrock, von einer gold- und purpurgewirkten Feldbinde umflattert, eilte der Stadt zu, und wirbelte Wolken von Staub auf.
Georg war ganz ergriffen von der Herrlichkeit dieses Ritters. Eben kam ein alter bärtiger Mann im schwarzen Mantel und weißer Krause langsam heran, der sich tief vor jenem geneigt hatte.
»Darf ich Euch fragen, werther Herr,« sagte er hastig, »wer der edle Ritter ist, der dort hineilt?«
Der Alte mit seiner großen spitzigen Nase blickte den Frager dafür scharf an, und rief dann spöttisch:
»Aha! der gefällt Euch, junger Fant, weil er einen strahlenden Rock trägt. – Wer bist Du denn aber? Ein Neuling, ein frischer Häring von der Welt Ende. Willst Du auch mitziehen ins Heidenland? Nun, mein Söhnchen, dann wirst Du den da noch genugsam kennen lernen, besonders wenn Deine Hand nicht etwa faul am Schwerte ist.«
»Bei allen Euren Reden, alter Herr, habt Ihr mir noch immer nicht den Namen gesagt,« erwiederte Georg lachend.
»Wahr,« rief der schwarze Herr, »aber Du könntest wohl rathen, wer er ist.«
»Ich bin kein Wahrsager und kein Gaukler,« sagte Georg, »aber ich möchte wetten, daß keiner im Heere edler ist, als dieser.«
»Ausgenommen des Kaisers Majestät,« sagte der alte Herr.
»Dann ist es kein anderer, als Herzog Friedrich von Schwaben,« rief Georg.
»Richtig gerathen, mein junger Gesell.«
»Ich rieth es nicht,« versetzte dieser lachend, »Ihr sagtet es mir.«
»Hast Du so viel Mutterwitz unter deiner Kappe,« sprach der im Mantel, »so lohnt es sich wohl der Mühe ein Wort mehr mit Dir zu reden. Wer bist du?«
»Ein reisiger Mann, ein Kreuzfahrer.«
»In wessen Dienst?«
»In keines Herrn Dienst, doch ich suche einen.«
»Und wie ist dein Name?«
»Georg.
»Ist das Alles?«
»Alles Herr.«
»So ist es wenig genug,« sagte der Fremde. »Ich hielt Deine Herkunft für besser.«
»Besser ist sie als Ihr meint,« erwiederte Georg mit Stolz. »Aber hab ich auch keinen Namen, wer sagt Euch, daß ich nicht einen erwerben kann, der den besten sich an die Seite stellt?«
Der alte Mann lachte nicht ohne Spott, aber er sah den kecken Redner wohlwollend an. –
»Weißt Du denn schon einen Herrn,« fragte er, »dessen Fahne Du Deinen jungen Ruhm anvertrauen möchtest?«
»Ich werde mich morgen vor den Herzog Friedrich stellen; wenn der es thut, soll's kein Anderer sein.«
»Ich wüßte doch noch einen, wo es besser wäre,« meinte der Alte. »Aber wo bleibst du über Nacht?«
»Auf der Heide, wenn's nicht anders ist.«
»Pfui,« sprach der im Mantel, »ein junger Reitersmann bei schmutzigem Gesindel, bei Juden, losen Dirnen, Strolchen und Schalksnarren. Guter Freund, da könnte es leicht sein, daß Du das heilige Grab nicht sähest, sondern hier zur Stelle das Deine fändest. Mit abgeschnittener Kehle hat man schon Manchen am Morgen aufgehoben, der Abends sich fröhlich gebettet hatte.«
»Nun,« sagte der Knapp, »so leicht soll ein Messer seinen Weg nicht zu mir finden.«
»Aber besser bewahrt, wie beklagt,« rief der alte Herr, »darum sollst Du lieber mich begleiten. Ich will Dir einen Ort zeigen, wo man Dir Herberge geben wird.«
Das ließ sich der Ankömmling nicht zwei Mal sagen. Er schwang sich auf sein müdes Pferd und lenkte dies neben den Klepper seines Beschützers, der eine Zeit lang schweigend vor sich hin sah und auf ein paar neugierige Fragen keine Antwort gab.
Die Menschenströme und das Getümmel auf beiden Seiten des Weges machten Vorsicht nöthig; denn aus den Lagerräumen des Kreuzheeres kamen zahllose Karren und bepackte Pferde, welche Körbe und Ballen trugen. Es sprengten Bewaffnete vorüber, auch ein Paar Ritter, die den Kaiserlichen Adler am Helme hatten, ein Zeichen, daß sie zu den Hauswachen des Herrschers gehörten. –
Bald öffneten sich auch die Zeltgassen vor den Blicken Georgs. Wälle waren aufgeworfen und an den Balkenthoren standen Wachen auf ihre Speere gestützt, welche die beiden Reiter scharf betrachteten, sie jedoch ruhig ziehen ließen. –
Bei der langen Reihe ritterlicher Fähnlein, an denen sie vorüberkamen, bebte Georg's Herz vor Lust. Manch schönes Banner wallte lang im Winde, manch junger stattlicher Krieger war hier zu schauen. –
Vor den großen Zelten saßen edle Herrn beim Becher oder beim Würfelspiel in lustigen Gesprächen; in unabsehbaren Linien standen die Rosse, oder sie wurden von Reisigen und Buben zur Tränke geritten. Viele Krieger waren auch bei ihren Waffen beschäftigt, man putzte, klopfte, hämmerte, schrie und sang wild durcheinander und Georg staunte das neue, buntbewegte Leben an. Er hatte es noch nie so gesehen, nie so geahnet in den wilden, einsamen Wäldern der Mark.
»Morgen,« sagte der alte Herr, welcher seine Gedanken ahnen mochte, »wirst Du erst recht begreifen können, wo du bist. – Der Kaiser hält morgen die große Heerschau, nach welcher der erste Schlachthaufen sogleich aufbrechen wird, die Donau hinab gen Wien. Da bist Du denn zur rechten Zeit und dicht vor Thoresschluß gekommen; denn zwei Tage später hättest Du die Felder leer gefunden.«
»Ich hörte davon unterweges erzählen, und wir beeilten unsere Reise, so viel es ging.«
»Ja so,« sagte der schwarze Herr, »wo kommst Du denn eigentlich her? Von Süden oder Norden? Doch man hört Dir's wohl an, Du mußt aus den Grenzmarken sein.«
»Da habt Ihr's getroffen, meinte der Knappe. »Gerade aus der Nordmark.«
»Und wo hast Du die Waffen bekommen, Gesell?«
»Bei dem Grafen Dornburg.«
Der alte Herr drehte sich lebhaft zu ihm.
»Bei dem Grafen von Dornburg,« rief er, »bei unserer Frau! das ist ein bekannter Name, in langen Ehren und manchen guten Diensten oft genannt. – Schöne Jahre sind vergangen, seit ich den Grafen nicht gesehen habe; aber lebt er und lebt der alte Wolf Hennemann noch, der Rüstmeister, den er immer mit sich führte?«
»Er lebt, lieber Herr. Wolf Hennemann hat mich erzogen.«
»Dann mußt Du Bogen und Schwert gut führen,« sprach der Andere, »denn Wolf war zu aller Zeit ein tüchtiger Meister darin. – Seht doch,« rief er dann, »wie sich das trifft. Du hast Glück, junger Mensch, daß Dein Weg meinen Weg kreuzt, denn schon Wolfs wegen will ich etwas für dich thun.«
Georg hätte nun gern gewußt, wer der Mann war, der ihm seine Gunst versprach, aber er wagte nicht zu fragen. Es war eben so wohl gegen die Sitte, wie es gegen die Achtung stritt, welche er vor dem Unbekannten empfand. Er hatte wohl bemerkt, daß mancher, der am Wege kam und ging, diesen höflich und oft demüthig begrüßte, selbst die Ritter vor ihren Zelten thaten das, es mußte also ein vornehmer Rath oder Kanzler sein, den ein glücklicher Zufall zu seinem Schirmherrn gemacht hatte. –
So gelangte er schweigend denn auf einen großen freien Platz mitten in der Zeltstadt. Hier standen abermals Wachen, und mit wachsender Verwunderung sah er die Kaiserlichen Feldzeichen an ihren Hüten; ja es blieb ihm kein Zweifel, daß in der Mitte dort unter den Bäumen das ungeheure Zelt von Purpurfarbe mit großen Goldknöpfen dem Kaiser selbst gehören müsse, denn Alles deutete darauf hin, hier wohne der mächtige alte Hohenstaufe.
Der Lärm des Lagers war auf dieser Stelle verhallt. Eine bezeichnende Stille herrschte; man hörte das Klatschen der großen Kreuzesfahne und das der andern auf dem Vorderknopfe des Zelts, die den Doppeladler im rothen Felde zeigte. Krieger in goldschimmernder Rüstung standen, wie Statuen, zu beiden Seiten der Zeltwand; vornehme Herren traten, die Hüte in der Hand, aus dem Eingange und winkten schweigend nach ihren Rossen, welche eben so still von Edelknechten in Wappenröcken herbeigeführt wurden; dann ertönten Trompeten und von der andern Seite des Platzes kamen frei Ritter in glänzenden Mänteln. Die Wache des Kaiserzeltes empfing sie mit Neigung ihrer Waffen. Sie stiegen von ihren Rossen und verschwanden in dem beweglichen Hause.
»Das waren die Herzoge Theobald von Böhmen, Bertold von Meran und Pfalzgraf Ludwig von Thüringen,« sagte der alte Herr, »und dort kommt Herzog Leopold von Österreich mit dem Markgrafen Hermann von Baden. Es wird ein letzter Rath gehalten werden. Die wirst Du alle morgen genugsam schauen und manchen Tag noch, nebst hundert und tausend Fürsten, Grafen und Herren,« fuhr er lachend fort, als er merkte, daß sein Begleiter anhielt und die Nahenden betrachtete. »Ja, Du wirst auch den sehen, der, der Sonne gleich, allen diesen Männern Leben giebt und sie zwingt nach seinem mächtigen Willen zu thun. – Doch jetzt komm, hier ist Dein Platz nicht. Niemand darf hier stehen und gaffen, es sei Denn, daß es ihm geboten würde.«
So ritt er um das große Zelt hin, das, lang wie es war, in mehre Abtheilungen zerfiel, und hielt an der Hinterwand still, wo am Ausgange wieder eine Wache stand. – Dort stieg er ab, Diener traten heraus, denen er die Pferde überwies. Ein Mann, welcher eine goldene Kette trug, trat zu dem schwarzen Herrn und sagte sich verneigend:
»Verzeiht Herr Markward, es hat der Kanzler schon mehrmals nach Euch gefragt; er scheint ein dringendes Verlangen zu haben.«
»Ich komme sogleich,« erwiederte der schwarze Herr. Hierauf winkte er seinem Schützling, faßte dessen Hand und führte ihn in das Kaiserliche Zelt.
Durch einen Gang leitete er ihn in ein kleines von Leinenwänden gebildetes Gemach, in welches von oben Licht hereinfiel. – Der Boden war mit Teppichen belegt, Polster und Feldstühle standen an den Seiten, ein Tisch mit Geräthen im Hintergrunde. –
»Verweile hier,« sagte er, »ich habe Geschäfte zu erfüllen, halte Dich aber ganz still. Wenn ich zurückkomme, wollen wir über Deine Zukunft sprechen.«
Georg blieb mit einem ängstlichen Gefühl allein. Leisen Schrittes ging er durch das sonderbare, Zimmer, betrachtete die Geräthe darin und zuletzt den Tisch, auf welchem Pergamente, Rollen mit Siegeln und Briefe lagen. Endlich setzte er sich auf ein Polster nieder, stützte den Kopf in seine Hände und begann über das Erlebte nachzudenken. Es kam ihm abenteuerlich und gefährlich vor. Dann und wann hörte er dumpfes Gemurmel ferner Stimmen, zuweilen auch die hellen Klänge der Trompeten, den Ruf der Wachen, aber er sah nichts davon, und um ihn floß eine graue Dämmerung, die an den Wänden seines Aufenthalts seltsame Bilder und Traumgestalten webte.
Mitten darunter erblickte er plötzlich Siegelinds leuchtende Gestalt und mit einem tiefen Seufzer rieb er sich die müden Augen. Dann zog er aus dem Koller das schwarze Kreuz, preßte es in seinen Fingern, drückte Küsse darauf und flüsterte leise Worte und Schwüre, bis er endlich sich ausstreckend auf den weichen Kissen in einen Schlaf fiel, aus dem ihn anfangs auch nicht das laute Sprechen dicht hinter der Leinwand erwecken konnte, welche ihn von einem andern Gemache schied.
Der Vorhang nach jener Seite war einen Augenblick geöffnet worden, und ein Kopf sah herein von weißen dichten Locken umwallt, die wunderbar an einem ernsten Greisenantlitz niederfielen.
»Markward ist nicht hier,« sagte eine tiefe volle Stimme. »Wir können ohne Zwang reden.«
»Wovon ich reden will, kann des Zwanges und der Trauer niemals entbehren,« entgegnete eine andere Stimme. »Es ist zu spät, sagt Ihr, mein Kaiserlicher Herr, und wie es hier aussieht, scheint es freilich so, aber es ist nicht zu spät, behaupte ich, denn Ihr dürft nur wollen, und Alles ist mit einem Streich geändert.«
»Du bist mein alter Freund und Waffenbruder,« erwiederte der Kaiser – denn daß der es war, blieb Georg bald kein Zweifel – »Du hast für mich und das Reich in heißen Schlachten geblutet, bist mein Rath gewesen, wo es zu rathen galt; denn wo warst Du nicht, Christian von Mainz, wo mir Gefahr drohte? Würde ich nun jetzt nicht auch Deine Stimme hören und Dir folgen, wenn ich irgend könnte? Ich kann nicht, ich darf nicht. Asien ist mein Ziel, das heilige Grab und Palästina sind die Kronen, nach denen ich ringe.«
»Und wenn Du es errungen hast, Friedrich?«
»So wird mein Name glänzen neben des großen Alexanders Namen.«
»Und wenn Du stirbst?«
»So werde ich den Märtyrern zugezählt sein, die für Gottes Ehre starben.«
»Und Deutschland?!«
»Deutschland,« sagte der Kaiser mit tiefer Stimme, »ach, armes Deutschland! du Krone aller Länder auf Erden, du edles Weltherz, wohl scheide ich mit Schmerzen von dir, aber auch mit frohen Hoffnungen. Weshalb haben wir denn gekämpft, Christian? Weshalb haben wir Blut gleich Wasser vergossen, weshalb Städte verbrannt und Menschenstämme ausgerottet? Du, Herr, mein Erlöser, weißt es, daß es geschah mein Volk vor fremder Tyrannei zu bewahren, daß es sein Ehrgeiz war, den man mir vorwarf, daß ich das römische Pfaffenjoch nur vernichten wollte, damit es uns nicht zu Knechten mache und der Gedanke meines ganzen Lebens gedeihe, ein einiges, freies, erbliches deutsches Reich herzustellen.«
»Und dieser Gedanke,« erwiederte der Erzbischof von Mainz, »wird jetzt am Abend Deines Lebens von Dir verrathen. – Wie oft haben wir gesessen und geheim erwogen, wie das Wahlreich untergeben könne und wie dann das Reich der Deutschen gesichert, gleich Frankreich, England und andern Ländern, der ganzen Welt voranstehen würde an Kraft und Herrlichkeit. Nun sind Deine gefährlichen Feinde in Rom todt, nun ist Dein gefürchteter Name siegreich, Dein Wille so mächtig, Dein Ansehn so groß, daß ein einziger Reichstag alle Deine Wünsche erfüllen kann; da zerstörst Du selbst Dein Wert und ziehst in die Wüste Asiens, um dort unterzugehen.«
»Mit nichten,« sagte der Kaiser. »Ich sterbe nicht. Ich werde leben und einst wiederkehren, um Deutschlands Freiheit und Einigkeit zu sehen. Ja, wenn mich das Schicksal abrufen sollte, so wird mein Schatten nach Deutschland zurückfliegen und treu ausharren bei meinem Volke, bis mein Wille sich erfüllt hat.«
»Frevle nicht, mein hoher Herr,« rief der Erzbischof, »Gottes Wille ist mächtiger, als der Wille der Menschen. Lange, lange Jahrhunderte könntest Du sitzen und harren, ehe Deine Erlösungsstunde schlägt.«
»Dann aber,« sprach der Kaiser mit klarer Stimme, »welch ein Glück, mein Christian, das zu schauen! – Doch was fürchtest Du denn? Ich hoffe, mein Zug wird schnell und glücklich sein. Nicht allein, daß ich Bündnisse geschlossen habe mit dem Könige Bela von Ungarn, mit den serbischen Fürsten und dem griechischen Kaiser Isaak Angelus; auch der Sultan von Ikonium schickte mir Gesandte und selbst der stolze Saladin giebt Versprechungen, welche vielleicht zu Verträgen führen, die das Schwert unnöthig machen. – Betrachte ich dann das Heer, welches ich hinführe,« fuhr er mit Zuversicht fort, »so müssen frohe Empfindungen des Sieges mich ergreifen. Ich habe morgen diese Schaaren zu mustern. – Zwanzig Tausend Ritter, die Blüthe Deutschlands, haben sich hier versammelt. Siebenzig Tausend Reisige zu Roß und hundert Tausend Fußknechte folgen der heiligen Kreuzesfahne. Soll mir da der Sinn nicht hochstehen? Darf ich nicht der Zukunft vertrauen?«
»Andere vor Dir, mein Kaiserlicher Herr, haben dasselbe gesagt,« erwiederte Christian von Mainz. – »Gedenke an König Conrad, Deinen tapfern Oheim. Nie ist ein größeres, kühneres Christenheer in jene Wüsten geführt worden, und wie hat es geendet?! – Hundert Tausend Ritter und Reisige, die Blüthe des ganzen deutschen Volkes, folgten ihm und was ist davon zurückgekehrt?«
»Willst Du mich das kennen lehren?« rief der Kaiser und seine Stimme hob sich ungeduldig. »War ich nicht selbst dort, habe ich nicht in den Salzwüsten und an Damascus Mauern gestritten und geblutet?! – Ich habe aber auch die Fehler begriffen, welche man machte,« fuhr er ruhiger fort, »und wodurch es nicht gelingen konnte. – Es war das größte Heer, die Blume und Blüthe der Christenheit, wie Du sagst, aber das stärkste, tapferste war es nicht; denn ihm fehlte der leitende Gedanke, der fromme, eiserne Glaubensmuth und die reine christliche Sittlichkeit, mein alter Freund. – Unter jene heldenmüthigen Streiter mischten sich Gesindel aller Art; Üppigkeit und Ausschweifungen vernichteten die Lagerzucht, den Gehorsam, daß Mark dieses ungeheuren Körpers. – Mein Heer ist halb so groß, aber es soll wie eine Wolke von Eisen auf diese Beiden fallen und sie zermalmen. – Und wenn ich wiederkehre, Christian, ich, der Sieger Salaheddins, ich, der Schirmherr der Christenheit: dann, Freund, dann ist es Zeit, den Stempel auf mein Leben zu drücken. – Das römische Kaiserreich ist hergestellt und ich an der Spitze deutscher Nation; mein Haus erblich darin, seine Zukunft gesichert und die Krone in meines Erben Hand. Gewahr Euch Gott! Heinrich wird sie festhalten. Er hat meinen Sinn, wie die Gabe der Verstellung von seiner Mutter Beatrix.«
»Aber,« sagte der Erzbischof, »wer versteht die Herzen nicht zu fesseln, wie sie.«
Der Kaiser schwieg, als sei er tief ergriffen. –
»Was meiner offenen Stirn nie ganz gelang,« sagte er endlich, »das wird ihm besser glücken. – Bezahle er das verrätherische Italien mit gleicher Münze; demüthige er den Stolz durch List, schrecke und martre er die, welche er nicht gewinnen kann. Es gilt das Höchste, es gilt zu vollenden, was ich gethan; es gilt den ungestörten Besitz aller weltlichen Macht, ihre gänzliche Entreißung aus den Händen der römischen Päpste, und dieses heiligen Zweckes wegen muß und wird er nicht scheuen.«
»Er wird nichts scheuen,« erwiederte der Erzbischof, und er legte seine Hand auf den Arm des Kaisers, »deß sei gewiß; aber kann ein großes Werk in Grausamkeit und List gedeihen? – Bleibe, mein hoher Herr, bleibe Du bei Deinem Volke. Sieh mich zu Deinen Füßen flehen. Laß Deinen Sohn ziehen, schütze Dein Alter vor, erkranke, ehe Dein Fuß die Gränze betritt. Um aller Heiligen willen, um Dich, um Deinen Stamm, um Deutschlands wegen gehe nicht von uns, denn alles ist verloren!«
»Steh auf!« sprach der Kaiser in zorniger Rührung, »bin ich ein Kind, das heute das will, morgen jenes? Steh auf! Erzbischof von Mainz, weißt Du nicht, daß ich die Seele dieses Heeres bin? daß ohne mich Alles untergehen muß? daß die Welt seit Jahren auf mich und mein großes Werk sieht, und daß ich zu Schanden werde, wenn ich wanke?!«
»Ach!« sagte der Erzbischof weinend, »zu Schanden wird ein größeres Werk werden, denn wir haben umsonst gelebt, Friedrich. Umsonst gedacht, gesorgt und gehandelt; umsonst Blut und Sünden auf uns geladen, schwere Schuld, welche die himmlischen Mächte nun an uns rächen und an Dir, weil sie Deinen klaren Sinn verblenden.«
»Weil sie meinen Sinn verblenden?« rief Friedrich schmerzlich.
