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Die gute alte Zeit.


Es war ein windiger kalter Septembertag im Jahre 1729, wo dunkle Regenwolken tief und schwer gefüllt über den Nachmittagshimmel zogen, als ein langer, ernsthaft blickender Mann über die alte Zugbrücke am Festungsgraben in Berlin ging, welche gerade dort stand, wo jetzt ein freier schöner Platz zwischen dem Palast des Königs und der Westseite des Zeughauses sich befindet. Wo das Opernhaus steht und die Universität, war ein Tannenwald, der über den Opernplatz hinaus die Gegend der Behrenstraße und den Anfang der Linden einnahm, welche damals bei weitem nicht so lang waren, wie jetzt. Die Kurfürstin Dorothea hatte die Bäume wohl mit eigener Hand gepflanzt, aber manche waren nicht weiter gewachsen; auch hatte man Straßen angelegt, rechts und links, und was unvollendet geblieben, hatte der prachtliebende König Friedrich der Erste nachzuholen gesucht.

Es ging aber damals so, wie jetzt: man speculirte und projectirte, suchte neue Vortheile und vernachlässigte das Nächste. So wuchsen die Häuser da und dort aus dem Boden, und die Einwohner vermehrten sich bedeutend; es waren aber noch immer viel zu wenige für den großen Raum, obgleich die Stadt mehr als hunderttausend zählte, während kaum achtzig Jahre vorher der dreißigjährige Krieg nicht zehntausend übrig gelassen hatte.

Zwischen den einzelnen schönen Häusern in den Straßen der Friedrichs- und Dorotheenstadt standen daher elende Baracken und lange Zaunwände; unter den Linden, wo jetzt Paläste in Reihen stehen, zogen niedere Häuser hin, schiefhängend, lückenhaft, Kneipen der gemeinsten Art, in welchen Gesindel und Schifferknechte sich lustig machten.

Nach dem Flusse zu war ein Sumpf, durch welchen Knüppeldämme und Bockbrücken führten, und über das Pallisadenthor am Ende der Linden, streckte der Wald seine hohen Bäume herein und schüttelte die nassen Blätter auf den einsamen Wanderer, der seinen Fuß in die wenig betretenen Gänge setzte. Sturm und Regen schienen jedoch keinen Eindruck auf jenen zu machen. Er rückte den Hut ein wenig tiefer in die Augen, als er sich zwischen dem Gebüsch befand, steckte die Hände in die Taschen seines alten Rockes, der nach der Zeitsitte lang und breit genug war, um ihn fest einzuhüllen, und ging mit großen Schritten, ohne Eile, den Kopf tief gebeugt, in der Dämmerung weiter, als er plötzlich durch ein kräftiges »Halt!« aus seinem Nachdenken gestört wurde.

Wie er aufsah, erblickte er einen Mann vor sich, der sein dickes spanisches Rohr gegen ihn ausstreckte und es dann sinken ließ, um sich darauf zu stützen. – Sein Hut, sein grüner Rock mit blanken Knöpfen, seine gelben hirschledernen Handschuhe und die weit heraufgezogenen Stiefel kündeten einen wohlhabenden Bürger an. Sein Gesicht aber, das ernsthafte, stolze und harte Züge hatte, und der rauhe befehlende Ton, mit dem er seine Fragen stellte, schienen einem Beamten eigen, der im Gefühl seiner Macht so zu thun gewohnt war.

»Was hat Er hier einsam umherzulungern?« sagte er. »Wer ist Er? hat Er nichts Besseres zu thun? kann er nicht arbeiten?«

»Wenn's an's Fragen ginge,« erwiederte der Spaziergänger ärgerlich, »so könnte ich ganz dasselbe Ihm antworten. Wer ist Er denn, daß er sich erlaubt, mir hier den Weg zu versperren?

»Oho! oho!« – rief der grüne Herr, indem er jäh auflachte und befremdlich verwundert that. – »Will Er mir sagen, was ich darf und nicht darf? Kennt Er mich nicht?«

»Nein. Auch habe ich keine Luft, Seine Bekanntschaft zu machen.«

»Er ist ein Grobian,« sagte der Andere heftig, aber er sagte es weit milder als vorher. »Steh' Er still. Ich bin der Wildmeister hier im Thiergarten und habe ein Recht, zu fragen, wer Er ist. Wird der Herr nun antworten oder nicht?«

»Was kann's Ihm nutzen oder schaden?« versetzte der große Mann, »und wenn Er's weiß, was kann's mir helfen? – Wildmeister!« fuhr er ingrimmig fort, »Das ist auch so ein Posten, ehrliche Leute zu placken und die Hände selbst in den Schooß zu legen. Fasanenmeister, Wildmeister, Kellermeister, Küchenmeister, Gott weiß es, das Geschmeiß ist hier zu Hause, schmaust und zecht vom Morgen in die Nacht, bestiehlt seinen Herrn, lügt und betrügt, schwenzelt und scharwenzelt und weiß nicht vor Hochmuth, wo aus noch ein.«

»Er ist wohl ein Schulmeister oder gar ein Schwarzrock?« sagte der Wildmeister den Eifernden bedächtig anblickend.

»Ich machte mir nichts daraus, wenn ich's wäre,« versetzte der mit dem langen Rock. »Wenn Er's aber durchaus wissen will: ich bin der Lieutenant Rädel.«

»Ein Lieutenant!« rief der Wildmeister erstaunt, indem er einen Schritt zurück trat. »Was, zum Henker! groß genug ist Er, und den Körper hält Er auch gerade, wie es einem Soldaten zusteht, aber das hätte ich dennoch nicht in Ihm vermuthet. Wie kommt Er denn in den alten grauen Rock?«

»Wie kommt Er denn in den neuen grünen?« erwiederte der Lieutenant barsch. »Ich habe keinen andern, Er wird freilich wohl mehre haben. Meine Schuld ist es nicht, aber Jeder in seiner Art, und wer von Glück nichts weiß, wessen Antheil Kummer und Sorge ist, der muß froh sein, wenn ein alter grauer Rock um seinen Leib sitzt, was allemal besser ist, als gar keiner.«

»Da hat Er Recht,« rief der Wildmeister, »und auf die Farbe kommt's nicht an, das Kleid macht auch den Mann nicht, aber ich merke es, Er wird so ein abgedankter Mensch sein, der nicht weiß, was er machen soll, nichts zu beißen, nichts zu brechen, Familie wohl auch und höchstens einen Gnadenthaler, oder so etwas. Wie? hab ich Recht?«

»Nur zu Recht,« versetzte der Lieutenant seufzend. »Ich habe gedient, mit dem Sponton, im Regimente Anhalt, bis ich im Feldzuge in Pommern einen steifen Arm bekam. Wurde ausrangirt, sollte einmal angestellt werden und hungere noch darauf.«

»Hat Er sich denn nicht gemeldet?« fragte der grüne Mann. –

»Gemeldet? Hundert Mal! aber ein armer Teufel ohne Connaissancen, ohne einen Weg über die Hintertreppe, da wird's nichts.«

»Da hätte Er sich an den König wenden sollen.«

»An den König? Als ob ich's nicht gethan hätte! Abgewiesen, an's Kriegscollegium geschickt, da lernt man warten und fluchen.«

»Fluchen muß er nicht,« sagte der Wildmeister ernsthaft; »es hilft nicht und ist gotteslästerlich. Er muß sich noch einmal an den König wenden.«

»Es hilft Alles nichts,« rief der Lieutenant, »und bei dem am wenigsten. Er ist ein Knicker, dreht den Groschen zehn Mal um, ehe er ihn aus der Tasche holt, und so ein alter lahmer Soldat, wie ich, hat für ihn keinen Werth.«

»Er ist ein Narr, Lieutenant!« versetzte der Wildmeister, »es ist nicht wahr, was er da sagt. Der König kann nicht jedem helfen, aber einen alten Kameraden läßt er nicht in der Patsche sitzen, wenn er weiß, es thut noth.«

»Ja, wenn ich ein Schwein wäre,« rief der Lieutenant boshaft lachend, »daß er's schießen und an die Juden verkaufen könnte, da würde er schon nach mir ausblicken. Haben will er, aber nichts geben. Er ist vom Stamme Nimm; lobt ihn, wie Ihr wollt, ich kenne ihn besser.«

»Ihr seid ein ungerechter Mann, Freund,« versetzte der Vertheidiger des Monarchen. »Weil's Euch schlecht geht, darum seid Ihr ein Raisonneur geworden,« –

»Ein Raisonneur!« sagte der Lange. »Freilich, so nennen sie Alle, die um der Wahrheit willen nicht schweigen können, oder denen der Kummer am Herzen sitzt. Was sagte ich, das ungerecht wäre? Er schaufelt's Geld zusammen in seiner Schatzkammer, wo es Berge hoch liegt, knappt's ab, wo es irgend geht, spart und spart, mag's herkommen, wo es will, und fragt nichts darnach, ob arme Leute darben und verkümmern.«

»Was wißt Ihr denn davon, Lieutenant, ob er das thut und warum er das thut?« erwiederte der Wildmeister zutraulich. »Ihr könnt's nicht einsehen, wie viel Geld der König nöthig hat, was er braucht oder was seine Nachkommen brauchen. Sparsamkeit muß sein, die hat der Fürst und der Bettler nöthig. Ein Verschwender ist ein Taugenichts, Jeder muß suchen, was er hat, zu mehren und anderes dazu zu erwerben; wer das nicht thut, der ist selbst Schuld, wenn er einmal darben muß.«

»Aha,« versetzte Rädel spöttisch, »deßwegen sitzt er wohl auch und malt schlechte Bilder, holländische Landschaften, und verkauft sie den Juden, die sie ins Ausland bringen, wo sie als Curiositäten einen hübschen Handel damit treiben und ihn auslachen.«

»Donnerwetter!« rief der Wildmeister, indem er seinen Spanier wie zum Schlagen faßte und eine zornige Röthe sein Gesicht überflog, »jetzt halt' Er sein Maul!« –

Im nächsten Augenblick aber ließ er den Stock sinken und fuhr beruhigter fort:

»Ich kann's nicht hören, wenn man auf den König raisonnirt, der's, Gott weiß es! gut mit Allen meint, wenn sie nur thun, was er befiehlt, aber ich will Ihm etwas sagen: Erzähl' Er mir seine Geschichte, und so wie ich Gelegenheit habe, mit dem allergnädigsten Herrn zu sprechen, was wohl bald geschehen kann, will ich ein gut Wort für ihn einlegen.«

»Was ich zu sagen habe, ist schnell gethan,« versetzte der Lieutenant. »Rädel heiß ich, bin seit einem Monat mit einer Frau und zwei Kindern aus Preußen hieher gekommen, und um nicht die armen Würmer verhungern zu lassen, habe ich demüthig gebeten, bei der Kriegskanzlei mir ein paar Bogen zum Abschreiben zu geben.«

»Bogenschreiber!« fiel der Wildmeister mit sichtlichem Abscheu ein. »Pfui Teufel!«

»Es ist freilich keine Arbeit für einen Offizier,« sagte jener, »aber,« hier senkte sich seine rauhe Stimme und zitterte leise – » Hunger thut weh! Und wenn er Kinder hat, Herr, Kinder, die Er liebt, ein armes Weib, die mit ihm leidet und schweigt, deren blasses Gesicht aber jeden Morgen, wie ein aufgeschlagenes Buch vor Ihm schwebt, dessen Buchstaben wie Flammen in Sein Herz brennen, dann wird Er mich verstehen. Ich wollte gern arbeiten, gern, wie sauer es mir auch wird, aber in den letzten Tagen habe ich nichts zum Schreiben bekommen können, und seit gestern« –

»Nun, was seit gestern?«

»Haben wir nichts zu leben,« sagte der Lieutenant.

