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Am Johannistage im Jahre 1742 fuhr das schöne mit Wimpeln geschmückte Boot des Freiherrn von Wardo über den Meeresarm, der das Eiland Hiddensee von der Insel Rügen trennt. – Es war heiteres Sommerwetter; ein leiser Seewind kräuselte das Wasser und kühlte die Sonnenpfeile, welche heiß vom wolkenlosen Himmel in die Fluth schossen.
»Das ist ein schöner, liebevoller Tag,« rief eine helle Mädchenstimme, und die schlanke Gestalt erhob sich von dem Polster. – »O! sei mir gegrüßt, Du kleine, unbekannte, stille Welt, Du Welt meiner Kindheit! – Wissen Sie noch, lieber Papa,« fuhr sie fort, und strich die Locken von ihrer Stirn, »daß ich vier Hochsommer auf Hiddensee in Niklas Bremers Haus wohnte, weil die scharfe Seeluft mich stark machen sollte, während Sie mit der Mama auf Reisen waren?«
Der Freiherr nickte ihr zu, während er sein Glas an's Auge setzte und nach der Insel sah. –
»Sie haben den Baum schon aufgerichtet,« sagte er, »und heut wird es an ein lustiges Springen und Tanzen gehen. Ihr werdet Euch Beide nicht ausschließen können.«
Er wandte sich mit diesen Worten an einen jungen Mann, der blaß und ernsthaft neben ihm saß. Sein Gesicht hatte zarte und stolze Züge, sein Körperbau war schlank, sein Auge durchsichtig klar und scharf, Ausdruck und Haltung vornehm nachlässig und gelangweilt.
»Du wirst hier, mein lieber Bruno,« fuhr der Freiherr lachend fort, »ganz andere Tänzerinnen finden, als auf Euern Hofbällen in Stockholm. Plumpere zwar in ihren fünf oder sechs rothen und blauen Friesröcken, aber gewiß flinkere und lustigere, als dort.«
»Müssen wir denn nach der Sandscholle, mein theurer Oheim,« rief der junge Mann widerwillig und gleichsam, als schaudere ihn vor den angedachten Tänzerinnen, wandte er den Blick vom Lande ab.
»Freilich müssen wir,« versetzte der Baron. »Seit undenklichen Jahren haben die Freiherren von Wardo am Johannistage mit den Weibern und Töchtern ihrer Lehnsleute auf Hiddensee unter dem Baume getanzt, es sei denn, daß sie nicht in ihrem Schlosse Hof hielten,« setzte er stolz hinzu.
»Und die Freifrauen und Töchter des Hauses Wardo wurden an diesem Tage auch immer von den Lehnsleuten zum Tanze geführt,« sagte das Fräulein. »Nicht wahr, Papa?«
»Allerdings, Tina.«
»Folglich muß ich tanzen,« fuhr das fröhliche Mädchen fort, »und ich freue mich darauf und auf das Wiedersehen mit Eckbert Bremer, der mein erster Tänzer sein soll.«
Hier unterbrach der junge Baron sein anhaltendes Gähnen, und indem er Tina mißbilligend ansah, sagte er zu dem Onkel:
»Wer ist dieser Eckbert Bremer?«
»Der Sohn meines Voigts auf Hiddensee, der jetzt eben seinen Vater besucht.«
»Was ist er?« fragte Bruno. »Ein Lootse oder Fischer?«
»Da kommst Du schön an,« rief der alte Herr lachend, und klopfte seine Meerschaumpfeife aus, vor deren Asche der junge Baron sich auf die andere Seite des Bootes flüchtete. »Alles will jetzt hoch hinaus in der Welt, sogar die Fischer von Hiddensee. Eckberts Großvater war der ärmste Mann auf der Insel, dem die Nachbaren mit durchhalfen; sein Sohn wurde Matrose, kam, nachdem er weit umher in Indien und Amerika gewesen, als Steuermann zurück, heirathete aus dem Schloß ein Mädchen, welche die Gunst meiner Frau besaß, und wurde mein Voigt. Sein Sohn ist nun in der Schule von Stralsund erzogen und, wie ich höre, Kapitain eines Kauffahrers, an dem der Alte einen Rhedertheil hat, so soll es mich denn gar nicht wundern, wenn Eckbert Bremers Sohn einmal Admiral wird. Übrigens habe ich den Burschen wohl in zwölf Jahren nicht gesehen, aber es war immer ein rüstiger hübscher Junge.« –
Was er noch sagte, wurde vom Jubelgeschrei der Fischer von Hiddensee unterbrochen, die sich an der Landungsstelle in einer kleinen Bucht dicht zusammendrängten, ihren gnädigen Herrn mit Musik und Flaggenschwenken zu empfangen. Immer war es ein schönes Fest für die treuherzigen Leute, und diesmal mehr als je, denn der Freiherr war seit manchem Jahr nicht auf dem Eiland gewesen. Jetzt ist es anders dort, als damals. Jetzt sind die Dünen ins Land geweht, und haben den kleinen Fleck fruchtbarer Erde zur ewigen Wüste gemacht. Die Waldleiste am Meere, welche, als ein letztes Geschenk der alten guten Götter, Stürme und Verderben fern hielt, ist verschwunden; kein Baum, kein Strauch grünt und blüht mehr auf Hiddensee. An den dunklen Torfmooren lehnen jetzt die fauligen, Hütten, wo damals nette Häuschen standen, von Feld- und Wiesenstücken umringt, von Baumschatten und kleinen Gärtchen eingefaßt. Kein Vogel singt mehr im windbewegten Laube, kahl und öde liegt Alles, und verkümmert wie die Natur sind die Menschen geworden. –
Damals aber lebte auf Hiddensee, dem äußersten Eiland vor der zerrissenen Westküste Rügens, ein kräftiges, fröhliches Geschlecht. Seit vielen Menschenaltern war kein Fremder gekommen, um unter ihnen zu wohnen, doch jährlich zog die junge Mannschaft aus nach Stettin und Stralsund, um auf den hölzernen Seerossen die Meere vom Aufgang zum Niedergange zu pflügen. Aber ein seltsamer Trieb zieht den Menschen immer wieder zu der Stelle zurück, von der sein Leben ausging, und je ärmer und unwirthlicher der Boden ist, je verlassener und einsamer seine Bewohner, um so mächtiger ist die geheimnißvolle Bande der Natur, die ihre Söhne wiederverlangt. –
So kehrten auch die Kinder von Hiddensee aus Palmenwäldern und den reichsten schönsten Städten und Ländern der Erde immer wieder in das arme, kleine Eiland zurück; wenn aber der kecke Matrose ein Stück Geld erspart hatte, dann trat er mit einer rüstigen Dirne an den Altar in der uralten Kapelle und gab sich in die Ehe. – Nun ward er Fischer und Lootse, baute seine Hütte, besserte seinen Nachen und Netze, und wenn ihn kein Unglück traf draußen auf dem wilden Wasser, wurde er alt und weiß, denn Krankheit war fast unbekannt auf Hiddensee. –
So hatten es die Väter und Urväter gehalten, so thaten die Söhne und Enkel. Überall war Rührigkeit und ein gewisser Wohlstand auch, denn die Lootsen verdienten blankes Geld, und wenn Stürme gerast hatten, wie sie häufig diese nordischen Meere in Schaum zerpeitschen, warfen die Wellen oft Schiffstrümmer ans Land, Fässer, Ballen, Kisten und Kasten. Die Fischer von Hiddensee aber hielten Strandrecht für ein so gutes wohlerworbenes Recht, wie andere Rechte auf Erden, und theilten unter Dankgebeten, was Gott ihnen bescheert hatte.
Drüben auf Rügen saß ein uraltes Geschlecht von Freiherren auf seinem Ritterschlosse und so lange Menschen denken und Sagen und Bücher Kunde geben konnten, waren sie die Schutzherren des Eilands gewesen.
Eigentliche Abgaben verlangten die Barone von ihren Unterthanen nicht, aber am Strandrechte hatten sie ihren wohlgemessenen Theil, auch sprachen sie Recht und straften nach alten Gebräuchen; daß aber Alles in Ordnung zugehe und dem Kaiser werde, was des Kaisers ist, dafür saß ein Voigt auf Hiddensee, der Finanz- und Justizminister seines gnädigen hochgeborenen Herrn.
Und als das Boot jetzt landete, war dieser Voigt, Herr Niklas Bremer, der Erste, der den Baron empfing und mit seinen Seemannsstiefeln bis über die Knöchel ins Wasser trat, um beim Aussteigen zu helfen. –
Nie hatte ein Voigt die Achtung seiner Landsleute so sehr erworben, als dieser alte Mann. Seine hohe ungebeugte Gestalt überragte das junge Volk, sein schneeweißes Haar, hinten in einen mächtigen Zopf zusammengeflochten, lag geringelt an seinen Schläfen. Dunkle, feurige Augen belebten die harten Züge seines ernsten und verständigen Gesichts, und dies schöne würdevolle Ansehn ward durch die Wohlhabenheit und Sauberkeit seines Anzugs verstärkt; durch die großen Silberknöpfe, mit welchen sein blaues Kleid besetzt war und durch den kleinen dreieckigen Hut mit blanker Tresse, welchen er jetzt ehrerbietig abgenommen hatte.
»Niklas Bremer,« sagte der Freiherr, als er dem alten Diener die Hand schüttelte, »ich freue mich, Ihn wohlan zu finden, Er sieht aus als wollte Er zuletzt übrig bleiben. Hier bringe ich aber meine Tochter Tina mit, die Er ja auch kennt, und das da ist mein Neffe Bruno, der Kammerherr unseres gnädigsten Königs in Stockholm, Sohn meines verstorbenen Bruders Waldemar« – hier hielt er plötzlich inne, und sah mit einem Lächeln, das schnell erstarb, den alten Mann an, der sein Auge durchbohrend fest auf den jungen Mann heftete. Dieser hatte den leichten Mantel abgeworfen und stand nun schlank und fein in seinem goldblitzenden Hofkleide mit Degen Federhut und lockiger Perücke vor diesen einfältigen armen Naturkindern, die ganz in Schauen und Erstaunen versunken waren. –
Als der greise Voigt sich tief vor ihm beugte, maß er mit einem spöttischen Blick die groteske Gestalt, dann wandte er sich unwillig von ihm und musterte die Gesichter der Dirnen, denn Tina deckte über die beiden rauhen großen Hände des Voigts von Hiddensee ihre kleinen Finger und sagte mit ihrer sanften Stimme:
»Lieber Vater Niklas, kennt Ihr denn die kleine Tina noch, die so oft auf Euren Knieen schaukelte, und der Ihr so viele wunderbare Geschichten erzähltet; von König Ranald, der auf der hohen Klippe von Arcan sitzt und wartet, daß sein Sohn mit der geraubten Braut wiederkehre, von dem Zwergvolk, das in den Berghöhlen der Prora wohnt und von Vineta, der Wunderstadt tief im Meeresgrunde, wo abendlich die Glocken läuten und schöne Seejungfrauen mit weißen Händen die Lauschenden hinabziehen? – Wißt Ihr das Alles noch, lieber Vater Niklas Bremer? Und wo ist denn mein Spielgefährte und getreuster Freund, Eckbert, der mir Schiffchen machte und Mühlen, oder Häuser in die Dünen baute, worin wir einsam manche schöne Stunde wohnten?«
Im Augenblicke öffnete sich der Kreis der Fischer und ein junger Mann trat daraus hervor. Niklas Bremers strenges Gesicht war ganz Liebe und Lust geworden, als Tina sprach; jetzt blickte er auf und deutete auf den Nahenden.
»Hier ist mein Sohn,« sagte er. »Komm näher, Eckbert, Tina – das gnädige Fräulein, hat uns noch nicht vergessen. Gottes reichster Segen soll immer mit ihr sein!«
»Wahrhaftig,« rief der Freiherr, »das ist Eckbert, aber kaum zu erkennen, so groß und männlich; weit über seine Jahre hinaus.«
»Er ist sechs und zwanzig, mein gnädiger Herr,« sagte der Voigt geschmeichelt von dem Lobe, »und seit drei Jahren schon führt er die Stralsunder Brigg: Frau Fortuna.«
»Da segelt er also unter dem Schutz der allmächtigsten Schutzpatronin, die ihn hoffentlich niemals verlassen wird,« rief der Freiherr. »Aber in der That, mein junger wackerer Seemann, es freut mich von Herzen, Ihn hier anzutreffen, und ehe Er wieder seinen Cours steuert, muß Er mich auch in Schloß Wardo besuchen.«
Er reichte ihm gnädig die Hand, aber Eckbert Bremer küßte diese nicht, wie es sein Vater gethan hatte. Er begnügte sich mit einer Verbeugung, die auch so wenig der zeitüblichen Unterwürfigkeit nachkam, daß der sonst recht leutselige Herr einen geheimen Ärger über den hochmüthigen Burschen fühlte. Eckbert schien jedoch den strengen Blick des Barons gar nicht zu empfinden, denn er sah Tina an, die alle ihre Vorsätze vergessen hatte, den Jugendgespielen mit der alten Freundschaft zu begrüßen. –
Zögernd und schweigend stand sie vor ihm; helle Gluth lief über Wange und Nacken, dann lächelte sie und schien ihn verwundert prüfend zu betrachten. – Das war der Eckbert nicht mehr, den sie einst gekannt und kindlich geliebt hatte. Keine Spur war von dem wilden Knaben geblieben, der sie auf seinen Schultern über Haiden und Torfmoore getragen, ihr Strandvögel gefangen, mit ihr in die See gewatet hatte, Muscheln zu suchen, und Abends sie in seine Arme genommen, um schöne wunderbare Mährchen zu erzählen. – Wäre er noch der blondhaarige, lustige, immer lachende Gesell gewesen, der nun zum treuherzigen Fischer oder Seemann geworden, sie hätte ihre Hände in die seinen gelegt und seine Locken zerzaust, wie sie es sonst gethan. – Aber Alles war anders geworden, wie sie gedacht hatte. –
Von untadelhafter Gestalt, schön und wohlgesittet, stand er vor ihr, ein stolzblickender Mann, dem kühne Willenskraft in jedem Zuge ausgeprägt war. Auf sein nachlässig geknüpftes Halstuch fiel die wilde Fülle seines dunkelblonden Haars, das von einem Bande leicht zusammen gehalten wurde; an seinem Seemannskleide trug er ein kurzes Dolchmesser, aber sein großer muskelvoller Körper war so edel gegliedert, als sei er der gebotene Gebieter des plumpen Haufens seiner Landsleute. Als er die Hand des Fräuleins ehrerbietig küßte, überlief sie ein leises Zittern. Sie mußte sich zwingen, ihn anzusehen und erröthete dann vor seinem kühnen forschenden Blicke; bald aber war das Gefühl, das sie beherrschte, nur Freude und Wohlgefallen. Ein Gespräch über die Herrlichkeit der alten Tage ward angeknüpft, und mit den Erinnerungen kehrte auch das Vertrauen wieder.
Während nun der Freiherr mit dem Haufen der Fischer redete, freundlich ihre Anliegen hörte, Theil an ihren kleinen Lebenssorgen nahm, hier Abhülfe von Mängeln, dort Unterstützung versprach, sich Klagen vortragen ließ und Recht sprach; Bruno dagegen seine ganze Aufmerksamkeit einer hübschen Dirne zuwandte, die, als Nichte des Voigts von Hiddensee, die Chorführerin der Fischermädchen war, plauderten Tina und ihr Spielgeselle ungestört auf dem erhöhten Ufer, wo das Meer und der wogende Menschenkreis zu ihren Füßen sich bewegten. –
Eckbert schien mit Wohlgefallen auf den hellen Klang ihrer Stimme zu lauschen. Bald durchsuchten seine großen blitzenden Augen ihre Züge, bald ruhten sie starr und forschend auf ihren Lippen und abwechselnd verwandelte sich die Freude, welche sein Gesicht erhellte, in einen schwermüthigen und stolzen Schmerz, den er mühsam zu verbergen suchte. Still und ernst hörte er von ihren Reisen, von ihrem Aufenthalt in Stockholm am Hofe des Königs, in den vornehmen Kreisen der Reichsräthe und des stolzen Adels, und wie sie doch an Hiddensee und ihren Spielgefährten gedacht.
»Ich glaube es wohl,« sagte er endlich lächelnd, »daß das gnädige Fräulein von Wardo zuweilen, selbst mitten im Getümmel so vieler vornehmer Leute eine Anwandlung von Sehnsucht nach der Einsamkeit dieses öden Eilandes oder nach den grünen Thälern und Bergen Rügens gehabt hat. Es sehnt sich jedes irdische Geschöpf ja nach Ruhe und Frieden. – So sucht das Schiff nach langer Seefahrt den Hafen. Der Fischadler dort, der sein Gefieder lange Stunden im Mond- und Sonnenglanz gebadet hat, kehrt in sein dunkles Strandnest zurück, die Möve eilt müde von den Wellen, warum soll der Mensch mitten im Rausche aller Freuden und Genüsse sich nicht auch seiner wahren Natur erinnern?«
»Ich verstehe Euch nicht ganz, Eckbert Bremer,« sagte Tina bewegt von seinen Worten.
»Ich habe wohl auch oft an die schönen Kindertage gedacht,« fuhr der junge Seemann lebhafter fort. – »Wenn ich einsam lag und träumte und die wilden Meerwellen draußen klingend an die Planken schlugen, daß sie zitterten und stöhnten, dann weckte mich eine helle wohlbekannte Stimme, die ich oft gehört. Wenn meine Segel schlaff an den Masten hingen und Sonne und See einen goldenen Spiegel bildeten, sah ich eine Gestalt vor meinen starren Blicken über die abendliche, unermeßliche Ferne schweben und verschwinden. Ich streckte die Arme nach ihr aus, leise rief ich ihren Namen! In Sturm und Gefahren rief ich: Einmal möchte ich sie noch sehen! – So ist das Leben des Seemanns,« fuhr er lächelnd fort, indem er sie anblickte. »Einsam mit seinen Erinnerungen und Gedanken hat er nicht nöthig, sich vom Leben übersättigen zu lassen, um seiner Heimath und Jugend zu gedenken.«
»Ich hoffe nicht, Eckbert Bremer,« erwiederte Tina, »daß Ihr so Böses von mir glaubt.«
»O! nein, nein!« sagte Eckbert sanft, »aber haben wir uns nicht Beide verwandelt und Beide vielleicht getäuscht? Eckbert ist ein Mann geworden und Tina –«
»Nun, und Tina?« fragte sie freundlich.
»Tina, das feine, freundliche Kind ist verschwunden und das edle hochgeborne Fräulein von Wardo steht vor mir. Statt der blonden Locken sehe ich Puder und Goldschleifen, statt des ländlichen Mieders die stattlichen Moden der großen Welt.«
»Aber Tina ist dennoch die alte Tina geblieben,« sagte sie mit unwiderstehlichem Liebreiz, »die beste Freundin ihres treuen Spielgefährten, des guten wilden Eckbert, dem sie herzlich zugethan ist.«
»Wirklich!« rief er mit plötzlich leidenschaftlichem Feuer, indem er ihre Hand ergriff, »darf ich es glauben; so herzlich zugethan wie ehemals?«
Erschrocken befreite das Fräulein ihre Finger, dann trat sie zurück, erstaunt und erschreckt.
Eckbert sah sie stolz und fragend an. Er machte ihr eine tiefe Verbeugung und sagte im ruhigen Tone:
»Mein gnädiges Fräulein, ich werde immer diese hohe Gnade zu würdigen wissen. Mein Vater ist der treue Diener Ihres Vaters, gestatten Sie mir, bis an den Tod der Ihre zu sein.«
Tina antwortete nicht. Sie sah auf den bunten gaffenden Fischerhaufen, dem ihr Vater so eben eine Rede über die Pflichten des Gehorsams gegen ihn und seinen Voigt hielt. Plötzlich aber erhielten ihre Züge wieder den freundlichen Ausdruck; liebevoll und traurig blickte sie auf den stolzen Diener, der ihr zürnte.
»Gut, Eckbert Bremer,« sagte sie leise, »ich nehme Eure Zusicherung an, vergeßt aber nicht, daß Ihr mir von diesem Augenblick strengen Gehorsam schuldig seid und thun sollt, was ich Euch befehle. – Laßt uns denn hinabgehen und seid freundlich, lieber Eckbert. Mein Vater will Euch wohl, und ich – ich hab' es ja gesagt, daß ich immer Eure Freundin bleiben werde.«
Sie warf einen langen ermunternden Blick auf ihn, sprang dann den Hügel hinab, und überließ es Eckbert, ihr zu folgen oder zu bleiben. Auch war es Zeit, daß sie kam, denn eben ordnete sich der Triumphzug, welcher den Freiherrn zum Hause des Voigts geleiten sollte. Der Baron, seine Tochter und sein Neffe gingen zwischen Kronen und Kränzen, falschen Lauben, die von den hübschesten Dirnen getragen wurden, ihm folgte der Pastor aus dem Stranddorfe drüben, ein dicker, rüstiger, geistlicher Herr, dem die Seelsorge auf Hiddensee auch gehörte, und der so eben gelandet war, um seinen Theil vom Feste zu empfangen; dann kam die Schaar der jungen Fischer, welche buntfarbige Netze und Ruder schwangen, ihre Mädchen, mit Tannenzweigen und Bändern geschmückt, gingen an ihrer Seite und an der Spitze schritten die Musikanten; ein Dudelsack, eine Pfeife und ein Waldhorn, die eigens aus Bergen verschrieben waren und einen Höllenlärm hervorbrachten. Den Schluß endlich machten die alten Leute, welche sich heut verjüngt zu haben schienen und aufs Tapferste mitsangen und jubelten. –
Das war der Festzug, der den Baron bis zu dem gastlichen Hause seines Voigts führte, einem alten, finstern und verfallenden Gebäude, das Kloster genannt, weil es lange Zeit in katholischer Zeit eines gewesen. Auf dem geräumigen Vorplatze des Klosters standen aber die Tische und Tafeln schon gedeckt und Alles war zum Empfange vieler wackerer Zecher und Esser wohl bereitet, denn heut am Ehrentage bewirthete Niklas Bremer jeden, der sein Gast sein wollte.
Diesen guten Vorsätzen und alten Sitten würdig zu entsprechen, waren Berge von flachen, mit Honig bestrichenen Kuchen an den Ecken der Tische aufgethürmt, daneben standen große Holzschüsseln mit Rauch- und Salzfleisch und Fischen gefüllt; ein ganzes Faß voll Butter stand geöffnet in der Mitte, und lud Jeden ein, nach Belieben zuzulangen; ein Holländer-Käse, groß wie ein Wagenrad, lag auf einem Kasten, und dicht nebenan war ein Gestell, auf dem ein Faß mit ächtem Genever ruhte, Gläser dabei zum Gebrauch der Trinker.
Als nun Alle Platz genommen hatten, wurden große Stücke gebratenes Schaffleisch vor den Gästen aufgesetzt, welche über die leckere seltene Speise selbst den Freiherrn zu vergessen schienen, der an einem eigenen Tische, mitten unter seinen Lehnsleuten sich niedergelassen hatte, neben sich Tochter und Neffe und an der Tischecke der geistliche Herr, welcher lüstern umherspähte und bei jeder Frage des gnädigen Herrn sich tief und lächelnd verneigte. Im Schatten der einzigen Buche auf der Insel, eines schönen herrlichen Baumes, saßen sie und der kühle Seewind strich über das Tafeltuch von glänzend weißem holländischen Linnen, das Niklas Bremer aufgelegt und mit besonderer Kunst den Tisch geschmückt hatte. Denn blau und roth geblümtes englisches Porzellan stand darauf; blanke, neue Messer in weißen Hornschalen aus Birmingham lagen daneben, sechs Löffel waren von schwerem Silber und sogar ein Salzfaß sammt vier Bechern von demselben edlen Metall. –
Mit geheimem Wohlgefallen sah der Voigt, wie der Freiherr die Löffel in der Hand wog, und kaum konnte er seinen Stolz verbergen, als der Baron verwundert ausrief:
»Bei meiner Ehre! Niklas Bremer, es ist wahr, was die Leute sagen, Ihr seid ein wohl begüterter Mann geworden.«
Lächelnd winkte Niklas seiner Nichte, der hübschen Dirne, die ins Haus eilte, nach der Küche zu schauen, und mit Dingen wiederkehrte, die man schwerlich hier auf der öden Bank in der Ostsee vermuthet hätte. Sie trug auf den schönen bunten Schüsseln allerlei kostbare Gerichte, welche dem Freiherrn und dem Pastor gar wohl zu behagen schienen. –
Da waren ein paar gemästete Truthähne, die Eckbert weit aus England hergeführt, da kam eine feine Pastete, welche dem Voigt ein französischer Schiffskapitain verehrte, dessen Brigg von ihm aus den Untiefen ins freie Wasser geführt ward, denn Herr Niklas Bremer war der erfahrenste Lootse weit und breit; da kam endlich eine Schildkröte aus St. Tomas, die ein dänisches Schiff geliefert hatte, das vor wenig Tagen gestrandet war. Die köstliche Brühe ward als Dessert umhergereicht und daneben perlte blanker und dunkelrother Wein abwechselnd in den Silberbechern.