»Was könnte es anders sein,« fuhr der Erzbischof klagend fort. »Der böse Feind muß dabei thätig sein, dem Macht gegeben wurde. Was triebe Dich sonst, mein großer Kaiser, und zeigte Dir Dunstbilder als Wirklichkeit, nach denen Du vergebend haschest.«
Es blieb lange schweigsam in dem Gemach. Der Kaiser ging mit großen Schritten auf und nieder. Endlich stand er vor dem Erzbischof still.
»Was mich treibt,« sagte er mit leiser geheimnisvoller Stimme, »ich will es Dir vertrauen, Christian. – Erinnerst Du Dich, als ich in Mainz bei Dir das Pfingstfest feierte? Jetzt sind fünf Jahre verflossen. Welch ein Fest war das! – Alles, was Deutschland an Pracht, an Schönheit, Jugendmuth und Reichthum besaß, war zusammengeströmt, die Tage der Lust und Freude mit seinem Kaiser zu begehen. Welche Ringelstechen und Turniere, welche köstlichen Mahle und frohen Tänze gab es. Sänger der edelsten Art sangen meinen Ruhm und das Lob der schönen Frauen, deren leuchtender Kranz meinen Thron umgab; Ritter, deren Tapferkeit und Stärke das Entsetzen ihrer Feinde waren, neigten sich hier sittig und bekränzten mit Blumen die goldnen Trinkgefäße. Überall war Glück und Frieden, Jubel und eitel Lust; kein äußerer Feind war vorhanden; es gab keinen inneren Störer mehr. Alle waren zurückgekehrt an den heimischen Heerd, und der Handel regte sich, die Städte blühten groß und schön; die Bürger, reich und geehrt, füllten ihre Truhen mit Gold, Geschmeide und köstlichem Pardelkleid. – Da saß ich stolz und beglückt Abends beim Mahle, und nie dünkte mich ein Tag edler und reicher, nie war ich meiner Macht froher, und blickte ahnungsvoll heiterer in die Zukunft. An meiner Seite waren meine fünf blühenden Söhne, alle ritterlich und hochgeartet, schön an Körper, wie an Geist – Heinrich, mein Ältester, der deutsche König, klug und tapfer, bewundert von Kriegern und Weisen, hatte den Preis mit Schwert und Lanze errungen; Friedrich von Schwaben, der junge Held, dem alle Herzen schlugen, Conrad von Franken und Otto von Burgund, beide so lobelich und mannlich, und Philipp der Knabe im Schmucke seiner reichen blonden Locken lieblich anzuschauen, wie seine Mutter, sie wurden laut gepriesen. – War ich nicht ein hochbeglückter Vater? Konnte ich nicht entzückten Auges zum Himmel schauen, vertrauend auf mein Glück und diese edle Schaar?«
Christian von Mainz schwieg, und nach einer kleinen Stille fuhr der Kaiser fort:
»Abends nach dem großen Feste ging ich spät noch in meinem Zelte auf und nieder, die Brust von Gedanken bewegt, welche wie Blitze darin umherfuhren! Mein ganzes Leben ging an mir vorüber; Vergangenes und Zukünftiges gestaltete sich mit ungeheurer Gewalt. Ich fühlte mich vom Geiste ergriffen, der seine Flügel um meine Seele wand und sie der Ewigkeit näher führte. – Was ich je gedacht und gewollt, war ausgeführt und stand strahlend groß und fertig vor meinen Augen. Ich fühlte es gab keinen Widerstand mehr, Alles war überwunden, alle Feinde besiegt; die Welt lag zu meinen Füßen. – Da trat ich an die Zeltthür und zog den Vorhang zurück. Eine Unermeßlichkeit lag vor meinen begeisterten Blicken. Der Himmel spannte sich über das grüne blüthenvolle Rheinthal. Da floß der Strom, edel und gewaltig, ganz silberhell im Mondesglanz zwischen den Rebengeländen; ich aber konnte über die Höhen fortschauen, daß mich dünkte, ich sehe das ganze deutsche Land bis an die Fluthen des Ostmeeres. Über die Thürme und Mauern des stolzen Mainz sah ich andere reiche Städte, und wohin ich mich wendete, erweiterte sich mein Auge; überall war Deutschland, überall Glück, Größe, Friede; überall Blüthen und fruchtbare Äcker; überall Einigkeit und Freiheit: Das Walten eine guten Gottes. – Da kam mir das Verständniß zu dem seligen Gebilde. ›So wird es einst sein,‹ rief ich, ›mein Schutzgeist hat mich in den Spiegel der Zukunft blicken lassen. So wird einst mein Deutschland blühen, wie ein unermeßlicher Garten, so wird mein Volk groß und mächtig sein, frei, kühn und stolz mitten unter den Segnungen eines friedvollen Glücks. So wird seiner Herrlichkeit kein Ende sein, denn es ist tüchtig zu jedem Wissen, zu jedweder Kunst.‹ Nassen, aber funkelnden Auges sah ich auf die schimmernden Hütten des Lustlagers, das unter leise schwankenden Bäumen stand, die ihre Blüthen darauf niederträufelten. Und mir gegenüber stand das Zelt meiner Kinder. – Der Schlaf hatte alle die fröhlichen Menschen süß eingesungen, um sie morgen zu neuer Lust geschickt zu machen. Auch sie schliefen, und über ihren Häuptern stand ein strahlender Stern, heller als irgend einer am Himmelsgewölbe. – ›Schlaft, theure Kinder, schlaft,‹ rief ich. ›Ihr Glücklichen, euch ist es vorbehalten, mein inneres Schauen Wahrheit werden zu sehen. Stark und gewaltig seit ihr, und ich habe euren Weg geebnet. Du großes Heldengeschlecht der Hohenstaufen, der Weltengott hat Dich berufen, Bosheit und Unvernunft zu Schanden zu machen. Herstellen sollst Du das heilige Kaiserreich, zurückscheuchen welschen Übermuth, vernichten die Anmaßung der Pfaffen, und wiederbringen ein goldenes Zeitalter, das auf Deutschland niedersinken wird, wie die Himmelstaube nach langer Irrfahrt. Dazu hat Dich Gott bestimmt, Heil Dir, mein Stamm! Gott hat gewollt, daß Du herrschen sollst, und herrschen wirst Du lange und glücklich!‹
In diesem Augenblicke,« sagte der Kaiser tiefathmend, »fuhr durch das reine Himmelsgewölbe ein Sausen und Brausen –«
»Ich weiß es, ich verstehe,« fiel Christian ein. »Es war ein trauriges, zufälliges Ereigniß.«
»Nenne es, wie Du willst; mir war es kein Zufall. Es war die Antwort des Himmels auf meinen Prophetenspruch. – Ein Windstoß, wie ich ihn nie erlebt, riß plötzlich alle Zelte des Lustlagers nieder. Bäume stürzten darüber hin, Steine fuhren durch die Luft, Angstgeschrei und Geheul ertönte aller Orten; und da stand ich in meinem zerfetzten Kaisermantel und suchte unter Trümmern nach meinen Söhnen.«
»Sie waren Alle unverletzt,« sprach der Erzbischof.
»Unverletzt, wie die meisten der erschrockenen Schläfer,« fuhr Friedrich fort, »und die Sterne standen klar, wie vorher, der Mond schien voll, die Luft war mild und balsamisch. Es war ein einziges Zeichen von der Allmacht gegeben, daß ihr Ohr an jedes Menschen Brust lauscht; doch viele hatten es verstanden außer mir. – Erinnerst Du Dich nicht, welche dumpfe Schreckensworte die Menge murmelte? Wie es den meisten als eine Verkündigung des Unglücks galt, das plötzlich über mich und mein Haus hereinbrechen werde? – Von dieser Stunde dachte ich daran, den Himmel zu versöhnen, und tief in meinem Herzen rief eine Stimme: Ziehe hin nach Jerusalem, befreie das Grab des Heilands, das tilgt deine Sünde und alle Sünde deines Stammes. Dieser Vorsatz hat mich Jahre lang nicht verlassen, und wie ich auch dagegen ankämpfte, welche Gründe und Entschlüsse sich geltend machten, immer wieder und mit neuer größerer Macht tauchte er empor. – Ja, gewiß ist es, diese Stimme kommt von Gott,« rief der Kaiser mit Innigkeit. »Sein heiliger Wille hat es geboten. Der Tag reift, wo ich ausziehen werde, und er, der große Vater aller Wesen und alles Menschenschicksals, er wird es gnädig wenden, wenn ich gethan nach seinem Willen.«
»Amen!« murmelte der Erzbischof. Dann sagte er tief erschüttert: »Ich habe Dir nichts mehr zu sagen, mein hoher Herr. Gottes Gnade sei mit Dir, möge sie auch mein kummervolles Gemüth aufrichten.«
»Komm an mein Herz, alter Freund, und sei gutes Muthes,« rief der Kaiser; »Du siehst ich bin es auch.«
In dem Augenblicke, wo Georg hörte, wie sich die beiden Fürsten umarmten, trat sein Beschützer herein, und mit Schrecken vernahm er des Kaisers Worte:
»Verlaß mich jetzt, Christian, ich habe mit meinem Kämmerer Markward zu sprechen. Was ich Dir vertraute, das bleibt ein Geheimniß, von dem kein Dritter etwas wissen darf.«
Mit einem schnellen heftigen Wink ermahnte der Kämmerer den Knappen vom Sopha aufzustehen. Vorsichtig folgte dieser der Weisung, Herr Markward stieß ihn aber etwas unsanft hinaus und flüsterte:
»Geh, an der Thür steht ein Mann, der Dich in Deine Herberge bringen wird, dort bleib, wage es aber bei Deinem Leben weder fortzugehen, noch von Deinem Aufenthalt hier ein Wort zu reden. Ich werde zu Dir kommen sobald es angeht.«
Georg that wie ihm befohlen. Erregt von dem was er gehört, erschrocken und noch ganz erfüllt davon eilte er durch den Gang und fand draußen einen Diener, der sich seiner annahm und vor ihm herschreitend ihn quer über den freien Platz nach einer großen Holzbube leitete, wo ein Wirth Essen und Getränke feilbot.
Es wimmelte von Gästen darin. Reisige und Rottenmeister von der kaiserlichen Feldwache verzehrten ihr Abendessen und klapperten mit den schäumigen Bierkrügen. Es dauerte eine gute Weile, ehe der Diener des Kämmerers sich Gehör bei dem kleinen geschäftigen Wirth schaffte. Endlich gelang dies, indem er den Mann bei der Schulter packte, festhielt und schüttelte, dazu auch laut schrie:
»Balthasar, hör' ein Wort. Hier schickt Herr Markward den jungen Gesellen, den Du herbergen und nähren sollst. Wenn Dir seine Gunst werth ist, so thue Deine Pflicht.« –
Damit kehrte er sich um und ging rasch davon.
Balthasar nickte, grinste den jungen Reitersmann an und sagte:
»Nehmt dort auf der Bank Platz, begehrt Ihr Zehrung, so sagt's. Wenn's hier leer wird, wollen wir für ein Lager sorgen.«
Somit ließ er ihn allein und kümmerte sich nicht um ihn, denn Georg saß still im Winkel und starrte vor sich hin. Es ging bunt und toll in seinem Kopfe um, er konnte kein Wort von dem vergessen, was er gehört, aber er war verständig genug zu begreifen, daß er unverbrüchlich schweigen müsse, und sein Leben wohl noch nie in größerer Gefahr war als jetzt, wenn er nicht Vorsicht übe.
Endlich kam eine Dirne, die ihn schon lange betrachtet hatte, und sprach mit ihm. Es war des Wirths Tochter, ein hübsches Mädchen von leichtfertigem Sinn, die wohl Mitleid mit seinem stillen, schüchternen Wesen haben mochte. Sie versorgte ihn mit Speisen und Trank, und da die meisten Gäste gegangen waren, setzte sie sich zu ihm, fragte die Kreuz und Quer, und lachte endlich gar lustig, als er ihr erzählte, er wünsche in des Kaisers Wachen Dienste zu nehmen.
»Potz Velten!« rief sie, da steht Dein Sinn hoch hinaus. Wünschen magst Du es wohl, aber ich fürchte es kann nimmermehr geschehen. In des Kaisers Wachen kommen nur versuchte Reisige. Keiner wird aufgenommen, der nicht gut empfohlen ist von einem Ritter, und dem der Marschall, Herr Georg von Wiesenbach, nicht ein Zeugniß giebt. Jetzt aber hilft auch das nicht mehr. Die Fahnen sind vollzählig, und in den letzten Tagen haben viele gute Leute abziehen müssen, die sich das nicht träumen ließen.«
»Das sieht schlimm aus,« sagte Georg, »aber wir wollen es abwarten.«
»Geht zu den Baiern,« fuhr die Dirne leiser fort, »dann zieht Ihr mit uns.«
Der Wirth kam auch herbei.
»Ach, laßt Euch nicht bange machen, Gesell,« rief er, »Ihr seid ja ein Empfohlener des Herrn Markward. Das ist ein mächtiger Herr, mächtiger als mancher Graf und Fürst. Ist er Euch verwandt?«
»Daß ich nicht wüßte,« erwiederte der Knappe.
»Wißt Ihr's nicht,« rief der Wirth lachend, »nun vielleicht weiß er es besser. Wie seid Ihr denn aber an ihn gekommen, der sonst so leicht keines Menschen Freund ist? – Einer der Reisigen da sagte vorher, er habe Euch beide vor zwei Stunden schon zum Lagerthore einreiten sehen? Wo habt ihr denn so lange gesteckt? Habt den Kaiser wohl schon gesehen? Oder wart Ihr bei dem Kämmerer und habt ein Verhör ausgehalten? – Es ist ein schlauer Vogel, der Herr Markward, schlauer als der Kanzler und seine Räthe, und man sagt, der Kaiser selbst pflege ihm Alles zu vertrauen und seinen Rath zu benutzen in den geheimsten Sachen.«
Das Herz schlug dem Knappen schneller. Er nahm jedoch eine finstere Miene an und fuhr dem Wirth auf den Pelz. –
»Behaltet Euer Gewäsch für Euch,« sagte er, »und fragt nicht neugierig unbescheiden nach meinen Angelegenheiten, oder nach dem was der Kämmerer denkt und thut. Übel würde es Euch bekommen, wenn er es wüßte.«
»Nun,« sagte der Wirth trotzig, »das muß ich sagen, Ihr seid ein hochfahrender Gesell, der nicht verdient, daß man ihm Theilnahme erweist.«
»Deine Theilnahme ist ihm auch weder dienlich noch nöthig,« fiel eine Stimme hinter ihm ein, und zum großen Schrecken des kleinen Mannes erblickte er den Kämmerer. Herr Markward aber reichte seinem Schützling freundlich die Hand und sprach dann zum Wirth: »Du hast eine Kammer, dahin führe uns, und bringst Du einen Krug Wein vom besten, so will ich vergessen, was ich gehört habe.«
Bald waren die beiden in dem kleinen Raum allein. Sie setzten sich an den Tisch, und als der Wein gebracht war, sagte Markward:
»Nun trinke, Georg, und sei gutes Muthes. Ich will Dir wohl, das wird zu Deinem Glück sein. Du bist überhaupt ein Glückskind, davon habe ich die Proben.«
Georg dankte und versprach ihm ewige Schuld und Dankbarkeit. Der Wein war gut und der alte Herr schien seine Lust daran zu finden, den Gast zum Trinken zu nöthigen. Als der Krug leer war, ließ er einen neuen bringen und vieles wurde geschwatzt, vom alten Wolf, vom Leben aus früherer Zeit, von Georgs Leben, das dieser ohne Rückhalt erzählte, mit Ausnahme seiner Liebe zu Siegelind. Denn als er geschwätzig gemacht vom Wein auch davon beginnen wollte, fühlte er das Kreuz auf seiner Brust und schwieg.
