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In dem kleinen Gemach brannten die Lampen noch hinter den großen weißen Glaskugeln und warfen ihren blendenden Strahl über den Arbeitstisch, auf dem es so mannigfach bunt aussah, wie es in eines Schuhmachers Werkstatt aussehen kann. –
Die Arbeiter waren gegangen, denn es war Montag, der trotz der Polizeibefehle, nach uralter Sitte, noch immer von den Handwerksleuten ein wenig gefeiert wird. Nur der Meister saß gebückt auf einem der niedern Sessel und nähte an einer Arbeit, die er fertig schaffen wollte; zuweilen aber hielt er auch an, ließ den Hammer ruhen, mit dem er das harte Leder bearbeitete und blickte freundlich nach der andern Seite des Tisches, wo ein Mädchen saß, die mit Geschicklichkeit und emsigem Fleiß aus Strohgeflechten Hüte machte. –
Der alte Meister hatte ein redliches, ernsthaftes Gesicht, reichlich mit jenen harten Runzeln und Falten ausgestattet, die ein müh- und arbeitsvolles Leben, bei geringer Pflege und schmaler Kost, den niedern Ständen vornehmlich zutheilt.
Das Mädchen war groß und über die erste Jugendblüthe hinaus. Ihre dunklen Augen hatten sicher einst mehr Feuer besessen, als jetzt, aber sie waren noch immer lebhaft genug. Das schwarze, dichte Haar fiel glänzend und glatt gescheitelt, nach der Mode des Tages, bis auf die Schläfe nieder. Es lag viel Gesundes, Derbes und Tüchtiges in ihrem ganzen Äußeren, aber gewiß trug auch die Sauberkeit ihres einfachen Anzuges zu diesem wohlthuenden Eindruck bei.
Ein paar Mal hatte der Meister schweigend ihrer Arbeit einige Minuten lang zugeschaut und dann die seine wieder begonnen, bis er endlich eine Prise aus einer bunten Dose nahm, die vor ihm stand, und den Blick gegen das Fenster wendete. –
»Es wird eine bitterkalte Nacht werden, Hannchen,« sagte er. »Wie die Blumen da schon wild durch einander über unsere Scheiben wachsen. Und die Sterne funkeln dazu, als hätten sie, um solche Frucht zu treiben, dieselbe Kraft, wie der liebe Frühlingssonnenschein für Tulpen und Hyacinthen.«
»Ei, Vater,« erwiederte das Mädchen scherzend, »jedes Ding will seine Zeit haben. Die Januars-Blumen haben aber auch ihr Gutes für uns. Wenn sie blühen, mache ich Hüte, die getragen werden sollen, wenn die Maiblumen da sind. Laß wachsen, was wachsen will, ich wollte nur, daß ich den Hut fertig hätte.«
»Du solltest doch nicht so viel arbeiten, Hannchen,« sagte der alte Mann leise. »Deine Augen sind ganz trübe.«
»Da würde ich sie führen,« rief das Mädchen lachend. »Was ich aushalte, müssen sie auch aushalten, wie der Herr so der Knecht, das ist nicht mehr wie billig. Aber morgen liefre ich ab, Väterchen, da haben wir Geld und am nächsten Sonnabend wenigstens wirst Du nicht in Sorgen sein, wovon der Gesell seinen Lohn erhalten soll.«
»Wenn nur das Borgen nicht wäre, Hannchen,« sagte der alte Mann seufzend, »wenn alle Leute ihre Schuldigkeit thäten und zur rechten Zeit bezahlten was sie sollten, und wenn Dein Bruder Franz, ja wenn der endlich auch einmal etwas verdiente, – es würde gut genug mit uns gehen. – Du lieber Gott! wie ich in seinen Alter war, sorgte ich für Vater und Mutter, aber –«
»Still Vater,« sagte das Mädchen, »es geht gut genug und es wird noch besser gehen, das ist mein Trost, das weiß ich ganz gewiß.«
Der alte Mann schwieg und fing wieder an zu klopfen und zu nähen. Er wußte recht gut, daß seine Tochter nicht auf das Gespräch eingehen wollte, das er gern eröffnet hätte. Leise murmelte er seine Seufzer und seine Sorgen vor sich bin, bis er wieder nach dem Fenster sah und nach dem Vogelbauer, der oben hing. –
»Ei ja,« sagte er, »die Thiere wissen es immer besser wie die Menschen, was da kommen wird, Regen oder Sonnenschein; sie sind vielmals klüger auch, denn sie richten sich danach ein. Die Nachtigall ist sonst so fleißig, fast wie Du; nun siehst Du wohl, Hannchen, heut sitzt sie in der dunkelsten Ecke mit dick aufgesträubten Federn und sagt kein Wort. Das heißt aber bei ihr: Es ist zu kalt zum Singen und wird immer kälter werden.«
»Sie ist vielleicht heiser geworden,« sagte das Mädchen, indem sie zum Vogel hinaufschaute. »Es geht vielen Sängerinnen im Winter so.«
»Du weißt doch immer ein lustiges Wort,« erwiederte der Vater nun selbst lachend. »Du hast ein fröhliches Herz in der Brust und das ist ein großes Glück, mein Kind. Gott möge es Dir für alle Zeit erhalten.«
»Und warum sollte er nicht,« erwiederte die Dirne zuversichtlich. »Ich nehme Alles dankbar an, was da kommt, und gar zu Schlimmes hat mich ja auch noch nicht betroffen.«
»Aber es giebt doch Mancherlei, was besser sein könnte,« murmelte der Alte.
»Was man nicht ändern kann, muß man ertragen,« sprach Hannchen, indem sie den Faden an der Nadel abknallte.
»Ertragen, ja, das muß man, aber wie?«
»So gut es immer geht,« sagte sie, und strich sein graues Haar sanft von der groben rauhen Stirn.