Dann riefen die Fischer Gesundheit und langes Leben über ihre gnädige Herrschaft: Sie schwenkten ihre Kappen, Fahnen und Tücher und die Dirnen kamen und sangen die alten wundersamen Lieder aus grauer Heidenzeit, Glück- und Zaubersprüche in grellen eintönigen Weisen. Dabei drehten sie sich im Kreise rund um die Tafel des Freiherrn und neigten, beugten und kreuzten sich und pflanzten ihre grünen Tannenzweige, wie ein Wald, rings in den Boden um seine Herrentafel. Dann brachten sie ihm Geschenke dar: Matten und feine Netze, die von den alten Leuten wieder mit besondern gereimten Sprüchen begleitet wurden, welche immer damit endeten, daß er ihnen ein gütiger Herr sein und dafür in Allem, was er thue, vom guten Gott gesegnet sein möge. –
Den jungen Baron schienen diese charakteristischen, alt hergebrachten Sitten unendlich zu langweilen. Nur zuweilen erwachte er aus seiner Unbeweglichkeit, um der hübschen flinken Anna nachzublicken, oder ihr leise Worte zuzuflüstern, die sie geschmeichelt mit feurigen Blicken zu erwiedern suchte; Tina aber freute sich innig über die treue einfältige Liebe der guten Menschen, zürnte heimlich auf Eckbert, der immer noch nicht erscheinen wollte, und dachte nach über sein hochfahrendes Gemüth.
Endlich stand der Freiherr auf und dankte seinen Lehnsleuten voll Huld und Gnade, indem er in plattdeutscher Küstensprache zu ihnen ein altes Gelöbniß sprach, sie wie treue, gute Männer zu lieben und zu schützen, und ihnen ein gnädiger, gerechter Herr zu sein. Niklas Bremer aber dankte er besonders, erneute ihn in Amt und Würden, und dann wiederholte er lächelnd das stolze Wort eines Welteroberers.
»Bei meiner Ehre!« rief er, »wäre ich nicht der Freiherr von Wardo, so möchte ich der Voigt von Hiddensee sein! – Dies Glas auf Euer Wohl, mein getreuer Niklas Bremer!«
An diesem Festmahle, das lange Jahre noch in den Erinnerungen der Fischer bewunderter fortlebte, als die prachtvollsten Feierlichkeiten in fürstlichen Residenzen, hatte nur ein Mensch auf Hiddensee nicht Theil genommen. Eckbert Bremer stand auf der Düne am Meer, bis der Zug, der nach seines Vaters Hause ging, vor ihm verschwand, und die Töne der Musik, das Singen und Jauchzen der freudigen Menge aus der Ferne dumpf zu ihm hinklangen. Lange richtete er die Augen auf den Punkt, wo Meer und Wolken sich verbanden, bis er plötzlich mit einem Stoß den Stein, auf welchem sein Fuß geruht hatte, ins Wasser stürzte und mit starker Stimme sagte:
»Sind sie denn nicht Alle so, wie diese? – Ich sah, wie Scham ihr Gesicht färbte, als der Sohn des Voigtes von Hiddensee es wagte, ihre Hand zu berühren. Einst trug ich sie auf meinen Armen, wie oft habe ich ihre Lippen geküßt, jetzt schaudert sie vor meiner Berührung. – Sonst und jetzt,« fuhr er mit einem düstern Lächeln fort, »o! Ihr armen, reichen Leute, wie leicht vergeßt Ihr Eure Menschlichkeit! Nein, sorgen Sie nicht, meine gnädigste Schönheit, Eckbert Bremer wird es niemals wagen, Sie zu berühren; er wird sich fürchten und hüten, fortgestoßen zu werden, wie der Stein dort von meinem Fuße.«
So mit sich selbst sprechend ging er weiter, wohl um das halbe Eiland. Er besuchte alle die Plätze, wo er sonst mit Tina gespielt, lebte in seinen Erinnerungen alle Stunden noch einmal, die plötzlich neu und frisch aus dem Schatten der Vergangenheit traten, und wiederholte immer wieder seine Worte: »Ohne Sorgen, Euer Gnaden, Eckbert Bremer wird nicht wieder so bäuerisch ungezogen sein.« –
Und endlich lehnte er an die alten verwitterten Föhren, die einen Wall im Westen der Insel bildeten, und betrachtete die Stellen in den Dünen, wo er für sich und das kleine Mädchen ein Haus gebaut, worin sie ewig mit ihm wohnen wollte. Da lachte er laut und sein langes blondes Haar flatterte in der Luft, sein großes, blaues Auge eilte durch Meer und Himmel in die unendliche Ferne. –
»Was ist ihnen denn eine Ewigkeit?« rief er, »und wie thöricht war es von mir, nur einen Augenblick mich von den sanften Worten, von der Herrlichkeit ihres Wesens hinreißen zu lassen?! Fort mit der albernen Träumerei, du wirst dich nicht zu Schanden machen, Eckbert. Wohlan denn, laßt uns fröhlich sein: Lust um Lust, Glück um Glück, und wenn es sein muß, wohl auch nach dem Worte der heiligen Schrift: Auge um Auge und Zahn um Zahn!«
Er ging schnell zurück, und kam eben noch zur rechten Zeit, um die Rede des Freiherrn und die neue Bestallung seines Vaters, als Voigt von Hiddensee, mit anzuhören. – Wie der silberhaarige, schöne Greis vor dem Freiherrn stand, den er weit an Gestalt, Kraft und Würde überragte, kam es Eckbert und vielleicht auch noch Andern vor, als sei der Voigt der eigentliche Herr und Gebieter. Aber der Baron hob sein Glas und sagte vertraulich:
»Eines, mein lieber Niklas Bremer, habe ich Euch noch zu melden. Bald wird ein anderes Fest da drüben gefeiert werden in Schloß Wardo. Die Fischer von Hiddensee werden mit Netzen und Bändern kommen, Geschenke bringen und die alten Lieder singen, die sie vor mehr als dreißig Jahren mir an meinem Ehrentage aufspielten, als ich eine Frau heimführte. Versteht Ihr, Niklas, versteht Ihr mich, Voigt von Hiddensee?!«
»So ist es also wahr, was wir hörten,« erwiederte der Voigt, »daß mein gnädiger Herr sein einziges Kind in die Ehe geben will.«
»Es ist Zeit, wie ich denke,« versetzte der Herr von Wardo, den der Wein fröhlich machte. »Ist es nicht ein schönes, feines Mädchen, Niklas Bremer?«
»Der Herr segne sie,« sagte der alte Mann.
»Mein Stolz und die Freude meines Alters,« fuhr der Baron fort. »In Stockholm hätte sie wohl mehr als einen der vornehmen, jungen Reichsräthe haben können, aber meine Wahl war getroffen. Ihr wißt es ja,« murmelte er leiser, »daß ich keine männlichen Erben habe und mein reiches Gut in diesem Falle dem jungen Menschen dort, meines Bruders Sohn, zufällt. – Nun seht, darum hab' ich ihn zu mir kommen lassen, und Alles fügt und macht sich nun, wie es soll. – Sie wissen, daß sie für einander bestimmt sind, sie lieben sich auch, und ehe den Buchen auf Rügen die Blätter abfallen, wollen wir die Hochzeitskuchen backen.«
Der Voigt von Hiddensee blickte auf den jungen Kammerherrn, der neben Tina saß, als wäre er von Stein. Ein Lächeln lief über sein faltiges Gesicht, und sein großes Auge ruhte starr auf ihm. –
»Der junge, gnädige Herr sieht ein wenig krank aus und matt,« sagte er.
»Das versteht Ihr nicht, Niklas,« erwiederte der Baron, »das macht die Hof- und Stadtluft, das Leben in der großen Welt, wo man schnell blüht und ablebt unter Festen, Intriguen und Geschäften; und der da, so jung er ist, hat doch auch schon sein Theil davon erfahren. – Ihr habt wohl gehört, wie sich die Hüte und Mützen da drüben in Schweden streiten,« fuhr er lachend fort, »die französische und russische Partei; und wie unser gnädigster König, ein wackerer Herr, dem aber die Hände von allen Seiten gebunden sind, die Sachen eben gehen läßt, wie sie gehen, und sich nur selbst zu schützen sucht. Da ist nun Bruno lange in seinem Vertrauen gewesen und die Hüte, die Franzosen haben seine Rathschläge und List wohl benutzt, endlich aber sind die Mützen, die Russen, doch obenan und der König hat alle seine Hüte, d. h. seine Kammerherrn von sich thun müssen und dafür lauter Mützen angeschafft, den stolzen Herrn vom Reichsrath zu Gefallen. Das hat Bruno so blaß und reizbar gemacht; mich aber freut es, denn nun kam er zu mir, und in unsern grünen, frischen Thälern an der See, und in Gesellschaft meiner Tina soll er schon gesund werden«
»Es scheint aber noch nicht viel gewirkt zu haben, mein gnädiger Herr,« sagte der alte Mann. »Die Liebe macht den Menschen gesprächig und voll süßer Lust, trunken wie vom süßen Wein. Sie sitzen aber Beide da, und sehen sich nicht an.«
»O! Du närrischer Voigt!« rief der Baron, »glaubst Du denn, die Liebe solches Mannes soll wie die eines Bauers sein? Das lacht und packt sich an und zaust sich; der feine Herr aber und obenein so ein Politikus, der läßt es gar Niemandem merken, was in seinem Innern vorgeht.«
»Jeder also in seiner Weise,« erwiederte der Voigt; »wenn ich aber offen sagen soll, die unsere gefällt mir weit besser. – Da nun mein gnädiger Herr mir sein Vertrauen geschenkt hat,« fuhr er fort, »so erlaubt er mir wohl auch ein Wort zur guten Stunde: – Eckbert, mein Sohn, ist nicht minder mein einziges Kind, und ich bin ein alter Mann, der gern ein Enkelchen wiegen möchte. – Darum habe ich ihm ein Weib ausgesucht, nach unserer Väter Weise, unter den Dirnen auf Hiddensee.«
»Und da steht sie!« rief der Freiherr und deutete auf die schwarze Anna, deren strahlende Augen gerade jetzt herüber auf den jungen blassen Erben von Wardo funkelten.
»Wenn es Gottes Wille ist, ja,« sagte Niklas Bremer.
»Warum sollte es Gottes Wille nicht sein?« erwiederte der Baron. »Es ist ein hübsches Mädchen geworden, Eurer Schwester Kind, und ich statte sie aus. Eckbert soll einst Voigt hier werden, wie Ihr es jetzt seid, und Anna – nun Niklas Bremer,« murmelte er, »wir wollen nicht weiter reden von alten, vergessenen Geschichten, aber ich will es so haben, es ist mir aus der Seele gesprochen, Mann, sie soll den Eckbert heirathen, damit ist alle alte Sünde für immer abgethan.«
Dies sprach der Freiherr sehr rasch und laut, und nun hob er den Becher empor und rief, daß es Alle hörten:
»So haben wir denn also zwei Brautpaare hier, und ehe die Vögel wieder singen, werden die auch ihr Nestchen gebaut haben. – Eckbert, wo ist er denn? ha, da! – Kommt her zu mir, junger Mensch, wo habt Ihr so lange gesteckt? kommt her, Ihr sollt ein ander Meer durchsteuern, ein bodenloses, unergründliches: Denn eines Weibes Lieb' und List, Ihr guten Männer, daß Ihr's wißt, ist das ärgste Meer voll Klippen.«
Das sagte er aus einem alten Liede, und dann rief er wieder nach Eckbert, der herbeikam und seine Muhme verließ, mit der er gesprochen hatte.
»Eckbert,« sagte der Baron mit besonderer Zutraulichkeit, »Er ist ein junger Mensch, der mir wohl gefällt, dessen Glück ich auch machen will, wenn Er es verdient« – hier gerieth er ein wenig in Verlegenheit und hielt inne, denn der Sohn des Voigts blickte ihn so lächelnd und so stolz an, daß er nicht fortfahren konnte – »Er will seine Muhme dort heirathen,« sagte er nach einer Pause, »und das freut mich, weil Tina auch so weit ist. Ein Vater freut sich gern um eines andern Vaters Hoffnungen und Glück.«
Eckbert sah zu dem Fräulein hin, die einen sonderbar festen, fragenden Blick auf ihn warf, zugleich aber begegnete er den Augen des Kammerherrn, die, wie es ihm vorkam, widerwillig und boshaft zuckend über die schöne, junge Gestalt flogen und dann auf ihm mit besonders spöttischem Ausdruck hafteten. Zum ersten Male sah er den jungen Baron genau an, und hat es je ein feindseliges Erkennen gegeben, einen Augenblick, der hinreicht, zu entscheiden, ob zwei Menschen sich hassen oder lieben sollen, so fand er hier statt. –
Die Geister, welche uns geheimnißvoll umschweben und ein wunderbares Gespinnst von Neigungen und abstoßenden Kräften bilden, das die Herzen mit Zauber umstrickt, sprachen prophetisch zu Beiden und füllten ihre Brust mit unbesiegbarem Widerwillen. Eine dunkle Stimme murmelte Worte des Fluchs tief in Eckberts Brust über den Elenden, Übermüthigen, und Bruno lächelte noch kälter und verächtlicher, indem er seinen Gegner, im Gefühl seiner angebornen Herrschaft über den Knecht, kaum weiter zu beachten schien. –
»Gnädiger Herr,« sagte der junge Seemann, »mein Vater hat über uns bestimmt, und, wenn es sich paßt, und Anna nichts dagegen hat, so kann zukünftige Zeit uns wohl in der Kapelle dort zusammen bringen. – Jetzt aber,« fuhr er fort, »habe ich wohl noch Lust, lange durch das blaue Wasser zu fahren und mein Glück zu versuchen. Eines Menschen Leben ist bald um. Hat er erst Haus und Hof, Weib und Kind, so rückt seine Welt zusammen, sein Schicksalsbuch wird zugeschlagen, Alles geht dann seinen stillen Weg bis zum Tage, wo das Kreuz auf den Sand gesteckt wird, unter dem er schläft.«
Der Baron runzelte seine kahle Stirn und sah den Burschen ärgerlich an. –
»Potz Stern!« sagte er, »der philosophirt auch, wie jetzt das Wortemachen genannt wird, und giebt uns aus seinem jungen Kopfe gute Lehren. – Liebes Kind, weißt Du nicht, wie es Deine Väter und Urväter hielten, und was hier seit grauen Zeiten Sitte ist? – Wenn der Vater spricht: Du heirathest morgen, so neigt sich der Sohn und sagt: Ja, Vater, wen giebst Du mir in die Ehe? Ich hätte wohl Lust zu Nachbars Lisette. – Aber der Vater schüttelt den Kopf und spricht: Du nimmst die Susanne. Es ist Alles abgemacht, zieh Deinen Rock an, binde Dein blaues Tuch um den linken Arm, halte den grünen Zweig in der rechten Hand, und klopfe um die fünfte Stunde an ihre Thür, so wird sie aufmachen. – Da geht der Sohn und in drei Tagen ziehen die Hochzeitsgäste singend ums Haus und legen Brod und Salz auf die Schwelle, damit es niemals daran fehle.«
»Es ist auch einerlei für den, der es thue,« sagte Eckbert lächelnd, »ob er die Lisette nimmt oder die Susanne.«
»Demuth und Gehorsam ziemt den Kindern,« versetzte der Baron heftig, »und ich will nicht hoffen, daß Ihr Einwendungen machen wollt?«
Ehe Eckbert antworten konnte, sagte der Kammerherr:
»Warum erzürnen Sie sich denn, theurer Onkel, über eine Sache, wo Sie als Herr befehlen können, wenn Sie wollen. – Ihr junger Dienstmann hat natürlich keinen Willen; er sagt auch gewiß nicht nein, denn er weiß, daß er von Ihrer Gnade abhängt, und ist nicht so thöricht, ein schönes Mädchen, die schönste im ganzen Lande, eine Aussteuer und die Aussicht, als Voigt von Hiddensee seinem Vater zu folgen, auszuschlagen. Aber wenn er so kühne Gedanken hätte, das Alles nicht zu wollen, so könnt' ich ihm darum nicht zürnen, oder wenn das schöne Kind da einen Mann nicht möchte, dem es so gleichgültig ist, ob er sie bekommt oder nicht, so würde ich sie nicht zwingen wollen, ihm anzuhängen. Einem Menschen, der sein Glück von sich stößt, soll man den Sack nicht auf den Rücken binden.«
»Das ist falsch,« rief der alte Herr. »Ein ungehorsames Kind soll man gehorsam machen. – Welche Grundsätze man auch in Stockholm darüber haben mag, hier ist es anders. Wenn Tina sich weigern wollte, oder Du solche Geschichten ersännst, ich würde es niemals dulden.« –
»Von mir und Tina,« erwiederte der Kammerherr, indem er lächelnd den Baron ansah und dann einen stolzen schnellen Blick auf die Familie des Voigts von Hiddensee warf, »kann hoffentlich hier niemals die Rede sein. – Ich nehme den jungen Seefahrer dort nicht in Schutz,« fuhr er fort, »ich finde sein ungehorsames Benehmen keinesweges den Pflichten angemessen, die er seinem Herrn zu leisten hat, aber wenn er die Welt durchschwärmen will mit unruhigem Kopf und Geist, so mag er es thun – für die hübsche Dirne dort wird sich hoffentlich wohl noch ein anderer, besserer Mann finden.« –
»Mein gnädiger, junger Herr,« sagte Eckbert, »ich danke Ihnen für Ihre Vertheidigung, auch wenn Sie mich dabei herabwürdigen wollten.«
»Er braucht es sich nicht zu Herzen zu nehmen, mein Freund,« erwiederte der Kammerherr, eben so ruhig lächelnd, »ich will Ihn nicht beleidigen, denn was hätte ich davon, mir Seinen Zorn zuzuziehen? Ich meinte nur, es würde ein Mann zu finden sein, der besser zu würdigen versteht, was ihm beschert ist.« –
Indem er dies sagte, wendete er sich zu der schweigenden Anna, deren feurige Augen seinen Blicken begegneten, und lächelnd leise nickte er ihr zu.
»Wo ginge es doch wunderlicher in der Welt her, als unter den Menschen,« sagte Eckbert mit leichter Stimme indem er sich auch zu Anna wandte und ihre Hand faßte. »Jeder weiß Rath für den Anderen, Jeder dünkt sich klüger und besser, sucht Nesseln zu pflanzen und erntet wohl Dornen davon für sich. Ich denke, liebste Anna, das ist eine Sache, die uns Beide am meisten angeht, und die wir, wenn's den Herrschaften Recht ist, und mit meines guten Vaters Erlaubniß auch ganz unter uns ausmachen wollen. Ich bin übrigens kein Knecht, mein gutes Mädchen, wie der junge Herr dort zu glauben scheint. Die Fischer von Hiddensee waren aus uralter Zeit freie Leute, niemals erbunterthänig, aber ihrem gnädigen Schutz- und Lehnherrn in Treue und Liebe zugethan. Arm sind wir, aber darum von so edlem, gutem Blut, wie Könige und Kaiser auf Erden. Unserer Eltern Willen wollen wir thun aus Überzeugung; sie werden uns aber nicht zwingen, wenn wir in Sachen, die unsere Herzen angehen, Nein sagen müssen. Was wir aber auch beschließen, Niemand darf Rechenschaft fordern, und Dein Vetter Eckbert ist der Mann nicht, sich sein gutes Recht nehmen zu lassen.«
Der alte Voigt stand auf seinen Stock gestützt neben seinem Sohn in tiefem Nachdenken, ohne ein Wort dazu zu sagen. Der Baron aber erhob sich, und zwischen Zorn und einer gewissen Achtung vor dieser freimüthigen Sprache schwankend, sagte er:
»Er ist ein grober Patron, Eckbert Bremer, aber das ist die Folge der schlimmen Zeitläufte. Alles will oben hinaus, neue Ordnung, neue Sitte, und das Alte, Gute und Vernünftige scheint dann hart und grausam. – Und nun gar das Seevolk,« fuhr er milder fort, »das ist trotzig, grob und hochfahrend, denn auf dem wilden Wasser ist es zucht- und bandenlos, wird unfügsam gegen Gesetz und Herkommen, und denkt sich besser als Andere, weil es immer im Kampf mit herrenlosen Elementen lebt. – Gut, Eckbert, lassen wir den Streit. Ihr werdet Euch aber besinnen. Tina's Hochzeit steht fest, und wenn Ihr vernünftig und einst mein Voigt sein wollt, so geht Ihr mit dem Strauß an der Brust an demselben Tage zum Altare.«
Jetzt begannen die Spiele der Fischer zur Ehre ihrer Herrschaft, uralte Spiele, die aus der Heidenzeit sich erhalten haben; lustig tummelte sich das junge Volk auf dem grünen Platze. – Da rangen die Burschen und zeigten ihre Körperstärke, indem sie, Taue um die Brust gelegt, nach entgegengesetzten Seiten sich fortzuziehen trachteten. Dort warfen sie Steine, die von den Meerwellen in tausendjähriger, mühevoller Arbeit glatt und rund geschliffen, gleich griechischen Diskusschleuderern, nach dem Ziel, dann wurde unter allgemeinem Jubel ein Sacklaufen gehalten und endlich, als Krone von Allem, das sonderbare Spiel gespielt, das auf Rügen noch jetzt so beliebt ist, das Spiel nämlich, wo an langer Stange Reihen von Brödchen mit Honig gefüllt an Fäden aufgehängt werden. Der Spielende muß in die Höhe springen, mit den Zähnen ein Brödchen ergreifen und vom Faden reißen, ohne daß es platzt und der süße Inhalt ihm übers Gesicht fließe – Macht er es geschickt, so ist das Brödchen sein, ungeschickt wird er ausgelacht und verhöhnt.
»Das ist ein uraltes Nationalspiel, was vielleicht schon bei den Festen der alten Rugier und Heruler, bei den alten Götterfesten der Herta gespielt wurde,« sagte der Baron, nachdem er häufig sich den Bauch vor Lachen gehalten, und Tina herzlich eingestimmt hatte. Denn es sah gar zu lustig aus, wie die jungen Männer und Mädchen, Einer hinter dem Andern, sich in eine Reihe stellten, auf die Brodstange losmarschirten, mit fest an den Leib gedrückten Armen emporsprangen, wie gierige Leviathane nach dem Raube schnappten, und größtentheils unverrichteter Sache abziehen mußten, oder die süße braune Fluth plötzlich das ganze Gesicht überklebte. Nur Wenigen gelang der Sprung, diese wurden als Sieger gepriesen, und waren stolz auf ihren Ruhm.
»Ich glaube wirklich, daß Übung und Geschicklichkeit dazu gehört,« sagte Tina.
»Geschicklichkeit für diese plumpen, dummen Teufel allerdings,« erwiederte der Kammerherr, »für Jeden, der ein wenig gewandter, ist es eine Kleinigkeit.« –
»He, Eckbert,« rief der alte Herr, der den jungen Seemann erblickte, »warum nehmt Ihr nicht auch ein wenig Theil an den Spielen Eurer Landsleute?«
»Weil ich es verlernt habe,« erwiederte der Sohn des Voigts, »solche Spiele zu spielen.«
»Verlernt?« sagte der Freiherr. »Sprecht etwas Besseres.«
»In der That, mein gnädiger Herr,« fuhr Eckbert fort, »ich fürchte mich, Kleid und Gesicht zu beschmutzen und obenein ausgelacht zu werden«
»Schämt Euch, Eckbert Bremer, schämt Euch,« rief der alte Herr. »Wäre ich nicht zu alt, ich versuchte es wohl selbst.«
»Ich werde es für Sie thun, Oheim,« sagte der Kammerherr, und mit leichtem Anstand lief er vorwärts bis unter die Stange, sprang in die Höhe, ergriff wirklich ein Brödchen, verfehlte aber den nöthigen Ruck, um den Faden zu zerreißen, zerbiß die leichte Schale und schwamm plötzlich in Honig, der über sein schönes Gewand floß.
Einen Augenblick lang ließ sich das verhöhnende Gelächter der Fischer nicht zurückhalten, denn der Anblick war ihnen zu neu, der feine, gepuderte Mensch mit dem verklebten Gesicht, hustend, wischend und spuckend, ein äußerst komischer Anblick. – Der Baron lachte auch übermäßig, Tina aber war glühend roth, und sah Eckbert an, der die Niederlage seines Gegners schweigend betrachtete. In der nächsten Minute jedoch verstummten die lustigen Kinder von Hiddensee, denn der junge Baron rief zornig nach Wasser und Beistand und schien den Spaß gar nicht so spaßhaft zu finden Mit funkelnden Augen starrte er die armen Leute an, besonders Eckbert, dessen Ruhe sein stolzes Herz empörte. Er bezwang sich mühsam, eilte in das Haus, wo die hülfreiche Anna ihm mit allen Zeichen der Theilnahme und Sorge Beistand leistete, und bald bereute er sein Mißgeschick nicht mehr, denn er fand Ersatz.