Mitten im Gespräch und als Markward auch manches mit leiserer Stimme vom Leben am Hofe, vom Kaiser und von seiner großer Gunst bei dem hohen Herrn erzählt, sagte er plötzlich:
»Ein wunderlicher Zufall war es, daß Du in meinem Gemach sein mußtest, als der Kaiser mit dem Erzbischof von Mainz daneben eintraten; aber diesen Zufall muß ich loben.«
Er rückte dicht an ihn und fuhr ganz leise fort:
»Manches Geheimniß weiß ich von meinem Herrn, nur das nicht, was er dem Christian von Mainz vertraute: Ein Geheimkämmerer muß aber Alles wissen. So erzähle mir denn, was Du hörtest; denn, läugne es nicht, Du hast es gehört und ich muß es erfahren; dafür sollst Du haben, was Du forderst.«
»Herr Markward,« versetzte Georg, §ich könnte Euch sagen, daß ich geschlafen und keine Silbe vernommen, und könnte ich lügen, könnte ich auch schwören, es sei so. Aber ich kann Beides nicht und doch werde ich Niemanden auf dieser Welt entdecken, was ich gehört. – Vertraut Euch der Kaiser, wie Ihr sagt, seine geheimsten Gedanken, so laßt Euch auch das von ihm sagen. Von mir erfahrt Ihr nichts.«
»Du wagst es mir zu widerstehen?« rief der Kämmerer. »Ist das Deine ewige Dankbarkeit?«
»Der Kaiser sagte: kein Dritter dürfe wissen, was er geredet,« erwiederte der Knappe. »Ein Dritter hat es gehört, aber dessen Zunge ist ewig stumm. Darum, lieber Herr, zürnt mir nicht, ich kann nicht davon sprechen.«
»Und ist das Dein fester Entschluß, thörichter Knabe?«
»Ihr werdet mir keinen andern abnöthigen können, Herr.«
Da öffnete Herr Markward plötzlich seine geballte Hand und die Runzeln auf seiner Stirn verschwanden in einem wohlgefälligen Lächeln. –
»Ich will Dich nicht weiter erproben,« sagte er, »denn ich sehe wohl, Du würdest nicht anderen Sinnes werden; aber was Du gethan hast, Georg, war wohlgethan. – Der Zufall,« fuhr er dann fort, »hat Dich mit manchem geheimen Wort des Kaisers bekannt gemacht. Ich weiß, was es bedeutet, hättest Du aber ein Bekenntniß abgelegt, so wäre ich jetzt vor den Herrn getreten, hätte seine Knie umfaßt und ihm gestanden, wie ein schwatzhafter Bube ihn belauscht. Und dann Knabe, dann –«
Herr Markward zog mit einem sonderbaren Ausdruck von Grauen sein Gesicht zusammen und sagte flüsternd:
»Großmüthig und edel ist der Kaiser, aber bewahre Gott jeden Christen vor seinem Zorn, oder wer ihm im Wege steht. Hast Du von Arnold von Brescia gehört, Georg?«
»Nein,« sagte der Knappe.
»Das war ein Bischof von großem Anhang in Italien,« sagte der Kämmerer, »und lange Zeit stand er unter des Kaisers Schutz, bis dieser sich mit seinem Feinde, dem Papst Hadrian, versöhnte. – Da wurde er ausgeliefert und in der Morgenfrühe lebendig verbrannt.«
»Das ist entsetzlich!« rief Georg.
»Es war einer der Friedensartikel,« sprach Herr Markward. »Große Herren opfern ihren Zwecken Alles; wer fragt also nach einem armen Dienstmann, wenn der etwa auf ewig stumm gemacht wird, weil seine Ohren hörten, was sie nicht hören sollten?! – Das merke Dir und nun lebe wohl. Morgen in der Frühe steh an des Kaisers Zelt, ich werde kommen und Dich dem Marschall von Wiesenbach empfehlen.«
Georg blieb in nicht geringer Bestürzung zurück. Er versuchte zu schlafen, aber es ging nicht. Was der alte Herr ihm gesagt, schwirrte in seinen Ohren umher. – Was ist an einem armen Dienstmann gelegen, wenn der auf ewig stumm gemacht wird! das hörte er wieder und immer wieder. – War der Kaiser so treulos, einen vornehmen Bischof zum Feuertode auszuliefern, so machte er mit ihm gewiß noch viel weniger Umstände. –
Er war nahe daran sich auf die Flucht zu machen, aber wo war sein Pferd und wohin sollte er entkommen? Mit innerer Furcht hörte er draußen den Tritt der Wachen und das Geklirr von Schwertern und Speeren; ja ein paar Male war es ihm, als vernehme er an der Thür ein gefährliches Gehen und Flüstern, Stimmen die seinen Namen nannten, und der alte Kämmerer steckte seinen Kopf mit einem argen Lächeln in den Verschlag und sähe auf ihn hin, ob er noch nicht eingeschlafen sei. –
Da fuhr er jäh empor und sank wieder zurück auf die Matratze am Boden; endlich aber faßte wirklich eine kräftige Hand seinen Arm und rüttelte ihn dergestalt, daß er mit einem Satze auf den Beinen war.
»Was wollt Ihr von mir? Wer seid ihr?« rief er mit Heftigkeit und faßte nach dem Dolch am Gürtel.
Balthasar, der Wirth, sprang bei der gefährlichen Bewegung zurück und sagte ärgerlich:
»Ihr schlaft wie ein Todter, habt Ihr die Trompeten nicht gehört? Das Lager ist in Bewegung, drüben führen sie schon die Rosse hinaus und Alles bereitet sich zur großen Musterung.«
Das war eine Nachricht, welche Georg aus allen Träumen aufweckte. Bald trat er hinaus in den jungen schönen Maimorgen, über dessen Blüthen rothe Wolken hinzogen. – Ritter und Edle, Fürsten, Herren und Prälaten hatten sich aus dem Schlaf gerissen, um des Kaisers Befehlen zu gehorchen. Auf den Lagerplätzen zwischen den Zelten sammelten sich ihre Schaaren unter großen gestickten und gesegneten Kreuzfahnen. Des Kaisers Haus war ganz mit Bannern umsteckt, auf deren gold- und seidenschimmernde Farben die ersten Sonnenstrahlen fielen, und eben führten ungarische Krieger in reicher Rüstung eine Anzahl edler Pferde daher, die König Bela's Gesandten als Geschenk mitgebracht hatten. –
Viele drängten sich hinzu, diese schönen Thiere zu sehen, welche unter ihren Purpurdecken sich bäumten und von den Stallmeistern des Kaisers mit Mühe übernommen und gebändigt wurden. – Die Ungarn aber blickten mit Stolz und Spott auf die Anstrengungen der Hofbedienten und manche Bemerkung, die unverstanden blieb, war kein Lobspruch auf die Reiterkünste der Deutschen. Endlich lachte einer der Abgesandten, ein großer Herr in pelzverbrämtem Mantel, der mit Anderen an des Kaisers Zelt stand, in seinen Bart und sagte in schlechtem Deutsch:
»Ungarische Weiber und ungarische Pferde sind beide von besonderer Art, viele darunter kann Niemand zähmen als wir selbst, und hier hat Euch König Bela zuvörderst von den Rossen eine Probe geschickt; die Frauen werdet Ihr kennen lernen, wenn Ihr zu uns kommt. Wenn Einer ist, Ihr deutschen Herren, der den schwarzen Hengst dort zu reiten vermeint, gegen den wette ich zehn Goldgulden, daß er den Boden küßt.«
Viele betrachteten das edle Thier, welches der Ungar meinte, das groß, gewaltig und feuersprühenden Auges das wildeste von allen war. – Ein ältlicher Ritter in des Kaisers Farben und dessen Feldbinde drehte sich ärgerlich um und sagte zu seinem Nachbar:
»Wer möchte den Hals brechen auf solchem flüchtigen, scheuen Teufel. Das sind keine Rosse uns in voller Rüstung zu tragen; keine Streithengste, wie wir sie lieben, diese da ähneln den Rennern der Wüste. Der hochmüthige Ungar hat gut lachen, aber meinen Goldring vom Finger gebe ich darum, wenn sich ein Fant fände, der Muth zum Wagstück hätte und dem es gelänge.«
»Wenn es mir erlaubt würde, Herr Ritter,« sagte leise Georg, der dabei stand, »ich wagte es und vollbrächte es auch.«
Der Ritter sah ihn an und musterte mit einem Blick den schlanken, kräftigen Gesellen.
Bisher hatten alle die edlen Herren an des Kaisers Thür geschwiegen und verlegen zu der kecken Aufforderung gelächelt. Jetzt wendete sich der Ritter zu dem Ungar und sprach mit übermüthigem Ton:
»Rosse dieser Art, werther Herr, sind nicht für uns gemacht, wir könnten leicht eins todtdrücken. Solche zu tummeln überlassen wir gern unsern Buben. Gelüstet's Euch, zehn Gulden zu wagen, so will ich sie halten und der erste beste Reitersknecht, dieser Bursche hier, soll der Alexander sein, der Euren Bucephalus bändigt.«
Dabei tippte er auf Georgs Schulter und dieser trat bescheiden hervor, das Gesicht des stolzen Magnaten aber färbte sich roth.
»Ich habe nichts dagegen,« rief er spottend, »und hoffe, Dein Gold, Freiherr von Wiesenbach, wird darum nicht weniger roth sein, wenn es mir dieser Bube einbringt.«
Der Marshall winkte den Dienern, welche den schwarzen Renner hielten, und mit Mühe zwangen sie ihn bis an den Kreis der edlen Herren. Der wilde Muth und das Feuer des Thieres machte alle besorgt vor dem Ausgange, die Ungarn aber lachten und lachten noch lauter, als der Knappe herzutrat und bat, daß man die Decke abnehmen möge. Im nächsten Augenblick aber saß Georg auf dem nackten Rüden des Pferdes, wohin er sich mit einem schnellen Satz geschwungen. Er hielt die Zügel fest in der Hand; sein edler, ritterlicher Anstand gab seinen Landsleuten neues Vertrauen und flößte ihnen vermehrte Theilnahme ein.
Kaum aber hatten die Diener sich aus dem Bereich des bäumenden und schlagenden Renners gezogen, so flog dieser mit seinem Reiter wild im Kreise umher und mehr als einmal schien es, als würde Georg mit unwiderstehlicher Gewalt zu Boden geschleudert werden. – Seine Kappe flog ihm vom Kopfe, sein Koller öffnete sich, das Kreuzchen am Bande wurde herausgerissen, aber er war ein vollendeter Meister in der Reitkunst. Oftmals hatte er auf Gäulen gesessen, die noch nie einen Menschen getragen, wie sie aus den Steppen des Polenlandes zu den Wenden in Pommern gebracht auch in die Marken gelangten.
Wie von Eisen gemacht saß er auf den Rücken des erbosten Thieres fest, hielt die ersten tollen Stürme seiner Wuth aus und stieß ihm dann die Sporen in die Weichen, daß es hoch mit ihm in die Lüfte sprang und von Neuem alle Mittel versuchte ihn abzuschütteln. Aber immer neue Sporenstöße folgten seinen Bemühungen, bis es endlich im wildesten Galopp über den großen Platz davonrannte und drei Mal des Kaisers Zelt umkreiste, mühsam gebändigt von dem kühnen Reiter. Endlich war seine Kraft erschöpft, und bedeckt mit Schaum, bluttröpfelnd und athemlos ließ es sich zitternd lenken, als sei sein Muth für immer gebrochen.
Jubelruf und Lobsprüche empfingen den deutschen Knappen. Der Magnat griff in die Tasche und holte ein goldenes Beutelchen heraus.
»Hier, Freiherr von Wiesenbach,« sagte er, »nimm das, und was darüber ist, sammt dem Gehäuse soll diesem wackern Jüngling gehören. Hätt' ich doch nie geglaubt, daß es im deutschen Lande einen Mann giebt, der solche Künste kann.«
Der Marschall reichte Georg den ganzen Beutel hin.
»Nimm das, Gesell,« sagte er, »die Wette hast Du gewonnen; aber Großes und Sonderliches war es eben nicht.«
Das dünkte Vielen Hart, denn sie wußten wohl, daß Wenige zu finden sein würden; Georg aber beugte sich demüthig und sagte:
»Gewiß, lieber Herr, was ich gethan, war ein kleines Spielwerk für edle deutsche Männer.«
Und indem er vom Rosse stieg, öffneten Edelknaben die Zeltwand, aus der, gefolgt von Herzogen, Fürsten, Grafen, Bischöfen und Äbten, der Kaiser so schnell hervortrat, daß Niemand weichen und sich entfernen konnte. –
Georg schlug die Augen zu dem Helden auf, dem er verborgen gestern schon so nahe gewesen, den er jetzt aber zum ersten Male sah, und er konnte und mochte sie nicht wieder senken. –
Friedrich von Hohenstaufen, den die Italiener Rothbart nannten, ein Name, welcher durch die Geschichte der Menschen dauert, war damals in seinem siebenzigsten Jahre, aber sie schienen über ihm hingezogen zu sein, ohne ihre Macht an ihn üben zu können. – Von Körper war er mittler Größe, und dieser hatte die schlanken und dabei starken Formen, welche den allerkräftigsten und schönsten Männern eigen sind. Diese Formen sah man noch jetzt erhalten wie alles, was ihn in seiner Jugend vor den meisten Sterblichen auszeichnete. – Dichtes, einst röthlich blondes, jetzt ergrautes Haar fiel schön und weich auf eine hohe gedankenvolle Stirn; kühn und fest waren alle Züge dieses Heldenantlitzes ausgeprägt, und die schimmernden blauen Augen, deren wunderbares Leuchten den Italienern so fürchterlich dünkte, daß sie behaupteten, ein Dämon habe darin seinen Sitz; sie leuchteten noch mit demselben ungeschwächten Feuer. Seine breite erhabene Brust paßte zu dem stolz getragenen Körper und zu dem Kopfe, der einen Adel und Ehrfurcht gebietende Hoheit ausstrahlte, welche wunderbar ergreifend gewesen sein muß, weil sich Niemand ihrer erwehren konnte. Der goldene Helm mit dem Adler des Reichs geschmückt strahlte von dem Haupte der Kaisers, sein Kettenpanzerhemd von der feinsten venetianischen Arbeit war halb bedeckt von einem Purpurmantel, welcher leicht auf feinen Schultern lag.
Mit fragendem Blick sah der Herrscher auf die verstummende Versammlung, und schnell mochte er erkennen, was vorgegangen war. Über sein strenges Gesicht flog ein Lächeln, der Marschall beugte sich zu ihm und sprach einige leise Worte.
»Hat der Bursch unseres Volkes ritterliche Künste so zu Ehren gebracht in den Augen unserer Freunde aus Ungarn,« sagte der Kaiser, indem er nach Georg einen gütigen Blick sandte, »so soll er auch fürderhin das Roß reiten.«
Da trat er weiter hervor und Alle wichen zur Seite. – Die Diener mit den Pferden eilten herbei. Der Kaiser bestieg mit jugendlicher Leichtigkeit seinen Streithengst, die Herzoge und Ritter folgten seinem Beispiel, sogar die geistlichen Herrn warfen sich auf geschmückte Rosse, und unter dem Geschmetter der Trompeten flog der kaiserliche Zug davon.
Georg hielt noch immer den besiegten Gaul am Zügel, bestürzt und entzückt über den Kaiser und was er gesprochen. – Er war fast ganz allein, aber die Wenigen, welche um ihn standen, priesen ihn und sein Glück.
»Das ist ein Pferd, wofür Du hundert Gulden wohl von Jedem bekommen kannst,« sagte ein alter Reisiger. Es ist Dein, Gesell, laß es Dir von den Stallmeistern nicht abnehmen, die jetzt neidisch auf Dich sehen, obwohl sie niemals gethan hätten, was Du gethan hast.«
Und in der That kamen die Stalldiener herbei, und wollten das Roß an sich nehmen, aber die Worte des alten Reisigen am Zelt hatten Georg ermuthigt. Er behauptete sein Recht, es gab Streit, harte Worte fielen, und wer weiß, ob das Ansehn der kaiserlichen Hofbedienten nicht dennoch gesiegt hätte, wenn nicht plötzlich Herr Markward herbeigetreten wäre.
»Dies Roß,« sagte er, »gehört dem jungen Gesellen, ich vernahm es selbst, daß es ihm der Herr zusprach, darum laßt ab von ihm. Du aber lege Deinen Sattel auf Dein Eigenthum und reite zum Marschall von Wiesenbach, den frage, was Dir zu thun übrig bleibt.«
Das ließ sich Georg nicht zwei Mal sagen. Er schirrte sein schönes Pferd, das zu Willen war; und sprengte bald dem Kaiser nach, den er erreichte, eben als die großen Züge des Kreuzheeres sich auf den Feldern vor Regensburg geordnet hatten.
Die Heerschau, wohl eine der größten, welche je gehalten wurden, dauerte lange. Friedrich ritt durch alle Schaaren, Fürsten, Ritter und Rottenmeister an seiner Seite, und an diesem Tage wurde mancher ausgestoßen der ihm nicht passend schien, oder der die Mittel nicht hatte, seinen Unterhalt zu decken. – Mit großer Strenge auch scheuchte er das waffenlose Volk zurück, und ließ bei Todesstrafe allen liederlichen Frauen und allem Gesindel befehlen, Regensburg zu verlassen und dem Heere keinen Fuß breit zu folgen. – Viel Blut floß dieser Strenge, viele harte Strafen wurden vollzogen, und selbst mehre Edle ausgestoßen und geköpft, weil sie die Gesetze nicht befolgten.
Mitten in dem Gewirr der Heerschau erblickte der Marschall den jungen Reisigen nicht weit von sich, und winkte ihn freundlich zu sich heran.
»Nun,« sagte er, »wie reitet sich der ungarische Hengst? das war ein schöner Gewinn, doch Du hast ihn wohlverdient. Zu wessen Fahnen gehörst Du aber, mein Sohn, daß Du so müßig bei uns bleibst?«
»Ich gehöre keiner Fahne an, edler Herr,« erwiederte Georg, »aber Herr Markward schickt mich Euch nach, um zu fragen, was ich zu thun habe?«
»So bist Du wohl sein Schützling, der irrende Jürgen,« rief der Marshall, »und stammst vielleicht, ohne daß Du es weißt, von den Heiligen ab.«
»Ich heiße Georg, Herr.«
»Gut, mein Georg, sagte der Freiherr froh gelaunt. »Reite nach Haus und sage dem Waffenmeister Gebhard, er solle Dich rüsten und den kaiserlichen Adler auf Deine Pickelhaube setzen. – Morgen aber komm in der Frühe zu mir, dann will ich den Grafen von der Westerau Dich übergeben, daß Du in des Kaisers Wachen trittst. Es wird ein Platz für Dich offen sein.«
So geschah es, und als am zweiten Tage das Kreuzheer gegen die Donau aufbrach, erblickte Herr Markward seinen Schützling mit Vergnügen auf seinem schwarzen Rosse in dem Zuge, der den Kaiser und dessen Hof geleitete.