Es entstand eine Pause zwischen den Beiden, die der Wildmeister damit ausfüllte, daß er seinen Rock aufknöpfte, aus der Tasche seines Beinkleides eine große gestrickte Börse hervorzog, auf welche er einige zweifelhaft wagende Blicke, und dann einen langen, prüfenden auf seinen Begleiter warf, der, eine Röthe der Angst oder der Scham in seinen vergrämten Zügen, die Augen fest auf den Boden richtete, während sein Ohr das Geldgeklimper hörte.

»Kamerad,« sagte der Mann im grünen Rock mit zutraulichem Tone, »Ihr erzählt mir da eine schlimme Geschichte, und ich habe wohl Lust, Euch zu helfen, das heißt, versteht mich wohl, Euch eine kleine Summe zu leihen, bis es einmal besser geht.«

»Es geht doch niemals besser,« murmelte der Lieutenant vor sich hin.

»Ah, Narrenspossen!« rief der Wohlthätige, »es wird besser werden, und dann zahlt ihr mir das Geld wieder; wird's nicht besser, nun meinetwegen, so mag es verloren sein. Haltet die Hand auf, ich will es Euch hineinzählen, und paßt auf! wenn Ihr genug habt, sagt es.« –

Der arme Lieutenant that fast maschinenmäßig, was der Wildmeister wollte. Ein Zittern der Freude fiel in seine Brust, seine Augen wurden naß und trübe; er dachte an seine einsame Wohnung, an die dunkle, enge Treppe, wie er da hinaufkommen würde, in die niedere Stube, und die Kinder, die blasse Frau!

»Nun,« sagte der Wildmeister, »wie ist es? Ihr habt zwar eine recht hübsche, große, breite Hand, aber da: dreiundzwanzig, vierundzwanzig, mehr gehen nicht hinauf, und daran habt ihr auch wohl für's Erste genug, Kamerad! Wie?« –

»Mein Gott!« rief der Lieutenant, indem er auf das Geld starrte, »es sind ja holländische Ducaten!

Der Grüne lachte ganz erfreut hell auf, schlug einen Knoten und senkte seine lange Börse in die Tasche. –

»Steckt ein, steckt ein!« rief er und schlug den Lieutenant auf die Schulter, »und nun macht, daß ihr nach Hause kommt, daß die Kinder zu essen bekommen. Wo wohnt Er denn, Kamerad?« –

»In der Bischofstraße dicht an der Ecke des Marktes,« sagte der Lieutenant.

»Fort also, so geschwind Er kann! Mein Geld werde ich mir fordern, wenn es Zeit ist, und an Ihn denken werde ich auch; Er soll von mir hören, Lieutenant Rädel; werde mich informiren über Ihn und für Ihn sprechen. – Oho! oho! es giebt spitzbübisches Gesindel genug, Betrüger und Schufte überall, aber ich will sie schon fassen, will sie schon molestiren.« –

Dabei ging er den Gang hinab und entfernte sich von dem Lieutenant, der noch immer nicht recht wußte, was er thun und lassen sollte. – Plötzlich aber stand der Wildmeister still und kam zurück.

»Hör er, Lieutenant, noch Eins,« rief er schon von Weitem: »Sein Wort darauf, daß Er keinem Menschen etwas von der Affaire sagt. Käme sonst Mancher, wollte Geld von mir haben; und noch Eins, wovor ich Ihr warnen wollte. Raisonnire Er nicht, nicht über den Staat und nicht über den König! Der versteht keinen Spaß; und Einen Hals hat Jeder nur; aber Stricke giebt's genug, und sind nicht theuer. Also still, versteht Er mich? ganz still! Geh' Er jetzt nach Hause und ess' Er sich satt, einem Hungrigen ist Manches zu verzeihen. Was?« –

Er lachte, hob seinen Stock drohend auf und ging rascher als vorher davon, ohne sich weiter umzusehen.

Der Lieutenant wollte ihm nachlaufen, ihm danken, aber er wußte nicht, wie es kam, es war ihm unheimlich ums Herz bei aller Freude. Der Wildmeister hatte etwas in seinem Wesen, welches das herzliche Wort auf der Lippe zerbrechen konnte. Eine Furcht faßte den Beschenkten an, es könne Alles eitel Lug und Trug sein. Er zog die Ducaten rasch aus der Tasche, ob jetzt etwa Kohlen oder Steine daraus entstanden seien, doch es waren und blieben holländische Ducaten.

Der Geber war über alle Berge und der arme freudenvolle Vater lief nun, was er konnte, zum Thore hinein, über die Sumpfstellen ohne Auswahl, über die Brücken, durch den Lustgarten bei den Orangenhäusern vorüber, und es war noch heller Tag, als er am neuen Markt anlangte, wo er plötzlich durch einen gewaltigen Lärm und einen Haufen drängender schreiender Menschen aufgehalten wurde. Ehe er sich's versah, war er mitten darunter. Er wand sich durch das Volk, wie es ging, um drüben nach seiner Wohnung zu kommen, aber endlich stand Alles Kopf an Kopf, und er hatte lange zu fragen, was der Auflauf bedeute, ehe er rechten Bescheid erhielt. Endlich drehte sich ein Mensch nach ihm um in einer Arbeitsjacke, einem Schurzfell und einem abscheulich häßlichen Gesicht, über dessen niederer Stirn ein Wald von brennend rothen Haaren saß.

»Was es hier giebt, lieber Herr?« sagte er, »ich glaube, es wird nichts Gutes. Sehen Sie da drüben das Haus?«

»Die neue Wache?« versetzte der Lieutenant.

»Freilich, die neue Wache,« rief der Rothhaarige, »da haben sie eben ein paar treue Seelen eingesperrt, lieber Herr, die sollen heraus, darum sind wir hier und haben sie begleitet. – Kennen Sie die Petrikirche da unten hinterm Schloßplatz? die läßt der König bauen und will, sie soll fertig sein, so geschwinde wie möglich.« –

»Ja, das will er. Da hat er Recht,« erwiederte Rädel.

»Freilich hat er Recht,« schrie der kleine Kerl, »das ist es ja eben, aber da sind wir nun alle, Maurer und Zimmerleute, ich bin ein Maurer, lieber Herr, und Niemand von uns soll blauen Montag machen. Arbeiten sollen wir, so lange es Tag ist.« –

»Wenn's der König will und wenn er's bezahlt, könntet ihr es wohl thun.«

»Freilich könnten wir's thun, aber sie wollen ja nicht,« schrie der kleine Kerl kläglich, »schlagen Jedem Arm und Bein entzwei auf der Herberge, der die Stelle anrührt. Blauer Montag ist gewesen, so lange die Welt steht. Kreuz Element, sie schreien und wollen nicht, haben sich zusammengerottet, alle Gesellen, und da ist nun der Commandant gekommen, redet zu, wie es eine gute Obrigkeit thut, aber sie wollen nicht, wollen partout nicht!«

»Da fürchte ich, wird er Gewalt gebrauchen.«

»Freilich wird er Gewalt gebrauchen,« sagte der Rothhaarige ganz kleinmüthig, »aber sie haben sich das Wort gegeben, die ganze Brüderschaft. Er kann reden, was er will. Ach Gott! ich habe so eine Ahnung, daß es uns schlecht geht, und mir mit.« –

»So mach', daß Du fortkommst, dummer Kerl,« sagte der Lieutenant, lachend über die Grimassen.

»Ach, freilich, wie gern thä ich's, lieber Herr. Ich liefe den Augenblick, aber sie haben sich ja das Wort gegeben, Alle für einen Mann zu stehen, und ich könnte nicht wieder auf die Herberge kommen; Keiner würde mit mir arbeiten, ich behielte kein ganzes Gebein, wenn ich ausrisse.«

In dem Augenblick drängte sich ein Offizier zu Pferde in den Kreis, ein kleiner dicker General mit rothem Gesicht, das vor Anstrengung und Ärger bläulich aufgeschwollen war.

»Ich sag's Euch zum letzten Mal,« schrie er halb heiser schon vom Reden, »ich, der Commandant, Caspar Otto von Glasenapp. Wollt Ihr Vernunft annehmen oder nicht, Ihr Ochsenzeug? Der König hat's befohlen, und wer den Befehl nicht befolgt, dem soll's schlecht bekommen! – Kinder, hört, was ich Euch sage, Canaillenbrut! wollt Ihr jetzt gehen und arbeiten, oder soll ich Euch Alle ins Hundeloch schmeißen lassen?« –

Seinen Worten folgte eine tiefe Stille, aber Keiner antwortete. Hinter der Masse der Arbeiter stellte sich jedoch eine Reihe Soldaten auf, schied diese von dem neugierigen Volke, theilte Püffe aus, wo dies nicht schnell genug wich, und stieß auch den kleinen Rothhaarigen zurück, der gegen den Lieutenant taumelte, sogleich aber vorsprang und zu dem Korporal, der ihn so rauh behandelt, mit aller Hitze sagte:

»Ich will dabei sein, Kreuz Element! ich will auch dabei sein, blauer Montag soll leben! – Platz da! und nicht gestoßen, Herr!«

Der große Soldat drehte sich um und faßte den Knirps beim Kragen.

»Was, Du mucksest noch?« schrie er. »Gehörst Du auch zu der Bande?« –

»Freilich gehöre ich dazu,« sagte der Ergriffene, unerschrocken zappelnd, während seine Zähne klapperten. »Ich will mein Recht haben, es lebe das gute alte Recht!«

Der Korporal streckte die Hand zwischen zwei Soldaten und öffnete so eine Gasse, durch die er den Maurer in den Kreis stieß.

»Wart',« rief er, »Dein Recht soll Dir werden, morgen soll der Profoß –«

Der Rest ging verloren, denn die Gesellen schrieen plötzlich alle:

»Es lebe das alte gute Recht! blauer Montag! wir wollen nicht arbeiten, es ist unser Recht, keine Hand gerührt, Brüder!« –

»Marsch mit den Halunken!« rief der Commandant, »ins Loch! wir wollen Euch schon den blauen Montag versalzen, Ihr faulenzendes Pack.« –

Die Soldaten drängten die ganze Genossenschaft zusammen und bemächtigten sich ihrer. Ein Paar leisteten unter den Kolbenstößen einen ohnmächtigen Widerstand, die Meisten aber ergaben sich willig sofort in ihr Schicksal, und noch an dem Wachthore hörte man sie schreien, daß kommen möge, was da wolle, nicht einen Hammer würden sie anrühren, denn Recht müsse Recht bleiben.

Das Volk umher hatte größtentheils Partei für die Arbeiter ergriffen. Mit Geschrei und Spott verfolgte es die Soldaten, aber der Respect war doch so groß, daß Niemand anders als mit der Zunge Antheil nahm; und wie es so zu geschehen pflegt, es bildeten sich Gruppen, die über das Recht oder Unrecht der Sache stritten, gute Rathschläge zum Besten gaben, vorsichtig erwogen, was nun kommen werde, was die Gewerke machen würden, und was der Commandant oder gar der König; endlich aber verliefen sie sich und gingen nach Hause.

Lieutenant Rädel hatte das längst gethan. Kaum bewegte sich der Zug der Gefangenen, als er eilig sich durch die Volkshaufen drängte und mit großen Schritten durch die enge Gasse über den Kirchhof seiner Wohnung zueilte. Mit Herzklopfen stieß er die alte eisenbeschlagene Thür auf, nahm auf der dunklen Treppe immer drei Stufen mit einem Male und achtete es nicht, daß er den Kopf fast zerstieß, als er, ohne sich gebückt zu haben, ins Zimmer trat.

Der arme Lieutenant blieb stehen, als er drinnen war und seine Frau in der tiefen Dämmerung am Fenster sitzen und nähen sah. Es ward ihm weh ums Herz, und doch schwoll das Glück innen; er wußte nur noch nicht recht, wie es zu Tage brechen könnte.

