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Die Sonne begann den Schnee von den hohen steilen Feldwänden zu schmelzen, die an Norwegens Westküsten hinziehen, als eines Abends das Carriol eines Reisenden sich hören ließ, das aus einem der Pässe des Gebirges auf schmaler jähabstürzender Straße niederklapperte. Die Nebel stiegen schwer aus den Tiefen auf, sie ringten und wiegten sich um die nackten Steinhäupter der Fjellen, deren riesige Massen röthlich angehaucht waren. In den Schluchten beugte der Wind den schwarzen Wald, und wenn er schwieg, sprach das Brausen der Bäche um so lauter, die an vielen Orten weißleuchtend, und wie Blitze schnell, zwischen den Klippen niederschossen und in die Nacht der Thäler stürzten. –
In weiter Ferne aber, jenseit des umnebelten, dunklen Landes lag eine blitzende, unermeßliche Ebene. Es war das Meer mit seinen Inseln und Felsengewinden. Die untergehende Sonne stand als rothe strahlenlose Kugel auf den letzten Wellen im Westen, bereit darin zu versinken.
»Was muß das für ein Narr sein, der da nach Grover hinabfährt?« rief ein junger Mann lebhaft und spöttisch aus, der auf einem der neubegrünten Vorsprünge des Gebirgs saß und aufmerksam in die Tiefe schaute.
»Es ist ein Fremder,« antwortete die tiefe Stimmte einem Anderen, indem er von der massigen Decke eines Felsblockes, wo er ausgestreckt lag, sich ein wenig aufrichtete.
»Du bist toll, Lars,« fiel sein Gefährte lachend ein, »wie sollte ein Fremder jetzt hieher kommen? Im Lande liegt Alles noch todt unter dem Schnee, wer will über die Berge zu uns steigen? Es wird der Pfarrer Bung sein, der seinen Herzensbruder, den Probst in Grover besucht, oder es ist der Landrichter von Mölmholm, der irgend einen armen Kerl auszupfänden denkt, weil er die Taxen nicht bezahlen konnte.«
Er schwieg und Lars antwortete nicht. Beide horchten auf das Geklapper des Wagens, der jetzt tief unter ihren Füßen im Thale war, ohne daß sie ihn sehen konnten. Der rothe Duft des Abendlichtes warf von den Stirnen der Felsen seinen Abglanz auf die einsamen Männer. Es waren Jäger, wie sie in diesen Bergen umherschweifen, Rennthier und Bär zu jagen. Ihre schweren Büchsen und Ranzen lagen auf dem Gestein neben ihnen, das die Spuren eines eben gehaltenen spärlichen Mahls trug.
Der jüngere in seinem kurzen Rock von dickem Wollenzeug, einem Kragen von Leder mit grünen Fries gefüttert über die Schulter geworfen, gehörte zu den bedeutenderen Grundeigenthümern, welche seit uralter Zeit den Adel unter diesen Hirten bilden, der andere war ein Bauer, einer jener markigen Söhne der wilden großen Natur dieses Landes, die ihre Kinder mit Kraft und Schönheit oft so wunderbar reich ausstattet.
»Wenn ich das wüßte, Lars,« begann der Erste wieder, »wenn es der Landrichter wäre, der seine lange Nase ins Haus des Probstes steckte, ich wollte eher dort sein, als er.«
»Bleib ruhig sitzen, Henrik,« erwiederte der Bauer. »Es ist ein Fremder, der auf der Küstenstraße nach dem Süden wollte, auf den Rath weiser Leute jedoch den kürzern Weg durch diese Thäler genommen hat.«
»Und woher weißt Du das, Du Schwätzer?«
»Weil ich besser höre, als Du! – der Pfarrer so wenig als der geschworne Schreiber würden ihr Pferd an den Abstürzen so rasch gehen lassen wie dieser da; auch ist es am Schlag der Räder zu erkennen, daß sie nicht bei uns gemacht wurden.«
»Horch!« rief er plötzlich und mit einem Satze war er vom Felsblock aufgesprungen. –
»Nun?« sagte sein Begleiter ungeduldig.
Der große kräftige Mann trat auf den Grat des Felsens und beugte sich lauschend nieder. – Der Nachtwind warf den Zipfel seiner rothen Mütze in sein lang flatterndes Haar; seine kühn blitzenden Augen suchten das Dunkel zu durchdringen.
»Hörst Du den Wagen noch, Henrik?« fragte er.
»Nein. Er wird zwischen dem Wald im Thale sein und der Wind führt den Schall abwärts.«
»Telegröb! Telegröb!« schrie der Bauer gewaltig laut, und ohne sich zu bedenken sprang er über Geröll und Blöcke an der Felswand nieder, wand sich gelenkig durch den Schutt, klammerte sich an den Fugen des Gesteins fest, wo der Fuß nicht haften wollte, und verschwand so rasch in der Tiefe, daß sein nachfolgender Gefährte Unglück befürchtete und Warnungen in den Abgrund rief. Bald jedoch vernahm er die Antwort. Ein wildes Halloh prallte von den Schluchten zurück und der Ruf: »Telegröb! Telegröb!« zeigte, daß Lars noch immer dieselbe Richtung verfolgte.
Nach einem gefährlichen nur so jungen kräftigen Bergbewohnern möglichen Niedersteigen erreichte auch Henrik den Weg, welcher zwischen jähen Geländen hinlief und sich in einem bewohnten Thale öffnete, das den Mittelpunkt eines Kirchspiels bildete. Der ziemlich breite Arm eines jener unzähligen Meerbusen, oder Fjorde, spülte hier tief in den Schooß der Berge, und zog weiter zwischen senkrechten ungeheuren Felsenmauern, von deren Höhe da und dort ein schwacher Lichtschein niederblitzte, als Beweis, daß menschliches Leben, zerstreut und adlerartig, sich auf den Vorsprüngen des Gebirgs eingenistet hatte. Unten in der Thalestiefe hörte man nichts als das Brausen eines großen Baches und das Rauschen des Windes, der ungestüm durch die Schlucht drang.
Henrik lief was er konnte, und er irrte nicht, als er bald darauf verworrene und klagende menschliche Laute zu hören glaubte. Ein banges Geschrei hallte an den Wänden hin, Lars antwortete mit kräftigem Ruf und nach wenigen Minuten befand sich Henrik an einer Stelle, wo der abschüssige Pfad sich in die Thalsohle verlief. Hier floß zur Sommerzeit ein kleines Wasser im tiefen Gerinne, jetzt aber hatte es den Weg zu beiden Seiten überschwemmt, den Boden durchweicht und durch den Umstand, daß die in der Tiefe noch gefrorene Erde keine Feuchtigkeit aufnehmen konnte, einen jener gefährlichen Sümpfe erzeugt, welche unter anscheinend sicherer und fester Oberfläche sich verbergen und den Namen »Telegröb« in der Landessprache tragen.
Die Nacht war vollständig hier, nur zu gewiß aber war es, daß der Reisende, den die Jäger gehört, vor ihnen in der Grube lag. Henrik hörte das Schnauben und Gestöhn seines arbeitenden Pferdes und den Hülfruf des Mannes, der in großer Noth schien. Als er näher lief, fühlte er den Boden unter seinen eigenen Füßen schwanken und plötzlich war Lars bei ihm, der ihn von der gefährlichen Stelle zurückzog und ins eisige Schneewasser des Baches springend seinem jungen Gefährten zurief, ihm zu folgen.
»Komm, komm!« schrie er, »wir müssen beide ans Werk gehen, wenn wir helfen wollen, und Du da, Du unbesonnener Mann in der Grube, halte Dich still und mache keine Bewegung, wenn Dir Dein Leben lieb ist.«
»Helft mir, Freunde, helft schnell!« antwortete der Verunglückte.
»Wir sind sogleich bei Dir,« erwiederte Lars. »Hier, Henrik, brich den Baum nieder.«
Das Krachen in den jungen Fichten, die an der Felswand aufwuchsen, wiederholte sich mehrmals, dann bewegten sich dunkle Gestalten vorsichtig heran. Sie warfen die Bäume über den zitternden Boden, gingen, der Eine den Andern haltend, darüber hin und jetzt streckte Lars seinen kräftigen Arm aus und rief dem Fremden zu:
»Fasse meine Hand mit Deinen beiden und halte Dich fest, ganz fest, so« – er riß ihn mit gewaltiger Stärke aus dem Sumpfe und hob ihn auf. – »Da bist Du in Sicherheit,« fuhr er mit einer Art rauher Herzlichkeit und froher Empfindung fort, die sich im Ton seiner Stimme ausdrückte. »Es hatte nicht so viel zu sagen, Mann; die Jahreszeit ist noch zu früh, um die Telegröb so recht gefährlich zu machen.«
Der Fremde stieß statt der Antwort einen derben Fluch aus und schüttelte Wasser und Moor von seiner Kleidern. –
»Verdammt sei der Weg,« rief er dann »und verdammt dies Land, wo man mitten auf der Straße den Tod im Sumpfe finden kann.«
»Ei, Freund!« erwiederte der Bauer mißbilligend, »Du hättest, wie mir däucht, eher ein Gebet, wie einen Fluch, jetzt sprechen sollen. Wer ein Land nicht kennt, muß vorsichtig sein. Norwegen ist nicht dazu gemacht, daß ein fremder Mann in der Nacht allein darin umherreist. – Wärst Du langsamer gefahren, so hätte Dein Pferd Dich gewarnt. Es hätte den Boden geprüft und sich die beste Stelle ausgesucht; jetzt liegt es bis an den Hals versunken, das arme Thier, und kann nicht vor nicht rückwärts.«
»Wie weit ist Grover noch?« fragte der Fremde vertrieblich.
»Dort liegt es im Thale vor Dir,« sagte Lars.
»So komm,« fuhr jener fort, begleite mich, zeige mir den Weg in das Gasthaus, wenn eines vorhanden ist – oder man sagte mir, es wohne ein Pfarrer da? Führe mich zu ihm, ich bin erstarrt vor Kälte.«
»Warte noch einen Augenblick,« sprach der Bauer bedächtig. »Dein Pferd steckt im Sumpfe, Du wirst es nicht umkommen lassen wollen.«
»Schafft Hülfe herbei und holt es heraus, ich werde Euch dafür bezahlen. Mein ganzes Gepäck liegt in dem Carriol. Alles wird vom Wasser durchziehen und verderben.«
»Ehe die Hülfe kommt,« versetzte Lars, »ist das Geschöpf erstarrt, oder versunken. Hilf also selbst ein wenig mit, so wird es uns glücken.«
»Was schiert mich das Pferd?« rief der Fremde ungeduldig. »Vorwärts und führe mich; mag es umkommen, wenn es nicht anders sein kann.«
»So laß es uns allein versuchen, Henrik,« sprach der Landmann sich von ihm wendend. »Wenn wir die Stangen dem Pferde unter den Bauch bringen können, hilft es sich wohl heraus; es scheint von guter Art zu sein.«
»Zum Henker mit Euch!« schrie der Fremde zornig. »Bringt mich erst in ein Haus.«
»Geh auf der Straße weiter fort, so wirst Du Obdach treffen,« versetzte Lars.
»Ich befehle Dir, Bauer, mit mir zu gehen. – Willst Du gehorchen?«
Henrik, der bis jetzt geschwiegen hatte, mischte sich in den Streit. – Er trat dicht vor den Fremden hin.
»Mit welchem Rechte, Du thörichter Mann,« sagte er stolz, »beleidigst Du die, denen Du Dank schuldig bist? Hüte Dich, daß wir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten.«
»Hütet Euch selbst und seid höflich gegen mich,« sagte der Andere ruhiger, wenn ihr nicht schlimme Folgen haben wollt.«
»Du drohst,« erwiederte Henrik mit verächtlicher Betonung, »daran erkennt man den Dänen, wenn es auch Deine Aussprache nicht bewiese. – Geh oder bleib, thue was Du willst, hier hast Du nichts zu befehlen.«
Er ließ den Reisenden stehen und machte sich mit seinem Gefährten daran dem Pferde Hülfe zu leisten. – Vorsichtig und schnell trafen sie ihre Anstalten. –
»Es geht,« sagte Lars, »fasse die Zügel, Henrik, so – hierher fremder Mann, hilf mit, fasse meine Hand fest.« – Der Fremde gehorchte – »jetzt noch einmal – so –«
Das Thier arbeitete sich empor und nach einigen zweifelhaften Anstrengungen, stand es oben, brach von Neuem ein und hob sich wieder, bis es mit abermaliger Hülfe glücklich herausgezogen war.
»Da steht es auf seinen Beinen, daß arme Geschöpf,« rief Lars fröhlich, und indem er seine schmutzige, große Hand fest auf die Schulter des Fremden legte und ihn schüttelte, sagte er gutmüthig: »Ist es Dir nun nicht lieb, daß Du bei uns geblieben bist? Nu siehst Du, wie man Schweres thun kann, wenn man will, und jetzt komm schnell, wir wollen Dich in des Probstes Haus führen, wo Jungfrau Mary sorgen wird, Dir eine warme Suppe und ein gutes Bett zu geben.«
Der Probst Fahlberg in Grover war seit einigen Stunden nicht allein in seinem Hause. Er hatte einen werthen Gast darin, dessen Besuch ihm viele Freude machte. Ein alter Freund war angelangt, der als Distriktsarzt tief in den Bergen wohnte, von wo er dann und wann sich aufmachte und keine Beschwerden scheute, um mit dem Genossen seiner Jugend ein paar Tage zu plaudern, zu rauchen und nebenher eine hübsche Anzahl Gläser Punsch und Toddy Ursprünglich ist damit Palmwein gemeint. Die Briten und Skandinavier verwendeten den Begriff dann aber für alle möglichen dem Grog ähnliche Getränke aus hochprozentigem Alkohol, Zucker und Wasser. zu leeren.
Dem warmen behaglichen Gastzimmer im Pfarrhause, mit seinen blumigen Tapeten, welche die Balkenwände bekleideten, dem weichen Sopha und den hübschen Mobilien merkte man es nicht an, daß es am öden Felsenstrande lag und draußen der Sturm tobte. – Die Dielen aus feinen Tannenbrettern sahen blendend weiß unter dem Teppich hervor, der den größten Theil derselben überdeckte, Schränke von Nußbaum und Birkenmaser trugen Tassen und Gläser in langen Reihen aufgestellt, und an den Wänden unter Glas und Rahmen hingen Landschaften in Kupfer gestochen neben einigen alten Familienbildern, die verdunkelt und zerborsten zwar, doch den Ehrenplatz in der Mitte behaupteten. –
Die beiden Herren saßen rauchend und trinkend an dem großen Tisch und ihnen gegenüber am Ofen hatte auf einem niedern Sessel ein Dritter Platz genommen, ein stämmiger Gesell, der dicht an der Feuerstelle seinen Kalmukrock bis ans Knie zugeknöpft hielt; kaum daß er den rothen Shawl von Wolle abgethan und über sein Knie gelegt hatte. – Aus seiner kurzen Pfeife stieß er von Zeit zu Zeit dichte Dampfwolken hervor, stützte den Kopf in seine Hände und sah in die Flamme, welche seine rauhen harten Gesichtszüge überglühte.
»Das ist eine Freude Dich endlich wiederzusehen, mein wackerer Arsen,« sagte der Probst, indem er seinem Gaste die Hand über den Tisch bot; »wenn ich Dich habe, vergehen Noth und Kummer, die so lange uns geplagt haben.«
»Ich verbiete Dir auch alle Sorge und Traurigkeit,« rief der Doctor, »denn sie sind gesundheitswidrig, wirken verderblich auf Milz und Magen, schwächen die Verdauung und helfen zu nichts. Laß Du die Zeiten gehen, wie sie eben sind, alter Christian Fahlberg, ich will Dir jedoch ein Rezept ertheilen, wie Du jetzt am besten alle Grillen los wirst.«
Er strich das ergraute, buschige Haar von seiner gefurchten Stirn, legte dann den Finger an seine rothe Nase und sprach:
»Geh hinaus, alter Mensch, jetzt wo Gottes Sonne den Tod von allen Wäldern und Wiesen jagt, wo duftige Kräuter aufzusprießen beginnen, wo die Thüren sich aufthun und die arme schmachtende Kreatur freudig in die grün schimmernden Alpen eilt. Geh hinaus und werde jung. Athme die reine Gottesluft, und wenn Dir's in der Brust zu weit und zu warm wird, dann nimm das Herzenskind in Deinen Arm, mein Pathchen Mary – Wo steckt sie denn, das verwetterte Ding mit den langen Flechten wie eine Nixe? – Die halte fest und schaue ihr in die großen blitzenden Augen, so werden alle Sorgen abfallen, aller Kummer vergehen, der ganze verwünschte Kram von Plackereien und Nöthen, womit sich das Menschenvolk quält und in Schande und Unehre bringt – dixi! alter Christian, probatum est! und nun schenk' ein und laß uns weiter trinken.«
Der Probst füllte die Gläser, indem er herzlich über den alten Freund lachte. –
»Du hast wohl recht, Magnus,« erwiederte er dann; »aber die Sorgen kommen von gar zu vielen Seiten und kommen von selbst. – Erstens ist da die drohende Leibes- und Nahrungssorge zu bedenken. Es hat uns schlecht gegangen seit Jahren. Der Hunger schlug an unsere Thüren mit seinen knöchernen Fingern, im letzten Winter jedoch machte er es gar zu toll. Mißwachs überall, kein Brod für uns, kein Heu für unser Vieh, das Meer von feindlichen Schiffen gesperrt, keine Zufuhr, ohne die wir doch hier im Lande nicht leben können, und dazu schwere Steuern und Taxen, kurz überall hohle Backen, hohle Magen, kummervolle Gesichter, verzweiflende arme Menschen, von denen mancher elendiglich in sein Grab gelegt wurde.«
»Ei,« sagte der Doctor, »was sind die Küstenleute doch für Schwelger und Prasser, die, wenn's einmal knapp hergeht, gleich verhimmeln wollen. Da kommt zu uns in unsere wilden einsamen Thäler, wenn ihr Geduld und Ergebung in Gottes Verhängnisse lernen wollt. Rechtschaffen haben wir getheilt, was wir hatten, so lange ein Haferkorn da war. Seit sechs Monaten weiß ich nicht, wie ein Glas Grog schmecken könnte, und als der Winter kam mit seinen Gespenstern in den langen Eisröcken, als sie herabstiegen von den ewigen Jökuln und sich schweigend an unsere Thüren stellten, da haben wir nicht den Muth verloren. Wir haben mit ihnen mannhaft gekämpft, alter Christian, und kämpfen noch, so gut es gehen will mit unsern ausgehungerten Leibern. Ihr aber hier an dem offenen Meer mit seinen Fischen, an den Vorbergen, wohin sich Rennthier und Wild flüchtet, um Nahrung zu suchen, an den Fjorden, in welche bald einmal ein flinkes Schiffchen den Weg findet, das von Schottland herüber kommt, beladen mit Korn, Thee, Zucker, Rum, Fleisch und tausend prächtigen Sachen, ihr seid kleinmüthiges Volk, das nichts von der echten und rechten Noth kennt und darum zurecht gewiesen werden muß.«
»Gott sei's geklagt!« versetzte der Probst, »es ist böse genug; was aber die Schiffchen mit Manna aus Schottland betrifft, so kannst Du dort an dem armen Peter Klüver ein Beispiel sehen, wie es hergeht.« –
Er deutete auf den Mann am Ofen und sagte:
»Der kam gestern mit seiner Schaluppe glücklich in den Fjord. Den englischen Kreuzern war er entgangen, kaum aber lag er vor Anker, so erschienen die bewaffneten Boote der dänischen Corvette, die draußen in den Scheeren liegt, nehmen die Ladung für sich in Beschlag, preßten die Mannschaft zum Dienst des Königs und ließen ihn, kahl wie eine Maus, liegen, mochte er klagen und schreien, so viel er wollte.«
»Aha!« rief der Doctor, »die dänischen Herrn brauchen ihr Recht; sie sind die Stärksten und wollen nicht hungern. Es ist freilich ein übles Ding für den armen Peter da, der sehr verdrießlich aufsteht und ein schiefes Gesicht macht; doch nur Geduld, jetzt muß es ja anders werden: Es lebe die Freiheit und Gerechtigkeit! es geht nichts darüber.«
»Hast Du Neuigkeiten aus Christiania gehört?« fragte der Geistliche.
»Freilich hab' ich gehört, und zwar was von Wichtigkeit ist.« –
Er zog ein Zeitungsblatt aus seiner Tasche und sagte:
»Hier steht es, Prinz Christian hat erklärt, er wolle es mit der Nation halten, Norwegen soll nicht an die Schweden kommen, was geht es auch den Norwegern an, daß ein Friede in Kiel geschlossen worden ist, worin Dänemark dies Land an Schweden abtritt. Im Jahre 1814 verhandelt man eine Nation nicht, wie eine Heerde Schafe und giebt ihr, ohne sie zu fragen, einen neuen Herrn.«
»Wahr, wahr!« rief der Probst mit blitzenden Augen, »kein Mann wird sich das gefallen lassen.«
»So hat denn Prinz Christian mancherlei Beschlüsse gefaßt,« fuhr der Doctor fort, »und was das Allerwichtigste darunter ist, er hat verordnet, daß in größter Eile sich aus ganz Norwegen Abgeordnete auf dem Eisenhammer Eidsvold am Miösensee einfinden sollen, die zu erwägen haben, was geschehen soll. Das Volk soll diese Männer wählen, Heer und Flotte sollen Abgesandte schicken, kurz, alter Christian, es wird eine National-Versammlung sein, wo es heiß genug hergehen wird.«
»Recht so!« sagte der Probst, »das ist ein Ersatz für unsere langen Leiden. Endlich wird Norwegen frei werden, ja es muß jetzt frei werden, denn lange genug haben wir heimlich daran gedacht, das Volk vorbereitet, den Nationalgeist geweckt und in Büchern, Schrift und Rede es beklagt, daß seit Jahrhunderten unsere alte Unabhängigkeit so schmählich verloren ging.«
»Still, Alter,« rief der Doctor, »Du bist ein Mann des Friedens und darfst nicht nach Krieg rufen. Was sollte das werden, wenn man Dich in die Versammlung nach Eidsvold schickte?«
»Dann würde ich Zeugniß ablegen für mein Volk, mit ihm leben und mit ihm sterben; allein nicht mich wird und soll man wählen, sondern den Landrichter von Mölmholm, Johann Oersteen, und weil ich einmal von diesem Manne rede, so sollst Du auch wissen, daß ich ihn werth halte, so werth, daß ich ihm das Liebste, was ich auf Erden besitze, anvertrauen will. Er soll mein Schwiegersohn werden.«
»Eine Hochzeit also,« sagte der Arzt verwundert, »eine Braut im Hause und draußen draußen Krieg, oder Zank, oder Gäste,« fuhr er aufhorchend fort. »Es kommt Besuch in Dein Haus, Fahlberg.«
»Ich erwarte den Landrichter,« versetzte der Probst, indem er aufstand, »ich habe an ihn geschrieben und ihm die Geschichte von der Plünderung der Schaluppe des armen Peters mitgetheilt.«
Er ging nach der Thür, doch diese ward so eben geöffnet und Lars schob den Fremden aus dem Moor herein. –
»Komm und sei ohne Sorge,« sagte er, »hier ist der Probst. Guten Abend, Probst. Hier hast Du einen Mann, der auf der Straße in ein Loch fiel und den wir herausgezogen. Du wirst für ihn sorgen müssen.«
Der Geistliche begriff sogleich den Zusammenhang. Der Fremde war blaß und erschöpft; sein Gesicht hatte einen stolzen Ausdruck, es stritt darin der zornige Ärger über sein Ungemach mit dem Bemühen, dies unter den Formen eines höflichen Anstandes zu verbergen. Der Überrock, in den sein schlanker Körper gehüllt war, triefte noch immer vom Wasser; er verbeugte sich leicht und sagte lächelnd:
»Ich muß mich der Bitte dieses wackern Mannes anschließen, Herr Probst. Ich stürzte mit Wagen und Pferd in eine Grube, aus der ich mit Noth entrann; so stehe ich denn Hülfe suchend vor Ihnen, naß, wie eine wahre Wasserratte.«
»Geschwind die Kleider herunter,« schrie der Arzt, der aufgesprungen war. »Wäsche herbei; Peter Klüver, fort da, zieh Deinen dicken Rock aus und gieb ihn her. Wäsche herbei, Strümpfe und Pantoffeln, wir müssen eine trockene Landratte vor allen Dingen aus Ihnen machen, mein junger Herr. Hinter den Ofen also, und treten Sie dann, als ein neuer Mensch, aus der Hölle in unsern Kreis, so verordne ich Ihnen, kraft meines Amtes, als Doctor, ein halbes Quart von diesem stärkenden und wärmenden Getränk, Punsch genannt, welches Sie, bei Strafe in ein heftiges Fieber zu verfallen, sogleich ohne abzusetzen leeren sollen. Also vorwärts, ohne Widerrede, vorwärts!«
Er zog seinen Schützling eifrig, wohin er ihn haben wollte, Lars half ihm die nassen Kleider abthun und alle bestrebten sich hülfreich zu sein. Der Probst schaffte trockene Wäsche herbei und mitten in ihren Bemühungen bemerkten sie nicht, daß die Gesellschaft sich vergrößert hatte, denn ein neuer Gast war eingetroffen, der Landrichter von Mölmholm, welcher ins Zimmer trat, und ruhig zusah, was an der Ofenseite geschah. – Erst nach einem Weilchen erblickte ihn der Probst und begrüßte ihn freundlich. –
»Vortrefflich, daß Sie zu uns kommen, lieber Oersteen,« sagte er; »hier giebt es viel zu hören und zu besprechen.«
Er erzählte ihm von dem Unfall des Fremden, von dem Besuch des Doctors, von Peter Klüvers Leiden und Schicksale, und das kluge bewegliche Auge des Gerichtsmannes flog prüfend von dem Einen zum Andern. –
»Wo ist aber meine liebe, kleine Mary?« fragte er dann.
»Als geschäftige Hausverwalterin, wo sie sein muß, in der Küche, um für uns zu sorgen,« erwiederte der Vater.
»Und wer ist der Fremde?«
»Seit wann wäre es denn Sitte in Norwegen,« sagte der Probst lächelnd, »einen Hülfesuchenden zu fragen, wer er sei?«
In dem Augenblick trat der Reisende in Peters Überrock hinter dem Ofen hervor. –
»Baron Rosen!« rief Oersteen mit lebhafter Verwunderung, »ich täusche mich nicht, welcher glückliche Zufall führt Dich hieher?«
»Frage lieber, welcher unglückliche Zufall mich in diesen Kalmukrock bringt,« sprach der junge Herr lachend, indem er dem Sorenskriver die Hand reichte. – »Um es Dir jetzt kurz zu sagen, Oersteen, ich komme von Christiansund mit dem Befehl das Kommando der Corvette Najada zu übernehmen, die in Eurer Nähe, Ihr Herrn, hier in den Scheeren liegen muß, und bin in solcher Eile gereist, daß meine Diener zurück bleiben mußten. Weißt Du, wo die Najada sich befindet?«
»Das wissen wir genau,« erwiederte der Probst, »Denn gestern noch hat sie uns die Proben ihrer Nähe geliefert.«
Der Landrichter winkte ihm so bedeutungsvoll zu, daß er schwieg. –
»Die Najada liegt vor dem Fjord,« sagte Oersteen: »Du kannst in einer Stunde am Bord sein, wenn Du willst. Aber Du mußt uns diesen Abend schenken, lieber Rosen, wir müssen beisammen bleiben, plaudern und trinken; uns der alten Zeiten erinnern.«
»Und der neuen gedenken,« rief Rosen.
»Auch das,« sprach Oersteen, indem er die Worte stark betonte. »Wohl denen, die Alles bedenken in dieser verwirrten Zeit.«
Der Doctor Alsen hatte indessen am Tische die vorgeschriebene Arzneien für den Baron bereitet. Nach nordischer Sitte stand hier der Theekessel mit dem brodelnden Wasser, den Lars geschäftig aus dem Ofen zog; ein Flaschenfutter in schönem Ebenholzgestell mit silbernen Rändern enthielt das Letzte, was der Probst an Rum und Rack besaß, und nicht ohne einen kläglichen Blick sah der geistliche Herr, wie unbarmherzig der Doctor damit umging. Dieser ließ sich jedoch nicht stören, an Süße und Saft hinzuzuthun, was ihm gut dünkte, auch ruhte er nicht eher, bis der junge Seekapitain die volle Ladung, wie er es nannte, ausgehalten hatte.
Die Gläser wurden nun fleißig benutzt, das Gespräch belebte sich, der Landrichter Oersteen und der Baron sprachen von der Zeit, wo sie zusammen in Kopenhagen die Schule besucht; es gab Anekdoten, Erinnerungen an entfernte Personen, Scherz und Gelächter, nur Peter, der geplünderte Schiffspatron, saß, finster auf den dänischen Herrn blickend, in seiner Wolljacke auf dem Sessel am Ofen und murmelte dann und wann einige leise Worte mit Lars, der neben ihm lehnte und den Grog, welchen ihm der Doctor zuerkannt, langsam ausschlürfte.
»Es ist doch sonderbar,« sagte er, »daß diese Männer von solchen Narrenspossen reden und dabei vergessen, daß hier Einer sitzt, der über schweres Unrecht zu klagen hat.«
»Freilich ist es Unrecht,« erwiederte Lars, »aber jeder hat seinen eigenen Mund erhalten. Rede Du selbst zu dem Dänen, wenn's Niemand thut.«
»Was kann's helfen,« murmelte Peter vor sich hin. »Ein Däne hat noch nie seinen Raub herausgegeben, und dieser da sieht so hochmüthig aus, wie irgend Einer.«
»Da hast Du Recht. Er ist sicher Einer, der da denkt, die Welt ist für ihn gemacht.«
»Und ist es nicht sonderbar,« fuhr Peter fort, »daß ich dem Kerl, der mein Eigenthum mir stehlen ließ, auch meinen Rock geben muß?«
Lars lachte laut auf und weil es gerade stiller am Tische geworden war, wurde es dort bemerkt. – Der Probst drehte sich um und blickte Lars an.
»Du bist noch hier, mein Sohn,« sagte er. »Es wird spät, trinke Dein Glas aus und gehe nach Haus!«
»Sogleich, Herr,« sprach der Bauer, indem er sich bereit machte.
»Warte einen Augenblick, Freund,« rief der Baron und holte seine Börse aus der Tasche. »Wo ist Dein Kamerad, wackerer Bursche? Nimm das und theilt es Euch; macht Euch einen lustigen Tag und trinkt auf Telegröb und meine Gesundheit.«
Der Bauer streckte jedoch die Hand nicht aus.
»Gute Werke bezahlt Gott; Herr,« sagte er, »behalte Dein Geld, ich mag es nicht. Wenn Du jedoch gerecht sein willst, so sei es gegen diesen Mann, dem seine ganze Habe geraubt wurde.«
Er deutete auf Peter am Ofen und plötzlich erhob sich dieser und trat hervor. Seine starke, knochige Gestalt stützte sich auf die Faust, welche er auf den Tisch drückte, sein wettergehärtetes Gesicht belebte sich von dem Schmerz, den er empfand. So erzählte er mit einer Art wilden Beredtsamkeit, was ihm geschehen, und malte trotz der Einfachheit seiner Worte die Vorgänge so klar und wahr, daß der Probst und der Doctor den wärmsten Antheil nahmen und dem Baron das Unrecht wiederholten, das hier begangen worden sei.
»Seien Sie überzeugt, meine Herren,« erwiederte dieser, nachdem er durch mancherlei Fragen sich von den Nebenumständen unterrichtet hatte, »morgen schon werde ich eine genaue Untersuchung anstellen. Dem Manne soll kein Unrecht geschehen, nur muß man in bedrängter Zeit nicht Alles so nennen, was in Frieden und Ruhe so heißt. – Die Najada ist ein königliches Kriegsschiff, das seinen Posten nicht verlassen darf. Hat es Mangel am Nothwendigen, so muß es sich dies verschaffen; hat es Mangel an Mannschaft, so erfordert das Heil des Vaterlandes, daß dafür gesorgt werden muß. – Der Staat muß natürlich diesem Manne seine Verluste vergüten; ich werde ihm jedenfalls bescheinigen, daß er uns seine Vorräthe überlieferte und ihm eine Anweisung auf das Kriegsamt in Kopenhagen ertheilen.«
»Da sparen Sie die Mühe, Kapitain,« sagte Peter verächtlich, »Ihr Schein ist keinen Schilling werth. – In Kopenhagen will man von Norwegen wohl Geld haben, aber keins geben.«
Der Baron machte eine abweisende Bewegung und warf einen strengen Blick auf den kecken Sprecher.
»Was die Mannschaft der Schlupp betrifft,« fuhr er fort, »so wird sie verständig sein und einsehen, daß das Land ihrer Dienste bedarf. Kein wahrer Patriot aber wird sich beklagen, daß solche Dienste verlangt werden; keiner wird sich weigern, oder gar darin etwas Unrechtes sehen.«
Der Probst rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her, die Röthe stieg in sein Gesicht, er wollte sprechen, aber Oersteen kam ihm zuvor.