Es liegt uns nicht daran, den Marsch jener Hunderttausend tapferer Krieger zu verfolgen, die ein unglückseliger Wahn abermals in den Tod der Wüsten trieb. Lange könnten wir erzählen, wie die Schaaren Leopolds von Österreich sich mit dem Kreuzheer vereinigten, wie der edle Herzog seinen Oberherrn in Wien empfing, wie sogleich und ernstlich alle Anstalten zur Verpflegung der ungeheuren Schaaren hier, wie in Ungarn, getroffen waren, wie unerbittlich strenge jeder Verbrecher bestraft ward und wie der große, angebetete, Kaiser über alles wachte und für alles sorgte.
Wir könnten auch erzählen, wie in Ungarn König Bela und sein Hof die gefährlichen Gäste bewirtheten, welche glänzende Feste gefeiert wurden, welche Maßregeln der Klugheit und der Abwehr der Herrscher des Magyarenvolks getroffen, wie aber Alles sich in größerer Liebe und Einigkeit auflöste, als Herzog Friedrich von Schwaben sich mit Bela's schöner Tochter verlobte und in Belgrad ein prächtiges Abschiedsturnier gehalten wurde. –
Dann brach das Kreuzheer durch die Berge und Wälder Bulgariens, begleitet von vielen ungarischen Edeln, welche sich dem Kaiser anschlossen, und alle zogen kämpfend mit den barbarischen Räubern, mehr noch kämpfend mit der Treulosigkeit der Griechen, weiter gegen Süden zu den Meeresengen, welche Asien von Europa scheiden. Das war ein langer und gefährlicher Zug. Bald wurden Pilgerschaaren in Engpässen überfallen und vernichtet, bald sah man Ermordete in langen Reihen am Wege liegen. Jetzt gab es Lebensmittel in Überfluß, dann plagte wenige Tage später Hungersnoth das Heer. –
Städte mußten erstürmt, Bulgaren und Griechen hart gezüchtigt werden und doch folgte ein Verrath dem andern, so daß es vieler Zerstörungen und viel Blutes bedurfte, um den elenden Kaiser Isaak zu überzeugen, es sei besser, wenn er je eher je lieber das Christenheer nach Asien schaffe.
Dieser Kaiser zitterte aber besonders davor, daß Friedrich nach seiner Krone greifen, Konstantinopel erobern und den jungen Herzog von Schwaben, zum Herrscher des Morgenlandes machen würde. – Deshalb verlangte er, was einst Alexius, sein Vorgänger, von den ersten Kreuzfahrern verlangt und erhalten hatte, auch von dem Kaiser des römischen Reiches. Er verlangte, daß Friedrich und sein Heer ihm als Oberherrn huldigten, ihm die Eroberungen, welche in Asien gemacht wurden, abzutreten seien, und verweigerte Friedrich den Kaisertitel. Nur als den ersten Fürsten der Deutschen wollte er ihn anerkennen. –
Große Selbstbeherrschung gehörte dazu, solche und andere Anmaßungen ruhig abzuschlagen. Mehr als einmal auch entbrannte des Kaisers Zorn; er wollte Schiffe rufen aus Venedig und Genua und Konstantinopel wirklich belagern und erobern, nur ein großer Zweck und der heilige Trieb in ihm hielt ihn davon ab.
Friedrich sandte Botschaft zum oströmischen Kaiser, den Bischof von Münster, den Grafen von Nassau, den von Diez und seinen Kämmerer Markward. Ein glänzendes Geleit tapferer Ritter und Reisige ward den Gesandten beigegeben, von deren Vermittelung man den Frieden hoffte. –
Bei der Schaar, welche zu ihrem Schutze mitzog, befand sich auch Georg, welcher in der Zeit seines Waffendienstes sich manches Lob seiner Obern und manchen Beweis der Zuneigung von seinem Beschützer erworben hatte. –
Herr Georg von Wiesenbach wollte ihm wohl, auch achteten ihn seine Waffengenossen als einen tapferen Krieger voller Kühnheit. Wo es galt, sein Leben zu wagen, da war er immer zur Hand, dennoch aber tadelten viele, daß kein rechter Mannesmuth in ihm sei, denn immer war er einsam und schweigend, nebst düsteren Sinnens und zu feiner Jugendlust aufgelegt. –
Unter der eisernen Strenge der Lagerzucht des Kaisers, wo die geringste Übertretung der Gebote mit Geißelhieben auf den nackten Körper und schimpflicher Ausstellung selbst hier in Feindeslande bestraft wurde, war eine solche Zurückgezogenheit gut angewendet; zahlreiche geistliche Übungen verordneten die Priester, allein Georg hörte auch nicht allzuoft die Messe, oder beichtete. Er fand keinen unter allen diesen Frommen, dem er sein Herz ausschütten mochte bis auf den Grund, und so meinte man denn, er verhehle vielleicht ein geheimes Verbrechen, das seine Seele quäle und ihn ruhlos mache.
Auch auf dem Zuge nach Konstantinopel verlor sich seine Schwermuth nicht und als sie nun in der reichen, großen Stadt waren, konnten weder das Staunenswerthe und Neue, was er erblickte, weder der Glanz und die ausgesuchte Pracht des Kaiserlichen Hofes und der Großen, noch die Lockungen, welche vielgestaltig auf die blonden Söhne des Nordens gerichtet wurden, seinen Ernst umwandeln.
Georg hätte großes Glück und ein wonnevolles Leben hier finden können; denn eine griechische Dame von Rang und Vermögen nahm sich seiner an. Gar manche Deutsche fanden damals schöne Beschützerinnen, denn die hohen schlanken Gestalten waren von besonderem Reiz. – Aber Georg benutzte diese Gunst nicht, welche ihm das Schicksal bot. Er konnte sie nicht benutzen, denn je weiter er von Vaterlande zog, um so fester wurden die Ketten, welche ihn mit der Heimath verbanden. Einsam saß er und dachte zurück, heimlich seufzend und wehklagend, und stundenlang konnte er darüber nachsinnen, was dort geschehen sei und was er nicht wisse.
Plötzlich aber verwandelten sich die Feste und Ehren, mit welchen man die Gesandten des Kaisers überhäufte, in Gefangenschaft und Kerker. – Von neuer Furcht geplagt behandelte Isaak die Gäste als Kundschafter, und kaum gelang es Georg mit wenigen Andern zu entkommen. Durch mancherlei Gefahren schlüpfend erreichte er endlich nach acht schreckenvollen Tagen eine Streifpartei des Kreuzheeres und mit dieser das Lager.
Dies hatte der Kaiser in Philippopolis errichtet, es wohl befestigt und Handel und Wandel eingeführt, so daß Überfluß an allen Dingen war. Hier waren auch einzelne Schaaren von Rittern und Reisigen zu ihm gestoßen, welche den Weg zur See gemacht hatten und das Kreuzheer im Lande aufsuchten. – Als Georg mit den Reitern, die ihn gefunden, durch das Thor der Stadt ritt, erblickte er den Ritter von Wiesenbach, der nicht so bald ihn gewahr wurde, als er bleich vor Schrecken hinzukam und ihm abzusteigen winkte.
»Du kömmst allein,« sagte der Freiherr, »und die Andern sind todt?«
»Todt wohl nicht, edler Herr,« erwiederte Georg, »aber die Griechen halten sie gefangen auf Befehl des Kaisers Isaak Angelus. Mir gelang es, zu entkommen, nachdem Herr Markward mir eine Botschaft zugeflüstert, mit dem Befehl, mein Leben zu wagen, um sie dem Kaiser zu bringen.«
»Da kommst Du zur rechten Zeit,« sprach der Marshall, »folge mir.«
Und mit großen Schritten ging er voran, gerade auf des Kaisers Wohnung los, vor der viele Ritter und Rosse und Diener in mannigfacher Tracht standen. Auch Türken waren darunter, bepanzert auf der Brust, beturbant und mit krummen Schwertern und Bogen bewaffnet: ähnlich andern, die schmutziger als jene Kinder der Wüste in Schafpelzen und hohen Mützen aus den serbischen Wäldern gekommen waren. –
Wie das Alles zu deuten sei, wurde Georg aber wohl inne, als er, angelangt in dem großen Raume des Kaiserlichen Palastes, vor dem erhöhten golden Stuhle, auf welchem Friedrich saß, nicht allein griechische Abgeordnete erblickte, sondern auch Melech, den Schwiegersohn des Sultans Kilidge Arslan von Ikonium, an der Spitze einer glänzenden Ambassade und endlich den serbischen Fürsten Kolopetros.
Da sprach einer der Griechen eben mit lauter Stimme:
»Es wird dem heiligen Kaiser Isaak Angelus die sicherste Bürgschaft für die Reinheit Deiner Absichten geben, wenn Du Deinen Sohn, den Herzog Friedrich von Schwaben, mit sechs andern Häuptern des Heeres als Bürgschaft nach Konstantinopel sendest, und nur in diesem Falle will mein Herr, der Kaiser, Dir gestatten, Deinen Fuß nach Asien zu setzen.«
»Wirklich?« erwiederte Friedrich mit einem stolzen Lächeln, »will er es mir gestatten?
»In der Hoffnung,« setzte der zweite hinzu, »daß Du alsdann ihn als Deinen Oberherrn erkennen magst. Denn wohl wird es Deinem Feldherrnblick nicht entgangen sein, daß Du mit allen Pilgern ganz von Netzen umwickelt bist.«
Da hob der Kaiser sein Gesicht drohend auf und sah den Mann an, der dies gesprochen, daß er das Auge verlegen zu Boden schlug. –
»Durch Wahl der Fürsten und durch des Papstes Bestätigung,« sagte er, »bin ich Kaiser, nenne mich aber, meiner Sünden eingedenk, nicht einen Heiligen. Für jetzt hat Gottes Gnade uns die Regierung und Herrschaft auch im griechischen Reiche so weit gegeben, als wir deren zu unserem großen Zwecke bedürfen. Die Netze aber, mit denen Ihr prahlt, will ich zerreißen, als seien es Spinnweben.«
Die Heftigkeit seiner letzten Worte und die drohende Bewegung seines Armes brachte hier Bestürzung, dort Freude hervor. Nichts wäre den Kreuzfahrern willkommener gewesen, als ein Zug und Sturm auf Konstantinopel, eine Sättigung ihrer Rache gegen die treulosen, feigen Griechen.
»Geht,«. sprach Friedrich mit Hoheit,«geht hin und sagt es dem Kaiser der Griechen, daß ich keine Geißeln stellen werde, wohl aber von ihm solche verlange, als Bürgschaft unserer oft gestörten Sicherheit. Alles Übel und alles Unheil, was ihn und sein Land treffen wird, komme auf sein Haupt.«
Die Gesandten verbeugten sich und traten zurück, noch ehe sie aber sich entfernen konnten, hielt sie der Marschall Wiesenbach auf, indem er zugleich den Knappen Georg vorführte. –
»Halt, Ihr Herrn, sagte er, hier ist ein Fall, bei dem Eure Gegenwart nöthig sein kann. Dieser Gesell hier kommt so eben von Byzanz zurück, aus dem er kummervoll entrann. Mein Herr und Kaiser höre ihn an, es ist alles, was von Deiner Gesandtschaft übrig ist.«
»Was ist geschehen?« rief Friedrich entsetzt.
»Man hat Deine Gesandten gefangen und in Kerker geworfen.«
»Sprich Du,« sagte der Kaiser heftig, indem er auf Georg deutete. »Wer hat es gewagt, Hand an sie zu legen?«
»Auf Befehl des Isaak Angelus,« erwiederte dieser, »erschienen seine Hofwachen. Unsere Wohnung ward umringt und Alle in das Schloß der sieben Thürme geführt.«
»Meine Söhne! Meine Kinder!« rief Friedrich schmerzlich und drückte die Hand auf seine Stirn.
Dann zog er diese fort, sein flammendes Auge suchte die des bestürzten Gesandten. Ein Murmeln lief durch den Saal, zornige Worte ließen sich hören, Stimmen riefen, man müsse Rache nehmen an diesen hier, und manche Hand lag am Schwert. Es hätte eines Winkes bedurft und die zitternden Griechen wären in Stücke zerhauen. Aber der Kaiser hatte im nächsten Augenblick seinen Schmerz besiegt.
»Da sei Gott vor,« rief er laut, »daß ein Unschuldiger um den Schuldigen leiden soll. Geht frei von hinnen und sagt Eurem Herrn, er solle mir die Männer wiederschicken, welche auf Treue und Glauben zu ihm kamen. Für jedes Haar, welches auf ihrem Haupte gekrümmt wird, will ich Rache nehmen, daß man wehklagen soll, so lange die Welt steht.«
Als die Griechen sahen, daß ihnen nichts geschah, kehrte schnell ihr Übermuth zurück.
»Du siehst, hoher Herr,« sagte der Groß-Ducas, der an ihrer Spitze war, »wie Deine Weigerungen Unheil befördern. Nicht uns und unserm erhabnen Kaiser miß die Schuld bei, sondern Dir selbst. Mißtrauen ist gesäet zwischen uns, warum zögerst Du, ihn auszutilgen, indem Du Deine Huldigung verweigerst?«
»Höre mich an,« erwiederte der Kaiser, und er stand bei diesen Worten auf von seinem Stuhl und faßte sein Schwert mit beiden Händen. »Wenn Ihr mich zwingt, werde ich kommen. Ich werde in Konstantinopel einreiten, aber mein ganzes Heer mit mir. Das sage Deinem Herrn und nun schweige still und geh.«
Die Gesandten gingen, sie wußten, was aus des deutschen Kaisers Gesicht sprach. – Erst als sie hinaus waren, setzte sich dieser und sein Blick fiel auf Georg. Er ließ sich von ihm den Hergang erzählen, und endlich, daß Markward ihm eine Botschaft vertraut habe.
»Was ist es?« fragte er.
Der Knappe stockte.
»Das, Herr Kaiser, soll ich Euch allein vertrauen.«
»Sage es laut,« rief Friedrich, »was in dieser Angelegenheit gesprochen ist, mag ein Feder hören.«
»Herr Markward,« sprach Georg, »flüsterte mir zu: Sage dem Kaiser, Isaak Angelus Thron stehe auf wurmstichigen Beinen. Das Volk ist unzufrieden, die Großen meuterisch gesinnt, die Männer ohne Kraft und die Soldaten eine eine räuberische, feige Rotte. Konstantinopel gehört dem Kaiser, wenn er es will; es kann keinem entschlossenen Angriff widerstehn und Isaak's Reich hat ein Ende.«
Diese Botschaft wurde mit leisem Schweigen vernommen. Der Kaiser sah einen Augenblick vor sich hin, er bemerkte den Antheil und die Lust wohl, welche sie aufregte. Konstantinopels Schätze, die ungeheure Beute malten sich in diesem Augenblick Vielen sehr lebhaft.
»Treulos und feige sind alle Griechen,« rief Abel Melech, der Türke aus Ikonium. – »Warum, o Herr, willst Du es dulden, daß man Dich verspottet, Dich, den Mächtigen? Sprich ein Wort, und Kilidge Arslan vereinigt sich mit Dir. Türken und Deutsche, daß sind Männer, sie verdienen Freunde zu sein. Warum willst Du für diese elenden Griechen Dein Schwert ziehen?«
»Ich kämpfe nicht für sie,« sagte der Kaiser.
Da trat der Fürst von Serbien hervor. –
»Ich weiß es gewiß,« sagte er, »die Griechen haben den Plan gemacht, Dich und Dein Heer mit dem Mehl, das sie Euch liefern, zu vergiften. – Höre auf die Botschaft dieses Jünglings, den Gottes Schutz wunderbar begleitet hat, daß er Dein Heer glücklich erreichte. Und wenn es Dein Wille ist, großer Kaiser, wenn Du dem Reiche dieser elenden, feigen Griechen ein Ende machen willst, so sollen vierzigtausend Bulgaren Deine Fahnen verstärken. Ich selbst führe sie Dir zu.«
Aber der Kaiser schüttelte sein weißes Haupt.
»Bin ich hierher gekommen,« rief er schmerzlich aus, »um mein Schwert mit christlichem Blut zu röthen? Erst wenn kein Mittel hilft, will ich thun, was nicht zu ändern steht, denn ich habe hohe und heilige Pflichten zu erfüllen. Asien ist Ziel und mein Gedanke, erst aber will ich meine Gesandten haben. Sendet Isaak Angelus mir sie nicht, dann sage ich Euch, will ich sie holen, bis dahin habt Geduld.«
Er stieg von dem Fürstenstuhle nieder und Alles schwieg, es wagte keiner mehr seinem klaren Willen zu widerstreben. – Als der Kaiser den Saal verlassen hatte, waren aber viele voll Unwillen und zu heftigen Worten bereit. Man tadelte diese Ruhe, der Unmuth suchte seinen Ausweg und mancher stieß das Schwert auf den Boden, daß es klirrte.
Plötzlich hörte Georg hinter sich eine Stimme, die fest und deutlich sprach:
»Bei ihm ist die Weisheit, bei uns die Jugend, aber ich wollte, daß ich nicht gekommen wäre, denn sicher müssen wir nun hier noch lange Monate unthätig zubringen.«
Georg drehte sich um und prallte zurück. Hoch und schlank stand ein Ritter vor ihm, dessen gelbes Haar über die Schultern floß. Es war kein anderer, als der Freiherr von Eichstädt, und doch glaubte er einen Geist zu sehen. Im nächsten Augenblick meinte er im Irrthum zu sein, denn der adeliche Herr sah ihn ganz fremd und gleichgültig an und sprach dann mit seinen Nachbarn weiter von den Lagereignissen. Er kannte ihn nicht, und wie sollte das möglich sein, wenn es wirklich der Junker Franz war. –
Doch glich er ihm wie ein Zwillingsbruder, Ton und Ausdruck waren derselbe; auf seinem Schwertknopf war der gelbe Stein, den er gesehen, und an der Stirne über die Wange lief die Narbe nieder, welche er schon früher bemerkt. Ein schmerzliches Bangen, Freude und Wehmuth lief durch George Herz! O! wie gern hätte et des Ritters Hand gefaßt, wie gern von alten Tagen gesprochen und ihn erinnert, daß er ihm Freundschaft zugeschworen. Er hätte um jeden Preis etwas von Siegelind und von der Heimath zu vernehmen gesucht und doch fürchtete er sich eine Frage zu thun, denn des Freiherrn Blick war kalt wie Eis! Er glitt an ihm nieder wie ein schneidender Stahl; ein Schauder faßte ihn, er wußte nicht weshalb.