»Guten Abend, Sophie,« sagte er; »zum Henker, was machst Du da? Man sieht die Hand kaum, und Du regierst die Nähnadel? Ein paar Augen hat man nur; wenn Du blind geworden bist, was machen wir dann?«

»Es ist für die Nachbarin, die Bäckerfrau, eine Haube,« erwiederte die Frau sanft. »Licht ist theuer. Sprich leise, Du weckst die Kinder auf, sie sind eingeschlafen, ich gönne' es ihnen. Die Bäckerin hat mir ein Brod gegeben, mit dem Beding, ihr die Haube heut noch zu liefern. Da habe ich eine schöne Suppe bereitet, und für Dich noch etwas aufbewahrt.«

Der Lieutenant lachte laut auf und schlug beide Arme um die Frau, die zu ihm gekommen war. Er küßte sie und schrie wie besessen:

»Was Suppe, was Bäckerfau, was Licht, was Nähnadel! Laß die Kinder aufwachen, sie sollen essen; und Du, arme, gute Sophie, Du sollst Deine Augen nicht verderben, nein, das sollst Du nicht! Ich habe einen Vertrag gemacht mit einem Wildmeister, mit einem Kobold, mitten im Walde, mit dem wilden Jäger meinetwegen, der plötzlich aus der Erde kam, oder aus der Luft, oder aus einem hohlen Baume, und wieder verschwand, was weiß ich's, ich weiß es nicht! Aber was thut's, er hat geholfen und wird weiter helfen, mich empfehlen zum Dienst bei Hofe und das wird er gewiß thun, weil er sein Gold wieder haben will.«

»Allmächtiger Gott!« rief die Frau zurücktretend, »Was ist mit Dir geworden, Rädel? Du warst immer ein besonnener, nüchterner Mann mitten in aller Prüfung; wer hat Dich zum Trunk verleitet? Oder hat der Schmerz über unser Elend gar Deinen Verstand verwirrt? Besinne Dich doch, besinne Dich doch!« –

Sie schüttelte seinen Arm.

»Ich bin so besonnen, wie ich nur sein kann,« sagte der Lieutenant, weit ruhiger werdend, »die Freude machte mich nur berauscht. Aber hier sieh!«

Er zog aus der Tasche die Ducaten und nun nahm er die Frau auf seinen Schooß und erzählte ihr den ganzen Hergang, bis beide in dem Gefühl ihrer bitteren Noth und der Hülfe, die ihnen so plötzlich gekommen, das ganze Entzücken empfanden, das unerwartet Glück über den Geplagten bringt.

Es wurde auch sogleich Anstalt gemacht, den Segen zu benutzen und zu sehen, ob die Goldstücke ächt seien. Fleisch, Butter und allerlei Waaren wanderten in die Küche, wo das Feuer aufloderte, der Kaufmann hatte sich über den neuen Ducaten höchlichst verwundert und mit besonderm Blick die Frau Lieutenantin betrachtet, aber doch gern dabei die kleine Rechnung aus dem Schuldbuch gestrichen.

Ein ganzer Haufen Geld lag nun auf den Tisch, und die armen Kinder tippten neugierig, ängstlich mit den Fingern darauf, und klatschten in die kleinen Hände, als der Vater das Gold klingen und umwirbeln ließ; aber sie wurden noch weit lustiger, als ein weißes Tischtuch, ob es auch an mancher Stelle geflickt war, auf die Platte gelegt wurde, als nun gar zwei Lichter kamen, und dann die Teller und Messer und endlich das dampfende Fleisch, Kartoffeln, Butter, Bier, lauter Herrlichkeiten, die sie im Voraus schon mit den Augen lüstern musterten und gewandt ihre Fragen und Worte zu stellen wußten, bis die Mutter noch mehr heraus rückte, und bis endlich nichts mehr Platz hatte und doch noch das Verlangen wach war. –

Es war ein glücklicher Abend für die arme Familie, der bis tief in die Nacht fortgesetzt wurde; denn die Eltern hatten viel zu reden, viele Plane zu machen für die Zukunft, viele Luftschlösser aufzubauen, und wie sie das Geld anlegen wollten; was zu kaufen wäre für die Kinder und für sie selbst; was dringend sei und was überflüssig. Dazwischen aber spielte der grüne Wildmeister seine Rolle auch weiter, wie ein hülfreicher Zauberer, und der Lieutenant ließ es sich nicht nehmen, daß er ein Wesen gehabt habe, dem man wohl zutrauen könnte, er hielte Wort; übrigens aber sei er zähe, wie ein Teufel, mit den Ducaten gewesen, und wäre es auch nur darum, so würde er schon sehen, daß er ihm diene; seiner Sache sei er gewiß.

Mit solchen schönen Hoffnungen schliefen sie ein und erwachten am nächsten Morgen mit keinen geringeren, was den meisten Sterblichen nicht passirt; denn Hoffnungen halten selten den Kampf aus mit den Zweifeln, den blassen Gespenstern, die geheimnißvoll mit ihnen geboren werden und immer größer wachsen, immer dunkler sich vor die rosenfarbig schimmernden kleinen Hoffnungsengel drängen; düstere Schatten, in denen das Licht erstirbt, noch ehe es in Wahrheit Nacht geworden. –

Lieutenant Rädel ging aus und kam belastet wieder mit allerlei Eingekauftem. Die Kinder wurden bekleidet, die Mutter war bedacht: sogar einen Fischbeinrock, eine Haube mit Silberborten und Handschuhe von schwarzem Filet hatte der zärtliche Gemahl erstanden; nur für sich allein hatte er nichts gethan.

»Der Rock geht noch,« sagte er, »er ist rein und ganz, Stiefel und Hut sind im besten Stande, ich könnte dem Könige so aufwarten; aber das Herz geht mir vor Lust über, daß die Kinder nun zu neuen Monturen gekommen sind, und Du, meine gute Sophie, nicht minder Dich sehen lassen kannst, wie es einer ehrbaren Frau zukommt. Und daß Ihr's wißt,« fuhr er fort, »heut wird spazieren gegangen. Das Wetter ist schön, wir wollen Alle hinaus, in den Thiergarten, da sollt Ihr die Stelle sehen, wo der Grüne plötzlich vor mir stand, und vielleicht kommt er wieder zum Vorschein, dann können wir ihm alle danken, so recht von Herzen. Das wird mir leicht werden, wenn ich Euch anschaue, und so hart er aussieht, es wird ihm doch auch charmiren; denn wie ich von Weib und Kindern sprach und deren Noth, da sah ich wohl, wie's ihn angriff.«

In der Nachmittagszeit wurde das große Vorhaben richtig ausgeführt. Die ganze Familie in den neuen Gewändern stolzirte die Straße hinab und über den neuen Markt, in dessen Mitte zwischen den Fässern, Körben und Buden der Galgen seine langen Arme drohend ausstreckte, betrügerischen Händlern und jeder Art von Missethätern zur Warnung, die sich aber freilich zu allen Zeiten nicht davon eben sonderlich schrecken ließen. Bis vor wenigen Jahren hat dort in der Marktmitte ein Galgen mit Halseisen und allerlei Henkerzierrath gestanden, obgleich seit Menschengedenken keiner mehr daran gehenkt wurde. Ich erinnere mich nur, daß er schwarz und weiß angestrichen war, daß bei unseren Knabenspielen die Halseisen zur Belustigung gebraucht wurden und daß an seinem einzigen dünnen Arm zwei entsetzliche Sudelbilder angenagelt worden, die mit gebundenen Händen, den Strick um den Hals, zwei Offiziere darstellten, welche in der Kriegszeit zu den Franzosen übergegangen waren.

Damals aber war der Galgen ein düsterer alter Pfeiler, der sechs eiserne gewichtige Arme ausstreckte, welche nicht selten voll Früchte hingen, die nur der Henker mit seinem Messer pflückt. Ein Gitter zog sich um den schauerlichen Platz, der viel Entsetzliches gesehen, von den Tagen an, wo man hier die dreißig Juden auf Scheiterhaufen, etagenweise, verbrannte und oben auf der Spitze den Kesselflicker, der ihnen die geweihte Hostie verkauft, welche sie mit Nadeln durchstochen und angespieen hatten, bis auf Lippold, den Zauberer und Hofjuden Joachims des Zweiten, der auch an dieser schrecklichen Stelle auf dem Rade starb, und so durch alle die grausamen, wilden Zeiten und strengen Regimente hinab, bis zum Tage, von dem wir reden.

Das Söhnchen des Lieutenants blieb neugierig stehen, sah die Fetzen von den Stricken an, mit denen oben am Pfeiler der Wind spielte und sagte zu seinem Schwesterchen:

»Siehst Du, Martha, hier bringen sie die armen Sünder her mit gebundenen Händen und hängen sie auf. Und wer einmal da sterben soll, den ruft der Galgen, sagt die alte Susanne, wenn er vorbei geht, darum bleiben die Bösewichte auch hübsch weit davon.« –

In dem Augenblick fegte der Wind heftig über den Platz. Die Halseisen unten an ihren Ringen schlugen klirrend zusammen, oben aber streifte der Wirbel den Strick von dem eisernen Arm, drehte ihn in die Luft und schleuderte ihn dicht vor die Füße des Lieutenants, der ihn unmuthig mit dem Fuße fortstieß. –

»Was schwatzt der Junge!« sagte er und sah zu dem Todesgerüst auf. »Es ist wohl Mancher da gestorben, dessen schuldlos vergossen Blut noch jetzt zum Weltenherrn um Rache schreit; manch anderer aber ist auf Eiderdunen sanft und selig eingeschlummert, der tausendmal Strick und Rad werth war. Dummes Zeug mit dem Wahrzeichen! Wie lange wird's dauern, ehe die Menschen aufhören, sich wie die Bestien zu behandeln?«

Der philosophische Herr unterbrach seine Betrachtungen, die er mehr vor sich hinmurmelte, als an seine Begleiter richtete, um einen Gruß zu erwiedern, der ihm durch das Gitterfenster des Stockhauses in der Wache zugesandt wurde, an der sie eben vorüber gingen. Hinter den Eisenstäben stand der kleine häßliche Maurer mit dem brandrothen Haar, der gestern bei dem Aufstande sich so redelustig, friedfertig und als braver Kamerad bewiesen hatte. Er machte seinem Bekannten einen tiefen Diener, indem er zugleich ein klägliches Gesicht schnitt und heftig mit den Schultern zuckte.

»Was hab' ich gesagt, lieber Herr?« rief er. »Hab' ich's nicht gesagt? Freilich hab' ich's gesagt. Es wird uns Alle ein Bißchen schlecht gehen. Nun sitzen wir hier im Loche, und meine alte Mutter sitzt zu Haus, das alte Weib, und heult. Ich kann's doch aber nicht ändern.« –

»Werdet ihr denn nicht losgegeben?« fragte der Lieutenant theilnehmend.

»Freilich werden wir losgegeben!« rief der häßliche Kerl. »Wir fürchten uns nicht; alle Menschen geben uns Recht und es ist auch Recht. Blauer Montag ist so gut, wie Sonntag. Der liebe Gott hat ihn eingesetzt. Müssen denn arme Leute, wie wir, sich nicht doch genug placken und schinden und haben kaum das liebe Leben? Wenn's der König hört, wird er schon sagen: laßt sie los, und wird den Soldaten die Jacken ausklopfen, die uns so unbarmherzig geprügelt haben.«

»Aber das kann noch länger dauern, als Ihr denkt,« sagte Rädel gutmüthig lächelnd.

»Freilich kann's länger dauern,« erwiederte der Rothhaarige kläglich leise, »Das ist es ja eben. Und das alte Weib sitzt zu Hause und hat nichts zu beißen und brechen.«

Der Lieutenant fuhr in die Tasche, suchte hin und her und zog endlich die Hand wieder heraus. Er zuckte ungewiß, sah Frau und Kinder an, als überlegte er, ob es derentwegen recht sei, was er thue; plötzlich aber steckte er die Finger durch das Gitter und ließ einen seiner blanken Dukaten in die grobe Tatze des kleinen Kerls gleiten.