»Mein gütig, freundliches Mädchen,« sagte er, »wie viel habe ich Dir zu danken; wie viel besser und feiner bist Du, als das grobe, dumme Volk da draußen«
»Nicht besser und nicht schlechter,« erwiederte sie, als er ihre Hand ergriff.
»Besser jedenfalls,« flüsterte Bruno, »sonst würde der Tölpel da, Dein Vetter, nicht einen solchen Schatz von sich stoßen«
»Eckbert hat einen stolzen Sinn,« versetzte sie. »Er ist nicht, wie die Andern.«
»Liebst Du ihn?« fragte er leise.
»Ich weiß nicht,« sagte sie.
»Ich bin Dein Freund, schöne Anna.«
»O, mein gnädiger Herr,« rief sie und sah ihn mit ihren schwarzen, großen Augen an, indem sie ihre Finger aus den seinen wand; »ich bin eine arme Magd.«
»Arm vielleicht, aber doch eine Königin,« flüsterte er schmeichelnd und nickte mit der schönen, lockigen Perücke. – »Heut Abend tanze ich mit Dir,« fuhr er fort, als sie schwieg. »Da wird sich Zeit finden, Manches zu sprechen. Und ich habe Dir viel zu sagen, schöne Anna, weißt Du einen Ort, wo es Niemand hört?«
»Wir können am Strande hinuntergehen,« sagte sie nach einer Pause, »bis an die östliche Spitze, wo der große Dornbusch steht.«
»Du liebes, herziges Mädchen,« rief der feine Herr vom Hofe, »Du sollst meine Führerin sein, und bis dahin tausend Dank und ein Lebewohl!«
Ehe sie's hindern konnte, hatte er sie geküßt und schlüpfte dann leichtfüßig und fröhlich hinaus über den Rasen zu seinen Verwandten, die ihn lachend empfingen und lachende Antwort erhielten.
Anna sah ihm nach und stolz betrachtete sie ihr hübsches Gesicht in dem kleinen Spiegel, der an der Wand hing. –
»Seh' ich aus, daß er mich verschmähen könnte?« fragte sie sich. – »Wie ist es doch ein ander Wesen mit solchem Herrn gegen alle diese stinkenden, schmutzigen Gesellen.« –
Bald darauf ging der ganze Zug nach dem Strande, denn in der Bucht sollte eine Wettfahrt der Fischer den Schluß der Spiele machen. – Der Abend dämmerte heran, kleine, rothe Wolken segelten an dem unermeßlichen Himmel und warfen ihren Widerschein auf das blanke Meer. – Drüben lag das grüne Rügen in die ersten blauen Nebel gewickelt, aus dem die Spitzen der Dorfkirchen mit goldenen Kreuzen und Knöpfen stiegen. Seitwärts aus der Thalschlucht schimmerten die Mauern des freiherrlichen Schlosses; die Abendsonne brannte aus hundert Fenstern, als stehe dass alte Haus ganz in Flammen, und singende Vögel, Seeschwalben und schöne, weiße Reiher und Möven durchkreuzten die mildfächelnde Luft, so weit das Auge reichte, das tief am Rande des dämmernden, lichterfüllten Horizonts an den Wäldern und Bergen der östlichen Halbinsel ausruhte.
Der Baron nahm Platz in seinem Richterstuhl, der auf die Düne gestellt war; unten an einer fernen Landzunge wurden dann die kleinen Boote aufgestellt. – Die kraftvollste, junge Mannschaft hatte sich hier versammelt, riesenhafte Lootsen, welche von frühster Jugend auf die Ruder gehandhabt und in mancher Schnellfahrt glücklich bestanden hatten. –
Schon waren zwanzig Nachen in Reih' und Glied geordnet und erwarteten das Zeichen, als Eckbert plötzlich in einen der übrigen sprang, und am Spiele Theil zu nehmen erklärte. Sein Entschluß wurde freundlich aufgenommen, und selbst ein gewisses Rechts- und Freundschaftsgefühl für den alten Spielgefährten machte sich bei mehreren der Fischer geltend, die ihm gute Lehren gaben, und bewiesen, daß sein Schlagruder zu schwer, sein Boot auch keins der besten sei. Zwei oder drei baten ihn sogar heimlich, die Wette nicht mitzufahren, da Jeder an diesem Tage thun werde, was er vermöge, und sie selbst, so leid es ihnen auch sei, doch ihr Äußerstes versuchen müßten.
Der junge Kapitain dankte lächelnd für ihren Rath, und indem er seinen schweren Spalten mit einigen Schlägen prüfte, die sein leichtes Fahrzeug in die Reihe brachten, sahen die Kinder von Hiddensee wohl ein, daß ihr alter Kamerad die Ruderkunst nicht verlernt habe und kein zu verachtender Gegner sei. –
In diesem Augenblick erfolgte der sehnlich erwartete Pistolenschuß als Zeichen, und fünfzig kräftige Arme schnellten die kleinen Schiffchen mit Pfeilesgeschwindigkeit fort. Indeß galt es hier die Kraft mit der Kunst zu vereinen, durch gleiche Schläge eine gerade Linie durch das Wasser zu ziehen, nicht rechts, nicht links davon abweichend den Zusammenstoß mit einer andern Barke zu vermeiden, zu gleicher Zeit aber die Spitze zu gewinnen und dann mit wachsender, ausdauernder Kraft der Erste am Ziele zu sein. –
So sah man denn eine belebte, von der größten Theilnahme sämmtlicher Bewohner begleitete Scene und keine Wettfahrt der Gondoliere Venedigs, oder der Themseschiffer in London, konnte je wohl eine größere Begeisterung erregen – Eine kurze Zeit blieben die Wettfahrer in gleicher Reihe, dann schoß ein halbes Dutzend da und dort um Bootslänge daraus hervor. Nun gab es ein Streben der Anderen, den Verlust einzuholen, darüber verloren aber manche die Richtung, stießen aneinander oder mußten die Ruder kürzen, verloren Zeit mit einer halben Wendung, riefen den Ungeschickten Zorn- und Scheltworte zu, strengten in höchster Eile alle Muskeln an, oder überließen sich der Gewißheit des Verlustes und zogen es vor, lieber das Hohngelächter von der Düne in Empfang zu nehmen, als nutzlos ihre Kräfte zu vergeuden –
Nach einiger Zeit aber waren von den Booten nur noch drei, die um den Sieg rangen, und auf welche die Kinder von Hiddensee ihre Wetten machten, als wären sie englische Lords. Dann blieb eins davon zurück, und die Luft ertönte von Geschrei und Spottgeheul, und immer gieriger blickten die armen Fischer auf die beiden letzten Kämpfer, immer ängstlicher verfolgten sie die Ruderschläge und die Funken des Schaums, der an den Bugen weiß aufsprang in das sanfte rothe Licht des Abends. Bei jedem kleinen Vortheil des Einen oder des Andern bebten sie zusammen, Entsetzen und Hoffnungen belebten ihre rauhen Züge, und immer zitternder, erwartungsvoller starrten sie auf die beiden letzten Kämpfer, welche jetzt beinahe das Ziel erreicht hatten.
Tina lehnte sich auf den Stuhl ihres Vaters, als die Wettfahrer an der Dünenspitze heraufkamen, und ihr liebliches Gesicht war plötzlich eben so voller Antheil und voller Schrecken und Hoffnungen, wie die der armen Fischer von Hiddensee. Der alte Voigt stand ihr zur Seite, stolz aufgerichtet und schweigend. Leise legte sie die Hand auf seinen Arm und deutete hinab, da wendete er sich um und nickte mit seinem greisen Kopfe, aber seine Augen flammten vor Entzücken und Stolz.
»Was Velten!« rief der Freiherr, »Niklas Bremer, ich glaube, es ist Euer Sohn, der da unten rudert, und meiner Treu, er wird gewinnen, der Eckbert. Seht da! seht da!« –
Indem er sprach und mit dem Finger hinabdeutete, machten die beiden kühnen Männer ihre letzten Anstrengungen Der riesige Lootse richtete sich halb auf und ließ dann mit solcher Kraft die Ruder sinken, daß sie unter seinen Schlägen wie Halme sich zusammenbogen, aber Eckbert regierte sie leicht, frei und mit Blitzesschnelle tauchten sie in seinen Händen auf und nieder. Jetzt waren die Fahrzeuge in gleicher Höhe, jetzt schoß die Spitze des einen Bootes einen Fuß voran, nun die Hälfte, nun die ganze Länge und mit den letzten Schlägen war das Ziel gewonnen und unermeßliches Freudengeschrei stieg in die Luft
.
»Eckbert Bremer hat gesiegt,« rief der Freiherr, »führt ihn herauf, meine Kinder, oder tragt ihn her, nach der alten Sitte auf Euren Rudern, Ihr Männer von Hiddensee; und Du, Tina, setze ihm den Schilfkranz auf und gieb ihm ein Andenken an diesen Tag.«
Da stiegen sie den Hügel hinan und trugen den Sieger, der die nassen Locken von seiner Stirn wischte und sich dankend neigte. Schön und kräftig saß er, vom Abendlichte umflossen, hoch auf den Schultern seiner Gefährten und unter dem Jubelgeschrei aller seiner Landsleute, die ihm Heil und Glück zuriefen und mit Bewunderung zu ihm aufblickten, hielt er einen stolzeren Triumphzug, wie je ein Mann vor ihm. Selbst der alte Baron war angesteckt von der allgemeinen Begeisterung. Er schwenkte sein Käppchen auch durch die Luft zum Gruß und sagte dann zu seinem Voigt:
»Wohl dürft Ihr stolz sein, Niklas Bremer, auf einen solchen Sohn In meinem Leben habe ich nicht solches Wettfahren gesehen, und in der ganzen Welt kann kein Mann sein, der das Ruder besser handhabt, wie dieser junge Mensch, dem man nicht ansieht, welche Kraft er besitzt.«
»Er ist von altem Schrot und Korne, mein gnädiger Herr,« versetzte der Voigt, »und will Keinem weichen, wer er auch sein mag.«
Dabei sah er den jungen Baron an, der spöttisch mit seinen seinen Lippen zuckte und laut genug zu Tina sagte:
»Nun, meine schöne Cousine, wie gefällt Dir diese Bauern- und Fischerkomödie? Der Held derselben ist allerdings kein besonders würdiger Gegenstand Deiner Aufmerksamkeit, aber das ganze Treiben, so bunt und toll und roh, mag schon eine langweilige Viertelstunde ausfüllen; jetzt wollte ich aber, es hätte ein Ende.«
Tina antwortete nicht, denn so eben sprang Eckbert leicht zur Erde und beugte sein Knie vor ihr. –
»Seid immer Sieger, so wie heut, Eckbert Bremer,« sagte sie leise, indem sie ihm den Kranz aufsetzte, »als Andenken aber nehmt von mir« – hier gerieth sie in einige Verlegenheit, denn eine Goldspende, wie es üblich war, konnte und wollte sie ihm nicht bieten, aber schnell und lächelnd nahm sie die blaue Gürtelschleife und wand sie um seinen Arm – »nehmt von mir diese Schleife, lieber Eckbert,« sagte sie mit muthiger Stimme, »es ist das Einzige, was ich Euch bieten kann.«
»Es ist das Schönste, was ich empfangen konnte,« erwiederte Eckbert, indem er ihre Hand ergriff und festhielt. »Aber es ist ein alter Gebrauch, daß der Sieger seiner Herrin danken darf mit Hand und Mund.«
Er küßte bei diesen Worten die zarten zuckenden Finger. Eine süße Empfindung lief durch die Hand in Tina's Herz; verwirrt ließ sie es geschehen und sah den kecken Mann mit einem bangenden, liebenden Blick an. – Eckbert aber beugte sich tief und trat dann bescheiden zurück, der Freiherr rief ihn jedoch zu sich und sagte lachend:
»So sind die Frauen! Ein Bändchen, oder wenn's hoch kommt, ein Kettchen und ein Ring, damit belohnen sie ihre Ritter. Verwahrt es immerhin, Kapitain Bremer, aber der Sieger verdient einen goldenen Preis, und hier habt Ihr ihn, ich gebe ihn Euch an Tinas Stelle.«
Er drückte ihm mehrere Goldstücke in die Finger, die Eckbert dankend nahm, dann aber mit Bescheidenheit erwiederte, daß er sich von dem, was er empfangen, hochgeehrt und beglückt fühle; übel jedoch würde er thun, wenn er, ein halber Fremdling auf Hiddensee, seinen armen Freunden das Geschenk der gnädigen Herrschaft entzöge. –
»Erlauben Sie daher,« fuhr er fort, »daß ich es dem überreichen darf, der, ohne mich, gewiß auch den Kranz erhalten hätte.«
»Ihr seid ein stolzer Mann, Eckbert,« rief der Freiherr verwundert, dann blickte er ihn wohlgefällig an und setzte hinzu: »aber ein braver, tüchtiger Mann. Gebt das Geld, wem Ihr wollt, ich kann Euch darum nicht gram sein.«
Nun kam die Nacht, aber heller Tag war es um den Baum, wo der Tanzplatz eingerichtet war. Bunte Laternen brannten rings umher und die Pfeifer und Fiedler aus Bergen spielten bis um Mitternacht. Nie ist ein lustiger Tanzen auf Hiddensee gehalten worden, als damals, denn Niklas Bremer, den der Sieg und die Ehre seines Sohnes ganz stolz gemacht hatten, ließ reiche Vorräthe aller Art, Trank und Speise herbeischaffen und der alte Freiherr war wieder jung geworden unter den jubelnden vor Lust schreienden Menschen. Er tanzte zuerst mit der hübschen Anna, die er so zärtlich streichelte und schmeichelte, als sei es sein Kind, oder sein Liebchen; der alte, strenge Voigt drehte sich mit Fräulein Tina, bis er außer Athem war und alle kamen hinter ihm, die Jungen wie die Alten, ganz toll und wild, fast in bacchantischer Lust.
Von oben aber sahen Himmel und Sterne still, rein und klar auf die armen Glücklichen, mild fächelte die Luft und dann zog der Herrscher der Nacht, der Mond herauf, groß und heilig schön aus den Fluthen steigend. Seine silbernen Kleider rauschten leise über Meer und Land.
Und unter allen den Fröhlichen war Eckbert wieder allein still und ernst. – Lange stand er und sah dem Tanze zu, nur dann und wann, halbgezwungen Theil nehmend, um die Aufmerksamkeit nicht zu erregen. Er sah wohl, wie der junge Baron sich mit seiner leichtfertigen Muhme zu thun machte, wie er flüsterte und wie Beide lachten, und dann zu ihm hinblickten, oder ihn zu suchen schienen. Es verdroß ihn auch, daß der vornehme junge Herr so herablassend gegen Anna war, denn er kannte Welt und Sitte und deutete sich nichts Gutes daraus, aber bald hing er wieder seinen eigenen Gedanken nach, bis Tina plötzlich bei ihm stand und die Hand auf seine Schulter legte. Er fühlte wohl, daß sie zitterte und wie er sie ansah, kam es ihm vor, als sei sie sehr bewegt und könne nicht recht die Worte finden.
»Ihr seid sehr ernst geworden, Eckbert,« sagte sie leise. »Ist das schön und recht?«
»Giebt es nicht genug fröhliche Leute hier?« erwiederte er.
»Aber Eure Traurigkeit steckt an,« flüsterte Tina. »Warum seid Ihr traurig, lieber Eckbert?«
»Mein gnädiges Fräulein,« sagte er lächelnd, »ein Seemann wünscht sich immer wieder hinaus auf sein Element. Das Land macht ihn zum Grübler und Träumer; so geht es mir auch. Ich sehne mich fort, weit in das Weltmeer hinein, da vergißt man, was die Menschen sich ausgeklügelt haben.«
»Und jetzt denkt Ihr daran?«
»Wie sollte ich nicht?« erwiederte er.
»Ihr sollt vergessen und mit mir tanzen,« sagte sie und reichte ihm die Hand.
So traten sie in den Kreis, aber Eckbert blieb in seiner kalten, unterwürfigen und doch stolzen Ruhe. Er legte seinen Arm um den schlanken Leib der schönen Tänzerin, er konnte die Schläge ihres Herzens fühlen, wie es unruhig, heftig pochte, ihr Athem berührte sein Gesicht, ihr Auge ruhte forschend auf ihm, und doch schien er nichts zu empfinden. –
Als der Tanz beendet war, führte er das Fräulein zurück und wollte sich entfernen, aber Tina hielt ihn fest. Mit einem schnellen Blick sah sie nach ihrem Vater, der seinen Bootsmännern den Befehl ertheilte, das Fahrzeug ins Wasser zu schieben und zur Rückkehr bereit zu machen. –
»Wir scheiden, Eckbert,« sagte sie, »werden wir uns wiedersehen?«
»Wünschen Sie es?« fragte er.
Sie antwortete nicht. – Still gingen sie zusammen weiter bis an den Strand hinab. – Das Fräulein von Wardo stützte sich auf Eckberts Arm, nachdenkend sah sie über den blanken Wasserspiegel und ans die graue, nebelnde Landmasse drüben, aus welcher ein Lichtschimmer glänzte.
»Dort liegt das Schloß,« sagte sie.
»Ich erkenne es,« erwiederte er.
»Dicht dabei läuft der Park hin,« fuhr sie fort, »und in der Mitte steht ein alter Baum, unter dem ist eine Bank. Morgen um Mitternacht werde ich da zu finden sein.«
»Befehlen Sie mir zu kommen?« fragte er.
Sie wendete sich von ihm und ging zurück. Nach einigen Schritten blieb sie stehen.
»Lebt wohl, Eckbert,« sagte sie, »ich befehle Euch nichts.«
»Wo ist der Voigt?« rief der Baron. »He, Niklas Bremer! es ist Zeit, an Heimkehr zu denken. – He, Tina, Bruno, wo seid Ihr Alle, warum laßt Ihr mich allein?«
Tina kam herbei, aber der junge Freiherr war nicht so schnell zu finden, denn mitten im Tanze, als die Leute alle nur Augen hatten für die eigene Lust, war er plötzlich aus den Reihen verschwunden.
Mit schnellen Schritten eilte er den Strandweg hinab, und manchen heimlichen und halblauten Fluch that der junge Herr, als er durch den flüssigen Sand ging, und über die Gerölle und scharfen Steine, welche den Weg für einen Unkundigen beschwerlich machten. –
»Der Teufel weiß es, wohin mich die kleine schwarzäugige Hexe bestellt hat,« sagte er, als er nach einer Zeit still stand, »ich weiß es nicht, ob es nicht besser wäre, wenn ich umkehrte, oder sie hier erwartete.« –
Prüfend sah er vor sich hinaus und blickte auf eine dunkle Masse in der Ferne. –
»Nun, wahrhaftig,« sagte er, »diese Sandscholle ist doch so groß nicht, um sich zu verirren. Das dort muß der Busch sein, von dem sie mir sagte. – Vielleicht wartet sie schon und wer wird so grausam sein, ein verliebtes, gutwilliges Mädchen warten zu lassen.«
Lachend ging er weiter und bald erkannte er, daß er recht vermuthet hatte. Ein Hügel lag vor ihm, auf dessen Krone ein mächtiger Dornbusch seine wilden Ranken und Zweige seltsam kräftig in die Luft hob.
Das Gezweig, in tausendfachen Verschlingungen schwer herabhängend, hatte etwas Unheimliches und Trauriges. Der Wind rauschte hohl darin und trieb die stachlichen Blätter zusammen, Nachtvögel huschten daraus hervor und unten am Fuße des Hügels schaukelte sich das Meer träge über den Muschelsand und legte seine Schaumsäume auf die glänzenden Kiesel.
Der junge Baron sah auf das dunkle Wasser hinaus, wie es nach und nach vom aufsteigenden Monde hell wurde, wie das blasse Gefunkel mit den kleinen Wellen stieg und fiel, wie in der Ferne ein Paar kaum kenntliche, weiße Punkte am Horizont schwebten: Schiffe, die vor den Untiefen kreuzten, bis am Morgen ein Lootse an ihren Bord käme. –
Der junge Mann wandte sich gleichgültig von den geheimnißvollen Reizen einer mondbeleuchteten Meernacht gegen das Land, das klar und still unter ihm lag. – In der Ferne hörte er die Töne der Musik, er sah die Lichter, welche den Tanzplatz beleuchteten, und plötzlich verschwand der Ärger von seiner Stirn, denn eine flüchtige Gestalt lief am Rande des Hügels hin und er eilte ihr entgegen, fing sie in seinen Armen auf, drückte sie an seine Brust und bedeckte sie mit seinen Küssen, die sie mit schwachem Sträuben empfing, bis sie sich im ernstlicheren Ringen, plötzlich erschrocken über ihr Vornehmen, von ihm loszumachen strebte und stark, wie sie war, ihn wirklich zurückstieß.
»Thörichtes Mädchen,« sagte er, indem er seine gepuderten Locken wieder zurücklegte, »Du kleines, trotziges Närrchen, was giebt es denn? Ich hoffe nicht, daß Du mir zürnen willst, oder willst Du? Hast Du den Muth, mir zu sagen, daß Du mich hassest?«
»Ich hasse Euch nicht,« erwiederte sie mit unterdrücktem Lachen. –
»Nun also,« sagte er und faßte ihre Hand von Neuem, »gieb mir Deine Hand zum Pfande, daß wir Freunde bleiben wollen.«
»Und was wollt Ihr mir sagen, Herr?« fragte sie.
»Was ich Dir sagen wollte, Anna, mein Liebchen? Alles, Alles, was man einem so hübschen Mädchen sagen kann. Wie alt bist Du, Anna?«
»Sehr alt, Herr,« erwiederte sie, indem sie den Schürzenzipfel vor ihre Augen zog und dahinter hervorblinzelte. »Mehr als zwei und zwanzig; ich hätte längst einen Mann haben sollen.«
»Und Du suchst nach einem Freier,« sagte er und legte den Arm um sie. »Du schelmisches, kluges Mädchen. O! die Weiber sind sich überall gleich; Du bist gefallsüchtig, wie eine Dame, und Du verdientest es zu sein. Hab' ich nicht recht?«
»Ich versteh' Euch nicht,« sagte sie.
»Du möchtest aber doch sicher gern eine Dame werden? Fort aus diesem armen, elenden Winkel, wo man verkümmert und vergessen stirbt. Hinaus in das Leben, in die große Welt. – Und wenn ich Dich ansehe,« fuhr er fort, indem der Mond mit sanftem, zitterndem Lichte jetzt eben auf Anna fiel, und ihre Gestalt von der schwarzen Wand des Dorngebüsches ablöste, »wenn ich in Deine funkelnden Augen schaue, Deine seinen, schlanken Glieder betrachte, dann ist es mir, als wärst Du wirklich zu Besserem geboren und gehörtest gar nicht auf den Platz, wohin ein ungünstiges Schicksal Dich gestellt hat, und den Du nur mit Unwillen ertragen kannst. – Ist es nicht so, Anna? Sehnst Du Dich nicht fort?«
»O ja, oft!« sagte sie leise.
»Du armes Täubchen,« rief er zärtlicher und küßte sie, »was willst Du auch bei diesen rohen, pöbelhaften Gesellen? Anna, ich wollte Dir etwas sagen, aber es ist etwas, was Du schon weißt, etwas, was Du wissen mußt: daß ich Dich liebe, Mädchen! Und läugne es nicht, Du liebst mich auch. Ich sah es an Deinem Blick, ich erkannte es an Deinem Lächeln, an Deinem Mitgefühl, als der elende Mensch; der Dich verschmäht, mich verhöhnte. – Ist es möglich, daß er Dich nicht lieben kann? Aber gut für ihn und mich. – Liebst Du mich? sage es mir Mädchen, liebst Du mich?«
»Ich weiß es nicht, Herr,« flüsterte sie leise und verbarg den Kopf an seiner Brust.