»Du bist so gut, mein Kind,« rief der alte Mann dankbar gerührt, »und doch – Du – nun ja – andere Mädchen, weit häßlichere und dabei dumm und träge, die heirathen und Du –«
»Ich bekomme keinen Mann,« fiel sie luftig ein, »nun wer weiß, und wenn es nichts ist, so schadet es auch nicht viel. Die Männer taugen nichts, sagen alle Frauen.«
»Du hättest damals,« begann der Meister wieder – aber er hörte sogleich auf und schüttelte leise den Kopf, als er seine Tochter ansah, deren Gesicht einen Augenblick ernst und unmuthig wurde, sogleich aber wieder freundlich lächelte, als er stockte:
»Wenn ich Mann und Kind und Wirthschaft hätte, könnte ich dann bei Dir sein, Vater? Könnte ich Dich trösten, pflegen und Dir helfen? Das ginge Alles nicht wohl an, und so hilft immer ein Schaden zu andern guten Dingen.«
Das Gesicht des Vaters ward ganz voll Glück bei ihren Worten.
»Ja, das ist mein einziger Trost,« rief er. »Was sollte ich armer alter Mann denn auch anfangen? Ohne Dich, ich könnte es wirklich nicht aushalten.«
Im Augenblick ging die Thür auf und ein Kopf, auf welchem ein großer Hut saß, klemmte sich durch die Spalte. Der Hut war etwas abgenutzt und verbogen und das Gesicht ebenfalls, zu dem er symmetrisch gehörte. Wenn man daher beide zusammen betrachtete, so sahen sie gar nicht so übel aus. Sie hatten etwas Kühnes und Einnehmendes, und konnten leicht einem in der Welt ein wenig herabgekommenen, aber sonst ganz achtbaren Mann angehören. –
Der Eigenthümer des Kopfes drängte sich, nachdem er mit diesem einige Male genickt und dann mit sehr schneller Zunge die Worte: »Guten Abend! Guten Abend, Alle beisammen! Freut mich ganz ungemein. Fräulein Hannchen, verehrter Meister Liebold, wie gehts?« und mehr dergleichen ausgestoßen hatte, eben so schnell hinterher und erschien nun als ein mit einem gewissen Anstrich von Mode gekleideter Herr, der hier sehr gut Bescheid wußte. Denn er vermied mit einem gelenkigen Satze die Stufe an der Schwelle, mit einer geschickten Wendung die Ecke des großen Spindes und den Haufen Kalbfelle, der darüber hervorragte, balancirte dann über ein Paar Kniebänke und stand im nächsten Augenblick dicht vor der Näherin, der er galant die Hand küßte, dem Meister aber zugleich eine wohlgefüllte Dose hinhielt, aus welcher der alte Mann im Bewußtsein des Guten, das ihm wiederfuhr, eine ungeheure Prise nahm.
Hierauf ahmte der Fremde diesem guten Beispiele nach, und musterte dann im Wiederschein der Glaskugeln sein verkleinertes Bild, das ihm sehr gut zu gefallen schien.
»Ich bin ganzer drei Tage nicht hier gewesen,« sagte er und knöpfte den Paletot von Naturelltuch auf, indem er nachlässig mit einer Hand und einem wohlgefälligen Blick in die große Tasche jenes neuen Kleidungsstückes fuhr, während die andere sich das dichte, etwas röthliche Kopfhaar strich – »aber was habe ich nicht alles zu thun gehabt?«
»Ich hoffe,« sagte der Meister, »es ist keine Störung vorgefallen bei der Erbschaft, Herr Grün?«
»Nicht die Idee,« rief Herr Grün, und fächelte mit seinem neuen seidenen Taschentuch einen Wohlgeruch aus. »Es ging Alles vortrefflich. Sonnabend Morgens bekam ich, was von der alten Muhme Geld übrig geblieben war, nachdem die Gerichte, – nun Sie wissen wohl, Herr Liebold, was an Gerichtsfingern bei solchen Gelegenheiten kleben bleibt, – ja, was wollt' ich sagen? richtig! es waren doch noch neun Hundert und sieben Thaler dreizehn Groschen fünf Pfennige, die ich nach Haus brachte.«
»Und nun?« fragte Hannchen. »Haben Sie wirklich gekauft?«
»Versteht sich,« sagte Herr Grün. »Den Laden und das Waarenlager: sämmtliche Pomaden, Seifen, Bürsten, Kämme, Haartouren, Flechten, Locken, Essenzen, Alles echt aus Paris, aber hier gemacht, auch die Recepte dazu, echtes Eau de Cologne! Riechen Sie denn nichts, Fräulein Hannchen?«
»Glauben Sie, daß ich keine Nase habe?« fragte diese zurück.
»Im Gegentheil, ich sehe ein ganz allerliebstes Näschen,« erwiederte Herr Grün zärtlich, und drückte seine Hand sanft auf die ihre; im Augenblick aber zog er sie mit einem kleinen Schrei wieder fort, denn er hatte einen blitzschnellen Nadelstich bekommen.
»Was Sie für ein gottloses Mädchen sind,« sagte er, »einem armen Friseur, oder vielmehr Haarkünstler, das bischen Blut abzapfen zu wollen. Einem jungen Anfänger, der alle Courage nöthig hat.«
»Haben Sie denn schon angefangen?« fragte Hannchen.
»Versteht sich, heut morgen,« sagte Herr Grün; »es war der merkwürdigste Tag meines Lebens. – Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, aus Furcht, der Maler könnte das Schild nicht fertig gemacht haben, weil gestern Sonntag war. Aber ganz früh kam er damit, und ehe der Tag anbrach, saß es oben an der Thür: Salons zum Haarschneiden für Damen und Herren von A. P. Grün, und darunter etwas kleiner: vormals in Paris und London. Es steht merkwürdig schön aus.«
»Sie in Paris und London?« rief das Mädchen lachend.
»Aber du lieber Himmel!« erwiederte Grün, »muß denn so etwas Alles wahr sein? Ist es denn bei meinen Seifen und Pomaden wahr? Es ist aber so Mode in Deutschland; fremdländisch soll sein, was man kaufen will, und somit laßt doch jedem Narren seine Kappe.«
»Nein, Herr Grün,« sagte Hannchen, »Sie vertheidigen sich schlecht, auch ist Ihre Sache keineswegs gut, und was das Übelste ist, Sie werden Ihr Geld dabei verlieren.«
»Geld verlieren?« rief der Haarkünstler mit pfiffiger Ungläubigkeit, »nun, was das anbelangt, so bin ich durchaus dagegen von Geburt an.«
»Wird doch Alles nicht helfen,« fuhr die Näherin lachend fort. »Glauben Sie denn, daß Ihr Vorgänger den Laden und sein Waarenlager verkauft hätte, wenn in der Karlstraße ein Haarkünstler fortkommen könnte? – Und obenein einer, der sich vornehm aufspreizt, der da schreibt: aus Paris und London! ein Aushängeschild für Jedermann, daß er theuer sein will. Wer soll denn zu dem theuern Herrn kommen in der Karlstraße? Für die Leute da wäre die gute einfache Wahrheit weit zweckmäßiger, und darunter geschrieben: Alles ist so wohlfeil als möglich hier zu haben.