»Freund,« sagte er, »ein Mann, den ich nicht kenne, hat mich beschenkt, und es soll vielleicht so sein, daß ich eben nichts Anderes habe, als das Gold hier. Nehmt's und gebt's der alten Frau, daß sie nicht hungert; wenn Ihr aber danken wollt, so dankt nicht mir, sondern dem unbekannten Wohlthäter, der mich damit bedacht hat.« –

Der Maurer hatte das Wenigste wohl recht gefaßt. Er sah das Goldstück an und schrie dann dem Forteilenden nach:

»Gottes Segen über den Wohlthäter, grüßen Sie ihn vieltausendmal, lieber Herr, und das alte Weib soll für ihn beten, so lange sie lebt.«

»Macht fort, macht fort!« sagte der Lieutenant zu den Kindern, »wir haben einen weiten Weg bis zu den Zelten, und wenn Ihr die Hirsche sehen wollt, so müssen wir noch ein gut Stück marschiren. Aber, Ihr armen Schelme!« fügte er mitleidig hinzu, »ich glaube, wir haben kein Geld um einzukehren. Muß mir der Kerl auch kommen mit seiner alten Mutter und ich hatte nichts als … Du wirst schelten, Sophie, aber es ging nickt anders.« –

Die blasse, freundliche Frau drückte ihm mit einem stummen entzückten Lächeln die Hand.

»Du guter Mann,« sagte sie, »Du weißt, wie die Noth dem Armen thut. O! der Arme ist immer mildthätiger als der, welcher Elend nicht kennt, und Du hast ganz und gar ein Kinderherz, so weich und milde, obwohl Du ein Kriegsmann gewesen bist.«

»Oho!« sagte der Lieutenant lachend, »wo es noth thut, rauh und stolz oder grob zu sein, da fehlt es mir auch nicht. Hätte ich den Wildmeister nicht so mächtig angeschnauzt, er würde nichts herausgerückt haben. Fuchswild hatte mich der Gedanke gemacht, daß ich nichts thun könne, um Brot für Euch zu schaffen. Darum jammert mich der arme Kerl so da in der Wache, welcher der alten Mutter auch nicht helfen kann. Es ist ein Unsinn von den Maurern, daß sie auf ihre alten Handwerksgebräuche so streng halten. Sie sollten's wohl bedenken, daß mit großen Herrn schlecht Kirschenessen ist, aber Recht haben sie doch. Wenn sie nicht wollen, müßte man's achten, weil's altes Herkommen ist, und sie halten ja sonst so viel auf allen alten Plunder. Aber die Mächtigen wollen nur ihren Willen. Gewalt ist mehr als alles Recht und es ist eine schlimme Zeit, Frau, wenn man's so mit alten Geschichten vergleicht, die in der Chronica stehen, wo jeder Mann ein freier Mann war, wo Recht gesprochen wurde in der Gemeinde. Das kostete nichts und war für jeden da. Niemand war so hoch und so reich, daß er seine Mitmenschen unterdrücken und das Gesetz ihn nicht erreichen konnte. Jetzt ist es anders, daß Gott erbarme!« –

»Still, still!« sagte die Frau begütigend, »ich habe immer Furcht, wenn Du so redest, weil die Menschen doch sind, daß nichts daran zu ändern ist, wie es ist, so muß man's lassen, damit man nicht in Schaden kommt. Vielleicht wird's einmal besser für unsere Kinder, oder deren Nachkommen. Laß uns Gott bitten, daß er uns glücklich macht, wie es eben sein kann. Und da liegen ja die Zelte schon; einkehren können wir auch und vergnügt sein, denn hier in meiner Tasche stecken noch ein paar Groschen, und ein Zweigroschenstück sogar; also wollen wir den Tag recht froh feiern und genießen, was uns bescheert ist.«

Der Lieutenant war's gern zufrieden. Er steckte seine lange Pfeife an, gelben Knaster darin, kein schlechtes Sandkraut, und dampfte ganz behaglich, bis sie alle vor den schlechten Holzbuden standen, Zelte genannt, die damals schon eine Reihe von Kaffeehäusern bildeten. König Friedrich der Erste hatte diese Wirthschaften anlegen lassen und sehr begünstigt, denn je mehr da waren, desto mehr Steuer erhob er zu seinen kostbaren Bauten, namentlich zum Schloßbau, dem ungeheuren Steinklumpen, der dem ganzen Lande der Stein des Anstoßes war. –

Wer Kaffee trinken wollte oder Chocolade, oder Taback rauchen, oder eine Perücke tragen oder seidene Strümpfe, oder in einem Wagen fahren, mußte eine Steuer erlegen und einen Schein lösen. Die Perücken waren alle gestempelt, und die Zollbeamten konnten auf den Straßen gleich Untersuchung anstellen. Wer eine ungestempelte Perücke trug, dem wurde sie fortgenommen; er mußte kahlköpfig nach Hause wandern und obenein Strafe zahlen.

Am Ende wurde auch noch eine Jungfernsteuer eingeführt, denn König Friedrich argumentirte ganz richtig: Wären die Jungfern alle verheirathet, so würden sie nach den himmlischen Anordnungen die Zahl der getreuen Unterthanen vermehren, ergo auch die Zahl der Steuerscheine für Kaffee und dergleichen, und der Steuern überhaupt; ergo betrügen sie den Staat oder auch was einerlei ist, ergo müssen sie selbst dafür büßen. Lieber Himmel! es waren gewiß viele darunter, die gern geheirathet hätten, aber das war ihre Sache, und allen heirathslustigen Jungfrauen Männer zu verschaffen ging doch nicht an, obgleich der König und noch weit mehr sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm der Erste, sich sehr darum bemühten, welcher die großen Grenadiere in Potsdam, manchmal so recht par ordre du roi, mit langgewachsenen Landestöchtern zusammenfügte, damit das Riesengeschlecht nicht etwa ausstürbe. –

Hier nun in diesen Holzhütten, dicht am Flusse, dessen Ufer von Wiesen und Wald eingefaßt und dessen trübe Fluth mit Nachen und Gondeln bedeckt war, war eine Menge Menschen mit Bier und Kaffeetrinken, Kegelschieben und allerhand ergötzlichen Gesprächen belustigt. Man kannegießerte damals, wie jetzt, nur etwas leiser und schüchterner. Die Bürger in den langen blauen Röcken und dreieckigen Hüten schüttelten die Köpfe über die Austritte von gestern. Man sprach von Eingriffen ins uralte Gewerbwesen, schimpfte auf die Soldatenwirthschaft, fluchte und steckte ängstlich die Köpfe zusammen, als ein paar Polizeidiener vorüber gingen. Man ballte die Fäuste, das heißt aber, in der Tasche, und Jeder sorgte dabei, so viel als möglich, für seine Haut und seinen Ruf, als den eines vorsichtigen und ehrbaren Mannes. –

Der Lieutenant vertrieb sich mit seinen Kindern die Zeit höchst angenehm durch Rauchen, Weißbiertrinken, Spazierengehen, auch sogar durch das Füttern der Hirsche und Rehe, die damals in den wilden Gehegen des Thiergartens zu ganzen Rudeln zu finden waren, und endlich machte eine kleine Wasserpartie den Beschluß des kostbaren Tages, der viel zu früh für die Familie endete.

   

Am andern Morgen trat der Ernst des Lebens in sein Recht. Lieutenant Rädel fand, daß es die höchste Zeit sei, nicht etwa zu warten, bis die Geigen vom Himmel fallen würden, oder, mit anderen Worten, die kleine Baarschaft im Nichtsthun zu vergeuden, mit der Hoffnung, daß der wohlthätige Wildmeister wieder erscheinen und mehr bringen solle. Er hielt es für seine Pflicht, sich, wie bisher, zu bemühen und nach dem Kriegscollegio zu wandern, um zu sehen, ob er nicht wieder etwas zu schreiben erhalten könne. –

Heute glückte es ihm auch ganz besonders. Wie er in die Kanzlei trat, fand er einen Adjudanten aus der Commandantur, einen Major, der aus alter Zeit sich seiner erinnerte und mit Freundlichkeit anhörte, was er erbat. –

»Mein lieber Rädel,« sagte er, »es thut mir zwar leid, daß Ihr hier um Lohn schreiben sollt; wenn Ihr aber etwas von der Federfuchserei versteht, so habt Ihr Recht. Es laufen viele Pensionirte jetzt umher, die nicht wissen, was sie thun sollen. Das Geld ist knapp und die Arbeit dazu. Ein Dienst wäre freilich am besten, aber damit sieht es windig aus, und wenn Ihr nicht etwa hohe Bekanntschaft habt.« –

»Daß Gott erbarme!« sagte der Lieutenant. »Ich habe lange auf dem Lande und in der entfernten Stadt herumgekrebst, seit ein paar Wochen bin ich erst hier, kenne Niemanden, der mir eine Hoffnung geben könnte.« –

Hier fiel ihm der Wildmeister ein, aber er schwieg, weil er sein Wort darauf gegeben hatte. –

»Wenn aber der Herr Major aus alter Bekanntschaft etwa für mich sprechen wollte, so …«

»Was denkt Ihr, Lieutenant!« rief der Major. »Auf Parole! da ist nichts zu machen. Ich sage Euch, man hat zu thun, wenn man dem allernächsten Freunde mal einen kleinen Gefallen erzeigen will, so paßt der König uns auf die Finger. Weiß nicht, wo das noch hinaus soll mit der Welt. Alles überfüllt, die Menschen werden sich noch unter einander auffressen; Jeder will haben, und keiner bekommt genug, kurz es wird alle Tage schwieriger, für rechtschaffene Leute etwas zu thun; darum müßt Ihr sehen, wo Ihr durchkommt. Wenn Ihr aber was schreiben wollt, so will ich wohl dafür sorgen: ist's nicht hier, ist's auf der Commandantur. Sagt mir, wo Ihr wohnt, will an Euch denken.«

Der Lieutenant zog aus seiner ledernen Brieftasche einen Zettel hervor, auf welchen er mit langen deutlichen Buchstaben Namen und Wohnung geschrieben hatte. –

»Gut,« sagte der Major, der die Adresse in seine Rocktasche steckte. »Ihr sollt von mir hören. Sobald es etwas giebt, werdet Ihr mir einfallen, und den Namen will ich eintragen lassen.« –

Somit ging er fort und ließ seinen Bekannten erfreut zurück, der sich gar nicht sonderlich viel daraus machte, als der Vorsteher der Kanzlei ihm erklärte, zu schreiben gäbe es jetzt nichts, auch könne er für's Erste nicht auf Beschäftigung rechnen, bis die Manöverzeit wieder komme. –

»Hol Euch Dieser und Jener!« murmelte Rädel, »ich komme nicht wieder. Verhungern könnte ich mit Weib und Kind, wenn ich darauf warten wollte; aber gut, daß ich den Major fand, er wird besser sorgen, und was den Wildmeister betrifft … nun, wer weiß! der denkt gewiß jederzeit an sein Geld und kann mich zum Hegemeister oder so dergleichen machen lassen.«

Er ging ganz vergnügt nach Hause, erzählte von seinem glücklichen Treffer und lebte den ganzen Tag von Hoffnungen, ja, er träumte sogar davon bis an den hellen lichten Morgen. –

Es war ihm, als träte der Major herein, nähme ihn bei der Hand und riefe: »Alter Kamerad, Euer Glück ist gemacht! kommt mit mir, ich habe für Euch gesorgt; wie in Abraham's Schooß werdet Ihr künftig aufgehoben sein, und Seine Excellenz der Herr Commandant …«

Hier schlug der Lieutenant plötzlich die Augen auf, richtete den Kopf in die Höhe und sagte:

»Bei meiner armen Seele! ich glaube, es klopft an der Thür. O! nicht doch, ich habe geträumt.« –

Er legte sich zurück, fuhr aber sogleich wieder empor, denn ein tüchtiges Klopfen war es ohne Zweifel, das jetzt die morschen Bretter bewegte.