Langsam zog er sich an die Thür zurück, dort blieb er stehen. Es währte nicht lange, bis der kam, den er suchte, doch ging er mit Nachbarn an ihm vorüber, ohne ihn zu beachten. –
Abend war es geworden und die Nacht sank auf die Gassen von Philippopolis. Die Stadt war von den meisten Einwohnern verlassen, statt ihrer lagen die Häuser voll Soldaten, denn das Wetter war kalt, ein Regenguß folgte dem andern, der Sturm heulte durch die Bäume. –
Endlich trennte sich der Junker von seinen Begleitern. Raschen Schrittes ging er durch das Quartier bis auf den großen Platz des Bazars. Georg folgte ihm, ohne den Muth zu haben ihn anzureden. Plötzlich, aber blieb der Ritter stehen und indem er sich umwendete, sprach er mit der starren Ruhe, die ihm eigen war: »Warum folgst Du mir, Gesell?«
»Ihr scheint mich nicht zu kennen, Herr,« erwiederte Georg; »doch ist es kaum möglich. Ihr müßt es sein, Junker Franz, und sollten sechs Monate hingereicht haben mich so zu verändern, daß ich ganz aus Eurem Gedächtniß bin?«
»Höre,« versetzte der Herr von Eichstädt, »merke Dir das. Ich habe ein Gedächtniß bekommen, wie wenige Menschen. Geh Du dort hinaus und hüte Dich vor meiner Nähe. Ich habe nichts mit Dir zu schaffen, Bube, außer« – hier machte er eine plötzliche drohende Bewegung, dann fuhr er fort: »Ich bin der Freiherr Eichstädt, darin irrst Du nicht, Du aber bist mir fremd, fort also mit Dir! Wage es nicht noch ein Mal mich anzusprechen.«
So ging er davon und erstarrt von seiner verächtlichen, zornigen Rede blieb Georg zurück. – Was hatte er ihm gethan? Sein Herz schlug laut, aber er konnte nicht denken, was es sein mochte. –
»Heilige Gottesmutter!« rief er, »daß ich den Schimpf dulden muß! Aber was ist daheim geschehen, daß dieser stolze Freiherr Haus und Weib verlassen hat, um zum heiligen Grab zu pilgern?«
Er konnte es nicht ergründen, und je mehr er sann, je mehr verwirrten sich seine Gedanken. Endlich fiel es ihm ein, Siegelind sei todt und habe in ihrer letzten Stunde die Verirrungen ihres Herzens bekannt. – Das mußte es sein, was den Junker fortgetrieben, das allein erklärte seinen Haß. –
Kummervoll und voll tiefen Wehs lief Georg in seine Herberge, und seine Thränen flossen heiß auf das heilige Pfand einer Liebe, die er in ihrer Hoffnungslosigkeit um so reiner und tiefer empfand.
Je mehr er sann, um so gewisser wurde es ihm, daß Siegelind nicht mehr unter den Lebendigen weile, und als sie in seinen Träumen ihm weiß und bleich erschien, die Arme um ihn schlang, ihn anlächelte, küßte und verschwand, da war es ihm gewiß und er hoffte nichts mehr; aber seine Sehnsucht und Liebe fesselten sich an eine himmlische Zukunft.
Der Winter verging dem christlichen Heere unter mancherlei Beschwerde. Streifzüge und Kriegsthaten unterbrachen oft die Lagerruhe, und Georg hatte mehr als eine Gelegenheit sich unter den Tapfern hervorzuthun. Das that er auch, doch sein Ehrgeiz war ohne Sporn. Er stürzte sich in den Kampf, wie Einer, der nichts zu hoffen hat, dennoch kam er stets glücklich davon, und kaum ein Mal erhielt er eine leichte Schramme. Öfter aber errang er Lob. Der Ritter von Wiesenbach war ihm stets freundlicher, und der Kaiser bemerkte ihn in den Schaaren; sein Auge wußte die Tüchtigkeit überall zu erkennen. –
Endlich war Isaak Angelus mürbe gemacht von den Niederlagen seiner streifenden Schaaren und der Noth des Landes. Er ließ die Gesandten los, stellte Bürgschaft, beschwor in der Sophienkirche den Frieden, verlobte seine Tochter mit dem Herzog Philipp, des Kaisers Sohn, und befahl das Kreuzheer nach Asien überzusetzen, – Sechs Tage dauerte der Zug über das Wasser und Friedrich war der letzte. Inbrünstig warf er sich drüben aufs Knie und dankte Gott, daß Alles wohl geleitet, dann zog er unter der großen Fahne des Kreuzes und des heiligen Michael ins Land des Sultans von Ikonium, dessen Gesandten mit verstellter List ihn freundlich willkommen hießen.
Anfangs ging es auch gut und besser als im Lande der Griechen. Die Thore Laodiceas thaten sich gastlich den Pilgern auf, der Sultan ließ reichlich für Lebensmittel sorgen, es herrschte Überfluß und Wohlleben. Bald aber änderte sich diese Scene. Treulose Wegweiser führten das Heer irre und tief in die Salzwüsten hinein, wo Menschen und Thiere verdursteten. Wenn dann die Christen ihr Lager aufschlugen, erschöpft von fürchterlicher Hitze und gequält vom Mangel, jagten plötzlich Heerden wilder Turkomannen aus den Verstecken; Reiterschaaren fielen auf den Nachtrab; Wolken von Pfeilen verwundeten und tödteten die Christen, und diese hatten selten den Trost, durch ihre Tapferkeit sich Ruhe zu schaffen, denn diese Feinde hielten nirgends Stand. Sie flohen und verschwanden eben so schnell, wie sie gekommen. Ihre Pferde waren wie der Staub der Wüste leicht; die Streitrosse der deutschen Ritter vermochten nichts dagegen.
Vergebens schickte der Kaiser Boten an den Sultan, welche harte Klagen führten. Kilidge Arslan entschuldigte sich, daß es nicht in seiner Macht sei, diese wilden zuchtlosen Horden zu bestrafen, aber bald deckte sich seine Verrätherei auf. Denn einst als der Abend schon hereinbrach und das müde Heer langsam sich fortwälzend durch Steppen und Bergschlünde eine Lagerstätte suchte, erschienen plötzlich vor ihm zahllose Haufen von Türken, welche alle Hügel und Höhen besetzt hielten. –
Es war der Sultan selbst, der an der Spitze seiner ganzen Macht die Vernichtung der Kreuzfahrer an der Zeit hielt; und dies dünkte ihm nicht schwer. – Der größte Theil der Ritter hatte keine Pferde; sie waren umgekommen. Hunger und Durst hatten die Kräfte der meisten Streiter Christi herabgebracht; unter ihren Rüstungen keuchten sie daher. Was schien leichter, als diesen verwirrten, entmuthigten Schwarm todtzuschlagen?! – Von allen Seiten wurde er eingeschlossen, und Melech, des Sultans Schwiegersohn, schickte eine übermüthige Botschaft: wenn für jeden Christen ein Goldstück bezahlt werde, sollten sie Brod und Wasser bekommen; wo nicht, möchten sie sich zum Tode bereiten.
Dazu auch bereiteten sie sich; aber Friedrich stählte ihren Muth, und als der Morgen anbrach, hörte man den deutschen Schlachtgesang so voll und stark durch die Luft klingen, daß den Heiden davor ergraute. – Es kam ein Mann zum Sultan, so erzählt die Geschichte, der brachte ihm einen abgehauenen Arm.
»Sieh hier, Herr,« sagte er, »so müde und matt die Pilger sind, so hat doch einer von ihnen diesen Arm und die starken Eisenschienen, welche ihn schützten, mit einem Schwertschlag abgehauen. Laß uns nicht mit Kriegern streiten, welche das vermögen, vielmehr laß uns warten, bis sie ganz erschöpft sind.« –
Aber Melech und viele vertrauten ihrer großen Zahl, die wenigstens dreihunderttausend betrug.
Am Mittage senkten sich die Schaaren der Türken von den Bergen nieder. So weit das Auge reichte, waren die Gefilde mit ihnen bedeckt, und wohl mochte das kühnste Herz erzittern, wenn es diese unzähligen Schwärme und die matten, kranken Christen bedachte. Friedrich hatte alle Ritter um sich gesammelt, welche keine Rosse hatten, eine fürchterliche Phalanx der tapfersten und besten. Er deutete auf die schnellen Reiter und sprach:
»Euch fehlen Pferde, die dort bringen Euch welche. Aus dieser Noth rettet uns nur Tapferkeit. Der Tapfere allein darf auf Rettung hoffen; wer die Gefahr flieht, wird darin umkommen.«
Da hob der Bischof von Würzburg das heilige Kreuz empor und rief mit begeisterter Stimme:
»Seid muthig und getrost, liebe Brüder, Gott und sein Sohn streiten mit Euch; Jesus! Jesus! ergreife Deine Fahne. Denkt an das trostvolle Beispiel der heiligen Märtyrer, so wird Gottes Geist und Hülfe Euch nahe sein, er wird Euch erretten, hilf Du gnadenreiche Jungfrau und bitte für uns!«
Im Augenblick klangen die Trompeten, und mit dem Rufe: »Jesus! Jesus!« drang das ganze Heer den anstürmenden Türken entgegen, durchbrach ihre Ordnung, warf sich wuthentbrannt auf die Leibwachen des Sultans, mordete was ihm zu widerstehen wagte, und in wenigen Stunden war ein großer Sieg erfochten. Zehntausend Türken bedeckten den Boden, weit mehre noch flohen wund und wurden gefangen und einzeln erschlagen. Das Schwert der Christen war unwiderstehlich an diesem ruhmvollen Tage, doch der Ruhm machte nicht satt und löschte den Durst auch nicht.
Auch Georg hatte heldenmüthig gefochten. Das Roß, welches ihm einst der Kaiser schenkte, war von so dauerhafter Art, daß es nicht wie viele andere den Drangsalen erlegen war. Er sprengte über das Leichenfeld mit Wenigen den Feinden nach, bis zu einem Platze, wo ein deutscher Krieger am Boden liegend sich gegen mehrere Türken vertheidigte. Knieend hatte er einen so fürchterlichen Hieb gegen einen derselben geführt, daß, wie die Chronik meldet, dieser davon mitten zerspalten wurde. Dann sank er sterbend zurück, eben als Georg zu seiner Hülfe herbeikam, und die Türken flohen.
Voll Bewunderung über diese Kraft und Tapferkeit des christlichen Ritters sprang der junge Kriegsmann zu ihm hin und bemühte sich den schweren Helm von seinem Haupte zu lösen; doch als es gelungen war, wandte er sich schmerzlich ergriffen ab, denn vor ihm lag der Junker von Eichstädt. –
Er hatte ihn wohl öfter gesehen, aber immer war des Ritters Auge streng und zornig, ja, wie auch Georg den Stolz bezwang, der sich in ihm regte, und wieder bittend ihn anblickte, der Junker bemerkte ihn nicht, ganz fremd und ruhig schritt er an ihm hin. –
Und noch heut in der Morgenfrühe hatte Georg ihn erblickt, als er mitten im Kampfgewühle an des Kaisers Seite in den Streit sprang. Friedrich, der Hohenstaufe, führte den Kern seiner Ritterschaar selbst in den Feind, und der greise jugendliche Held schwang sein Schwert, als sei er ein gewöhnlicher Reitersmann. Die Leibwachen des Sultans umringten den Christenhaufen, man hörte nichts als den furchtbaren Klang des Stahls und der Streitaxt, aber des Kaisers Heldenmuth floß in alle seine Krieger über, und die Berichte dieser Schlacht sind angefüllt mit wunderbaren Thaten. –
Hoch vor allen preisen sie jedoch den Ritter Franz von Eichstädt, dessen unnahbarer Arm die Feinde in so dichten Haufen niederschlug, daß der Kaiser selbst sein Lob und seinen Ruhm laut verkündete. –
Und hier lag nun diese Blume deutscher Ritterschaft, wie Friedrich ihn genannt hatte, bleich, blutig, Pfeile in seinem Harnisch, Wunden überall, aus denen der rothe Quell seines Lebens floß. –
Georg riß seine Feldbinde ab und suchte ihm zu helfen. Die Wüste lag sengend heiß und weit, kein Baum, kein Trunk war da; Sturmstöße wirbelten den Sand in Wolken auf und begruben Sterbende und Todte. Dazu schwärmten die Reiter des Sultans in der Ferne, und die Christen, müde von der blutigen Arbeit, außer Stand ihren Sieg zu verfolgen, zogen sich in ihr Lager zurück, der Verzweiflung näher als je.
Die Abendsonne brach roth durch das Staub- und Wüstenmeer, da schlug der Junker sein Auge auf. Seine Stirn faltete sich in Zorn, ein wilder Blick traf den geschäftigen Knappen.
»Was thust Du hier?« sagte er mit matter aber fester Stimme.
»Ich habe Eure schwersten Wunden glücklich verstopft,« erwiederte Georg. »Euer Blut fließt nicht mehr.«
»Verlaß mich,« fuhr der Ritter fort, »Dein Anblick schmerzt mehr als alle Pfeile der Heiden. Du hast mir eine so tiefe Wunde geschlagen, daß nichts in der Welt sie verstopfen kann.«
»Um Gott! edler Herr,« rief der junge Dienstmann des Kaisers, »denkt doch jetzt nur an Euch. Rafft Eure Stärke zusammen, daß ich Euch erheben kann. Dann besteigt mein Pferd uns sucht das Lager zu erreichen.«
Er wollte ihn aufheben und einen Augenblick schien es, als sollte, es gelingen. Der Junker bemühte sich mit aller Anstrengung, aber er sank zurück, wie ein Todter. – Als Georg nun von Neuem ihn aufhob, ward sein strenges Auge milder. –
»Laß mich los,« – flüsterte er; »es ist vergebens, mein Tagewerk ist vollbracht.«
Georg lehnte ihn an die Körper derer, die er erschlagen; er gab ihm sein Schwert in die Hände, daß er das Kreuz desselben betend fassen konnte, dann suchte er nach einer Erquickung umher, und zufällig fand er im Kleide eines der todten Türken ein paar Datteln, deren Saft er auf die vertrockneten Lippen des Junkers drückte.
»Habe Dank,« sprach dieser, »und flieh.«
»Ich will bei Euch ausharren, Herr,« sagte Georg, »ich will Euch beschützen in der letzten Stunde.«
»Siehst Du dort die streifenden Turkomannen?« sprach der Ritter. »Verweile nicht länger, und kömmst Du zurück – versprich mir –«
»Was soll ich für Euch thun? sprecht;« rief Georg ängstlich, »was es auch sei, ich will es erfüllen.«
»Bringe Siegelind meinen Gruß. -
»Sie lebt?« rief der Knappe.
»Sie lebt und erwartet sehnsüchtig Botschaft.«
»Von Euch? O! Herr des Himmels! was soll ich Eurer edlen Gattin sagen?«
»Nicht meiner Gattin,« rief der Junker heftig, und ein schmerzliches Zucken lief über sein Gesicht. – »Sie liebte Dich, ich hatte es erlauscht, da verließ ich sie, aber meine Liebe blieb im Herzen zurück, das durchbohrt, wie es ist, sie doch noch festhält. – So bringe ihr meinen legten Seufzer. O Siegelind!«
Er fiel zurück in den Arm des weinenden Knappen und war todt. Aber im nächsten Augenblick sprang dieser auf, denn fünf Turkomannen fielen auf ihn mit Speeren und Schwertern. Er schwang den Streitkolben und vertheidigte sein Leben. Sein Arm war stark, neuer Lebensmuth floß in seinen Adern; doch sein Roß entfloh, als er in den Sattel springen wollte; eine Schlinge riß ihn zu Boden, ein Hieb betäubte ihn, ein anderer spaltete seine Schulter. Da stieg einer der Turkomannen ab, zog sein Messer aus der Scheide, warf die Sturmhaube von des Überwundenen Kopf, faßte dessen langes Haar – und ließ den geschwungenen Stahl sinken, denn eben schlug Georg die Augen auf. Der mörderische Wilde besann sich eines andern.
»Besser einen Sclaven mitnehmen, als einen Todten hierlassen,« rief er, und nach wenigen Minuten war der Gefangene auf ein Pferd gesetzt, seine Füße gebunden, seine Hände ins Kreuz zusammengeschnürt. – Über die fortjagenden Reiter wirbelte der Wüstenstaub zusammen.
Zwei ganze Tage ging der Zug durch das versengte, öde Land. Nur zuweilen öffneten sich kleine liebliche Thäler, versteckt zwischen den nackten Felsenhügeln. Dort rasteten die Turkomannen, dort flossen Quellen, dort standen Dattelpalmen, und die Männer lagen im kühlen Baumschatten. Der Leiden ihres Gefangenen achteten sie nicht. Seine Arme wurden nicht von den Banden befreit, seine Wunden blieben unverbunden, kaum erlaubte man ihm zu dem Quell sich niederzubeugen und zu trinken.
George starker Körper war dem Tode nahegebracht; unerträgliche Schmerzen peinigten ihn, er flehte laut um den Gnadenstoß; aber die Räuber verlachten ihn. Bald warf und band man ihn von Neuem auf ein Roß, und immer tiefer zog die Schaar in das Gebirgsland des Taurus.
Das Heer des Sultans hatte sich aufgelöst zum Theil, denn viele der tapferen Hirten, aus denen es bestand, kehrten in ihre Thäler zurück. Sie hatten dem Kriegsruf ihres Oberherrn Genüge gethan, jetzt zogen sie mit Beute und Sclaven, aber auch müde, wund und in geschwächter Zahl nach Haus, und scheuen Blicks erzählten sie sich von der fürchterlichen Stärke der fremden Krieger. Sie haßten diese, aber sie achteten sie doch, und Georg selbst war wenigstens von Zeit zu Zeit der Gegenstand ihrer Sorge, denn wenn man durch die Zeltlager der Stämme ritt, schützten sie ihn vor Mißhandlungen der Weiber und Kinder, und sprachen:
»Dieser hat wie ein tapferer Mann gestritten, er ist unser Sclave, ihr sollt ihn nicht peinigen.«
Und als der zweite Tag sich zum Abend neigte, lag ein schönes grünes Thal vor den Wüstenkindern. – Senkrecht steil stieg eine Bergwand auf; einer Warte gleich sprang ein Feld an der Spitze hervor, unter welchem eine lange Reihe spitzer Zelte standen. – Da wuchsen auch Palmen und schattiges Gebüsch, ein Wald von Lorbeer und Jasmin umwucherte den harten Stein, glänzende Wiesenstriche zogen zwischen den Bergen hin.
Als die Reiter nahe waren, warfen sie die Spitzen ihrer Mäntel über Kopf und Gesicht, senkten ihre Lanzen und ritten schweigend in ihr Dorf. Aus der ersten Hütte sprang ein Weib ihnen entgegen, und als sie den Zug sah und überzählte, stieß sie ein gellendes Klagegeheul aus. –
Wie nun der Schrei eines wilden Thieres plötzlich den ganzen Wald lebendig macht, und aus jedem Dickicht eine schreckliche Stimme antwortet, so war es auch hier. – Das Geheul wälzte sich von Hütte zu Hütte, Kinder, Greise und Weiber sprangen daraus hervor. Sie weinten, rangen die Hände und verfluchten die, welche ihre besten Männer und Väter erschlagen hatten. –
Mitten in dem Dorfe war ein großer runder Platz, dort stand die Hütte des Oberhauptes der Horde; aber Niemand trat daraus hervor, als ein Mädchen, das mit einem Schrei des Entsetzens die Hände vor ihre Stirn schlug, als der Zug an ihrer Schwelle hielt.