»Du weißt es nicht,« erwiederte er lachend und mit jenem wollüstigen Ergötzen, das ein Mann, der in allen Genüssen erfahren ist und sie alle erschöpft hat, an den ersten Bekenntnissen eines jungen, unerfahrenen Herzens nimmt; »Du weißt es freilich nicht, aber ich fühle es an Deinem Zittern und Bangen. Doch Muth, es soll Dich nimmermehr gereuen. Ich will Dich aus diesem Elende befreien; Du sollst Keiner weichen an Schmuck und Pracht, wie Du Keiner auf Erden an Schönheit weichst. Dann erst will ich Dich lieben, dann sollst Du ganz mein sein, und Du wirst es mir danken, mein Kind. Wirst Du mich dann auch immer lieben und nicht treulos sein?«
Er umschloß sie mit seinen Armen, ehe aber Anna antworten konnte, rauschte es in dem Dornbusch, ein Mann schlug die wilden Ranken zur Seite und trat daraus hervor. – Mit einem lauten Schrei riß sich das Mädchen los und floh den Hügel hinab, der Freiherr faßte nach dem Degen, aber er nahm die Hand vom Griff desselben, als er sah, wen er vor sich hatte. –
»Ah, sieh da, Niklas Bremer,« sagte er, »Ihr hättet uns fast erschreckt.«
»Wirklich,« erwiederte der Voigt mit tiefer Stimme, »ich glaubte kaum, daß die Sünde, die im Dunkeln umherschleicht, noch so viel Furcht zurückgelassen hätte.«
»Was schwatzt Ihr da, alter Mann,« rief der Kammerherr, »und mit welchem Recht drängt Ihr Euch zu mir? Wißt Ihr, wer Ihr seid? Soll ich Euch Ehrfurcht lehren?«
»Wer ich bin,« sagte der Voigt und trat aus dem Schatten in das Mondlicht heraus, so schnell und drohend, daß der Baron unwillkürlich von Neuem nach seinem Degen suchte. Die mächtige, gebeugte Gestalt richtete sich vor ihm auf, dann sagte er, ihn finster anblickend: »Ich bin ein Mann, vor dem Ihr Euch hübsch hüten solltet, junger Herr. – Wahrlich,« fuhr er ruhiger fort, »Sie thäten besser, in Frieden von Hiddensee zu scheiden und niemals wieder zu kommen, ehe es Ihnen beliebte, Unehre und Zwietracht zu uns zu bringen.«
»Ich habe nicht Lust, von Euch eine Predigt über das zu hören, was ich thun und lassen soll,« erwiederte der Kammerherr.
»Thun Sie, was Ihnen beliebt,« erwiederte der Voigt, »aber Herr, es kann eine Stunde kommen, schlimmer wie diese, eine Stunde, wo alte und neue Sünden aufwachen und um Rache schreien; davor hüten Sie sich!«
»Ich glaube, Ihr erfrecht Euch, mir zu drohen?« rief der Freiherr. – »Geht, verlaßt mich, ich befehle es Euch!«
Der alte Voigt stützte sich auf seinen Stock und sah ihn schweigend an. Der Mond fiel auf sein langes, silberweißes Haar und schien daran herabzufließen auf die klare Sanddecke des Bodens; die dornigen Hände des Busches streckten sich nach den beiden Männern aus, als wollten sie sie anfassen und in ihr Gewirr ziehen, unten aber schlugen die Wellen an das Gestein und zeigten, lauernden Raubthieren gleich, ihre weißen Zahnreihen.
»Was starrt Ihr mich an?« fragte der junge Freiherr mit ungewisser Stimme, denn eine sonderbare Empfindung schlich durch sein Herz. »Wollt Ihr mich verlassen?«
»Es ist seltsam,« versetzte der Alte, als spräche er mit sich selbst, und dabei schüttelte er seinen weißen Kopf, »so sagte er damals auch; und so sah er aus, so trotzig und so gottlos. Ja, ja, mein junger Herr, ich gehe; ich will nicht wissen, wer die Dirne war, die in Ihren Armen lag, denn ich, der Voigt, würde sie bestrafen müssen. Aber laßt es Euch gesagt sein, meidet Hiddensee, setzt den Fuß nicht mehr auf diesen öden Sand. Ihr könntet leicht darin versinken.«
Mit raschen Schritten ging er fort und Bruno folgte ihm nach einigen Minuten.
»Ich glaube wirklich,« sagte er endlich mit einem verächtlichen Lachen, »der alte Narr hat das Mädchen nicht erkannt, wie hätte der Bauer sich auch verstellen können?! Aber für seine Grobheit soll er mir büßen. Dieser Beherrscher von Hiddensee hat etwas Stolzes und Kühnes in seinem Wesen, das sehr belustigend wäre, wenn es nicht in Beleidigung ausartete. Geduld, es wird eine Zeit kommen, wo ich ihm Demuth lehren will, ihm und seinem Tölpel von Sohn.«
Nachdem der alte Baron mehrmals vergebens nach dem Voigt gerufen hatte, kam dieser endlich und entschuldigte sich mit seiner mannigfachen Beaufsichtigung des fröhlichen Haufens, der jetzt mit Fackeln aus Wachholderholz bewehrt, singend und jauchzend der gnädigen Herrschaft das Geleit gab. –
Der Freiherr war so voll Güte, daß er Vielen Geschenke zusicherte und sich für die herzliche Freude, die sie ihm gemacht, bedankte. Dem Voigt bezeigte er sein ganzes Wohlwollen, indem er ihm die eine Hand reichte und schüttelte, Eckbert aber die andere und Vater und Sohn einlud, ihn morgen auf seinem Rittersitze zu besuchen. –
Auch Tina dankte den armen Leuten und Keiner war, der nicht mit Vergnügen die Worte von ihren holdseligen Lippen fließen hörte. Zu Eckbert sagte sie nichts, sie grüßte ihn mit einer leichten Kopfbewegung und wendete den Kopf so rasch von ihm ab, als wolle sie ihn meiden.
Wie der Zug sich dem Landungsplatze näherte, erschien auch der Kammerherr und mischte sich in die Reihe, indem er plötzlich dicht vor Eckbert trat und seiner Cousine beim Einsteigen die Hand bot. Gleich darauf setzten sich die Ruder in Bewegung, der alte Baron rief seinen armen Lehnsleuten Dankworte und Glückwünsche zu, indem er sein Käppchen abnahm und nun begleitete Jubelgeschrei und Fackelschein das Boot, bis es als ein ferner Punkt auf dem mondbeglänzten Meerarm schwebte und im Schatten der Ufer an der Halbinsel Wittow verschwand. –
Der Voigt führte seine Gäste zu dem Baume zurück, und während er mit dem geistlichen Herrn im Gespräch und bei der Flasche verweilte, schwenkten sich die Dirnen und Burschen, aber die rechte Lust war aus, und als die Mitternacht kam wurde es still auf dem Platze. Ein Paar nach dem andern nahm Abschied, hier truppweis, dort einzeln, und zuletzt waren wenige nur, die mit den Musikanten Abrede genommen hatten, an irgend einem andern Orte bis an den Morgen zu siedeln und zu tanzen.
So zogen sie denn zusammen ab, nachdem der Voigt und der geistliche Herr mit langsamen Schritten dem Kloster zugingen, aber aus der Ferne hörten sie noch lange das Jauchzen und Singen und die scharfen Töne des Piepbocks, den der lustige Pfeifer unaufhörlich blies.
»Den Tag hätten wir also auch hinter uns, lieber Freund,« sagte der Prediger, »aber es ist wirklich ein ausgezeichnet gnädiger Herr, und wies schön ist die Fräulein Tochter geworden, wie herablassend und mild gegen Jedermann, besonders aber gegen Ihren Sohn, Herr Voigt, der zu meiner Verwunderung gar kein Gefühl dafür zu haben schien Ich zitterte ordentlich.«
»Er macht sich nichts aus den Weibern,« erwiederte der alte Mann. »Es ist gut so.«
»Sie sind ein recht sonderbarer Mann, Herr Bremer,« fuhr der Prediger lachend fort. »Aber mit der Heirath haben Sie Recht; man muß Niemanden zwingen, ohne Zuneigung ein Weib zu nehmen.«
»Das ist mein Satz,« sagte der Voigt. »Aber,« murmelte er halblaut vor sich hin, »es wäre mir doch sehr lieb, wenn das Mädchen schnell einen guten, rechtschaffenen Mann hätte.«
Beide gingen schweigend weiter, bis der Prediger, aus tiefem Nachdenken erwachend, wieder das Wort nahm. –
»Muß es denn der Eckbert sein?« sprach er, indem er still stand und die Hände auf den Rücken legte, »giebt es denn nicht auch andere gute Männer hier, die wohl im Stande wären eine christliche, gesegnete Ehe zu schließen?«
»Ich wüßte keinen,« sagte Herr Niklas.
»Ich sollte meinen,« flüsterte der geistliche Herr halblaut, nachdem er sich besonnen, »ich wäre selbst ein solcher. – Ja, mein werther, alter Freund,« fuhr er herzhafter fort, »nun es heraus ist, kann ich es wohl sagen. Es liegt mir lange schon in Leber und Nieren, als müßte ich diese Prüfung – ich meine die Ehe – auch bestehen, wie andere weise und närrische Leute von Adam ab bis auf den heutigen Tag. Auch kann ich sagen, daß meine Gefühle sich schon oft auf den besagten Gegenstand richteten, den Ihr zu verheirathen habt, und wenn Sie meinten, Herr Niklas Bremer, und wenn Jungfer Anna nichts dagegen hätte, und was könnte sie dagegen haben – so – so –«
Er sah den Voigt an, der nichts antwortete, sondern wie in tiefen Gedanken weiter ging. –
»So könnte ein absonderlich gesegnetes Bündniß aufgerichtet werden zwischen uns, das der Segen des Herrn erleuchtet,« fuhr der Pfarrer fort. – »Was soll ich einsam da drüben in dem schlechten Stranddorfe wohnen? Ich ziehe hierher nach Hiddensee; es haben vor mir ja viele fromme Männer hier gewohnt, und zur gräulichen katholischen Zeit, bis sie mit Stumpf und Stiel ausgerottet wurde von den guten, christlichen Dänen, ernährte sich ja hier ein ganzes Kloster, zehn faule Mönche in dem alten stattlichen Hause, das in der Sommernacht wie ein Palast dort vor uns liegt. Nun dachte ich, es wäre groß genug, daß wir Alle schön und bequem darin wohnen könnten und bildeten eine einzige Familie. Mein kleines Einkommen vermehrte sich auch dadurch, wir führten ein Gott wohlgefälliges, einträchtiges Leben, arbeiteten und mehrten uns, und säßen in den langen, öden Winterabenden hübsch warm zusammen.«
Sie erreichten hierbei das große, alte Thor des Vorhofes, als Niklas plötzlich still stand, seine Hand ausstreckte, die Finger des Pfarrers in den seinen zusammenquetschte und mit seiner rauhen Stimme sagte:
»So soll es sein, Herr Pastor, Ihr sollt mein Schwesterkind haben. Morgen früh will ich sie Euch zuführen, und sie wird nicht arm und bloß an Euren Heerd treten. – Jetzt laßt uns schlafen, Herr, und sprecht ein Gebet, daß Alles nach unserm Wunsch gehe.«
»Wie?!« rief der Geistliche überrascht, »ist es Euer Ernst, Herr Bremer?«
»Ich sage nie so etwas zum Spaß,« versetzte der Voigt stolz.
»Dann sei das Wort gesegnet, mein gütiger, würdiger Freund,« versetzte der Pfarrer, indem er ihn umarmte, »ich will von dem Glücke träumen, das so unverhofft zu mir gekommen ist.« –
So nahmen sie Abschied.
Als der Pfarrer in der Gaststube war und in dem hohen Himmelbett zwischen fünfzig bis sechszig Pfund Federn lag, konnte er nicht einschlafen vor glücklichen Gedanken und Bildern. Er war ein starker, fröhlicher Mann, der gern außer den himmlischen Dingen sich auch der irdischen erinnerte, und im Hause des Voigts gab es Mancherlei, was sein absonderliches Wohlgefallen erregte, auch außer den rothen Wangen des dunkeläugigen Mädchens. – Es gefiel ihm eigentlich Alles: das Silber, das weiße Linnen, das stattliche Hausgeräth, sogar das Bett, in welchem er sich wohlig ausdehnte. –
Plötzlich stockte er in seinem Gedankengange, denn unter ihm in dem Gemache zur Erde, hörte er die festen Schritte des Voigts, der auf und nieder ging, von einem Ende zum andern, umkehrte und immer wieder umkehrte, ohne aufzuhören. –
»Was mag er denn zu bedenken haben, daß es ihm keine Ruhe läßt?« sagte der Pfarrer, und dann lächelte er in der Finsterniß und flüsterte vor sich hin: »Sicher rechnet er die Mitgift aus, der alte Kauz, und darüber laßt ihn denken, so lange er will.« –
Somit legte er sich auf die andere Seite und begann einzuschlafen Aber plötzlich hörte er über sich denselben festen, eintönigen Schritt; unten klang es wieder, oben zitterte die Decklage leiser und lauter. Ein Mann ging unruhig hin und her, so oben wie unten, und je länger der Pfarrer lauschte, um so verwirrter und beklommener wurde ihm zu Muthe.
Plötzlich fielen ihm viele alte, wahre Geschichten ein, und ein Geisterschauer rieselte durch sein Haupt, vom Wirbel zur Zehe, als er an den grauen Mönch dachte, an den nicht zu glauben eine Sünde auf Hiddensee war; denn es gab viele Menschen, die ihn gesehen oder doch von ihren Vätern und Urvätern davon gehört hatten. –
Erst jetzt erinnerte er sich auch, daß er ja in demselben Kloster sei und schlafe, was jener uralte, wunderthätige Abt gestiftet, der aus Wasser Wein machte und die geheime Kunst verstand, daß ein Beutel voll Geld oder ein Stück Leinen, so viel man auch daraus nahm oder abschnitt, doch niemals ein Ende nehme, oder leer werden konnte. Und wie der letzte Schimmer des untergehenden Mondes auf die blinden Scheiben fiel und matt hereinglänzte, daß das Holzgetäfel von dichten, schwarzen Wachholderstämmen, wie sie heut zu Tage nirgend mehr gefunden werden, davon erglänzte, brach ein Angstschweiß aus ihm und er betete laut, daß Gott ihn bewahren möge vor dem bösen Feinde. –
Da ging ein kleines weißglänzendes Fünkchen vor ihm auf in der finstern Ecke hinter dem gewaltigen Ofen, und wieder eins und dann ein drittes, und alle drehten sich wie eine Sonne und schwebten auf und nieder. Und wie der Pfarrer in Todesangst lag, raschelte es an der Thür; eine Hand schlug den Holzriegel auf, ein dunkles Wesen schleppte sich mit schleifenden Schritten durch das Gemach, schwer rauschte es an seinem Bette hin, ein kalter Athem hauchte ihn an und eine dumpfe Stimme sprach zu ihm:
»Pfarrer von Hiddensee, heirathe nicht, es wird Dein Unglück sein.«
Da vergingen ihm die Sinne und als er erwachte, war es Morgen. Er wußte nicht recht, ob es Traum war, ob Wahrheit; ob das starke Getränk, das er reichlich genossen, ihm die Qual gemacht, oder ob er es erlebt, ja er wußte überhaupt nicht, ob Niklas Bremer ihm die Hand seiner Nichte zugesagt, oder ob nicht Alles wie Wind und Wasser zerflösse.
Mit einem Schauder sprang er auf, indem er einen Blick auf die finstern Wände warf, die von der Morgensonne angehaucht wurden. Er machte das Fenster auf und sah nun erst, daß es spät war. Da kam der Voigt schon vom Strande zurück, wo er Befehl gegeben hatte, die Brigg vor den Dünen durch den Kanal zu bringen, und da kam auch Eckbert von der Haide auf einem zehn Faust hohen Pferde reitend, Jagdhunde neben sich und am Sattel Meerenten und Geflügel, das er geschossen.
Der Voigt drohte seinem Gast lächelnd und sagte:
»So sind die heiligen Herrn. Sie vermahnen das Volk zum Wachen, Beten und Arbeiten, sie selbst aber sind die Allerletzten dabei und sprechen nach dem alten Spruche: Richtet euch nach meinen Worten, aber nicht nach meinen Werken. – Nun, werther Herr und Gast,« fuhr er frohgelaunt fort, »kommen Sie herunter. Die süße Milchsuppe steht auf dem Tisch und Anna hat uns vom gestrigen Feste Manches aufbewahrt, was Ihnen wohl gefallen soll.«
Der Pfarrer kam, aber er war einsilbig und verlegen, was jedoch der Voigt gar nicht zu bemerken schien Sie aßen ihr Frühstück gemeinsam. Eckbert erzählte dabei, daß in dem niedern östlichen Theil viel Wild und Geflügel zu finden sei, und dann und wann kam Anna herein, die in anscheinender Unbefangenheit schaffte und wirthschaftete, den Blick ihres Onkels aber zu vermeiden strebte.
Endlich hörte Niklas Bremer auf zu essen. Er lehnte sich in den Stuhl zurück, stützte die Hand mit dem Messer auf den großen Tisch und sagte:
»Ehe wir gehen, Eckbert, um den gnädigen Herrn drüben zu besuchen, haben wir noch eine Sache abzumachen. Ist es Dein fester Wille, mein Sohn, daß Anna nicht Dein Weib werden soll?«
»Ja, Vater,« versetzte der junge Seemann »Und ich weiß, Anna will mich auch nicht.«
»Gut!« sagte der Voigt. »Mein Wunsch war es zwar, aber es mag drum sein. – Du, Anna,« fuhr er fort und wendete sich zu dem Mädchen um, das still vor ihm stand, »tröste Dich, mein Kind, Du sollst die blaue Schürze nicht vergebens gesponnen haben. Es hat ein anderer Mann um Dich geworben, ein würdiger, hochverehrter Mann, der Ehre und Glück über Dich bringen will. – Hier ist der Pfarrer, der Dich an seinen Heerd begehrt, es ist gut so, sagte ich, und so gieb ihm denn Deine Hand und den Brautkuß.«
»Hier ist meine Hand,« sagte das Mädchen, ohne aufzublicken.
»Nun, Herr Prediger, Ihr Wille ist geschehen, nehmen Sie sie hin,« rief Niklas Bremer, »und Gott möge seinen Segen geben!«
»Freilich, freilich!« versetzte der Geistliche zögernd, indem er die Hand halb ausstreckte und zurückzog, »aber warum muß es denn sogleich jetzt sein, so ohne alle Vorbereitung, so ganz ohne hinlängliche Werbung?«
»Wie, Herr,« sagte der Voigt, und sah ihn finster an, »kennen Sie die Sitte auf Hiddensee nicht? Wenn der Vater spricht, Du heirathest, so geschieht's, und wer da wirbt und bekommt das Wort, hat einen Bund geschlossen, der fester hält, als an vielen Orten Brief und Eide.« –
Anna stand noch immer unbeweglich, als aber jetzt der Prediger wirklich die Hand von Neuem ausstreckte, warf sie Eckbert einen flehenden, schmerzhaften Blick zu, der von ihm wohl verstanden wurde.
»Vater,« sagte der junge Mann, »Du hast mir eine freie Wahl gelassen, warum soll Anna, was sie vielleicht nicht will? und da der Herr Pastor selbst keine Eile hat, so dächte ich, eine Bedenkzeit wäre hier wohl passend.«
Der Voigt hatte während dessen die Lederkappe abgelegt, seinen Hut ausgesetzt und den großen Stock genommen.
»Schweig Du still!« sagte er mit strengem Tone. »Was ich will, will ich, was ich sage, das wird gehalten, und was zwei Männer verhandelt haben, deren Rede Ja und Handschlag war, das kann ein junger Bursch, wie Du, nicht mit seiner Klugheit verderben – Hier ist das Mädchen, Herr, um die Ihr geworben habt,« fuhr er rauh und heftig fort, »gebt ihr die Hand – so – und den Bräutigamskuß auf Stirn und Mund und beide Wangen – so – jetzt, Herr, ist Alles in Ordnung, meine Nichte wird Euch Glück und Frieden bringen. Ihr seid zusammengefestet, und heut noch will ich den gnädigen Herrn fragen, wann die Hochzeit gehalten werden soll.«
Der Prediger hatte mechanisch gethan, wie ihm geboten war; im Grunde genommen war ihm der Handel auch nicht leid. Das Gespenst und die Warnung waren leerer Traum; Tag und Sonnenschein hatten seinen Muth aufgerichtet, heimlich nur nahm er sich vor, sobald nicht wieder irr dem einsamen Gemach zu schlafen, und somit küßte er herzhaft die hübsche Braut und schwor sich ihr zu nach der alten Sitte.
Nach einer Stunde, in welcher die neuen Verwandten mit ihren Wünschen und Ansichten ziemlich auf's Reine gekommen waren, verließen Niklas Bremer und sein Sohn das Kloster, der geistliche Herr aber blieb bei seiner Braut und versprach den Hof bis zur Abendzeit zu hüten. –
An der Düne lag ein Boot, das sie bald über den Meerarm brachte, und fast war es Mittag, als sie sich dem Schlosse näherten. – Birkengehege mit ihrem hängenden, zitternden Laube und weißen Stämmen, schlossen einen tiefsandigen Weg ein, der den mäßigen Hügel hinaufführte, auf welchem das ziemlich große, alte Gebäude lag. – Im Vorhofe liefen Menschen umher, Wagen wurden unter Dach gebracht, Pferde abgespannt, und einer der Diener gab ihnen Nachricht, daß Gesellschaft gekommen sei. – Ein fremder Herr aus Schweden und einige junge Herren und Damen aus der Insel oder aus Stralsund. Zugleich wies sie der Mann zur Seite in den Park, wo sie den Baron finden würden. Der alte Voigt stand einen Augenblick ungewiß überlegend.
»Ich wollte,« sagte er, »der gnädige Herr hätte uns nicht her beschieden, es wird Einem heiß um's Herz unter den vornehmen Leuten. Da es nun aber der Fall ist, so müssen wir unser Bestes thun und ihnen zeigen, daß wir auch Lebensart verstehen.« –
Bei diesen Worten setzte er den dreieckigen Hut auf die breite Seite und schritt stolz durch die Boskets gegen die Terrasse hin, auf welcher der junge Baron mit zwei andern Herren laut lachend und sprechend umherlief.
Alle spielten mit einer großen dänischen Dogge, die Kreuz- und Quersprünge machte, nach Holzstückchen schnappte und brüllend sich gegen Neckereien wehrte.
»Wohl aufgepaßt, Eckbert,« sagte der alte Voigt. »Dort steht der junge Herr, der unser Freund wohl gerade nicht ist, aber dennoch unsern Respect verdient, sollte er selbst in seinem Übermuthe uns beleidigen.«
»Und davon,« erwiederte Eckbert lächelnd, »wird er uns sogleich eine Probe liefern.«
Indem er das sagte, kam die Dogge in vollem Lauf von der Terrasse und zum großen Jubel der drei Herren sprang sie an dem Voigt von Hiddensee auf, warf den alten Mann fast zu Boden und ergriff seinen Hut, den er mit beiden Händen festhielt. Ein schallendes Gelächter begleitete den lustigen Kampf, der jedoch nur wenige Augenblicke dauerte, denn Eckbert ergriff, ohne sich zu bedenken, das Thier bei der Kehle und warf es nach einem kurzen Ringen, halb erwürgt, weit von sich. Dann half er seinem Vater auf, und schien mit diesem beschäftigt, nichts von den Schelt- und Drohworten des Kammerherrn zu hören, der mit seinen Freunden eilig herbeigekommen war. –
Erst als er sich überzeugt hatte, daß Niklas Bremer gesund und fest auf seinen Beinen stand, wendete er sich langsam um, als der junge Herr, von der Nichtachtung seiner Person empört, ihn an die Schulter faßte und ihn aufforderte, Rede zu stehen.
»Weshalb?« fragte Eckbert.
»Habt Ihr solche freche Antwort je gehört?« rief Bruno seinen Freunden zu. »Ich werde ihm Schicklichkeit lehren, Freund,« fuhr er fort; »wie untersteht Er sich, meinen Hund zu mißhandeln?«
»Haben Sie nicht gesehen« erwiederte der Seemann so ruhig er konnte, »wie die Bestie meinen Vater anfiel?«
»Es war ein Spaß,« sagte der Baron, »den sich das Thier machte, oder den wir uns machten Er wollte den Hut haben, weiter nichts.«
»Aber er warf den alten Mann nieder.«
»So steht er wieder aus,« rief Bruno zornig. »Was ist daran gelegen? Ist das Euer ganzer Grund, so will ich Euch nicht rathen, es noch einmal zu versuchen«
Eine dunkle Glut deckte sich auf Eckberts Gesicht, alle seine Adern schwollen auf, und mühsam sich fassend sagte er:
»Ich werde es thun, Herr, zehnmal, tausendmal, aber ich bitte Sie, Ihre gute Laune nicht wieder an uns zu versuchen.«
»Ich glaube, Er droht?!« rief der junge Herr und plötzlich sah er den Voigt an, es fiel ihm ein, was der sich gestern erlaubt. »Das ist ein aufrührerisch, widerspenstisch Volk,« rief er. »Der Vater ist wie der Sohn, aber nehmt Euch in Acht!«
»Laß sie ins Hundeloch werfen!« sagte einer der Herren.
»Laß den Büttel sein Amt verwalten!« sagte der Andere.