»Wer da?« rief der Lieutenant.

»Wohnt hier der ehemalige Lieutenant Rädel?« fragte eine Stimme draußen.

»Der wohnt hier,« versetzte der Gefragte.

»Nun so öffnet die Thür,« sagte die Stimme.

Rädel sprang aus dem Bett, warf den Rock über, beruhigte seine Frau in der Kammer, zog den Riegel fort und machte die Augen weit auf, als er einen Officier in Uniform, Schärpe, Degen und Ringkragen vor sich sah.

»Sie sind der Lieutenant Rädel?« fragte der junge Herr.

»Der bin ich.«

»So ziehen Sie sich schnell an und folgen Sie mir.«

»Wohin?« fragte Jener.

»Zu Seiner Excellenz dem Commandanten, General von Glasenapp. Ich habe ein Fuhrwerk unten, Sie werden keine Umstände machen.«

»Umstände?« sagte der Lieutenant, indem er das zauberhafte Entsetzen mäßigte, das ihn wahrscheinlich blaß gemacht hatte, »nicht im Geringsten. In wenigen Augenblicken bin ich bereit.«

Er lief in die Kammer und hielt sich an dem Bettpfosten fest.

»Sophie,« sagte er, »ich weiß noch immer nicht recht, ob ich nicht noch träume, ob's denn wahr ist, ob ich wirklich solcher Glückspilz geworden bin. Wie ich schlafe, erscheint mir der Major und ruft mich zum Commandanten, wo ich in Abraham's Schooß gebettet werden soll, und eine Minute später ist der Traum in Erfüllung gegangen. Was sagst Du dazu, ich bitte Dich, was sagst Du?!«

»Wenn's nur wirklich zum Glück ist!« flüsterte die Frau ängstlich.

»Was kann's denn sein?« rief der Lieutenant. »Leb' wohl, und wenn Du mich wieder siehst, sei gefaßt, irgend etwas Unerhörtes zu vernehmen. Ich weiß selbst noch nicht, was, aber es muß etwas sein, das Dein ganzes Herz ergreift, das wir nie vergessen können.«

Der Officier schien unruhig an der Thür zu warten, durch die er jetzt hineinblickte und zur Eile mahnte. Mit der größten Freundlichkeit folgte ihm Rädel die Treppe hinunter. Unten stand ein Wagen, sie stiegen hinein, und der Lieutenant ärgerte sich fast über seinen einsilbigen Begleiter, der gar nicht in sein freundliches, dringendes Gefrage einstimmen wollte.

An der Commandantur stiegen sie beide aus und jetzt sah Rädel erst, daß hinten auf dem Wagentritt ein Soldat gestanden hatte, der einen Säbel an der Seite trug, nun die Thür öffnete und hinter den beiden Herren schloß. Im Flur des Hauses stand eine ganze Wache, ein Piquet, Gewehr beim Fuß, und wozu dies in aller Frühe hier war, konnte er durchaus nicht errathen. Er fragte den Offizier danach, der zum ersten Male den Mund aufthat und mit einem sonderbaren Lächeln sagte:

»Das wird der Herr sogleich erfahren; beliebe der Herr nur hier hinein zu treten.«

Bei diesen Worten öffnete er eine Flügelthür, an der rechts und links Schildwachen standen, und Lieutenant Rädel trat in einen Saal, in dessen Hintergrunde an einem grünen Tische der Commandant saß, umringt von einem halben Dutzend Offizieren, unter denen sich auch der Major befand.

Der Lieutenant kannte den Commandanten sogleich von der Aufruhr-Scene auf dem neuen Markt. Er machte daher eine tiefe respektvolle Verbeugung, hob dann lächelnd den Kopf auf und nickte seinem Bekannten, dem Major zu, der aber mit dem strengsten Ernst diesen Gruß gar nicht beachtete. Was soll denn das heißen? fragte sich Rädel betroffen; aber aha! sagte er zu sich, er ist im Dienst, da gilt keine Freundschaft. –

So trat er denn näher, bis der Commandant seinen Zeigefinger ausstreckte, sich aus dem Polsterstuhl aufrichtete und mit seiner knarrenden Stimme fragte:

»Er heißt Rädel?«

»So ist mein Name, Excellenz,« erwiederte er.

»Ist das der Lieutenant Rädel, Major?« fragte die Excellenz nun den Offizier, der daneben stand.

»Das ist er,« sagte dieser. »Ich traf ihn gestern auf der Kriegs-Canzlei, wo er mich anredete, und erkannte ihn wieder. Er hat im Regimente Anhalt gedient, wo er verabschiedet wurde wegen Steifheit des linken Arms. Er gab mir einen Zettel, auf welchem sein Name und seine Wohnung standen, die ich sonst nicht gewußt haben würde. Ich versprach ihm, mich seiner zu erinnern und für sein Fortkommen sorgen zu helfen; dabei konnte ich freilich nicht denken …«

Er schwieg und zuckte die Achseln.

»Daß es so schnell gehen würde,« rief der Lieutenant. »Mein Herr Major, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Still! still!« rief der Commandant mit einer finstern Falte auf der Stirn. »Ist das alles so wahr und richtig, wie es der Major angiebt?

»Vollkommen richtig, Excellenz,« versetzte Rädel.

»Capitain von Wangenheim, hat man nach den genauen Recherchen bei der Polizei keinen andern Mann dieses Namens aufgefunden?«

Der Offizier, der den Lieutenant herbegleitet hatte, trat vor und sagte:

»Es findet sich in den Registern auch nicht ein Einziger, der den Namen Rädel führt. Auch der Lieutenant Rädel war nicht bekannt, da derselbe erst seit kurzer Zeit hier ist, und ohne den Zettel, welchen er glücklicherweise gestern abgab, würde man die Befehle Seiner Majestät beanstanden müssen.«

Die Befehle Seiner Majestät! Eine dunkle Röthe trat auf das bleiche Gesicht des Lieutenants. Der König wußte also von ihm, der Wildmeister hatte gesprochen, wäre es möglich, so schnell – eine Anstellung – eine Versorgung! – Die Glieder flogen ihm fieberhaft. Er dachte an Frau, Kinder, Zukunft; er hätte Freudenthränen weinen mögen.

Der Commandant stand inzwischen ganz auf, steckte den Degen an seine Seite, räusperte sich, ergriff dann ein Papier, das vor ihm lag, auf welches er einen langen Blick, einen zweiten auf den erwartungsvollen Candidaten warf, und murmelte etwas vor sich hin, was Rädel nicht verstehen konnte, was aber wie: kaum glaublich oder unerhört! klang. – Welches kaum glaubliche, unerhörte Glück war ihm zugedacht?

Sein scharfes Auge suchte in der Schrift zu lesen; er hatte jedoch von der Kunst, leicht und schnell zu schreiben, sowohl, wie Geschriebenes im Fluge aufzufassen, eben nicht allzuviel fortbekommen; wäre er jedoch auch viel gewandter darin gewesen, als er war, er würde sich diese dicken langen Linien ohne Grundstriche, ohne Absatz, ohne Worttrennung, welche entsetzlich schief von einer Seite des Blattes zur andern liefen, schwerlich zu enträthseln vermocht haben.

»Lieutenant Rädel,« sagte der Commandant, »kennt Er Seine Majestät, unsern allergnädigsten Herrn?«

»Ich habe nicht das Glück, Excellenz,« erwiederte der Lieutenant voller Erwartung.

»Kann Er sich auch nicht erinnern, wodurch Seine Majestät auf Ihn aufmerksam geworden sein kann?«

Der Lieutenant schwieg einen Augenblick und war nahe daran, vor solchem hohen Vorgesetzten die Wahrheit zu gestehen, daß der Wildmeister wahrscheinlich von ihm gesprochen habe. Er gedachte jedoch wiederum an sein gegebenes Wort und sagte, ›daß er durchaus nicht wisse, wer ihn bei Seiner Majestät empfohlen haben könne.‹

»Wer ihn empfohlen haben kann?!« rief der Commandant, und er sah ihn dabei so starr und wunderbar an, daß ein unwillkürliches Zittern durch seine Adern lief. »Ja, wenn Er es nicht weiß, ich weiß es nicht; aber besser wäre es für ihn, derjenige hätte sich unterweges … Doch was kann es alles helfen!« unterbrach er sich selbst mit rauher Stimme. »Es thut mir leid, Rädel, Ihm zu eröffnen, daß … kann Er lesen, kann Er Geschriebenes lesen?«

»Ja, Excellenz. Mein Vater war ein Geistlicher, ich lernte lesen und schreiben.«

»So lese Er das,« sagte der General, »vielleicht bekommt Er noch etwas Anderes heraus, als alle meine gelehrten Offiziere und Schreiber.«

Er reichte dem Lieutenant den Brief hin, auf dessen erster Blattseite fünf oder sechs Linien geschrieben waren und darunter ein Name, das Einzige was er im Augenblick erkannte, der Name des Königs. Es war des Monarchen Hand, ein eigenhändiges Schreiben, ein Cabinetsbefehl. Guter Gott! ein Befehl, der ihn und seine Zukunft betraf. Seine Hand zitterte, er konnte das Papier kaum halten. Aber wie entsetzlich schwer waren diese Züge zu entziffern! Er starrte eine Zeitlang hinein, ehe er die Anfangsworte finden konnte. Endlich hatte er diese, dann fand sich der Zusammenhang. Er las:

»Ich ertheile Dir hiermit den Befehl, den Rädel festnehmen und ohne weitere Procedur« … er sah das Wort an, sah den Commandanten an, die Offiziere, die sämmtlich ihre Augen fest auf ihn gerichtet hielten, und er legte todtenbleich den Brief auf die grüne Tafel und sagte:

»Liebe Herren, treiben Sie mit mir keinen so furchtbaren Scherz. Ich bin ein armer Mann, aber ich habe Frau und Kinder, die nach dem Vater schreien, und es könnte mich wahnsinnig machen, wenn ich denken müßte, Sie wollten es noch weiter führen. Nein, nein! sagen Sie mir aufrichtig, was es damit für ein Bewenden hat.«

Der Schweiß perlte in dicken Tropfen auf seiner Stirn; er versuchte zu lächeln, und maß mit schnellen, angstvoll rollenden Blicken die Umstehenden.

»Er hat es also gelesen? Er hat doch auch seinen Namen erkannt?« sagte der General. »Es thut mir leid, Rädel, aber ich muß meine Pflicht erfüllen, und hier steht es: ›den Rädel festnehmen und ohne weitere Procedur aufhängen zu lassen!‹«

»Aber warum? weshalb?« rief der unglückliche Lieutenant. »Ich verlange Gerechtigkeit! Ich verlange, mein Verbrechen zu wissen; ich verlange Verhör und Richterspruch!«

»Verlangen kann der Mensch sehr viel,« sagte der dicke Herr achselzuckend, »und wenn es in meiner Macht stände, sollte es ihm auch ganz gewiß gewährt werden. Aber hier steht ja ausdrücklich: ›ohne alle Procedur aufhängen zu lassen, und zwar ehe Ich komme, Friedrich Wilhelm.‹«

Eine Todtenstille folgte der Vorlesung des Briefschlusses, bis der Commandant die Uhr aus der Tasche zog und mit bedauerndem, halb lautem Tone sagte:

»Es ist beinahe sieben jetzt; fasse Er sich, wie ein Mann, Rädel; um neun Uhr kommt der König von Potsdam, dann muß die Execution vorüber sein. Es hilft doch Alles nichts, und wenn Er sich das Haar ausrisse und die Augen dazu, gehenkt müßte Er werden, der König hat's befohlen! Wenn Er mein eigener Sohn wäre, es ginge nichts anders. – Was ich irgend thun kann, Seine Lage zu erleichtern, will ich thun. Zwei Stunden hat Er Zeit, benutze Er die, und wenn Er einen Beichtvater haben will, so will ich Ihm den besten rufen lassen, der da ist.«

»Meine Frau, meine Kinder!« sagte der arme Mann zitternd. »Ich kann's nicht glauben, ich kann's nimmermehr glauben! Es ist ja unerhört, einem Unschuldigen das Leben zu nehmen, ohne Gesetz, ohne Recht! Was that ich? Um Gotteswillen, sagen Sie mir, was that ich?!«

»Ich weiß es nicht,« sagte der Commandant; »Aber hier steht es: ›Laßt den Rädel hängen!‹ und da hilft nichts, Mann, macht mir den Kopf nicht heiß! Fügt Euch als ein guter Unterthan in den Willen Eures Monarchen. Er muß am Besten wissen, was er thut; ich habe die Verantwortung nicht, ich vollziehe nur, was er mir aufträgt, das übrige mag er abmachen.« –

Der dicke Herr war sichtlich bewegt. Er war an Gehorsam so gewöhnt, wie ein Soldat des achtzehnten Jahrhunderts es nur sein konnte, und doch regte sich in seiner Brust ein sonderbares Gefühl, als er den bleichen Delinquenten anschaute, der vergebens um Recht rief, vergebens seine gänzliche Unschuld betheuerte.