»Es ist mir nicht lieb, daß diese Sache heut hier zur Sprache kommt,« begann er, »ich hatte mir vorgesetzt es Dir morgen vorzutragen. Die genaue Untersuchung, welche Du versprochen hast, muß uns für jetzt genügen. Wir Alle sehen auch sehr wohl ein, was die Zeit erfordert. Das Land ist jedoch in einer eigenthümlichen Lage, denn wissen wir doch selbst nicht, was werden wird mit uns, nachdem Dänemark uns halb und halb aufgegeben hat.«
»Und vor allen Dingen wissen wir nicht,« fiel hier der Probst ein, »ob die Corvette da draußen ein dänisches, oder norwegisches Kriegsschiff ist.«
»Ohne Zweifel gehört das Schiff Sr. Majestät Friedrich dem Sechsten,« sagte der Baron. »In seinem Namen befehlige ich es.«
»Dann,« rief der alte hitzige Herr, »begreife ich nicht, mit welchem Recht freie Norweger auf ein dänisches Kriegsschiff gepreßt werden, mit welchem Recht man eine norwegische Schlupp plündert? – Dann hat auch dänische Herrschaft hier aufgehört, und einzig und allein kann von Christiania – von Prinz Friedrich, dem Reichsverweser – vor der Versammlung, die nach Eidsvold berufen ist, um das Wohl des Landes und dessen Zukunft zu bestimmen, die Sache verhandelt werden.«
»Bauern, Bürger, Soldaten,« rief der Baron dazwischen, »allerdings sie sind berufen, wie ich gehört habe. Was weiß man aber weiter davon? – Der Prinz allerdings, der Prinz ist dort und er ist der Thronfolger in Dänemark. – Ich habe keine Befehle, meine Herren, keine anderen, als an den Küsten hier zu kreuzen, und seit die Engländer uns nicht mehr feindlich bedrohen, Wache zu halten und Ordnung.«
»Und welche schöne Ordnung,« sagte der Doctor, »herrscht nicht hier; alle Wetter! Es ist eine Freude das zu sehen. – Seit drei, vier Jahren hat Norwegen fast keine Verbindung mehr mit Dänemark, denn die Engländer hatten alle die langen Fäden rein abgeschnitten, an denen man uns von Kopenhagen aus lenkte. Leider waren wir auch nicht einmal mehr im Stande unser Silber aus Kongsberg und unsere Steuern, wie sonst, der geliebten väterlichen Regierung zuzusenden; wir mußten sogar Norweger zu Beamten machen, weil uns keine über's Meer zugesandt werden konnten; wir mußten unsere Kinder behalten, eine eigene Universität errichten, damit sie hier etwas lernen könnten, nicht jenseits des Kattegats, wie sonst. Wir mußten hungern, weil Dänemark Krieg führte; wir verloren unsere Schiffe, unsern Handel, unsere Ausfuhr. Unsere junge Mannschaft schlug die Seeschlachten Dänemarks und erntete Ruhm als dänische Matrosen, und alles das thaten wir ordentlich und freudig, mit Lust für das Vaterland, mit Liebe für die gute Sache. Wir hielten uns aufrecht unter zahllosen Leiden, denn der Sinn dieses Volkes ist verständig, und wenn es auch nur Bürger, Bauern und Soldaten sind, die man jetzt nach Eidsvold berufen, so werden sie doch wissen, was dem Volke wohl thut. Sie werden ihm an den Puls fühlen, ihm das richtige Tränklein verschreiben, ein stärkeres Tränklein vielleicht, wie ich es dem Herrn Baron so eben verschrieb, daß der ganze Organismus davon erschüttert wird; aber sie werden Norweger sein und Norweger bleiben wollen.«
Die Worte des Doctors machten sehr verschiedenen Eindruck. Lars und Peter hörten mit gespannter Aufmerksamkeit zu, der Probst nickte beifällig; der dänische Offizier verbarg seinen Unmuth unter einem stolzen Lächeln, Oersteen aber sagte vermittelnd:
»Was nützt alles Streiten und Wortgefecht, wer kann in die Zukunft blicken. Däne und Normann ist seit Jahrhunderten verbunden, wünschen wir doch, daß sie sich nie trennen. Wir sind zufrieden gewesen in guter Zeit, in schlimmen wollen wir treulich aushalten. Es lebe Prinz Christian, der zum Wohle des Landes bei uns ist! Ihm wollen wir vertrauen und unserem Muthe, so wird sich Alles zum Besten wenden.«
Dieser Toast wurde getrunken und bei dem Schweigen, welches hier folgte, gab Lars dem Schiffspatron einen Wink und sagte der Gesellschaft gute Nacht. Peter ging mit ihm, und als er die Thür öffnete, trat ein junges Mädchen herein, vor deren freundlichem guten Gesichte unwillkürlich auch seine finstere Miene einen hellen Schein annahm. –
»Gute Nacht, Jungfrau Mary,« sagte er; »guten Abend Henrik Dartley,« setzte er hinzu. Die beiden Genannten traten herein und Peter Klüver machte die Thür zu.
Der Probst blickte offenbar mißlaunig auf seine Tochter und ihren Begleiter, den er nicht gern an Mary's Seite sah. Schüchtern trat das hübsche Mädchen näher und reichte dem Landrichter begrüßend die Hand, als dieser schnell aufstand und ihr entgegen ging.
»Das ist meine Tochter Mary,« sagte der Probst zu dem Baron, »und hier haben wir Herrn Henrik Dartley von Rothbergsland, der Sohn einer meiner alten Freunde und Nachbarn, der mir vorangegangen ist in die Ewigkeit.«
Der Baron begrüßte Beide und faßte den jungen Gutsbesitzer scharf ins Auge. – Die blonden hellen Locken hingen diesem um ein frischblühendes Jünglingsgesicht, aus dem ein paar trotzige blaue Augen feurig und schelmisch blitzten. Henrik konnte sich eines Lachens nicht erwehren bei der Verwunderung des Kapitains, als er zu sprechen begann, und wie dieser endlich rief: »bei Gott! Sie müssen es sein, der mit dem Bauer mir aus der Grube half,« gestand er es ungezwungen ein und nahm den Dank in Empfang, den Rosen ihm nun spendete.
Während dieser Zeit bestellte Mary mit Hülfe einer Dienerin den Tisch. Weißes sauberes Leinenzeug wurde ausgebreitet, und wie das geschäftige Kind sich regte, die Teller und Messer ordnete, den Korb mit den Fladbröd aufsetzte, dann eine Schüssel mit frischgefangenen Seyfisch, eine andere mit Ertoffeln, die Peter Klüver gebracht, als den Rest von vielen, die er gestern noch besessen; da verfolgte der junge Offizier mit wachsendem Behagen die liebliche schlanke Gestalt. Braune reiche Flechten schmiegten sich voll und weich an das erglühende Gesicht, in welchem die starken Züge des normannischen Geschlechts in den reinsten Zügen ausgeprägt waren, und der Kapitain sagte sich leise:
»Dies Mädchen ist wahrhaftig gebaut und gebildet, daß, wenn sie statt des dunklen Wollkleides ein Seiden- oder Spitzengewand trüge, Perlen und Goldschmuck dazu, nicht leicht eine unserer glänzendsten Schönheiten, sich mit ihr messen könnte.«
Der Doctor hatte auch wohlbehaglich Mary angeblickt, und als sie hinausging, dem Probst zugelächelt.
»Was sie schön geworden ist seit dem letzten Jahre,« rief er aus. »Es ist ein Kernmädchen, durch und durch aus einem Guß; man möchte immer nur nach ihr sehen, und wenn ich jung wäre, alter Christian, so ein dreißig, vierzig lumpige Jahre zurück von einem einfältigen Menschenleben, ich würde mich ihr schon angenehm zu machen wissen. Niemand dürfte das Schätzchen haben, als ich, daß Du es weißt; alle Nebenbuhler räumte ich aus dem Wege.«
»Versucht es immer noch, Doctor,« sagte der Landrichter spöttelnd, »was können die Jahre gegen die Leidenschaft! Unter grauem Haar glüht das Herz oft noch am stärksten, auch haben Mädchen zuweilen seltsame Passionen für alte, weise Herren. Überdies seid Ihr ja ein Doctor, erfahren in allerlei geheimnißvollen Tränken. Braut Ihr ein Zaubermittel, wie es von den alten Nornen und Feien erzählt wird, dann wird es Euch nicht fehlen sie heim zu führen.«
»Lieber Oersteen,« erwiederte Herr Magnus, indem er seine klugen Augen über den Landrichter gleiten ließ; »Sie sind zwar ein trefflicher Rechts- und Gesetzverständiger, dem weit und breit Niemand gewachsen ist, und der seine Sporteltaxe auswendig kennt, ob Sie aber die Sporteltaxe der Liebe eben so genau verstehen, steht dahin. – Die verlangt ganz andere Bezahlung in ihren Prozessen, als mancher junge Herr geben kann. – Da handelt es sich nicht um Geld und Titel, man bezahlt vielmehr mit schlanken Gliedern, weißen Zähnen, vollen Locken und dergleichen; ihr aber mit Eurer hohen fahlen Stirne und etwas krummen Beinen, lieber Freund, habt die Braut auch noch nicht auf dem Kirchgang an der Hand. Da seht her, hier Henrik Dartley, das ist ein Mann, wie er den Mädchen gefällt. Vor dem nehmt Euch in Acht, würdiger Landrichter, wahrhaftig, vor dem habt Ihr Euch zu hüten.«
Das schallende Gelächter des Doctors, nachdem er geendet, wurde von Niemandem getheilt. Oersteens kahle Stirn röthete sich dunkel; der Probst machte ein böses Gesicht auf seinen alten, groben Freund, und ärgerte sich über Henrik, der sein Lob mit Genugthuung zu hören schien. –
Es war ein Glück, daß Mary in diesem Augenblick wieder erschien, wodurch das Gespräch abgebrochen wurde. Man setzte sich an den Tisch, nahm Messer und Gabel zur Hand, und jeder schien sich zu bemühen, nicht wieder auf das Besprochene zurückzukommen. Der Probst aber sowohl, wie Magnus Alsen und der Landrichter am meisten, warfen zuweilen beobachtende Blicke auf die beiden Jüngsten der Schmausenden am Tisch, die als Nachbaren zusammen saßen, und wenn die andern recht laut und lebhaft wurden, heimlich zu flüstern, sich anzusehen und zu lachen hatten.
Aus diesem Grunde suchte Oersteen auch bald den jungen Henrik häufig ins Gespräch zu ziehen, ein Bemühen, wobei ihn der Probst unterstützte. –
Der Landrichter fragte nach Henriks Gute, Rothbergsland, und weil er wußte, daß dies, ansehnlich zwar, doch in der bösen Zeit und durch seines Vaters Sorglosigkeit und Milde, tief verschuldet war, konnte er in manchen geschickten Redewendungen es hindurch schimmern lassen, daß dieser junge Mann eigentlich so viel als nichts besitze, daß er in den Händen seiner Gläubiger sei, ja, daß er vielleicht in Kurzem davon vertrieben, als ein Bettler umherirren werde, wobei es sehr auf ihn, den Landrichter, ankomme, wie gegen ihn verfahren werde.
Anfangs beantwortete der junge Mann die Fragen, welche Oersteen mit scheinbar freundlicher Theilnahme an ihn that, in völliger Arglosigkeit, nach und nach erkannte er jedoch die Absicht und nun wendete auch er seine Rede verletzend gegen den geschworenen Schreiber, den er haßte und verachtete.
Man sagte Oersteen Geiz und ein hochmüthiges Beamtenwesen nach, das unter den Hirten und Bauern, die in ihrer Naturfreiheit die Unterschiede der Gesellschaft wenig kannten, ihm eine geringe Zahl von Freunden erworben hatte. Er trieb wirklich, wie der Doctor scherzend sagte, seine Sporteln unnachsichtig ein, und das Alles bot jetzt Henrik manchen Anlaß zum Spott über die Justiz und über den Stand der Landrichter insbesondere, der ganz vornehmlich hier zu Lande »ein blutsaugender« mit Recht genannt werden konnte, weil fast alles Einkommen auf Sporteln beruhte, die häufig zur schändlichsten Erpressung wurden.
»Sie sind,« sagte der Richter endlich lachend, nachdem das Blut sich mehr und mehr erhitzt hatte, »ein gewaltiger Jäger, Herr Dartley; wahrscheinlich machen Sie im Hochgebirge Entdeckungen von verborgenen schönen Einsamkeiten, wo es sich billig leben läßt, wenn alles Andere verloren ist.«
»Vielleicht haben Sie Recht,« erwiederte Henrik, in derselben Weise, »denn wirklich habe ich auf meinen Streifzügen manche geheimnisvolle Wohnung aufgefunden, wo man sicher ist, daß kein geschworner Schreiber jemals Streit anzettelt. Sie wissen, Herr Oersteen, daß Rothbergsland Wälder besitzt und Weiden, die tief in die Gebirge laufen. Noch vor einem Menschenalter hatte es freilich dreimal so viel, allein mein Großvater begann einen Prozeß um einen Waldstrich auf dem zwanzig Bäume wuchsen. Einer Ihrer Vorgänger führte diesen, und die Folge war, daß nach zwanzig Jahren mein Vater halb Rothbergsland verkauft hatte, um die Prozeßkosten zu decken, als der Streit glücklich beendet war.«
»Beschwere Dich doch nicht darüber, Kind,« fiel der Doctor ein; »Du behieltest ja die Hälfte. Danke Gott für die gerechte Justiz und den gnädigen Landrichter. Viele haben in ähnlichen Fällen nicht einen Fußbreit mehr ihr genannt; sie sind verschollen und verstorben, den gewonnenen Prozeß in der Tasche.«
»Wie kommen wir auf solche betrübende Dinge,« sprach der Probst. »Dein Vater hat freilich viel verloren, aber Rothbergsland ist immer noch ein schönes Gut, das seinen Werth haben wird, wenn der Friede zurückkehrt. Du mußt in die Welt hinaus, Henrik, wie ich es oft schon sagte, und jetzt ist die Zeit dazu, nicht müßig zu sein. Wer weiß, was in Christiania geschieht; wie bald das Vaterland seine Söhne fordert, und Du hast etwas gelernt, bist auf der Universität gewesen. Kenntnisse helfen jetzt mehr als Alles zum Fortkommen in der Welt.«
Der junge Mann versetzte lächelnd:
»Ich habe freilich wenig Lust von diesem mir so theuren Boden zu scheiden, Herr Probst, denn Sie wissen wohl, wie sehr ich ihn liebe, sollten indeß Umstände eintreten, die ihn mir verhaßt machen, oder sollte mein Vaterland meiner bedürfen, so werde ich gehen, wär's auch um nie wieder zu kommen.«
Den Blick, den Henrik dabei auf seine Nachbarin warf, welche die Augen niederschlug, der Ton seiner Stimme, die leise zitterte, und die strenge Miene des Geistlichen, gaben seinen Worten eine Deutung, welche nicht zu verkennen war. Der Dänische Offizier hatte sich in die Riffen des Sophas zurückgelegt, und schien zu schlafen, als der Probst aufstand und unmuthig sagte:
»Wir haben diesen Abend ganz anders verlebt, als wir dachten und wollten. Es ist spät geworden; unser Gast ist müde, so laßt uns denn für heute scheiden und nehmt mit der Bewirthung fürlieb, die ich geben kann.«
Der Probst gab seiner Tochter einen Wink und diese ging hinaus, nachdem Henrik verstohlen unter dem Tisch ihre Hand gedrückt; dann nahm er seinen Hut und sagte gute Nacht.
»Willst Du nicht bei uns bleiben?« fragte der Probst; aber in der Frage lag die Weisung, daß er es nicht wünsche. – Henrik verstand es.
»Nein,« sagte er. »Rothbergsland ist eine Stunde nur und hier ist das Haus voll Gäste. Wenn es erlaubt ist, komme ich jedoch morgen zur guten Zeit und denke etwas für die Küche zu liefern.«
Als er gegangen war, machten sich der Doctor und der Baron auch davon. Herr Magnus wurde die Treppe hinauf in das zweite Stockwerk geführt, wo ein niedliches Zimmerchen und ein weiches Bett ihn erwarteten; der Offizier sollte mit dem Richter zusammen wohnen, aber erst nach einer Stunde kam dieser nach und der Baron empfing ihn mit einigen Scherzen über sein Langebleiben.
»Wahrscheinlich,« sagte er, »hast Du Dich aus den Armen dieses schönen Pfarrkindes nicht loswinden können? leugne nickt, Oersteen, was hilft das Alles, Du bist verliebt.«
»Und wenn ich es bin?« –
»So wünsche ich Dir Glück. Dies Mädchen könnte jeden zu einem Roman bewegen, der für manchen mit einer Hochzeit endete.«
»Damit soll er auch enden, Rosen,« sagte Oersteen und setzte sich auf das Bett seines Freundes.
Der Seeoffizier lachte. –
»Der verdammte alte Doctor,« rief er; »er hat Recht, Du bist noch nicht auf dem Kirchgang, Freund.«
»Henrik Dartley, meinst Du?« murmelte Oersteen fast vor sich hin. – »Der Knabe! ich kann ihn zwischen meinen Fingern zerdrücken, so bald ich will.«
»Meinetwegen,« fuhr Rosen fort, »quetsche ihn platt, wie einen Brotkuchen. Es ist ein bäuerischer Tölpel, aber schlank von Gliedern, wie der Doctor sagt, das gefällt.«
Der Baron schien eine Freude daran zu haben, seinen Freund zu peinigen. Ein verächtliches Zucken bewegte Oersteen's Gesicht.
»Der Narr,« sagte er, »sein glattes Gesicht, das ist alles, was er besitzt. Ich will's ihm verleiden und da Du errathen hast, wie die Sachen stehen, so kann ich Dir sagen, daß ich so eben eine Unterredung mit dem Probst gehabt habe.«
»Die damit endete, daß er Dich als seinen Schwiegersohn umarmte.«
»Getroffen. – Er umarmte mich und sagte: Morgen wollen wir die Sache öffentlich machen. Henrik wird dann von selbst fortbleiben, und wenn er es nicht thut, werde ich meine Maßregeln nehmen.«
»So ist's recht,« sagte der Baron, »werft ihn aus dem Hause, damit er draußen heimlich umher schleicht.«
»Ich werde ein Wort mit ihm reden.«
»Schaff ihn Dir vom Halse.«
»Vielleicht – und im Notfall sollst Du mir helfen, Rosen.«
»Wo ich es kann, von Herzen gerne, mein Freund. Schaff' ihn unter irgend einem Vorwande auf die Najade und ich halte ihn fest, bis Du verheirathet bist, oder habe wohl gar Gelegenheit ihn eine Spazierfahrt nach Ost- oder Westindien machen zu lassen.«
»Wahrhaftig!« rief Oersteen von einem schnellen Gedanken durchzuckt. Dann ließ er den Arm sinken und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Du weißt nicht, daß dieser Mensch, so jung und unbedeutend er ist, doch eine gefährliche Wichtigkeit erhalten kann. – Unter den Bauern ist er in großem Ansehn. Er ist ein kühner Jäger. Keiner wagt so leicht, was er wagt. Er hat die ganze Leibesgeschicklichkeit dieser rohen Hirten, ihren Trotz und ihren ungeschlachten Muth; endlich aber, und darauf merke wohl, gehört er zu einem alten Geschlecht, das Gott weiß wie lange auf Rothbergsland wohnt.«
»Also ist er vielleicht gar der Abkömmling eines alten Wikinger Häuptlings,« sagte der Baron lachend.
»Es ist wohl möglich, daß irgend ein Jarl oder Seekönig sein Ahnherr war, den Halfden der Schwarze, oder Harald Harsager Halfdan der Schwarze (9. Jh.) war ein König von Vestfold. Er gehörte zum Haus Yngling und war der Vater von Harald Fairhair, dem ersten König eines vereinten Norwegens. mit eigner Hand erschlug. Du weißt wohl, Rosen, daß wir solche Bauern, deren Vorfahren Könige waren, mehrfach noch im Lande haben; aber dies Geschlecht hier ist von je an hoch in des Landvolks Gunst gewesen. Der alte Niels Dartley rühmte sich, daß niemals einer seiner Vorfahren dänisch gesinnt gewesen, nie einer ein Amt angenommen habe, und daß bei allen Aufständen, bei Streit und Klage über Druck und Steuern, immer die Dartley's voran waren. So haben sie auch stets eine Art Schirmherrschaft am Fjord und im Gebirge ausgeübt. Sie waren die Sprecher der Bauern, die Anreger aller Unzufriedenheit, und als die unruhigen Köpfe im Lande ihr Spiel begannen, als sich Gesellschaften bildeten, die, wie es hieß, für des Landes Wohl wirkten, in Wahrheit aber den alten Geist
der Unabhängigkeit im Volke aufweckten, die Ideen der Franzosen, den Freiheitsschwindel durch Norwegen verbreiteten, da haben diese Dartley's gethan, so viel sie konnten.«
»Dann sind sie in der That gefährliche Subjecte, die man früher schon beseitigen mußte,« rief der dänische Offizier.
»Dieser Henrik Dartley nun, fuhr Oersteen fort,»ist jetzt allein übrig. Er hat in Christiania auf der Universität, welche sein Vater auch stiften half, studirt, und kehrte zurück, als dieser starb. Aber er unterhält noch Verbindungen dort und verbreitet gefährliche Grundsätze hier unter den Bauern, denen er sie bei Jagden oder Besuchen vorträgt, ihnen die alten Landesgesetze erzählt und von der Freiheit und Gleichheit ihrer Vorfahren die lockendsten Schilderungen macht.«
»Ist dieser blondlockige Endymion In der griechischen Mythologie der schöne und ewig jugendliche Liebhaber der Mondgöttin Selene, die später mit Artemis gleichgesetzt wurde. ein solcher Aufwiegler,« fiel der Baron ein, »so müssen wir uns seiner bemächtigen.«
»Im Grunde hat er nichts bisher gegen den Buchstaben der Gesetze gethan, allein eben jetzt – weißt Du, was in Christiania vorgeht?«
»Ich weiß nichts, als daß eine Versammlung von allerlei Volk nach Eidsvold berufen werden soll.«
»Und weißt Du, was man dort vorhat?« –
»Man will dem Lande einen eignen König geben, einen König von Norwegen, der nicht schwedisch, auch nicht dänisch ist. Man will den Beschlüssen Europa's trotzen, Krieg führen, Schlachten liefern, aber man will den neugebackenen König, der Wunder vollbringen soll, zugleich die Hände fest zusammen binden, damit er nicht etwa nach seinem eignen Willen thue. Man hat eine Verfassung entworfen, die ihn ohnmächtiger macht, als irgend einen König in der Welt.«
Der Baron richtete sich im Bette auf und sah den Erzähler forschend an.
»Wenn Du nicht so verzweifelt ernsthaft aussähst,« rief er, »so dächte ich, es sei Scherz. Die Narren, was denken sie, was wagen sie? Was wollen diese unwissenden Bauern thun? – Höre, Oersteen, ich kann Dir mit wenigen Worten sagen, wie man jenseit des Meers denkt. – Wenn es irgend möglich ist, wünscht man Norwegen zu erhalten, und gelingt es dem Prinzen mit Hülfe des Landes sich hier zu behaupten, den Frieden von Kiel nicht zu erfüllen, so sind alle die donnernden Dekrete aus Kopenhagen, die ihm Gehorsam befehlen und zurückrufen, nichts als eine Fastnachtskomödie. Prinz Christian wird einst König sein in Dänemark, dann fallen die Kronen von Neuem vereint ihm zu, aber ein eigenes Reich, eine eigene Verfassung, eine Bauernverfassung – das giebt man nicht zu, niemals, nimmermehr!«
»Und doch ist es völliger Ernst,« sagte Oersteen, »Der Prinz hat sich wenigstens scheinbar gefügt, wie schwer es ihm auch werden mag. Ich habe die sichersten Nachrichten, weiß genau, was die Verschworenen zu thun denken. Sie haben eine Verfassung aufgestellt, die der Landrichter Falsen, einer der wildesten Freiheitsschwärmer, entworfen hat. Der Adel soll abgeschafft werden, die Presse frei sein, das Volk sich selbst regieren, alle Steuern bewilligen, alle Beamten ihm verantwortlich sein, der König nur ein bedingtes Veto haben.«
»Und den Unsinn glaubst Du?« rief der Offizier.
»Ich glaube ihn, weil ich es bestimmt weiß. Die einzige Möglichkeit ihn zu hintertreiben, wäre, wenn eine Majorität wackerer Männer in Eidsvold zusammen käme, die dem Prinzen beistände, ihm die vollen Rechte sicherte und die Absichten jener Elenden durchkreuzte.«
»Jetzt begreife ich,« sagte Rosen. »Du mußt nach Eidsvold, Oersteen, und ich will Dir dazu beistehen, so viel ich nur irgend vermag, obwohl mir das Ganze immer noch wie ein albernes Mährchen vorkommt. So viel gesunder Verstand wird doch wohl in den Köpfen sein, daß sie nicht solche Tollhäuslerstreiche ausführen. Krieg wollen sie beginnen? Meine einzige Corvette reicht hin sie in Ordnung zu halten, ihre Häfen zu sperren, sie verhungern zu lassen. – Wir wollen schlafen, Freund, und morgen im Sonnenschein wird auch Dir vielleicht Alles im helleren Lichte erscheinen.«
Am nächsten Morgen fuhr der Landrichter Oersteen früh schon über den Fjord. Die Sonne schien hell zwischen weißlichen Wolken, die an den hohen Kuppen des Gebirgs, wie flatternde Fahnen am Schaft In der Vorlage: »Schaff«, wofür aber nur die Bedeutung ›Bottich, Gefäß‹ sichergestellt ist; daher wohl Druckfehler., zu hängen schienen. Es war kalt auf dem bewegten Wasser. Rauhe Luftströme brachen aus dem Bergspalt hervor, in welchen die Ruderer den Nachen lenkten, und Oersteen wickelte sich fester in seinen Pelz von Wolfsfellen und betrachtete die senkrechten Felsenmauern, an welche die Wellen schäumend anprallten. Er kannte die Natur seines Vaterlandes, wo das Meer sich tausendarmig wunderbar bis in die tiefsten Eingeweide des Gebirgs gewühlt hat, dennoch fühlte er ein unheimliches Bangen vor diesem Labyrinth nackter, schneegekrönter Giganten, die eine Gasse bildeten, durch welche der Nachen still dahin schlüpfte. –
Er empfand eine Lust umzukehren, zu landen und einen Fußweg zu wählen, der in mäßiger Höhe am Bergsaume hinzog und an einigen kleinen Hütten vorüberführte, dieselben, deren Lichtschein am Abend ins Thal von Grover niederblitzte, aber die Ruderer lachten, als er dies äußerte. –
»Du würdest in Deinem Pelz nicht weit kommen, Sorenskriver,« sagte der Eine, »der Pfad ist beschwerlich und jetzt ist er glatt.«
»Giebt es noch einen andern, der nach Rothbergsland führt?« fragte Oersteen.
»Noch einen?« sagte der Bauer verwundert. »Nein; es ist ein schöner bequemer Weg der da oben, sicher für Mann und Pferd, doch nicht für Dich, da Du wenig daran gewöhnt bist, über die Felsen zu gehen.«
»Aber Henrik Dartley ist gestern in der Nacht den Weg gegangen.«
»Henrik Dartley und Du, Sorenskriver,« rief der Bauer treuherzig, »Du wirst Dich nicht mit ihm vergleichen wollen. Er hat Füße wie ein Rennthier; mit seinen Schneeschuhen läuft er auf und nieder, wo es keiner wagt. Das ist ein Mann!«
Oersteen lachte und blickte zurück nach dem Thale, aus dem das rothe Haus des Probstes zwischen hohen kahlen Bäumen hervorsah. Wo der blitzende Fjord sich ausdehnte, schwamm ein Boot, das sechs oder acht Rudrer schnell fort führten, und in der Ferne hinter niederen Felsen glaubte er die schlanken Masten eines großen Schiffe zu erkennen. – Wie sein ungeduldiges Auge dann die Höhe der Fjellen maß, meinte der Bauer zu wissen, was er denke. –
»Sei ohne Sorge,« sagte er, »Lawinen fallen hier selten nieder. Sich Dich nur um, die Bergwände tragen Holz und auf den Höhen ist es fruchtbar, da liegen Häuser und Felder. Dann dehnt sich der Fjord nochmals aus und erst jenseit Rothbergsland schießt er in schmale Klüfte, wo es finster und gefährlich ist.«
»Und alles hier umher gehört schon Henrik Dartley,« sagte der Andere. »In den Häusern da oben wohnen seine Hausleute, und er hält sie gut, obwohl er selbst nichts übrig hat.«
»Darum ist er uns auch so lieb, wie unsere Augen,« rief der Andere. »Er theilt sein Brot mit den Armen, das bringt Segen. Das war eine Noth im Winter, Sorenskriver, aber so lange in Rothbergsland ein Korn war, stand der Korb mit Fladbröd für Jeden auf dem Tisch, und der Topf mit der Grütze am Feuer. Zuweilen kam auch der liebe Gott zur Hülfe. – Henrik Dartley und Lars jagten, und was sie brachten, wurde redlich getheilt. Einmal fielen sechs Rennthiere von einer Klippe in den Björn Fjord, Henrik fand sie, sie gehörten ihm, denn es war sein Grund und Boden, wo die Thiere verunglückten. Aber er hat ein großmüthiges Herz in der Brust; er vertheilte Alles und hat wenig genug für sich behalten.«
Diese Lobpreisungen ärgerten Oersteen, ihn ärgerte die Zuneigung der Bauern für den Mann, den er noch mehr haßte, als vorher. Er sehnte sich nach dem Ende dieser Fahrt und war froh, als der Kahn den breiten Wasserkessel erreichte, zu dem er sich ausdehnte, um in verschiedenen Straßen zwischen öde, schauerliche Felsenspalten zu dringen. Wo ein starker Bach in schäumenden Fällen vom Gebirge sprang, war von der Natur ein Wall aufgeführt, hinter dem die süßen Wasser sich sammelten und einen See bildeten, der seinen Abfluß ins Salzwasser über zerbrochenes, wild aufeinander gestürztes Gestein nahm. –
Solche Wälle, die von mächtigen Revolutionen Zeugniß geben, von denen kein Sterblicher nähere Kunde hat, finden sich häufig und tragen den Namen Eide. Hier lag ein solcher Eid, wohl fünfzig Fuß hoch, und beschirmte das hinterliegende Thal und den See darin vor dem Einbrechen der Meeresfluth. Sand und fruchtbarer Boden bedeckte ihn; der Schnee war von ihm abgeschmolzen und ließ das frische junge Grün hervorleuchten, Bäume standen da und dort, wie regelmäßig gepflanzt; höher hinauf zog der weiß schimmernde Birkenwald an dem Gebirge empor und seine kahlen glänzenden Stämme mischten sich mit dem saftigen Grün der Bergfichte, welche stolz und froh auf ihren winterlichen Reiz überall sich muthig auf die jähen Vorsprünge gestellt hatte.
Wo aber der Eid an die Fjellen lehnte, erhob sich ein stattliches altes Haus, ein Gaard umringt von zahlreichen Nebengebäuden. Er sah auf den Fjord und auf den See im Thale nieder, zum Zeichen, daß ihm beides zustehe, und mit freudigem Tone sagte der Bauer:
»Das ist Rothbergsland. Ist es nicht schön hier, Sorenskriver? Sieh dort den weiten Kranz der Fjellen, hier den breiten Fjord, dort den Eide und jenseits das Thal mit seinem See, in dem die besten Fische sind. Rund umher liegen Felder und Wiesen, oben die Weiden, bis tief ins Gebirge der Wald, und nun betrachte den großen Gaard. Es ist in der ganzen Welt nichts, was sich damit messen kann.«
Oersteen sprang ans Land und ging den steilen Pfad hinauf. Wohl mußte es zur Sommerzeit eine der prächtigsten Landschaften sein, denn jetzt schon lag ein mehr als gewöhnlicher Reiz auf ihr. Die nackt aufgethürmten Felsenmassen mit ihren Schluchten vom blauen Gebirgsnebel gefüllt, bildeten ein großes romantisches Panorama. Der Blick verirrte sich weiter zwischen ihrem Dunkel und stieg daraus empor, bis zu fernen Gletschermassen und unermeßlichen Schneefeldern. Dieser unten aber waren die Gesenke herrlich bewaldet und von allen Seiten eilten die Wasser in silberglänzenden Fällen dem Fjord zu, an dessen Ufern der Rauch aus Menschenwohnungen stieg. –
Als der Landrichter das Haus auf dem Eide erreicht hatte, betrachtete er es einen Augenblick und er mußte dem Bauer Recht geben, daß es ein stattliches Bauwerk sei.
Es war ein hölzernes, zweistöckiges Gebäude mit einem Portal, dessen geschnitzte Pfosten sein Alter bekundeten. Wunderliche Arabesken in Schlangenwindungen, aus denen Wölfe hervorsprangen, liefen an Säulen auf und verbanden sich oben zum Capital; Schnitzwerk von gleicher Art lief auch am Dache hin, und wo die gewaltigen Balkenlagen an den Ecken sich kreuzten, waren Thierköpfe angebracht, von denen aus Rosetten und Kreuze bis zu den Felsenstücken hinabliefen, auf welchem das Ganze ruhte.
»Das ist ein seltenes, altes Haus,« sagte Oersteen für sich, indem er mit seinem Stock an die Pfosten schlug, welche eine eiserne Festigkeit erlangt hatten. »Die Dartley's haben gut gebaut und für Enkel und Urenkel gesorgt. Ein paar Jahrhunderte mag es so stehen, aber ich denke, es wird andern Leuten wenigstens eben so wohl und warm darin werden.«
Er drückte die Thür auf, an deren beiden Seiten Bänke unter dem Portal angebracht waren, und trat in den Vorflur. Alles war schweigsam. An der Wand hingen mehrere Büchsen und Gewehre, Jagdsäcke und Netze. Ein großes Schwert mit verrostetem Handkorb war mitten darunter; im Winkel lehnten Angelruthen und an Holzpflöcken reihten sich Kleidungsstücke, Rappen von Leder und einige Felle erlegter Thiere, unter denen ein paar frisch geschossene Hasen und einige Vögel am Boden lagen.