»Nun, da sind Sie doch sehr im Irrthum,« rief Herr Grün, »und ich will Ihnen gleich den Anfang meiner glänzenden Zukunft erzählen, damit Sie sehen können, was es nützt, wenn man ein Bischen aufzuschneiden versteht.«
Die Hutnäherin sah ihn schelmisch an und sagte:
»Erzählen Sie nur, ich werde bald merken, wie weit Sie die Aufschneiderei fortsetzen.«
»Heute Morgen,« sagte Herr Grün, indem er die Hand auf sein Herz legte, »ordnete ich meine Waaren am Schaufenster, und fühlte mich ganz selig und beglückt, so mitten in meinem Eigenthum zu stehen. Ich zählte die Perücken, die Flechten, die Seifenkugeln, die ganzen Herrlichkeiten, Alles war mein, und mancherlei Luftschlösser bauten sich vor mir auf. – Grün, sagte ich, hast du das wohl je gedacht? Hast du nicht manches Jahr conditionirt, ohne Aussicht, ein eigner Herr zu werden? Warst du nicht immer ein leichtsinniger, windiger Patron ohne Grundsätze, und nun mit einem Male, Gott segne die alte Tante in ihrem dunklen Kämmerchen! nun bist Du oben auf, ein Mann auf dem Platze, und was für ein Mann?! Auch wird eine Zeit kommen, fuhr ich dann leiser fort, wo Du nicht mehr allein sein wirst, in Deinem Geschäft einen Gehülfen, und dort hinten in deinem stillen Zimmerchen ein fleißiges, nettes, flinkes Weibchen« –
Hier hielt Herr Grün inne, strich sich seinen Wald von rothen Haaren mit beiden Händen, sah dann durch die Finger das stille Mädchen mit sonderbar funkelnden Augen an und nickte und verzerrte sein langes Gesicht, bis er plötzlich mit beiden Daumen schrecklich knallte und halb von seinem Sitze aus Entzücken auffuhr. –
»Ja, das dachte ich, Hannchen,« rief er, »und noch viel mehr dachte ich, als plötzlich die Thür aufging und der erste Kunde hereintrat. – Der erste Kunde! Das ist entscheidend für das ganze Leben. Ist es eine alte Frau, ist auch das Unglück fertig, kommt Jugend und Schönheit, so haben wir gewonnen! – Ich hatte es unzählige Male gedacht und zitterte wie ein Kind, als ich den Druck auf der Klinke hörte. – Eine ganze Weile sah ich mich auch gar nicht um aus lauter Furcht. Ich hörte Jemand einige Schritte gehen, still stehen, dann leise sprechen, aber Niemand fragte nach mir. Das ist doch sehr kurios, sagte ich und plötzlich faßte ich einen herzhaften Entschluß. Ich drehte mich um, trat hinter dem Gitter hervor und da stand mitten im Laden eine große stattliche Dame, die ich in meinem Leben nicht vergessen werde.«
»Wie so?« sagte Hannchen, und ließ die Nadel sinken.
»Ja, wie so?« rief der alte Mann, der auch zu arbeiten aufgehört hatte.
»Es war natürlich ein Wunder von Schönheit,« sagte das Mädchen spottend.
»Nein, so merkwürdig schön war sie eben nicht, aber ganz apart war sie anzusehen,« erwiederte Herr Grün sehr ernsthaft, »und eine vornehme Dame war es, darauf lasse ich mein Leben, denn das Vornehme kenne ich auf den ersten Blick. – Sie war groß und stark gebaut, ganz in einen schwarzen Atlasmantel gewickelt. Ein Hut von grünem Sammet mit dichtem schwarzen Schleier bedeckte ihren Kopf und ihre Händchen, mit feinen Handschuhen bekleidet, steckten in einem kostbaren Muff von Chinchilla. Das Gesicht konnte ich freilich nicht ganz deutlich sehen, aber es war blaß und fein. Schwarze Locken lagen dicht daran und große, merkwürdig große Augen sahen mich so starr an, daß ich ordentlich Herzklopfen bekam. Was steht zu Ihrem Befehl? sagte ich. Sie schwieg einen Augenblick, denn sie wandte den Kopf wieder nach der Straße. Was haben Sie zu verkaufen? rief sie und blickte unruhig nach mir hin. Es würde schwer werden, alle meine Artikel zu nennen, erwiederte ich etwas erstaunt; sollten Sie jedoch eine Scheitel bedürfen, oder Locken, Toilettengegenstände aller Art. Mit einem schnellen Blick auf mich, zog sie eine kleine Börse aus dem Muff, legte ein Zweithalerstück hin und sagte: Geben Sie mir etwas dafür, aber wenig, ganz wenig. Echte Orangeseife von Violet vielleicht? fragte ich. Sie wendete sich von mir ab und kehrte wieder um, als verstände sie mich gar nicht. Sind Sie lange schon hier? fragte sie leise. Ich wußte nicht recht, was sie damit meinte. O! freilich, einige Zeit, sagte ich. Aber früher in Paris und London, ganz unfehlbar. Meine Kunst wird nur dort wahrhaft erlernt. Wer wohnt da drüben? flüsterte sie und deutete auf das große Haus. Wo? sagte ich und that so freundlich als möglich, obgleich ich innerlich sehr verlegen war. Dort in der ersten Etage? Mein Muth wuchs wieder, denn das wußte ich. – In der ersten Etage, sagte ich, wohnt der Geheimerath Ringenberg, der Eigenthümer dieses schönen Hauses, ein sehr reicher, sehr angesehener Herr.«
»Ah, Ringenberg!« murmelte der alte Meister vor sich hin und der Stiefel fiel von seinen Knieen und unterbrach die Rede des Herrn Grün, der ihn artig aufhob.