»So muß ich denn sterben,« sagte Rädel mit verzweiflungsvollem Grimm, »weil ein Mensch es befiehlt den ich nie gesehen habe! Meine Kinder! Sophie! es ist entsetzlich! ärger wie ein Hund sterben zu müssen und Niemand fragt, ob's recht, ob's unrecht sei!«

»Kann Er sich denn gar nicht besinnen?« fragte der General. »Hat Er vielleicht unbesonnene Reden geführt, raisonirt über das Regiment, oder gar über die Person Seiner Majestät, und hat er einen geheimen Feind gefunden, der das benutzt hat, um es gelegentlich anzubringen und sich dabei beliebt zu machen?« –

Da fiel den armen Lieutenant der Wildmeister ein und was er zu dem gesprochen. Er zitterte und erschrak, das Gewissen hämmerte in seinem Herzen; ja, das war es, das war es sicherlich! Der Wildmeister hatte ihn verrathen; er hatte mit seinem Höllengelde ihm sein Leben abgekauft; was thut so ein Mensch nicht des Vortheils wegen, um sich als eifriger Diener zu erweisen? Und der Mann sah böse aus, er lachte so sonderbar, in seinem Wesen lag so viel Unheimliches. –

Hilf Gott! jetzt war der Schlüssel zu dem Geheimniß gefunden, jetzt sah der Unglückliche wohl ein, daß er rettungslos verloren sei.

»Nun, quäle Er sich nicht weiter,« fuhr der General fort, als er den Kampf in den zuckenden Gesichtsmuskeln seines Gefangenen bemerkte; »denk' Er, es hat so sein sollen, und wenn Er es auch wüßte, helfen würde es doch nichts.«

»Es hilft nichts,« sagte der Lieutenant mit plötzlicher Fassung, »Sie haben Recht, so will ich mich denn vorbereiten, wie ich kann. Als Soldat habe ich mehr als einmal dem Tode ins Auge gesehen, ich zittere nicht vor ihm; aber meine arme Familie! Lassen Sie sie rufen, Herr General, und geben Sie mir Zeit zu dem nöthigen Abschiede.«

»Ich muß sagen, daß er mich dauert,« rief der Commandant, »aber ich kann's nicht ändern. Ich werde Ihn nach der Marktwache bringen lassen; Seine Frau soll Zutritt haben, und ehe es die höchste Zeit ist, den Befehl des Königs zu vollziehen, soll Niemand Ihn molestiren. Geh' er, Lieutenant Rädel, und find' Er sich mit seinem Gott und mit der Welt ab.«

Der Lieutenant verbeugte sich mit Anstand und ging hinaus. Hinter sich hörte er den alten Commandanten gewaltig fluchen.

»Millionen Element!« schrie er, »ich weiß nicht, was der arme Kerl da verbrochen hat, aber hart ist es, daß er so sterben soll, und doch muß er dran, es hilft Alles nicht. Sagt dem Profoß, er soll seine Anstalten machen und säuberlich mit ihm verfahren.«

Das war ein schlimmer Trost, den Rädel mit auf den Weg nahm. Er war aber wunderbar gefaßt. Er setzte sich gelassen in den Wagen, diesmal stieg jedoch kein Offizier mit ihm hinein, sondern zwei Corporale, und zu beiden Seiten ritten sechs Dragoner, die ihn nach einer kurzen Fahrt in die Hauptwache lieferten.

Als er ausstieg, drängten sich die gefangenen Arbeiter neugierig an die Eisenstäbe ihres Gefängnisses. Der Rothhaarige war auch dabei, und mit einem lustigen Hurrah! schwenkte er seine Mütze. –

»Da ist der brave Herr,« schrie er, der bringt mir die Freiheit von dem unbekannten Wohlthäter! – Aber wie sieht es aus? Was soll denn das heißen?« fuhr er fort. »Ist er es denn? Freilich ist er's! – Was wollen denn die Soldaten da und was hat der Profoß drüben an dem dreibeinigen Wegweiser zu thun?«

»Halt's Maul, Alle!« sagte der Wärter, der herein trat, »und seid froh, daß Ihr hier trocken sitzt. Der da wird bald einen tüchtigen Sprung machen.«

»Gehängt soll er werden?« fragte der kleine Maurer zaghaft entsetzt.

»Gehängt, wie man eine Gans hängt, das ist richtig,« versetzte der Wärter.

»Du lieber Gott! was hat er denn gethan?«

»Was wird er gethan haben? Irgend was Schlechtes, geraubt, gestohlen?«

»O, der Spitzbube!« schrieen die Bursche, »das ist ihm recht.«

Der kleine Rothhaarige fuhr mit der einen Band in die Tasche, wo er den Ducaten hatte und drückte ihn krampfhaft zwischen die Finger, mit der andern fuhr er über die Augen.

»Es ist schlecht von ihm,« murmelte er; »freilich haben sie Recht, wenn sie ihn aufhängen, aber … er wird doch nicht etwa sagen, daß er mir … Donnerwetter! ich wollte, es wäre schon mit ihm vorbei! aber freilich thut er mir leid. Aufhängen! Es muß fürchterlich sein, so aufgehängt zu werden.«

Während dessen war der Verurtheilte in ein oberes Gemach gebracht worden, das für Gefangene besserer Art bestimmt war. Man ließ ihn allein. Mit starken, schnellen Schritten ging er in dem Gefängniß auf und ab. Der Wechsel seines Schicksals war zu groß und zu entsetzlich. Mit den freudigsten Hoffnungen hatte er sein Haus verlassen, und welch ein Wiedersehen mit denen, die er über alles liebte, stand ihm bevor; das war bitterer als der Tod, unerträglich peinigend, unerhört zu denken.

Er faßte seinen Kopf mit beiden Händen; er sah zum Himmel auf, der blau und rein das Firmament umzog, es war ihm Alles wie ein Traum, aus dem er erwachen müßte. Mit wilden Blicken sah er umher, zum Fenster hinaus und kehrte schnell zurück. Da stand der fürchterliche Pfeiler vor seinen Augen, da waren Menschen beschäftigt, da trieb sich gaffendes Volk umher, mit Geschrei, mit Gelächter, mit der stumpfsinnigen Neugier, die aus dem Entsetzlichen ein Schauspiel macht, und mit eben dieser Neugier erwarteten sie ihn, um das Ende seiner Qualen anzuschauen und befriedigt nach Hause zu gehen.

Was habe ich gethan, rief er verzweiflungsvoll, daß dies mein Loos sein muß? Reicht die menschliche Macht so weit, einen Menschen aus dem Leben zu stoßen, einer geringen Beleidigung, eines unbedachten Wortes, einer Wahrheit willen, die mein bitterer Kummer mir auspreßte und die ein Elender benutzte, um mich zu verderben? Entsetzlich! o, entsetzlich! daß zur rechtlosesten Willkür sich immer willige Hände finden, daß Knechtschaft und Stumpfsinn so groß geworden sind, zu tödten und zu morden, wenn der mächtige Herr gebietet, ohne zu fragen, ob ein Unschuldiger blutet! –

Ach! arme Sophie, Du hattest Recht! Thorheit ist es, von einem entarteten Geschlecht Besseres zu erwarten. Andere Zeiten müssen kommen, wenn die Tyrannei keine Opfer mehr schlachten soll, andere, bessere Zeiten; aber, ach! was hilft es mir, daran zu glauben? Gott steigt nicht aus seinem Himmel, um mächtiger, als der Mächtige, der meinen Tod befiehlt, mich zu beschirmen. Er ist zu hoch, zu weit, und mir bleibt nichts, als die Rache ihm zu befehlen.

Mit Mühe erzwang er eine Fassung, die ihn jeden Augenblick verlassen wollte, als jetzt die Riegel klirrten und Frau und Kinder hereintraten. Laut schluchzend warf sich die blasse Frau in den Arm ihres Gatten, der die ohnmächtig Erschöpfte zu dem harten Sessel trug, auf seine Kniee setzte, sie fest umschloß und ihre Thränen mit den seinigen mischte. Die Kinder knieten an seinen Seiten und umklammerten sein Kleid. Ihre unschuldigen Augen starrten den Vater an; sie begriffen nicht das Furchtbare, das in dem Worte: Tod! liegt; aber auch der Seele des Kindes malen sich die unbekannten Schrecken der Ewigkeit; seine Angst, sein Kummer, sein Leid ist rührender, weil es aus der Hülflosigkeit des zarten Lebens dringt. Und wie sie mit den schwachen Händchen den Verurtheilten umfaßten, wie sie ihn mit Liebesnamen nannten und ihn baten, sie nicht zu verlassen, da ging der Profoß und der Wächter hinaus; sie konnten es nicht länger ansehen. Das Mitleid findet seinen Weg in das härteste Herz, und ein mitleidiger Henker und Kerkersknecht ist doch das Allertrübseligste und Albernste, was man sich denken kann. –

Lange Zeit saßen die beiden Unglücklichen stumm; sie hatten keine Worte für ihr Elend. – Von Zeit zu Zeit blickte Rädel in die Augen derer, die er auf immer verlassen sollte, als wolle er sich ihr Bild fest einprägen, und dann ließ er traurig den Kopf und Hand sinken und schmeichelte und drückte seine Kinder.

Nach einiger Zeit gewann er jedoch seine volle Fassung wieder. –

»Ich sehe wohl ein,« sagte er, »ich bin ein verlorner Mann, und alles Klagen und Jammern ist unnütz. Der Wildmeister hat mich verrathen, mag mein Blut über ihn kommen! Ich habe dem Menschen nichts gesagt, als daß ich vom Könige und dessen Hülfe nichts wissen wolle, daß er ein Knauser sei, daß er immer haben, aber nichts geben wolle, daß er sogar für die Juden Bilder male, die er sich bezahlen lasse.«

»O, mein Gott!« rief die arme Frau, »das hast Du gesagt? Wie konntest Du das wagen?«

»Es ist die Wahrheit,« versetzte der Lieutenant trotzig, »und was ist denn Fürchterliches an meinem Frevel?!« –

Er legte die Hand auf sein Gesicht und sagte leise seufzend:

»Ich hätte freilich an Dich denken können, an meine Kinder, an den Zorn des Gewaltigen, an die rechtlose schlimme Zeit, aber es ist nun einmal geschehen und nichts mehr daran zu ändern.« –

»Ich will hin!« – rief die Frau außer sich. »Ich will mich zu seinen Füßen werfen, ich will mit den Kindern vor ihm knieen, denen er den Vater nehmen will, und nicht eher aufstehen, als bis er erweicht ist. Es ist ein strenger Herr, wie sie sagen, jähzornig und unerbittlich, aber er hat doch auch Gottesfurcht, er ist fromm und geht in die Kirche jeden Sonntag; jedes Jahr vier Mal zum Tisch des Herrn. Er wird es nicht thun können, er wird es gewiß nicht thun können!«

»Er wird es gewiß thun,« sagte der Lieutenant. »Er ist nicht hier, er sieht und hört den Jammer nicht, den sein Wort erzeugt. O, kennten die Könige das Menschenelend, daß ihr rascher Befehl oft hervorbringt, sie würden Manches unterlassen. Setze Dich zu mir, Sophie, ehe die Zeit vergeht. Weine nicht, höre mich an, ich habe Dir noch Manches zu vertrauen.«

Mit fester Stimme und ruhiger Haltung machte er nun sein Testament. Er befahl der Frau, sie solle nach seinem Tode die Stadt verlassen, wo man mit Fingern auf sie zeigen würde. Leben solle sie in der Heimath und nicht verzweifeln, damit den Kindern eine Mutter bleibe.