Der Landrichter warf einen musternden Blick auf die verschiedenen Gegenstände, dann klopfte er an den Eingang zur Linken und als er keine Antwort erhielt, schritt er vorwärts. Das düstere große Gemach, in welches er trat, war leer, die berauchten Tapeten, mit denen es bekleidet war, hingen an manchen Stellen zerrissen herab; im ungeheuren Eisenofen brannte jedoch ein frisch angefachtes Feuer und vor diesem stand einer jener schweren Holzstühle, wie sie sesselartig aus dem Stamm der Bäume gehauen werden. Mehrere ähnliche unwiegten den mächtigen Tisch in der Mitte dieser Halle, auf dessen Platte einige Bogen Papier, Federn und Schreibzeug lagen. Einer der Bogen war beschrieben und dieser machte die Neugier, wie das Nachdenken Oersteens rege. –
»Es ist eine Liste aller Bauern im Kirchspiel,« sagte er, als er ihn aufgehoben und aufmerksam durchmustert hatte. »Warum hat er sie entworfen? Was sollen die Kreuze bei den verschiedenen Namen bedeuten?«
Er hielt das Papier noch in der Hand, als plötzlich die Thür des Nebenzimmers geöffnet wurde und der Gutsherr ihm gegenüber stand.
Ohne Verlegenheit reichte ihm Oersteen die Hand, indem er mit der andern das Blatt auf den Tisch legte. –
»Sie wundern sich ohne Zweifel über meinen frühen Besuch, Herr Dartley,« sagte er lächelnd, »aber meine Angelegenheit ist so wichtig, daß sie, je eher je lieber, abgemacht werden muß.«
»Daß Sie so früh kamen,« sagte Henrik Dartley mit höflicher Kälte, »ist mir angenehm, weil ich so eben nach Grover aufbrechen wollte, und wir uns leicht verfehlt hätten.«
Er öffnete dabei ein kleines Nebenzimmer, das freundlich und wohnlich eingerichtet war und bat den Sorenskriver einzutreten. Eine Büchersammlung stand in einem Fachwerk und mehrere Briefe lagen aufgeschlagen auf dem Schreibpult, wo Dartley bis jetzt beschäftigt gewesen war.
»Ich habe Sie gestört,« begann Oersteen, »allein mein Besuch soll kurz sein. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist bald gesagt, Herr Dartley, überlegen Sie dann, und beschließen Sie, was Ihnen gut dünkt.«
»Zur Sache, Herr Richter, wenn's beliebt,« erwiederte der Gutsherr lächelnd.
»Sie haben Recht. Zur Sache denn und zwar ohne alle Umschweife.«
Er ließ sein Auge einen Augenblick auf Henrik ruhen und sagte:
»Wollen Sie Rothbergsland verkaufen?«
»Nein!« –
»Wollen Sie unter den jetzigen besondern Umständen Norwegens nicht den Rath Ihres väterlichen Freundes, des Probstes, folgen und nach Christiania gehen?«
»Auch das nicht.« –
»Kennen Sie Ihre üble Lage, Herr Dartley? Wissen Sie, daß, wenn Ihre Gläubiger gegen Sie auftreten, Rothbergsland für Sie ganz verloren ist?«
»Ich weiß es, Herr Oersteen.«
»Nun gut; ich biete Ihnen eine bedeutende Summe, achttausend Species, wenn Sie mir das Gut sofort überlassen.«
»Sie sind sehr großmüthig, Herr Oersteen,« rief Henrik. »Man hat mir gesagt, daß Sie um billigen Preis vor Kurzem das bedeutendste Schuld-Document auf Rothbergsland an sich gebracht haben und daß Sie damit mein Hauptgläubiger geworden sind.«
»Um so besser, oder gleichviel. Ich zahle Ihnen ein Kaufcapital, das ich sparen könnte, wenn ich Ihnen weniger wohl wollte.«
»Ja, sehen Sie,« erwiederte Dartley lachend, »und trotz dieses Wohlwollens muß ich Ihren Antrag ablehnen.«
Oersteen stand auf.
»Dann ist mein Besuch ohne die guten Früchte geblieben, welche ich davon hoffte,« sagte er. »Indeß überlegen Sie es bis morgen!«
»Nein, glauben Sie mir, es ist hier nichts zu überlegen.«
»So wird Rothbergsland durch öffentlichen Verkauf mein werden und Sie werden Alles verlieren, weil Sie nichts besitzen wollen.«
»Lieber Herr Landrichter,« versetzte Dartley, »Rothbergsland gehört den Dartleys seit Jahrhunderten und wird das ihre bleiben. Es ist Odalsgut und Sie vergessen das Odalsrecht. Ein Odalgut ist in Nordeuropa jener Teil des Grundbesitzes, der sich im Mittelalter über lange Zeit oder über Generationen im Besitz einer Familie befand; nach Odalsrecht kann er nur innerhalb der Familie weitervererbt werden. Wenn Sie es auch dahin brächten, daß es in gerichtlicher Auction verkauft würde, so könnte ich es doch immer wieder zurückfordern zu jeder Zeit um den billigen Taxpreis. Sie sehen also, daß ich das Erbe meiner Väter weder freiwillig veräußern noch durch Zwang mir entreißen lassen will.«
Was Dartley sagte, hatte seine Richtigkeit. Das alte Odalsrecht schützte das Grundeigenthum so sehr, daß es fast unmöglich war, Landbesitz aus den Händen einer Familie zu bringen, wenn diese nicht freiwillig es aufgab, oder aus Noth aufgeben mußte.
Oersteen schwieg, indem er einen ernsten bedauerlichen Blick auf Henrik warf.
»Sie heben das Odalsrecht hervor,« begann er dann, »aber Sie bedenken nicht, daß, um verkauftes Gut auch nach billigem Taxwerth einzulösen, man doch Geld haben muß, das Sie nicht besitzen.«
»Ich werde diese Mittel seiner Zeit finden.«
Die beiden Männer schwiegen, bis Oersteen stolz sagte:
»So habe ich gethan, was ich thun wollte, und kann den Rückweg antreten.«
– »Sie gehen nach Grover?« –
– »Ja, Herr Dartley.« –
– »So werde ich Sie begleiten. Ich habe ein Wild für die Küche abzuliefern.«
– »Da hätte ich beinahe etwas vergessen,« rief Oersteen. »Eine Neuigkeit, die für Sie Interesse haben muß. Ihre Hasen und Schneehühner kommen zur rechten Zeit; man feiert heute ein Fest in dem Pfarrhofe.«
– »Ein Fest? – Welches Fest?« –
– »Meine Verlobung mit Jungfrau Mary.« –
Dartley schien einen Augenblick betroffen; plötzlich aber lachte er so laut und lustig auf, daß eine dunkle Röthe Oersteens Gesicht überzog.
»Was ist Ihnen so lächerlich dabei, Herr Dartley?« fragte er.
»O, nichts, Herr Landrichter, durchaus nichts,« erwiederte dieser; »es fiel mir unwillkürlich nur ein, was gestern der Doctor sagte. – Noch sind Sie nicht auf dem Kirchwege mit der Braut.«
– »Und wer will sie mir streitig machen. – Sie etwa?«
– »Allerdings, ich; wenn es irgend sein kann.« –
»Ja, wenn es sein kann,« wiederholte der Landrichter. »Nun gut, thun Sie was Sie wollen. Es würde zu nichts nützen Ihnen Vorstellungen zu machen; auch habe ich keine Lust, mit Jemandem zu streiten, der so bestimmt als mein Nebenbuhler austritt. Jeder sehe wohl zu, was er thue. Wollen Sie mich noch nach Grover begleiten?«
– »Ohne Zweifel, und ich will dort so laut lachen, wie hier.« –
»In Gottes Namen, so lassen Sie uns beide lachen. Es wird eine lustige Hochzeit werden, Herr Dartley; ich hoffe, Sie liefern uns dazu wieder einen Braten.«
Der Landrichter legte die Hand auf das Thürschloß, als Henrik diese festhielt. Einen Augenblick schien es, als wollte die äußerlich behauptete Ruhe beide Männer verlassen. Sie betrachteten sich beide messend und herausfordernd und unter der erheuchelten Lustigkeit strahlte der Haß tödtlich aus ihren Blicken.
»Johann Oersteen,« sagte der Gutsherr, »hören Sie noch ein Wort; ehe Sie gehen. Wenn es wahr ist, was die Leute sich erzählen, so soll man Sie am meisten fürchten müssen, wenn Sie freundlich sind. Ihre Absicht war, mich hier fortzuschaffen, es koste was es wolle.«
»Meine Absicht war eine Antwort auf das, was Sie gestern sagten,« erwiederte Oersteen. »Es können Umstände eintreten, sprachen Sie, die mir diesen Boden verhaßt machen, dann werde ich gehen. Ich verstand den Sinn Ihrer Worte und glaubte Ihnen die Hand bieten zu müssen, um in ehrenvoller Weise den Platz zu räumen.«
»Es ist nichts eingetreten, Herr, was mich bewegen könnte, diese Hand zu ergreifen,« rief Dartley erglühend. »Ich will nicht geben, darum müssen Sie andere Mittel aussinnen und ich lese in Ihren Augen, wie Sie schon jetzt darauf denken. Doch jeder sehe wohl zu, was er thue! Sie haben es gesagt.«
Die Art, wie ihn Henrik durchdringend betrachtete und das spöttische Lächeln, das seine Worte begleitete, beunruhigten Oersteen.
»Fürchten Sie mich so sehr, Herr Dartley?« sagte er. –
– »O, nein, nicht im Geringsten.« –
– »Aber Sie mißtrauen mir?« –
– »Ich habe keinen Grund, Ihnen zu vertrauen.« –
»Allerdings nicht; aber was giebt Ihnen ein Recht, mich Gott weiß welcher Fehler und Laster anzuklagen? Niemand kann mir als Menschen und Beamten Böses mit Grund nachreden, auch Sie nicht. Die Liebe eines Mädchens macht uns zu Gegnern. Besiegen Sie mich, wenn Sie können, ich habe nichts dagegen.« –
»Die Liebe!« rief Dartley, »Mary's Liebe?! Glauben Sie denn, daß Mary Sie liebt, oder wissen Sie es?«
»Wohin würde uns ein Streit führen, wenn ich auf Ihre Fragen antworten wollte? Lassen Sie uns gehen; wir wollen Freunde sein und offen und ehrlich Spiel treiben. Geben Sie mir Ihre Hand!«
Dartley trat zurück und sagte stolz:
»Freunde können wir nicht sein. Es wäre Falschheit, wenn ich einschlüge; aber offene, ehrliche Feinde wollen wir sein, dazu strecke ich meine Rechte aus.« –
»Auch das, wenn Sie wollen,« erwiederte Oersteen einschlagend, »so sei denn Feindschaft zwischen uns, bis zur Freundschaft, oder bis zum Untergange.«
Die beiden Gegner fuhren über den Fjord zurück zum Pfarrhause und bestrebten sich so freundlich und unbefangen wie möglich zu erscheinen. Dartley erzählte von dem Zustande seines Gutes und der Lage seiner Nachbarn, von seinen Unternehmungen für die Folgezeit, und was er zu thun gedenke, um Verbesserungen einzurichten, die ihm aufhelfen könnten. Er erwähnte auch, wie leicht es ihm sein werde, seine Schulden zu tilgen, wenn nach abgeschlossenem Frieden erst der Holz- und Fischhandel nach Holland und dem südlichen Europa hergestellt sei. Mit leichter Mühe lasse sich dann aus den Wäldern, die zu Rothbergsland gehörten, noch einmal so viel herausschlagen, als er zu zahlen habe, und schon jetzt sei es nicht schwer, vortheilhafte Contracte mit den Kaufleuten in Bergen zu schließen, die unternehmend sich vorbereiteten.
Oersteen hörte still zu und erwog, was Henrik sprach. Er mußte ihm Recht geben. Sobald nur der Friede gesichert war, mußte der Bodenbesitz steigen und dies Gut mit seinen großen Wäldern und seiner vortheilhaften Lage am Fjord dem Besitzer leicht alle Mittel bieten, seine Verlegenheiten zu beseitigen. Was Dartley sagte, war in jeder Weise vernünftig und wohl überlegt. Der junge Mann war weit einsichtsvoller, als Oersteen gemeint; er besaß einen hohen Grad jener klugen Besonnenheit, welche in dem Charakter seiner Landsleute ein so merkwürdiges Gemisch mit ihrer heftigen und heißen Leidenschaftlichkeit bildet, die dann und wann über alle Dämme bricht.
Er bemerkte recht gut, wie aufmerksam Henrik ihn beobachtete, und wie unter dem Scheine der größten Offenherzigkeit er seine geheimen Zwecke verfolgte. Es war Dartley's Absicht, den Landrichter davon zu überzeugen, daß es diesem gar nicht möglich sein würde ihn von seinem Erbe zu treiben, und wenn er ruhmredig pries, daß ihm von mehr als einer Seite schon Anerbietungen über große Holzkäufe gemacht seien, die jeden Augenblick bedeutende Summen in seine Hände geben könnten, so that er dies nur, um zu sehen, was Oersteen davon glauben werde.
Dieser wünschte ihm mit einem spöttischen Lächeln, das Henrik sehr wohl verstand, Glück zu solchen speculativen Freunden, dann aber fügte er hinzu:
»Wir haben ein Sprüchwort im Lande, Herr Dartley, das Sie gewiß kennen werden, es heißt nämlich: Norwegen hat keine Juden, aber es hat Kaufleute in Bergen! vielleicht hat man Ihnen vor einigen Wochen noch Anerbietungen gemacht, jetzt hat sich Alles geändert. Sie wissen ja selbst, wie es bei uns steht, und ohne Zweifel haben Sie bessere Nachrichten darüber von Ihren Freunden in Christiania als ich.«
Er blickte scharf auf Dartley, der wohl einsah, daß es besser sei, dies nicht zu läugnen.
»Ich habe Nachrichten,« erwiederte er, »doch nichts, was beunruhigend wäre. In Eidsvold wird Norwegens Freiheit berathen, wir werden endlich ein Volk sein, abgelöst von der erstickenden dänischen Obergewalt und muthig genug, sich nicht an Schweden verkaufen zu lassen.« –
»Also Krieg mit Schweden und Europa!« sagte Oersteen lachend.
»Krieg, und, wenn es sein muß, Tod und Untergang, wenn Schweden uns unsere Landesfreiheit und Selbständigkeit nicht verbürgen will.« –
»Sie sind also doch halb und halb ein Schwede!« rief Oersteen laut. »Ist es möglich, daß Sie sich für unsern Erbfeind erklären können?«
»Ich bin ein Norweger, Herr Landrichter,« versetzte Henrik, »ganz und gar ein Norweger, kein Schwede und noch weniger ein Däne. Mögen die Männer in Eidsvold beschließen, was sie für recht erkennen, wir wollen es mit unserm Leben vertheidigen. Was meine Meinung ist, behalte ich für mich; vor allem aber müssen wir nicht dulden, daß dänische Ränke unsere Freiheit untergraben, daß heimliche Intriguen angestellt werden und eine dänische Flagge an unserer Küste weht, die unseren Bürgern ungestraft ihr Eigenthum raubt.«
Der Blick, den er über den Fjord schickte, deutete an, was er meinte. Vor ihnen lag die geplünderte Sloop Peter Klüver's und die beiden Ruderer ließen es an einigen kräftigen Worten über die Spitzbuben, welche sie kahl gemacht, nicht fehlen. Zur selben Zeit fuhr das Boot dicht am Ufer hin, wo ein kleiner Gaard lag, aus dem ein Mann hervor trat. Es war Lars, der Bauer, welcher den Nachen anrief und auf den letzten Stein ans Wasser trat, wo er die Nahenden erwartete.
»Guten Morgen, Henrik Dartley,« sagte er, seine rothe Mütze an dem Zipfel fassend, »es ist gut, daß ich Euch beide sehe. Ich habe so eben einen Besuch im Hause, kommt einen Augenblick herein. Der dänische Capitain ist da und will dem Peter Klüver nichts geben, als einen Schein, den dieser nicht mag. Hilf Du ihm, Sorenskriver.« –
»Wie kann ich ihm helfen?« erwiederte Oersteen. »Wenn Peter Klüver damit nicht zufrieden ist, so muß er klagen.«
Der Bauer schüttelte den Kopf.
»Was sagst Du dazu, Henrik?«
»Klagen oder nicht klagen, es ist völlig einerlei.«
»Das ist ein eben so schlechter Rath, Henrik.«
»Wollen Sie nicht noch einmal mit dem Baron sprechen?« fragte Dartley.« –
»Es ist unnütz,« erwiederte der Landrichter, »wir wollen sehen, was später zu machen ist. Vorläufig muß Peter den Schein nehmen. Laßt uns weiter.«
»So will ich es versuchen,« rief Dartley, indem er ans Land sprang.
Oersteen war damit zufrieden.
»Geh zum Henker!« murmelte er vor sich hin, »ich denke, es ist gut, wenn er Rosen ungeheißen in den Weg tritt.«
Er ließ den Nachen abstoßen und war froh, den verhaßten Begleiter los zu sein.
Dartley stieg rasch das hohe Ufer hinan.
»Lars,« sagte er leise, »es wird uns so gewiß nichts helfen, wie diese Steine niemals Brod werden; allein wir wollen andern Rath schaffen.«
Als er an der Thür des Gaards war, hörte er drinnen lautes Sprechen und Peter Klüver's tiefe Stimme dazwischen, die mit Nachdruck sagte:
»Ich sehe wohl, Herr, es ist keine Hülfe für mich, und kann keine sein. Ihr habt weder Augen noch Ohren für meine Klagen und treibt Scherz, wo es sich um schweres Unrecht handelt.«
Dartley trat in die Hütte, welche reinlicher und heller war, als gewöhnlich norwegische Bauerhäuser sind. Gefäße und Geräthe nahmen den vordern Theil ein. Ein buntbemalter Schrank stand an der einen Seite, an der andern ein Tisch und an der dritten ein Bettgestell mit Gesimsen, das an der Wand wie ein großer Kasten klebte. Ein gewaltiger, blau angestrichener Koffer mit Namen und Jahreszahl zeigte, daß es ein Heirathsgut von Lars' Mutter war, das sie mit ins Haus gebracht, und auf ihm saßen zwei Offiziere der Corvette in Uniform, den Degen an der Seite.
Die rohen Balkenwände der Hütte waren dunkel beraucht von dem Heerde in der Ecke, der sich wenig über den Boden erhob. Ein helles Feuer flackerte auf den Steinen, und an dem Haken darüber hing ein Kessel, in welchem die Hafermehlsuppe brodelte, behütet von einem jungen Mädchen, das lächelnd seine Aufmerksamkeit zwischen dem Gericht am Feuer und den artigen Worten des jungen Capitains theilte, der auf einem niedern Schemel bei ihr am Heerde saß.
Die langen dunkelblonden Zöpfe des Mädchens, mit rothen Bändern durchflochten, fielen weit auf ihren Rücken nieder. Ihr frisches, wohlgeformtes Gesicht mit kräftigen Zügen, das durch schelmische Augen voll Glanz und Beweglichkeit eine besondere Anziehungskraft übte, war das wahre Bild einer hübschen Seterin, die hoch auf den Alpen ein freies Sommerleben führt und dort, mit Heerden und Hirten in der Wildniß wohnend, einen Widerschein der wilden Natur in sich aufgenommen hat. –
Karina war Lars' Schwester. Heute hatte sie ihren besten Staat angezogen, denn es war ein Besuch bei Nachbarinnen zu machen. Ein dunkles Wollenkleid und eine Schürze in tausend Falten schmückten den kräftigen Leib; ein offenes Mieder mit rothen Bändern geschnürt umgab die Brust und ließ das Hemd durchscheinen, das mit Silbermünzen und Haken bis an den Hals genestelt war. Darüber trug sie eine Jacke von Lammfell mit vielen blanken Knöpfen, – ein werthvoller Putz, der ein langes Sparen erfordert hatte.
Das hübsche Mädchen war behutsam bei ihrer Arbeit und um den Kleiderschmuck besorgt, während sie doch die schmeichelnden Worte des fremden Herrn mit Wohlgefallen hörte und seine scherzenden Fragen munter beantwortete. Als Dartley hereintrat, wendete sie sich um und nickte ihm freundlich grüßend zu, dann warf sie einen Blick auf ihren Bruder, der an einem der Pfosten stehen blieb und, die Arme verschränkt, aufmerksam hörte, was sich begab.
Der Baron bemerkte die Anwesenheit eines Fremden nicht sofort.
»Karina, mein Kind,« sagte er, »wenn Peter Klüver nicht ein so gesetzter Mann wäre, sollte man glauben, es sei Dein Liebster, der eifersüchtig ist, weil ich Dich schön finde.« –
»Peter Klüver hat jedenfalls gerechtere Ansprüche auf Ihre Aufmerksamkeit, als dies Mädchens,« erwiederte Henrik.
Beim Ton der fremden Stimme stand der Capitain auf. »Herr Dartley,« sagte er lachend, indem er ihm die Hand bot, »sind Sie ein so strenger Moralist? Ich bin hierher gekommen, weil ich hörte, daß der Eigenthümer der Sloop hier zu finden sei, und habe ihm alle Entschädigung geboten, die in meiner Macht stand.« –
– »Das heißt, einen Schein für seine Ansprüche, auf Kopenhagen.« –
»Allerdings, und man wird sich nicht weigern, ihn dort anzuerkennen.«
»Wir haben gestern schon darüber gesprochen,« sagte Dartley, »was ein solcher Schein werth ist, wissen wir alle. Sie haben jedoch auch die Mannschaft gepreßt. Haben Sie diese frei gegeben?« –
– »Ich bedarf ihrer Dienste zum Wohl des Vaterlandes.« –
– »Ist Ihr Schiff ein norwegisches, oder dänisches?« fragte Dartley scharf. –
– »Darauf hörten Sie auch von gestern meine Antwort.« –
»Und wenn ich nicht irre,« fuhr Dartley fort, »erwiederte man Ihnen, daß im letzteren Falle ein schweres Unrecht begangen wurde. Was sollen norwegische Männer am Bord eines dänischen Kriegsschiffes? Was hat Dänemark jetzt noch mit Norwegens Wohl zu schaffen? Es hat das Land hingeworfen, abgetreten, sich von ihm losgesagt.« –
»Was ich thue, habe ich allein zu verantworten,« versetzte der Capitain stolz.
»Bei wem?« rief Dartley. »Bei dem Reichstage in Eidsvold, oder bei dem Könige in Kopenhagen?«
»Herr Dartley,« sagte der dänische Edelmann gereizt, »ist diese Hütte wohl der Ort, solche Fragen zu thun und zu beantworten, und sind Sie – Sie zwingen mich, Ihnen zu erklären, daß ich Ihre Einmischung in diese Angelegenheit für gänzlich unverträglich mit Ihrer Stellung und der meinigen betrachte. Ich ersuche Sie daher, ja im Nothfalle müßte ich Ihnen befehlen, sich nicht in Dinge zu mischen, die Sie nichts angehen.« –
»Kein Däne hat in Norwegen jetzt noch einen Befehl zu ertheilen,« erwiederte Dartley unerschrocken; »nicht ich, Sie verkennen Ihre Stellung.«
»Genug davon,« entgegnete der Seeoffizier. »Was sollen die unnützen Worte! Ob ich darf oder nicht darf, ist meine Sache. Ich thue es und übernehme alle Folgen. Will der Mann den Schein, dort liegt er, man wird ihm gerecht werden und volle Bezahlung leisten; im Übrigen lassen Sie uns allen Streit vermeiden, Herr Dartley. Diejenigen, welche Einsicht und Bildung besitzen, sollten sich hüten, jetzt durch aufrührerische Reden Öl ins Feuer zu gießen.
Dartley trat an den Tisch und nahm das Papier.
»Wollen Sie es annehmen, Herr Klüver?« fragte er. –
»Sagen Sie, was ich thun soll, versetzte der Schiffspatron.
Ohne ein Wort zu sprechen, riß Henrik den Schein in Stücke und warf diese ins Feuer.
»Sie haben eine gänzlich eigenmächtige, ungesetzliche Handlung begangen,« sagte Rosen lebhaft aufgeregt, »für welche Sie Rechenschaft geben sollen.« –
»Doch nur dem Gesetz und dem Gericht in Norwegen, Herr von Rosen. Sie nehmen die Verantwortlichkeit Ihrer Handlungen auf sich; ich stehe für die meinigen.«
Der Capitain bezwang seinen Zorn. Was half es ihm, wenn er heftiger wurde? Er erkannte das Zweifelhafte seiner Lage sehr wohl, und wie die Bande des Gehorsams, welche bis vor Kurzem so mächtig waren, sich aufgelöst hatten. Sonst wäre es ein Leichtes gewesen seine Macht geltend zu machen, nun aber war es allzuwahr, kein Däne hatte hier etwas zu befehlen, denn Niemand gehorchte mehr.
»So muß denn unentschieden bleiben, was ich gern zu vermitteln suchte,« rief er aus. »Mag der Prinz, oder meinetwegen die Versammlung in Eidsvold ein Urtheil fällen, der Mann, welcher sich beschädigt glaubt, bei ihr Klage führen; ich habe nichts mehr damit zu thun. Wollen Sie mich in das Pfarrhaus nach Grover begleiten, Herr Dartley?« –
»Ich denke Sie einzuholen,« erwiederte dieser, »zuvörderst habe ich einige Worte mit diesen Männern zu reden.«
Als die Offiziere gegangen waren, von Lars begleitet, der ihnen dienstfertig den besten Weg am Ufer des Fjord zeigte, setzte sich Dartley ans Feuer und zog aus der Tasche eine Schrift, die er aufmerksam durchlas. Karina nahm inzwischen den Kessel vom Feuer, goß den Haferbrei in eine Schüssel, deckte dann ein weißes Tuch über den Tisch, setzte Holzteller darauf und legte hölzerne Löffel daneben. Aus einer Kammer holte sie einige runde und ganz dünne Brotkuchen von Hafermehl und brachte sie zum Tisch, endlich auch ein Brett, auf dem ein Stück Fisch lag, der Rest einer Lachsforelle, die gestern noch im See schwamm.
Als sie fertig war, kam Lars zurück, der mit einer gewissen Ehrerbietung seinen nachsinnenden jungen Freund und das Papier in dessen Hand betrachtete, dann aber zu seiner Schwester trat und über die Dänen spottete.
»Sind das Männer?« sagte er. »Sie haben Beine, wie die Kinder, bei jedem Stein straucheln sie, und es fehlte nicht viel, so wäre der Kapitain ins Wasser gefallen.«
»Er ist doch jung und schnell,« erwiederte das Setermädchen.
Lars sah sie mißbilligend an.
»Er gefällt Dir wohl mit seinen goldenen Quasten am Rock?« fragte er dann.
– »O ja, er gefällt mir recht gut.« –
– »Das mußt Du nicht sagen, Schwester,« rief Lars ärgerlich. »Du bist ein albernes Mädchen! Hole Salz zum Fisch und sieh nach, ob nicht noch ein Stück Speckkiöd im Hause ist.« –
Karina lachte zu der Strafrede und kam mit einem geräucherten Hammelbeine aus der Kammer zurück, das kaum mehr als ein Knochen war, von dem ihr Bruder einige steinharte Späne mit Anstrengung absäbelte.
»Nun Henrik,« sagte er dann, »komm und iß mit uns, wenn es Dir gefällig ist. Was Gott uns gegeben, steht auf dem Tisch.«
Der Haferbrei wurde aufgefüllt, und Jeder erhielt sein Theil; dann wurde der Fisch vertheilt, das Fladbröd und die Fleischspäne, und Dartley aß mit, lobte Karina's Fleiß und Kochkunst, und wie sie bei aller bösen Zeit doch immer noch so schöne Vorräthe besäße. Darin stimmten die Andern bei; Karina aber hatte viele freundliche dankbare Blicke für den jungen Gutsherrn. Sie suchte ihm das Beste aus, was an Fisch und Fleisch da war, und als Henrik scherzend sagte, er glaube doch, daß sie noch viel sorgsamer für den hübschen Dänischen Baron gesorgt haben würde, erwiederte sie heftig:
»Das glaubst Du nicht, Henrik Dartley, das glaubst Du ganz gewiß nicht!«
»Nein, gute Karina,« erwiederte Henrik, und reichte ihr die Hand, »das glaube ich auch nicht. Ich weiß, daß ich besser in Deiner Gunst stehe, als der rothröckige Däne, und wenn es darauf ankäme, würdest Du es beweisen.« –
»Ich kann alles thun, was Du willst,« sagte sie.
»Du sollst auch heute etwas für mich thun,« fuhr Dartley freundlich fort, »und ich will Dich dafür küssen, Karina. Hier ist ein Brief an alle Männer oben in den Bergen, den trage umher und lasse ihn lesen. Lars soll dagegen mit seinem Rahn den Fjord hinauffahren und unsere Freunde, die dort wohnen, auffordern, heute Abend um die achte Stunde in Rothbergsland zu sein, wo ich Wichtiges mit Ihnen zu sprechen habe. Willst Du das thun?«
»Sogleich!« sagte sie und zog die Festjacke aus. »In ein paar Minuten will ich gehen.« –
Lars schob seine Mütze über die Stirn.
»Ich gehe auch,« sprach er, »die Männer werden kommen. Ich kann es denken, was Du ihnen zu sagen hast. Wir werden alle dabei sein, Henrik. Recht muß Recht bleiben!«
Der kürzeste Weg nach dem Thale von Grover führte über jähe Felskämme, die glatt und gefährlich waren; aber Dartley legte sie leicht zurück. Sein elastischer Schritt schlüpfte schnell an den Abstürzen hin, und bald lag das Pfarrhaus vor ihm, das ihm Herzklopfen machte, wie er es unter den Bäumen erblickte.
Die Sonne schien hell und freundlich ins Thal, und das rothe Haus unter den Bäumen glänzte wie im Festschmuck. Er sah den Probst mit einem andern Manne an der Thür auf- und abgehen, und nachdenkend blieb er stehen, als er Oersteen zu erkennen glaubte. Eine tiefe Bangigkeit ergriff ihn vor dem nächsten Begegnen, das ein entscheidendes sein mußte. Er wußte wohl, wie jähzornig und heftig in seinem Willen der alte geistliche Herr war, wie sehr Oersteen sein Vertrauen erworben, und wie schwer es halten würde, ihn anderen Sinnes zu machen. Er wußte aber auch, daß Fahlberg ihm freundlich gesinnt sei und daß er sein Kind mit Zärtlichkeit liebte. Unmöglich dünkte es ihm, daß der Vater seine Tochter zwingen könne, den ungeliebten Mann zu nehmen, der obenein Eigenschaften besaß, die, wenn der Probst sie kannte, wohl geeignet waren, ihn von seiner Zuneigung für den Landrichter für immer zu heilen. Es kam nur darauf an, ihm Alles klar und fest vorzutragen.
Indem er still stand und überlegte, entdeckte er in den Gängen des Pfarrgartens ein anderes Paar. Es war Mary, die mit dem Doctor dort auf- und abging, und augenblicklich änderte er seinen Weg, stieg an den Abhängen nieder, sprang über die Hecke und stand vor den Beiden, ehe sie seine Nähe ahnten. Er faßte Mary's Hand, die sie nach ihm ausstreckte, und blickte liebevoll in ihr verweintes Gesicht.
»Du weinst,« rief er, »o, ich weiß, was Dir geschehen ist. Sie haben Dir gesagt, daß ich Dich verlassen, daß Oersteen Dir die Brautkrone aufsetzen soll. Ist es nicht so? Aber höre mich an, liebste Mary. Eher soll seine Hand verdorren, eher sollen die Felsen dort wanken und über ihn und mich zusammen stürzen. Wenn er es wagt, Dich zu berühren, will ich Alles wagen, mein Leben, meine Seele! Es soll nicht sein, vertraue mir, es soll nicht sein!« –
»Ach Henrik! Du weißt nicht Alles,« sagte Mary zweifelnd und doch von Dartley's muthiger Entschlossenheit getröstet. »Mein Vater will es, er hat meine Thränen gesehen und hart mit mir gesprochen; er ist sehr erzürnt auf Dich und mich und Alle, die ein Wort für uns zu sprechen wagten.«
»Damit bin ich gemeint,« fiel der Doctor ein. »Es ist eine Art Delirium bei ihm, eine fixe Idee, daß der langbeinige Rechtsverdreher sein Schwiegersohn werden soll. Alle Wetter! wenn es nicht mein alter Freund von Kindesbeinen an wäre! Er ist so grob gewesen, daß ich ohne Weiteres in mein Carriol stiege und in meine Berge abkutschirte.« –
»Und glauben Sie nicht, Doctor, daß diese Krankheit zu heilen ist?« rief Henrik.
»Ich weiß kein Mittel, Kinder, nicht Eines, das helfen könnte,« sagte Alsen. »Ich kenne den Alten, er hat dem Landrichter sein Wort gegeben und wird es nimmermehr brechen. Dreht dem Kerl den Hals um, oder lauft davon, oder faßt ein Herz, sagt: es kann nicht anders sein, und ergebt Euch dem Schicksal auf Gnade und Ungnade. Wäre ich ein Priester, ich traute Euch hier auf der Stelle. Ich bin so ärgerlich, ich könnte dem Menschen das Blut abzapfen, bis er keinen Tropfen mehr hätte; aber der versteht die Kunst besser als ich, und so nehmt Euch selbst in Acht vor ihm, Herr Dartley, er hat, wie mir deucht, nichts Gutes mit Euch vor.« –
– »Komm, Mary,« sagte Dartley, »komm und sei ohne Furcht!« –
– »Was wollt Ihr thun?« rief Alsen, als Henrik sie fortführen wollte. –
– »Ich will zu dem Vater gehen und ihn fragen, ob er das Herz hat uns zu trennen.« –
»Armes Kind!« sagte der alte Herr, »zweifle nicht, er wird es thun, und doch, Dartley, Du bist ein ganzer Mann, wenn es Einem gelingt, wird es Dir gelingen.«
Der Doctor hatte die Hand auf Henrik's Schulter gelegt und blickte ihn freundlich an.