»Ja, Ringenberg,« fuhr er dann fort, »den Sie ja auch kennen, werther Herr Liebold, bei dem Ihr Herr Sohn, unser wackerer Franz, der einzigen Tochter Unterricht ertheilt. Und diesem glücklichen Umstande verdanke ich eigentlich auch meine ganze Kenntniß von der Sache. Am Sonntag Abend, nein, am Sonnabend war es, sah ich Franz herauskommen, eben als ich den Kauf abgeschlossen hatte.
›Wo kommen Sie her?‹ sagte ich, als wir uns die Hände schüttelten.
›Von dort oben,‹ erwiederte er. –
›Aha, Menschen klug gemacht?‹ sagte ich. –
›Ein schlechtes Geschäft,‹ versetzte er, und lächelte finster vor sich hin. –
›Pah,‹ sagte ich, ›die Welt ist rund, man muß sich nicht mit Gewalt an den Ecken stoßen. – Wer wohnt da oben?‹ –
›Der Geheimerath Ringenberg,‹ sagte er, und so wußte ich es.‹«
»Bleiben Sie hübsch bei der schönen Dame,« fiel Hannchen ein, »sonst läuft sie davon.«
»Noch lange nicht,« sagte Herr Grün, »denn plötzlich, wie ich das erzähle, läuft sie ans Fenster und stiert einen jungen Mann an, der ganz langsam und in sich gekehrt die Straße heraufkommt.«
»Der aber auch ganz grausam schön war,« rief die Nachbarin dazwischen.
»Nun, es war Einer nach der neuesten Mode,« versetzte Herr Grün, »sonst möchte ich behaupten« – hier betrachtete er sich wieder en miniature in der Glaskugel und schnitt ein Paar Gesichter zur Probe – »daß es wenigstens wohl eben so bedeutende und schöne Männer giebt. Den Rockkragen hatte er hochgezogen, und um sein Gesicht lief ein schmaler schwarzer Bart, und ganz verzweifelt ernsthaft sah er aus, stolz und bleich und kalt, so recht wie ein Mensch, der keinem andern einen Finger reicht, wenn er nicht wenigstens ein Graf ist.«
»Dazu hatte er pechschwarze Augen,« sagte Hannchen, »einen kleinen Mund mit schmalen Lippen und weißen Zähnen und starke lange Wimpern und Augenbrauen, die über der Nase zusammen gewachsen waren.«
»Ja wahrhaftig,« sagte Herr Grün, »die hatte er. Kennen Sie ihn?«
»Ich?« rief das übermüthige Mädchen, heftig lachend, »freilich, ganz gewiß. Aber nie sollen Sie seinen Namen erfahren, das schwöre ich!«
»Ach, Sie allerliebster Spaßvogel,« rief der pfiffige Grün, indem er sanft auf ihre Hand schlug, »mich sollen Sie nicht anführen. Also wie meine Dame den jungen Herrn sieht, bekommt sie mit einem Male eine Art Sonnenstich. Sie läuft bis an die Thür, sie prallt zurück, sucht den Drücker und macht nicht auf; hält sich, wie in Ohnmacht oder Krampf an dem Gitter fest, und ist wie gelähmt. –
›Um Gotteswillen, Madame, was ist Ihnen widerfahren?‹ rufe ich, und springe mit einem merkwürdigen Satze über den Tisch.
›Dort,‹ sagt sie, und weist auf den jungen Herrn. ›Sagen Sie ihm, ich wünsche ihn zu sprechen.‹
›Wie soll ich sagen?‹
›Eine Dame,‹ erwiederte sie, ›er wird kommen, es ist genug.‹ –
Ich laufe quer über den Damm, denn eben will der junge Herr in das große Haus. –
›Mein Herr,‹ schreie ich etwas außer Athem – da schlägt er seine Augen finster auf, und sieht mich aufgebracht an, sagt aber kein Wort. –
›Mein Herr,‹ sage ich nochmals freundlich, ›wollen Sie die Güte haben und einer Dame, die Sie zu sprechen wünscht‹ –
›Die Dame hat sich ganz an den Unrechten gewendet,‹ sagte er, ohne mich ausreden zu lassen, ›und Sie sollten sich hüten, solche Bestellungen zu übernehmen.‹
›Aber, mein Herr,‹ rufe ich im Gefühl meiner verletzten Würde.
›Lassen Sie mich in Ruhe,‹ sagte er stolz und sieht mich zornig an, oder –‹
Die Galle stieg mir ins Blut –
›Meinetwegen thun Sie was Sie wollen,‹ sage ich und knöpfe meinen Rock zu, ›aber ich lasse mich nicht beleidigen, ich bin Bürger und Fabrikant. Die Dame ist vor wenigen Minuten in meinen Salon getreten; ich kenne sie nicht, was gehen mich Damen in Atlasmänteln und Sammthüten überhaupt an, aber es ist ein ungerechter und kränkender Verdacht, und nun thun Sie was Sie wollen, ich habe nichts damit zu schaffen.‹
So kehrte ich trotzig um, aber er stand nur einen Augenblick still, dann kam er schnell hinterher, und wie ich die Thür aufmachte, war er wie ein Schatten an mir vorbei, und als ich hinsah, lag die Dame in seinen Armen, wie ohnmächtig.
›Haben Sie ein Zimmer hier in der Nähe?‹ sagte er mit einer tiefen Stimme, die heftig zu zittern schien.
›Hier ist ein Salon zu Ihren Diensten,‹ erwiederte ich, und öffnete das kleine hübsche Zimmerchen.