»Zwanzig, dreißig Hiebe von der ersten Sorte,« schrie der Dritte, »das hilft! Auf meinem Grund und Boden gab's auch solche Raisonneurs, ich habe sie kirre gemacht. Dein Onkel ist viel zu gut mit dem pauvren Gesindel.«
»Nur Geduld!« sagte der Kammerherr, sich abwendend, »aber laßt uns gehen, ich halte es in der Nähe solcher Geschöpfe nicht lange aus. – Geht Eure Wege jetzt, wenn es Zeit ist, werden wir Abrechnung halten.«
»Ich hoffe, ja,« erwiederte Niklas, indem er mit seinem weißen Kopfe ernst und langsam nickte.
»Unverschämter Bauer,« rief der Baron, indem er seine Reitpeitsche schwang, »wenn Du mich zwingst, meine Hand zu besudeln, so nimm das!«
Der Voigt stand, ohne sich zu regen; wie Bruno aber schlagen wollte, ward die Peitsche ihm fortgerissen und gleich darauf lagen die Stücke zu seinen Füßen
Einen Augenblick waren Alle sprachlos über eine That, deren unerhörte Kühnheit kaum begreiflich schien, aber noch ehe Worte gefunden werden konnten, trat aus den Gebüschen ein Mann, der unbemerkt dort schon einige Zeit gestanden und geschaut hatte. – Er war klein und breit geschultert, seine hohe Stirn war fast kahl, seine starken, groben Züge wurden aber durch ein scharfblickendes, schalkhaft-helles Auge veredelt, und seine ganze Erscheinung hatte etwas, was Zutrauen und Theilnahme im hohen Grade erweckte. –
»Das ist ein kecker, übermüthiger Bursche,« sagte er mit einer Stimme und Miene, die zwischen Ernst und Lachen zu schwanken schien. »Freund, wißt Ihr auch, was Ihr thut? Hat man je so etwas erlebt! Dem gnädigen, liebevollen Herrn Baron, der ein Muster von Recht und Tugend ist, die Peitsche fortzunehmen und zu zerreißen? Freund, habt Ihr die Bibel nicht gelesen? Kennt Ihr die Landesgesetze nicht? Wißt Ihr nicht, daß es die Hand kostet, die der Knecht gegen den Herrn erhebt?«
»Ich bin kein Knecht,« sagte Eckbert stolz.
»Wer seid Ihr denn? Ein Seemann, wie es scheint?«
»Der Kapitain der stralsunder Brigg Frau Fortuna und ein Gast des Freiherrn, welcher mich und meinen Vater heut geladen hat.«
»Das ändert freilich die Sache,« erwiederte der Herr, indem er sich, spöttisch mit dem Kopfe nickend, an den jungen Baron wandte, der mit festgeklemmten Lippen und todtenbleich vor Grimm daneben stand.
»Einen Gast soll Niemand kränken, so steht es geschrieben, und wenn er obenein Befehlshaber der Frau Fortuna ist, so ist es geradezu verwegen, Hunde auf ihn zu hetzen – Laßt's gut sein, laßt's gut sein« fuhr er lachend fort und faßte Bruno's Arm, »ich will Ihnen etwas erzählen, Baron, und Ihr da, Herr Kapitain von der Frau Fortuna, dankt Eurer Schutzpatronin und geht mit dem alten Mann dort hinaus, bis unter den japanischen Sonnenschirm, da sitzt der Freiherr mit seinem holdseligen Töchterchen und schauen über das blaue Wasser hinaus, das man Meer nennt, und das Ihr auch lieben müßt.«
Vater und Sohn gingen davon und hinter sich hörten sie den Fremden, der seinen Arm um Bruno's Leib gelegt hatte und ihn widerstrebend fortzog, herzlich lachen und laut sprechen.
»Lacht nur,« sagte Eckbert halblaut, indem er die Hände ballte, »ja lacht nur, Ihr elenden Schelme, die Ihr Euch von anderem, besserem Stoff dünkt, und tausendmal schlechter und verdorbener seid, als der Bauer, dessen Berührung Euch ekelt, hütet Euch aber, daß das Weinen nicht einmal hinterher folgt.«
»Die Stunde der Abrechnung wird kommen,« murmelte Niklas vor sich hin, »sagte er nicht so? Nun, wir wollen sehen – Aber Du hast nicht gut gethan, Eckbert, daß Du ihn zurückstießest und seine Peitsche zerbrachst. Er würde nicht geschlagen haben.«
»Er würde geschlagen haben,« versetzte der Sohn, »denn er ist feig und im Übermuth erzogen; wäre es aber auch geschehen, ich hätte ihn zum Nimmeraufstehn gebettet.«
Der Voigt streckte seinen mächtigen Arm aus und sagte finster lächelnd:
»Fürchte nichts, Eckbert, wenn der junge Herr Streit sucht, so ist es mein Streit, den ich selbst ausfechten will. Ich befehle Dir, ihn zu meiden und gehorsam zu sein, wie es sich für den Sohn des Dieners meines gnädigen Herrn ziemt.«
Der Pfad zwischen den Bäumen zog sich den Hügel hinan, auf dessen Gipfel der japanische Tempel oder Sonnenschirm stand, unter welchem der Gutsherr und Tina saßen. Schon von fern erblickten sie ihre Gäste und begrüßten sie freundlich. –
»Das ist schön, Niklas Bremer,« rief der alte Herr, »schön, Eckbert, daß Ihr früh kommt,« und ich denke, der Platz hier ist so recht zum Willkommen eines Seemannes geschaffen.« –
Er deutete vergnügt über die endlose Fläche des Meeres hin, welche jetzt plötzlich schimmernd aus dem Waldgrün trat, als die Beiden oben waren. Die Lüfte fächelten leicht durch Tina's Haar, das heut ohne Puder und Schmuck in natürlichen leichten Locken um ihre klare Stirn spielte, das grüne Hütchen war halb in ihren Nacken gefallen, Sonnenschein lief spielend über ihre lieblichen Züge, und als sie den beiden ärmlichen Gästen ihres Vaters die Hand reichte, zog sie die Seidenhandschuhe von ihren Fingern, als wolle sie alles Vornehme entfernen. –
Man sprach nun hin und her über viele Dinge, der Voigt und der Herr verhandelten manche Geschäftsangelegenheit, der Baron erhielt nachträglich Rechenschaft über allerlei Einnahmen, Grundzins und was das Thongraben.
Eckbert und Tina aber sprachen bald leiser, bald lauter von früheren Zeiten, ohne daß ein Wort oder Blick auf das gedeutet hätte, was gestern zwischen ihnen verhandelt wurde. Es schien vielmehr, als hätten Beide nach der ersten Überraschung die Schranken gefunden, welche sie so streng trennten. –
Die Tochter des Freiherrn war gütig und herablassend, aber in einer Weise, welche alle Vertraulichkeit fern hielt; der Sohn des Voigts von Hiddensee hatte seinen Ehrgeiz und düsteren Stolz abgelegt und sprach mit der demüthigen Bescheidenheit, die ihm geziemte.
Nach und nach schwieg der alte Herr von Geschäftssachen, mischte sich ins Gespräch und plauderte in seiner einfachen, herzlichen Weise von Haus und Hof, und den Dingen, welche ihn zunächst angingen. Als er aber die Schritte eines Nahenden hörte, wendete er sich um und sah den fremden Herrn kommen.
»Apropos,« sagte er, »das habe ich ganz vergessen, Niklas, Ihr werdet morgen Besuch auf Hiddensee haben. Mein Neffe will sehen, ob in den Mooren wirklich so viel Wild steckt, wie Ihr sagt, und was ich wohl glaube, da Eckbert uns Enten in Fülle mitbringt, und da ist auch Graf Kronhielm, der Bruder von dem Admiral, mein alter Freund, ein vortrefflicher, immer spaßhafter Mann, der auch mitkommen wird, und dem Ihr alle Ehre und Liebe erzeigen sollt, als wäre ich es selbst.«
Der Graf hatte die letzten Worte gehört und lachte dazu.
»Liebe und Ehre erzeigen, wenn es befohlen wird,« sagte er, »das ist und bleibt eine mißliche Sache. Solch köstliches Gut muß man erwerben, sei es, wo es sei. Gebt mir Eure Hand, Herr Niklas Bremer, ich habe viel Gutes von Euch gehört.«
»Was weißt Du denn von meinem Voigt?« rief der Freiherr.
»Als ob man nicht weit und breit von ihm spräche,« versetzte Kronhielm, »und überdies haben wir uns schon heut am Thore unten begegnet.«
Er blinzelte dabei mit den Augen und wendete sich zu Eckbert hin, indem er geheimnißvoll drohend seinen Finger schüttelte und diesen dann auf den Mund legte. Nun setzte er sich neben Tina, und da er zu den glücklichen Sterblichen gehörte, die Leben und anregende Lust in jede Gesellschaft bringen können, so währte es nicht lange, bis ein behagliches Gefühl im Gange war. Bei allem Scherz aber, den der alte Herr zum Besten gab, war doch immer ein Hinterhalt von Würdigkeit und Ernst, der nicht aus seinem hohen Titel, sondern aus seinem Wesen hervorging und aus der Art, wie er zeigte, daß es ihm weder an Witz noch an Kenntnissen mangle. Lange Zeit unterhielt er sich auch mit Eckbert über Schifffahrt und Reisen und die Antworten, welche er erhielt, schienen einen ungewöhnlichen Antheil bei ihm zu erregen.
Oft ruhte sein Auge wohlgefällig auf den hübschen Formen des jungen Mannes, er nickte und lächelte und stützte seinen großen Kopf, wenn der junge Seemann von fernen Ländern und ihren Handelsverhältnissen erzählte oder über die Unterschiede der Marinen seefahrender Völker treffende Bemerkungen machte.
Dann wandte er Gegengründe ein, es wurde lebhaft gestritten, endlich der Streit mit einem Scherz beendet und so ging es fort, bis die Tischglocke die kleine Gesellschaft ins Schloß rief.
Der Graf führte Tina, die heiter gestimmt ihren Vater mit fortzog, während der alte Voigt und sein Sohn bescheiden folgten.
»Sie sehen wirklich einmal ernsthaft aus,« sagte das schöne Mädchen, »was fehlt Ihnen?«
»O! nichts! nichts!« erwiederte Kronhielm lächelnd, »ich denke nur eben darüber nach, wie traurig und verkehrt es in der Welt zugeht, und wie dumm die Menschen noch sind, obgleich seit beinahe achtzehnhundert Jahren ein Erlöser unter ihnen wandelte.« –
»Den man kreuzigte,« sagte Tina leise.
»Ganz recht, meine kleine Freundin,« rief der alte Herr lebhaft, »und so kreuzigt man die Vernunft immer fort seitdem, und läßt es selten zu, daß edle, reiche Kräfte sich entwickeln. Pontius Pilatus,« sagte er mit einem sonderbaren Lachen, »hatte einen Neffen und Erben, stolz, boshaft und voller Vorurtheile, der trägt alle Schuld, es ist nur nicht durch die Geschichte verewigt worden, der Knecht Malchus aber, dem Petrus das Ohr abhieb, das war ein ganzer Mann, um den es Jammer und Schade ist, daß er nicht des Pilatus Neffe war.«
Tina lachte hell auf, der alte Baron lachte mit und sagte dann:
»Wa treibst Du für Possen, alter Kronhielm, tritt herein, da ist mein Neffe schon und die jungen Herren. Nachmittag kommen Damen zum Besuch, alle Welt will Dich kennen lernen.«
»Was siehst Du Dich um?«
»Wo ist der Kapitain von der Frau Fortuna? Ich müßte mich sehr irren, oder diese wankelmüthige Dame hat sich wirklich mit ihm vermählt.«
»Man merkt es«wohl,« erwiederte der Baron lachend, »da Du Dich für ihn interessirst.«
Der Graf schüttelte den Kopf.
»Er ist ein hübscher, kecker Bursche und ein guter Seemann, wie ich denke. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich mich vielleicht in ihn verlieben und mein Bruder, der Admiral, möchte wohl auch eine gewisse Zärtlichkeit für ihn empfinden, da ich beides nicht bin, so verhalte ich mich neutral.«
Trotz dieser ausgesprochenen Neutralität nahm sich der Graf doch sichtlich genug Eckberts und des alten Voigts an. Nach der Sitte der Zeit waren den beiden Niedriggeborenen ihre Plätze an dem untersten Ende des Herrentisches bestimmt, aber Kronhielm setzte sich in ihre Nähe, und wußte das Gespräch immer so zu leiten, daß Niklas Bremer sowohl, wie sein Sohn, daran Theil nehmen mußten. Dies geschah jedoch nicht ohne finstere Blicke und spöttische Bemerkungen am oberen Ende der Tafel, wo der Kammerherr und seine Freunde fleißig mit den Gläsern anstießen und laute Unterhaltungen in schwedischer und französischer Sprache führten.
Eckbert fühlte sich um so mehr von der Freundlichkeit des Grafen angeregt und belustigte sich heimlich über den Zorn der jungen Edelleute. Er erzählte manche Seeabenteuer und Gefahren, die er erlebt, und da noch mehr Besuch eintraf, wie der Baron dies angezeigt hatte, sammelte sich ein kleiner Kreis von Damen und Herren um ihn, die mit Theilnahme seine Zuhörer waren, so daß er gleichsam den Mittelpunkt der getrennten Parteien bildete. Sein scharfes Auge beobachtete Alles. Er hörte wohl, wie man nach ihm fragte und welche Antworten man ertheilte.
Der Freiherr bezeichnete ihn als den Sohn seines Voigtes und fügte entschuldigend dann hinzu: er befinde sich hier im Schlosse und in der Gesellschaft, weil es so Sitte sei, daß nach dem großen Feste auf Hiddensee der Voigt bei der Herrschaft eingeladen werde, übrigens sei es ein anstelliger Mensch und Befehlshaber einer Brigg, die selbst schon nach Amerika gefahren sei.
Hier wandte sich der Kammerherr zu einer Dame neben ihm, und sagte:
»Sie sehen, daß unter den Sprößlingen unserer Dienstleute Ehrgeiz ist. Dieser Columbus entdeckte zwar keine neue Welt, aber er erringt doch großen Ruhm unter Seinesgleichen.«
»Er hat ein hübsches Gesicht,« sagte die Dame.
»Er sieht beinahe aus, wie ein Mensch von Distinction,« fügte eine Andere hinzu.
» Fi donc,« rief eine Dritte mit Abscheu, »fällen Sie kein so leichtfertiges Urtheil, ma chère! Der Sohn eines Voigts! Das bedenken Sie!«
»Ich begreife den Baron nicht,. wie er ihn hier dulden kann,« flüsterte die Dame zu dem Kammerherrn.
»Mein Oheim ist sehr gutmüthig und dann die leidigen Sitten, welche aus alten barbarischen Zeiten stammend zuweilen alle Unterschiede aufheben.«
»Graf Kronhielm hat viel mit ihm zu sprechen«
»Graf Kronhielm ist ein alter Sonderling,« erwiederte Bruno.
»Und seine eifrigste Zuhörerin ist Ihre schöne Cousine, Baron.«
»Tina,« sagte der Kammerherr spöttisch und laut, »mag sich für das Compliment, das ihren guten Geschmack angeht, bedanken – Indeß: tant de bruit pour une omelette! lassen wir den Burschen hören, wer ihn hören will. Es ist nicht werth, eine Minute unserer kostbaren Zeit ihm und seinem Schicksale zu widmen.«
Der Kammerherr führte die junge Dame davon, seine Freunde folgten, und bald war Eckbert mit seinen Beschützern und mit Tina allein, welche bei ihrem Vater blieb, eine kleine Arbeit von Flitterstickerei zu fördern suchte und dann und wann mit einem scherzenden Worte sich ins Gespräch mischte. –
Ihr Jugendgefährte hatte Zeit sie zu betrachten und seinen Gedanken nachzuhängen, derweil die vornehmen Herren vom Hofe in Stockholm, von den Parteizwisten von Krieg und Frieden, von Ministern und Reichsräthen und vielerlei Dingen sprachen, die ihn wenig kümmerten. –
Wie gern hätte er mit ihr geredet, wie sehnsüchtig verlangte ihm nach einem Blicke, aus dem er Nahrung für seinen Kummer und seine Träume schöpfen konnte, und doch sagte er sich immer wieder, daß er es abgeschworen, an sie zu denken, daß das hochgeborene Fräulein nicht besser wäre, als die, welche ihn offen verachteten, daß der bittere Schmerz, der an seinem Herzen nage, eine Narrheit sei, die sich nicht gezieme. Er rang mit dem Fluch der Niedrigkeit, die er tief empfand, und wünschte sich endlos weit hinaus auf Nimmerwiederkehr.
Je weniger Tina ihn zu beachten schien, um so mehr verdüsterte sich sein Gemüth. Ihre Augen streiften leicht über ihn hin, ihre Freundlichkeit war ohne Herzlichkeit, eine Herablassung, die ihn erbitterte; er verwünschte alle die vornehmen Leute und verwünschte sich selbst, daß er hierher gekommen sei. –
Die jungen Herren und Damen spielten nun Spiele, die damals üblich waren und an welchen Tina Theil nahm. – Der Federball wurde geschlagen bunte Reifen flogen durch die Luft, ein Pfänderspiel kühlte die Erhitzten ab und später wurde im Salon Musik gemacht und einige Tänze der altfranzösischen Schule, Menuet und Française getanzt. –
Eckbert war es erlaubt zuzuschauen und er that es Anfangs gern, denn vor ihm wendete sich Tina's schöne, leichte Gestalt, ihre Locken flatterten im Lauf, ihr heiteres Auge schien immer höheren Glanz auszustrahlen. Bald aber drückte der Stachel sich tiefer in seine wunde Brust. Die jungen Herren, Bruno an ihrer Spitze, waren hier in ihrem Element. Gewandt in Gestalt und Worten, Meister in dem geselligen Treiben, gebrauchten sie alle die kleinen Künste der Galanterie jener Tage, um den Damen zu gefallen. – In ihren seidenen, gestickten Kleidern, ihren Schuhen mit blitzenden Schnallen ihren Hüten mit Federn und Agraffen, schienen sie allerdings fast Wesen aus einer anderen Welt. –
Eckbert ließ einen messenden spöttischen Blick an seinem groben Rock hinabgleiten, aber finster schlug er sein Auge nieder, als er sah, wie der Kammerherr seine schöne Muhme und Braut umfaßte, ihre Hand küßte, zärtlich mit ihr sprach, lachte, zu ihm hinüber sah, dann ihr etwas zuflüsterte, worüber die Umstehenden in laute Lustigkeit versetzt wurden und endlich sie in die Reihen zog, um leicht und graziös die Kolonne der Tanzenden hinabzufliegen.
Er konnte es nicht mehr ertragen und trat hinaus in den Garten, als eine Hand auf seine Schulter klopfte. Es war der schwedische Graf.
»Nun« sagte der alte Herr, »mein wackerer junger Freund, wie gefällt Euch dies Leben?«
»Ich beneide Niemanden darum,« erwiederte Eckbert.
»Das ist schön und recht,« rief der Graf. »Eines schickt sich nicht hier für Alle; Jeder lebe in seiner Weise und hüte sich nur vor dem ärgsten Feinde, der Langenweile. – Aber etwas Euch zu sagen: Ihr habt heut Morgen unbesonnen gehandelt, Meister Seemann, Niemand soll gegen den Stachel lecken; wenn daher dieser Euch nicht sticht, so habt Ihr es nur der Frau Fortuna, Eurer Schutzpatronin, zu danken. Euer junger Herr, Se. Gnaden, der Baron war sehr aufgebracht.«
»Mein junger Herr?« erwiederte Eckbert. »Ich habe keinen Herrn und muß gestehen, daß es mir gleichgültig ist, ob der Baron mich liebt oder haßt, achtet oder nicht achtet.«
»Potz Tausend!« sagte der Graf.
»Mein Vaterland ist das Meer, mein Haus die Balken und Bretter, die mich forttragen,« fuhr der junge Seemann fort. »Was schiert mich Ihre Welt, Ihr Herrn- und Knechtthum, ich habe nichts davon und will nichts haben« –
»Aber sie haben Euch,« rief der alte Herr. »Wasser ist beweglich, das spült Recht und Gesetz fort, aber das Land ist fest, und wer darauf umhergeht, hat sich in Acht zu nehmen.«
»Im Ernst gesprochen, mein edler Herr,« sagte Eckbert, »so ist dies ein Grund mehr, mich schnell und auf lange zu entfernen. In wenigen Tagen gehe ich in See, und ich habe Aussicht, daß Jahre verstreichen, ehe ich wiederkehre. Wer weiß auch, ob es jemals geschieht.«
»Und was habt Ihr davon, junger Mann,« rief Kronhielm. »Die Welt ist überall voll Herren und Knechte, voll Glück und Unheil. Wer sich besser dünkt, muß sich herauf arbeiten aus der todten, tauben Masse.« –
»Und zu Jenen dort gehören,« fiel Eckbert ein, indem er nach dem Schlosse zurückwies, wo Lärm und Lust herüberschallte. »Nein ich möchte nicht tauschen mit ihnen, so sonderbar es klingen mag. Ja, mein Herr, ich möchte nicht zu den Leuten gehören, die mit ihrem Gott spottenden Dünkel mir verächtlicher sind, als ich ihnen. –«
»Ihr seid sehr heftig und sehr ungerecht,« sagte der Graf. »Wißt Ihr denn keinen Besseren darunter, und habt Ihr nicht doch einen leisen Wunsch, um irgend eines Wesens willen zu den Privilegirten zu gehören?« –
Bei diesen Worten sah er ihn mit seinen hellen Augen so durchdringend an, daß Eckbert erröthete. Dann sprach er lächelnd:
»Laßt es gut sein, es wird sich Alles erfüllen auf Erden, auch was Euer Herz beschwert, wird einst sich lösen. – Da drüben in Schweden ist der Landmann frei, in Nordland auch, in Deutschland wird er's werden, aber die wahre Freiheit und Gleichheit wächst aus einem andern Baume der Erkenntniß, und ehe sie reift, müssen lange, heiße Sommer kommen.« –
Dann schwieg er still, und Beide gingen weiter, bis sie oben auf dem Hügel waren.
»Ihr sollt Euer Vaterland nicht verlassen,« sagte der alte Herr, »ich will Euch meinem Bruder empfehlen, dem Admiral, der kann Euch bald eine gute Stelle in der Marine verschaffen, und wenn Ihr dann wieder kommt in dies Schloß, werdet Ihr nicht zusehen, wie heut, sondern mittanzen. Antwortet mir nichts, bedenkt es, und morgen, wenn wir uns wiedersehen, sprechen wir davon. – Ich nehme Antheil an Euch, denn ich achte Euch und Euren Muth, aber Ihr seid zu rasch; lernt vorsichtig und klug sein! – Da kommt Euer Vater,« fuhr er fort, »und der Baron begleitet ihn mit seiner Tochter. Nehmt Abschied, ganz in der Stille, und vermeidet den Kammerherrn!«
Er ging ihn grüßend weiter und Eckbert kehrte zu seinem Vater zurück, der reisefertig nach ihm rief. – Der alte Baron schüttelte seine Hand und sagte einige lustige und ermunternde Worte. Er war überzeugt, daß es ihm bei der Auszeichnung und Leutseligkeit, mit denen er noch nie einen Diener behandelt, überaus wohl gefallen haben müsse. – Auch Tina nahm Abschied mit der sorglosen Freundlichkeit, die Eckbert so weh that, weil sie so theilnahmlos war. –
Er beugte sich tief vor ihr; wie er sich aufrichtete, sah er ihr glänzendes Auge mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Besorgniß und Liebe auf ihn geheftet. Aber es war nur eine Muthmaßung, denn nichts blieb davon zurück, als sie mit einem lächelnden Neigen des Kopfes sich an den Arm ihres Vaters hing und ihm auftrug, Anna zu grüßen, indem sie versprach, vielleicht morgen wenn das Wetter günstig, nach Hiddensee zu kommen.
Am Ufer wartete das Fahrzeug und schweigend legten die beiden Männer den Weg zurück. Niklas Bremer schien stolz und vergnügt über die Ehre zu sein, die ihm widerfahren; er gab den Ruderern seine Befehle mit kurzen, bestimmten Worten, dann ergriff er das Steuer und versenkte sich in seine Gedanken und in die Wolken seiner Pfeife, während Eckbert nach den erleuchteten Fenstern des Schlosses zurückschaute. –
Der tiefe Abend war gekommen ehe sie das Kloster erreichten, auf dessen Steinbank an der Thür der Pastor sie erwartete, der mit einem Seemanne sich unterhielt, dieweil Anna, nach dem hellen Feuer in der Küche zu schließen, am Heerde beschäftigt war.
Die beiden Männer standen auf, man begrüßte sich und es wies sich aus, daß der Fremde der Steuermann der Frau Fortuna war, welcher Eckbert benachrichtigte, daß die Brigg am nächsten Morgen in der Frühe über die Dünen gehen und sich den Weisungen des Kapitains gemäß, vor die Bucht von Hiddensee legen werde.