»Als ich gestern merkte, wie es mit Euch beiden stand,« fuhr er fort, »sprach eine Stimme in mir: dieser da wird es nicht leiden, daß ein Anderer in seinem See fischt, und dabei mußt Du ihm getreulich helfen. Das habe ich gethan und will es weiter thun. Laßt uns denn alle Drei gehen und irgend ein Loch in das Netz machen, das der Schelm so geschickt ausgelegt hat.«
Er schritt neben den Beiden ins Haus, und Mary hielt sich zitternd an dem Geliebten fest, als sie ihren Vater erblickte, der mit Oersteen, dem Capitain und mehreren Offizieren so eben von der andern Seite hereintrat und stehen blieb, als er seine Tochter an Dartley's Arm sah.
Die Falten auf seiner Stirn zogen sich zusammen.
»Geh' und sorge für unsere Gäste,« sagte der Probst im scharfen Tone, und Mary war im Begriff, diesem Befehl Folge zu leisten, allein Henrik hielt sie fest und ging mit ihr und den Anderen in das Zimmer.
»Ich habe mit Ihnen zu reden, und dabei muß Mary zugegen sein,« sprach er, ohne den Unwillen des Probstes zu beachten. –
»Sie können mir nichts sagen, was ich nicht schon wüßte,« erwiederte dieser, »so sparen Sie denn die Mühe und zwingen Sie mich nicht, die Gastfreundschaft zu verletzen.«
»Dennoch sollen Sie mich hören,« rief Dartley, indem er mit Mary dicht vor den erzürnten Vater trat. »Hier stehe ich mit Deinem Kinde, Probst von Grover, und nun sage es ihm laut, theuerste Mary, und schäme Dich nicht: Liebst Du mich nicht herzinnig schon lange?« –
»Was soll das heißen, Herr?« fiel der Probst heftig ein, ehe Mary antworten konnte. »Was wagen Sie unter meinen Augen?«
»Es soll heißen, lieber Herr, daß, wenn Sie göttliches und menschliches Gesetz ehren, Sie nicht grausam die trennen werden, die Ihnen offen ihre Liebe gestehen.« –
»Eine Liebe, die ich nie gebilligt hätte, wenn ich sie gekannt! Hinter meinem Rücken hast Du sie begonnen, nun trage auch die Folgen!«
»Sie haben mich gekannt von Jugend auf,« versetzte Dartley mit derselben Ruhe, »und seit ich wieder in Rothbergsland wohne, bin ich fast täglich in Ihrem Hause gewesen. War es da ein Wunder, daß ich Mary lieben mußte? Was habe ich gethan, das mich Ihrer Gunst unwürdig machte? Dieser Mann da hat mich verdrängt. Ich lobe ihn nicht, ich tadle ihn nicht; aber zeugt es für ihn, daß er ruhig anhört, Mary's Herz sei mein? Kann er da noch ihre Hand begehren? O, bei Gott, wäre ich an seiner Stelle, ich würde eher meine Hand in siedendes Blei tauchen, als länger danach trachten.«
»Es ist schwer für mich,« sagte Oersteen, »bei dieser sonderbaren Scene eine Rolle zu übernehmen und verständige Mäßigung zu zeigen.«
»Sie sollen auch nicht sprechen,« rief der Probst, »ich bin hier der Beleidigte, und diese Schaustellung meiner Familienangelegenheit danke ich Dir wahrscheinlich, Alsen.«
»Mir dankst Du nichts,« versetzte der Doctor, »meine Meinung jedoch will ich nicht verbergen. Hätte ich eine Tochter, ich gäbe sie dem muthigen Jungen, den ihr Herz sich gewählt hat, und, Sapperment! ich glaube es auch jetzt noch nicht, daß es anders sein kann. Sieh ihn doch an, vom Wirbel bis zur Zehe paßt er ja zu dem Kinde, das die rothgeweinten Augen nicht von ihm lassen kann. Fasse Muth, Mädchen, die Krone sitzt noch nicht auf Deinem Kopf, und Du, alter Christian, sei friedlich und voll Liebe, wie ein Mann Gottes sein muß. Sprich zu dem gestrengen Herrn Sorenskriver dort: Sie sehen, wie es steht; eine Hand ohne Herz ist wie eine Medizinflasche ohne Medizin. Du wirst Deines Kindes Herz doch nicht brechen wollen, Alter? Eine Tochter hast Du nur, setze sie nicht aufs Spiel, solche Krankheiten sind gefährlich, und wenn Du …«
Er konnte nicht vollenden, denn der Probst ergriff im höchsten Zorne seinen Arm, nachdem er vergebens versucht hatte, ihn zu unterbrechen und schrie:
»Willst Du mich toll machen, Alsen, willst Du der Narrheit, dem Unsinn, der Undankbarkeit das Wort reden? Soll denn ganz und gar alle Sitte und Schicklichkeit hier mit Füßen getreten werden?! – Ich sorge für meines Kindes Glück, ich liebe sie, wie ein Vater sein Kind lieben kann. Ein verständiger, edler, redlicher Mann hat um sie geworben, ein Mann von Ansehen, Herkommen und Vermögen. Noch ist es in Norwegen nicht Gebrauch, daß die Eltern ihre Kinder Bettlern hinwerfen, wenn diese etwa, schändlich und heimlich, sie bethören, und nimmermehr soll es mir so gehen! – Was will dieser junge Mensch, der mein Vertrauen mißbrauchte? Wer ist er? Was hat er in der Welt gethan? Was ist seine Zukunft?! Soll ich mein Kind seiner jugendlich unbesonnenen Leidenschaft überlassen, die er Liebe nennt? Darf ich das? Darf ich mit meinem in Ehren weiß gewordenen Haar so überlegungslos handeln, daß man dereinst, in Kurzem vielleicht, mit Fingern auf mich zeigt und mir zuruft: Seht da den gewissenlosen Vater, der sein leichtsinniges Kind dem Elend überliefert hat! Nein, meine Freunde, Das kann und soll nun und nimmermehr geschehen! Es ist mir schmerzhaft, mein Kind weinen zu sehen; schmerzhaft, hart und grausam erscheinen zu müssen; aber ich hoffe, daß mich einst Freudenthränen dafür belohnen und selbst der mir es danken wird, den ich von einer Thorheit abhielt, die er freilich jetzt nicht einsehen will und nicht einsehen kann.« –
Seine Rede war nach und nach milder geworden; er streckte die Hände nach seinem Kinde aus, das tief bewegt vor ihm stand, und sah mit einem gütigen, fast bittenden Blick auf Dartley, dessen stolzes Gesicht keinen Zug veränderte.
»Es ist eine traurige Täuschung, meine arme Mary,« sagte Henrik, »da gilt es fest zu halten und nicht zu verzagen. Laß uns denn sehen, wer Recht hat; ob es Thorheit war, die uns verband; ob wir siegen, oder sie, die uns ewig trennen wollen.« –
»Halt!« sagte der Probst, »ich will ein Wort mit Dir reden, Dartley.«
»Noch einen Augenblick.« –
Er reichte Mary die Hand und sprach mit fester Stimme.
»Was sie auch sagen mögen, denke an mich und glaube an mich! Wenn eines Mannes Wille und Kraft es thun kann, so sollst Du glücklich werden. Menschenwerk vergeht, Vieles ändert oft eine Stunde. Lebe wohl!«
Der Probst führte ihn hinaus unter die Bäume des Vorhofes bis an den Weg, der zum Fjord hinablief.
»Henrik Dartley,« sagte er, hier ist die Grenze meines Hauses; Dein Fuß darf sie nicht wieder überschreiten, bis ich es erlaube, das gelobe mir, und ich will Deine Unbesonnenheit vergessen.« –
»Ich gelobe es, aber ich schwöre zugleich, daß ich Mary's Liebe ewig bewahren und darnach streben werde, Dich Vater zu nennen.«
Fahlberg war gerührt.
»Geh'« sagte er, »ich will nicht mit Dir rechten. Du bist jung, Du hast ein Herz für Dein Vaterland, erwirb Dir ein neues Leben, jetzt ist die Zeit dazu; das ist mein Rath für Dich. Höre auf mein Wort, Henrik, und wenn Du einst zurückkehren solltest, wenn Du Lebensweisheit und Ruhm erlangt hast, dann komm zu mir, und ich will Dich aufnehmen, wie meinen Sohn.«
»Wie Deinen Sohn!« rief Dartley und in seinen Augen strahlte der lang verhaltene Schmerz. »Ach! mein Vater, und warum verstößest Du mich jetzt? Ich will nicht gehen, und ich kann nicht gehen. Mein Schicksal muß sich hier vollenden, das habe ich Oersteen gesagt, und ich wiederhole es Dir. Hüte Dich vor diesem listigen Manne, der Dich verlockt, hüte Dich vor seinen geheimen Planen, daß er Dich nicht in Unehre bringt!«
»Verleumder!« erwiederte der Probst verächtlich. »Du bist schlechter und gemeiner, als ich dachte. Geh' und behalte Deine Lügen für Dich. Ich habe mich vor dem Gedanken gesträubt, Du könntest Dein Vaterland verrathen, jetzt glaube ich es. Geh nach Schweden, wenn Du ein Schwede sein willst, Du bist falsch genug dazu; aber nimm Dich in Acht, Ränke zu spinnen, geheime Versammlungen zu halten, die Gemüther zu verführen. Noch haben wir Macht und Ansehen genug, Dir das Handwerk zu legen und Dich unschädlich zu machen.«
Mit diesen Worten entfernte er sich. Dartley ging langsam den Weg hinab und verschwand zwischen den Tannen.
Es war dunkel geworden, als Dartley in Lars Hütte trat. Ein feiner eisiger Hegen hatte den sonnenhellen Tag beschlossen, und Henrik's Kleider tropften vom Wasser. Karina war allein zu Hause, doch war sie eben auch erst von ihrer weiten mühsamen Wanderung durch das Gebirg zurückgekehrt. Sie saß an dem hellen Feuer, das auf dem Heerde brannte, hatte Schuhe, Strümpfe und Oberkleider ausgezogen und ließ sie trocknen, während sie selbst nachdenkend daneben saß, den Kopf tief gesenkt und die Hände in den Schooß gelegt. Als Dartley hereintrat, sprang sie auf und machte ihm Platz, indem sie seinen Gruß freundlich erwiederte.
»O, wie bist Du so naß!« sagte sie verwundert; »ich glaubte, Du seiest im Pfarrhause und säßest am warmen Ofen in lustiger Gesellschaft.«
Dartley antwortete nicht. Er stellte sich ans Feuer, warf noch mehr Holz auf und ließ die Flamme hoch aufprasseln.
»Es ist ein schlimmes Wetter draußen,« sagte das Mädchen nach einer Weile.
– »Regenwetter!« erwiederte er. –
– »Du bist aber sehr verdrießlich. Ist Dir ein Unglück begegnet?« –
– »Ein Unglück kann daraus werden, wenn das Glück ausbleibt.« –
»Ich habe Alles wohl ausgerichtet, Henrik. Du mußt nicht traurig sein. Ein Mann soll nie verzagen, sagt Lars.« –
Dartley wendete sich zu ihr. Im Feuerschein blickte sie ihn mit den großen, muthigen Augen tröstend an.
– »Gute Karina,« sagte er, »Du weißt nicht, was mir fehlt.« –
– »Du solltest es mir erzählen. Das macht das Herz leicht. Willst Du?« –
Dartley dachte einen Augenblick nach, dann setzte er sich zu ihr auf die Bank, nahm ihre Hand und sagte:
»Ich will, Kari. Weißt Du, warum ich so ins Pfarrhaus nach Grover ging?«
– »Weil es schön da ist, und verständige, gelehrte Leute darin wohnen.« –
– »Weil Mary dort wohnt, liebe Karine.« –
Das Mädchen schlug die Augen schnell zu ihm auf.
»Du liebst die Jungfrau Mary?« rief sie. –
– »Ja, Karina, ich kann nicht ohne sie leben.« –
– »Und sie liebt Dich auch? O! sie muß Dich lieben, Du bist ja der schönste Mann in allen Thälern.«
»Sie liebt mich, aber ihr Vater will es nicht leiden.«
Er erzählte mit kurzen Worten, was geschehen, und Karina hörte aufmerksam zu.
»Und was willst Du nun thun?« fragte sie, als er schwieg. »Ich denke, Du wirst sie dem häßlichen Kerl, dem Sorenskriver nicht lassen wollen?« –
»Gewiß nicht, eher würde ich ihn in den Fjord stürzen.«
»Das wirst Du nicht thun, Henrik; aber sei ohne Sorge, wenn Jungfrau Mary Dich liebt, wer wird sie dann zwingen können, die Krone aufzusetzen? Ich sagte Nein, und wenn sie mich in die Kirche schleppten, sagte ich doch: Nein, ich will ihn nicht!« –
Sie richtete den Kopf stolz auf; ehe Dartley jedoch etwas erwiederte, fuhr sie fort:
»Freilich, ihr Vater ist ein strenger Mann, und sie ist sanft, wie ein Kind. Sie wird sehr traurig sein; Du mußt sie nicht verlassen.«
»Ich habe gelobt, nicht wieder hinab zu kommen, und ich darf auch nicht.« –
»So mußt Du ihr schreiben, was Du denkst und was sie tröstet.«
»Und wer soll meinen Brief bestellen, Karina?« –
»Ich,« sagte das Mädchen, »gieb ihn mir! Ich klopfe leise an ihr Fenster, sie wird nicht schlafen, ich bringe Dir auch die Antwort. Dort oben auf dem Schrank hat Lars Papier und Schreibzeug; setze Dich am Tisch nieder, ich will indessen Deine Kleider trocknen.«
»Es wird eine fürchterliche Nacht,« erwiederte Dartley besorgt. »Du darfst es nicht wagen, Kari.«
»Ich es nicht wagen!« rief sie lachend, »was ist da viel zu wagen? Wie oft bin ich in Nacht und Wetter von den Fjellen herabgestiegen! Schreib' den Brief und laß es meine Sorge sein.«
Dartley setzte sich und schrieb. Karina zündete die Lampe an und stellte sie bei ihm hin, auf einen umgestülpten Topf, dann trat sie ans Feuer und trocknete Henriks Rock; von Zeit zu Zeit aber stützte sie den Kopf in ihre Hände und sah zu ihm hin, der Feder nach, die rasch über das Papier flog. Endlich legte er den Brief zusammen auf den Tisch.
»Hier hast Du ihn, liebe Kari,« sagte er, »wenn aber der Sturm und Regen anhält, wie jetzt, so darfst Du nicht gehen, das versprich mir.« –
»Mögtest Du nicht gern, daß Jungfrau Mary Nachricht haben soll?«
»O, gewiß! sehr gern, aber Du würdest mir bittere Angst machen.«
»Nun, siehst Du, wir müssen es thun, es geht nicht anders.«
»Womit soll ich Dir es aber danken, Karina? Wenn jemals ein Brief für Dich zu bestellen ist, ich will ihn Deinem Schatz bringen, wär' es auch oben in der Jötunfjellen bei dem Riesen und Drachen.«
Er schlang die Arme um ihren Leib und küßte sie, ohne daß sie es wehrte, bis er sie losließ, dann sagte sie:
»Nun mußt Du gehen, Henrik, damit Du zur rechten Zeit zu Hause bist, wenn die Männer kommen, die wir bestellt haben; doch morgen in der Frühe soll Lars Dir die Antwort bringen.«
Sie half ihm den Rock anziehen, dann begleitete sie ihn an die Thür und sah ihm lange nach, bis sein Fußtritt verhalte.
Als sie zurückkehrte, setzte sie sich auf dem Platz am Feuer, wo Dartley gesessen hatte. Die Flamme zuckte dann und wann hell auf und beleuchtete ihr lächelndes Gesicht und die langen blonden Flechten, welche über die Schultern hingen. Endlich nahm sie den groben Strumpf zur Hand und begann mit leiser Stimme eines jener alten Lieder zu singen, deren klagende, eintönige Melodien seit Jahrhunderten mit ihnen in diesen Bergen fortleben. Bald unterbrach sie jedoch ihren Gesang, und nach der Thür eilend, sah sie in die Finsterniß hinaus und trat in den Regen, der ihr entgegen schlug.
»War es mir doch, als wenn Henrik mich gerufen hätte,« sagte sie, »als wäre er zurückgekehrt und stände draußen. Was ich dumm bin: der wird nicht zurückkehren! Mit seinen schnellen, leichten Füßen fliegt er über die Fjellen, wie ein Getto Druckfehler für »Gekko«, wie man im 18./19. Jh. die Bezeichnung »Gecko« zumeist schrieb?. O, der Narr, der Sorenskriver, wie kann er mit Henrik Dartley streiten wollen!« –
Sie nahm den Brief, der auf dem Tisch lag, und starrte die Buchstaben an.
»Wie schön das aussieht,« rief sie, »wie prächtig kann er schreiben, viel schöner als der Pfarrer und der Voigt! Es ist recht schlimm, daß ich es nicht lesen kann, denn gewiß steht auch etwas von mir darin.«
Mit diesem Gedanken beschäftigte sie sich lange Zeit, und während sie die Vorbereitungen zu ihrem nächtlichen Gange machte, die nägelbeschlagenen Schuhe von dem Brett nahm, den trockenen Wollrock hervorholte und endlich ihres Bruders Regenkappe und dessen großen Lederkragen, den er zu Hause gelassen, bereit legte, hatte Dartley sein Haus erreicht, aus dem ihm schon von fern der Feuerschein vom Heerde entgegen glänzte.
»Es werden wohl mehre meiner Gäste längst auf mich warten,« dachte er, und so war es in der That. Als er in die Halle trat, fand er wohl ein Dutzend Männer am Feuer, die sich um Lars versammelt hatten, der das Wort führte. Es waren meist junge, kräftige Gestalten. Viele hatten ihre Lederkragen noch auf den Schultern und standen auf ihre Stöcke gestützt, aufmerksam zuhörend. Das lange Haar fiel unter der rothen Mütze hervor, tief in ihre harten und kühnen Gesichter, und einige waren darunter, deren stolze Züge gar nicht zu der groben Jacke zu passen schienen, so edel und trotzig froh waren sie gebildet. Jeder trug an der Hüfte sein Messer in der Lederscheide, wie es Sitte ist, und dies gab den Bauern einen wehrhaften Anstand. fast eine Versammlung kriegerischer Vasallen aus alter Zeit zu sein, die ihren Häuptling erwarten, der mit ihnen ein gefährliches Unternehmen zu berathen denkt, und um dies Bild zu vollenden, fehlte auch ein Skalde nicht; denn dicht an der Ecke des Heerdes saß ein alter Mann mit weißen langen Locken und feurig dunklen Augen, der auf den Knieen ein breisaitiges Instrument, eine Art Geige hielt, die von den Künstlern des Gebirgs selbst gemacht wird. Dann und wann fuhr er leise und abwechselnd mit den Fingern und einem kleinen Bogen darüber hin, begleitete so die Worte des Redners und füllte die Pausen, wenn dieser schwieg.
»Liebe Nachbarn,« sagte Lars, »was Henrik Dartley Euch oft gesagt, das ist nun eingetroffen. Freie norwegische Männer sollen wir werden, wie unsere Väter es gewesen sind in alter Zeit, und dazu soll ein Jeder von Euch rechtschaffen mitwirken.« –
»Ein Hurrah für Norwegen!« rief einer der jungen Hirten. »Was sollen wir thun, Lars?«
»Henrik wird es Dir sagen, Niels Hansen,« versetzte Lars. »So viel ist aber gewiß, Jeder soll Gut und Blut hergeben um Norwegens Wohl. Wenn ich in die Stadt kam, Nachbarn,« fuhr er fort, »und ich sah dort die Dänen geputzt umher gehen, die Nasen in die Wolken gestreckt, so dachte ich: Zum Henker! was wollen sie denn eigentlich hier im Bergenstift? Haben wir nicht etwa selbst Männer genug, die verständig und brav sind, um unserem Lande vorzustehen? Was ist es denn nöthig, daß wir uns Weisheit über's Meer holen und solche Maulaffen bezahlen, die unser Brot essen und unser Geld nehmen? Ist das Volk in Norwegen nicht ein gutes, tüchtiges Volk, das sich selbst rathen und helfen kann? Und nun hört an, Freunde, wie es jetzt gekommen ist. Nachdem wir viele Noth gelitten, wie Ihr Alle wißt, haben die Dänen Frieden geschlossen und Norwegen, wie ein Dohlennest auf der Haide, dafür fortgegeben. Ich weiß nicht, wie die Könige heißen, die es so befohlen haben, aber das weiß ich, daß sie kein Recht dazu besitzen, gerade so viel, wie ich oder Ihr. Was würdest Du sagen, Herbrand Möen, wenn wir hier beschlössen, Du solltest mit Deinem Hofe künftig uns angehören, uns Dienste und Abgaben leisten?« –
»Ich würde,« erwiederte der alte Mann, an den diese Worte gerichtet waren, »Euch nicht gehorchen, so lange ich es vermöchte.«
»Siehst Du,« rief Lars, »da habt Ihr im Kleinen, was uns im Großen alle trifft. Wir haben zu Dänemark gehört, jetzt sollen die Schweden unsere Herren sein; wir aber, Ihr norwegischen Männer, wir wollen Niemandem künftig angehören, als uns selbst. Wir wollen unsere eigenen Fürsten haben und das soll Prinz Christian sein. Wenn er des Landes und des Volkes alte Rechte und Freiheiten hoch achtet und beschwört, so wollen wir ihm alle helfen, und wollen unser Leben dafür lassen.« –
»Das wollen wir, Lars,« sagten Viele, und ein paar der Ältesten setzten bedächtig hinzu: »Wir wollen hören, was uns Henrik Dartley räth, der uns gefordert hat. Er wird uns sagen können, wie man im Lande darüber denkt.«
Nach und nach kamen noch mehre Männer, trotz des wilden Wetters, so daß wohl dreißig beisammen waren. Viele Gerüchte über das, was in Christiania vorging, hatten sich bis in den Schooß des einsamen Gebirges gedrängt, aber Keiner wußte etwas Bestimmtes darüber. Schweigend saßen sie hier und warteten; Lars rückte die Bänke im Halbkreise um das Feuer, dessen glänzender Schein die ernsten verständigen Gesichter umspielte. Plötzlich ging die Thür auf und Dartley trat herein. Er hielt einen Brief in seiner Linken; ein wohlgefälliges Murmeln empfing ihn, einzelne Stimmen riefen seinen Namen. Henrik ging in dem Kreise umher und reichte Jedem die Hand.
»Willkommen in Rothbergsland!« sagte er dann. »Liebe Freunde und Nachbarn, ich habe Euch zu mir gerufen, Rath mit Euch zu halten, was wackere Männer bei des Vaterlandes Noth und Gefahr jetzt vereint thun können. Wollt Ihr hören, was ich Euch zu sagen habe?« –
»Ja, Henrik Dartley!« riefen sie alle.
Nun stellte er sich in den Kreis und erzählte ihnen, was geschehen solle auf dem Eisenhammer zu Eidsvold, und alle die Männer in den groben Regenröcken hörten mit schweigender Aufmerksamkeit zu.
»Auch Ihr,« fuhr er dann fort, »werdet einen Abgeordneten dorthin senden, und Ihr müßt einen Mann wählen, der ein Freund des Vaterlandes ist, ein redlicher, getreuer Mann, der sein Volk und die Freiheit liebt.«
»Wer könnte das anders sein, als Du selbst,« sagte der junge Niels; »Wer ist so sehr unser Freund, wie Du?«
»Ja Du, Henrik Dartley,« riefen Viele, »Du sollst es sein.«
»Ihr urtheilt voreilig,« erwiederte er. »Man hat mir gesagt, daß übermorgen in dem Hause des Probstes zu Grover die Wahl getroffen werden soll, bis dahin bedenkt Euch wohl! Viele gute, würdige Männer sind dann versammelt, gebt Eure Stimme dem Besten darunter. Ihr seid meine nächsten Nachbarn und Freunde, ich habe Euch versammelt, nicht um meinetwillen, sondern damit Ihr wißt, um was es sich handelt. Jetzt hört, was die Meinung der wackersten Patrioten im Lande ist.«
Dartley schlug den Brief auf und las ihn vor. Es war eine klare Auseinandersetzung der Lage des Landes, mit allem, was es zu hoffen und zu fürchten hatte. Ein Aufruf zugleich an alle Norweger, dem Vaterlande beizustehen in seiner schweren Bedrängniß.
»Vor allen Dingen, hieß es endlich darin, »müßt Ihr sehen, daß nicht schlechte Ränke der heiligen Sache Schaden bringen. Es giebt viele, die heimlich den Dänen anhangen, die lieber einen unbeschränkten Fürsten möchten, der ihnen für ihre Dienste Geld, einträgliche Stellen und andere Zeichen seiner Gunst gewähren kann, als daß sie Norwegens Freiheit über Alles liebten. Wir sind ein armes verlassenes Volk, rings bedroht von mächtigen Feinden. Rettung ist für uns nur in unserm Muthe, im Vertrauen auf Gott und unser Recht! Wir haben kein Heer und keine Kriegsschiffe, die meisten gehören den Dänen, welche sie wohl nächstens gegen uns selbst gebrauchen werden, wenn wir nicht dafür sorgen, daß sie es nicht können. Legt Beschlag darauf und bemächtigt Euch ihrer, das ist eine muthige, herrliche That, die Vieles entscheiden kann. Vertreibt die Dänen von Euren Küsten, laßt Norwegens Flagge wehen, das wird die heimlichen Feinde schrecken. Helft Euch selbst, helft dem Vaterlande, so hat uns Gott geholfen.«
Henrik ließ den Brief sinken und blickte in dem Kreise umher. Manche Augen glänzten, die schwieligen Hände drückten sich fest zusammen, aber Alle blieben ruhig und stumm. Da stand Lars auf und nahm die Mütze von seinen schwarzen Locken. Sein kühnes Gesicht vom Feuerschein überstrahlt, drückte aus, was er empfand, ehe er redete. Er legte die Hände auf seine breite Brust und sagte:
»Hier ist keiner, der nicht weiß, daß wahr ist, was dort auf dem Papier steht, denn es steht auch so in unseren Herzen. Was geschrieben steht, paßt auf uns ganz und gar. Die dänische Fregatte in den Scheeren hat uns schon jetzt Leid angethan, darum ist es mein Rath, wir wollen die norwegische Flagge darauf pflanzen und unsere Männer frei machen, ehe uns mehr Schaden geschieht.« –
»Wir wollen Dir helfen, Lars!« riefen manche der jungen Leute.
»Schweigt still!« sagte der alte Herbrand Möen und er hob seinen Stab auf. »Ihr seid junge heftige Leute, ohne Überlegung. Es ziemt sich aber nicht zu schreien. Wir wollen Dies und Das thun, ohne zu berathen, ob auch kein Unrecht dabei ist. Das Schiff gehört dem Könige in Kopenhagen, dürfen wir sein Eigenthum ihm wegnehmen? Auch ist es ein großes Schiff mit vielen Kanonen und Seevolk; können wir es wegnehmen? Wird nicht unser Blut ungerecht und unnütz dabei fließen, und endlich Schande und Strafe über uns kommen mit vielen bittern Thränen und Klagen? Das bedenkt alles wohl, liebe Männer, damit nicht Reue uns trifft, wenn es zu spät ist.«
Eine lange Pause trat ein, und Alle schienen die Rede des alten Mannes still zu bedenken. Endlich stand Einer wieder auf und wandte sich an den Besitzer von Rothbergsland.
»Du hast uns oft erzählt, Henrik Dartley,« sagte er, »daß Norwegen in den Kriegen für Dänemark viele Schiffe verloren hat, auch wissen wir, wie norwegische Männer in blutigen Seeschlachten gefochten haben und umgekommen sind. Sind die Dänen uns jemals dafür gerecht gewesen?«
»Nein,« sagte Dartley.
»Unrecht,« erwiederte ein anderer strafend, »soll nicht mit Unrecht vergolten werden.«
»Das ist wahr,« sprach ein Dritter, »allein wir haben Unrecht und Schaden von uns zu wenden. Hat das dänische Schiff nicht Peter Klüvers norwegisches Schiff rein ausgeplündert? Hat es nicht norwegische Männer gewaltsam festgenommen?« –
»Wir wollen sie frei machen!« rief Niels Hansen lebhaft. »Ich war heute am Bord bei dem Dänen, wohl die Hälfte ihrer Mannschaft sind Normänner, und sie werden nichts dagegen haben, wenn wir kommen und sagen: herunter mit der dänischen Flagge, Jungens, und Hurrah für Norwegen!«
»Sprich Du, Henrik Dartley,« begann der alte Herbrand, »Du bist der, welcher am besten wissen soll, was gut ist, denn Du weißt mehr von Allem, als wir. Ist kein Unrecht dabei, wenn wir das Schiff überfallen und Blut vergießen?« –
»Nein, Herbrand Möen.« –
»So sage uns, was Du denkst.«
»Ich frage Euch alle,« rief Dartley mit fester Stimme, »wollt Ihr Eurem Vaterlande mit Blut und Leben beistehen, um seine unabhängige Freiheit zu gewinnen?« –
»Ja!« antworteten die Versammelten.
»Dann darf kein dänisches Schiff hier im Fjord liegen und uns bewachen. Nicht Peter Klüvers Verlust ist es, was uns Recht giebt, dies Schiff zu nehmen; Norwegens Wohl befiehlt es uns! – Denke darüber nach, Herbrand, ob es wahr ist, was in dem Brief hier steht; wenn wir zu den Waffen greifen, um uns zu vertheidigen, ob wir da nicht der Kriegsschiffe bedürfen, auf denen unsere Brüder seit Jahren stritten, ob wir nicht mit einer kühnen That den großen Herren zeigen sollen, der Bauer in den Bergen will die Freiheit.« –
»Du hast Recht,« sagte der alte Mann, »doch viel ist dabei zu bedenken.«
»Am meisten das,« sprach ein Anderer, »wie wir es machen, um zum Zwecke zu kommen.«
Nun wurde ein langer Rath gehalten, in dem man vielfach erwog, wie schwer es sein würde, sich eines so großen, wohlbewaffneten Schiffes zu bemächtigen. Je länger die Männer darüber nachdachten, desto schwieriger erschien es ihnen. Warnende Worte wurden gesprochen, die bedächtige Klugheit fand Gehör, und zuletzt waren die Meisten doch sehr zweifelhaft, ob man eine That begehen dürfe, die schlimm ablaufen könne.
Die Älteren bedachten auch, daß kein angesehener Mann bei ihnen sei, als der junge Dartley; daß weder der Probst, noch der Voigt, noch der Richter etwas davon wisse, und ohne diesen und deren Rath wurde selten irgend etwas unternommen. Sie konnten aber wohl vermuthen, daß jene weit eher dagegen sein würden, und ihr Vertrauen sank noch mehr, als sie erfuhren, die dänischen Offiziere seien Gäste im Hause des Probstes und der Sorenskriver Oersteen ein Freund des Barons, der die Corvette befehligte.
Nach und nach wurde es still in der Halle. Die Männer senkten die Blicke zu Boden, dann standen sie auf und sammelten sich um den alten Herbrand Möen, der auf seinen langen Stab gestützt vor sich hin sah, bis er plötzlich Dartley die Hand reichte und mit tiefem Ernste sagte:
»Du mußt es uns nicht übel nehmen, Henrik, wenn wir Dich bitten, Alles noch einmal wohl zu überlegen. Wir wollen es auch so machen und dann entscheiden, was geschehen kann. Niemand soll darüber sprechen, denn es ist gefährlich, das zu thun. Für Norwegens Wohl wird Jeder von uns sein Leben lassen, Du aber bist ein Mann, der leicht zu einer schnellen That bereit ist, darum laß uns heute noch warten, und rufe uns wieder, wenn Du überzeugt bist, daß es so sein muß.«
Dartley sah ein, daß er diese ruhige Vorsicht nicht besiegen werde. Er bezwang seinen Unmuth und entließ die Bauern.
»Ihr seid freie und verständige Männer,« sagte er, »ich will Euch zu nichts überreden und zu nichts verlocken, was Ihr nicht billigen könnt. Lebt denn wohl und schweigt, aber wißt, daß langes Bedenken noch nie eine kühne That hervorgebracht hat.«
»Aber es hat noch Keinen gereut, Henrik, wohl zu überlegen, was man thut,« erwiederte der alte Bauer. »Gottes Friede in Dein Haus und gute Nacht!
Manche gingen nun schnell davon, Andere blieben zögernd stehen, und die Jungen flüsterten mit Lars, der unbeweglich, die Mütze trotzig in die Stirn gedrückt, an der Wand lehnte. Als sie Alle hinaus waren, trat er zu dem Herrn von Rothbergsland, der finster blickend am Feuer saß, und sagte in seiner treuherzigen Weise:
»Das hast Du unrecht angefangen, Henrik, und hättest Du mich gefragt, ich hätte Dir's widerrathen. Die alten Männer hier zu Lande sind zu vorsichtig und zu klug, ein gewagtes Ding zu beginnen, wenn der Pfarrer oder der Sorenskriver nicht seinen Segen dazu gegeben hat. Ein paar Dutzend junge kräftige Bursche, wie Du und ich, hätten es aber in einer Nacht gethan, wie die heutige und morgen beim Sonnenschein hätten die übrigen freudig mitgeschrieen, wenn Norwegens Flagge von dem Maste wehte. Willst Du es jetzt lassen, oder meinst Du, daß es doch geschehen soll?« –
»Wenn's geschehen kann, Lars, muß es geschehen.«
»Alles kann geschehen,« sagte der Bauer, »wenn es in Menschen Macht steht es zu vollbringen. Gute Nacht, Henrik Dartley, laß mich nachdenken, wie wir es am besten vollbringen.«
Er ging zum Fjord hinunter, wo er sein kleines Boot weit ans Land gezogen hatte, schob es in die schäumigen Wellen und griff zu den beiden Rudern. Mitten durch die Nacht und den Schlag des Wassers trieb er das leichte Fahrzeug mit aller Kraft; nur dann und wann blickte er einen Augenblick um, damit er die Richtung nicht verliere, und wischte den Regen aus seinem heißen Gesicht. Die langen Wogenkämme spritzten über ihn hin und warfen das kleine Boot hoch über ihre Rücken in die Tiefe; aber Lars arbeitete mit der kaltblütigen Zähigkeit eines nordischen Seemannes und kümmerte sich wenig um Wind und Wetter. Er dachte in diesem Augenblicke weit mehr an Henrik und dessen Plane, als an den stürmischen Fjord.