Er nahm sie in feine Arme und trug sie mit Anstrengung; ich wollte helfen, aber er litt es nicht. Leise setzte er sie auf das Kanapee, lehnte sie in die Ecke und warf den schönen theuren Seidenmantel, als wäre er von gemeinem Kattun, darüber hin. Dann band er die Hutschleife auf und mit einer heftigen Bewegung nahm er sie plötzlich in seine Arme, küßte ihre Lippen, ihre Stirn, ihre Hände, die er an seine Brust drückte, und sprach etwas laut in einer fremden Sprache, ich weiß nicht, aber ich glaube es war französisch. –
Ich stand an der Schwelle und war recht mitleidig gestimmt, aber auch, wie Sie denken können, etwas sehr neugierig, so daß ich auf den Zehen stand, um das Gesicht der Dame zu sehen, als der junge Mensch plötzlich aufsah und eben so schnell von seinen Knieen auf den Beinen war. Sein blasses Gesicht war dunkelroth geworden, seine Augen rollten darin wie Räder. Alle Teufel! Ich habe auch Courage, wenn es sein muß, aber ich dachte, er wäre wahnsinnig geworden und wollte mir an die Kehle springen.
›Darf ich Ihnen etwas Wasser und Eau de Cologne geben?‹ sagte ich, und trat ein Paar Schritte zurück.
Statt aller Antwort warf er die Thür heftig zu und schob den Riegel von innen vor.«
»Das war grob,« sagte Hannchen.
»Ungeheuer grob,« erwiederte Herr Grün »und ich kann Ihnen sagen, daß ich einen barbarischen Haß gegen den Menschen faßte, mit dem es mir überhaupt gar nicht richtig vorkam. – Ein paar Mal war ich drauf und dran, Hülfe zu holen, Polizei, Wache, weil ich dachte: gieb Acht, Grün, wenn er sie ermordet, bist Du auf immer ein ruinirter Mann. – Denken Sie sich, einen Mord in einem neu eröffneten Salon.«
»Im Gegentheil,« rief die Näherin, »das wäre interessant gewesen. Viele würden gekommen sein, um den Ort zu sehen, wo es geschah.«
»Hm! ja,« sagte Herr Grün lächelnd, »was Sie speculativ sind, göttliches Hannchen, aber ich muß gestehen, daß es mir auch einfiel. – Indeß war ich doch voller Unruhe. Bald machte ich mir tausend Vorstellungen – ich habe nun einmal von der Natur eine so merkwürdige Phantasie bekommen, das läßt sich weder läugnen noch ändern – dann schlich ich leise nach der Thür und horchte, aber es ist eine verdammte Sache zu horchen, und immer dabei auf der Flucht zu sein. – Ich hörte auch wirklich blutwenig, denn es ging sehr still zu. Bald murmelte der Wütherich leise und dumpfe Worte, die ich nicht verstand, bald hörte ich ächzen und seufzen, bald war es wieder ganz still, und meine Besorgniß kam zurück, daß die arme Dame wirklich todt sei. – In meiner Unruhe suchte ich mich zu zerstreuen, packte meine Artikel am Schaufenster um und schmiß eine Flasche Essenz entzwei, kostet sieben Groschen sechs Pfennige. –
›Mohren Element!‹ rief ich, ›darf das einem jungen Anfänger geschehen?! Es muß ein Ende nehmen, ich muß wissen woran ich bin.‹ –
Wie ich das sage, tritt er heraus, ganz blaß und ruhig wie er gewesen und als sei gar nichts vorgefallen. –
›Wollen Sie die Güte haben, Herr Grün,‹ sagte er, ›mir einen Wagen zu bestellen?‹ –
Ich wollte eigentlich nicht, denn der Mensch hatte selbst in seiner Art zu bitten etwas, das wie ein Befehl klang, aber eben darum war's mir wieder, als müßte ich's thun. –
›Sogleich,‹ erwiederte ich ganz dienstwillig, und das ärgerte mich, ›da fährt eben eine zweispännige Droschke, soll ich sie rufen?‹
Er nickte mir zu, und ich rief, worauf der Kutscher sogleich da war. Nun kam er mit seiner schwarzgrünen Dame heraus, die den Schleier noch zehnmal dichter um ihr hübsches Gesicht gewickelt hatte und sich schwankend an ihn klammerte.
›Ich werde Ihnen behülflich sein,‹ sagte ich so höflich, wie ein gentiler Mann sagen muß, wenn er eine Leidende sieht.
›Lassen Sie das,‹ erwiederte er vornehm. ›Aber, Herr Grün, Sie haben eine kleine Unruhe gehabt durch das plötzliche Übelbefinden meiner Verwandtin, ich bitte daher –‹ hier drückte er mir etwas in die Hand, was ich mit einem halben Blick sogleich für einen wirklichen Friedrichsd'or erkannte – ›vergessen Sie Alles, und leben Sie wohl.‹
So fuhren sie beide fort, ich kann's aber nimmermehr vergessen, wenn ich auch« –
Hier schwieg Herr Grün plötzlich still und starrte nach dem Fenster, durch dessen leicht überfrorne Scheiben der Mond sein mattes Leuchten hereinschickte.
»Was haben Sie denn vor?« fragte Hannchen.
»Wissen Sie, Hannchen,« erwiederte Herr Grün, indem er eine Prise nahm und dem alten Mann dann die Dose reichte, »ich habe nie gern so zur ebenen Erde gewohnt, und, wenn es Mode wäre, einen Laden im ersten oder noch lieber im zweiten oder dritten Stockwerk zu haben, ich wäre der Erste, der's mitmachte.«
»Sie haben immer neue großartige Ideen,« sagte die Näherin schalkhaft.
»Schmeicheln Sie nicht, rief Herr Grün verbindlich lächelnd, und drohte mit seinem langen Finger, den er wunderbar schlenkern konnte.
»Die Idee ist gut,« sagte der alte Mann kopfschüttelnd; »aber die Treppen sind fürchterlich. Man müßte ohne Treppen so hoch wohnen können, das wäre mir recht.«
Herr Grün sah den Meister mitleidig an und zuckte ganz leise die Schultern.
»Ich sage nur,« fuhr er dann sehr nachdrücklich fort, »es ist äußerst unangenehm, sich so von jedem Hans Narren ins Fenster gucken zu lassen, man bekommt einen Schreck, man weiß nicht wie. – Sehen Sie, vorhin, wie ich da eben fertig bin mit meiner Erzählung, geht ein Mensch hier draußen vorbei, bleibt stehen, sieht herein. Dieser Mensch, ich sah freilich eigentlich nur den Hut und die Umrisse seiner Figur, aber es war mir gerade so, als wäre es derselbe junge, fabelhafte Bösewicht von heut Morgen.«
»Sie haben wirklich viel Phantasie,« rief Hannchen.