»Wo ist Abdul Kebir, mein Vater?« rief sie dann mit wilder Heftigkeit. »Wo habt Ihr Euren Schach gelassen?«
Der Anführer der Reiter neigte sich tief und sprach:
»Gott ist groß und Mohamed ist sein Prophet! Dein Vater, o Gülhana, ist eingegangen in das Paradies, empfangen von den schönsten der Houris, und begleitet von vielen seiner Waffenbrüder. – Schrecklich sind die Männer, welche in unser Land gekommen sind, Niemand kann ihnen widerstehen. Dein Vater ist vor ihnen todt in den Staub gesunken, das ganze Heer des Sultans zerstäubte wie die Asche des Heerdes. Einen der Franken bringen wir Dir zur Sühne. Mache mit ihm, was Dir gefällt. Laß ihn sterben oder leben, er ist Dein Sclave, und soll erdulden, was Du befiehlst.«
Die Tochter des Häuptlings warf einen rachedurstigen Blick auf den Gefangenen, der bleich und zum Tode matt sie furchtlos anschaute. – Das Volk umher schrie auf vor Wuth, die Weiber stürzten zwischen die Pferde der Reiter. Sie wollten den verhaßten Fremdling herabreißen, zerfleischen und steinigen. Und dieser regte sich nicht; kein Laut kam über seine Lippen, kein Flehen, keine Todesfurcht in sein Auge. Wie ein geduldiges Schlachtopfer erwartete er den Augenblick, der ihn vernichten würde.
Sei es nun, daß diese Kühnheit und gänzliche Erschöpfung, daß das schmerzliche Lächeln auf seinen Lippen, oder daß seine edle junge Gestalt das Mitleid in Gülhanas Herz erwachen ließ; gewiß ist, daß sie den Reitern zurief:
»Ich nehme diesen Sclaven von Euch an, kein Leid soll ihm geschehen, bis ich es befehle.« –
Da wurden die wüthenden Weiber zurückgescheucht, und zwei der Krieger hoben Georg vom Pferde, lösten seine Bande und legten ihn auf den Boden nieder, wo ihn plötzlich die Sinne verließen. – Noch zuletzt glaubte er zwei schwarze brennende Augen zu erblicken und eine Hand aus weißen Schleiern gehoben, die sich drohend nach ihm ausstreckte.
Als er aus seiner Betäubung erwachte, befand er sich in einem Zelte auf einem Heulager ausgestreckt. Sein Brustpanzer, seine Stahlhaube und alle seine Kleider lagert in einem fernen Winkel. Ein Mann war geschäftig sein Haar zu scheeren, ein anderer verband seine tiefe Armwunde und träufelte den Saft von Kräutern hinein, welche er zwischen seinen Fingern zerquetschte. – Man behandelte ihn mitleidig, hüllte ihn in Decken und bedeutete ihn zu ruhen und zu schlafen; doch das Fieber, das ihn ergriffen, ließ es nicht zu. –
Zuweilen richtete er sich auf, und dann glaubte er das Wiehern und Stampfen von Pferden zu hören; zuweilen vernahm er die Stimme des Kaisers, die Stimme seiner Freunde, das Klirren der Waffen, das Kampfgewühl der Schlacht. Er sah den Junker Franz auf seinem schwarzen Rosse heransprengen und schrie laut um Hülfe; wenn er jedoch sich aufraffen wollte, stieß ihn eine schwarze Hand zurück, und wenn er die Augen in entsetzlicher Angst aufschlug, erblickte er ein schreckliches Gesicht, daß ihn angrinste, wie ein Teufel.
Wie lange er so gelegen, wußte er nicht; endlich aber kamen mildere Gestalten. Tröstend legte sich eine weiche kleine Hand auf seine fieberheiße Stirn, seine Lippen flüsterten: Siegelind! ein Lächeln entstand auf seinen Lippen. Er erinnerte sich deutlich, was Franz ihm sterbend anvertraut, daß sie lebe, daß sie frei sei und ihn liebe, und nun sah er sie, wie sie still und bleich auf dem alten Söller am Strome saß, wie ihre langen blonden Locken im Mondschein spielten, der über den Wassern glänzte, wie ihre feuchten großen Augen in den unermeßlichen Sternenhimmel blickten und ihn dort suchten.
Und plötzlich sah er sich selbst, jung, schön und stark, heimlich durch die flüsternden Ranken schleichen. Er sah, wie er zu ihr sprang, zu ihren Füßen ihre Hand ergriff, und er hörte den Schrei der Wonne des unermeßlichen Glücks, der keinen Raum in seiner Brust fand. – So trösten die guten Engel den Sterblichen zuweilen, führen ihm als Schatten die zu, welche er ewig missen muß, und stillen seine Schmerzen durch süße Träume.
Mit irren Händen faßte der Kranke durch die Luft umher. Er faßte auf seine Stirn, ergriff ein Etwas, daß die magische Gewalt auf ihn geübt, und an das er sich nun mit ängstlichem Entzücken klammerte. Noch immer sah er die edle schöne Geliebte, noch immer das Schloß am Havelstrande, die Thürme mit dem heiligen Kreuz der Christen, die wohlbekannten hohen kühnen Mauern, da plötzlich schlug er die Augen auf und er schloß sie schaudernd wieder. –
Dieselben großen brennenden Sterne hefteten sich auf ihn, die er gesehen, als man ihn unter den Baum verschmachtend niederlegte; dieselbe Hand aus weißen Gewändern, welche ihm gedroht, er hielt sie in den seinen. Da kam ihm das Verständniß. Er erwachte, er erkannte und begriff sein Schicksal, er sah das Filzzelt, das Heulager, er hörte das Schnauben der Kameele, hörte fremde wilde Stimmen, und mit einem Seufzer, mit der schrecklichen Empfindung, der Sclave einer Türkenhorde zu sein, begann er sein Erwachen zum Leben.
Nun legte sich die weiche Hand von Neuem auf seine Stirn, und ein wohlthätiger Stern von Hoffnung floß durch ihn hin. – Er sah empor und erblickte eine halbverhüllte weibliche Gestalt. Sie saß an seinem Lager so still und unbeweglich, daß er lange glaubte, er träumte von Neuem. Doch nun beugte sie sich und flüsterte leise Worte, die er nicht verstand. –
Der Wind warf die Decke an der Thür zurück, und auf eine Minute fiel heller Sonnenschein in das Zelt. Da erkannte er Gülhana, seine Herrin. Weiße Tücher lagen um ihre Stirn, aber langes, glänzend schwarzes Haar fiel wellig reich an beiden Seiten daraus hervor. Weiße Tücher umhüllten auch den Hals, und zwischen diesen leuchtenden Linien erblickte Georg einen jener scharfgeschnittenen kühnen, schmalen Köpfe, wie die Frauen dieses südlichen Himmels ihn besitzen, wenn sie schön genannt werden. Augen, welche der Liebende mit den funkelnden Sternen der Nacht vergleicht, große hochgewölbte Brauen darüber, die dem Regenbogen gleichen, eine Nase edel gebogen, ein Mund gleich der Mandelblüthe, klein, zart und sanft geschwellt. Rechnet man dazu, daß Gülhana ihre Nägel und Zähne gelb gefärbt hatte, daß ihre Haut leicht gebräunt und wie Sammet weich, daß sie kalt und frisch war wie ein Quell, der tief aus Felsenlagern springt, so wird man nicht zweifeln, daß sie unter den Schönen die Schönste, unter den Blumen der Wüste die herrlichste und gerühmteste war.
Forschend blickte sie den Fremdling an und ein leises Lächeln bewegte ihr Gesicht, als sie seine Bestürzung bemerkte. Sie mochte es als Beweis scheuer Ehrfurcht betrachten, daß sie, die Herrin, hier am Lager des kranken Sclaven verweile, und sie suchte ihn zu beruhigen. Leise hob sie die Hand von seiner Stirn, berührte die ihre und machte das Zeichen des Grußes des Salams, der Georg nicht unbekannt war. Dann flüsterte sie einige leise Worte, deren Ton man es anhören konnte, daß er sie So die Vorlage. Auch wenn »er« auf »Ton« Bezug hat, müsste es doch »ihn« statt »sie« heißen. frage, wie er sich befände?
Statt der Antwort nahm der wunde Mann dankend ihre Hand und berührte sie mit seinen Lippen. – Das war eine Huldigung, welche alle Frauen verstehen, die Wilde in der Wüste und die Königin des meist gesitteten Volks.
Sie zog die Hand lächelnd zurück und beugte sich tiefer zu ihm nieder, ihre dunklen Augen blickten ihn forschend, aber freundlich an. Sie zeigte ihm vier ihrer Finger, und er verstand aus ihrer Pantomime, daß er vier Tage bewußtlos in Fieberhitze zugebracht, dann goß sie aus einem Kruge kühlenden, süßen Saft in eine Schale und reichte ihm diese, daß er trinke.
Der stumme Dank des Gefangenen schien Gülhana zu gefallen. Sie sprach ihm Muth und Trost ein, das begriff er, denn ihre Stimme ward lauter und bestimmter; er glaubte ihre Worte verstehen zu können. –
»Fürchte Dich nicht, Fremdling,« sagte sie, »Gülhana wird Dich beschützen. Ich hasse Dich nicht, Du hast mir den Vater nicht getödtet; das thaten Deine Brüder wohl, aber in der Schlacht fließt das Blut dessen, der besiegt wird. – Ruhe hier aus und werde gesund. Niemand soll Dich kränken, und Niemand wird es thun, denn Du hast nun Obdach in unseren Hütten gefunden. Gülhana wird Dich pflegen lassen, und wenn Du Dein Haupt erheben kannst, wie die junge Palme, wenn Du hinausgehen wirst in den Sonnenglanz, im Schatten der Feigen zu sitzen und in der Kühlung des Quelle, dann wird Allah Dich heilen. Gott ist groß und gütig, und Du bist jung und schön. Lebe wohl, ich werde wiederkommen.«
Sie ging, doch von diesem Tage an kam sie und saß an seinem Lager. Es war zur Stunde, wo die Männer geschäftig bei der Arbeit im Felde, und die Weiber im Hause walteten. Gülhana kam unbemerkt und entfernte sich, das bemerkte der Gefangene wohl, aber sie blieb bis sie die Stimme der wiederkehrenden Hirten hörte.
Sonst war sein Pfleger ein alter schwarzbrauner Mann, dessen häßliches Gesicht Georg in seinen Träumen geschreckt hatte. – Er war schweigsam und verdrossen. Ein falscher Blick des Hasses lag in seinem Auge, er haßte den, den er pflegen mußte, und er that es unter Verwünschungen, die Georg nicht verstand.
Mit Gülhana konnte er reden; sie lehrte ihm das. Sie nannte ihm die Namen vieler Gegenstände, und fragte ihn wie sie in der Frankensprache hießen; sie setzte die Worte zu Sätzen zusammen, und wo die Worte fehlten, traten Zeichen ein. Bald verstand er den Sinn ihres Geflüsters, bald sie seine abgebrochenen Laute, aber oft schwiegen beide, ihre Augen begegneten sich, ihre Hände ruhten zusammen. Der schöne, junge athmende Körper des Mädchen lehnte sich zuweilen in süßem Vergessen über ihren Sclaven.
Einst aber trat mitten in solchem Beginnen der alte Nadir herein, und heftig erschreckt zog sich Gülhana augenblicklich zurück.
»Ich beobachtete diesen Frankensclaven,« sagte sie, »und glaube er hat die Absicht, so lange als möglich hier faul zu liegen und sich ernähren zu lassen.«
»Ich werde ihn mit der Peitsche auftreiben,« erwiederte der Nadir.
»Das sollst Du nicht,« versetzte Gülhana. »Er ist noch matt von seinen Wunden.«
»Nimm Deinen Schuh und schlage ihn ins Gesicht, Du wirst sehen, er ist gut auf den Beinen.«
»Elender Knecht,« rief Gülhana, und sie nahm in der That ihren Schuh und schlug nach Nadir, »wage es nicht Deine Hand an ihn zu legen. Morgen führe ihn hinaus, laß ihn unter den Bäumen sitzen, und wenn er stark genug ist, soll er die Kamele am Brunnen tränken.«
Der alte Diener verbarg seine Wuth. Alles, was er that, um sie zu stillen, war, daß er dem Franken einen zufälligen Fußtritt gab, und ihn unsanft aufrüttelte, als er am nächsten Tage seiner Herrin Befehle erfüllte. – Er brachte ihm einen Schurz, eine Wolldecke und ein braunes Tuch um den Kopf zu binden, dann öffnete er das Zelt und führte ihn zu den Baumhecken an der Bergwand, wo im tief ausgehauenen Brunnen ein Quell Menschen und Heerden Wasser bot.
Dort saß der Verlassene, und um ihn grünte die Oase in wundersamer Herrlichkeit. – Ein leiser Wind zog über Blüthen und Blumen, und trieb den Duft in die fern nebelnde Wüste, in den grauen durchglühten Horizont, welcher auf ihr niederhing mit der Unermeßlichkeit des Oceans. Vor ihm thürmten sich die Gebirgszüge des Taurus auf. Fernsichten öffneten sich zwischen waldigen und dunklen Schluchten und steile nackte Hügel zogen zu den Hauptketten empor, welche kühn ihre Häupter in die Wolken streckten. –
Hier war ein Scheidepunkt zwischen Sandwüste und wilder Felsformation, darum hatte die Natur dies kleine Thal so verschwenderisch aufgeputzt. Sie wollte offenbaren, daß ihre Lebenskraft unerschöpflich sei auch mitten in dem ewig unfruchtbaren Reiche der bösen Mächte.
Und Gülhana hatte Recht. Im Schatten des Lorbeers, unter den Düften der Tamarinden und Jasmin legte sich Allahs Hand heilend auf Georgs Herz. Das Leben quoll in seinen Adern, ihre Pulse schlugen rascher, die Hoffnung zog leise in seine Brust. Er konnte weinen und beten, doch als er die Männer auf den Feldern niederknien sah, ihr Haupt nach Osten gerichtet, wandte er sich abendwärts und streckte flehend seine Hände aus, denn dort lag ja Deutschland, dorthin ging seine Sehnsucht. –
Drei Tage saß er am Borne, wo das Gestein eine kühle Grotte bildete, und wie viele Zeit blieb ihm an Alles zu denken, was er verloren?! Je mehr seine Kräfte wiederkehrten, um so heißer und heftiger wurde sein Verlangen, und um so inniger hing sich sein Herz an seine Wünsche. –
Er dachte immer wieder an den Junker Franz, und unzählige Male hörte er dessen Worte; da faßte er nach dem kleinen Kreuz auf seiner Brust, aber ach! er hatte es nicht mehr. – Wohin war es gerathen? Wer hatte es ihm genommen? Er wußte es nicht. – Er hatte es vor der räuberischen Gier der Turkomannen glücklich bewahrt, und glaubte es noch in seinen Fieberträumen gefaßt zu haben. Seit jener Zeit hatte er nicht mehr daran gedacht. Warum nicht?
Da fiel ihm Gülhana ein, und seine Fantasie beschäftigte sich mit ihr. Das kleine, dunkeläugige Mädchen stand vor ihm, er fühlte den Druck ihrer langen schmalen Finger, und er schloß die Augen und träumte weiter vom Leben in den Zelten und in der Wüste, von den schnellen Reitern, die durch das Sandmeer jagen, von der träumerischen Ruhe der Polster in heißer Mittagsgluth, von Kamelen mit Baldachinen, wo die Frauen sitzen, vom Fächeln der Palmen und dem balsamischen Wehen der Abendluft.
Endlich wurde er durch das wilde Geschrei der Hirten aufgeweckt, welche die Thiere zum Brunnen brachten. Er stand auf, stieg die Stufen zum Wasserbehälter nieder, und half die Eimer heraufheben in die Tröge, aus denen die Heerde getränkt wurde. – Die Turkomannen unterhielten sich über ihn in verschiedener Weise. Manche lobten seinen Körperbau, seine weiße Haut, oder die Muskeln seiner Arme, die meisten aber blickten finster auf den Christensclaven, den sie haßten und verspotteten; ja Einer unter ihnen, ein großer, wildblickender Mann, der im meisten Ansehn zu stehen schien, spie ihn an und drohte ihm heftig, weil er nicht schnell genug das Wasser brachte.
Nadir führte ihn in das Zelt zurück, dort blieb er vor ihm stehen und sagte grinsend: »Osman Kebir ist Gülhanas Verwandter, er ist mächtig und wird Dich von der Herrin bald zur Feldarbeit fordern. Dann, Christ, werden Deine guten Tage vorüber sein; Du wirst arbeiten müssen, wie der Zuchtstier arbeitet, und die Peitsche wird auf Deinem Rücken klatschen. – Osman liebt die Christen nicht, sie sind wie der Schakal raubsüchtig; es sind Hunde, die kein Erbarmen verdienen.«
»Was thaten sie Dir?« erwiederte Georg.
Der Neger schlug erbost die Hände zusammen.
»Mir? rief er. »Allen Kindern des Propheten thun sie Qualen an. – Es sind Reiter gekommen, welche uns Nachricht brachten, daß der große Sultan von Ikonium sein Haupt vor ihnen beugte, weil die Ungläubigen seine Stadt eingenommen haben. – Er hat Frieden machen müssen; wir aber machen keinen Frieden, wir geben keinen Sclaven heraus; wir kennen viele Orte im Gebirge, wohin kein Christ kommen wird. – Du wirst Deine Brüder nicht wiedersehen, Du wirst hier sterben, Christ.« –
Er lachte laut auf und ließ den Bangenden allein.
Eine Woche ging vorüber und eine andere folgte ihr, ohne daß sich in Georgs Zustand etwas geändert hätte. Seine Wunden waren geheilt, und noch immer überließ man es ihm, sich am Brunnen zu beschäftigen und über sein Schicksal nachzusinnen. – Zuweilen sah er Gülhana, doch immer nur auf kurze Zeit und in Begleitung ihrer Dienerinnen. Der Sclave schien ihrer Aufmerksamkeit nicht werth zu sein. –
Endlich kam sie und fragte gleichgültige Dinge, aber ihre Augen sprachen zu ihm eine Sprache, die der Orient mit seinen heißen Leidenschaften erfunden hat. – Ein Blick sagte ihm, sei vorsichtig, ein anderer, ich vergehe in Sehnsucht. Dann ließ sie die Jasminblüthe fallen, als Zeichen ihrer Liebe, und als sie ging und sah, daß er sie aufgehoben, streckte sie die Hand zur Sonne empor und deutete auf den tiefen Westen.
»Ich werde Dich sehen, wenn die Nacht kommt,« flüsterte Georg.