»Es ist ein beherzter Junge,« sprach er, »und der Böse soll mich holen, wenn ich ihm nicht helfe! Aber klug müssen wir es anfangen, denn besser wäre es für uns, wir lägen hier unten bei den Grundhaien und Schollen, als daß uns etwa der Fang mißlänge und man uns dafür finge. Weiß es Gott!« rief er lachend, »der dänische Capitain würde wenig Umstände mit uns machen, wenn wir ihn auch aus der Telegröb gezogen haben.«
Mit doppelter Kraft gebrauchte er dann die Ruder, weil er an Karina dachte.
»Sie ängstigt sich wohl nicht um mich, denn es ist ein beherztes Mädchen, und sie kennt den Lars, aber mir ist es bänglich, und ich weiß nicht, warum, ich habe eine Sehnsucht nach dem närrischen Dinge.«
Während Lars sich so abmühte, seine Hütte zu erreichen, war diese leer und verlassen. Als Karina bereit war ihren Weg anzutreten, hing sie die Lampe am Heerde auf, setzte die Südwesterkappe von ölgetränktem starken Zeuge auf ihren Kopf, wickelte sich in den Lederkragen, und nachdem sie den Brief sorgfältig in ihrem Busen versteckt, trat sie rasch in die stürmische Regennacht. Wohl war es, wie ihr Bruder von ihr gesagt, ein tüchtiges und beherztes Mädchen. Es war ihr recht, dem geschwornen Schreiber, den sie nicht leiden mochte, einen Streich zu spielen, und selbst einem Andern zu Liebe hätte sie es gethan. Daß es Henrik war, daß der es ihr dankte und Schmeichelworte für sie hatte, gab ihr freilich einen edlern Eifer, und zudem war es eine gute Sache, an der sie mächtigen Antheil nahm.
So lief sie denn kühn über die zerrissenen Geschiebe hin, wankend zuweilen unter den Sturmstößen, die über den Fjord jagten, aber vorsichtig und gewandt, wo es gefährlich schien. Schnell genug kam sie ins Thal hinunter und tappte leise über den sumpfigen Wiesenstrich dem Pfarrhause zu. Dunkel lag dies endlich vor ihr; alles Licht und Leben war darin erloschen. Sie konnte lauschend an dem Gebäude hingehen, kein Hund sprang ihr entgegen; denn in Norwegen ist dies wachsame Thiergeschlecht überhaupt spärlich vorhanden, bei der herrschenden Noth waren aber die wenigen vierbeinigen Hüter längst abgeschafft.
Karina horchte an den geschlossenen Läden der Vorderseite, es regte sich nichts. Dann schlich sie dicht an der Wand hin und blieb endlich an der Gartenecke stehen, unter einem Fenster, wo es finster und still war. Wenn jedoch der Wind zu wimmern aufhörte, glaubte sie drinnen einen leisen Ton zu vernehmen; sie legte das Ohr fest an den Laden, und es war ihr, als weine und spreche Jemand. Ganz leise nahm sie den Finger und klopfte, und nach einem Weilchen wiederholte sie das Zeichen. Wie es klirrte, duckte sie sich nieder. Der Riegel wurde fortgeschoben, der Laden knarrte:
»Wer ist da?« flüsterte Mary. »O Henrik!«
Karina richtete sich auf:
»Pst!« sagte sie, »höre, Jungfrau.«
Mary zog erschreckt den Laden zu, aber Karina hielt ihn fest.
»Hier ist ein Brief, lies ihn doch; Henrik Dartley schickt ihn Dir, ich bin sein Bote.«
»Wer bist Du denn?« fragte Mary ermuthigt.
»Kennst Du mich nicht? Sieh mich nur genau an. Aber eile und sieh was Henrik schreibt!«
»Wie soll ich es lesen, gute Karina?« erwiederte Mary betrübt, »ich habe kein Licht.«
»So denke Dir, was er schreibt, Jungfrau, und gieb mir eine Antwort.«
»Was kann ich ihm antworten?«
»Das weißt Du nicht?« rief die Seterin erstaunt. –
»Still! hörtest Du nichts? Um Gotteswillen, wenn mein Vater erwachte!«
Sie zog die Läden des Fensters zusammen. Karina hörte nichts.
»Was Du ihm antworten sollst, Jungfrau?« sagte sie, als Mary von Neuem öffnete. »Liebst Du denn Henrik nicht?«
»Mehr als mein Leben, Karina!«
»So sagt Henrik auch, und was er sagt, das ist wahr. Er will nicht von Dir lassen, Jungfrau Mary, Du mußt es auch nicht thun.«
»Sage ihm,« flüsterte Mary weinend, »daß mein Vater heute Abends meine Hand in Oersteens Hand legte, daß meine Bitten und Thränen nichts halfen, daß ich keinen Rath und keine Hülfe sehe als den Tod.«
»So mußt Du nicht sprechen,« sagte das Setermädchen, »es ist nicht recht, dem armen Henrik zu zeigen, wie trostlos Du bist. Höre, Jungfrau Mary, Du mußt Vertrauen zu Dir haben und zu ihm. Wer kann Dich denn zwingen, wenn Du nicht willst? Dein Vater ist ein harter, stolzer Mann, aber er kann es doch nicht; und Henrik Dartley liebt Dich, kannst Du da so ganz verzweifeln? Ist er nicht jung und schön, und bist Du nicht auch jung und schön? Er hat Dir Trost durch mich zugeschickt, so mußt Du ihn auch wieder trösten.«
»Was soll ich aber thun, Karina? Du kennst es nicht, Du weißt nicht, welche Leiden mich drücken.«
»Sonderbar!« erwiederte das Mädchen, »Das sagte Henrik auch, und doch habt Ihr Beide Unrecht. Ich kann es mir Alles wohl vorstellen, wie es Sitte ist bei Euch, aber spricht denn Dein Herz nicht lauter? Wenn Du ihn liebst, kannst Du fragen, was Du thun sollst? Du mußt ihm treu anhangen, Jungfrau Mary, und wenn die Menschen alle von Dir abfielen, wenn sie Dich in diese wilde Nacht stießen, Du müßtest doch nicht von ihm lassen. Soll ich ihm das sagen?«
»Sage es ihm,« flüsterte Mary und reichte dem Mädchen die Hand; »sage ihm, er solle mich lieben, mich schützen; ich will alles thun, was er fordert. Ich will ihm treu bleiben, möge Gott uns gnädig sein!«
»Höre! willst Du ihn nicht selbst sehen und sprechen? – Er darf nicht zu Dir kommen, er hat es Deinem Vater geloben müssen.«
»Wie soll ich ihn sehen, liebe Karina?«
»Du mußt zu ihm kommen.«
»Ach nein, nein!«
»Geh morgen zur Mittagszeit an den Fjord hinauf; steige über die Felsen, wo die Tannen stehen und den Pfad hinunter. Ein Quell springt aus dem Gestein, und daneben liegt ein mächtiger Block, es soll ein König darunter begraben sein. Henrik wird da warten, willst Du kommen?«
»Ich will, ja, o! ich will gewiß, aber –«
In diesem Augenblick entstand ein Geräusch an der Thür.
»Flieh,« rief Mary angstvoll, und Karina schlüpfte am Hause hin und durch einen Spalt in der Hecke dem Fjord zu.
Hinter sich hörte sie bald ein eiliges Laufen, das ihre Schritte beflügelte. Zwei dunkle Gestalten waren ihr auf den Fersen, und wie sie sich auch anstrengen mochte, sie konnte ihnen keinen Vorsprung abgewinnen. Die Nacht hatte an Finsterniß verloren, der Regen hatte aufgehört, ein schwaches Lichtgeflimmer über dem Rande der hohen Fjellen im Osten ließ den Mond verrathen, der die Spitzen seiner Sichel aus dem Gewölk hervorstreckte. Einigemale war der Vorderste der Verfolger dem flüchtigen Mädchen so nahe, daß sie sein heftiges Athmen hörte, und nur mit Aufbietung aller Kräfte gelang es ihr, ihn zurückzulassen.
Bei dieser ganzen nächtlichen Jagd war kein Wort gesprochen worden. Kein Ruf forderte die Verfolgte auf, still zu stehen, keine Drohung schallte ihr nach. Erst als Karina die Wiesen und den Fußsteig am Fjord zurückgelegt hatte und nun mit unverzagter Kühnheit an jähen Klippen emporstieg, wurde dies Schweigen gebrochen, weil die Beute zu entkommen schien.
»Steh still, Du Elender!« rief eine heftige Stimme, »steh, oder Du bist verloren!«
»Schieß, Oersteen!« schrie der Nachfolgende. »Er entkommt.«
»Schießt, so viel ihr wollt,« sagte die Seterin lachend für sich, indem sie mit doppelter Schnelligkeit an einem Gipfel aufkletterte, der steil über den Fjord hing. Jetzt stand sie oben und richtete sich auf. Tief unter sich glaubte sie eine Gestalt zu erkennen. Plötzlich fuhr ein rother Blitz über die bewaldete Bergwand, der Donner eines Schusses rollte ihm nach, und Karina war verschwunden. Aber gleich darauf fiel ein schwerer Körper vom Felsen; er schlug von Absatz zu Absatz und endlich in die Wogen des Fjord, in denen er versank.
Oersteen lehnte sich auf sein Gewehr und blickte spähend in die Tiefe. –
»Was war das?« rief der Capitain, der keuchend herauf stieg. »Ich glaube, der Narr ist von der Klippe gestürzt, und Deine Kugel hat ihm zu dem Sprunge verholfen.«
Schweigend deutete Oersteen hinab. Der Mond trat so eben unter den Wolken hervor und warf einen Schimmer auf den Fjord, der, am Fuße dieses Felsens kesselartig eingeschlossen, eine blanke Fläche bildete. Große Ringe zogen darüber hin.
»Ringe und Blasen,« rief der Seeoffizier, »das ist das Letzte von einem Menschenleben. Laß uns nach Hause gehen, Freund!« –
»Wer war es?« sagte Oersteen tief athmend. »War er es? hat ihn sein Schicksal ereilt?«
»Dann hat das Schicksal Dir einen großen Gefallen erzeigt.«
Er lachte laut auf. Der Ton kam dumpf aus der Tiefe zurück. Oersteen wandte sich schaudernd ab.
Am Bord der dänischen Corvette war die Morgenwache mit dem Bürsten und Scheuern des Schiffes beschäftigt, als ein Fischerboot unter dem Spiegel hinflog, das die Aufmerksamkeit des wachthabenden Offiziers erregte. Er sprang auf die Quartierbank und sah die beiden stämmigen Männer an, die ihre Ruder in die Schleifen von Weiden fallen ließen und ihre Mützen anfaßten. Der Offizier war einer von denen, die den Capitain begleitet hatten, als er Peter Klüver aufsuchte, und er erkannte auf der Stelle den Bauer, Lars, der in der Spitze saß. Sogleich rief er ihn beim Namen und schrie ihm zu, zu wenden und ans Schiff zu kommen; aber Lars warf einen bedächtigen Blick auf die hohen Schanzen der Corvette, über welche eine Anzahl Glanzhüte neugierig blickte, und schien keine große Lust zu haben, dem Ruf Folge zu leisten.
»Lieber Herr,« rief er zurück, »wir haben es eilig, wenn unser Fang heute gelingen soll. Die Fluth kommt in einer Stunde gewaltig durch die Scheeren herein, wie durch Schleusenthore, und verjagt die Fische, sammt uns.«
»Komm,« sagte der Offizier freundlich, »der Capitain ist am Bord. Er äußerte vorhin den Wunsch, Dich zu sehen, nun kommst Du wie gerufen.«
In dem Augenblicke stieg der Baron aufs Deck, der durch die Fenster seines Zimmers das Boot und den Mann darin bemerkt hatte. Der Offizier machte ihm ehrerbietig Platz.
»Ich will Dich nicht aufhalten, Lars,« sprach er, »nur ein paar Fragen sollst Du mir beantworten. Lege bei, mein Junge, und ihr da, werft ihm ein Tau hinunter.«
Der Befehl war so bestimmt gegeben, daß er jeden Widerspruch abschnitt. Das Boot nahm die Angeln ein, welche nach beiden Seiten ausgesteckt waren, und vor der Schanze in See rollte eine Strickleiter nieder, deren Ende ins Wasser schlug. Lars flüsterte seinem Kameraden, dem Niels Hansen, ein paar Worte zu, dann wand sich der Fischernachen mit einigen Schlägen zwischen Schiffsbooten und dem Gig des Capitains durch, die von langen Leinen gehalten, an der Seite schaufelten, und erschien unter der Leiter.
Während Lars sich aufschwang, band Niels sein Fahrzeug fest, dann kletterte er jenem nach und sprang aufs Deck, wo die Matrosen in ihren braunrothen Jacken bald plaudernd und fragend um ihn standen. Niels schüttelte ihre Theerhände mit manchem Spaß. Zugleich zog er aus der Brusttasche eine Zinndose hervor, öffnete sie mit einem tüchtigen Schlage auf den Deckel und bot den Inhalt zum beliebigen Gebrauche dar. Es lagen gliedlange Stücke einer schwarzen klebrigen Masse darin, die wie die Enden eines zusammengedrehten Stricks aussahen; aber die harten Matrosen-Gesichter wurden freudig angeregt von diesem Anblick; ihre plumpen Finger fuhren um die Wette eilig hinein, holten die Strickenden aus der Dose und stopften sie in den Mund, so daß bald jeder eine dicke Backe hatte.
»Nehmt,« sagte Niels, »greift zu, meine Jungens, es ist von der besten Sorte, ein Kerntaback, den ein Englishman mir geschenkt hat, als ich seine Brigg vor die Scheeren brachte.«
Der grämliche Bootsmann kam bei diesem Ausrufe auch näher, und Niels hielt ihm die Dose hin, die er nicht verschmähte, worauf er den Gangweg auf- und abschritt, und es nicht weiter sehen mochte, daß ein paar von der Mannschaft die Scheuerhölzer müßig in der Hand behielten und mit dem Fischer schwatzten, statt zu arbeiten. Niels hatte sich auf eine Karonadenschleife Karronade: leichte Kanone kurzer Reichweite. gesetzt und warf seine Augen nach allen Orten.
»Alle Wetter,« sagte er, »es ist doch ein schmuckes Schiff, das hier. Wie viel Kanonen führt es?
»Zähle sie Dir selbst, Junge,« erwiederte der dänische Bootsmann, indem er vorüber ging. Niels Hansen stand auf und zählte vier und zwanzig große Geschütze.
»Und dazu habt Ihr so viel Volk nöthig, wie hier auf dem Schiffe ist?« rief er.
»Wir hätten wohl noch mehr nöthig, wenn wir's hätten,« sprach der Däne.
»Wie viel sind's?« fragte Hansen neugierig einen der Matrosen.
»Es sind hundert und sechzig Köpfe,« versetzte dieser, »sollen aber eigentlich zweihundert und sechzig sein.«
»Und wenn die Normänner abgerechnet werden,« fuhr der Bauer lachend fort, »wie viel Dänen bleiben?«
»Ich weiß es selbst nicht, aber kaum die Hälfte mag es sein?«
Hansen schüttelte nachdenkend den Kopf. Dann zog er den Matrosen zu sich hin und flüsterte mit ihm, indem er sich über die Brüstung lehnte. Er theilte ihm mit, was er von den Dingen im Lande vernommen, und der Seemann hörte aufmerksam zu. Die Andern steckten die Köpfe zusammen und griffen die Worte begierig auf.
»Das ist eine schwere Neuigkeit, Niels,« sagte der Eine.
»Und eine gute Neuigkeit, Olof. Sieh hier, dort liegt Norwegen; das ist Norwegen, das ist Dein Vaterland, da wohnen Deine Freunde.«
»Ich möchte auch wohl dort sein,« murmelte der Mann vor sich hin, »wir alle.«
»Oder Ihr möchtet auf einem Schiff sein, Olof, von dem Norwegens Flagge weht. Was halten Euch die Dänen hier fest? Ist es nicht Unrecht, Olof? Wie können sie Euch pressen und an ihren Bord schleppen?»
Der Matrose zuckte finster die Schultern. »Was können wir thun?« sagte er.
»Was thut man gegen Unrecht, Olof? – Und ist es nicht bittere Schande, daß freie norwegische Männer gezwungen werden, den Dänen zu dienen, die nichts mehr bei uns zu suchen haben; die unsre Mitbürger ausplündern und dann auslachen, wenn sie darüber klagen. Ich will Euch etwas vertrauen, sprecht Ihr mit den Andern, und wenn etwa …«
In diesem Augenblicke kam der wachthabende Offizier vom Quarterdeck die Stufen herunter und unterbrach das Gespräch. Gehört hatte er nichts davon, aber es mißfiel ihm, daß der Bauer so viel und heimlich mit seinen Landsleuten redete, die ernsthafte Gesichter machten.
»Geh vom Deck,« rief er Niels zu, »erwarte Deinen Kameraden in Deinem Boot; und Ihr da, an die Arbeit!«
Niels nahm seine Mütze ab und stieg schweigend über die Schanze. Der Offizier verfolgte seine Bewegungen, bis er unten war, sich niedersetzte und seine Angeln in Ordnung brachte. Als der Fischer sich umsah, glaubte er hinter den fernen Reihen von Klippen, die der Ocean wunderbar aus seinen Tiefen steigen läßt, ein paar Mastenspitzen zu erblicken, und das Herz schlug ihm davon. Er sah lange hin, aber ein Nebelstreif zog über die Fjellen im Meer; er konnte nichts mehr erkennen.
Mit Ungeduld erwartete er den Lars, den der Capitain mit sich hinab ins Schiff genommen hatte, und zu seiner Freude stieg dieser auch bald darauf eilig am Seile nieder, ergriff die Ruder und regierte sie mit voller Kraft. Die kleine Fischerjolle schoß, wie ein Pfeil, über den Wasserspiegel hin. Lars sprach kein Wort und Niels wollte nicht fragen, denn von dem Deck der Corvette sahen mehrere Männer ihnen nach, indem sie sprechend auf- und abgingen. Erst als sie weit sich entfernt hatten und zwischen Labyrinthen von Felsen ihr Boot lenkten, das vom Schiffe nicht mehr gesehen werden konnte, begann Niels seine Fragen, weil Lars die Ruder einzog und den Kopf in seine Hände stützte.
»Was hat Dir denn der Dänische Capitain gethan,« sagte er, »daß Du so schweigsam geworden bist?«
»Ich denke nach, Niels,« erwiederte der Bauer, »was er so eigentlich von mir gewollt hat, und kann's nicht ergründen. Höre zu! Er führte mich in seine Kajüte, es sah prächtig darin aus. Auf einem schönen blanken Tische standen Flaschen und Gläser, Fleisch und Speisen, mächtig und vielerlei daneben, und auf dem weichen Dinge, das sie Sopha nennen, saß ein Mann im blauen Rock mit einem bösen, rothen Gesicht, wie ein Bullenbeißer. Sehen Sie hier, Munster, das ist der brave Bursche, der mich aus der verwünschten Grube gezogen hat, sagte der dänische Baron, und der andere Kerl, den ich in meinem Leben nicht gesehen habe, und auch nicht weiß, wo er hergekommen ist, nickte mit dem Kopfe und murmelte etwas vor sich hin, wie verdammt gut und dergleichen. Hierauf schenkte mir der Capitain ein Glas Cognac ein und hieß mich trinken, dann fing er an zu fragen, die Kreuz und Quer, von Diesem und von Dem, endlich aber von Henrik Dartley, wie lange ich ihn kenne, was ich von ihm denke, was er thue, ob er im Lande beliebt sei, ob ich ihn gestern gesehen habe, ob gestern Abends, ob heute schon, und als ich sagte: Ja Herr, heute Morgen! da machte er ein Gesicht, wie Einer, der es nimmermehr glauben kann. Sprichst Du die Wahrheit, Lars? rief er und zog die Augenbraunen zusammen, als wollte er mich verschlingen. – Es ist die Wahrheit, Herr, erwiederte ich, und warum sollte ich Henrik nicht gesehen haben? – Sonderbar, sehr sonderbar! sagte er, und ging auf und nieder. – Höre, Lars, fuhr er dann fort, und die Falschheit sah ihm aus den Augen, ich liebe diesen Henrik Dartley, so sehr Du ihn nur lieben kannst, aber ich hatte in dieser Nacht einen sonderbaren Traum. Ich träumte, Henrik sei von einer Klippe gefallen und ertrunken. – Henrik! rief ich lachend; o Herr, der fällt nicht und ertrinkt nicht, der steht auf seinen Füßen so sicher, wie Norwegen auf seinen Felsen. – Das ist mir lieb, Lars. Ja, das ist ein Normann durch und durch, ein stolzer Mann, der sein Vaterland über Alles liebt. Der falsche Däne verzerrte sein Gesicht und sah den Andern an. Sehen Sie wohl, Munster, sagte er, die Bekanntschaft wird Ihnen Vergnügen machen. Lars, mein Junge, trink Dein Glas aus, und hier, da hast Du etwas für die Versäumniß. Damit gab er mir drei harte Species-Thaler, die ich nehmen mußte. Aber nun sage mir, ob es wahr ist, daß Henrik Dartley morgen bei der Wahl in Grover erscheinen und sich nach Eidsvold wählen lassen will. – Ich sah wohl ein, daß es ihm anders ums Herz sei, aber ich sagte: Ja, Herr, das will er. – Und glaubst Du, daß er gewählt wird? – Gewiß, Herr, denn Alle sind für ihn. – Brav, Lars, brav, mein Junge, er muß gewählt werden, rief er laut lachend, und dem finstern Kerl in der Ecke nickte er zu und fuhr fort: Wie ich sagte, Munster, ganz wie ich sagte. Sie müssen durchaus seine Bekanntschaft machen, er wird Ihnen sehr gefallen, Herr, Sie werden sich lange nicht von ihm trennen können. – Ho, ho! schrie der Mann, ich denke, es wird dem Burschen auch bei mir verdammt gut gefallen, ich will ihm ein warmes Nest machen. – Ich sah aufmerksam in seine schielenden Augen, in denen Böses zu lesen war, und er mußte es bemerkt haben, was ich dachte. Seine Hand fiel auf den Tisch, daß die Gläser klirrten. Was starrst Du mich an, Dummkopf, was hast Du im Sinn? – Ich weiß nicht, was Du willst, Herr! erwiederte ich, wie darfst Du mich schimpfen? – Geh, Lars, es ist gut, fiel der Capitain ein, indem er nach der Thür zeigte; geh und fange Fische, mein Sohn, grüße Henrik Dartley, wenn Du ihn siehst; wir wollen auch die Angeln auswerfen, und ich hoffe, der Fang wird gut ausfallen.
Als ich auf der Treppe war, hörte ich den groben Kerl sagen: Wir sollten den Bengel nicht fort lassen! er hat, wie mir däucht, Pfeffer und Salz hinter den Ohren und ein paar Fäuste, die ich gut brauchen könnte. Ich würde ihn nicht los lassen, Capitain Rosen. Da sprang ich rasch zur Leiter und ins Boot, denn mir war's, als sei Gyra-Rüssa hinter mir, der wilde Jäger, mit der ganzen Aasgaardsrotte, und ich machte, daß wir davon kamen. – Aber nun, Kreuz Element! wer ist der schielende Kerl? wo kam er her, was will er, was bedeuten alle die Fragen und Reden? Es ist mir ganz wirr im Kopf, Niels; ich kann's nicht begreifen, und doch muß ein Unglück dahinter sitzen.«
Niels streckte die Hand nach den Fjellen im Meer aus.
»Ich will's Dir sagen,« sprach er, »was daran ist, und sobald wir dort um die Spitze fahren, wirst Du es selbst sehen. Es liegt ein großes Schiff in Skarren-Bucht, und der Mann am Bord war der Capitain.«
Lars erschrak sehr über diese Neuigkeit.
»Wenn's wahr ist,« rief er aus, »ja, wahrhaftig! Dann versteh' ich, was der Däne wollte – aber nein, Niels, ich versteh' es doch noch nicht, nur das weiß ich, wir müssen vorsichtig sein, wir alle, und Henrik Dartley am meisten, denn, weiß es Gott! sie haben nichts Gutes im Sinn.«
Die beiden Fischer setzten nun ihre Angeln von Neuem aus und näherten sich so fischend und beschäftigt der Meeresbucht, in der das Schiff liegen sollte. Die wunderbare Küstenbildung des Landes gestattete ihnen, dies ganz unbemerkt zu thun, denn viele Meilen in den Ocean hinaus dringt die seltsame, fürchterliche Zerklüftung und Vermischung von Feld und Wasser. Wo die steilen Gebirgsmassen Norwegens sich ins Meer stürzen, da beginnen jene wunderlichen Sunde, Straßen, geheimnisvolle schweigende Becken der See, Labyrinthe und Klippen abenteuerlicher Gestalt, Inseln und unermeßliches Gestein, das, bald hoch aufgethürmt, bald nur zur Zeit der Ebbe sichtbar, mit granitner Brust die stürmischen Wogen des großen Weltmeers auffängt und zurückwirft.
Das Boot der Fischer glitt hinter den Felsenwällen fort, durch lange, sanfte Wölbungen des grünen Meerwassers, das dann und wann an ungeheuren Blöcken, deren schwarzgelber Rücken aus den Fluthen hervortrat, in glänzenden Fontainen aufsprützte und sprudelnd darüber hinsank. Jenseit jener Felsenreihen lagen neue, vom Winde bewegte Wasserflächen, neue Klippen, neue Poststraßen, neue Sunde und so fort, weit hinaus, bis endlich diese gräßliche Zerstörung beendet ist, bis die Wasserwüste in einsamer Majestät sich selbst bekämpft und rastlos ewig sich verschlingt und wieder gebiert.
Aber wehe dem Schiffe, das ohne kundigen Führer diesen Felsengürteln naht, an denen die Brandung ohne Unterlaß donnert und mit weißen Zähnen in die nackten Köpfe beißt! Bald genug wird es auf eine der zahllosen Klippen unter Wasser stoßen, es wird von Strudeln fortgerissen, von Windstößen und Strömungen ergriffen werden, und oft in wenigen Minuten nichts von ihm übrig sein, als ein zerschmetterter Haufen von Balken und Brettern.
Die Fahrwasser zwischen diesen Irrgängen zu finden, ist nur den Eingebornen möglich, darin beruht Norwegens Sicherheit. Daher war es den Engländern auch fast nie möglich, bei aller ihrer Übermacht, eine Landung zu bewerkstelligen, oder norwegisch-dänische Schiffe zu verfolgen, wenn diese die geheimnißvolle Felsenstraße erreichten; und darum war auch jetzt Lars so sehr verwundert, als er wirklich in der Bucht, dicht unter einer hohen Felsenwand, ein großes Schiff vor Anker erblickte.
»Da liegt es,« rief er, und sie müssen es herein geholt haben, die Lootsen von der Corvette, sonst hätte es den Weg nimmermehr gefunden.«
Er betrachtete es aufmerksam. Die schwarzen hohen Buge waren oben grün bemalt; an den Seiten hatte es Stückpforten. Auf den Raaen lagen die Segel leicht aufgerollt, von Stag und Klüver hingen sie flatternd herab.
»Das ist kein Kriegsmann,« sagte Lars, »aber es ist ein großes, bewaffnetes Schiff, ein Indienfahrer von den dänischen Regierungsschiffen, oder so etwas. Und was will der Kerl hier, der so aussieht, als wollte er jeden Augenblick seine Anker aufheben und wieder hinausgehen.«
Die Schiffsglocke wurde so eben angezogen; ihr Klang verscheuchte eine Anzahl schwarzer, rothkämmiger Alke, die neugierig dumm auf einer Klippe saßen und jetzt mit wilder Hast untertauchten. Niels sah sich bei dem Rauschen um, und zu seinem nicht geringen Schrecken erblickte er kaum hundert Schritt hinter sich ein Boot, mit drei Ruderern bemannt, das leise und schnell herankam. Am Steuer saß ein Vierter, ein dicker Mann, den Hut in sein wetterbraunes Gesicht gedrückt.
»Achtung, Lars!« rief der Fischer und warf sich auf die Ruderbank zurück. Lars blickte hin und erkannte den Fremden aus der Capitains-Kajüte. Ohne ein Wort riß er die Angeln aus dem Wasser, und im nächsten Augenblick flog das kleine Fahrzeug quer über die Bucht, einem schmalen Spalt zu, der die Felsenreihe durchbrach.
»Boot, ohi!« schrie der Mann ihnen nach, »halt an! legt bei!«
Dieser Ruf diente jedoch nur dazu, daß die, denen er galt, schnellere und kräftigere Schläge machten und in den nächsten Minuten ein Wettfahren zwischen den beiden Fahrzeugen entstand. Auch auf dem Schiffe hatte man dies bemerkt. Sechs Männer glitten rasch an der Seite nieder in eine der Schaluppen, und weil Lars mit seinem Gefährten ziemlich dicht vorüber mußte, schien es gewiß, daß sie ihnen den Weg abschneiden würden.
»Nun zeige, Niels, daß Du ein Mann bist,« sagte Lars unerschrocken. »Wir müssen mitten zwischen ihnen durch, sonst haben sie uns, und der Himmel weiß, was sie mit uns machen wollen. Halte Dein Ruder ab und laß uns einen halben Schlag thun, so bekommen wir die Richtung und locken sie nach.« –
Niels stemmte die Ruder, und das Boot flog in einem halben Bogen seinen Verfolgern entgegen, so daß es fast in ihrer Mitte war.
»Wart!« rief der Fremde laut und heftig, indem er von seinem Sitze aufstand; – »ich will Euch Gehorsam lehren, sobald ich Euch auf Deck habe.«
Eine neue Wendung brachte die Spitze des Fischerkahns herum und dicht vor die Schaluppe.
»Riem raus!« schrie der Seemann zornig.
Statt der Antwort tauchten die Ruder tief ins Meer. Sie bogen sich in den nervigen Fäusten der beiden Norweger, welche alle Kraft aufbietend, sich lang ausstreckten, und über den weißen Schaum der andringenden Fluth eilte das leichte Boot nun der Straße im Felsen zu. Dicht bei ihnen folgten die andern. Die Fluth stürzte sich durch den Spalt in das hinterliegende Becken, und es bedurfte der ganzen Geschicklichkeit der beiden Ruderer, um ungefährdet durch diesen steilen, düstern Sund zu gleiten, dessen Seiten die brausenden Wasser peitschten. Ihre Verfolger blieben zurück. Die größere Schaluppe ward gegen die Felsen geworfen und aufgehalten, die kleinere ward dadurch behindert, und als beide endlich den Paß überwunden hatten, sahen sie die Fischer jenseit des Beckens in einem neuen Sund verschwinden. Rasch eilten sie ihnen nach, doch ohne sie erreichen zu können. –
In diesen wunderbaren, lautlosen Einsamkeiten scheint es oft, als habe noch nie ein Mensch sie betreten, nie ein Boot sich in ihre geheimnisvollen Windungen gedrängt. Oft verirren sich große Fische darin, die den Ausgang nicht wieder finden, bis sie auf Klippen endlich stranden und nach langem furchtbaren Todeskampfe sterben. Wenige Menschen kennen alle Verschlingungen der Felsen und Wasserpfade, doch Lars kannte sie genau, und er ermunterte seinen jungen Gefährten zur Ausdauer, zeigte auf die höher aufsteigenden, mit Birkengestrüpp umwucherten Fjellen und verlachte laut die Verfolger, denen er seine Mütze entgegenschwenkte.
Über drei jener felsenumkränzten Seebecken und durch gefährliche Engen setzten die Männer vom Schiffe ihnen nach. Noch sahen sie sie in das vierte einlenken, doch als sie dies selbst erreichten, war das Boot verschwunden. –
In Spalten und Geklüft drang das Meer. Die Fluth hob den langen Seetang von dem Gestein auf und riß die schwarzen Steckmuscheln stürmisch davon los; hohl brausend stürzte der Wind von den Kuppen nieder und wühlte die Wasser auf. Die Boote fuhren an beiden Seiten hin. Zuweilen glaubten sie, in einer der tiefen Schluchten die Fischer zu entdecken, und ihr rauhes Siegesgeschrei prallte von den Wänden zurück, aber eben so schnell ward es wieder stumm. Sie fanden sich getäuscht, und doch waren sie mehr als einmal ganz dicht bei den Versteckten.
Wo eine Felsenwand weit über das Meer hing, war eine Grotte, von Gestrüpp umwuchert, und solche finden sich nicht selten hier im Lande. Bei der Fluthzeit werden sie oft ganz von Wasser geschlossen, aber innen bleibt ein hohler, trockener Raum, zu dem die Wogen nicht aufsteigen, und diese Höhle, in welche die beiden Fischer ihr kleines Fahrzeug zwängten, war Vielen wohl bekannt durch ein gefährliches Abenteuer, das einst hier ein verlassener, muthiger Mann bestanden hatte.