»Wie Du es machen willst,« fuhr er dann trübselig fort, »weiß ich freilich nicht, aber Gott wird helfen, und wenn der Segen eines Sterbenden Glück bringt, dann wird er Dich begleiten, bis einst –« er konnte nicht vollenden – »bis irdisches Glück nicht mehr vonnöthen ist,« sagte er leise.

Nach einer langen Pause sagte Rädel endlich:

»Ich habe zwar noch zwölf Ducaten von den vierundzwanzig und diese könnten Dir in der Verlassenheit wohl nützen; aber sie würden wie Feuer in Deinen Händen brennen, als kämen sie vom Satan, der meine Seele dafür gekauft hat. Wenn's hier vorbei mit mir ist, so sollst Du thun, was ich Dir sage. Du sollst das Gold nehmen und den Wildmeister aufsuchen, dem sollst Du es geben und sagen, hier wäre sein Blutgeld wieder, die volle Hälfte; die andere würde er von mir bekommen, ich würde sie ihm bringen, ich selbst, und wenn es nicht möglich sein könnte etwa, so sollte er sie haben, wenn wir uns wiedersähen! – Er soll sie haben, das sage ihm; ich würde kommen, das sage ihm auch. Er soll mich erwarten Tag und Nacht, bis die letzte Nacht kommt und der letzte große Tag, dann soll ein Höherer richten zwischen mir und ihm.«

Wie der Lieutenant das sprach, stand er ernsthaft und hoch aufgerichtet, die Hand von sich ausgestreckt und in dem grauen blitzenden Auge prophetische Begeisterung.

Leise schaudernd sagte die Frau:

»Ich werde nicht rasten und ruhen, bis ich den bösen Feind gefunden habe. Das Sündengeld will ich vor seine Füße werfen, und meine Stimme soll in sein Herz gellen, daß er den Ton nimmermehr verwinden kann« –

Da hielt sie plötzlich inne und die Hände vor ihr Gesicht schlagend, taumelte sie mit einem Angstschrei zurück und schlug die Arme um den Hals ihres Gatten.

»Ich lasse Dich nicht,« schrie sie, »ich lasse Dich nicht, sie sollen uns Beide in den Tod führen!«

Von unten herauf wirbelten die Trommeln. Der Marktplatz war mit Soldaten umstellt, und nun kamen polternde Schritte die Treppe herauf und laute rauhe Stimmen schallten darein.

»So lebe wohl, meine Sophie, lebt wohl, meine Kinder!« rief der arme Lieutenant. »Barmherzigkeit! macht das Scheiden mir nicht zu schwer!«

Er wandte das Auge zur Thür, sie ward heftig aufgerissen, und auf der Schwelle stand der General, begleitet von mehreren Offizieren.

Einen Augenblick blieb der dicke alte Herr dort stehen und betrachtete die schmerzerfüllten Menschen, dann rief er hastig:

»Trocknet die Thränen, oder weint vor Freuden, wenn Ihr weinen müßt. Rädel, Lieutenant Rädel, Er ist unschuldig! Er ist frei! Es war ein Irrthum, Alles ein vermaledeiter Irrthum – Mohren Element! Der König hat ihn gar nicht gemeint. Er armer Schelm, Er war der Unrechte – Puh! Das wäre eine schöne Geschichte geworden! – Element! ein ganz unschuldiger Kerl aufgehängt! Gut, daß der Cabinets-Secretair kam, der Cabinets-Secretair Sr. Majestät, Herr von Marschal, kommt direct aus Potsdam. Sag ich zu ihm: Wann kommt Se. Majestät, unser allergnädigster Herr, heut? – Kann vor zehn Uhr nicht hier sein, versetzte er. – Ist mir lieb, sag' ich, da kann ich den armen Teufel, den Rädel, noch eine Stunde länger leben lassen. – Fragt der Cabinets-Secretair nach der Historie, ich erzähle sie ihm klipp und klar. Sagt der von Marschal: Excellenz, zeigen Sie doch einmal die eigenhändige Ordre, ich weiß nicht ein Wort davon, daß ein gewisser Rädel aufgehängt werden soll. Ich lasse die Ordre kommen, er steht hinein und fängt an zu lesen. Da hätten Sie ein schönes Malheur angerichtet, General! schreit er: das heißt gar nicht Rädel, es ist ja ein langer Strich dahinter, soll heißen Rädelsführer und bezieht sich auf die Rebellen, die Maurer, die blauen Montag machen und nicht arbeiten wollen. – Jetzt ging mir ein Licht auf,« schrie der kleine Commandant, »hatte an die Kerle, die hier unten sitzen, gar nicht wieder gedacht, hatte auch nicht vermuthet, daß Se. Majestät ihr Verbreden so streng strafen, sondern Gnade vor Recht ergehen lassen würden. Aber jetzt bin ich froh, daß Ihr los seid, Lieutenant Rädel, gratulire Ihm, ist mir eine Last von der Brust gefallen, puh! Kopf in die Höhe, Mann, könnt sogleich nach Hause gehen, oder zur Genugthuung den wahren Missethäter baumeln sehen, der in ein paar Minuten an demselben Strick hangen wird, welcher für Euch da drüben schon angeknüpft war.«

Der Lieutenant hörte Alles mit dem Gesicht und dem Wesen eines im Schlaf Erstarrten an. Die Muskeln seines Gesichts fielen schlaff zusammen, seine Knie zitterten, er wollte sprechen und vermochte es nicht. –

»Haltet ihn fest,« rief der General. »Der arme Schelm! Die Freude ist zu groß. Jetzt ihn in den Stuhl, holt Hülfe, holt den Feldscheer; er soll ihm eine Ader schlagen. Mordbomben Teufel! bringt ihn wieder zu sich! Ihr sollt ein Geschenk haben, Rädel, für die ausgestandene Angst; werde sehen, was ich für Euch thun kann. Bleibt hier, laßt Wein holen und stärkt Euch; werde für Alles sorgen.« –

So ging der kleine General hinaus, dunkelroth und pustend von der Anstrengung und polterte mit möglichst eiligen Schritten die Treppe hinunter. Er war herzlich froh, daß der Mensch, mit dem er Mitleid fühlte, und der obenein ein alter Soldat war, unschuldig und frei befunden wurde. Mit dem, der an dessen Stelle treten sollte, hatte es nichts auf sich. Es war offenbar ein gemeiner Kerl, zudem ein Aufrührer, an dem ein Exempel zu statuiren war; endlich aber war es der Befehl des Königs, ein weiterer Irrthum unmöglich und der pünktlichste Gehorsam strenge Pflicht.

Die Gefangenen waren alle in der großen Wachtstube aufgestellt, wo der grimmige Commandant unter sie trat, wie der Wolf unter die Heerde.

»Stellt Euch Alle hierher,« sagte er, »und hört zu, was ich zu sagen habe. Se. Majestät, unser allergnädigster König, hat von Eurer Meuterei gehört, aus meinem unterthänigsten Rapport von der Sache; er hat mir nun befohlen, den Rädelsführer aufhängen zu lassen. Jetzt gesteht, Hallunken, wer hat die Verschwörung angezettelt; wer von Euch ist der Rädelsführer?« –

Ein tiefes Schweigen folgte dieser wenig einladenden Aufforderung. Die Maurer sahen sich gegenseitig mit scheuen Blicken an; der Ernst der Sache schien Ihnen auch nicht gehörig einzuleuchten, gewiß aber hatten sie nicht Luft, einen Kameraden zu verrathen.

»Bursche,« sagte der Commandant, milden Tones, »seid vernünftig! Nennt den Rädelsführer, der Euch zu dieser Corruption gebracht hat; das ist Einer, der soll gerechterweise aufgehängt werden. Alle Andern erhalten diesmal Pardon. Also, wer von Euch derjenige ist, der trete vor, wenn er ein Gewissen und Ehre im Leibe hat!« –

Es trat aber keiner vor; nur eine schwache Stimme schrie aus dem Hintergrunde:

»Wir sind alle unschuldig, es hat's keiner angefangen. Freilich sind wir unschuldig, daß Gott erbarm'! Es hat's keiner gethan!«

»Wollt Ihr mich chikaniren, Ihr Bösewichte?« schrie der alte Herr. »Wenn's Keiner gethan hat, so habt Ihr's Alle gethan, und wenn nicht einer der Rädelsführer ist, so seid Ihr alle Rädelsführer. Heraus mit der Sprache! Bleibt Ihr aber dabei, so werde ich mir Einen aussuchen und ohne Weiteres diesen dem Profoß übergeben.« –

Es blieb aber so still wie früher, und nun war es mit der Geduld des Commandanten zu Ende. Er sah mit zornigen Blick den in dem Kreise umher. Theils waren die Verbrecher junge stattliche Bursche, theils ältere Männer, Familienväter und kräftige Arbeiter. Es dauerte ihn doch, und die Wahl wurde ihm schwer, als er plötzlich hinter den breiten Schultern eines kräftigen Gesellen den kleinen rothaarigen häßlichen Kerl entdeckte, der ängstlich sich dahinter verkrochen hatte.

»Holla!« rief er, »Profoß, greift mir den Burschen da und hängt ihn auf! Ihr Andern aber nehmt ein Beispiel daran, und das sage ich Euch. Alle kommt Ihr ohne Gnade an den Strick das nächste Mal, wenn Ihr Euch einfallen laßt, Ihr Canaillen, die Befehle des Königs nicht zu respectiren! vorwärts marsch! hängt den Kerl auf!« –

»Ich? ich?!« schrie der unglückliche Maurer in Todesangst, wie der Profoß und seine Gehülfen ihn ergriffen. »Ich bin unschuldig, allergnädigster Herr! freilich bin ich unschuldig! ich habe gemußt, partout gemußt!«

Still!« sagte der Profoß, »Du bist der Rechte. Du hast zuletzt noch geschrieen: Es lebe der blaue Montag! und die Anderen angereizt, es nachzuthun.«

»Siehst Du, Bursche,« sagte der Commandant erfreut, daß seine Weisheit den rechten gefaßt, »so kommt es! – Rothhaarige hat Gott gezeichnet! das ist schlechtes Volk. – Bist auch häßlich wie die Sünde, schielst mit beiden Augen, pfui Teufel! – Kerl, es ist gut, daß Du dabei bist, braucht keiner von den andern heran.«

»Ich habe nichts gethan, nichts gethan!« heulte das arme Geschöpf, und hob bittend die Arme auf. –

»Fort mit ihm,« rief der General. »Profoß, thue Er seine Schuldigkeit!«

Ein durchdringendes Wehgeschrei folgte dem Commandanten wieder die Treppe hinauf, wo er im Zimmer am Stuhle des Lieutenants einen Chirurgen beschäftigt fand, der dem Ohnmächtigen wirklich eine Ader geschlagen hatte.

»Wie geht's Ihm?« fragte er.