»So seid Ihr rüstiger gewesen, als ich dachte,« sagte Eckbert, »aber es ist gut so, Johannes, ich bin alle Stunden bereit, au Bord zu gehen.« –
Er ging mit dem Manne auf und nieder, sie hatten Vieles zu sprechen, der Pastor aber schürzte sein Kleid und wollte Mütze und Stock ergreifen, als Niklas ihm beides fortnahm und freundlich aber bestimmt sagte:
»Das würde sich schicken, wenn es heißen sollte, ein Freund und lieber Verwandter habe am späten Abend mein Haus verlassen.«
»Es ist Ihre Schuld, Herr Voigt,« erwiederte der Gescholtene. »Sie sind spät gekommen.«
»Und darüber freuen Sie sich nicht?« sagte der Voigt. »Ist es denn eine Sünde, wenn man Braut und Bräutigam bis in die Nacht allein läßt?«
»Ei, freilich, nein!« rief der geistliche Herr, »und ich muß sagen, die Zeit ist mir nicht lang geworden. Ich habe rechtschaffen helfen müssen in Haus und Hof. Das liebe Mädchen hatte tausend Dinge für mich zu thun, flink wie ein Eichhörnchen ist sie, immer geschäftig, Hände, Füße und Zunge sind an der rechten Stelle, und wenn ich sie heimführe – Gott gebe seinen Segen! – so wird es Schweißtropfen genug kosten.«
»Eine Frau muß den Mann in Athem erhalten,« meinte der Voigt lachend, »und es ist ein gutes Zeichen,« fügte er mit einem lustigen Blick auf die runde Gestalt des Pastors hinzu, »wenn etwas Fleisch dabei verloren geht.«
Nun kam Anna aus dem Hause, herzte den alten Oheim und sagte ihm freundliche Worte, die er mit Wohlgefallen aufnahm. –
»So ist's recht und gut,« rief er und streichelte mit seiner rauhen Hand ihr Gesicht. »Meine Anna ist ein verständiges Kind, und wohl mein einziges zu nennen, da sie bei mir ausharrt in guten und bösen Tagen. So wollen wir auch ein recht vergnügtes Leben führen während dem Eckbert sich unter Klippen und Stürmen bei Mohren und wilden Indianern umherjagt, denn Alles ist abgemacht; ich habe mit dem gnädigen Herrn geredet, der Glück wünscht und morgen selbst kommen wird. Darum schon müßt Ihr bleiben, Herr Pastor, es giebt ein Fest zur Verlobung, und an einem hübschen Hochzeitsgeschenk wird es auch nicht fehlen.«
So sprach er fort und der Geistliche hörte mit süßsaurer Miene zu, wie Einer, der sich in sein Schicksal ergiebt. Je länger der Voigt aber erzählte, um so mehr verschwanden seine Bedenklichkeiten. Hübsch, jung und wohlhabend war die Braut, seit Jahr und Tag standen seine Gedanken nach ihr, und nun er plötzlich zur Erfüllung seiner Wünsche gelangt, was war da eigentlich viel zu bedenken? Er dachte wohl daran, daß sie hochfahrend und gar zu lebhaften Gemüths sei, er hatte die Proben heut selbst erfahren, wie sie regierte und hanthierte, die Hauptsache aber, den Schreck, den er über Nacht gehabt; und sein Gelöbniß, nicht mehr in dem alten Hause zu schlafen, hatte er fast ganz vergessen, denn Anna saß ihm gegenüber und plauderte und lachte, während er sich in glücklichen Zukunftträumen erging, bis nach dem Nachtessen der Vater seine Mütze über die Ohren zog und die Kuckuksuhr an der Wand die zehnte Stunde schlug. – Da kam es plötzlich über ihn, mit mit Geistergewalt; es schauerte leise durch seine Glieder und lief kalt am Rücken hinunter.
»Steck eine Lampe an, Anna,« sagte der Voigt, »es ist Zeit, wir müssen früh auf.«
»Es ist ein altes, schönes Haus, das Kloster,« meinte der Pastor.
»Die es gebaut, haben dafür gesorgt, daß wir ruhig schlafen können« versetzte Herr Niklas.
»Ob es denn wirklich wahr ist, was man erzählt?« fragte der Gast furchtsam leise.
»Was soll wahr sein?«
»Das es umgeht,« flüsterte der Pastor.
»Wahr soll es freilich sein,« sagte der Voigt, »aber was kann es uns anhaben? – Vom grauen Mönch sprechen sie Alle, aber wer hat ihn gesehen?«
»Ihr nicht?«
»Niemals. Es rauscht wohl oft durch die alten Gänge, die Treppen knarren und manchmal scheint es leise zu gehen; da spricht man Gottes heiligen Namen und kehrt sich nicht weiter daran – Auch wissen Sie ja, lieber Herr, daß der graue Mönch den Leuten auf Hiddensee immer nur Gutes gethan hat.«
»Aber der Herr,« sagte Anna, »schläft so recht mitten in dem Spuk, in der alten Abtsstube, und einmal sah ich dort, es war mitten im tiefen Winter und ich hatte Zahnschmerzen gerade um Mitternacht, helles Licht brennen. Vor Angst sprang ich ins Bett, den Kopf unter die Decke, da waren die Schmerzen fort. –
Der Geistliche war aufgestanden und sah ganz blaß aus. –
»Thörichtes Mädchen« rief Herr Niklas lachend; »aber wenn es auch wahr wäre, hier ist ein Gottespriester, über den kein Spuk Macht hat. – Gute Nacht, Herr, Sie werden solchen alten heidnischen Mönch schon zu vertreiben wissen.«
Der Pastor schämte sich, seine Furcht zu bekennen, um so mehr, da Anna ihn mit den schwarzen Augen gar zu spöttisch ansah. Vor seiner Geliebten will Jeder ein Held sein, und ist es auch, darum nahm er das Licht, küßte die schwellenden Lippen drückte dem Voigt die Hand und sah sich nach Eckbert um, vielleicht um mit dem ein heimlich Bündniß gegen die Gespenster zu schließen. Der Seemann war aber schon fort und so stieg er denn heimlich bebend und betend die Treppe hinauf und riegelte hastig die Thür hinter sich zu, als fürchte er, daß durch den Spalt doch noch irgend ein Kobold mit hinein schlüpfe. –
In unordentlicher Hast entkleidete er sich, warf dann noch einen raschen Blick auf die düstern Wände, auf die wenigen alten Mobilien und schloß die Augen. Wie lange er lag, wußte er nicht, aber die Zeit dünkte ihm unermeßlich, er war in Schweiß gebadet. Jetzt war Alles still im Hause, dann und wann pickte und bohrte der Todtenwurm in den Wachholderstämmen, der Wind ließ die Scheiben klingen, und plötzlich erlosch auch die Lampe von einem Luftstrom, der jäh durch das Zimmer wehte.
Da kamen dieselben leisen Schritte wie gestern, es knarrte und ächzte in der fernen Ecke, es polterte an dem alten Schranke. Schleppend schwere Gewänder rauschten an der Wand hin, es tastete wie mit Händen daran, auf und nieder, und immer näher und näher schien es zu kommen. In Todesangst richtete der Mann im Bette sich auf. –
»Im Namen Gottes! hebe Dich weg von mir, Satanas!« rief er. »Was willst Du? Jesus Christus, erbarme Dich mein!« –
Da schien es leise zu lachen oder zu stöhnen. In Verzweiflung sprang der Geistliche auf, das Fenster war aufgerissen, er wollte hinausspringen, aber er schauderte zurück. –
Auf der schmalen Mauer am Thore stand eine graue, hohe Gestalt. Es war der Mönch, sein Mantel wurde vom Winde geweht, ein matter Blitz des mitternächtigen Mondes zitterte über ihn hin, und hinter dem Geängstigten rasselte und schnaubte ein anderes gräßliches Wesen. Seine Sinne verließen ihn, ohnmächtig stürzte er am Fenster nieder.
Und jene Gestalt, welche von dem Thore leicht und schnell niedersteigend den Weg zum Ufer nahm, war Eckbert. Sinnend stand er einen Augenblick still, ehe er in ein Boot sprang und die Ruder ergriff.
»Welche Thorheit treibt mich durch Nacht und Wellen,« murmelte er, »treibt mich zu der hin, die ich nicht vergessen kann und die mich verachtet! Verachtet?« sagte er stolz, »nein, das soll sie nicht. – Wenn es wahr ist, daß sie mich erwartet – es ist nicht wahr, es kann nicht sein, aber ich will selbst sehen, sie hat es so gewollt.«
Mit starken Schlägen trieb er das Boot durch die Bucht. Geräuschlos glitt es durch das stille Wasser, ein schwarzer Punkt auf dem mondhellen Spiegel, und bald landete er und kletterte über die Abhänge hinaus, bis er im Garten stand, durch dessen dichte Gehege er sich Bahn machte. –
Nun stand er oben und blickte über die Rasenfläche nach dem Schlosse hinüber, das stumm und düster unten lag. Langsam ging er am Rande der Büsche hin, und vor ihm streckte der alte Wunderbaum seine Krone in den lichtvollen Himmel. Den Kranz seiner Äste niederbeugend, füllte er einen weiten Raum mit Nacht, an dessen Grenzen Mond und Sternenlicht mit dem Geblätter spielten. –
Wie Eckbert in diesen Zauberkreis trat, stand er still; seine scharfen Augen erkannten auf der Steinbank die Umrisse einer Gestalt, welche regungslos dort saß. Da fiel ein Lichtstreif über sie hin, und nun sah er sie deutlich: sein Herz schlug fieberhaft heftig, als aus dem dunklen Seidenmantel sich ein weißer Arm ihm entgegenstreckte.
Mit festen Schritten trat er zu ihr hin, er ergriff die schimmernde Hand, und plötzlich bedeckte er sie mit seinen Küssen. Sein Stolz wich dem unermeßlichen Glück, das ihn erfüllte; er wagte nicht, zu sprechen, er fand keine Gedanken und keine Worte dafür. Die feinen Finger drückte er an seine Brust, und drinnen weckten sie alle Liebe auf, wie Magnete die schlafenden Kräfte wecken. –
Tina lehnte sich an ihn und mit seinem starken Arm umschlang er den schönen Körper. – Zuweilen fühlte er ihr Herz heftig schlagen, das er mit seiner Hand bedeckte, zuweilen schüttelte sich der schlafende Baum und spaltete sein grünes, duftendes Gewölbe, um Himmelssterne hineinschauen zu lassen, die selig Träumenden zu wecken, zuweilen zitterte das zarte Kind, aber wenn das Licht kam, sah sie ihn an und lächelte und glühte, und träumte weiter. –
»Du liebst mich, Tina, Du liebst mich!« sagte Eckbert. – »Und die Herren in Seide und Gold und die Menschen mit den blassen Gesichtern und er –er – o! Gott des Himmels! was wollen sie Alle, »was sind sie Alle gegen mich!«
»Still, still!« flüsterte sie. »So habe ich an Deinem Herzen geschlafen, als ein Kind, so hast Du mich beschützt, Eckbert, mich geliebt. – Schütze mich, liebe mich!« rief sie und schlang beide Arme um ihn, »und ich will nicht von Dir lassen.«
Eckbert richtete sich auf, die Welt mit aller Wirklichkeit lag vor ihm.
»Ich weiß, was uns trennt, ich bin verständig genug. Aber die Liebe ist allmächtig und der starke, rechte Menschenwille ist es auch.«
»Ich habe Dich hergeladen,« erwiederte Tina ruhig; »Dir zu sagen, daß ich Dich liebe. Hast Du Muth und Kraft, mich zu besitzen, so erwirb mich. Menschen trennen uns, besiege sie. Was kann die zaghafte Liebe gelten, die sich in Nacht verstecken muß? Das bedenke Alles, Eckbert. Baue eine Brücke über den Abgrund, einen Steg, so schwindelnd kühn er sein mag, ich will Dir folgen.«
»Ich nehme es an,« sagte er, indem er ihre Hände ergriff und Auge in Auge sie anschaute. »Ich baue den Weg. Du folgst mir. Laß uns hier unter dem alten Zauberbaume einen ewigen Bund machen. Laß uns die Geister alter Zeiten um Schutz und Hülfe anrufen. Ich will Dich erwerben, und ständen sie Alle gegen mich auf; bei Gottes Thron, sie sollen Dein junges Leben und Deine Liebe nicht verkaufen und verderben. Schwöre, Tina, schwöre, daß Du mich liebst und mir gehören willst!«
»Ich schwöre es!« sagte sie, und bei ihren Worten brauste es durch den Baum, daß Blätter und Zweige herabfielen. »Ich liebe Dich mehr, Eckbert, wie ich zu sagen weiß. Zerreiß die Banden, die mich drücken, ich verachte den Bräutigam, den sie mir bestimmt haben. – Schweige und handle. Hoffe nichts von den Menschen, nichts von meinem Vater, er ist gut, aber schwach und stolz auf seine Ehre. Sie hassen Dich Alle, ich aber liebe Dich, ich will Dir vertrauen.«
Nun setzten sie sich auf die Steinbank, und ruhig sich dem Glück ihres Verständnisses hingebend, sprachen sie bald zärtlich und erglühend, bald fester und klarer von der Vergangenheit und ihren Empfindungen. –
So gingen Stunden hin, und sie merkten es kaum. Ein blasser Streif verkündete den nahenden Tag, und jenseit sank der Mond, um einer neuen Welt Nacht und Sorgen zu erhellen. Von der Zukunft aber sprachen sie Beide nicht. Es schien, als schlösse die Besorgniß ihre Lippen, die schönen Augenblicke durch traurige und finstere Bilder zu zerstören, oder verzweiflungsvolle Plane zu ersinnen, die den Rausch ihrer Leidenschaft zerstören mußten. –
Eckbert erzählte, wie er in unzähligen Kämpfen mit sich selbst zum Manne gereift, und immer gestrebt und gehofft habe mit dem Gedanken, was Tina sagen würde, wenn sie ihn wiedersehe. In bitteren und heftigen Worten sprach er dann von der Macht des Zufalls und der Vorurtheile; sein stolzes Gemüth empörte sich zwiefach bei dem Gedanken, daß seine Geburt allein ihn unfähig mache, frei und offen um Tina zu werben, und daß weder seine Kenntnisse, noch seine männliche Kraft, Schönheit und Würde ihn vor Beschimpfungen von Menschen schützen konnten, die er auf's Tiefste verachtete.
»Ich liebe Dich,« sagte Tina zärtlich, »ich weiß, daß Du edler bist, als sie; muß Dich das nicht versöhnen? Als ich ich zuerst sah, zitterte ich vor Deiner Kühnheit in Worten und Blicken; ich kämpfte wohl auch mit dem Stolz in mir, aber wie schnell war ich überwunden. Dann sah ich Dich nur allein, und in meinem Herzen wuchs ein Gedanke, ein einziger, den ich Dir vertrauen mußte. Du liebtest mich, das machte mich glücklich. Ich kannte alle die Gefahren, die dieser Liebe drohten; wie ein Buch durchblätterte ich sie in einer einzigen schnellen Minute, da sah ich klar, was ich mußte, sie schreckte mich nicht, aber sie machte mich vorsichtig. – So bin ich Dein, mein Eckbert, und will nicht wanken und zagen. Muth, mein Freund; Muth, mein Geliebter, wir werden glücklich sein.« –
Eckbert hatte sich vor ihr niedergeworfen und bedeckte sie mit seinen Küssen.
»O! meine geliebte Tina,« rief er, »wie zürnend und verzagend bin ich gekommen, wie zweifelnd an Dir und Deiner Liebe, und wie unendlich glücklich hast Du mich gemacht! Wenn ich sterben soll, o! Gott des Himmels, so laß mich jetzt sterben zu ihren Füßen, da mein Herz so wonnetrunken und rein ist; leben kann ich nur bei ihr. Ich sehnte mich hinaus über die Meere, und nun scheint der Schritt, der mich von Dir trennt, schon ein unermeßlicher Raum, der mich ängstigt.«
»Still!« sagte Tina. »Hörtest Du nichts?«
»Es war der Wind in den Büschen,« erwiederte er.
»Dort, dort!« –
Sie deutete auf den Punkt, wo Eckbert selbst über den Hügelkamm heraufgestiegen war, und wo jetzt deutlich zwei Gestalten sichtbar wurden. Zugleich hörten sie leises Lachen und Sprechen. –
Tina hüllte sich ganz in den Mantel ein, plötzlich aber zuckten ihre Finger in Eckberts Hand, der in dem einen der nächtlichen Wanderer jetzt den Kammerherrn erkannte, welcher mit seinem Begleiter langsam näher kam und nicht fern von dem Baume stehen blieb.
»Nun geh, Jacob,« sagte er: »und bringe dein Nachen an seine Stelle. Hol' der Henker alle schwarze Augen! sie haben mich um die Nacht gebracht und nichts dafür gegeben.«
»Nun, ich denke,« sagte der Diener, »es war nicht ihre Schuld.«
»Der Alte, der Alte!« rief der Baron. »So ein Kerl ist wie ein Kettenhund wachsam, um ehrlichen Leuten in die Beine zu fahren. Wir müssen ihm einen Schlaftrunk künftig reichen, wenn wir in sein Fenster steigen wollen, aber nur Geduld, das Mädchen ist zu hübsch und gefällig, um sie nicht dem Pfaffen abzujagen, dem sie sie verkuppeln wollen, und den sie nicht mag. – Jetzt geh,« sagte er, »sei vorsichtig, geh.«
Der Diener ging und Bruno blieb noch ein Paar Minuten auf derselben Stelle stehen, indem er über den Wiesenplan nach dem Schloß hinschaute, das eine ungewisse, bleich schimmernde Masse bildete.
Plötzlich lachte er laut.
»Schönes Abenteuer das,« sagte er; »der Teufel! ich wage etwas. Wenn es mein alter, grämlicher Sittenmeister wüßte, oder gar Tina mit dem strafenden Blick voll Unschuld. Geduld, Geduld, mein Püppchen, wir werden erbaulich leben lernen.«
Im Augenblick drehte er sich um, es knisterte unter dem Baum, er sah die Umrisse einer Gestalt.
»Wer ist da?« fragte er, und legte die Hand an den Degen.
»Ich!« sagte Eckbert.
»Wer, ich? Das ist eine schöne, verständliche Antwort.«
Eckbert trat bis an den Rand des dunklen Kreises ihm entgegen.
»Ich bin es, Herr,« sprach er.
»Was, Ihr?« rief der Baron. »Bei meiner Ehre! der neue Columbus, das nenne ich eine Überraschung. Ha so, recht so! Ihr segelt hier auf Entdeckungen aus, während ich – nun, laßt es gut sein, fürchtet nichts, ich will Alles vergessen und Euer Freund sein. – Was habt Ihr hier auf dem Rohr, oder schon erobert? Wer sitzt da am Baume? Wer ist die glückliche Prinzessin, um die Ihr die schöne Anna laufen ließt? – Tina's niedliches Kammerkätzchen? Glück zu; mein Freund, ich gönne sie Euch von Herzen, ich empfehle sie Euch und gebe meinen Segen! Nein, schämt Euch nicht; Euer Vater hat denselben Weg gemacht, Ihr seid der Erbe seiner Thaten und seines Ruhms. – Ich bin so außerordentlich vergnügt, es ist so komisch,« rief er heftig lachend, »ich will der Dritte in Eurem Bunde sein.« –
Er wollte auf die Bank zuschreiten, aber Eckbert trat dicht vor ihn hin.
»Ich bitte Sie, Herr, lassen Sie uns allein.«
»O! seid doch nicht thöricht, nicht eifersüchtig,« versetzte Bruno, »ich mache keine Ansprüche. Komm her, Kind, komm Sophie, sage ihm, daß er nichts zu fürchten hat.«
»Dort ist Ihr Weg, Herr Baron,« rief Eckbert. »Glauben Sie, was Sie wollen, aber verlassen Sie uns.«
»Seid doch verständig und reizt mich nicht,« erwiederte der junge Herr. »Ich will wissen, wen Ihr da bei Euch habt, und geb' Euch mein Wort, ich will schweigen, wer es auch sein mag. – Zurück sag' ich, was untersteht Ihr Euch, Ihr werdet machen, daß ich den Degen ziehe und Lärm erhebe.«
»Das sollst Du nicht, Bruno,« sagte Tina, indem sie aufstand. »Hier bin ich, was willst Du?«
»Was ist das?« rief der Kammerherr, schwankend zwischen Erstaunen und Unwillen. »Du, Tina! es ist keine Täuschung, Du bist es, ja; aber welche Laune, welcher Übermuth, welcher Zufall treibt Dich hierher und in diese Gesellschaft, mitten in der Nacht?«
»Es ist kein Zufall, Bruno, ich hatte es so bestimmt.«
»Und warum? meine kleine, unkluge Muhme, warum dies ergötzliche Rendezvous?«
»Du wirst es nicht erfahren, wenn Du es nicht erräthst.«
»Mag es sein, was es will,« sagte Bruno, »eine Überraschung für Deinen Vater, ein Scherz für das morgende Jagdfest, eine Lustfahrt ins Meer, eine Verabredung über irgend etwas, vielleicht eine Entdeckungsreise mit diesem jungen Weltumsegler, was weiß ich es.« –
»Ganz recht,« fiel Tina lächelnd ein, »er soll mir eine glückliche Insel entdecken, wo ich künftig wohnen will.«
»Gut, ich will mitfahren,« rief der junge Baron, »aber für heut, muß ich Dir bemerken, laß es genug sein. Es ist ein Scherz und nichts weiter, die liebenswürdige Laune eines Naturkindes, und ich habe mein Wort gegeben, Niemandem zu verrathen, wer unter dem Baume saß. – Er wird auch schweigen, mein Freund,« fuhr er im höheren Tone fort, indem er sich zu Eckbert wendete, »wenn aber jemals das Fräulein von Wardo wiederum Anfälle hat, um Mitternacht spazieren zu gehen, so rath' ich ihm, sich nicht dabei einzufinden.«
»Sie messen, wie es scheint, mein Thun nach dem Ihren, Herr,« erwiederte Eckbert.
»Er ist ein Narr,« sagte der Baron, »was geht mich sein Thun an. Er kann doch nicht glauben, daß mir irgend etwas einfällt, was mich erhitzen könnte. Er war hier, weil es ihm geheißen war. Jetzt geh' Er.«
»Frage um Frage,« versetzte Eckbert. »Wo waren Sie in dieser Nacht?«
»Du siehst, Tina,« erwiederte der Baron verächtlich, »wie schlimm es ist, dergleichen Leute in unser Vertrauen zu ziehen. Sie werden unverschämt und man ärgert sich.« –
»Das ist eine Antwort, die für Sie und Ihresgleichen paßt,« sagte Eckbeet ruhig.
»Laß uns gehen, Tina,« rief Bruno, indem er die Hand seiner Muhme faßte, »wir müssen sonst wahrhaftig ein Examen bestehen.«
»Geht,« sagte Eckbert stolz und drohend, »mir möchte sonst die Lust anwandeln, Euer Richter zu sein. – In Sünde und Übermuth seid Ihr aufgewachsen, ohne Furcht vor Recht und Tugend. Ich warne Euch, Junker, geht nicht mehr nach Hiddensee, nicht bei Tage, nicht bei Nacht. Ihr seid so reich und neben Euch steht ein Engel, der sich von Euch wendet, weil Ihr an Leib und Seele verkümmert seid, weil Ihr ihn nicht verdient. Laßt Eure unreinen Hände los, sucht Sünde bei der Sünde, das paßt für Euch, Ihr findet deren genug.« –
»Er ist toll geworden!« rief der Baron, »aber, Elender!« jetzt ist es genug.« –
Er riß den Degen aus der Scheide. Eckbert stand still, die Hände geballt, die Augen fest auf den Gegner geheftet. So standen sie sich gegenüber, als Tina zwischen Beide trat und ihre Hand auf Eckberts Brust legte, während sie die andere Bruno entgegenstreckte.
»Geh' mein Freund,« sagte sie, »und morgen sei bereit. Komm Vetter, führe mich! Gute Nacht, Eckbert Bremer, ich habe Dir nichts mehr zu sagen.«
Sie drängte den jungen Edelmann fort, der mühsam zu besänftigen war. Noch in der Ferne hörte Eckbert seinen Schwur, ihn zu züchtigen, und die Vorwürfe, welche er Tina machte. Langsam stieg er den Hügel hinab und trieb sein Fahrzeug durch die Bucht.