Auf dem Seespiegel hatte ein Windstoß sein Boot umgestürzt, in welchem er sich allein befand. Er schwamm der Grotte im Felsen zu, dem einzigen Rettungshafen, denn überall sanken die Felsen schroff ins Meer, und schon war er nahe, als er hinter sich ein Rauschen hörte und mit Entsetzen die große blaue Rückenflosse eines Haies entdeckte. Mit Aufbieten aller Kräfte erreichte er das Gestein, und schreckte den mordlustigen Räuber durch Geschrei und Geplätscher; dann kroch er hinauf ins Trockene und pries Gott für seine Rettung. Es war kalt und dunkel in der Grotte, und mit Sehnsucht hoffte der Arme auf das Ablaufen der Flut. Wie groß war jedoch sein Schrecken, als er den Hai erblickte, der vor der Höhle auf- und abschwamm; ein fürchterlicher Wächter, der die Beute erwartet. Zwei Tage dauerte die Gefangenschaft. Das umgestürzte Boot war gefunden worden, und man wähnte den Mann ertrunken, der halb verschmachtet durch einen glücklichen Zufall endlich entdeckt wurde, eben als er im Begriff war, sich dem grimmigsten Thiere freiwillig zu überliefern, um seine Leiden zu enden.
Darum sagte auch Lars, als er sich auf dem Boden der Haifischhöhle niederwarf:
»Laß es gut sein, Niels, es geht uns doch viel besser, als dem armen Kerl, der hier beinahe verhungerte. Haifische schwärmen zwar auch draußen umher und möchten uns verschlingen, aber sie werden es nicht so lange aushalten, wie jener, und hier haben wir unser gutes Boot, das uns sicher zu unsern Freunden bringt.«
Die Flut hatte die Höhle inzwischen fast ganz geschlossen, als sie draußen sprechen hörten.
»Ich begreife es nicht, wie sie fortgekommen sind,« rief eine rauhe Stimme. »Sucht noch einmal genau umher, es waren ein paar flinke Jungen. Eine Schande ist es, daß ich sie verlieren soll.«
»Vater im Himmel!« flüsterte Lars, »die Schurken wollen uns pressen. Sie hätten uns festgelegt, Niels, bis kein Schein von allen Bräen Norwegens mehr am Himmel zu sehen war, und wer weiß …«
Plötzlich sprang er auf.
»Element! Henrik Dartley,« rief er, »sie haben es auf ihn auch abgesehen; und wir können nicht hin, Niels! Es wird Abend und wird Nacht, ehe wir hier aus dem verdammten Loch kommen.«
Oersteen hatte mit dem Probst eine lange Unterredung gehabt. Der Voigt war am frühen Morgen gekommen mit mehren alten verständigen Männern, welche die Aufsicht in den Kirchspielen führen und Lensmänner heißen, und alle hatten gemeinsamen Rath gehalten. Der Voigt brachte die Befehle der Regierung und des Prinzen, sogleich eine Wahl zu veranstalten und, so schnell es nur irgend möglich, den Abgeordneten nach Eidsvold zu schicken. So wurden denn die Bauern berufen, die Schrift in hohle Stöcke gethan und, wie es Sitte ist, von einem Gaard zum andern getragen.
Bei dieser amtlichen Handlung hatte der Landrichter manches gehört, was ihm nicht gefiel. Die Meinungen der Meisten waren seiner eigenen Meinung ganz entgegen, und er sah deutlich genug, wie wenig Hoffnung er habe, als Abgeordneter gewählt zu werden, wenn die mächtige Stimme des Probstes nicht den Ausschlag gäbe. Ein paar von den Versammelten hatten im Gespräch auf Henrik Dartley, als auf einen würdigen jungen Mann gedeutet, der geschickt zu reden wisse, auch des Volkes Freund sei, und der Voigt hatte ihnen beigestimmt, der Probst sich jedoch unwillig abgewendet.
Oersteen dachte mit Unruhe an die Geheimnisse der letzten Nacht. Er erwartete mit jedem Augenblick, daß die Nachricht einlaufen würde, Dartley werde vermißt, oder man habe ihn aufgefunden, und er war darauf vorbereitet, mit dreister Stirn Rede und Antwort zu geben. Doch Niemand kam, und der Landrichter fand dies wieder sehr natürlich, denn Henrik schweifte oft mehre Tage umher auf weiten Jagdzügen ins Gebirge. Seine Abwesenheit konnte nicht auffallen.
Aber Einer oder der andere der Bauern mußte nicht ganz schweigsam über die Versammlung am vorigen Abend gewesen sein, denn die Lensmänner sprachen davon und rühmten es, daß Dartley von Rothbergsland seinen Mitbürgern viele gute Nachrichten mitgetheilt und sie zum Kampfe für Norwegen aufgefordert habe. Der Haß in Oersteen erhielt dadurch neue Nahrung. Er lachte spöttisch vor sich hin und sagte leise:
»Ruft nur euren Freiheitshelden, sucht ihn, wenn er morgen nicht erscheint, bis in die Eistinden der Jötun-Fjellen, oder meinetwegen unter Tang und Muscheln bei den riesenhaften Gettojungfern im Meere, es wird lange dauern, ehe er antwortet. Was kümmert es mich, daß er strauchelte und fiel! Was hatte der Elende hier zu schaffen, trotz seines Versprechens, trotz seiner Schwüre? Die Nemesis ereilte ihn, und wir sind ihn los, gänzlich los. Das ist gut.«
Oersteen's Sorge war hauptsächlich darauf gerichtet, daß nicht etwa der Probst gewählt werde, sondern daß dieser für sich dieser Ehre entsage und sie dem Schwiegersohn zuwende. Die Unterredung zwischen den beiden Männern dauerte lange. Oersteen wußte mit großer Gewandtheit sein Ziel zu verbergen und es doch näher zu rücken; endlich aber, mit Widerwillen nachgebend, das anzunehmen, was er sehnlich zu erreichen trachtete.
Er sprach zuvörderst von den schweren Mühseligkeiten einer Reise mitten ins eisbedeckte Land zu dieser Jahreszeit; von Unglücksfällen und Gefahren, denen Jeder so leicht erliegen könne, dessen Körper nicht recht rüstig und jugendlich stark sei. Dann tadelte er die plötzliche Berufung, und entschuldigte sie gleich darauf mit der dringenden Nothwendigkeit. Er sprach mit Schärfe und Klarheit über die schlimme Lage des Vaterlandes, und wie nur die treueste, muthvollste Hingebung, verbunden mit der weisesten Einsicht jenes zu erhalten und zu erheben vermöge, bis der Probst, ganz bewegt von seinen Schilderungen, ihm die Hand reichte und lebhaft ausrief:
»Sie, lieber Oersteen, Sie allein sind würdig, in Eidsvold zu erscheinen. Kein Anderer darf es sein. Wie verbrecherisch ist es, Ihre edle Gesinnung zu verkennen, Ihre Liebe zum Vaterlande verdächtigen zu wollen! Henrik Dartley ist ein Nichtswürdiger. Er schadet Ihnen in der Meinung, verbreitet falsche Gerüchte über Sie und täuscht die Bauern, die ihm anhangen. Aber laßt ihn morgen kommen; mag er nur kommen; so frech er ist, ich will ihn entlarven und seine betrogenen Anhänger von ihm scheuchen. Ja, das will ich.«
»Lassen Sie den thörichten jungen Menschen,« erwiederte Oersteen lächelnd. Die Strafe für solche Falschheit und Bosheit bleibt selten aus; aber nicht der Mensch, sondern Gott verhängt sie. Ich fürchte ihn nicht, und hoffe eben so wenig, daß er etwa gewählt werde, wie ich mich dazu verstehen würde; denn Niemand ist würdiger hier, Abgeordneter des Volks in der National-Versammlung zu sein, als Probst Fahlberg, und Niemand kann und darf erwählt werden, als dieser.«
»Nein, nein!« rief der Probst, »ich würde es auf keinen Fall annehmen. Ich bin alt, kränklich, wenig beredt. Ich passe in nichts zu einer Versammlung, in der die ausgezeichnetsten Köpfe sich zusammen finden müssen. Allen meinen Einfluß werde ich aufbieten, um die Wahl auf Sie zu lenken, denn damit glaube ich dem Vaterlande den größten Dienst zu erweisen und Sie dürfen Sich nicht weigern, Oersteen, wo Pflicht und Gewissen Gehorsam gebieten.«
Der Landrichter stützte den Kopf nachdenkend und betrübt in feine Hände.
»Einer solchen Mahnung kann ich allerdings nicht widerstehen,« erwiederte er, »auch will ich der guten Sache gern dienen, so viel ich es vermag; allein doppelt würde ich zu beklagen sein, wenn ich mit der Unruhe meines eigenen Schicksals im Herzen in jener Versammlung ruhig die wichtigsten Dinge erwägen sollte, wahrscheinlich Monate lang jenseit der Berge wäre; doch Alles, was das Leben lieb und werth macht, hier zurückließe.«
»Ich dachte es mir wohl,« sprach der Probst lächelnd, »daß Sehnsucht und Eifersucht im Bunde zuletzt ein Unglück anrichten würden. Doch nein, lieber Sohn, Sie sollen Ihren Frieden mitnehmen. Ehe Sie von uns gehen, soll Mary Ihre Frau sein, denn morgen, gleich nach der Wahl, will ich Sie kirchlich verbinden, wie ich dies thun kann.«
»Mein lieber, theurer Vater, wollen Sie das?« rief Oersteen entzückt, »o! dann ist alles gut, dann mag Alles geschehen; ich unterwerfe mich jedem, was Sie für recht halten. Wie glücklich, wie unaussprechlich glücklich machen Sie mich!«
Der Probst breitete gerührt die Arme aus und herzte den Schwiegersohn auf's zärtlichste.
»Ich will es,« sagte er, »weil ich überzeugt bin, daß es das Rechte ist, was ich thue, wie weh es mir auch ums Herz sein mag, daß er verkannt wird, selbst von meinem alten Freunde Magnus und von meinem Kinde. Mary's thörichte, unbesonnene Neigung zu Dartley wird jedoch verschwinden, wenn sie erkennen lernt, daß ein würdiger, edler Mann sich bemüht, sie glücklich zu machen, und das werden Sie thun, Oersteen. Alle Verleumdung soll zu Schanden werden vor der Wahrheit, so steht es geschrieben, und diese wird sich auch hier bewähren.«
»So hoffe ich,« erwiederte der Landrichter, »und darum allein achte ich es nicht, mich gekränkt und zurückgewiesen zu sehen.«
»Sie müssen Mary's Vertrauen gewinnen,« fuhr Fahlberg fort, »das ist der Boden, auf dem die Liebe neu aufwächst. Ihr armes junges Herz ist voll Blut und Wunden. Es thut mir weh; es liegt etwas flehend Anklagendes in ihrem Blick, eine stumme Sprache des Schmerzes, die mich ergreift und ängstigt. Gehen Sie zu ihr, sagen Sie ihr Alles, was wir hier gesprochen haben, zeigen Sie ihr aufrichtig die Zukunft, malen Sie ihr das Glück eines Lebens, das sie noch nicht kennt, und bewegen Sie sie zur Hoffnung, zum Glauben daran. Wenn ein einziger Funke nur geweckt ist, so ist eines Weibes Brust ein tiefer Zauberschacht, aus dem versöhnende, tröstende Gestalten emporsteigen.«
Sie reichten sich die Hände, und Oersteen ging.
»Was geschehen soll, muß schnell geschehen,« sagte er vor sich hin, »denn es käme auf ein glückliches Ungefähr an, und der gefühlvolle Vater weinte mit der Tochter um die Wette und bäte mich wohl gar inständigst, das liebe Kind nicht zu quälen.«
Leise ging er durch's Haus und trat in den Hof, wo er Mary's Stimme hörte. Sie stand und fütterte ein paar Hühner und Tauben, die zutraulich das Dargereichte aus ihren Händen nahmen. Als sie den Schritt des Nahenden hörte, blickte sie um und erröthete. Auch die Thiere flohen scheu davon, als fürchteten sie sich mit ihrer Herrin.
»Welch schönes Bild der Häuslichkeit geben Sie mir da, liebe Mary!« begann Oersteen lächelnd, indem er ihre Hand ergriff. »Sie versammeln alles Lebendige, um es zu speisen und zu tränken, allein die Zahl der Gäste ist gering geworden, wie ich sehe.«
»Es sind von Vielen die Letzten, die ich mühsam beschützt habe,« erwiederte sie. »In dieser bösen Zeit und Noth geht Alles verloren.«
»Aber die gute Zeit kommt zurück und bringt Neues und Besseres wieder. Auf meinem Gute Mölmholm habe ich schon jetzt wieder eine ganze Kolonie Geflügel aller Art, und wie herrlich wird es sein, Mary, wenn ich Sie dort stehen sehe, geschäftig ordnend, beglückend, liebevoll schaffend! Die Tauben fliegen auf Ihre Schultern, die Hühner stürzen sich über einander hin, Alles wartet, Alles hofft auf die segenspendende Herrin, und ich warte dann auch am Fenster auf einen gütigen Blick, auf ein Lächeln, auf ein freundliches Wort. Ist es nicht verzeihlich, theure Mary, wenn ich als Prophet in eine so entzückende Zukunft schaue?«
Das junge Mädchen hielt die Augen zur Erde geheftet und schien mit ihren Entschlüssen zu ringen, während Oersteen sie den Weg zum öden Garten führte. Plötzlich stand sie unter einem alten Baume still, einem Patriarchen, gestützt von einer Anzahl Pfeiler, die seine ungeheuren Äste trugen. Sie machte ihre Hand frei und warf einen schnellen, heißen Blick auf den unwillkommenen Mann und auf das winterlich dürre Gezweig des Baumes, das tausendfach gegittert über ihr schwebte.
»Herr Oersteen,« sagte sie dann, »Sie sehen, ich weine nicht mehr, weil ich weiß, daß es mir nichts helfen würde. Wäre ich stark genug, meines Vaters Zorn zu tragen, ich flöhe von hier, gleichviel, wohin, aber ich weiß es zu gut, daß ich das nicht vermag. So bin ich denn wie ein Opferlamm, geduldig, aber vom Winter verödet, gleich diesem Baume hier; verdorrt bis ins Herz.«
»Ist es nicht ein Kirschbaum, liebe Mary?« sagte Oersteen sanft.
»Ja, und ein schöner, herrlicher Baum!«
»Er streckte seine grüne Krone vor Kurzem noch prächtig in den Himmel; er ist seit Menschenalter bewundert und berühmt, weit und breit, und ich weiß, wie er ganz in Blüthen prangte, wie er dann voll köstlicher Früchte hing. Meine geliebte Mary, Sie haben Recht, sich mit diesem edlen Baume zu vergleichen. O! ich erkenne die Wahrheit darin, wie Sie traurig und entblättert stehen, gleich ihm, denn die Hand des Winters liegt auf Ihnen, die Zeit des Frühlings ist dahin. Aber diese wird wiederkehren, Mary; der schöne Baum wird von Neuem aufblühen – schöner und herrlicher noch, und Sie, wie er, unter meiner zärtlichen Sorgfalt, meiner Pflege und unendlichen Liebe.«
»Sie täuschen sich oder wollen mich täuschen,« erwiederte das junge Mädchen. »Ich liebe Henrik Dartley, es ist Ihnen kein Geheimniß; nie kann mein Herz einem andern gehören.«
»Sie sind sehr hart, mir das zu sagen, Mary, aber dennoch wage ich, auf die Zukunft zu hoffen.«
»Auch ich, auch ich!« rief sie heftig bewegt und faltete die Hände.
»Henrik Dartley muß von Ihnen vergessen sein, Mary, wenn Sie glücklich werden wollen.«
»O, nie, niemals!«
»Thörichtes Kind! wer wird dem heißen Blute, dem Augenblick eine solche Gewalt einräumen? Ist Liebe eine schrankenlose Leidenschaft geworden, so wird sie zum Unheil, das sich an ihre Fersen heftet. Das ist keine wahre Liebe, die besinnungslos in jeden Abgrund springt. Dartley ist ein Bettler, ein junger Fant, ein wilder, abenteuerlicher Mensch, den jeden Augenblick die Hand des Schicksals fassen, ins Elend stoßen, erwürgen kann, und Sie, Mary, Sie wollten Ihr edles Leben an einen solchen wüsten Gesellen hängen?«
Während er sprach, erblaßte das junge Mädchen, bis eine schöne feurige Glut ihr Gesicht ganz überdeckte.
»Reden Sie nicht weiter,« rief sie, »lügen Sie nicht, ich lese die Lüge in Ihren Augen. Aber wäre Dartley auch Alles, was Sie sagen, ja, wäre ein Verbrecher, Jesus, mein Heiland! wäre er ein Mörder, ich wollte ihn doch lieben, denn ich könnte nicht anders.«
Oersteen kreuzte die Arme über seine Brust und preßte sie zusammen.
»Wie kummervoll ist es doch für mich,« rief er aus, »der Gegenstand Ihrer Schmerzen zu sein! Was kann ich thun und was soll ich thun, um Frieden und Freude über Sie zu bringen? Könnte ich denken, Mary, daß wahres Glück Ihnen erblühte, wenn ich alle meine Hoffnungen zertrümmerte, ich würde es thun, ich würde leiden und entsagen. Aber nein, ich kann es nicht. Barmherzigkeit, Mary! auch ich habe ja ein Herz voll Liebe für Sie, und vor uns öffnet sich eine schöne Zukunft. Ich spreche nicht von meinem Vermögen, von meinen Aussichten, von dem Range, den ich Ihnen in der Welt geben kann. Ich könnte Ihre Sinne verlocken; ich könnte Ihnen sagen, daß ich Sie in die Hauptstadt führen, daß Sie dort leben, dort, unter den Edelsten und Höchsten, wohnen sollen; daß ich Alles, was ich besitze und zu erreichen hoffe, zu Ihren Füßen lege. Aber nein, Mary, ich spreche nur von meiner Liebe, und diese umfaßt ja Alles, was ich bin und habe. Verstoß' mich nicht, theures geliebtes Mädchen,« rief er leidenschaftlich, »sei der Engel, der mich leitet! Mein Gott! ich bedarf eines solchen Wesens, daß mich gut macht.«
Er hatte Mary's beide Hände ergriffen und an sein Herz gedrückt. Jetzt legte er den Arm um ihren Leib und preßte sie an seine Brust.
»Willst Du,« rief er und küßte sie, »willst Du mir angehören? Kein Mensch auf Erden wird Dich so lieben wie ich. Wie eine Heilige will ich Dich verehren!«
Die großen Tropfen, die aus seinen Augen fielen, rollten über das Gesicht des zitternden, gerührten Mädchens; aber diese Rührung verschwand, als sie ihn anblickte. Ein verzehrendes Feuer glühte in seinen großen, grauen Augen, und sie schauderte davor zurück. Er hielt sie fest, wie mit eisernen Fingern, wie ein Raubthier die Beute hält. Unbewußt drückte er sie krampfhaft zusammen, und unter seinen Küssen fühlte sie Angst und Abscheu, wie Wahnsinn, durch alle Adern rinnen.
»Henrik!« rief sie, als riefe sie zu einem Schutzheiligen, der ihr Kraft und Muth geben könne, und heftig rang sie sich los; aber Oersteen hielt ihren Arm fest, und mit einem furchtbaren Blicke voll Hohn und Wuth sah er sie an. –
»Ruf ihn,« sagte er, »er wird nicht kommen. Es thut mir leid, daß er dies nicht sehen kann, daß er nicht am Wege stehen wird, wenn wir zur Kirche gehen. Hörst Du, Mary; dort liegt die Kirche, es ist nicht weit und die Zeit kurz, wo das Glück uns erwartet.«
»Das ist die wahre Sprache,« erwiederte sie gefaßt. »Alles Andere war Verstellung.«
»Es giebt Menschen,« versetzte Oersteen kalt, »deren Unmündigkeit uns nöthigt, sie zu ihrem Wohle selbst gegen ihren Willen zu führen. Ich habe Dir mein ganzes Herz aufgeschlossen, theure Mary, und weiß, Du wirst es einst annehmen. Morgen ist der Tag unserer Verbindung. Dein Vater wünscht es, und ich verlange darnach.«
Ein betäubendes Gefühl der Verzweiflung zuckte durch die unglückliche Braut; im nächsten Augenblick aber hatte es sich in einen trotzigen, eisigen Hohn verwandelt. Durch den wolkenvollen Himmel drang die Sonne, und wie sie plötzlich über Felsen und Fjord glühte, zündete sie auch tief in Mary's Brust einen wunderbaren Hoffnungsstern an.
»Zwischen heut' und morgen liegt eine Nacht,« sagte sie zuversichtlich; »Vieles kann geschehen.« –
»Doch nichts, was in letzter Nacht geschah,« erwiederte Oersteen. »Sei überzeugt, Niemand wird Deinen Schlaf beunruhigen, es müßte denn ein Gespenst sein, das in Deine Träume schlüpft.«
»Ich fürchte die Gespenster nicht,« entgegnete Mary, ängstlich bewegt von seinen Worten; »ich fürchte die Lebendigen weit mehr. Doch auch gegen diese hilft uns Gott oft wunderbar.« –
»So hassest Du mich wohl, meine süße Mary?« fragte Oersteen mit höhnender Freundlichkeit.
»Ja, ich hasse Dich von Herzen!« rief sie erglühend.
»Und Du betest gegen mich, wie gegen den bösen Feind?«
»Aus meiner innersten Seele, daß Gott mich davor behüte!«
Der Abscheu und Schrecken in ihrem Gesicht erzwangen Oersteen's lautes Gelächter. Seine blassen Lippen zuckten, als er ihre Hand von Neuem nahm und, so sanft er konnte, sagte:
»Du liebes, thörichtes Mädchen, wie kannst Du so grausam sein! Doch wahrhaftig, dieser Abscheu reizt nur noch heftiger mein Verlangen, und ich finde Dich schöner als je. Bete, liebe Mary, bete recht fleißig; ich will es gewiß nicht hindern; aber wisse: Mein Wille gegen den Deinen, mein Glück gegen Dein Glück! Versuche es, verachte mich, hasse mich; laß der Taube Falkenkrallen wachsen, es ist auch solcher Trotz zu bändigen, und ich denke, es zu verstehen, Dich zum Frieden zu bewegen. Morgen, meine theure Mary, morgen, wenn Du meine Frau bist, wollen wir weiter darüber sprechen.«
Unter den Felsen am Fjord von Grover hatte Henrik schon seit einer Stunde auf Mary gewartet. Ein kleines Thal war hier von der Natur gebildet, rings umschlossen von steilen Wänden und nur gegen Mittag geöffnet. Der starke Quell, welcher von der engen Schlucht herunter kam, brauste aus einem tiefen Kessel herauf, um welchen gewaltige Steinmassen, regellos und zerbrochen, angehäuft lagen, und bahnte sich dann seinen Weg zum salzigen Becken in einem tiefen Gerinn. Hier standen die Bäume dicht, sich gegenseitig stützend, wild über das Wasser niedergebeugt; ängstlich mit tausendfingerigen Wurzeln das Getrümmer umklammernd, oder losgerissen und zerschmettert von den Winterstürmen, mit der Last ihrer todten Leiber auf glücklichere Gefährten geworfen, die ängstlich darunter seufzten.
Henrik hatte seine Büchse auf einen ungeheuren Granitblock gelegt, der, mit Moos überwachsen, an seinen regelmäßigen Kanten bewies, daß Menschenband ihn einst bemeißelte und auf die rechte Stelle wälzte. Drei aufgerichtete Steine standen neben ihm tief in den Boden eingesenkt, und mehre verwitterte, unkennbare Runenzeichen sollten, der Sage nach, den Namen eines jener siegreichen, grausamen Seekönige enthalten, der, endlich selbst vom Tode erfaßt, hier in sein Felsengrab gelegt wurde.
Vor diesen alten Bautesteinen schritt Dartley unruhig auf und ab. Bald hörte er auf die Stimme des Windes, der über das kleine Thal hinfegte, ohne in dessen Tiefen zu dringen, bald lehnte er sich an einen der alten Bäume und sah in das schäumige Wasser nieder, das ungestüm zu ihm aufspritzte. Er verlor die Geduld mit jeder Minute mehr, bis er endlich zu dem Felsengrabe zurückkehrte, an dessen Fuß in dem warmen Licht der Sonne, die vom Süden hereinschien, er sich niederwarf und unruhig über die Wellen des Fjord nach den Spitzen der Felsen aufblickte.
Endlich hörte er über sich auf dem Fußsteige, der jäh hinab in diese Schlucht lief, den Schritt eines Nahenden. Von der überhängenden Felsenwand fielen kleine Steine herunter, das trockene Holz eines Busches brach knisternd unter der Hand, die sich gleitend daran festhielt, und Henrik sprang freudig auf. Mit allen Schmerzen, Hoffnungen und Erwartungen, die seine Seele erfüllten, trat er hinter dem Hünengrabe hervor.
»Mary,« rief er, »geliebte, theure Mary, gelobt sei Gott, daß ich Dich sehe!«
Er breitete die Arme aus und stand – vor Oersteen!
Der Landrichter hielt sich, bleich vor Schrecken, an dem Felsen fest vor dieser unerwarteten Erscheinung seines Todfeindes. Er zitterte und schien den Gebrauch seiner Glieder, wie seiner Stimme, verloren zu haben. Seine Augen waren auf Henrik gerichtet; starr in Angst, Entsetzen, Grimm und Furcht. Er wußte wohl, daß er keinen Geist vor sich hatte, daß es Henrik Dartley selbst war, dessen grimmige Blicke, wie Blitze, ihn überzuckten, daß diese drohende, hohe Gestalt, diese nervigen, gespannten Arme eine schreckliche Bedeutung für ihn hatten. Und schmal und unausweichlich war der Pfad; zwei Schritte davon die tiefe Kluft, in welcher der Bach rauschte, hinter ihm der steile Fels. Es war kein Entrinnen, kein Rückwärts oder Vorwärts. Hier stand er dem kühnen, starken Feinde gegenüber, wie der Geßler dem Tell im Schechenthale, aber Henrik streckte die Hand nicht mitleidig aus, wie jener, sie lag an dem Messer im Gürtel und schien zu einer raschen That bereit zu sein.
»Henrik Dartley,« sagte Oersteen mit Anstrengung, »ich hoffe nicht, daß Sie Böses gegen mich im Sinne haben, gegen einen unbewaffneten, arglosen Mann.« –
»Arglos nennst Du Dich, Du falscher Mann?« versetzte Dartley. »Du hast eine eiserne Stirn für diese Lüge, aber sie ist doch nicht fest genug; ich will sie zerschmettern.«
»Willst Du einen Mord begehen?« fragte Oersteen zurückschaudernd. –
»Ich bin kein Meuchelmörder, wie Du!« rief Dartley heftig, indem er das Messer losließ, »aber wenn Du Muth hast, so komm; wir wollen unsern Haß, wie Männer, ausfechten. Hier ist Raum genug dazu, Dir alle Schlechtigkeit zu vergelten.« –
»Wollen Sie mich zu einer gesetzlosen, verruchten Handlung zwingen?« erwiederte Oersteen abwehrend. »Ich will nicht, ich darf nicht darein willigen.«
»Eine gesetzlose Handlung, Du würdiger Diener des Gesetzes!« schrie Dartley zurück. »Feigherziger Schurke! war es etwa gesetzlich, als Du Dein Gewehr auf einen Menschen abdrücktest, der vor Dir floh?«
»Und auf wen hat er es abgedrückt, Henrik?« rief eine lustige Stimme von der Höhe des Felsens. »Auf ein armes Setermädchen. Pfui, schäme Dich, Sorenskriver, wie kannst Du solche Dinge thun?
Die beiden Männer sahen überrascht empor. Da lag Karina ausgestreckt auf ihren Armen auf dem Gipfel, und zu beiden Seiten ihres frischen, lachenden Gesichts, das über der Liefe hervorsah, fielen ihre Zöpfe an dem Gestein herunter. Im nächsten Augenblick aber war sie aufgesprungen und verschwunden. Man hörte sie auf dem Pfade, und plötzlich war sie unten. Doch sie war nicht allein. Sie zog an der Hand ein anderes Weib nach sich und rief:
»Hier ist Jungfrau Mary, Henrik, – da ist Henrik, Mary, und was willst Du nun thun, Sorenskriver? Da siehst Du es, wie er sie an sein Herz hält und wie sie sich drücken und küssen. Du bist kein guter Mann, das sagen alle Leute, und ich habe es selbst erfahren, als Du nach mir geschossen hast, wie nach einem Wolf. Ich stieß einen Stein vom Felsen hinab in den Fjord und habe Dich ausgelacht, als Du da unten standest, ins Wasser hinabsahst und die Flucht ergriffst. So werden auch Henrik und Mary Dich auslachen, und Du wirst die Flucht ergreifen müssen, wenn Du fortfährst, so böse zu sein. Höre, Sorenskriver, das kannst Du nicht, und darfst Du nicht. Du mußt es doch einsehen, die Jungfrau will Dich nicht haben, und bist Du solch ein schlechter Mann, daß Du sie zwingen willst, dann muß Schmach und Unglück über Dich kommen.«
Karina hatte sich dicht vor Oersteen hingestellt, wie zum Schutz der beiden Liebenden, und ihre kräftige Hand auf des Landrichters Brust gelegt, der lange überlegte, welche Rolle er zu spielen habe. Endlich warf er die Hand der kecken Dirne unsanft von seinem Kleide und ohne sich weiter um sie zu kümmern, that er einige Schritte vorwärts, auf Henrik und Mary zu. –
»Ich sehe wohl ein,« sagte er mit Ruhe, »daß etwas geschehen muß, um diese Angelegenheit zu lösen, und hätte ich ahnen können, daß Mary's Leidenschaft größer sei, als alle Sitte und Scham, so würde ich meine Neigung bekämpft haben. Ich habe jedoch nicht allein darüber zu entscheiden, Probst Fahlberg hat mehr dabei zu thun als ich. Ich kann nicht zurücktreten, ohne seinen Willen. Er soll von mir erfahren, was hier geschehen ist; mag er es dann lösen, wie ihm gut dünkt.«
Er blickte Mary an, die sich in Henrik's Arme schmiegte und ihr Gesicht ängstlich an dessen Brust verbarg, und fuhr dann fort:
»Was ich sagte, Herr Dartley, das werde ich halten. Ich sehe meine Verlobte in Ihren Armen, und, bei Gott! ich will diese Schmach rächen, wie ich es kann; aber ich schwöre Ihnen, ich will nach solchen Überzeugungen meine Liebe nicht weiter an ein Mädchen verschwenden, die sie so vergilt.«
»Sie haben Sich nicht zu beklagen, Oersteen,« erwiederte Henrik, »denn Sie wußten längst, was Sie jetzt wissen. Gehen Sie denn, aber lügen sie diesmal nicht. Sagen Sie dem Probst, daß Mary hieher kam, daß Sie uns beide hier fand und an mein Herz flüchtete, das ihr gehören wird, so lange es schlägt.«
»O! warum verfolgen Sie uns?« rief Mary weinend, »warum drängen Sie sich so grausam in mein Leben ein? Was that ich, und was hat Henrik je Ihnen zu Leide gethan?« –
»Und warum willst Du denn grade das schönste Mädchen im Lande heirathen?« fragte Karina zornig. »Es giebt ja viele andere, die sich besser für Dich passen.«
»Ich habe Sie nie verfolgt, Mary,« sagte Oersteen; »doch jeder Mensch sucht sein Glück, wo er es zu finden glaubt. Wenn er sich täuscht, so trifft ihn als Strafe der Schmerz, der mich jetzt peinigt. Ich will mit ihm unterwerfen aber noch habe ich Rechte, und kraft dieser und des Ansehens Ihres Vaters bitte ich Sie, mir nach Hause zu folgen. – Mit Ihnen, Dartley, werde ich weiter reden, Sie sollen von mir hören.«
Er reichte Mary die Hand, aber Karina stieß sie zurück.
»Gieb sie ihm nicht,« rief sie, »ich sehe es ihm an, wie falsch und voll Bosheit sein Herz ist. Bleib' bei Henrik, Jungfrau Mary! O, wäre ich an Deiner Stelle, ich liefe mit ihm hoch in die Fjellen und Niemand sollte uns da auffinden.«
»Sei endlich still, Du dummes Geschöpf!« erwiederte Oersteen ärgerlich. »Ich schwöre Ihnen, Mary, daß ich wahr und aufrichtig mit Ihrem Vater sprechen werde.«
»Ich möchte nicht mit ihm gehen, Henrik,« sagte das junge Mädchen beängstigt, »und doch muß ich es wohl, es bleibt nichts übrig. Ach Gott! es muß geschehen.« –
»Komm, Liebe!« sagte Dartley, »ich selbst werde Dich bis an die Grenze begleiten, welche man mir gesetzt hat. Mag dieser Mann thun, was er will; ich fürchte ihn nicht, und Du mußt ihn auch nicht fürchten. Du hast ihm gesagt, daß Du ihn verachtest, sage es ihm laut ins Gesicht von allen Leuten, wenn er wieder von Liebe zu Dir spricht. Hören Sie, Oersteen, Mary verachtet Sie, und ich nicht weniger. Zum Teufel, Herr! Sie sind ein Normann, so gut wie ich; regt sich denn keine Ehre bei Ihnen und kein Gefühl für Schande? Wollen Sie ein Weib, das Sie verachtet, das an eines Mannes Hals hängt, der geschworen hat, es ewig zu lieben? Welche hündische Seele muß in einem menschlichen Körper stecken, der um ein solches Weib freien kann!«
»Geduld, o Geduld!« rief Oersteen heimlich knirschend sich selbst zu. »Verachten Sie mich, wie es Ihnen beliebt,« erwiederte er dann laut, »ich habe keine Ursache es anders zu wünschen. Aber ist es nicht feige und schlecht, Beleidigungen gegen mich zu häufen? Beendigen wir diese Scene, ich denke, wir haben uns nichts mehr zu sagen.«
»Sie haben recht,« versetzte Dartley. »Sie spielen die traurigste Rolle hier; um alle Schätze der Welt möchte ich nicht an Ihrer Stelle sein. Gehen Sie voran, Herr, wir werden folgen.«
»Ich werde diese Rolle nicht lange spielen, verlassen Sie sich darauf,« rief der Landrichter drohend, indem er einen Augenblick an den Felsenstufen des Weges stehen blieb.