»Ganz ohne Gefahr,« versetzte der Wundarzt. »Es ist bloß von der Angst und der plötzlichen Freude. – Es ist kein Spaß,« sagte er lächelnd und blickte nach dem Fenster hin, »die Gewißheit zu haben, so einen Gang zu machen und dann plötzlich, wenn man bereitet dazu ist, Freiheit und Leben zurück zu empfangen.«

»Da hat Er Recht,« versetzte der General gleichfalls lachend, »es ist aber immer besser, man erschreckt sich und muß zur Ader lassen, als man erschreckt sich nicht und wird aufgehenkt.«

Seine weiteren Worte wurden von einem dumpfen Trommelwirbel unterbrochen, nach dessen Ende er seinen Hut abnahm, die Hände faltete und mit halblauter Stimme murmelte:

»Gott sei der armen Seele gnädig!« –

Alle Anwesenden hatten dasselbe gethan, nun aber stülpte der General den Hut wieder auf und fuhr ohne weitere Aufregung fort, zu sprechen:

»Es war ein häßlicher, rothhaariger Kerl, der da seinen Lohn empfangen hat; ich bin froh, daß die Sache abgethan ist, und werde jetzt meinen Rapport machen, wobei ich ihn nicht vergessen werde, Lieutenant Rädel. Auch hoffe ich, wie gesagt, Ihm nützlich zu sein, und, wenn es möglich ist, Ihm ein kleines Schmerzensgeld zu verschaffen.« –

Er würde wahrscheinlich noch länger gesprochen haben, wäre nicht ein Mann von ungeheurer Länge in grünem, mit Gold besetztem Rock und um die Hüften einen breiten Gurt, in dem ein Jagdmesser stak, hereingetreten. Der Riese reichte bis an die Decke, und der Commandant machte ein verwundertes Gesicht bei seinem Anblick. Es war einer der Leibjäger des Königs, der bei dem strengen Herrscher in ganz besonderer Gnade stand, und zu manchen Commissionen benutzt wurde.

»Was bringt Er denn, mein lieber Leibjäger Wachs?« sagte der General freundlich.

»Ich suche den Lieutenant Rädel,« erwiederte der Jäger.

»Da sitzt er,« sagte der Herr von Glasenapp.

»Der König,« sprach Wachs, indem er sich vor den Lieutenant stellte, »befiehlt dem Herrn, sogleich vor ihm zu erscheinen. Wenn die Familie etwa hier ist, soll sie ihn begleiten.«

»Was hat das zu bedeuten, Wachs?« fragte der General verlegen.

»Weiß es nicht,« versetzte der Leibjäger. – »Der Herr ist heut nicht bei Laune,« fuhr er dann lächelnd und vertraulich fort, »möchte Niemandem rathen, der etwa einen Schwupper gemacht hat, heut bei ihm zu erscheinen. Der Cabinets-Secretair von Marschal hat einen mündlichen Bericht gemacht über die sonderbare Verwechselung, die dem armen Manne fast das Leben gekostet hat. Er will ihn nun selbst sprechen.«

»Konnte auch wohl still sein, der Cabinets-Secretair!« murmelte der Commandant, »werde aber heut nicht bei Sr. Majestät erscheinen. – Lieutenant Rädel,« fuhr er fort, »Er muß zum Könige. Fürcht' Er Sich nicht; der König ist ein gerechter Herr, wie streng er auch sein mag. Sag' Er, daß Er auch den Befehl gelesen und Seinen Namen darin erkannt hat.«

»Ich fürchte mich nicht,« versetzte der Lieutenant und stand auf. »Hart geprüft, wie ich es bin, und bereit, vor Gottes Thron zu treten, werde ich auch dem König in die Augen sehen und sagen, was ich zu sagen habe.«

Sie gingen und folgten dem Leibjäger, der vorausschritt und Bahn durch die Menschenmenge machte. Schaudernd wandte der Lieutenant seine Blicke von der menschlichen Gestalt, die an dem eisernen Arme des Galgens in der Luft schwebte. Er stützte sich zitternd auf seine Frau. Der Leibdiener sagte tröstende Worte, half ihnen in den Wagen, der wenige Schritte davon hielt, hob die Kinder hinein und setzte sich dann zu ihnen.

Bald fuhren sie vor dem Palais des Königs vorüber und seitwärts einbiegend in den Hof, wo sie ausstiegen und eine Treppe hinauf durch mehrere Zimmer geführt wurden, die mit so einfachen Geräthen versehen waren, als wohne hier kein mächtiger Fürst, sondern ein Bürger, von dessen Wohlhabenheit mehr die weitläufige Wohnung als die bequeme Einrichtung Zeugniß giebt. –

Weiß lackirte Polstersessel, mit rothem Damast überzogen, standen nur in einem Gemach, dessen Täfelung und Goldleisten das Audienzzimmer ankündigten; in den anderen waren die allgemein üblichen Stühle mit Binsengeflecht vorhanden, oder auch bloße Holzschemel, ein paar Tische mit Marmorplatten, Spiegel, die aus viereckigen Stücken zusammengesetzt waren, eine schwere, große Uhr, deren lauter Schlag die Stille umher durchdröhnte, und ein Kamin mit glänzender Einfassung, an der ein Lehnstuhl stand mit Rollen, vor welchem ein kleiner Teppich lag. –

Hier warteten sie, Frau und Kinder warfen ängstliche Blicke umher und auf das lebensgroße Bild an der Wand, das streng auf sie nieder sah. Es stellte einen Herrn im grünen Rock dar, der die Hände auf den Stock gestützt hatte. Das fleischige Gesicht mit herabhangenden Backen trat weit hervor, und von ganz eigenthümlichem Blick waren die scharfen, hellen Augen.

Der Lieutenant sah gar nicht hin. Finster heftete er die Blicke auf den Boden und überdachte, was er thun und lassen müsse. Da ließen sich schwere, feste Schritte im Nebengemach hören. Die Thür ward rasch geöffnet, und auf der Schwelle stand das lebendige Original des Bildes an der Wand, ganz so, wie es dort auf der Leinewand gemalt war.

»Herr Gott, der Wildmeister!« rief Rädel, indem er ihn erblickte. –

»Hilf Himmel!« fiel die Frau zitternd ein, »es ist der König!«

»Die kennt mich besser, als Er, Kamerad,« sagte der Monarch, indem er näher trat. »Es ist ihm schlecht gegangen, wie ich gehört habe, Er wäre beinahe aufgehängt worden; das hat Er sich zu Herzen genommen, aber ich will ein Pflaster auf seine Wunde legen.«

Der Lieutenant war wohl einen Augenblick heftig erschrocken, dann aber wurde sein fahles Gesicht dunkelroth und lebendig, er fühlte etwas in seiner Brust, das mächtiger war, als die Furcht vor dem Gewaltigen.

»Majestät,« sagte er, »ich bitte um Pardon. Aber, mag's Pflaster sein, wie es will, ganz heilen wird die wunde Stelle nicht. Als Wildmeister haben Sie mich grob genannt, ich kann mir aber nicht helfen, die Wahrheit muß heraus. Die Qual und Todesangst, die ich ertragen, kann mir nichts ersetzen, und so ohne Procedur umzukommen, ohne Verhör, ohne zu wissen, was man verbrochen, halten's zu Gnaden, das ist türkisch, aber nicht christlich. Weil der Befehl nicht einmal verständlich deutsch geschrieben war, der einen Menschen an den Galgen bringen soll, muß ich mir einbilden, der Wildmeister habe mich schändlich verrathen, wenn ich vielleicht ein Wort im Vertrauen gesagt, und der König darauf in seinem Jähzorn befohlen, man soll mir alles nehmen, was ich habe – das Leben!«

Die Frau faßte bittend angstvoll den Arm ihres Mannes, und sagte zitternd: »Um Gotteswillen! willst Du Dich noch einmal unglücklich machen?«

»Laß ihn, laß ihn!« sagte der König mild, »er hat so viel ausgestanden, daß er sich Luft machen muß; aber jetzt hör Er auf. Nehm' Er, was Ihm begegnet ist, als eine Strafe für Seine losen Reden und seinen Kleinmuth, und dank' Er Gott, daß es sich so glücklich gewendet hat.«

»Für mich, ja,« sagte der unerschütterliche Rädel, »für mich hat der barmherzige Gott seine schützende Hand erhoben, aber statt meiner hat man einen armen Teufel gehängt, der so unschuldig war, wie irgend Einer. Weil er rothes Haar hatte und häßlich war, darum mußte er der Rädelsführer sein, und die alte Mutter, die er ernährte, kann nun an den Thüren betteln und die Gerechtigkeit auf Erden preisen.«

Mit einer heftigen Bewegung stampfte der König mit dem Fuß auf den Boden und warf dem kühnen Sprecher einen Blick zu, der diesen verstummen machte. –

»Es geschieht nichts Ungerechtes in meinem Staate,« rief er. »Gott der Herr weiß es, wie ich darnach strebe, aber –« hier brach er in seine Lieblingsworte aus – » fiat justitia, pereat mundus! Das versteht Er nicht. Recht muß Recht bleiben, und wer nicht gehorcht, wer nicht das Gute erkennen will, der muß mit eisernen Ruthen gezüchtiget werden.«

Er ging rasch durch das Zimmer, dann kam er zurück und blieb vor dem Lieutenant stehen.

»Ihm ist Unrecht geschehen, ja, das sage ich Ihm, Sein König, aber gewiß nicht mit meinem Willen. Im Gegentheil, ich hatte es gut mit ihm vor, weil Er mir gefallen hat, weil er mir dreist in die Augen sehen kann, wie ich es verlange. Jetzt sage Er mir, was ich für Ihn thun soll. Bitte Er sich eine Gnade aus.«

Der Lieutenant richtete sich hoch auf.

»Die Gnade, die ich mir ausbitte,« sagte er, »ist die, daß Ew. Majestät hier die zwölf Ducaten von mir zurücknehmen, die andern zwölf habe ich nicht mehr; ich will sie aber erstatten, weil ich noch lebe. Dem Wildmeister wollte ich sie geben am Throne des Allmächtigen, wo er Rechenschaft ablegen sollte für mein unschuldig vergossenes Blut. Weiter habe ich nichts zu bitten.«

Der Fürst sah den armen, heftig bewegten Mann lange und schweigend an.

»Er ist ein Narr!« sagte er dann; »Er hat Frau und Kinder, und wenn er nicht für die etwas Besseres zu bitten hat, so will ich es in Seiner Stelle thun. Er verläßt morgen Berlin; Er ist aus Preußen, dahin geht Er zurück, und Er kann sehen, daß ich es gut mit ihm meine, denn die haben es am besten, die am weitesten von mir sind. Er soll Reisegeld haben, ich werde es Ihm auszahlen lassen. Da in seiner Heimath soll Er angestellt werden, bei der Accise, oder so dergleichen, das ist für das Unrecht. Übrigens nehme Er Sich vor dem Raisonniren in Acht; einmal ist Er so davon gekommen, es könnte aber nicht immer so gehen. Was die zwölf Ducaten betrifft, die behält Er. Bewahre Er sie, und sage Er seinen Kindern, wenn Er sie ihnen zeigt, sie sollen Gott vor Augen haben und niemals auf schlechten Wegen wandeln, denn der Ihm die Ducaten gegeben, der dulde keine Schelme, keine Faullenzer und keine Widerspenstigen. Ordnung und Gehorsam müssen sein. Jetzt kann Er gehen.«

Die arme Familie war entlassen, aber wie der König gesagt hatte, so geschah es. Am nächsten Tage schon erhielt Rädel von dem Kämmerer hundert Thaler, und als er nach Königsberg kam, fand er seine Anstellung bei der Accise schon vor. – Die Ducaten zeigte er oft seinen Kindern, erzählte den Enkeln auch gern, wie ihm einst geschehen, und sie erbten weiter, ein Zeugniß von der guten alten Zeit und deren Satzungen.


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