Am morgen war in der Frühe schon viel Lärm im Kloster. Die Fischer in der Nähe waren entboten, bei der Jagd Beistand zu leisten, Geschäftigkeit war im Hause und der Voigt musterte die Geräthe und ließ durch den Oberknecht sechs schöne graue Hunde in den Hof führen, eine treffliche Zucht, die auf dem Eiland heimisch war. –
Als er seine Befehle gab nach allen Seiten, fand er den Pastor in der Frühsonne auf der Bank am Thore bleich und nachdenkend sitzen und in die Ferne starren:
»Ich glaube,« sagte er lachend, »Sie haben auch Lust, hinaus ins blaue Meer zu schwärmen, mein geistlicher Herr, da Sie so aufmerksam die Mastenspitzen betrachten.«
Er wies dabei auf die hohen Masten eines Schiffs, das in der Bucht zu ankern schien.
»Es ist die Frau Fortuna,« fuhr er fort, »die über Nacht heruntergekommen ist. Eckbert ist an Bord und ehe es Abend wird, hat er uns verlassen. – Es ist gut so,« sagte er dann, als der Pfarrer schwieg, »er muß fort, es taugt nichts, wenn er bliebe, das Warum werde ich Ihnen morgen sagen.«
»Ich bin krank,« erwiederte der Prediger, indem er die Augen matt aufschlug. »Ich habe eine böse Nacht gehabt.«
»So nehmt einen tüchtigen Morgentrunk,« rief der Voigt. »Wir haben echten Genever, der mit Pfeffer und Brod eine Suppe giebt, die jeden Magen heilt.«
»Ich muß mit Ihnen sprechen, Herr Niklas,« sagte der Geistliche. »Wollen Sie mich hören?«
»Was ist es?« fragte der Voigt.
»Ich habe in dieser Nacht eine schreckliche Erscheinung gehabt.«
»Ah Bah!« rief der alte Mann ärgerlich. »Dummes Zeug, alle Gespenster! Lassen Sie mich los; wenn Sie mit Anna da oben wohnen, werden Sie andere Träume träumen. Holla!« rief er mit seiner gewaltigen Stimme, »da kommt ein Boot durch die Bucht und noch eins. Es ist die gnädige Herrschaft!«
Und so ließ er den Geistlichen stehen, der ängstlich zu den kleinen Fenstern seines Nachtquartiers aufblickte, dann mit beiden Händen seine Perücke umklammerte, und tief seufzend sagte:
»Ich heirathe sie nicht, ich heirathe sie absolutement nicht, und wenn ganz Hiddensee und Rügen ihr auch gehörte.«
Herr Niklas Bremer war indeß zum Ufer hinabgegangen und empfing seine hohen Gäste mit aller Würde. – Sie kamen in zwei schönen bewimpelten Booten; in dem einen saß der alte Baron, der Graf, der sich als Waidmann angethan hatte, und Tina; in dem andern waren lustige, junge Edelleute, der Kammerherr und vier seiner Freunde, die so laut lachten, daß es weit über das stille Wasser scholl. –
»Holla! Niklas Bremer,« sagte der alte Herr, »da bin ich selbst, aber ich werde kein Narr sein und weiter gehen, als es gerade nöthig ist. Ich und Tina, wir wollen zusehen und dann tüchtig losschießen, wenn das Wild aus der Küche kommt. – Aber wo ist Eckbert?« fuhr er fort. »Ich habe den jungen Menschen gestern lieb gewonnen durch sein bescheidenes, tüchtiges Wesen, und hier Graf Kronhielm will ihn seinem Bruder, dem Admiral, empfehlen, da kann er sein Glück machen und einmal Steuermann werden oder so dergleichen.«
»Es ist mancher wohl Admiral geworden, dem Tüchtigkeit, Glück und Zeit zur Seite standen,« sagte der Graf.
»Und warum soll er es nicht auch werden?« versetzte der Baron lachend. – »Auf der Frau Fortuna fährt er schon, was hat er also zu besorgen. – Was liegt da für ein Schiff am Ausgange der Bucht!« fragte er dann und zeigte darauf hin.
»Es ist die Fortuna,« sagte der alte Mann. »Sie ist in der Nacht heruntergekommen, mein Sohn ist am Bord und will heut noch in See.«
»Das ist wider die Abrede,« rief der alte Herr verwundert. »Gestern sprach er noch von drei, vier Tagen, ehe es so weit sei, und wenn er hört, daß er in die königliche Marine kommen kann, wird er es ganz und gar sein lassen.«
Der alte Voigt antwortete nichts; er sah Tina an, die über das Meer hinaus nach dem Schiffe blickte, ganz gedankenvoll, während ein Lächeln ihr Gesicht erhellte. –
»Er kommt,« sagte sie, »ein Boot stößt vom Schiffe ab, ich sehe ihn am Steuer stehen.«
»Nun, Gott stärke Deine Augen, Tina,« rief ihr Vater, »ich sehe kaum einen schwarzen Punkt da drüben. Aber gut, wenn er kommt, er soll uns nicht sobald verlassen, und wenn er auch wollte, er könnte nicht. Es wird ein heißer Tag und der Wind bleibt aus.«
Niklas Bremer richtete sein Auge nach dem Westen und gegen den kaum merklichen weißen Dunst, der über Rügen schwebte.
»Wenn's nicht zu wenig ist,« murmelte er, »so könnte es leicht zu viel werden.«
Seine Worte verloren sich, denn so eben landete das andere Boot und die jungen Herren sprangen lärmend heraus. Bruno in seinem grünen, goldbesetzten Jagdkleide, das Gewehr in der Hand, Pulverhorn und Messer an der Seite, war der Erste und Prächtigste. –
»Nun frisch ans Werk,« rief er, »und keinen Fehlschuß, Alles gut aufs Korn genommen; mag das Wild heißen, wie es will.«
Sie gingen Alle den Weg hinauf nach dem Kloster, wo der Haufe der Fischer mit Jagdgeräthen und Hunden sie erwartete, nur der Graf blieb zurück und sah nach dem Boote aus, das Eckbert bringen sollte. –
Er war es wirklich, schnell kam es näher und jetzt lief es auf den flachen Ufersand. Es war eine Schiffsschaluppe mit vier Rudern bemannt; der Kapitain grüßte den alten Herrn und sprang dann ans Land. Wie zu einem Feste hatte er sich geschmückt, der Graf betrachtete ihn lächelnd und musterte seine junge blühende Gestalt.
»Ich sehe Sie reisefertig, Kapitain Bremer,« sagte er, »meine Vorschläge zu einer Änderung Ihres Lebensberufs kommen zu spät.«
»Ich bin vom tiefsten Dank erfüllt, mein gnädiger Herr,« erwiederte Eckbert, »aber ich ziehe es vor, meinen eigenen Weg zu gehen.«
»Bedenken Sie es wohl,« fuhr der Graf fort, »Sie sind jung und ehrgeizig, streben hoch hinaus, und wo öffnete sich Ihnen eine Bahn, die Ihnen die Mittel böte, Ihre Pläne je wahr zu machen? Noch können Sie den Kaufleuten da drüben in Stralsund sagen, nehmt einen Anderen, der eure Waaren fortschafft. Ich gebe Ihnen Empfehlungen, Sie gehen nach Stockholm und ich bürge Ihnen dafür, Sie sollen bald steigen und einen ehrenvollen Platz einnehmen.«
»Ihre Güte rührt mich tief,« sagte Eckbert. »Sie werden mich für einen Undankbaren halten und doch kann ich nicht. Ich kann nicht Jahre vergehen lassen, um einem ungewissen, ehrgeizigen Glück nachzujagen. Ich kann nicht bleiben.«
»Und was hindert Sie, der Zukunft die Hand zu bieten?« rief der Graf: »Sie sind jung.«
»Jung,« erwiederte Eckbert »und doch habe ich keine Zeit zu verlieren. Ich bin unabhängig und frei, ich habe beschlossen, was ich muß; verzeihen Sie mir, wenn ich dabei beharre.«
»Junger Mann,« sagte Kronhielm, indem er ihn strafend anblickte, »wer unbesonnen handelt, ist unfrei, wer seinen Leidenschaften folgt, krank an Vernunft. – Und blinde, unverständige Leidenschaft ist es, die Sie treibt, meine wohlgemeinte Theilnahme auszuschlagen.«
Eckbert sah scharf und schnell zu ihm auf und der Graf fuhr lächelnd fort:
»Sie wollen in das weite Meer hinaus, in Stürme und Gefahren, um die inneren Stürme zu besänftigen. Läugnen Sie es nicht,« fuhr er fort, als eine dunkle Röthe Eckberts Gesicht überzog, »ich habe mich nicht getäuscht. Ich sah den Kampf, den Sie gestern bestanden und erkannte Ihre hoffnungslose thörichte Neigung. Solche Schwächen veredeln, indem sie erheben, aber sie sind verwerflich, wenn sie gegen Sitte und Gesetz sich auflehnen. Werfen Sie diese Liebe von sich, sie ist Verderben, aber thun Sie es wie ein Mann, nicht wie ein Verzweifelnder.«
»Weil Sie Alles wissen,« sagte Eckbert dumpf vor sich hin, »so wissen Sie auch, daß ich sie niemals lassen werde.«
»Armes Kind,« sagte der alte Mann bewegt und legte fast zärtlich seine Hand auf Eckberts Schulter, »Du hast die Welt durchjagt vom Aufgange zum Niedergange und kennst doch so wenig von ihr. Du wirst vergessen, denn Du mußt vergessen. Der Sohn des Voigts von Hiddensee kann niemals die Hand des Erbfräuleins von Wardo erhalten. Wenn wir es den Menschen dort sagten, deren Gewehre wir blitzen sehen, sie würden sich todt lachen wollen über den Wahnsinn, oder den frechen Unbesonnenen züchtigen, der aus seiner Niedrigkeit sich so weit zu vermessen wagt.«
»Mögen sie beides thun,« erwiederte Eckbert ruhig, »ich denke es aber nicht dahin kommen zu lassen.«
»Das heißt,« sagte der Graf, »Sie wollen dem Unheil entfliehen. Ein Geschick, das auf uns einstürmt, soll uns aber mit Muth stählen und zum Glück werden, wenn wir es anzugreifen verstehen. –Junger Mann, ich könnte Ihnen die Geschichte eines Greises erzählen,« fuhr er ernsthaft fort, »der auch einmal jung war und feurig liebte, was ewig unerreichbar für ihn war. Mit seinem Gram zog er hinaus in die weite Welt und schwor nie zu vergessen, nie zu lieben. Nun ist er alt geworden,« sagte er mit einem bittern Lächeln, »einsam und alt und er hätte so glücklich sein können. – Das Leben ist ein Kapital; jede Stunde soll ihre Zinsen tragen, und nur, wer es klug anlegt, kann reich und froh werden. Sie sind nicht geschaffen, um Ihre Tage im Staube der Niedrigkeit hinzubringen, wohlan, wenn Sie den Drang zum Lichte empfinden, so klimmen Sie die Jacobsleiter empor, werben Sie um die hohe Braut.«
»Und wie könnte ich sie erringen?« fragte Eckbert mit glänzenden Blicken.
»Deuten Sie meine Worte nicht so bestimmt,« erwiederte Kronhielm; »nein, die Braut, welche wie ich sehe, fest vor Ihnen schwebt, ist nicht zu erringen. Der Baron will sein altes Haus nicht untergehen lassen, und selbst, wenn Sie alle Eigenschaften besäßen, die er von einem Schwiegersohn wünschen könnte, würde er schwerlich einwilligen, denn sein Neffe würde ihm der liebste sein.«
»Er frägt nicht danach, ob sein Kind glücklich oder unglücklich wird,« sagte Eckbert düster. »Nur nach dem Stammbaum, nicht nach Glück und Liebe.«
»Bah!« erwiederte der Graf, »Sie messen die Welt mit Ihrem Maßstabe. Der Kammerherr wird Tina so glücklich machen, wie tausend Andere, was kann sie mehr verlangen?! Die vornehmen Leute,« fügte er mit einem Lächeln hinzu, »vermählen sich, sie heirathen sich nicht, um eine Häuslichkeit einzurichten. Sie werden das besser einst erkennen können, wenn Sie meinen Wünschen folgen. Nur Muth gefaßt, mein junger Freund, das Glück hat tausend Wege und ein Mann, ein wahrhafter Mann darf nicht verzagen, weil ein Weib ihm nicht zu Theil ward, die seinen Augen gefiel. – Viele Blumen blühen auf Erden, einst kann der Tag kommen, wo Sie sich die stolzeste und schönste pflücken dürfen, dann ist es Zeit, nicht jetzt, wo Sie kein Recht haben dergleichen zu begehren.«
Sie hatten sich, während sie sprachen, dem Kloster genähert, wo der Baron und Tina sie erwarteten.
»Ich will in diesem Augenblick Ihre Antwort nicht hören,« sagte der Graf, »entscheiden Sie in ein paar Stunden darüber, wenn Sie nochmals Alles überlegt haben.«
»Was Sie sagen, mein edler Gönner,« rief Eckbert bewegt, »ist weise und würde Viele überzeugen, aber ich bin nicht in der Lage es anzunehmen. Wenn mich das Glück finden soll, so muß es schnell geschehen oder ich mag keines. Ich will den Weg dazu suchen, das habe ich gelobt. Eine edle Neigung wirft man nicht fort, wie ein Kleid. Leben und Sterben klammert sich daran fest, und wen der rechte Wille begeistert, der findet den Muth in sich, den Menschen und ihren Satzungen auch Trotz zu bieten.«
Der alte Herr sah ihn forschend und erstaunt an, als er so sprach, aber er erwiederte nichts, denn schon in der Ferne rief der Baron Eckberts Namen und scherzhafte Worte über dessen Glück. –
»Ich sagte es eben zu Tina,« fuhr er fort, »daß ich gestern prophezeite, er würde noch einmal Admiral werden; es soll mich gar nicht wundern, wenn es pünktlich eintrifft.«
»Man kann nicht sagen, daß Du Unrecht haben sollst,« fiel der Graf ein, »aber bis jetzt hat Kapitain Bremer mein Anerbieten ausgeschlagen.«
»Ausgeschlagen?« rief der Baron in höchster Verwunderung; »das ist ja ganz unmöglich! Eckbert Bremer, ist er toll!« fuhr er fort, »Deine Verwendung ausgeschlagen, Graf Kronhielm. Warum, junger Mensch, warum?«
»Weil ich mein Glück in mir selbst und durch mich selbst suche,« erwiederte Eckbert.
»Und wo will Er es finden?« schrie der Baron. »Im Mohrenland etwa?«
»Vielleicht ist es näher als man meint,« versetzte der Kapitain.
»Denkt Er, eine indische Prinzessin wird sich in Ihn verlieben,« fuhr der Baron ärgerlich lachend fort, »und der Herr Schwieger Ihm den Thron abtreten?«
»Wohl möglich, mein edler Herr,« sagte Eckbert. »Dort liegt mein Schiff, wer weiß, zu welchem Lande es mich und mein Glück führt.«
Der Baron wendete sich zu seinem Freunde und sprach in seiner polternden Weise einen kräftigen Fluch über alle Narren auf Gottes Erdboden.
»So will ich mich doch in meinem Leben nie mehr um solche Art Menschen kümmern,« rief er, »die ihr Glück mit Füßen von sich stoßen. Da siehst Du, Kronhielm, was man davon hat. Geh' Er hin, meinetwegen, wohin Er Lust hat, und wenn's Ihm recht ist, fahr' Er mit seinem Glück bis ans Ende der Welt, ich gebe ihm meinen Segen. Mag es Ihm wohlgehen, wohin er kommt.«
»Diesen Segen,« sagte Eckbert sich leise neigend, »nehme ich dankend an. Ich und mein Glück habe ihn wohl nöthig.«
Der alte Herr sah ihm grämlich ins Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Mein Neffe hat doch wohl recht,« sprach er, »daß es nicht ganz richtig mit Ihm ist und sein Trotz und hochmüthiger Sinn Ihn verwirrt gemacht haben. Leg' er den ab, wenn wir gute Freunde bleiben wollen und, wenn's mit der Prinzessin nichts ist, Er hier in Hiddensee leben will. Und nun laßt uns gehen,« rief er im versöhnlichen Tone, »mag jeder schlafen, wie er sich bettet; ich hoffe, Eckbert, Er wird uns wenigstens noch ein Paar Stunden schenken, mir und Tina.«
Das Fräulein hatte schweigend und aufmerksam dies Gespräch gehört, jetzt reichte sie Eckbert die Hand und sagte lächelnd:
»Ich hoffte, wir würden uns nicht sobald trennen, mein guter Freund, wenn es aber Euer Glück verlangt, und wenn Ihr ein Mann seid, der den Weg dazu in sich gefunden hat, so laßt Euch nicht kümmern, was die Leute sagen, Ihr thut Recht daran, und je eher, je besser.«
»Still, Du leichtfertiges Mädchen,« rief der Vater, »Deine Zunge stiftet Unheil, wie alle Weiberzungen. – Aber laßt uns nach dem Hause, da ziehen unsere Jäger schon mit Hunden und Leuten über die grüne Haide und hier hat Niklas Bremer uns ein Frühstück bereitet, daß wir mit Muße die Gottes-Gabe verzehren.«
Unter der schattigen Buche stand ein weißes Tischchen mit Tellern besetzt, auf welchem Geflügel, mancherlei Fische, Taschenkrebse zu Salat bereitet und andere gute Sachen standen. Anna lief flink her und hin, und als der Baron und seine Gäste beim Mahle saßen, kam der Voigt mit seinem Gewehr auf der Schulter und der Prediger, den er an der Hand festhielt.
»Aha!« sagte der Baron, »bringt Ihr Euren Schwiegersohn, Voigt, will er Euch schappiren, wie der Eckbert? Nun, Herr Pastor, ich gratulire zu der jungen, hübschen Frau, die Aussteuer soll nicht fehlen, und um hundert Thaler verbessere ich Seine Stelle.«
»Mein gnädiger Herr,« sagte der Prediger, ängstlich sich verneigend, »meinen devotesten Dank lege ich Euer Gnaden zu Füßen, aber wenn nur, – ich fürchte – ich meine« –
»Meint Er auch etwas?« rief der Baron, und stieß mit dem Messer auf.
»Ich wage nur zu glauben,« sagte der arme Mann zitternd, »daß Anna – oder daß ich für das junge Mädchen, für ihre Sentiments nicht der rechte Freier bin.«
»Potz, Velten!« schrie der gnädige Herr im höchsten Zorn, und warf das Geflügel auf den Teller, »sind sie denn Alle hier verrückt geworden?! Willst Du den Mann da, Anna, den Schwarzrock?«
»Mein Vater hat gesprochen,« erwiederte sie, indem sie demüthig knixend ihre Augen niederschlug.
»So ist's recht, Mädchen. – Und hat Er bei dem Voigt um das Mädchen geworben?«
»Ja,« stammelte der Pastor, »aber – aber, es kann nicht so schnell geschehen, und mein Glück und Leben hängt daran,« rief er mit verzweiflungsvollem Muth, »wenn es nicht geschieht.«
»Sein Glück!« schrie der Baron grimmig, »will Er auch sein Glück von sich stoßen, wie der junge Thor da? Hör Er, Pastor, Ihn hab' ich, und Er soll mir keine Flausen machen. – Hier ist es nicht Mode, um ein Mädchen zu freien und dann zu sagen, ich will nicht; Er soll und muß heirathen, ich befehle es Ihm, oder ich bringe Ihn von Amt und Brot.« –
In dem Augenblick sah er sich um und erblickte seinen Neffen, der dicht bei ihm stand. – Der Kammerherr betrachtete den unglücklichen Bräutigam mit unverkennbarem Hohn und lachte dann Anna zu, als sie die Augen aufschlug und tief erröthete. –
»Da bist Du ja auch, Bruno,« sagte der alte Herr.
»Ich kam zurück, um Sie zur Eile zu treiben.«
»Und Du kommst zur guten Stande,« rief der Onkel, »um diesem Gottesdiener ein erleuchtendes Beispiel zu sein. – Seht her, Pastor,« fuhr er fort, »hier ist mein Neffe, ein Freiherr und hochgeborner Mann, und hier ist mein einziges Kind. Ihre Sentiments reimen sich auch wohl nicht zusammen, dennoch habe ich sie verlobt und thue es nochmals feierlich, ohne daß sie sagen werden, wir passen nicht für einander. In vier Wochen sollen sie an den Altar treten, und das sollt Ihr auch, oder wir werden Klage erheben vor geistlichem Gericht gegen Euch als eidbrüchig und gottlos. Doch dahin werdet Ihr es nicht kommen lassen,« fuhr er milder fort. »Aber Ihr sollt glücklich werden, oder – Reicht Euch die Hände, Kinder. Tina, küsse Deinen Vetter, und Er, Herr Pastor, sei Er vernünftig.« –
Der arme Pastor beugte sein Haupt wie ein Opferlamm zu Anna's frischen Lippen. –
»Bravo!« rief der seligmachende alte Herr, »nun ist Alles abgethan. Tina, Du wirst auch glücklich sein, wohl die Glücklichste von Allen.«
»Das hoffe ich, Vater,« erwiederte sie und legte ihr Gesicht an seine Brust.
Bald darauf bestiegen die alten Herren und das Fräulein die bereit gehaltenen kleinen Pferde. Das des Voigts wurde dem jungen Herrn abgetreten und Niklas Bremer ging mit seinem Sohne nebenher, durch die Moorgründe und Erlenbüsche dem niedern Theil der Insel zu, in deren Lachen und bewachsenen Tiefen die Jagd gehalten werden sollte.
Dichtes, kurzes Buschwerk und schilfige Gräser füllten den weiten Raum, den das Meer dann und wann mit seinen salzigen Fluthen überspülte, wenn anhaltend starke Südwinde es aufstauten. Buchten hatten sich hineingewühlt und lange sandige Zungen, die jeder Sturm veränderte, streckten sich dazwischen aus. Weiter hinein war das Land höher, aber schwer zu begehen. Unter dem Grün, das verrätherisch-dunkel einen dichten Teppich bildete, lagen tiefe Löcher verborgen, sumpfige Stellen und kleine Wasserflächen, die von Gebüsch umkränzt und mit Schilf umzogen, plötzlich den Schritt der Wanderer hemmten. Hier aber hielt sich vornehmlich das Wild versteckt: die Schaaren grün- und blauhalsiger Enten, die Wasserhühner und mancherlei Geflügel, auch Hasen gab es, Seeottern und anderes Gethier, das ohne Unterschied, wenn es sich zeigte, eine Jagdbeute wurde. –
Die Fischer umstellten das Buschwerk und trieben mit Schreien und Geklapper die scheuen Geschöpfe auf, und nun begann ein lustiges Jagen. Die Luft wiederhallte vom Donner der Schüsse, die getroffenen Vögel stürzten herab, die Hunde holten sie aus den Wässern und Sümpfen, die schlechten Schützen wurden ausgelacht, und der Baron stand mit Tina auf einer kleinen Erhöhung und verfolgte lebhaft das Getreibe, indem er Lob und Tadel spendete, diesen oder jenen guten Schuß dem oder dem zuschrieb und das erlegte Wild in Empfang nahm, das man ihm brachte.
Zuletzt aber ergriff die Lust zur Theilnahme ihn selbst. Die Jagdbegier erwachte in dem alten Edelmann und plötzlich nahm er Eckbert's Gewehr und eilte der Gegend zu, wohin sich der Lärm gezogen hatte.
Eckbert und Tina waren allein. Sie war von dem kleinen Pferde gestiegen, hatte die spärlichen Blumen und Halme zusammengesucht, und saß jetzt zu seinen Füßen, wo er ihren leichten Mantel ausgebreitet hatte, Kränze windend, indem sie diese Arbeit mit leisen Worten und Lächeln begleitete. Eckbert stand schweigend neben ihr, die Arme über die Brust gekreuzt, sah er ihren Werken zu, dann und wann aber schaute er auf und betrachtete den Himmel und den bleichen Sonnenschein, der aus weißgrauen Nebeln sich Bahn machte.
Als Beide eine Zeit lang so verharrten; richtete das Fräulein von Wardo sich auf und reichte Eckbert die Hand mit den Kränzen, welche auseinander fallend eine schöne Kette bildeten.
»Das ist ein altes Kinderspiel,« sagte sie; »wir haben es oft gespielt, aber nun ist es eingetroffen, und es knüpfen sich diesmal ernsthafte Gedanken daran.« –
Sie ordnete die Glieder, und sagte ohne aufzusehen:
»Du hast Deinen Entschluß gefaßt.«
»Ja,« erwiederte er, »und die Zeit mahnt uns, Tina.«
»Ich weiß es, Eckbert.«
»Es giebt nur einen Weg zu unserm Glück,« fuhr er mit tiefem Ernste fort; »die nächste Stunde muß darüber entscheiden.«
»Dort,« sagte sie und deutete mit der Hand gegen das Meer.