»Um so besser für Sie, und wenn es eine Drohung sein soll, in Gottes Namen, ich kann es ertragen.«
Er hob Mary über die größten Steine, und als sie oben waren, ging Oersteen rasch den Pfad am Fjord hinab dem Pfarrhause zu. Er zitterte vor Grimm über die Beleidigungen, die er ertragen, und alle seine heimliche Leidenschaft für das schöne Mädchen löschte bis auf den letzten Funken in dem Hasse aus, den er jetzt für sie empfand. Sie sollte ihm angehören, das schwur er mit Zähneknirschen und einem fürchterlichen Eide, aber er schwelgte in der Süße des Gedankens, ihre Qualen zu sehen, ihren Gram und die ganze Hoffnungslosigkeit ihrer Zukunft, die er in brennenden Farben ausmalte.
War der Segen am Altare nur erst gesprochen, so war kein Entkommen mehr, und vergebens konnte der Vater dann selbst Wehe über sich und sein Kind rufen. An Trennung war nicht zu denken; denn die Gesetze in Norwegen geben dem Manne unbedingte Herrschaft über die Frau; eine Scheidung ist schwer und, wenn man will, unmöglich. Ging der nächste Tag nur erst glücklich vorüber, so schien Alles gewonnen. Mary war sein, und Dartley – er wollte ihn verderben. Wie es auch kommen mochte, was auch selbst für ihn die Folgen sein konnten, gleichviel, er mußte vernichtet werden.
So trat er in das Zimmer des Probstes, der, über sein verstörtes Wesen betroffen, nicht wußte, was er Schreckliches ahnen sollte, als Oersteen sich in einen Stuhl warf, die Hände über sein Gesicht deckte, und als Fahlberg diese ergriff und fortzog, er Thränen darüber hinströmen sah.
»Was ist denn geschehen?« rief er angsterfüllt. »Ist Mary verunglückt, todt?! Reden Sie!«
»Für mich todt, für mich verloren!« erwiederte der Landrichter. Er erzählte Alles, aber in seiner Weise: wie Dartley ihn fast ermordet, wie er ihn beschimpft und verspottet, wie er Mary in verblendeter Leidenschaft gesehen habe am Halse des Schurken, der sich ihrer Schande gerühmt.
Der alte zornige Mann war in der höchsten Wuth.
»Und was wollten Sie thun, Oersteen?« fragte er mit erstickter Stimme.
»Was kann ich nach diesem Austritte thun, mein würdiger Freund? Ich muß meinem Glück entsagen, und doch macht mich der Gedanke so elend, daß ich mir den Tod wünsche.«
»Der Nichtswürdige!« rief der Probst außer sich vor Zorn, »er ist die ganze Ursache dieser Schmach. Mary hat nie in ihrem Leben gewagt, meinen Befehlen ungehorsam zu sein, sie ist die Sanftmuth selbst; aber dieser Bube hat ihr Herz vergiftet. Hören Sie, Oersteen, Sie haben mein Wort und ich habe das Ihre. Sie sind Mann genug, um wie ein Mann zu handeln. Mary soll Ihnen gehören, treten Sie nicht zurück, ich befehle es Ihnen. Sie werden sie glücklich machen. Ich will mit ihr sprechen, und eher will ich sie tobt zu meinen Füßen sehen …«
»Wenden Sie nicht gegen das arme Kind Ihren gerechten Zorn,« fiel Oersteen ein, »aber helfen Sie mir den unwürdigen Gegenstand ihrer Leidenschaft unschädlich machen. Mary liegt in einem Zauber, der gelöst sein wird, wenn es uns gelingt, Dartley zu entfernen. Ich will meinem Worte treu sein, denn ich empfinde es, ich liebe zu tief und wahr, um nicht Alles zu ertragen; aber denken Sie an morgen, denken Sie, wie dieser Dartley Alles aufbieten wird, Schmach über Sie und mich zu bringen; denken Sie auch an seine Ränke, an seine verrätherischen Plane, an die Ideen, welche er in die Köpfe der Bauern bringt.«
»Und was könnten wir thun?« fragte Fahlberg.
»Wir wollen überlegen, wie wir ihn am leichtesten auf einige Zeit, oder auf immer, von hier entfernen. Ich werde Ihnen ein sicheres Mittel dazu vorschlagen. Dort kommt Mary mit dem Doctor. Lieber Vater, ich bitte Sie, mäßigen Sie Ihren Unwillen, so viel Sie es vermögen.«
Und Mary trat wirklich mit dem Doctor herein, der auf dem Wege Henrik und sie gefunden hatte, als er von einem botanisirenden Spaziergange zurückkehrte. Auf seinem Stocke trug er ein Bündelchen mit Pflanzen, die ersten, welche er frisch grünend angetroffen und heilsam für Dies und Jenes erkannt hatte. Als er Dartley sah, rief er verwundert:
»Potz Velten! was ist denn das für ein Gewächs, das auf diesem Boden mit Stumpf und Stiel ausgerottet wurde, und doch wieder zum Vorschein kommt, als sei ihm nichts geschehen? Freund, Ihr seid, wie die zähe circaea alpina, das seltsame Hexenkraut, das man mit dem Messer in fünfzig Stücke zerschneiden kann, und dann das Unglück hat, fünfzigfaches Unkraut bewahren zu müssen. Nehmt Euch in Acht, Ihr umschlingt diese zarte viola odorata ganz und gar und könnt sie und Euch ersticken.«
»So wäre es ein schöner Tod für uns beide,« sagte Dartley, »Denn das Leben ist oft grausamer noch, und wenn Sie wüßten, Doctor …«
Der alte Herr hielt sich die Ohren zu und schrie:
»Ich will nichts hören! Helfen kann ich Euch nicht, rathen auch nicht, darum bleibt mir vom Leibe mit Euren Klagen. Der gräßliche alte Mensch da unten im Hause ist toll und wild in seiner Weisheit; ich muß mich selbst hüten, daß er nicht etwa Lust bekommt, mich auch zu verheirathen.«
»Nehmen Sie Mary mit nach Hause und schützen Sie sie, so viel in Ihrer Macht steht. Sei gefaßt, liebe Mary, und vertraue mir.«
Er küßte sie heftig und eilte in die Berge zurück, der Doctor aber führte sein Pathchen ins Haus und sprach ihr leise Muth ein, als er ihr Zittern fühlte.
»Sei doch getrost, Mädchen,« sagte er, »hast Du denn nicht gehört, wie stolz Dein Liebster sprach? Und wenn's zum Ärgsten kommt, bin ich ja auch noch da. Gewalt soll Dir Keiner anthun, wir werden und schon zu wehren wissen.«
Der alte Herr hatte aber schon im nächsten Augenblick Gelegenheit, sein Wort zu erfüllen, denn kaum war Mary ins Zimmer getreten, als der Probst zornglühend sie bei der Hand ergriff und mit einem heftigen Stoß vor sich hinstellte.
»Was hast Du gethan, Du schlechte Dirne?« schrie er.
»Ich habe nichts gethan, Vater!« erwiederte Mary, bleich wie der Tod.
»Nichts!« rief Fahlberg, »nichts, Du Elende, die Du ohne Scham und Schande Dich und mich entehrst!«
»Mein Vater!« schrie Mary auf, »allmächtiger Gott! wer hat mich so verleumdet?«
»Still!« rief der Probst, und er ballte die Faust zum Schlage und hob sie auf, aber Magnus Alsen riß ihn noch schneller zurück, als Oersteen, der ihn bittend zu besänftigen suchte. Der Doctor warf mit Gewalt seine Pflanzen auf die Erde und trat mit dem Fuße darauf; dann warf er seinen Hut hinterher, seinen Stock dazu, und nun wendete er sich zu dem weinenden Mädchen und sagte:
»Geh Du hinaus, Kind, geh' in Dein Kämmerlein, damit Du nicht hörst, was ich Deinem Vater zu sagen habe, der ganz vergißt, was er … ich sage nicht: seinem Amte und seinen Rock da … sondern seiner Menschenwürde, was er dem alten Christian Fahlberg schuldig ist. Zu solchen Dingen aber verführt ihn der böse Feind, der unter allerlei Gestalt umher schleicht und wohl auch einmal den Einfall haben kann, als Sorenskriver nach Norwegen zu kommen.«
»Vergiß nicht,« sagte der Probst, beschämt und doch mit dem Trotz, der Recht behaupten will um jeden Preis, »daß dies mein Haus ist, in welchem ich mir alle Einmischung in meine Handlungen verbitte.«
»Ja so,« fuhr Magnus traurig fort, »Das hatte ich vergessen, das fehlte noch, daß Du dem alten Freunde die Thüre weisest. – Gut Christian, ich werde gehen, und schwerlich wieder kommen, denn was könnte mich zurückrufen? Dieses armen Kindes hingeopfertes Leben, ihre Thränen, ihr Elend oder Deine Reue und Verzweiflung über eine starrsinnige Verkehrtheit, die Dich mit Jammer in die Grube bringen wird? – Ich werde nicht wiederkommen, Christian, aber ich werde bis morgen bleiben, wenn Du mich nicht gewaltsam forttreibst, um das Ende abzuwarten. Komm, Kind, und trockne Deine Augen! Einen Freund wirst Du immer hier haben, den alten Magnus, und einen andern dort oben.«
Er deutete auf den Himmel und auf die Berge und ließ es zweifelhaft, wen er meine; aber er führte Mary hinaus, und der Probst sandte ihnen finstere, feindliche Blicke nach.
Dartley war den ganzen Tag in den wildesten Theilen des Gebirgs umhergestreift. In den schmälsten Thälern, wohin der Fjord seine finsteren Arme schickte, war er gewesen und hatte aufwärts klimmend den Lauf der Bäche verfolgt, die aus den Eisbräen in diese Spalten stürzen. Zuweilen stand eine Hütte oben in den Felsen, oder tief am Rande der letzten Gesenke hatte sich das Menschenleben ein kleines, enges Haus gebaut, wo es mit seinem Glück und Leid in Abgeschiedenheit wohnte.
In diese einsamen Wohnungen trat Henrik von Rothbergsland, und überall wurde er freundlich empfangen. Das Feuer loderte vom gastlichen Heerde auf; man bot ihm, was man hatte, als Stärkung, aber Dartley warf seine Blicke nicht auf die Fladbrödstücke und den Haferbrei, er musterte weit mehr den Tragebalken in der Mitte, wo jeder Mann im Gebirge seine Waffen verwahrt. Der Ärmste wird wenigstens dort eine oder zwei jener schweren Büchsen auflegen, die Bär, Wolf und Rennthier tödten und mitten im Rauch und Staub von ihrer Güte nichts verlieren. Von ihren Vorvätern haben sie die Kunst geerbt, gute Schmiede zu sein. Noch singen sie die alten Lieder, mit denen einst Harnisch und Schwert gefeit wurden, und wie ungeschickt auch Schaft und Feuerschloß dieser Waffen aussehen, die Männer, welche sie führen, verfehlen selten ihr Ziel.
Henrik Dartley eilte von Hütte zu Hütte, und wenn er ging, winkte er da und dort einem der rüstigen jungen Männer ihn zu begleiten. Er flüsterte ihm heimlich etwas zu, bis der Bauer ihm die Hand schüttelte und mit stolzen Blicken dem Davoneilenden nachsah.
Als es Nacht geworden war, erreichte er den Gaard des treuen Lars. Er öffnete die Thür und sah Karina allein am Feuer stehen. Sie saß ganz still, den Kopf gesenkt, die Hände gefaltet und starrte in die Flamme. Als sie seinen Schritt hörte, sprang sie ihm freudig entgegen und blieb überrascht stehen.
Die Freude lief roth und lachend über ihr Gesicht, ihre Augen blickten ihn dankbar und besorgt an.
»Du bist es, Henrik!« rief sie, »Das ist wacker, daß Du kommst. Gottes Friede sei mit Dir! Ich glaubte, es wäre Niels Hansen und mein Bruder.«
»Wo ist Lars?« fragte Dartley.
»Weißt Du es?« erwiederte Karina. »Er ist mit Niels fischen gefahren, und noch ist Keiner wiedergekommen.«
»Wenn ein Unglück sie draußen betroffen hätte?« rief Henrik beunruhigt.
»Gottes Hand schützt Jeden,« sagte das Mädchen.«
»Wind und Wetter sind freilich so bös heut nicht, um Sorge zu tragen,« fiel Henrik ein.
»Wenn's sein soll, kann man im Sonnenschein sterben, Henrik. Lars ist ein Mann, der nie verzagt; aber es kann dem Niels etwas zugestoßen sein, der ist jung und von heftigem Sinn.«
Henrik setzte sich am Feuer nieder, und Karina blieb ihm gegenüber stehen. Ihre unruhigen Augen flogen bald auf die Flamme, bald auf den nachsinnenden Herrn von Rothbergsland, bald nach der Thür, die leise ächzte. Sie betrachtete ihn prüfend; er sah bleich und angegriffen aus. Ein tiefer Schmerz lag auf seiner Stirn und in den Augen, die sonst so hell glänzten. Er sprach nicht mit ihr, er deckte die Hände seufzend über sein müdes Gesicht und dieser Seufzer zitterte bang durch Karina's Brust.
»Es wird etwas geschehen,« murmelte sie vor sich hin. »Drei Elstern saßen heute vor unserer Thür, sie schrien den ganzen Tag um unser Haus. Als ich ging, verfolgten sie mich, und wie ich sie scheuchte, flogen sie um meinen Kopf.«
»Arme Karina,« sagte Dartley, »Du bist in Angst.«
»Keine Angst, Henrik, aber ich sorge für Dich auch. Die drei Elstern, das bist Du, Lars und Niels.«
»Und Du denkst, Niels könnte umkommen von den dreien?«
»Er wird nicht umkommen, Dartley.«
»Oder Lars, Karina?«
»Lars. Ja, das wäre ein schweres Schicksal. Aber Lars ist so kühn und so stark, wie ein Bär.«
»Nun Karina, so bleibe ich denn allein übrig, dem Unglück begegnen kann.«
»Du,« sagte sie, ihn starr ansehend, »nein, Du darfst nicht unglücklich sein, und doch ist es mir so, Henrik, als müßte es geschehen. Es steht etwas da hinter Dir, wie ein Schatten, ich kann's nicht erkennen, ob es Mary ist, oder Reisa-Rova, die böse Hexe, die Unheil bringt, wenn sie sich zeigt. Ihr Ansehen ist Gift; sie verderbt Pflanze und Thier, und wen ihr Finger berührt, der muß sterben. Wer ein gefährliches Werk beginnt, und sie erscheint ihm, der muß es lassen, oder er wird dabei untergehen. Darum bin ich so traurig, Henrik, darum wünsche ich, daß Lars und Niels kommen möchten um bei Dir zu stehen. Du hast ein gefährliches Werk vor, ach, Henrik, Reisa-Rova hat noch keinen verschont. Die falsche Hexe in ihren schwarzen Mantel, sie sieht schön aus und verlockt die Besten. – Laß es sein, Henrik Dartley, mir ist so bang und so weh. – Sie erscheint Dir wohl als Jungfrau Mary; sie faßt Dich um den Hals und wirft Dich auf ihr kohlschwarzes Roß mit den Feueraugen, dann ist es um Dich geschehen und um uns alle.«
»Närrisches Mädchen!« rief Henrik aufspringend, »Dein Hexenglaube steckt an; schweige still, ehe die bösen Geister es wirklich hören. Ich muß fort, Karina, doch Du hast Recht: Lars und Nils sind mir beide dringend nöthig. Wenn sie kommen, sende sie zu mir, ich will sie erwarten bis tief in die Nacht. Willst Du?
»Ich will, Henrik.«
Er streichelte ihr langes, weiches Haar, sie ließ es still geschehen; dann legte er seine beiden Hände an ihre heißen Schläfe und küsste sie.
»Meine arme Karina, Du hast mich also so lieb? Wenn ich sterbe, wirst Du die Klagelieder singen und an meinem Grabe beten. Wirst Du das?«
Karina's Augen füllten sich langsam mit großen Thränen. Sie antwortete nicht, aber ein unbeschreiblicher Schmerz lief, wie ein Schauder, über ihr Gesicht und den ganzen starken Körper. Sie athmete heftig und schnell, er hörte ihre Pulse klopfen und fühlte sie zittern und schwanken. – Von einem Gedanken jäh erschreckt, zog er die Finger zurück und ergriff Gewehr und Hut.
»Gute Nacht, Karina,« rief er, »vergiß nicht, was ich Dir aufgetragen!«
»Lebe wohl, Henrik,« erwiederte sie und streckte die Hand aus.
Er war schon an der Thür, sie fiel ins Schloß, und traurig setzte sich das Setermädchen in die tiefe Ecke, verwirrt nachdenkend über das Erlebte. Die Thränen liefen still und unaufhaltsam über ihr Gesicht; sie lehnte den Kopf an die Wand und rang die Hände auf ihrer Brust, bis sie ruhiger wurde und nicht wußte, warum sie geweint habe. Die nassen Flecke auf der Jacke wischte sie ärgerlich fort und das Feuer trocknete ihre Augen.
»Warum bin ich denn so betrübt?« fragte sie sich selbst: »aber warum mußte Henrik denn auch vom Sterben und seinem Grabe sprechen, wenn er so frisch und roth vor mir steht? – Käme Lars nur, Lars, Lars!« –
Sie richtete sich auf und horchte, dann lief sie hinaus und sah im Sternenschein nach dem Fjord hinab. Die Wellen rauschten schäumig an die hohen Ufer, es klang, wie Ruderschlag, herauf, doch die Schatten der Fjellen fielen schwarz auf die Fluth, sie konnte nichts entdecken. Mehrmals rief sie Lars bei Namen, ihre Stimme kam hohl zurück, und mit wachsender Ungeduld nahm sie ihren Platz am Heerde wieder ein, um mehr noch als vorher ihren Träumen und Sorgen nachzugrübeln, die sich alle, wie um einen Mittelpunkt, um Henrik Dartley sammelten.
Und während sie mit ihren Gedanken den bewunderten Mann verfolgte, hatte dieser die Halle von Rothbergsland längst erreicht und saß ordnend vor seinen Papieren in dem großen einsamen Hause. Manche wurden bei Feuer geopfert, andere besser verwahrt, und endlich nahm Dartley die Feder und schrieb emsig an einem Briefe, den er sorgsam Zeile für Zeile musterte und den Inhalt überlegte.
Er bemerkte nicht, daß draußen vor dem Fenster eine Gestalt erschien, die auf ihn sah und verschwand, als er den Kopf aufrichtete, daß dann eine andere noch näher herantrat und ihn mit rachsüchtiger Freude betrachtete. Mit leisen Schritten gingen Männer an dem Gebäude hin. Es rasselte wie von Waffen, und als die alte Wirthschafterin den Kopf aus ihrer Kammer steckte, sprang ein schwarzes Gespenst jäh auf sie los und warf ihr, furchtbar schnaubend, die Thür an den Hals, daß sie der Länge nach niederfiel. Dann wurde der Riegel vorgeschoben; der alten Matthea vergingen die Sinne.
»Ja, so soll es sein,« sagte Henrik, seine Schrift betrachtend, »so, meine geliebte Mary, will ich für Dich Sorge tragen, wenn etwa der Tod, wenn Reisa-Rowa mich hinabreißt.«
Er horchte auf das Geräusch im Hofe des Gaard und sagte lächelnd:
»Man sollte wirklich meinen, der Unhold stehe an dem Thor und klappere mit den Schlössern. Aber es sind meine Freunde,« fuhr er fort, als es jetzt feste Schritte im Nebenzimmer hörte. »Es ist Niels, Gullik, Herbrand und Lars.«
Die Thür wurde aufgemacht, doch es antwortete Niemand.
»Kommt herein, meine Freunde,« fuhr er fort, indem er sich umwendete.
Ein großer Mann im blauen Schifferrock, den Hut auf der Stirn, stand am Eingange.
»Ist das der Bursche?« fragte er mit rauhschallender Stimme.
»Es ist Herr Henrik Dartley,« erwiederte ein Anderer, der hinter ihm sich befand.
In der ersten Überraschung war Henrik aufgesprungen und blickte verwundert auf den fremden Gast. Im nächsten Augenblick schien er nichts Gutes zu ahnen, denn er faßte nach dem Messer an seiner Hüfte; aber schneller, als er, trat der Mann von der Thür einen Schritt auf ihn zu und sagte höflich:
»Sie kennen mich, Herr Dartley.«
»Capitain Rosen, ja, Was führt Sie nach Rothbergsland?«
»Sie sollen es sogleich erfahren. Setzen Sie sich, Herr Dartley, nur hüten Sie Sich vor jeder Übereilung. Hier ist mein Freund, Capitain Munster, von Seiner Majestät Schiff ›die drei Schwestern‹, der Ihre Bekanntschaft zu machen wünscht und Sie bittet, ihm auf kurze Zeit die Ehre Ihres Besuche an seinem Bord zu schenken.« –
»Ich begreife Sie nicht, Capitain,« erwiederte Henrik, »aber ich muß Ihr Ansinnen ablehnen.«
»Sie werden es nicht ablehnen,« rief der Baron nachdrücklich; »Sie dürfen es nicht ablehnen.«
Der junge Mann schwieg einen Augenblick.
»Das heißt,« sagte er dann, »Sie wollen mich zwingen, Ihnen Folge zu leisten.«
»Wenn es nicht anders sein kann, ja.« –
»Und mit welchem Rechte,« rief Henrik heftig und stolz, »dringen Sie in eines freien Mannes, in eines norwegischen Bürgers Haus, um eine Gewaltthat auszuüben?«
»Die Verantwortung für das, was ich thue, ist meine Sache, Herr Dartley. Wissen sollen Sie nur das: Sie sollen und müssen mir folgen, sei es mit Güte, sei es mit Gewalt. Es soll Ihnen kein Leid geschehen, allein Sie werden auf einige Zeit diesen Ort verlassen, wo Ihre Gegenwart nur Schaden stiftet, wo Sie Unruhen erregen, und die Gemüther verwirren. Sicher ist es zu Ihrem eigenen Wohle, und je weniger Sie widerstreben, desto besser für Sie.«
»Was machen Sie für Umstände, Capitain!« rief der rauhe Munster, indem er Henriks Arm ergriff. »Hört Bursche, Ihr stiftet hier Aufruhr und Verrath, darum sollt Ihr eine Reise machen. Ich will Euch zur Ordnung bringen, vorwärts mit Euch und seid gehorsam!«
Dies gewaltige Ergreifen erweckte Dartleys ganzen Muth. Mit einem einzigen Stoß warf er den Seemann so heftig an die Wand, daß der Hut von seinem Kopfe flog, dann sprang er nach der Thür und Rosen hielt ihn nicht auf.
»Gewalt gegen Gewalt!« rief er, »haltet ihn fest, ihr da!«
Und plötzlich sah sich Henrik von einem halben Dutzend kräftiger Matrosen angegriffen, die in der Halle ruhig gewartet hatten. Mehrmals rang er sich los und schlug ein paar der Angreifer nieder, endlich strauchelte er, und nun ward er zu Boden geworfen und mühsam festgehalten.
Rosen hatte das Licht genommen und leuchtete dazu.
»Sie hätten denken können, Herr Dartley,« sagte er, »daß ich meine Maßregeln gut genommen habe. Wollen Sie jetzt Vernunft annehmen?«
»Gegen Räuber, gegen Nichtswürdige!« schrie der Liegende, indem er eine neue Anstrengung machte.
»So müssen wir ihn binden,« fuhr der Capitain fort, »und wenn Sie nicht schweigen, müssen wir Ihnen weiter beschwerlich fallen.«
Es war Alles dazu vorbereitet, denn in dem nächsten Augenblick waren Dartleys Arme auf dem Rücken zusammengeschnürt.
»Stellt ihn auf die Füße,« sagte Rosen, »und nun hören Sie, Dartley, ich will so wenig als möglich gewaltsam verfahren; alles Andere wird von Ihnen selbst abhangen.«
Er leuchtete auf dem Schreibtische umher, öffnete mehre Papiere und las den Brief, der unvollendet geblieben war.
»Sie krönen Ihre gesetzlose Handlung damit, daß Sie Briefe öffnen und lesen, die mein Eigenthum sind!« rief Dartley ihm zu.
Der Capitain achtete nicht darauf. Es las aufmerksam weiter, faltete das Papier und steckte es in die Tasche.
»Das ist ein hübsches Document für Ihr Treiben, Herr Dartley,« erwiederte er dann; »eine vollständigere Rechtfertigung für das, was ich thue, bedarf es nicht. Sie benachrichtigen Ihre Freunde, daß Sie allen Ihren Einfluß angewendet haben, um die Bauern aufzuregen und auszuführen, was von Ihnen begehrt wurde; daß Ihr Vorhaben gefährlich, der Erfolg aber kaum zu bezweifeln sei; daß, wie es auch kommen möge, Sie für die Freiheit des Vaterlandes handeln und sterben wollen. Die Stunde sei nahe, morgen müsse es entschieden sein. Sie haben Todesahnungen gehabt, Herr Dartley,« fuhr er spöttisch fort, »denn dieser Brief ist zugleich eine Art Testament zu Gunsten einer gewissen jungen Dame, die Ihnen theuer ist. In dieser Beziehung sein Sie sicher! Ihre Herzensangelegenheiten gehen mich nichts an; im Übrigen, werden Sie nicht sterben, und sollte es sein, so wird Ihr Wille befolgt werden. Ich ehre Ihre Empfindungen und Ihre Entschlüsse.«
»Ehren Sie vielmehr die Rechte eines Mannes, die Sie gewissenlos mit Füßen treten!« sagte Henrik. »Wo ist der Befehl meiner gesetzmäßigen Obrigkeit, mich zu verhaften? Sie, ein Fremder, ein Däne, Sie sollen Rechenschaft geben, Herr, für jede Kränkung, die mir geschehen ist.« –
»Wie gewissenhaft Sie sind,« erwiederte der Offizier. »Ich will Sie jedoch überzeugen, daß ich nach dem Willen der Obrigkeit handle. Lassen Sie uns gehen; aber noch eins, Herr Dartley. Sie werden keinen Versuch zur Flucht machen, denn ein Dutzend Kugeln würden Sie durchbohren, ehe Sie zehn Schritte weit wären; auch werden Sie keinen unnützen Lärm erheben, denn man würde Sie zusammen schnüren und knebeln, wie ein Stück Tuch in der Segelkammer.«
Henrik folgte schweigend. Auf einen Wink des Capitains ergriffen zwei Matrosen den Gefangenen bei den Armen und führten ihn den felsigen Pfad hinunter zum Fjord, die übrigen umringten sie. Es waren zehn mit Pistolen und Säbeln bewaffnete Männer und Dartley hatte nicht die geringste Hoffnung, einer solchen Schaar Feinde zu entkommen. Man hob ihn in das große Boot, hängte einen Matrosenmantel um seine Schultern, drückte einen Matrosenhut auf seinen Kopf und setzte ihn auf den Boden nieder, indem man die Enden des Strickes, der seine Arme fesselte, um eine Ruderbank schlug, an der er mit dem Rücken lehnte.
So glitt das Boot schnell und still den Fjord hinab. Niemand sprach. Die langen Ruder tauchten leise in die dunkle Tiefe, und weckten das geheimnißvolle Leben der Wellen auf. Goldene Funken sprühten empor und fuhren zuckend hin und her; ein Feuerstrudel folgte dem Fahrzeuge und verlor sich schimmernd in der Ferne. Henrik hatte den Kopf niedergebeugt, seine Seele war voll Gram und Zorn. Bald ergriff ihn die ganze Schwere seines Schicksals mit zerschmetternder Gewalt, bald die ohnmächtige Wuth über alles, was geschehen, und alle seine Hoffnungen zerstörte. Er dachte an Mary, und mehr noch an ihre Zukunft, ihren Schmerz, ihre bittere Noth, als an die seine.
Aber seine junge starke Brust war nicht gemacht, sich lange einer nutzlosen Verzweiflung zu überlassen; bald fühlte er einen neuen Strom von Muth durch sein Herz rinnen. Das leuchtende Meer warf seine goldenen Funken hinein und zündete ein Feuer an, dessen Glut die Hoffnungslosigkeit schmolz. Und jetzt blickte er auf, da flammte ein rother Stern am Ufer. Ein Haus lag dort, es war der Gaard von Bunserud.
An der Thür stand ein Weib, die eine Kiehnfackel hoch in die Luft hielt, das war die treue Karina. Henrik erkannte sie. Ein einziger Schrei konnte ihr sagen, er sei es, der in diesem Boote hinabschwimme, aber er schrie nicht, denn die Klugheit hielt ihn warnend ab. Er blickte seitwärts und sah das finstere Gesicht des Capitains Munster, vom Feuer der Fackel angehaucht, rachedurstig auf seine Lippen geheftet.
Die schlaue Verständigkeit seines Volkes, die auch ihm eigen war, sagte ihm:
»Wage nichts, wo der Erfolg so unsicher ist und eine unbesonnene Handlung Deine Lage nur verschlimmern könnte. Warte ab, was geschieht, es wird sich eine bessere Gelegenheit zeigen. – Karina hat ein ahnungsvolles Herz, leicht kann sie auch ohne Deinen Ruf Gefahr erkennen, und sind nicht in wenige Stunden dreißig wackere Männer in Deinem Hause? Wird die alte eingesperrte Matthea nicht Lärm erheben? Es ist nicht Alles verloren, und wenn nun …«
Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, und alles Blut drängte sich zum Kopf, denn ein Fischernachen fuhr vorüber; deutlich erkannte er Niels Hansens singende Stimme. Im nächsten Augenblick aber schwieg der Gesang wieder, der Nachen schoß rasch dahin und verschwand, während das Licht aus dem Pfarrhause zu Grover zwischen Feld und Bäumen hervorschimmerte.
Der Capitain kehrte das Steuer zum Lande und bald lag die Spitze des Bootes an dem Gestein.
»Jetzt, Herr Dartley,« sagte er, »will ich Sie überzeugen, daß Ihre Verhaftung rechtmäßig erfolgte.«
Er sprang ans Land, und eben öffnete sich die Thür des Pfarrhauses. Ein Mann trat rasch heraus, und ein anderer folgte ihm.
»Habt Ihr ihn?« rief der Erste mit lauter Stimme.
Henrik erkannte Oersteen. Scham, Zorn und Rache füllten seine Brust. Die drei Männer sprachen heimlich unter den Bäumen, dann kamen sie langsam näher.
»Wo ist er denn?« fragte der Landrichter.
»Wir haben ihn binden müssen,« erwiederte Rosen. »Er sitzt dort an der Bank.« –
»So sagen Sie ihm, Probst Fahlberg, daß das Wohl des Landes seine zeitweilige Fortschaffung erfordert, und daß er selbst sich dies Schicksal bereitet hat.«
»Henrik Dartley,« sagte der Probst mit ungewisser Stimme, »Du störst den Frieden in jeder Weise, auch meines Hauses Frieden hast Du untergraben. Darum sollst Du am Bord des Schiffes bleiben, bis Du keinen weitern Schaden anrichten kannst; doch soll Dir kein Leib geschehen, und in wenigen Tagen wirst Du frei sein.«
»Das wird sich finden,« flüsterte Oersteen Rosen zu.
»Dafür wird Munster sorgen,« erwiederte dieser.
»Probst Fahlberg,« erwiederte Henrik gefaßt, »ich mache Dich und den Mann, der bei Dir ist, verantwortlich für diese schändliche Gewaltthat. Man raubt mir meine Freiheit, Gott weiß, was man weiter mit mir vor hat! Gebunden und mißhandelt, wie ich es bin, rufe ich Schmach und Schande auf diejenigen, die Dich bewogen haben, ihr Gehülfe bei einem Verbrechen gegen den Sohn Deines Freundes, wie gegen einen Bürger Norwegens zu sein. Du wirst den Gesetzen Rechenschaft geben müssen, aber noch weit mehr Deinem Gewissen. Mir wird der Himmel einen Helfer in meiner Noth erwecken.«
Der Probst antwortete nicht, aber Oersteen rief an seiner Stelle:
»Den Gesetzen sowohl wie dem Gewissen wird die Rechtfertigung nicht fehlen. Schafft ihn fort! Ich will es vor Jedermann verantworten; wir haben Beweise genug für seine Absichten.«
»Bringt ihn an Bord der Najade,« befahl Rosen, »und bleiben Sie bei ihm, Munster, bis ich zurückkehre.«
Das Boot stieß ab, die drei Zurückbleibenden gingen dem Hause zu.
»Ich will es vertreten in Eidsvold, oder wo es sein mag,« wiederholte Oersteen. »Dieser unruhige Kopf mußte zur Ruhe gebracht werden, wenn nicht das heilloseste Unglück entstehen, Blut und Verderben über uns kommen sollte. Weißt Du, Rosen, was er beabsichtigte? Er hatte die Bauern aufgewiegelt, Dein Schiff im Namen Norwegens in Beschlag zu nehmen, das hatten die Verschwörer in Christiania ihm aufgetragen.«
Der Capitain schlug ein spöttisches Gelächter auf.