»Ja, ich habe Phantasie,« versetzte Herr Grün eifrig. »Ich setze ganze Geschichten zusammen, wie man eine Hand umkehrt. Es ist nicht abzustreiten, Erfindung hat ihren Sitz bei mir. Aber, sagen Sie selbst, ist es nicht sehr unangenehm, so tief nach unten zu wohnen?«
»Du hättest auch die Fensterladen längst zumachen sollen,« sagte der alte Mann.
»Meinetwegen nicht,« rief Herr Grün und hielt Hannchen fest, »durchaus nicht, Fensterladen sind eine ganz vortreffliche Erfindung, aber wohl dem, der sie nicht braucht. Denn erstens ist nichts fürchterlicher, als ein Zimmer, das wie ein Gefängniß zugesperrt wird, zweitens können böse Buben dagegenschlagen und allerlei Dummheiten treiben, und drittens – da kommt der Bruder Franz,« sagte er und stand auf, »ich kenne seine Stimme. Es ist merkwürdig, wie ich die Stimmen kenne und er bringt uns Besuch mit, Hannchen.«
Aber Hannchen hörte nicht mehr, sie war leise in die Nebenstube entschlüpft.
Die Thür wurde mit fester Hand aufgemacht. »Treten Sie gefälligst herein,« sagte der junge Liebold höflich zu einer zweiten Person. »Lieber Vater, ein Licht, ich bringe Dir einen seltenen Besuch.«
»Wer kann denn das sein?« murmelte Herr Grün vor sich hin; aber dienstgefällig machte er zugleich die Lampe hinter der Glaskugel los und hielt sie dann gerade vor sich in die Höhe, daß ihr Strahl auf einen großen, feingekleideten Herrn fiel, der mit einem herablassenden Lächeln auf seinen breiten Lippen sich den Weg bahnte. –
Der alte Meister war auch aufgestanden und blickte mit einem Ausdruck unbeschreiblichen Erstaunens und erstarrender Verwunderung auf den schönen wohlhäbigen Mann, der ihm die Hand zum Gruß entgegenstreckte. Er wußte nicht recht, sollte er mit seinen schmutzigen Arbeitsfingern den feinen Handschuh des vornehmen Herrn anfassen oder nicht? Ungewiß zog er sie hin und her und nahm dabei sein schwarzes Käppchen von der nackten Stirn, aber bei aller Ehrfurcht drückten seine harten Züge doch einen gewissen Grad von Vertraulichkeit aus. Er musterte den Fremden mit langen glänzenden Blicken, als suche er Ähnlichkeiten und Erinnerungen aus alten Zeiten auf, die fast ganz aus seinem Gedächtniß verschwunden waren.
»So muß ich denn wohl einmal selbst kommen,« sagte der vornehme Herr, »wenn ich wissen will, wie es meinem alten Liebold geht. – Ja, alter Freund,« fuhr er fort, ohne eine Antwort abzuwarten und ganz in der Weise eines Mannes, der daran gewöhnt ist, Redensarten und Höflichkeiten auszutheilen, die demüthig angenommen werden, »wir haben uns seit manchem Jahr nicht gesehen, aber gehört haben wir dafür der Eine von dem Andern, und unsere Jugendbekanntschaft ist in bester Art mit Hülfe unserer Kinder erneut worden.«
»Franz ist Ihnen sehr viel Dank schuldig,« antwortete der alte Meister ängstlich umhersehend. »Ist Ihnen nicht gefällig sich niederzulassen?«
»Im Gegentheil,« sagte der Herr mit vielem Eifer, »ich bin unserem trefflichen jungen Doctor so sehr verpflichtet, daß ich nicht weiß, wie ich es gut machen soll. Aber was ich für ihn thun kann, soll mit wahrer Freude geschehen, und da ich so manche Verbindungen habe, Freunde, die mir dann und wann auch wohl gefällig sind, so denke ich« –
Hier wurde er von dem dienstwilligen Grün unterbrochen, der Hannchens Strohgeflechte und Nähzeug behutsam von dem Stuhl auf das Fensterbrett gepackt hatte, und nun mit der höflichsten Verbeugung den Herrn zum Sitzen einlud.
»Ah, sieh da, ist noch Jemand hier?« sagte dieser offenbar überrascht und den Andern musternd. – »Tausend Dank! Wen habe ich die Ehre hier zu sehen, Herr Liebold?«
»Ein Jugendkamerad,« erwiederte Franz, »Herr Grün.« –
»Ein Freund des Hauses,« sagte Herr Grün mit Würde.
»Schön, schön,« rief der fremde Herr, indem er sich setzte. »Wie sich das merkwürdig trifft. Wir waren auch Jugendkameraden, Meister Liebold, Nachbarssöhne, die manches Spiel zusammen trieben, bis jeder von uns seinen besondern Weg nahm.«
»Mein Vater hat freilich den seinen in stiller Weise gemacht,« sagte Franz, »aber bei aller Dunkelheit hat es ihm doch auch nicht ganz an Freude und Glück gefehlt.«
»Lieber junger Freund,« sagte der Fremde lächelnd, »Sie glauben doch nicht, daß die sogenannten Güter des Lebens, Stand und Rang, Reichthum und Ehren unsern Weg besonders hell erleuchten. Sie sind ein Philosoph, Ihnen brauche ich das nicht zu sagen; aber wenn es doch alle Menschen wüßten, wie viel Lasten, Sorgen und Qualen die anscheinend Glücklichen und Hochstehenden zu tragen haben, wie beklemmt ihre Tage, wie kummervoll und schlaflos ihre Nächte sind, sie würden weniger nach den unerquicklichen Früchten verlangen.«
Der junge Liebold sah den reichen Herrn mit einem scharfen Blicke an, zu welchem er unmerklich die Achseln zuckte. –
»Nein, nein,« fuhr jener mit vielem Eifer fort, »es ist ein trauriges Vorurtheil, nach den Genüssen des höheren Lebens zu seufzen, wenn man im Stande ist, einfach und naturgemäß zu leben.«
»Aber wir haben noch nie gehört,« erwiederte Liebold lächelnd, daß es einem reichen vornehmen Manne eingefallen wäre, seine Güter und Schätze von sich zu werfen und in das vielgepriesene Glück der Armuth und Niedrigkeit hinabzusteigen.«
»Vergessen Sie nicht, daß die Welt voller Vorurtheile ist,« sagte der fremde Herr, »und rechnen Sie vieles auch auf Geburt, Gewohnheit und Mangel an wahrer Bildung. – Aber sehen Sie, zum Beispiel ich selbst,« fuhr er fort, ich habe eine ziemlich glänzende Laufbahn zurückgelegt; ich bin wohlhabend, bewohne ein schönes Haus, habe Equipage, bin Geheimerath, habe mancherlei Befriedigung meines Ehrgeizes, komme in glänzenden Gesellschaften mit den Ersten des Landes zusammen, und doch bin ich geblieben wie ich war, und würde mit Vergnügen in die Einfachheit und Dunkelheit der Anfänge meines Lebens zurückkehren. Ja, mein lieber wackerer Liebold,« fuhr er mit steigender Rührung fort, »ich würde mit Ihnen hier in dieser einfachen Wohnung gern tauschen, wenn es möglich wäre.« –
Hier seufzte der Geheimerath und drückte innig die harte Hand seines Jugendgespielen, der sehr erschüttert von dieser milden Herzlichkeit war.