Da lief ein brennend Feuer durch sein Herz und löschte alles andere Denken aus. Wie langsam vergingen ihm die Stunden, wie oft sah er zur glühenden Sonnenkugel auf, bis sie sich endlich senkte, und wie träge zogen die Thiere herbei, die er tränken sollte.
Osman stand am Quell, schmähte auf seine Langsamkeit und schalt ihn zornig. –
»Warum trägt dieser Sclave keinen Eisenring um den Hals?« fragte er.
»Gülhana hat es nicht gewollt,« erwiederte Nadir.
»Ich aber will es!« schrie der Turkomanne. »Ich befehle Dir ihm morgen den Ring anzulegen.« –
Nadir nickte beifällig, und Georg schwieg. Er war in dieses Mannes Gewalt.
Endlich kam die Dunkelheit. In den Zelten ward es still; die Hunde, losgelassen von ihren Ketten, umschwärmten das Lager, Schakal und Hyänen abzuhalten. – Leise öffnete der Franke die Zeltwand und schlich hinaus. Tod stand darauf, wenn man ihn erblickte, doch weit schrecklicherer Tod, wenn das Verbrechen an den Tag kam, zu dem er auszog. Auch die Tochter des Häuptlings würde ihm nicht entgangen sein.
Aber die Nacht war finster. Der Wind rauschte an der Bergwand hin, die müden Menschen schliefen alle, und Niemand bemerkte den flüchtigen Mann, der sich durchs Gebüsch wand und in die Grotte schlüpfte. Eine Hand ergriff die seine, weiche Arme umfingen ihn, und zwei Lippen tranken gierig seine Küsse.
»Wonne meines Lebens,« flüsterte Gülhana, »wie viele Tage sind mir traurig vergangen, ehe ich den Muth fand Dich zu sehen. Ich bebte davor, daß mein Herz sich zu Dir, dem Christen, neigte, ich weinte über meine Schwäche, und flehte zum Propheten mir zu helfen.«
»Und er hat Dir geholfen, Gülhana, Du bist hier.«
»Er hat mir geholfen,« erwiederte sie. »Im Schlafe erschien er mir in seinem goldnen, strahlenden Kleide. Sein strenges Gesicht war gütig anzuschauen; er neigte sich zu mir und segnete mich. ›Sei getrost und muthig,‹ sagte er, ›ich will ihn Dir zu eigen geben, den du liebst. Du sollst mit ihm lange in Frieden wohnen, sein Haupt soll in deinem Schooße ruhen, unter deinen Schleiern soll er schlafen, sein Arm soll sein dein Arm, sein Herz dein Herz, und einst will ich Euch zu mir rufen in mein Paradies voll ewiger Wonne.‹«
Georg hatte bei ihren Worten ein langes, wunderbares Leben durchlebt. Er in ihren Armen, er an Gülhanas Herzen, das er schlagen hörte, sah sich im Geist an der Spitze dieser Hirten, ihr Gebieter, ihr Fürst; er lag im Zelte hingestreckt, das Haupt in seines Weibes Schooß, und der Sumum schoß giftig glühend darüber hin. – Palmen und Kamele, braune Kinder und nacktes Gesinde sah er um sich stehen und lagern. Losgetrennt vom Menschenleben fühlte er die wilde Freiheit der Wüste in seiner Brust.
»›Darum‹,« fuhr Gülhana fort, »›gehe zu ihm, den du liebst‹, – so sprach der Prophet – ›und sage ihm, daß ich dich sende. Sage ihm: du bist mein Sclave, laß uns tauschen, ich will deine Sclavin sein. Nimm was ich habe. Nimm meines Vaters Haus, nimm seine Kamele, seine Rosse, seine Diener, nimm mich selbst, doch laß ab von deinem falschen Gott, bete zu Allah und seinem Propheten.‹«
Hätte Gülhana das plötzliche Schrecken sehen können, das Georg beben machte, sie würde inne gehalten haben. Aus allen seinen Himmeln war er emporgerüttelt. Er der Christ, der Kreuzfahrer, ausgezogen um des Heilands heiliges Grab den Heiden zu entreißen, er sollte den Erlöser verfluchen, zu dem Propheten beten, den er so oft lästern half? –
Himmel und Hölle stritten in seiner Brust, da sprach Gülhana weiter:
»Du liebst mich; du hast bei den Kindern des Propheten gelebt, sie und Allah haben Dir Leben und Gesundheit wiedergeschenkt. O! wie oft habe ich zu ihm gerufen, Dich zu schützen, und siehe, er ist Dir gnädig gewesen, er will Dein Glück. Morgen ist ein großer Tag. Osman Kebir, mein Vetter, hat den Stamm berufen. Er begehrt mich zum Weibe, seine Hand streckt sich nach meinem Erbe aus. Ich aber werde vortreten sprechen. Ich werde sagen: Hier steht der Mann, den ich liebe. Er war ein Christ, nun aber betet er zu dem Propheten, wie Ihr. Darum ist er kein Sclave mehr; er soll es nicht sein, denn ich schenke ihm die Freiheit; und weil sein Arm stark und tapfer ist, sein Auge kühn und mild, wie das Auge meines Vaters war, so wähle ich ihn zum Herrn mir und Euch.«
»O! Gülhana,« rief Georg schmerzlich.
»Zage nicht, Stern meiner Augen,« fuhr sie zärtlich fort. »Osman ist wild und stark, aber er hat wenige Freunde. Er versteht die Kunst, giftige Getränke zu bereiten, doch ich werde Dich behüten. Ich werde meinen Traum erzählen und im Namen des Propheten sprechen; Alle werden niedersinken und Allahs Willen preisen. – Und Du,« sagte sie nach einer Stille, indem sie die Arme um ihn schlang, »Du wirst auf immer mein sein. – Als Du im Fieber lagst, saß ich bei Dir. Deine Hände flogen wild umher und faßten ein Kreuz auf Deiner Brust. Ich nahm es von Dir, da wurdest Du ruhig. Es war ein böser Zauber, der Dich bedrückte. – Gott ist groß und allmächtig, rief ich, und weit schlugst Du die Augen auf und sprachst mir nach: ›Gott ist groß und allmächtig!‹ So hast Du Dich ihm geweiht und dem Propheten, der Dir nahe war.«
»Wo ist das Kreuz? Wo hast Du es gelassen?« rief Georg.
»Hier ist es,« sagte Gülhana, und aus dem Körbchen, das am Boden stand, nahm sie es und berührte mit Abscheu kaum die Matte, in der es lag. »Nimm es, wirf es weit fort, verbrenne oder vergrabe es; dann wird der letzte Zweifel in Dir erlöschen, dann wirst Du frei von allen Schmerzen sein.«
In diesem Augenblick erhoben die Hunde vor dem Lager ein wildes Gebell und Geheul. Rosse wieherten und Menschenstimmen schrien in der Ferne. Die langen, grellen Töne eines Horns ließen sich hören.
»Fort,« rief Gülhana, »fort, entfliehe! Es kommen Fremde, uns droht Gefahr. Aber morgen, Geliebter, morgen!«
Sie eilte an die Quelle hin, Georg sprang ins Gebüsch, das Lager der Turkomannen war in einem Augenblick erwacht. Die Hirten mit ihren Waffen, ihren Weibern und Kindern sprangen aus den Zelten und nur der Nacht und der Verwirrung hatte es der Sclave zu danken, wenn er unbemerkt entkam.
Bald brannten Fackeln auf dem Platze, das Volk sammelte sich dort um einige Reiter, welche mitten unter ihm hielten, laut und lebhaft sprechend. Es waren Kriegsmänner, vollständig zum Kampfe gerüstet. Was sie sagten, verstand er nicht, aber an dem wilden Geschrei der Turkomannen hörte er wohl, daß es keine gute Botschaft sei. –
Endlich sprach Osman Kebir mit drohenden Geberden und höhnischem Lachen. Er streckte seinen Arm aus und schüttelte ihn, als halte er ein Schwert, dann bot er den Reitern die Hand zum Gruß, nöthigte sie in sein Haus und der Schwarm verlief sich; nach und nach ward es wieder still, wie es gewesen.
Georg warf sich auf sein Lager, als er Schritte hörte. Nach einer Weile trat Nadir herein, horchte auf seine Athemzüge und sagte dann verächtlich:
»Der Hund, er schläft, aber er wird mit Entsetzen erwachen. Er weiß nicht, daß seine Brüder, die falschen Christen, heranziehen und daß des Sultans Abgesandte uns warnten. Morgen, wenn die Sonne kommt, ziehen wir in die Berge und dieser Sclave soll eine hübsche Kette tragen, ich habe die beste und dickste ausgesucht.«
Und wieder ging eine Stunde hin, als Georg leise von Neuem aufstand. Er hatte seine Entschlüsse gefaßt. An dem Pfeiler, der das Zelt trug, hingen die Fetzen seiner ehemaligen Kleider als Siegestrophäen, dort hing sein Dolch und sein Helm. Leise ergriff er beides und trat in die Finsterniß. –
Leise schlich er durchs Gebüsch am Brunnen hin über Gräben und Hecken, und wie er die Luft der Freiheit athmete, rannte er in die Wüste hinein, bis er ermattet auf dem Hügel stand und einen leichten Blick über das Lager werfen konnte. Die Sterne schienen hell, er konnte die Spitzen der Zelte erkennen.
»Lebe wohl, Gülhana,« rief er, »lebe ewig wohl!«
Mit diesen Worten eilte er in das weite todte Sandmeer, entschlossen zum Tode, doch ungewiß, wo und wie er sterben solle.
Als der Morgen kam, hatte er einen weiten Weg gemacht. Er sah nichts um sich als verbranntes Gestein, eine entsetzliche Öde. – Aus dem beweglichen Staube stiegen Kalklager auf, in welchen schwarz und zerbrochen sich tiefe Spalten öffneten. – Scharfen Auges musterte er den Horizont, und mit Schrecken erblickte er an dessen äußerstem Rande kleine bewegliche Punkte. Er erkannte Reiter, welche hin und her sprengten. Schnell warf er sich nieder und kroch in eine der tiefsten Höhlungen. –
Die Sonne schien glühend nieder, kein Lufthauch fühlte ihr Feuer, kein Laut des Lebens ließ sich hören und des Flüchtlings Lippen verbrannten, seine Lungen dörrten aus, er athmete die glühende Luft des erhitzten Felsenspalts und rang mit Qualen, welche nach und nach ein wahnsinniges Verzweifeln hervorbrachten. –
Endlich sprang er auf und ergriff seine Waffe.
»Ich will fort,« rief er, »mag mich treffen, was mich treffen kann. Besser unter Pfeilen und Schwertern sterben, als hier verschmachten.«
So kletterte er empor und stieß einen Schrei aus, als er auf seinen Füßen stand.
Kaum eine Meile von ihm ringelte ein ungeheurer Heereszug durch das Land, wie eine Schlange ringelt, ein schmaler beweglicher Streif, dessen Ende noch in weitester Ferne sichtbar war. Aber er konnte Fahnen erkennen, Banner, Führer und die Sonnenpfeile prallten von blitzendem Stahl zurück. Es war das Kreuzheer, Georg konnte nicht daran zweifeln, und mit einem Freudenruf, mit Thränen und gehobenen Armen sprang er von den Kalkklippen nieder und näherte sich den Freunden und Brüdern, die ihm entgegeneilten.
»Welche seltsame Gestalt ist das?« sagte der Kaiser und deutete auf ihn. »Ich sehe einen Menschen, behelmt wie ein Christ und in weißer Decke, nackt und wild, wie ein Turkomanne.«
Da erhob sich großes Geschrei von denen, die ihn erreicht hatten. Es war des Kaisers Leibwache, viele erkannten den, welchen sie als todt längst beklagt, und einer der Wappner ließ ihn aufsitzen und brachte ihn so zum Kaiser und der Ritterschaar an seinen Seiten.
Der Fremdling nahm den Helm ab, da erkannte ihn Herr Markward zuerst.
»Georg!« rief er, »Du lebst!« und er sprang ihm helfend bei.
»Mein hoher kaiserlicher Herr,« sprach der Erschöpfte tiefathmend und sich haltend. »Durch Gottes und des Erlösers Huld bin ich frei geworden, aber nahe am Verscheiden.«
»Wer ist es?« fragte der Kaiser. Aber im nächsten Augenblick fuhr er fort: »Du bist der wackere Jüngling, der nach der Schlacht in der Wüste vermißt wurde. Gebt ihm, was vorhanden ist, um seinen Durst zu stillen.«
Man brachte einige Früchte und den Rest von Wasser aus einem Schlauch, das, so schlecht es war, ihn doch erquickte, und nun begann er die Erzählung seiner Schicksale, welche der Kaiser aufmerksam hörte.
»Ein Thal mit Wiesen, Bäumen und Quellen,« rief dieser, als Georg geendet hatte. »Wie weit ist es? Wo ist es gelegen?«
Der Knappe gab darüber Bescheid, und daß es an den Abhängen des Taurus, vielleicht sechs Stunden entfernt liege.
»Getraust Du Dir es aufzufinden?« fragte der Kaiser.
Georg musterte die fernen Gipfel des Gebirgs. Er erkannte den darunter, welcher gerade hinter dem Thale aufstieg, und sagte:
»Ich kann es.«
»Was Du in sechs Stunden liefst,« sprach der Kaiser, »können Reiter in vier zurücklegen. – Auch wir erliegen dem Durst, dort finden wir, was wir brauchen. Wir werden dort sein, ehe die Sonne sinkt. Gebt ihm ein Pferd.«
Da wurde dem Wegweiser ein Roß gebracht und siehe, es war das edle Thier aus Ungarn, daß er sich gewonnen. Reiterlos zum Christenlager gelaufen, hatte es der Herr von Wiesenbach für sich genommen und gab es jetzt seinem Eigenthümer zurück sammt Koller, Helm und Schwert.
Der Kaiser sammelte, was er an Rittern besaß, und er selbst an der Spitze dieser auserwählten Schaar folgte dem Knappen, der ihnen den Weg zeigte. Noch immer ungebeugt, kräftig und hellen Auges saß der alte Held zu Rosse und achtete der Wüste Staub und Hitze so wenig, wie seiner Feinde zahllosen Schwarm. –
Er hatte unter den Mauern von Ikonium den Sultan aufs Haupt geschlagen, die Stadt erobert, eine ungeheure Beute erworben und Kilidge Arslan gezwungen Geißeln zu stellen. – Jetzt hörte er von Georg die neue Tücke, durch welche den Hirtenstämmen Flucht und Landesverderbniß anbefohlen wurde, aber er lachte dazu und sprach:
»Laßt sie dräuen, jetzt ist die Gefahr vorüber. Die Wüste liegt hinter uns und nur die Gebirge trennt uns noch von dem fruchtbaren Syrien. Über diese Berge aber wird uns Gott auch helfen und dann haben wir das Ziel erreicht. Die Heilige Stadt ist unser, ewiger Ruhm und Preis erwartet uns.«
Je weiter sie ritten, um so gewisser war Georg seiner Sache. Er erkannte an einzelnen Markzeichen den Weg, auf welchem er entflohen, und plötzlich sahe er den Hügel vor dem Thale, dann sprang der Fels darüber hervor und nun lag die grüne Oase vor den Augen der erschöpften Christen.
Da stimmten sie eine Lobhymne an und der Kaiser rief:
»Wohlauf, Ihr Herrn, hier ist Wohlsein, hier finden wir Futter und Wasser in Überfluß und nicht den köstlichsten Wein möchte ich um einen frischen Trunk nehmen. Wo ist der Born, Gesell?«
»Dort unter den Bäumen, mein hoher Herr,« erwiederte Georg, der forschend durch das Thal geblickt hatte. Es war leer, die Zelte waren alle verschwunden, der Hirtenstamm entflohen, die Erntefelder verwüstet. Aber die Ebene voll Gras war geblieben sammt dem Brunnen unter der Felsenwand.
Und Herr Markward nahm schnell einen Trinkbecher von Gold, mit edlem Gestein kostbar geziert. Mit diesem sprang Georg die Stufen hinab, wo er gestern noch die schweren Kameleimer auf und nieder getragen und Mißhandlungen erduldet. Der Spiegel des Quells schimmerte wie Krystall, da schöpfte er das kühle Naß und brachte es dem Kaiser dar.
»So laßt uns trinken und ruhen,« sprach dieser. »Dieser Trank perlt wie goldener Rheinwein, möge er uns munden und bekommen gleich ihm.«
In diesem Augenblick erschien auf der Spitze des Felsens eine weibliche Gestalt. Vom Sonnenlicht umstrahlt, hatte sie ihre Schleier zurückgeschlagen und zeigte frei ihr schönes angsterfülltes Gesicht.
»Kreuz!« rief sie in verständlichen deutschen Worten und ihre Hand deutete auf Georg, dessen Brustharnisch das große Kreuz des Christenthums trug: »O, Kreuz! wende dich von dem Borne!«
Plötzlich sprang eine zweite Gestalt hervor, ein Mann, der das bloße Schwert in der Faust trug, und riß das Mädchen zurück.
»Gülhana!« schrie Georg zu ihr auf. Doch von einem schrecklichen Gedanken ergriffen, dessen Wahrheit über ihn kam, wandte er sich um und warf mit einem raschen Schlage den goldenen Becher aus des Kaisers Hand.
»Halt ein, mein hoher Herr,« rief er, »Du trinkst den Tod! der Quell ist vergiftet.«
Ein Hund war inzwischen unbeachtet die Stufen hinabgelaufen, jetzt kam er zurück, winselte, taumelte und fiel in Zuckungen nieder.
Da blickte der Kaiser zum Himmel auf, lange schweigend und die Hände faltend.
»Du großer, gnadenreicher Gott,« sprach er dann ernst, »Du willst, daß Dein Werk durch meine sündige Hand vollendet werde.« –
Er stieg vom Rosse und legte seine Hand auf Georgs Haupt.
»Ich danke Dir,« sagte er, »Deines Kaisers Dank soll Dein Leitstern sein für ein langes, rühmliches Leben, und daß Dein Thun verewigt werde in dem Gedächtniß der Menschen, so knie nieder.«
Er zog sein Schwert, Georg sank aufs Knie.
»Knie nieder,« sprach der Herrscher, indem er seine Schulter berührte, »und erhebe Dich als Ritter Kreuz wende Dich vom Borne! – denn Kreuz vom Borne sollst Du heißen und so lange Dein Geschlecht von Gott gesegnet auf Erden wandelt, soll es diesen Namen tragen.«
Darauf nahm der Kaiser die goldene Ehrenkette ab und hing sie dem neuen Ritter um. Er küßte ihn auf Wangen, Stirn und Mund und ermahnte ihn fromm, stark und tugendhaft zu sein; Herzog Friedrich von Schwaben aber fiel ihn um den Hals und gelobte ihm Freundschaft und Rittertreue, deß zum Zeichen gab er ihm sein Schwert, eine Rüstung und schnallte selbst die Sporen ihm an.