»Mein Schiff liegt segelfertig – Ich sage nicht: Folge mir! Ich lege es in Deine Hand, ich schmeichle nicht, ich spreche keine Lüge, ich gehe allein, Tina, wenn Du willst. – Der Bauer hat Dir nichts zu bieten, als Sorge und Niedrigkeit. Statt stolzer Schlösser erwartet Dich eine Hütte, die ich erst finden soll, eine ferne, fremde Welt, ein rauhes Dasein. – Ein Fluch wird uns verfolgen, der Fluch Deines Vaters, denn diese stolzen Herren werden es nie verzeihen, daß Du gemein genug dachtest, mit einem Knecht zu fliehen. Wähle, Tina, der Augenblick ist gekommen, sage: Geh, es darf nicht sein! und ohne Klage werde ich Dich verlassen. Lebe dann glücklich, reich und geehrt und denke mein; ja gedenke des armen Eckbert, der nichts für Dich hatte, als Liebe, die von den Menschen Verbrechen oder Wahnsinn genannt wird.« –
Tina reichte ihm still die Hand.
»Ich habe gewählt,« sagte sie, »ich wußte auch, wie es kommen mußte, ich will es vertreten vor Gottes Gericht, ich will mich nicht an einen Mann verkaufen lassen, den ich verachte und der mich haßt. Dort erwartet mich eine Hölle, bei Dir in Noth und Tod der Himmel. Du wirst mich schützen, geliebter Eckbert, Du wirst mich immer lieben; in Liebe und Treue will ich Dein sein und Dir folgen, was uns auch treffen möge.«
Eckbert hielt ihre Hände zitternd in den seinen, und sah mit unaussprechlicher Zärtlichkeit in ihre strahlenden Augen.
»Vertraue mir, meine geliebte Tina,« sagte er, »mein Glück macht mich stolz, ich fühle es, daß ich Deiner werth und daß ich ein Mann bin, Dich gegen eine Welt zu schützen.« –
Er hielt sie in seinen Armen und sah gebieterisch und entzückt zum Himmel auf, als fühle er die Kraft eines Gottes.
In diesem Augenblick öffnete sich das Gebüsch im Grunde vor ihnen. Gras Kronhielm trat heraus und näherte sich langsam den Beiden, die Hand in Hand ihn erwarteten. – Als er vor ihnen stand, sah er sie traurig an und stützte sich auf sein Gewehr.
»Steht es so,« sagte er, und schüttelte sein ergrautes Haupt, »wirbt Liebe um Liebe hier, ja, dann ist es schlimmer, als ich meinte.«
»Besser, mein edler Herr,« erwiederte Eckbert, »besser, denke ich, als wäre meine ewige, innige Liebe vernichtet und hoffnungslos.«
»Ihr armen Kinder,« sagte der alte Herr, »Ihr kommt mit Euren warmen, unbedachten Herzen ein Jahrhundert zu früh. Ihr seid verirrt in einer Wüste, und kein Mosesstab wird Wasser aus dem harten Felsen schlagen. Ihr müßt verschmachten.«
»Nicht ohne Alles versucht zu haben, unser Leben zu retten,« erwiederte Eckbert.
»Sie sprechen so, Kapitain,« versetzte Kronhielm ernst, »und Sie kennen die Welt nicht genauer? Sie haben doppelt thöricht gehandelt. Einem Weibe verzeiht man das romantische Fieber und die dummen Streiche des Deliriums, ein Mann aber muß die Verhältnisse des Lebens besser kennen, besonnener das Unverständige von sich stoßen und der Klugheit Raum geben.«
»Sie reden, wie ein Greis,« sagte der junge Mann. »Hat denn in der Jugendzeit niemals heiße Liebe auch Ihr Herz über alle irdischen Verhältnisse erhoben?«
»Wehe der Liebe,« sagte Tina, »wenn sie rechnet und abwägt. Ach! sie ist wie ein unermeßlicher Strom, vor dessen Gewalt alle Schranken, alle Menschenwerke zusammenstürzen.«
»Tina,« rief der Graf, »lieben Sie denn wirklich diesen Mann?«
»Bedarf es da noch einer Antwort,« erwiederte sie. »Ich liebe ihn, seit ich denken kann; und nun ich ihn wieder gefunden, weiß ich erst, daß diese Liebe ohne Ende ist.«
»Was soll aber geschehen?« sagte der Graf. »Ums Himmels willen, bedenken Sie Alles. Sie sind verlobt, Ihr Vater kann und darf eine solche Schmach nicht dulden; welchen Kummer, welche Leiden bereiten Sie sich und«allen Ihren Freunden. Diese Neigung kann nicht verborgen bleiben, und fürchten Sie nicht die Folgen Ihrer Entdeckung?«
»Nein,« erwiederte Tina, »was geschehen muß, muß geschehen, mag mein Vater gnädig richten. – Sie sind sein bester, vertrautester Freund, Sie besitzen seine höchste Achtung, eröffnen Sie ihm Alles, und thun Sie, was Ihr Gewissen gebietet.« –
Der alte Herr suchte noch lange durch Vorstellungen und mancherlei Einwürfe, bald in mildem, bald in strengem Tone das Unpassende und nie zu Begütigende dieser Thorheit darzustellen. Endlich aber sagte er:
»Gut, ich will es thun, denn ich muß es thun. Ich kann meinem alten Freunde die Wahrheit nicht verhehlen, denn hier ist es Noth, mit Ernst einzuschreiten. Fügen Sie zur begangenen Unbesonnenheit nur keine neue; überlassen Sie mir Alles, ich will thun, was ich vermag, ich will es mild zu leiten suchen, Ihr Fürsprecher sein, vielleicht finden wir doch einen Ausweg, und Sie, junger Mann, gehen Sie, oder nehmen Sie Abschied, fürs Erste darf Sie mein alter heftiger Freund hier nicht finden.«
»Er ist fort,« sagte Tina, als Kronhielm ging, »und er ahnt mit aller seiner Klugheit nicht, daß ich den Rath gab, um ihn zu entfernen.«
»Und er läßt uns allein,« erwiederte Eckbert mit einer bittern Empfindung, »weil er für unmöglich hält, daß wir dem Strafgericht entgehen können, weil er mich bedauert, und doch zugleich verachtet, denn er ist ein Edelmann.«
»Fort, fort!« rief das Fräulein, »führe die Pferde her. Ja, das ist es; die Zeit ist abgelaufen, bis auf den letzten Pendelschlag, einen mehr, und es ist vorbei auf ewig. – Ich fühle das wohl,« sagte sie leiser, indem sie ihre Augen mit den Händen bedeckte, »ich erkenne es, mein Herz zittert und doch ist es kühn und stark. Vergebung, mein Vater, Du hast uns gesegnet; mich, Eckbert und sein Glück! Das war Gott, der aus Deinem Munde sprach. Verzeihe, o! verzeihe, aber welche Wahl bleibt, wenn ich zögern könnte?!«
»Der Altar und Bruno,« sagte Eckbert, indem er sie scharf und fast finster betrachtete.
»Du sollst mich nicht zweifeln und zittern sehen,« rief sie mit Entschlossenheit. »O! wie finster wird der Himmel, aber es ist hell in meiner Brust.«
Eckbert half ihr schweigend auf den Rücken des kleinen Thieres, dann warf er einen prüfenden Blick auf die düstre Wolkenmasse, die den ganzen westlichen Horizont umlagerte, und nun bestieg er das Pferd des Barons und leitete beide vorsichtig zwischen dem Strauchwerk hin nach dem jetzt verlassenen Jagdrevier, und dann die Küste entlang rascher und immer rascher, dicht an der Wasserlinie über den festen Sand unter den Dünen hin, bis sie endlich schaumbedeckt und athemlos die Bucht erreichten, wo die Matrosen der Frau Fortuna unter einem Zeltdach von Rudern und Segeln ihren Kapitain erwarteten.
Alles aber, was vorging, hatte nur Einer genau beobachtet, und dieser war der Voigt von Hiddensee. Er hatte das Ganze geordnet, die Treiber angestellt und dann und wann wohl selbst sein Feuerrohr gebraucht, bei aller Thätigkeit aber keinen der Jäger aus den Augen verloren. – Auch als die Herren sich vereinzelten und zerstreut ihr Glück zwischen den Lachen und Büschen versuchten, setzte er seine Beobachtungen fort, und so kam es, daß er bald die Abwesenheit des Kammerherrn gewahr wurde, der sich verloren hatte, Niemand wußte wohin. –
Als Niklas Bremer aber dem Seestrande zuging, hörte er den Galopp eines Pferdes, das fern über die Haide lief, und schnell war sein Entschluß gefaßt. Er drückte die Nordwester-Kappe tief in sein zorniges Gesicht, dann untersuchte er sein Gewehr, und nun eilte er mit so schnellen Schritten seinem Hause zu, als sei er noch in voller Jugendkraft. An der Mauer schlich er hin und öffnete leise mit dem Schlüssel das Hinterpförtchen, plötzlich trat er dann von dem Hof auf die Schwelle seines Hauses, und hier hörte er die Stimme des Kammerherrn, der laut lachte und dann rief:
»Du Göttermädchen, Du kleine, listige Hexe, da hast Du den Tölpel von Pfaffen schön angeführt, und von aller Liebe auf immer geheilt, denn er glaubt wirklich, daß er Gespenster gesehen hat. – So wollen wir sie aber Alle anführen, mag's kommen, wie es will, Du sollst mein sein, ich nehme Dich mit, wir wollen ein lustiges, prächtiges Leben führen.«
Da riß Niklas Bremer die Thür auf, unter der er stehen blieb. Was er sah und hörte, erfüllte ihn mit Wuth, die aus seinen Augen blitzte. Seine großen Hände preßten sich zusammen um den Lauf seines Gewehrs, auf das er sich stützte, aber er stand ruhig den Sündern gegenüber, düster und stumm, wie ein Richter der Unterwelt. Der Kammerherr, der in dem Lehnstuhl des Voigts gesessen und auf seinem Schooß mit beiden Armen die lachende und entzückte Anna hielt, blieb, wenn auch unmuthig überrascht und mit einem geheimen Bangen sitzen, als Anna bebend aufsprang und in die tiefe Ecke am Ofen flüchtete.
»Was will Er, Voigt?« sagte der junge Edelmann nach einigen Augenblicken mit dem Tone der Herrschaft und doch ungewiß, denn der Anblick des alten Mannes kam ihm unheimlich vor.
»Er fragt, was ich will,« erwiederte Niklas, wie mit sich selbst redend, »und daß er es weiß, steht doch deutlich auf seinem Gesicht voll Sünde und Schande.«
Der Kammerherr stand auf und schien zu über legen, welchen Weg er einschlagen müsse. Zorn und Verachtung fühlte er genug, aber seine Lippen versuchten doch zu lächeln.
»Was seid Ihr denn so böse?« sagte er. »Was ist denn so Schlimmes dabei, daß ich in Euer Haus trete und Eure hübsche Nichte mir wohlgefällt?«
»Nichts Böses dabei?« rief der Voigt. »Ja freilich, es ist nichts Böses dabei in vornehmer Leute Sinn, solchen Dirnen zur Schande zu helfen, und sie dann mit Füßen fortzustoßen.«
»Bei meiner Ehre!« sagte Bruno, »das habt Ihr nicht von mir zu erwarten. Anna gefällt mir, ich will für sie sorgen.«
»Wollt für sie sorgen,« murmelte der Voigt. »Ja, so hat er auch gesagt.«
»Seid kein Thor, Voigt,« fuhr der Kammerherr entschlossen fort. »Mir gefällt das Mädchen, vielen Anderen würde es Freude machen, wenn ich das sagte; überlegt Alles, Mann, erkennt die Ehre und Gnade, die ich Euch biete, fordert, was Ihr wollt, ich will es Euch bewilligen.«
»Ihr seid doch noch ärger, als er war,« erwiederte der Voigt; »habt's besser gelernt, handelt bei der Kuppelei.«
»Wer Er?« fragte der Kammerherr stolz.
»Ein Schelm,« sagte der alte Mann langsam, »ein elender Schurke, Euer Vater!«
»Mensch!« rief der Baron erbleichend und faßte nach dem Jagdmesser.
»Sind wir schon so weit?« rief der Voigt indem er zurücktrat und sein Gewehr gegen den Edelmann aufhob, dessen Lauf jedoch plötzlich von Anna gefaßt und mit krampfhafter Gewalt ihm entrissen wurde.
»Oheim!« rief sie, »was wollt Ihr thun? Einen Mord begehen? Denkt an Gott, denkt an den ewigen Richter und an den auf Erden!«
Sie wollte seine Hand ergreifen, er stieß sie von sich.
»Willst Du gehorchen,« sagte er, »willst Du den Mann nehmen, dem Du angelobt bist?«
»Ich kann nicht, Oheim, um Gottes Barmherzigkeit, nein!« rief die Dirne und drängte sich zitternd an den Junker, »helft mir! er ermordet mich!«
»Metze!« sagte der alte Mann, »so geh mit ihm, er wird für Dich sorgen. Geh, ich verfluche Dich und ihn und das ganze verfluchte Geschlecht. Er wird für Dich sorgen, wie sein Vater für Deine Mutter sorgte, die er mit Füßen von sich stieß, als sie ihre Schande mit sich umhertrug. – Nun weißt Du's,« fuhr er ruhig fort, »nun geh noch mit ihm, das büße ab, wenn Du kannst, oder verdirb an Leib und Seele!«
»Komm,« sagte der Baron, indem er einen schnellen prüfenden Blick auf den Greis warf, »Du sollst nicht hier bleiben. Hier ist Dein Leben in Gefahr, er ist wahnsinnig, dieser alte Mann, komm zu Tina, sie wird Dich beschützen.«
Er zog sie mit sich hinaus und von Furcht erfüllt folgte sie ihm, immer rückwärts schauend nach dem Voigt, der langsam nachschritt. Wie sie draußen waren, sahen sie an den Dünen hin zwei Reiter der Bucht zueilen, die sie sogleich für Eckbert und das Fräulein erkannten, deren Schleier im Winde flatterte.
»Es ist Tina,« sagte der Kammerherr, »sie will zurück nach dem Schloß, wir wollen sie begleiten. Zittre nicht, Mädchen, in Wardo bist Du sicher und auf jeden Fall will ich Aufschluß haben, Aufschluß über das, was dieser Elende sprach, Genugthuung für das, was er that.«
Inzwischen war ihr Rückzug fast eine Flucht geworden, denn Niklas Bremer schritt gewaltig hinter ihnen her, und je schneller er ging, um so zitternd hastiger zog Anna ihren Gefährten fort.
So geschah es, daß sie fast zu gleicher Zeit die Bucht erreichten, in dem Augenblick, wo das Boot der Frau Fortuna vom Lande gestoßen werden sollte.
»Halt,« rief der Kammerherr athemlos, »halt an!«
»Stoßt ab,« schrie der Kapitain von der Quartierbank, »zurück mit ihnen!«
Niklas Bremer legte seine gewaltige Hand auf die Steven und schleuderte den Matrosen zurück, der das Fahrzeug abdrücken wollte.
»Du willst fahren, Eckbert?« sagte er.
»Ja, Vater,« erwiederte der Sohn.
»Du mußt?« fragte der Voigt und warf einen schnellen Blick auf Wind und Wolken.
»Ich muß, Vater, und jeder Augenblick ist kostbar.«
»Hast Du es fest beschlossen, mein Sohn, bedenke es wohl?« fuhr Niklas im warnenden Tone fort und seine Stimme zitterte.
»Fest in Tod und Leben, Vater. Laßt die Hand los und Gott segne Euch lange Jahre!«
»So nimm diese da mit Dir,« sagte der alte Mann.
Er faßte Anna und hob sie hinein, dann den Kammerherrn, ehe dieser sich recht besinnen konnte.
»Du weißt nicht, was Du thust.«
»Ich weiß, ich weiß!« rief der Alte. »Fort! greift zu den Rudern,« und mit einem gewaltigen Stoße schleuderte er das kleine Fahrzeug vom Ufer.
Einen Augenblick stand Eckbert rathlos. »Eilt und rudert schnell,« rief der Kammerherr befehlend, »das Unwetter zieht herauf.«
»Wenn es so sein muß,« murmelte Eckbert, und verzweiflungsvoller Muth blitzte aus seinen Augen, »so kommt, Ihr sollt uns begleiten. Hierher Tina, fürchte nichts. Legt die Ruder ein, die Segel auf und doppelt gerefft, wir werden sie sogleich brauchen.«
Indem er sprach, kräuselte sich die glatte Fläche des Wassers in der Bucht, ein Windstoß fuhr über Rügen hin, und beugte drüben die hohen Bäume des herrschaftlicher Parks. Darm kehrte die Ruhe zurück, aber die dunkle Wolkenmasse zog mit reißender Schnelle über den Meeresarm und färbte ihn mit grauenhaftem Dunkel. Oben brauste es in den Lüften und draußen auf der See rollten plötzlich lange Wellen, wie erschrocken empor gerüttelt aus dem Schlaf, in dem sie gelegen. Die Frau Fortuna tanzte und schwankte an ihren Kabeln, dann steckte das Schiff eine große Flagge auf, ein Ruf für ihren entfernten Kapitain, an ihren Wänden kletterte das Seevolk eilig auf und ab, fast zugleich fuhr der Donner eines Schusses über das Wasser hin.
Alles dies sah Niklas Bremer, der unbeweglich den Lauf des Bootes verfolgte. Jetzt drang der reißende Luftstrom in die Bucht und riß ihm die Kappe vom Kopf, es kümmerte ihn nicht. Sein weißes Haar flog um seine Stirn, der Band seines Zopfes löste sich und peitschte die silbernen Flechten um Brust und Nacken. Schwere Regentropfen schlugen ihm ins Gesicht, seine Füße wurden von dem aufstäubenden Wasser bespült, er hörte laut schreiende Stimmen nahen, er regte sich nicht.
»Wo sind sie,« schrie der alte Baron hinter der Düne, »wo sind sie?«
»Du hast mir versprochen, ruhig zu sein,« sagte der Graf und hielt ihn zurück.
»Sorge nicht,« rief der alte Herr, »aber hindere mich nicht meine Pflicht zu thun, meine Ehre zu bewahren! Ja, Niklas Bremer!« rief er, »wo ist Euer nichtswürdiger Sohn?«
»Dort,« sagte der Voigt und deutete auf das schwankende Boot, »dort sind sie Alle.«
»Um Gotteswillen! Wer?« schrie der Freiherr, dem die Gefahr einleuchtete.
»Alle,« wiederholte der Voigt eintönig, »Tina und Eckbert, Waldemars Sohn und Anna, meiner Schwester Kind.«
»Was ist das?« rief der alte Herr. »Was soll das heißen?«
»Habt Ihr nie davon gehört, Freiherr von Wardo,« sagte Niklas, »daß der Eltern Sünde gerächt werden soll an Kind und Kindeskind? – Ich habe sie in seinen Armen gefunden, wie ich einst seinen Vater in ihrer Mutter Armen fand, nun sind sie Beide auf und davon.«
Der Baron starrte seinen Diener entsetzt an.
»Rächt die Sünde so die Sünde,« sagte er, »ja, dann mag es Vergeltung sein, daß Tina, mein einziges Kind, Ehre und Tugend wegwerfen konnte, und Schande auf mich und mein Haus häuft eines gemeinen Burschen willen.«
Der Voigt stand unbeweglich wie vorher und der alte Herr fuhr heftiger fort:
»Noch ist es aber Zeit, um es zum Guten zu wenden. Ich will auch hinüber, ihnen nach. Schafft die Leute herbei, was frage ich nach dem Unwetter, ich habe ärgeres erlebt; in der Bucht ist nicht viel zu besorgen, wenn man seine Sache versteht. – Bruno soll fort, noch heute fort. Das Mädchen soll den Pfarrer heirathen, morgen, heut' noch, sie muß! Mit Tina aber gehe ich nach Stockholm und komme nicht eher wieder, bis nach Jahren, bis sie vernünftig ist, bis Bruno –«
»Spart die Worte, Herr,« sagte Niklas Bremer mit starker Stimme, »es ist zu spät. Segnet sie, segnet sie Alle, daß Gott sich ihrer erbarme!«
Er deutete auf das Boot und auf den Himmel, den Blitze durchkreuzten, die in blendender Bläue aus der tiefgesenkten Wolkenmasse schossen. Unter den Schlägen des Donners hörte man das Angstgeschrei des alten Mannes, der trostlos die Hände rang, und neben ihm stand der Voigt mit dem eisernen Gesicht, die Arme gekreuzt, einen Ausdruck befriedigter Rache in seinen großen stieren Augen.
Das Boot hatte seinen Lauf verändert, es ging nicht mehr gegen die Küste an, sondern gerade hinaus in das brandende vom Sturm durchwühlte Meer.
»Haltet den Wind!« schrie der alte Baron, als könnten es die Entfernten hören; »nur eine kurze Strecke noch, halt, halt!«
»Sie werden fortgespült,« murmelte der Graf, »aber noch ist nicht Alles verloren. Eckbert ist ein Mann, der ihnen hilft, wenn zu helfen ist.«
Ein düsteres Lächeln lief über Niklas Bremers Lippen. Plötzlich faltete er die Hände und schien zu beten, dann ließ er seinen alten Kopf tief sinken, als wollte er nichts mehr sehen.
In diesem Augenblick entwickelte sich das Unwetter mit rasender Gewalt. Die Stöße des Sturmes jagten Regengüsse vor sich her, die so dicht fielen, daß in wenigen Augenblicken nichts Nahes und Fernes zu erkennen war. Es war Nacht, die von Blitzen erhellt, von betäubenden Donnerschlägen fast unausgesetzt durchhallt wurde. –
Das Boot war verschwunden. Alle starrten auf den Punkt hin, wo es zuletzt auf dem Gipfel einer Welle erblickt wurde. – Dann wollte man einen Augenblick die Mastenspitzen der Frau Fortuna erkennen, wie sie wahrscheinlich ankerlos geworden, vor Top und Takel trieb; man glaubte den dumpfen Schall einiger Schüsse zu hören, aber neue Regengüsse fielen, und lange bange Stunden vergingen, während welcher die ganze Jagdgesellschaft und die Fischer von Hiddensee herbeikamen, ohne einen Rath zu wissen.
Alle hörten traurig die Wehklagen ihres alten Herrn, Alle betrachteten mit vielleicht noch größerer Theilnahme das stumme finstere Gesicht ihres Voigts, der, wie ein Bild von Stein noch immer auf der Dünenspitze stand, während Ströme von Wasser aus seinem weißen, zerzausten Haar flossen.
Aber die Angst ward zur Verzweiflung, als endlich Sonnenschein über die schäumende See flog und nichts sich zeigte, so weit das Auge auch reichte. Nicht das Boot, nicht das Schiff, kein Mast, kein Segel; öde war es auf der beweglichen Wüste, die hell und schrecklich brausend sich wiegte, und keine Antwort gab auf alle Klagen und Thränen, als ihr heißhungriges eintöniges Brausen.
Abends brachte man den Baron in sein Schloß und Niklas Bremer ging in sein einsames Haus, wo der arme Pastor ihn empfing und zu trösten versuchte. Er antwortete nichts auf alle gute Worte, aber die ganze Nacht über hörte der Prediger denselben festen, gleichmäßigen Schritt in der Stube, der ihn früher so erschreckt hatte. Gespenster kamen sonst nicht, wie aufmerksam er auch lauschte, und allerlei sonderbare Gedanken liefen ihm durch den Kopf, die er jedoch Niemandem entdeckte.
Von diesem Tage an ging der Voigt von Hiddensee täglich nach der Düne bis an das äußerste Ende der Insel, wo der Dornbusch stand, ein Wahrzeichen aller Seefahrer. Hier lehnte er sich auf seinen Stock und konnte stundenlang über die Wasser hinaus sehen und dann hinüber nach Schloß Wardo, wo unter dem japanischen Schirm der alte Baron saß; der auch das weite Meer durchforschte, und endlich seufzend in das große, einsame Haus zurück geführt ward.
Nach einem Jahre senkten sie ihn in die Gruft seiner Väter, und bald darauf ward der Voigt von Hiddensee gefunden, wie er an den Dornbusch lehnte, dessen wildes Gezweig ihn umklammert hielt, und hinaus ins weite Meer blickte. Aber er war kalt und todt; weinend begruben ihn die Kinder von Hiddensee und warfen grüne Zweige in sein Grab.
Die Güter der alten Familie fielen fremden Verwandten zu, Hiddensee wurde verkauft, Stürme rissen den kleinen Wald nieder, Sand und Meer überdeckten das Eiland und Elend die blassen Gesichter der armen Fischer. –
Aber nie kehrte die Frau Fortuna zurück, keine Kunde kam je von ihr und von den Verunglückten keine Schiffstrümmer, kein Leichnam ward an den Strand gespült. – Darum ging eine Sage, die sich erhalten, Eckbert Bremer habe trotz des schrecklichen Sturmes sein Schiff erreicht und Alle seien nach einer jener glücklichen Inseln im fernen, fernen Weltmeere gefahren, wo Sehnsucht und Kummer auslöschen, wie im Paradiese. –