»Diese Bauern, mein Schiff!« rief er. Plötzlich aber warb er still, blickte zurück und blieb ungewiß stehen. »Es soll an andern Orten Ähnliches geschehen sein, und wenn diese Aufrührer wirklich so toll wären …«
»Sei ganz ruhig,« fiel der Landrichter ein, »die Bauern waren vernünftiger, als er. Sie haben ihn verlassen.«
»Gut, aber morgen verlasse ich den Fjord und bringe die Najade in Sicherheit,« flüsterte Rosen. –
»Morgen, wenn ich gewählt bin und Alles vollbracht ist,« erwiederte Oersteen; »dann hebe Deine Anker und geh'. Ich will Dir Briefe mitgeben.«
»Ich habe auch einen Brief!« rief der Offizier. »Lies ihn, jetzt erst wird mir sein Inhalt klar. Aber der Verräther ist in meiner Hand. – Keine Schonung mehr, Herr Probst; ich will ihn festhalten und zur Strafe bringen.«
Ein Zeuge von Henriks letzten Worten war am Fjord zurückgeblieben, ein Weib, das mit stummer Verzweiflung dem Boote nachsah und an dem Baume niedersank, der sie verbarg, als die Ruderschläge verhallten. Mary war leise den Männern gefolgt, als sie Oersteen ausrufen hörte: »Da sind sie, sie haben ihn!« und sie hörte Henriks Stimme, sie hätte aufschreien und hervorspringen wollen, aber Stimme und Füße versagten ihr den Dienst, und jetzt pries sie es als ein Glück, denn ein muthiger Gedanke erfüllt sie plötzlich, und alle ihre Furcht lösete sich darin auf. –
»Der Himmel wird Dir einen Helfer erwecken, Henrik!« rief sie, »und hier ist er, hier bin ich!« –
Ihre Augen glänzten in Kraft zur entschlossenen That. Wie verfolgt von einem bösen Feinde, lief sie über die Moorgründe den Bergen zu. Ihre Schuhe blieben im Sumpfe stecken, sie achtete es nicht; ihre Füße bluteten bald von den spitzen Steinen, doch fühlte sie kaum den heftigen Schmerz. Über die jähen Felsen, die sie nie ohne Schaudern betreten, kletterte sie jetzt mit wilder Hast, und über die schmalen Stufen des gefährlichen Pfades sprang sie auf und nieder, ohne an den Abgrund zu denken, der dicht daneben lag.
Aus dem Gebirge dröhnte es dumpf, denn lau strich ein Frühlingswind darüber hin; Lawinen- und Steinstürze in die Thäler schleudernd. Der tiefe Meeresarm glänzte im Sternenlicht, aber Mary sah nur einen Stern: Das Licht im Hause von Bunserud, und wie sie es erreicht hatte, riß sie die Thür auf und taumelte athemlos an den Pfeiler in der Mitte der Feuerhalle.
Ihr Haar hing verwirrt über ihre Schultern; ihre blutenden Hände, ihr zerrissenes Kleid, ihr glühendes Gesicht, geritzt von dem dichten Birkengestrüpp, mit dem sie gekämpft, machten sie fast unkenntlich. Lars, der mit seinem Gefährten am Tische saß, sprang erschrocken auf. Karina aber eilte auf sie zu, hielt sie in ihrem kräftigen Arme fest und las aus ihren Mienen Henriks Unglück.
»Was ist geschehen?« sagte sie heftig, »rede, Jungfrau Mary! Du klagst um Henrik. Wo ist er? Was ist ihm zugestoßen? Reiso-Rova hat ihn in ihr schwarzes Netz gerissen, es lag um seinen Kopf, ich sah es.«
»Hilf ihm, Lars!« schrie Mary, »sie haben ihn fortgeschleppt.«
»Wer?« rief der Bauer.
»Die Dänen auf ihr Schiff.«
Lars blieb einen Augenblick stumm stehen, dann faßte er sein langes Haar und warf es in den Nacken.
»Siehst Du wohl, Niels,« sagte er ruhig, »daß es ihr Boot war, das mit Henrik uns begegnete? Ich hatte eine Ahnung, er müsse es sein, der zwischen den Dänen so tief am Boden saß.«
Er kreuzte die Arme über seine Brust und stemmte den Fuß auf den Feuerstein.
»Erzähle mir alles, was Du weißt, Jungfrau Mary,« fuhr er fort, »setze Dich hier ans Feuer und sei ruhig; Henrik Dartley wird geholfen werden.«
Mary erzählte, was sie gehört; Lars bewegte keinen Zug seines Gesichts. Nach und nach aber glänzten seine Augen wild und feurig, und seine hohe Gestalt richtete sich stolz auf.
»Auch Dein Vater, Gott verzeih' es ihm, Jungfrau Mary, er hat eine schlechte That gethan! Du machst es wieder gut, der Bauer wird Henrik zu seinem Recht verhelfen.«
Er nahm zwei Gewehre vom Balken und reichte das eine Niels hin, dann steckte er das Messer in seinen Gurt und zog die rothe Mütze über den Kopf.
»Wohin gehst Du, Lars?« fragte Mary.
»Zu Henrik!« erwiederte er.
»Nimm mich mit Dir, ich muß Dich begleiten.«
»Sorge für die Jungfrau, Karina, lebe wohl.«
Mary hielt ihn fest.
»Ich kann nicht zurück, Lars,« rief sie, und eine verzweiflungsvolle Entschlossenheit glühte in ihrem Gesichte. »Ich muß mit Henrik leben oder sterben.« –
»Mußt Du, Jungfrau?« sagte Lars, gerührt von dem Muth ihrer Liebe; »nun, so sollst Du mit uns gehen, und redlich theilen, was über uns verhängt wird. Bleibe mit Niels hier und erwarte mich. Wenn ihr mich hört, so kommt an den Fjord!
Er eilte schnell davon. Eine halbe Stunde später lag Rothbergsland vor ihm, und mit Freude erblickte er Kähne mit Fackeln auf dem Wasser schwimmen, die von mehreren Seiten sich näherten. Die großen Tannenscheite brannten in den Spitzen der Fahrzeuge, wie es geschieht, wenn Nachts die Männer über die Meeresbuchten fahren, um mit dreizackigem Speer den Lachsen aufzulauern. Die kräftigen Fischer standen darin, ihre rauhe Brust und das lang flatternde Haar dem Winde Preis gegeben; aber statt des Speers trugen sie ihre schwarzen Büchsen und die Kugeltasche auf der Schulter. Andere Fahrzeuge lagen am Ufer; ein Kreis von Bauern stand daneben, unschlüssig berathend und durcheinander redend.
Als Lars zu ihnen trat, riefen Mehre:
»Der wird sagen können, was wir nun machen sollen. Henrik Dartley hat uns zu sich beschieden, aber er ist nirgend zu finden, Matthea, das alte Weib, ist toll geworden. Sie lag eingesperrt in ihre Kammer und schrie, der Teufel sei da gewesen und habe ihr den Kopf eingeschlagen. Das Haus ist leer. Tisch und Stühle sind umgeworfen. Was kann geschehen sein, Lars? Wo ist Henrik?«
»Auf dem Schiffe bei den Dänen,« erwiederte Lars, »dort wollen wir ihn suchen, Sie haben ihn gefangen hier in seinem Hause, wir wollen ihn frei machen. Ich frage nicht, ob Ihr wollt, denn ich weiß, Ihr wollt Alle. Gebt mir die Hände, Nachbarn!«
Sie streckten die harten, schwieligen Hände schweigend aus, das war ihr Schwur. Dann sagte Lars:
»Löscht die Feuer aus und sprecht kein Wort. Wir sind wenige, aber wir sind Männer. Das Schiff müssen wir haben, oder wir müssen alle sterben; wenn's jedoch sein kann, wollen wir leben und vielleicht kein Blut vergießen. List hilft oft mehr, als Gewalt und auf der Corvette, die Norwegen gehört, so gut wie der Felsen hier und das Meer, haben wir Freunde, die uns beistehen werden. Steigt denn in Gottes Namen ein und folgt mir. Ich will der Erste sein, der Euch den Weg zeigt.«
Leise und rasch glitten die Jollen den Fjord hinab. Auf den Ufersteinen am Gaard von Bunserud standen ein paar verhüllte Gestalten. Es war Mary, die, in den Regenrock des Bauers gewickelt, von Niels in das Fahrzeug geschoben wurde, dann ging es schweigend weiter, und bald sahen sie die Ufer zurückweichen. Das Pfarrhaus von Grover warf ein einsames Licht aus der Ferne herüber, und Mary senkte seufzend den Kopf. Sie dachte an ihren Vater, der vielleicht jetzt schon ängstlich nach ihr suchte, obwohl sie eine so schnelle Entdeckung ihrer Flucht nicht zu fürchten hatte.
Nach und nach öffneten sich die düsteren Felsenlinien, unter denen die Boote der Fischer hinschlichen; die Wellen kamen lang und weiß besäumt von der Bucht herein, und durch die düstern Wolken im Norden lief ein röthliches Zucken, das hellere Strahlen dann und wann mit ungeheurer Schnelle gegen den Zenith des Himmels aussandte.
Aus einem dieser matten Nordlichtsblitze berührte Lars Mary's Schulter und deutete auf einen dunkeln schwankenden Körper, der im wogenrauschenden Meere lag. Drei schlanke Säulen stiegen in die Nacht empor; unten glänzte die See und sprühte goldene Tropfen aus, oben fuhr das geheimnisvolle Meteor über die flatternden Wimpel und zeigte auf Augenblicke, heller leuchtend, das zierliche Gitterwerk der Taue und Masten des großen Schiffs.
Alles war still auf dem Deck; der rauhe Wind und fein fallende Eisstückchen hatten die Wache unter das Bollwerk getrieben. Eine Strickleiter hing von oben nieder, mehrere Boote schwammen am Schiff; als aber Lars kleiner Nachen von einer hohlen Welle heftig gegen die Wand der Corvette geworfen wurde, sah ein Kopf von oben herunter, und eine rauhe Stimme fragte, wer da sei?
Niels Hansen stand in der Spitze und flüsterte leise hinauf:
»Ich bin es, Olof, mein Junge, und ein paar andere wackere Männer, die mit Dir zu reden haben.« –
Zugleich war er wie eine Katze, auf der Leiter, und seine vier Gefährten hinter ihm her.
»Was willst Du, Niels?« fragte der Matrose erstaunt, aber Lars legte seine große Hand auf ihn und sagte:
»Wir sind hier, um einen Mann zu befreien, den die Dänen gefangen haben. Wo ist er?« –
»Dort unten bei dem Capitain,« erwiederte Olof erschreckt.
Die Wache war aufgesprungen. Lars schützte die Stelle, wo die Leiter herab hing und immer mehre der Bauern ohne Widerstand über das Bollwerk stiegen. Leise und lange sprach Lars mit den Matrosen. Einige schlichen sich fort und holten Andere; plötzlich aber kam ein Mann im dunkeln Schifferrock, der wachthabende Offizier, die Treppe herauf und trat schnell herbei, als er den Menschenhaufen erblickte.
»Was giebt es hier?« fragte er laut.
»Bist Du ein Norweger?« erwiederte Lars.
»Ja!« –
»Dann will ich es Dir sagen. Im Namen des Landes haben wir dies Schiff besetzt und wollen es festhalten, bis unsere Sache entschieden ist, nach dem Willen der Volksversammlung in Eidsvold.«
Der Offizier schwieg, er war umringt. Er war ein Norweger und wie die meisten der Sache seines Vaterlandes zugethan. Er wußte auch, daß man mehrere Kriegsschiffe in verschiedenen Häfen für Norwegen in Beschlag genommen und, was dänisches Eigenthum war, zu entschädigen versprochen hätte.
»Wenn Du Auftrag hast, so zu handeln, wie Du thust,« sagte er, »so sprich mit dem, der hier zu befehlen hat.«
Er deutete auf den Eingang zur Cajüte.
»Das will ich,« erwiederte Lars, »ich will mit ihm reden, wie ein Mann; inzwischen besetzt das Schiff, und wer ein Freund Norwegens ist, der helfe dem Vaterlande zu seinem Recht.«
Er drückte dem Niels Hansen bedeutungsvoll die Hand, ergriff mit der andern Mary beim Arm und führte sie fort.
»Jetzt ist es Zeit, Jungfrau,« flüsterte er, »jetzt gilt es, rasch zu handeln und Alles zu gewinnen, oder Alles zu verlieren.«
Auf der Treppe zum Zimmer des Capitains brannte eine Doppellampe. Alles war bequem und elegant, das Geländer von blankem Messing, die Thüren von Mahagoni mit Goldverzierungen, und laut genug drang die Stimme des Barons hindurch, um verstanden zu werden.
»Sie sind zornig, Herr Dartley,« sagte er, »aber ein Mann muß sich in sein Schicksal finden, und das Ihrige ist nicht das härteste. In ein paar Monaten sind Sie wieder hier, und an Erfahrungen reicher geworden. Sie hatten den Plan gemacht, dies Schiff zu nehmen, und Sie leugnen es nicht einmal. Ich könnte Sie vor ein Kriegsgericht stellen und verurtheilen lassen, wenn ich nicht selbst einige Verpflichtungen gegen Sie hätte.«
»Und Sie tragen diese Verpflichtungen lieber auf die gesetzloseste Weise ab,« erwiederte Henrik.
»Es wäre gänzlich unnütz, mit Ihnen länger darüber zu rechten. Das Stück ist aus; die Zeit verfließt, dort steht Capitain Munster, den Hut auf dem Kopf, und sein Glas ist leer. Wir müssen scheiden. Seien Sie folgsam und vorsichtig, das ist der letzte gute Rath, den ich Ihnen ertheile.«
»O, daß ich vorsichtig gewesen wäre!« rief Dartley schmerzlich, »daß ich guten Rath befolgt hätte! Lars.« –
In diesem Augenblick öffnete der Bauer die Thür und drängte seine mächtige Gestalt herein.
»Hier bin ich, Henrik,« sagte er.
»Und auch ich, Henrik, auch ich!« rief Mary, bei Lars vorübereilend.
Der Hut und der Fischerrock fielen ab. Mit ihren wunden Händen umklammerte sie den geliebten Mann und bedeckte ihn mit ihren Küssen.
»Mary!« rief Dartley, und er hatte Alles errathen. Seine Augen glänzten vor Luft und Kühnheit. Er küßte sie unzählige Male, dann rief er freudenvoll: »Ich wußte es wohl, Ihr würdet mich nicht verlassen. Das Stück ist nicht aus, Capitain Rosen, es hat ein neuer Act begonnen.«
»Und welcher?« fragte der Baron bestürzt.
Ein gewaltiges Getümmel und ein Hurrahruf ließ sich auf dem Verdeck hören.
»Was ist geschehen? Was soll Das bedeuten?«
»Es soll bedeuten,« erwiederte Lars, »daß ein Hurrah für Norwegen da oben gebracht wird und Du nichts mehr hier zu befehlen hast.« –
Der Baron griff nach dem Degen, der auf dem Tische lag, doch gleichmüthig trat der Bauer vor ihn hin und sagte lächelnd:
»Laß das Ding da ruhig stecken, wenn Du nicht den Schaden davon haben willst. Sei ein verständiger Mann und überlege die Sache. Zu fürchten hast Du nichts, es wird Dir kein Leid geschehen. Das Schiff aber muß nach Bergen, dahin gehört es, und dort mag weiter entschieden werden, was damit geschehen soll.«
Das Geschrei von oben, die rauhen Stimmen, die Hurrah's und endlich der Anblick mehrer Bauern, welche mit ihren Büchsen die Treppe heruntersprangen, die Thüre aufstießen, Dartley umringten, seine Hände drückten und ihm versicherten, daß er frei und die Corvette in ihrer Gewalt sei, weil alle Norweger sich mit ihnen bereinigt und ihr Werk gut geheißen hätten, dies alles überzeugte dem Capitain, daß an Widerstand nicht mehr zu denken sei. Er merkte auch die unheimlichen, düstern Blicke, welche manche der bewaffneten Männer auf ihn warfen, und fürchtete nicht ohne Grund, daß, wo die Zügel strengen Gehorsams so plötzlich zerrissen, rohe, übermüthige Gewalt an dessen Stelle treten und ihre Opfer fordern könnten. Er legte daher den Degen nieder und sagte:
»Herr Dartley, in Ihre Hände gebe ich mein Commando und alle Sorge für die Sicherheit dieses königlichen Schiffes, wie für dessen Besatzung. Sie werden die Thaten dieser Nacht vor dem Prinzen-Regenten zu verantworten haben.«
»Vor den Abgeordneten Norwegens in Eidsvold, Herr,« erwiederte Dartley stolz.
»So bin ich also wahrscheinlich Ihr Gefangener?« fragte der Capitain. »Ich bleibe, wo mein Schiff bleibt.«
»Ohne Zweifel,« entgegnete Henrik streng, »würden die Gesetze dieses Landes wenige Umstände mit einem Manne machen, der einen seiner Bürger gewaltsam aus seinem Hause riß, um ihn nach Indien zu deportiren. Ich will jedoch des guten Endes wegen, und weil Personen in diese Sache verwickelt werden müßten, denen ich Ehrfurcht und Liebe schulde, nicht als Kläger auftreten. Sie mögen thun, was Ihnen beliebt. Gehen Sie nach Bergen oder nach Christiania, beschweren Sie sich und vertheidigen Sie sich; sobald der Morgen da ist, haben Sie volle Freiheit.«
»Und ich?« rief der trotzige Capitain des Indienfahrers, der unbeweglich gestanden und zugehört hatte, »was wollt ihr mit mir beginnen?
»Ich hätte große Luft, dem Kerl zu zeigen, wie es in der Haifischhöhle aussieht, wo wir dicht bei ihm saßen und ihn auslachten, als er uns vergebens suchte,« sagte Lars. »Höre, Du bist ein ungerechter, gewaltthätiger Mann, und sollst an Dir selbst erfahren, wie Gewalt thut, wenn Henrik es so will.«
»Laß ihn,« sprach dieser. »Er war ein bloßes Werkzeug in Anderer Hand. Mach', daß Du fort kommst, ehe man Dich greift und festhält. Ich werde sorgen, daß Du an Deinen Bord gelangst.«
Nun drängten sich immer mehr der Bauern und Seeleute herein. Von oben riefen viele Stimmen nach Henrik und Lars. Lichtschein glänzte hell über das Verdeck, und Freudengeschrei empfing die Männer, als sie in den dichten Kreis ihrer Freunde traten. Henrik Dartley hielt Mary an sein Herz gedrückt, an der andern Hand führte er den Capitain.
»Meine Freunde,« sprach er, »wir haben vollbracht, was wir gelobt; kein Unrecht drückt uns, und kein Blut klagt uns an. So laßt uns immer einig und verständig handeln, wie es freien Männern geziemt, daß Recht auch Recht bleibt und die Morgenröthe dort oben an den Bergen uns keine Schamröthe in die Gesichter bringt.«
Und als nun der Morgen roth und sonnenhell ins Thal von Grover hinabstieg, waren alle Pfade zu beiden Seiten des Fjord sehr belebt. Aus den Bergwäldern hervor und von den jähen Abstürzen nackter Fjellen kamen die Gaardmänner zu Fuß und zu Roß. Die raschen, gelben und grauen Hengste, rothe Bänder in den borstigen, gesträubten Kamm und durch das lange Stirnhaar geflochten, wieherten sich zornig an, und ihre feurigen Augen funkelten vor Kampflust. Zaumzeug mit Schlangenköpfen besetzt, und Sättel mit hohen Pauschen Zu beiden Seiten unter dem seitlichen Teil des Sattels angebrachte Polsterung., dicht mit gelben Nägeln beschlagen, gehörten den Reicheren; viele saßen aber auch auf dem nackten Rücken ihrer Thiere, die mit wunderbarer Sicherheit die steilen Klippen niederstiegen und niederrutschten, ohne je zu straucheln, handbreit an Abgründen von schwindelnder Tiefe vorüberschritten, über Blöcke und Geröll, über Spalten und Geklüft sprangen, und dann über die Wiesen im Thal jagten in einem Wettrennen, das ihre Reiter mit Jauchzen begleiteten.
Es kamen auch Weiber und Mädchen, seitwärts in hohen Sätteln sitzend. Andere in Carriol und Karren, weil sie mehr an befahrenen Wegen wohnten, und auf dem Fjord trafen sich die achtrudrigen Boote, dicht besetzt mit Volk im glänzenden Sonntagsstaat, in weißen Pelzen mit blitzenden Knopfreihen, in rothen faltigen, mit grünen oder gelben Bändern besetzten Röcken, rothe flatternde Tücher über die Köpfe, und die schön geflochtenen Zöpfe über den Rücken niederfallend.
Überall war Freudenruf, überall trafen sich Freunde und Bekannte, welche sich lange nicht gesehen hatten, und die Männer, Alt und Jung, in stattlichen neuen Jacken, farbig besetzt, die Hemden mit breiten Schnallen genestelt, die Schnallenschuhe schwarz und sauber, das weiße Beinkleid wohl gar mit bunter, feiner Wolle zierlich gestickt, sie schüttelten sich die Hände und traten vertraulich sprechend zusammen, nachdem sie Roß oder Karren in der Nähe des Pfarrhauses aufgestellt.
In diesem war es auch lebendig, denn Probst, Sorenskriver, Voigt und Lensmänner saßen dort zusammen und hielten Rath über die Wahl. Der Kaffee dampfte, und der Probst hatte zu verschiedenen Malen schon nach seiner Tochter gefragt; aber die Mägde, welche vergebens an ihre Thür gepocht, hatten nicht den Muth, dem alten Herrn zu sagen, daß sie keine Antwort erhielten. Sie hatten es dem Doctor vertraut, der sich bald überzeugte, Mary sei fort, und bei allem Schreck und dem Gedanken, was nun folgen werde, im Grunde seines Herzens ein freudiges Gefühl darüber empfand. Er wußte es zu hindern, daß Fahlberg sich weiter um Mary bekümmerte, denn er neigte sich zu ihm und sagte:
»Dein Kind ist da, wo es sein muß; es kann nicht zu Dir kommen. Thue Du hier Deine Pflicht, andere Pflichten werden dieser folgen.«
Eine innere Unruhe drückte sich lebhaft in den Mienen des Probstes aus. Er war niedergeschlagen und beängstigt, in innerem Kampfe mit sich selbst und von Dartley's Abschiedsworten, die ihn nicht verlassen wollten, tief erschüttert.
»Ich hoffe zu Gott,« erwiederte er, »daß Mary nichts Böses zugestoßen ist. Wenn Du wüßtest, Magnus,« fuhr er leise seufzend fort, »wie schwer mir ums Herz ist! Ich wollte, ich könnte ändern, was doch nimmermehr angeht, darum hilf mir zum Frieden, statt zum Streit.«
»Hilf Dir selbst,« erwiederte der Doctor, »noch wirst Du es können.«
In dem Augenblicke kam Oersteen herbei und nahm den Probst bei der Hand.
»Ich danke,« flüsterte er, »daß Alles gut vorbereitet ist. Nach ihrer Erklärung haben die Lensmänner den Plan, Sie zur Wahl vorzuschlagen, fallen lassen; eben so sind Ihre Worte über Dartley nicht verloren gegangen. Der Voigt aber hat nun seine Stimme für mich erhoben, wie Sie es wünschten. Gehen wir jetzt hinaus. Die Bauern stellen sich schon zusammen. Es ist kein Zweifel, daß, wenn Sie mit ihnen reden und mich empfehlen, fast alle Hände sich dafür erheben werden; denn der, welcher uns allein hinderlich sein könnte, kommt nicht, und wie ich merke, sind auch manche seiner Anhänger ausgeblieben. Selbst Lars von Bunserud, der gefährlichste von allen, ist nicht hier.«
Er führte den Probst nach der Thür, doch eben wie sie hinaus traten, fiel ein Kanonenschuß, der seinen Donner in alle Klüfte der Berge schickte; dann folgte ein zweiter, ein dritter, und um die Felsenbiegung schwamm die Corvette, ihre weißen Segel vom Winde geschwellt, Feuersäulen nach allen Seiten aussendend und ganz in Rauch gehüllt. Die Sonne beleuchtete die Masten, plötzlich aber wickelte sich ein Knäuel vom höchsten Top. Norwegens Flagge entfaltete sich und wehte groß und schön dem Lande zu. Die Segel fielen. Die Ankerketten rasselten, da hörte man durch die zuckenden Blitze und Dampfwolken das Jubelgeschrei der Besatzung, und Boote kamen und ruderten dem Lande zu, wo die ganze Versammlung aufgelöst und überrascht den Nahenden entgegen eilte.
»Capitain Rosen macht sich zu Ehren meiner Wahl das Vergnügen, uns feierlich zu begrüßen,« sagte Oersteen lächelnd. »Er kommt ein wenig zu früh.«
»Viel zu früh!« schrie der Doctor, »denn hört, was ist das –? Henrik Dartley! zehn Hurrah's für ihn, und da kommt er selbst, und wer ist bei ihm? Mary! wahrhaftig, es ist Mary! Sorenskriver, Dein Spiel ist aus, jetzt hast Du ganz und gar verloren.«
Im dichten Haufen seiner Freunde kamen die Beiden, und Lars, Niels, Karina, viele Andere waren mit ihnen. Der Probst war so erschrocken, daß er wankend sich an den Doctor hielt. Das Unrecht, daß er an Henrik gethan, trat schamvoll auf sein Gesicht; jetzt lag es offen vor der Gemeinde. Dazu kam die Angst um Mary, Zorn über sie. Er errieth, was sie begonnen, und wie er sie in Dartley's Arm erblickte, bleich und zitternd, die Hände flehend zu ihm ausgestreckt, da erbleichte und zitterte er selbst; sein Stolz brach zusammen, und doch wußte er nicht, welcher der widerstreitenden Empfindungen er folgen sollte, bis endlich Thränen über sein Gesicht strömten und er beide Arme nach seinem Kinde ausbreitete.
»Mein väterlicher Freund,« sagte Dartley bittend; »können Sie noch hart gegen mich sein, können Sie mir das Herz verweigern, das mit solcher Treue mein ist? Sie haben dem Manne geglaubt, der dort mit scheuen Blicken neben Ihnen steht. Lesen Sie diesen Brief, den ich bei seinem Freunde, bei Capitain Rosen fand, und urtheilen Sie, ob Sie Ihr Wort halten dürfen.«
Der Probst nahm den Brief, der an eine hohe Person gerichtet war. Er las schneller und immer schneller. Plötzlich hielt er ein, schlug auf das Blatt, streckte es mit Heftigkeit vor Oersteens Augen und rief:
»Haben Sie das geschrieben? Ja, Sie schrieben es! Gestern vor meinen Augen gaben Sie dem Capitain dies Papier, und es ist Ihre Hand! Sie verspotten, Sie verachten die Freiheitsliebe Ihrer Mitbürger! Sie ermahnen, die Verschwörer zu Boden zu schmettern; Sie geben Mittel an, wie die volle Macht zu bewahren sei.«
»Ich habe nie gesagt,« erwiederte der Landrichter gefaßt, »daß ich den tollen Wahn theile, der Unglück über mein Vaterland bringt. Ich bin für einen König, der Norwegen mit starker Hand regieren und beglücken kann, nicht für den Freiheitsschwindel solcher Menschen, wie Dartley, die nur Verwirrung und Aufruhr stiften.«
Dartley trat vor, aber der Probst ergriff ihn bei der Hand und sagte mit Würde:
»Du sollst nicht antworten, Henrik, laß diese Männer entscheiden. Was wir abzumachen haben, ist unsere Privatsache. Hier aber ist offene Wahl eines Abgeordneten; wir sind mitten darin, und dort stehen die Wähler, sie haben zu sprechen. – Ihr habt alle gehört, was Herr Oersteen sagte, so entscheidet denn, ob er Euer Mann für Eidsvold sein soll. Meine Stimme hat er nicht.«
Keine Hand hob sich auf.
»So mußte es ausfallen,« sagte Oersteen mit erzwungener Gelassenheit, doch Wuth und Hohn machten seine Lippen zittern und drängten alles Blut aus seinem Gesicht. »Wie hätte es auch anders sein können? Vollenden Sie jetzt Ihr Vorhaben und Ihre Wortbrüchigkeit, Probst Fahlberg. Dort steht Ihr Candidat, Henrik Dartley, der auf Ihren Wunsch und mit Ihrem Willen gestern gefangen und gebunden an Bord der Corvette geführt wurde, heute an Ihr väterliches Herz gedrückt und nach Eidsvold geschickt wird.«
Der Probst senkte den Kopf.
»Gott sei mir gnädig!« sagte er seufzend, »ich habe schwer gefehlt und bin in großer Noth darüber. Wählt, liebe Mitbürger, wen Ihr wollt, Henrik Dartley wird Euch sagen, ob er Euer Abgeordneter sein kann.«
»Nein!« rief dieser, indem er vortrat; »ich kann und werde es nicht sein. Doch hier steht der Mann, dem ich meine Stimme gebe.« –
Er deutete auf Lars von Bunserud, reichte ihm die Hand und stellte ihn neben sich. – Zuerst war ein Schweigen überall, dann ein Murmeln, aber bald riefen Viele:
»Henrik Dartley hat Recht, Lars soll es sein, denn er ist wacker in allen Dingen, der stärkste und beste Mann weit und breit, hülfreich und verständig in Rath und That.«
Da flogen die Hände alle empor, alle Wähler nannten seinen Namen und Lars richtete sich stolz auf. Er sah edel und schön aus, wie ein freier Mann aus alter Zeit, der an der Tingstätte im Kreise des Volks seine Stimme erhebt.
»Ihr habt mich gewählt, liebe Freunde,« sprach er, und es soll Euch nicht gereuen, daß Ihr den Bauer in den Rath schickt; ich will Euch und dem Lande besser dienen, als der falsche Sorenskriver da, den ich anklagen will, damit er seinen Richter finde. Verständigkeit kann auch in der groben Jacke wohnen, und wie ich höre, sind in Eidsvold Bauern, Soldaten und Matrosen mit gelehrten und reichen Leuten vereint, ohne Unterschied des Standes, wie es gut und recht ist. So will ich denn gehen und Euch Ehre machen; denn Niemand soll da sein, der sein Vaterland mehr liebt, als Lars von Bunserud, der Bauer aus Grover.«
Die Männer drängten sich Alle herbei, voll Freude und Stolz, ihm die Hand zu schütteln.
»Wir wollen frei sein,« rief Niels Hansen, »frei wie unsere Väter waren. Dazu helft uns in Eidsvold, wir hier zu Hause wollen die Freiheit wachsen lassen und wollen sie bewahren mit Leib und Leben. Henrik Dartley hat davon gesprochen, die jungen Männer zu einem Schützenkorps zu sammeln. Wenn der Krieg ausbricht, sind wir alle dabei und wollen tapfer streiten, bis es zum guten Ende geführt ist.«
Lars sah lächelnd zu Henrik hin. Der Probst hielt ihn und Mary in den Armen, so daß alle drei sich fest umschlangen, und hinter ihnen stand der Doctor Magnus und schüttelte den Alten am Kragen, wobei sein rothes verklärtes Gesicht wunderlich hin und her wackelte.
»Der Henrik da,« sagte Lars, »wird sicher thun, was ein wackerer Mann thun muß, wenn das Vaterland ihn ruft; jetzt aber schlägt sein Herz ganz für die Jungfrau Mary, und das ist recht, Niels. Seine Heimath, sein Haus und sein Glück darin, muß der Mensch lieben und sorgen, sich das zu bewahren. So will ich denn auch für mein Haus sorgen, ehe ich über seine Schwelle trete,« fuhr er fort. »Komm her, Karina, und Du Niels Hansen, gieb mir Deine Hand. Hier ist meine Schwester, Du bist ein tüchtiger Kerl; willst Du sie zur Frau nehmen?«
»Ja!« rief Niels freudig, »und ich will sie lieb und werth halten, wie meine Augen. Karina, schlag ein! es soll Dir nimmermehr leid werden.«
Die Seterin schlug die Augen nieder, dann warf sie einen Blick nach Henrik und endlich einen schelmischen auf den tapferen Niels, der seine offene Hand ihr vorhielt.
»Nun, ich kann's wohl sagen,« rief sie, »Du bist ein schneller Bursche und hast heute Nacht wackere Dinge gethan; auch bist Du fleißig und es gedeiht, was Du anfassest. So nimm mich denn, Niels; wahrhaftig, es wird uns gut gehen, wir wollen Beide dafür sorgen.«
»Und für die Hochzeit,« sagte der Probst, »sorge ich. In Grover soll nie eine lustigere gefeiert worden sein. Zwei Paare will ich zur Kirche führen unter Goldkronen und Bändern; Karina soll neben Mary gehen, Niels neben Henrik; die Hochzeitsgäste sollt Ihr alle sein.«
Da war ein Jubel überall und ein freudiger Tag, denn aus den Vorräthen der Corvette erhielt Peter Klüver sein Eigenthum zurück; der Probst kaufte Speisen von ihm und Getränke und bis zum Abend war sein Haus mit frohen Menschen gefüllt. Am nächsten Morgen wurde das Schiff nach Bergen geführt. Lars reiste nach Eidsvold, und bald erscholl der Kriegsruf durch die Berge. Henrik sammelte hundert Schützen, die wackere Dienste leisteten; als aber der Friede kam und die Freiheit, als Fjord und Gebirge in den Strahlen der Sommersonne glänzten, da wurde eine Hochzeit gefeiert, wovon sie in Grover noch erzählen.
Henrik Dartley von Rothbergsland, Mary, Niels und Karina, sammt Lars und dem Doctor Magnus, den Brautführern, zogen mit Bändern und Blumen geschmückt zur Kirche, an der Spitze eines unabsehbaren Zuges, dem die geputzten singenden Hochzeitsbitter, Fiedler und Trompeter voransprangen; am Abend aber tanzte der Doctor mit den beiden Bräuten den Hallingtanz zur großen Lust aller guten Leute.
Jetzt leben sie beglückt und gesegnet im Frieden der Freiheit und des häuslichen Glücks.
Der Landrichter Oersteen ist längst verschollen; er wanderte nach Dänemark aus.