Freude und Lobeßerhebungen hörte man nun überall; jedoch am freudigsten von allen war der alte Herr Markward, der wußte des Schmeichelns und Rühmens kein Ende.
Bald waren andere lebendige Quellen aufgefunden, und das ganze Heer der Christen rastete hier zwei volle Tage. –
Gleich als Gülhana verschwand, hatten einige der schnellsten Krieger den Fels zu erklimmen gesucht, als sie aber die Höhe erreichten, sahen sie auf dem langgestreckten Sattel derselben einen Trupp berittener Turkomannen schon von fern auf der Flucht, und versicherten sich bald, daß kein Feind mehr in der Nähe sei. Und überall ward es schnell bekannt, wie dem Kaiser das Leben erhalten, überall pries man es als ein Wunder, und Lob und Ehren strömten auf den kühnen Ritter vom Borne, den der Herr sich zum Werkzeug ausersehen.
Georg war auch von dem Wunder fromm entzückt, das hier geschehen; denn Wunder schien es ihm, daß Gülhana, die während ihres Zusammenlebens wohl manche einzelne deutsche Worte von ihm erlernt, von Gottes Gebot getrieben wurde zu sprechen und ihn zu warnen. Der Gott der Liebe hatte das Wunder vollbracht.
Osman, der den Born vergiftet, hatte sich auf dem Fels verborgen, um die Wirkung seiner argen List zu belauschen. – Da erkannte Gülhana den Flüchtling, und ihr Herz vereitelte die Rache.
Wie nun auch Georg ihr Schicksal betrauerte, er fühlte sich doch glücklich und froh, und dankte der gnadenreichen Jungfrau ihn vom Wüstenleben und aus den Liebesarmen eines Turkomannenmädchens erlöst zu haben. In seiner neuen Ritterwürde vermehrte er die Schaar des Kaisers, welcher ihm Sold zahlen ließ und Sorge um ihn trug. –
Der Krieg hatte die Reihen der Kreuzfahrer gelichtet, aber noch war das Heer gewaltig, und wie es immer geht: den Mühseligkeiten unterlag der schwächere Theil, der Kern aber war bewahrt geblieben, und dieser bestand aus so tapferen sturmerprobten Männern, daß Kaiser Friedrich wohl hoffen durfte, mit ihm eine Welt zu erobern.
Von den Siegen dieses Heeres war aber selbst der edle, stolze Saladin erschreckt. Scheuen Blicks kamen seine Boten und Kundschafter zurück, und erzählten was sie gesehen. Sie erzählten von den Schlachten und Niederlagen des Sultans von Ikonium, von der unwiderstehlichen Stärke dieser Deutschen, von Männern, die ihr Schwert mitten zerspalten, aber sie erzählten auch von ihrer Geduld in Drangsalen, von ihrer Lagerzucht, von ihrem Gehorsam für des Kaisers strenges Gebot, und endlich von diesem selbst, von seinem Alter und seiner Jugendkraft, seiner Weisheit und seinem ehrfurchtgebietenden Antlitz.
Saladin, der gesagt hatte, die Christen möchten kommen, er wollte sie empfangen wie sie es verdienten; er sandte dem Kaiser jetzt eine neue Gesandtschaft zu, eben als das Heer über den Taurus stieg, und ließ ihm sagen, er sei bereit sich seiner Billigkeit zu unterwerfen; möge er als tapferer Mann und Richter sprechen in dieser Sache.
Nun stieg das Heer nach Antiochien nieder, und ein Taumel des Entzückens ergriff alle Herzen, als sie die ersten christlichen Kreuze am Wege sahen. –
Endlich waren sie bei ihren bedrängten Brüdern, welche mit grünen Zweigen, mit Fahnen und Kirchengesängen ihnen entgegenzogen. Ein Jeder hielt das Schwerste für gethan, ein Jeder trug die Siegesgewißheit in der Brust, das machte sie so unbezwingber.
Nun brach das Heer von Seleucia auf und setzte über den Kalykadnus. Der Strom, von Regengüssen angeschwollen, floß schäumend und wirbelnd in seinem Bett. Die Brücke war eng, der Zug lang. Fuhrwerk und Kranke verstopften den Aus- und Eingang, ärgerlicher Aufenthalt war überall.
Herzog Friedrich drang mit dem ersten Schlachthaufen hinüber, der Kaiser aber weilte und ordnete bei den letzten; sein Auge war überall, und als er zu der Brücke kam und hinüber wollte zu seinem Sohne, konnte er mit seinem Gefolge nicht durch die dicht gedrängte Pilgerschaar.
Ungeduldig und muthig wie er war, warf er einen Blick auf den schnellen Strom, und leitete dann sein Roß das steile Ufer hinunter.
»Halt, Herr, halt!« rief der Freiherr von Wiesenbach, und Graf Florenz von Holland war noch schneller, denn er spornte sein Roß, daß es dicht bei dem Kaiser war.
»Was wollt ihr thun, Herr Kaiser?« sagte er. »Um Gott! hütet Euch, wir kennen das Wasser nicht, es scheint tief und tückisch.«
»Laß meine Bügel los, Graf Florenz,« erwiederte der Kaiser unwillig. »Soll ich Stunden lang hier warten, bis Platz auf der Brücke wird? Wer mir nicht folgen will, bleibe zurück, ich bin oft schon über bösere Wasser geschwommen, dies Bad wird kühlen und heilend sein.«
Der Graf gehorchte, und das Pferd sprang mit einem weiten Satze in die Fluth. Die Wellen schlugen über ihm zusammen. Es war eine tiefe gefährliche Stelle, und als es sich emporarbeitete, war der Kaiser aus dem Sattel gerissen. – Ein tausendstimmiger Schrei des Entsetzens hallte von beiden Ufern wieder. Man sah das greise Haupt mit dem Helme, man sah eine Hand aus der Fluth ragen, funfzig Ritter stürzten sich in die Wellen, Georg war der Erste darunter. Er warf sich vom Roß, bewehrt wie er war, tauchte tief nieder, und es währte nicht lange, so hatte er den kostbaren Raub dem Strom entrissen, aber ach! schon war es zu spät. Nur der Leichnam des Gewaltigen lag auf dem Sande des Kalykadnus! Kaiser Friedrich Barbarossa ertrank am 10. Juni 1190 nahe der Stadt Seleucia im Göksu, der damals Saleph hieß (sein antiker griechischer Name lautete Kalykadnos, latinisiert zu Calycadnus) und im mit Friedrich verbündeten armenisch-kilikischen Fürstentum lag. Der genaue Hergang ist nicht bekannt, vermutlich ist er bei der Durchquerung des Flusses oder beim Schwimmen zum Erfrischen dort ertrunken. Die geografischen Gegebenheiten vor Ort gehörten zu den härtesten, die auf dem Kreuzzug zu bewältigen waren. Die Durchquerung des Taurusgebirges und der Abstieg in die kilikische Tiefebene am Unterlauf des Saleph, beides Gebiete, die zu den heißesten Bereichen der Türkei zählen, reduzierten die Kräfte der Kreuzfahrer erheblich. Zudem führt der Saleph selbst im Juni noch eiskaltes Wasser und besitzt eine starke Strömung. Die wirkliche Todesursache Barbarossas ist innerhalb einer fatalen Konstellation von extremen klimatischen und geografischen Gegebenheiten, hohem Alter und Entkräftung zu suchen.
Der Jammer und die Verzweiflung der Christen war, wie Alle sagen, die als Augenzeugen dies beschrieben, mit nichts zu vergleichen. Unter Weinen und Wehklagen führten sie den großen Kaiser nach Antiochien, und begruben ihn dort mit Trauer und Festlichkeit.
Nun aber zeigte es sich, daß Friedrichs Geist, sein Glück, sein Name allein dies Heer beseelt hatte. – Viele kehrten nach Europa zurück, zerstreuten sich, verkauften ihre Waffen. Die Lagerzucht löste sich auf, die Ordnung verschwand, der Überfluß in Antiochien führte zur Völlerei, und diese bewirkte eine Pest, an der der größte Theil des unbezwinglichen Heeres starb. Zehn Tausend nur von Allen konnte Herzog Friedrich nach Accon führen, und dort starb er selbst, dort endete auch der alte betrübte Markward.
Als er seinem Pflegling zum letzten Male die Hand drückte, sagte er mit leiser Stimme:
»Du hast nun nichts mehr hier zu thun, Georg, zieh heim und grüße den alten Wolf. – Der Kaiser ist todt, Friedrich von Schwaben, der junge Held, o weh! daß er ihm so bald folgen mußte, sie sind Alle dahin; so begrabe mich denn auch und geh.« –
So starb er und ward begraben.
Jeder weiß, wie unglücklich dieser Zug endete, wie Herzog Leopold von Österreich der legte deutsche Fürst war, der im heiligen Lande focht, und wie er von dem rohen König Richard von England beschimpft wurde. –
Die Eroberung von Accon wartete der Ritter vom Borne aber nicht ab; er schloß sich einer Pilgerschaar an, die heimwärts zog, in Tyrus zu Schiffe stieg, und nach mancherlei Irrfahrt und Beschwerde in Venetia landete. Mit anderen zog er dann, als das Frühjahr kam, weiter über die Alpen ins deutsche Land, und endlich näherte er sich den heimathlichen Wäldern, endlich sah er, als die Sonne niedersank, zwischen den Wasserspiegeln der Havel die Thürme des Schlosses aufsteigen, und ein unheimliches banges Gefühl verdrängte alle Freude.
Er kam zurück als ein Ritter und Edler, mit Rum bedeckt, und trotz seiner Jugend glänzte die Ehrenkette tapferer Thaten auf seiner Brust. Er hatte nun einen Namen, der größte aller Kaiser hatte ihn hochgeartet und wacker genannt, auch kam er nicht arm zurück, denn er brachte reiches Gut heim und einen Schenkungsbrief, durch welchen er Markwards Erbe war. –
Die Hohenstaufen herrschten noch, Kaiser Heinrich, den er in Italien gesehen und gesprochen, hatte ihn hoch belobt und ihm zugesagt, Leute und Land zur Lehn zu geben. Aber konnte, wenn dies Alles auch in eine Wagschale geworfen wurde, konnte dies die andere emporheben, daß das Zünglein sich zu ihm neigte?
Wie schwer wog die Tochter des Erbgrafen von Dornburg, wie viel schwerer ihres Vaters eiserner Wille?
Unruhigen Herzens ritt Georg weiter, und mit jedem Schritt seines Pferdes ließ er so viel von seinen Hoffnungen zurück, daß fast nichts mehr übrig war, als er an den Weg zum Schlosse gelangte. Unter den alten Weiden hielt er an. Die Bäume, die Blumen und Gräser grüßten ihn als alte Bekannte. Zwei Jahre waren seit dem Tage verlaufen, wo er zum letzten Male sie sah, und sie blühten und grünten wieder wie damals. Leise winkten sie ihm zu, winkten ihn schwankend näher und flüsterten heimliche Worte zu ihm empor. –
Er erinnerte sich, wie er hier mit Siegelind gegangen, wie sie dort geruht, wie er am Grabenrand aus dem Schilf ihr die ersten wilden Kinder des Frühlings geholt, und wie aus ihren dankenden Augen die Liebe wunderbar und sehnsuchtsvoll in sein Herz geströmt war. –
»Und wo ist sie jetzt?« rief er klagend. »Ach! Siegelind, unglücklicher bin ich als damals, und zweifelnd steht mein Fuß an Deiner Schwelle, zitternd vor dem Urtheil, das vielleicht meiner wartet.«
Die Diener des Ritters kamen mit den beladenen Pferden, und ihnen hatte sich ein alter Reisiger angeschlossen, der in Kappe und Koller von einem Dienstgeschäft zurückkehrte. – Georg wendete sich zu ihm; es war der alte Wolf.
Der Mann nahm seine Mütze ab und grüßte den Fremden, Dämmerung lag unter den Bäumen, Wolfs Auge war blöde geworden, er kannte seinen Pflegling nicht sogleich, der mit tiefer Stimme sich nach Weg und Herberge erkundigte.
»Ihr wollt uns doch nicht vorüberreiten, edler Herr?« sprach der Waffenmeister. – »Übel würde das der Graf von Dornburg empfinden.«
»Der Graf wohnt also hier?« fragte Georg.
»Er wohnt hier seit Jahren,« fuhr Wolf fort. »Ihr werdet ihm hoch willkommen sein.«
»Glaubst Du das?« rief der Fremde. Der Ton seiner Stimme drang in Wolfs Herz.
Aber der Ritter trieb sein Pferd vorwärts. Der alte Wappner blieb zurück und schüttelte den ergrauten Kopf.
»Wie heißt Euer Herr?« fragte er. – »Kreuz vom Borne; das ist ein Name, den ich nie gehört habe.«
Nun ritten sie über die Brücke in den Schloßhof. Geschäftige Diener sprangen herbei, Wolf hielt den Bügel des Fremden und sah ihm prüfend ins Gesicht. Er zitterte und wagte nicht zu reden.
Sie gingen ins Thor hinein und stiegen die Stufen aufwärts zu dem Gemach, da schlug der Ritter plötzlich beide Arme um seines Pflegevaters Brust und sagte mit leiser Stimme:
»Nun weißt Du, wer bei Dir ist, lieber alter Wolf, ich seh Dir's an, Du hast Deinen Sohn erkannt. Doch jetzt geh zum Grafen hinein. Sage ihm, ein Pilgersmann aus dem Morgenlande sei gekommen, er bäte um eine gastliche Stelle.«
Einen Augenblick hielt der alte Mann die Hände George fest und schaute ihn mit leuchtenden großen Augen an, dann ging er, ohne ein Wort zu erwiedern, zum Grafen.
»Ein edler Herr ist ins Schloß geritten,« sagte er, »ein Pilger, der vom heiligen Grabe kommt.«
»Franz von Eichstädt,« rief der Schloßherr laut.
»Nein,« sagte der Waffenmeister, »er nennt sich den Ritter vom Borne und hier ist er selbst.«
Da trat der Pilger herein. Er hatte den Helm abgenommen und kaum hatte er einen Schritt gethan gegen den Grafen, der vom Stuhle aufgestanden ihm entgegen kam, als dieser ihn erkannte.
»Georg!« rief er, »welch Glück, Dich wieder zu sehen! diese Freude wiegt vielen Kummer auf. Kommt herbei, kommt Alle herbei!«
Er schlug heftig in die Hände; da öffnete sich das Nebenzimmer, und heraus trat die Gräfin, ihr folgte Johannes, und endlich, bleich, doch schön, wie sie Georg verlassen – Siegelind.
Als sie auf der Schwelle stand, fiel der letzte Strahl der Abendsonne roth und voll herein. Er fiel auf Georg und umglänzte sein Gesicht, seinen Ritterschmuck und die goldene Kette des Kaisers.
Da hörte man einen lauten Schrei der Freude und der Sehnsucht, und ehe ein Anderer helfen konnte oder hindern, war der Ritter vom Borne bei der sinkenden Gestalt, die er in seinen Armen hielt, sie an sein Herz drückte, ihre Lippen küßte und ihre Thränen von den Augen; denn seiner Liebe schöner Wahnsinn achtete nichts mehr an Sitte und Gesetz der Menschen. Er wunderte sich auch nicht, daß der stolze Graf von Dornburg dazu zu lächeln schien und seinen Arm um seine Hausfrau legte, als sei er beglückt und wohlbefriedigt; auch sah er nicht, daß Johannes die Hände faltete und den Blick gen Himmel hob; er sah allein das blasse, liebliche Gesicht, das erschöpft an dem seinen athmete und weinte, und er sprach mit der Entschlossenheit, die das Selbstbewußtsein giebt:
»Geliebte Siegelind, ich habe erfüllt, was ich geschworen. Nun bin ich zurückgekehrt als ein Ritter, der würdig ist, seine Hand nach solchem edlen Preis auszustrecken. Auf meinem Herzen ruht das Kreuz, das Du mir als Amulet mitgegeben. In Treue habe ich es getragen, in allen Gefahren hat es mich stark gemacht und wohl behütet. Der unsterbliche große Kaiser aber hat diese Kette auf meine Brust gehängt, er selbst hat mich und mein Geschlecht gesegnet, dem er den Namen gab. Und dieser Name wurde durch gute Thaten verdient. Hier bin ich nun, hier stehe ich und bekenne meine große Liebe, hier halte ich Dich an meinem Herzen, will man Dich von mir reißen, so muß es an mein Leben gehen.«
Da lachte der Graf von Dornburg.
»Das ist ein Freiersmann,« sprach er, »in der einen Hand hält er die Braut und die andere legt er an sein Schwert und fordert uns zum Kampf heraus. Nein, Georg, nein, edler Ritter vom Borne, so weit soll es nicht kommen. Lege Dein Schwert ab, mein Sohn, und gieb mir die andere Hand, daß ich sie festhalte und Dich segne. Siegelind ist bleich geworden wie eine Lilie, mache eine Rose aus ihr.«
»Jesus, mein Heiland?« rief Georg von der Freude getroffen, »wendet sich so mein Fürchten in Glück?«
»Diesem hier danke vor Allen,« sagte der Graf und deutete auf Johannes. »Er vertraute mir die Ursache des Grames, an dem mein Kind krankte. Er und meine Hausfrau, welche Dir immer wohl wollten, brachten es dahin, daß ich ein Gelübde that, ich wollte meine Siegelind nicht verderben ihrer Liebe wegen. Nun bist Du zurückgekehrt als ein Ritter und Edler, so sollst Du nun auch mein Sohn sein, trotz ihrem früheren Gelöbniß an den Junker von Eichstädt.«
»Der sendet Euch seinen letzten Gruß durch mich,« sprach Georg.
Er erzählte und Alle hörten ihn mit Rührung an, bald aber kehrte die Freude zurück; der Segen der Liebe zog in die Hallen des Schlosses ein wie in die Herzen seiner Bewohner. – Schon am nächsten Tage begannen Siegelinds blasse Wangen sich zu röthen und als nach einem Monate Johannes die Hände des glücklichen Paare in der Burgkapelle vereinte, blühte die schöne Braut wirklich, wie eine Rose blüht.
So war denn überall Glück; und dies hat die beiden begleitet durch ein langes, reiches Leben. Auch der Stolz des letzten Grafen von Dornburg war befriedigt durch den Ruhm seines Tochtermannes, von dem bald im Lande weit und breit erzählt wurde. Am glücklichsten aber war der alte Wolf, der nach vielen Jahren noch die Kinder seines Pflegesohns auf seinen Knieen schaukelte und ihnen die Thaten und Schicksale ihrer Eltern erzählte. Denn zahlreich und schön war das Geschlecht Georgs und Siegelinds, der Segen des Kaisers wirkte darin weiter. –
Das sind die Herrn vom Borne, geehrt und belobt durch viele Menschenalter und noch immer weiter blühend im reichen Stamm, den Gottes Gnade wachsen läßt auf Erden, wie der große Hohenstaufe es ihnen verheißen. –