»Herr Geheimerath Ringenberg,« sagte dann der alte Mann, »es ist ein wahres Sprichwort, daß sich Eines nicht für Alle schickt. Ich bin dazu geboren und bestimmt gewesen von frühsten Tagen an, mit meiner Hände Arbeit mein Leben zu fristen. Sie dagegen haben mit dem Kopf ihre Werke vollbracht und jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth, so steht es geschrieben. Tauschen können wir nicht, das würde uns beide unglücklich machen, aber eine wahre Herzensfreude ist es für mich alten Mann, zu sehen, daß so ein vornehmer Herr ohne Stolz sich herabläßt, bei mir einzutreten, daß Sie sich meiner noch erinnern und so huldvoll sich auch meines Sohnes erbarmt haben, der mancherlei gelernt hat, mehr als sein Vater, aber doch auch arm und ohne Beistand in dieser weiten Welt sein Fortkommen suchen muß.«
»Es ist wirklich ein merkwürdig vortrefflicher Mann,« flüsterte Herr Grün halblaut, und schüttelte dem jungen Liebold die Hand.
»Er wird fortkommen,« erwiederte der Geheimerath, »er soll fortkommen, verlassen Sie sich darauf, das wird meine Sorge sein, und um ganz offen zu sprechen, es ist eigentlich mit die Ursache, weshalb ich heut hier eingetreten bin. Sie haben Recht, alter Freund, tauschen können wir beide nicht mit unsern Loosen, aber wir können doch uns gegenseitig unterstützen. Ich werde auch alt, in wenig Jahren werde ich mich von den Geschäften zurückziehen, um den Rest meiner Tage in Ruhe zu verleben. Meine einzige Tochter ist herangewachsen und wie viel Dank bin ich Ihrem trefflichen Sohn schuldig, der Emma's Erziehung vollenden half – und uns Allen so freundlich zugethan ist.«
»Ich hoffe,« sagte der junge Doctor, »Sie werden mir das immer gestatten.«
»Es wird mein Stolz sein,« rief der Geheimerath und reichte ihm lebhaft die Hand, »aber ich muß diese Zuneigung auch zu verdienen suchen. Seit Wochen und Monaten dachte ich darüber nach, was ich für Sie thun könnte, und heut bietet sich mir eine Gelegenheit, Ihnen nützlich zu sein, die ich nicht länger verschweigen will. – Ein bewährter Freund hat mir Ihre Anstellung zugesichert. Er war mir eine Verbindlichkeit schuldig, und Dienst um Dienst. Ich empfahl Sie dringend; Sie sollen einigen hundert Aspectanten vorgezogen und bei einem Gymnasium in der Provinz als Lehrer der Naturwissenschaften angestellt werden. Melden Sie sich morgen um diese Stelle, Sie werden Sie erhalten. Fünfhundert Thaler festes Gehalt für eine mäßige Beschäftigung.«
Diesen überraschenden Worten folgte eine augenblickliche Stille, bis Herr Grün zuerst Fassung gewann, seine Hände durch sein Haar zu ziehen, sie dann zu falten, daß alle Gelenke knackten und endlich aus tiefster Brust einen Laut der Verwunderung hervorzustoßen.
»Herr Geheimerath,« sagte der alte Meister, und die Rührung erstickte beinahe seine Stimme, »wenn die Thränen eines Vaters zum Segen für Sie werden können, und Sie den Dank eines alten armen Mannes nicht verschmähen – o Franz,« rief er, und stand auf, »das habe ich nimmermehr gedacht; ich möchte auf meinen Knieen mit Dir dem edlen guten Herrn meine Verehrung darbringen.«
Er streckte in seiner begeisterten Freude die Hand nach seinem Sohne aus, der still an dem großen Schranke lehnte. Die Schatten fielen auf seinen jungen gebeugten Körper, sein Kopf sank leise seufzend einen Augenblick in die gekrümmten Finger, welche er heftig dagegen preßte, dann richtete er sich stolz auf, und seine Gestalt schien zu wachsen, sein funkelndes Auge glänzte sternenartig durch die Dämmerung, die starken Glieder zitterten vor innerer Bewegung.
»Es thut mir leid,« sagte er mit so viel Ruhe, als er gewinnen konnte, »Sie werden mich einen Undankbaren heißen und mir zürnen, aber ich kann die Stelle nicht annehmen.«
»Wie?« rief der Geheimerath, indem er schnell und heftig von dem Sessel aufstand, »Sie können nicht?! – Ach! Possen,« sagte er dann mit seiner gewöhnlichen sanften Freundlichkeit. »Welche Grillen haben Sie denn, mein junger Freund? Was kann Sie hindern?«
Franz trat einen Schritt vorwärts, und indem er seinen Beschützer streng ansah, erwiederte er:
»Welche Gründe haben Sie, Herr Geheimerath, mir so plötzlich eine Anstellung zu sichern, die mich schnell und weit von hier entfernt?«
»Nun, das muß ich sagen,« erwiederte der gutmüthige Herr lachend, »Sie sind ein wunderlicher Candidat. Am Ende überhäufen Sie mich mit Vorwürfen, daß ich so abscheulich gehandelt habe, Ihnen jährlich fünfhundert Thaler zu verschaffen. – Aber in Wahrheit, Herr Liebold,« fuhr er dann ernsthafter fort, »was soll ich Ihnen antworten. Der Unterricht in meinem Hause ist beendet; ich möchte mich gern dankbar beweisen, auch gegen den alten biedern Vater hier, der seinen Sohn versorgt sehen möchte, was ist also natürlicher, als mich für Sie zu bemühen.«
»Meinetwegen!« versetzte Franz stolz; »thaten Sie es denn wirklich meinetwegen?«
»Glauben Sie etwa, daß es meinetwegen geschah?«
»Es ist möglich, ja,« sagte Franz.
»Wirklich!« rief der Geheimerath ein wenig gereizt. »Es scheint mir am besten, wenn Sie sich die Sache überlegen, und morgen Ihren Entschluß fassen.«
»Er ist gefaßt,« erwiederte der junge Mann, »ich gehe nicht von hier.«
»Bedenken Sie es wohl,« sagte der Geheimerath lächelnd, indem er aufstand. »Guter Rath kommt über Nacht.«
»Nein, ich werde nicht von hier gehen,« rief Franz mit fester Stimme.
»Nun, was sagen Sie zu dieser Dankbarkeit für meine Bemühungen, mein lieber alter Liebold?« fragte der vornehme Mann.
»Gott steh' mir bei!« rief der alte Mann, »ich glaube, er ist verrückt geworden. Hören Sie ihn nicht an, mein Herr Geheimerath, er soll und muß gehorchen.«
»Es ist ein merkwürdiges Beispiel plötzlichen Wahnsinns,« sagte Herr Grün.
»Und Ihre Tochter,« begann der junge Liebolt wieder, »soll meine Schülerin nicht mehr sein?«
»Ich denke,« erwiederte der Geheimerath, indem er seinen Hut ergriff, »sie ist es lange genug gewesen.«
»Sie wollen sie verheirathen?« fragte der junge Mann.
»Lieber Herr Franz, was hat meine Tochter mit unserm Gespräch zu schaffen? Potz Tausend! Wischen Sie die Falten von Ihrer Stirn, sieht es doch gerade aus, als wollten Sie mich zur Rechenschaft über meine Plane ziehen. Lassen Sie uns freundlich scheiden und machen Sie morgen Ihre Eingabe an den Minister.«
In dem Augenblick nahm Herr Grün die Lampe aus der Umhüllung und ihr helles Licht fiel auf die beiden Männer, welche sich Auge in Auge gegenüberstanden. Die breiten vollen Züge des Geheimenraths bewahrten ihre Ruhe und ihr Lächeln, in seinen Augen aber schimmerte und zuckte eine Erregtheit, die er nur mühsam bemeistern konnte; der junge Liebold dagegen stand vor ihm, wie ein Richter vor einem Angeklagten. Sein Gesicht war blaß, sein lockiges Haar hing über die hohe Stirn, die scharf geschnittenen starken Züge drückten unbeugsamen Willen und heftige Entschlüsse aus.
»Warum,« sagte er, »wollen wir ein Spiel treiben, Herr Geheimerath, das einen schrecklichen Ernst in sich schließt. Nein, Sie sollen nicht mit dem geheimen Lächeln von mir gehen, mich als einen Betrogenen oder als einen Undankbaren zurücklassen, der den verzweiflungsvollen Klagen seines alten Vaters überlassen bleibt, welche seine Standhaftigkeit, seinen sittlichen Muth erschüttern werden. – Nicht mein Glück, nicht meine Zukunft treibt Sie, mir so unerwartet schnell zu dienen. Soll ich Ihnen sagen, was die eigentliche Triebfeder ist?«
»Wirklich, ich bin begierig. Lassen Sie hören,« sagte der vornehme Herr ihn anstarrend.
»So hören Sie,« erwiederte Franz, »Ihre Tochter, Emma –«
»Was wollen Sie von meiner Tochter,« rief der Geheimerath. »Bester Doctor, bleiben Sie hübsch vernünftig. Ich weiß nun freilich so ziemlich Alles, was Sie mir sagen wollen, aber Sie sollten erkennen, daß ich fest entschlossen bin, nichts zu wissen.«
»Daß ich sie liebe, ja, das wissen Sie,« sagte Franz.
»Und daß Emma vielleicht diese Freundschaft erwiedert.«
»Daß sie mit warmem, vollem Herzen an mir hängt.«
»Und daß ich nun, wie ein Komödienvater, zwischen eine Neigung trete, die mir nicht gefällt,« rief der Geheimerath, »daß ich den jungen Brausewind zur Abkühlung achtzig Meilen ins Land schicke. Das ist es doch, was Sie mir vorrücken wollen?«
»Es ist nicht alles,« erwiederte Franz; »Sie wollen das arme Kind nicht allein jener Neigung berauben, die Ihnen nicht gefällt, sie soll auch, Ihrem Willen dienend, einen andern Bund schließen, mit einem Worte: Sie wollen Emma zu einer Ehe ohne Liebe zwingen, die ihrem Ehrgeize zusagt, und dazu paßt es vortrefflich, daß Sie mich entfernen.«
»Schweigen Sie, junger Mann,« rief der Geheimerath, indem er sich stolz aufrichtete. »Denn was Sie sagen, ist Unsinn, der meine Geduld erschöpft. Ich bin im Begriff dies Gespräch abzubrechen und mich zu entfernen, weil ich finde, daß es mein Amt nicht ist, ein Prediger in der Wüste zu sein. Aber Eines will ich Ihnen sagen, da es doch sein muß und Sie mich dazu zwingen. – Ja, ich habe die Neigung bemerkt, welche Sie zu meiner Tochter faßten, ich sah es mit Schmerzen, denn wohin sollte es führen. Sie sind jung, ein wackerer, ehrenwerther Mann, den ich sehr schätze, aber Sie werden nicht von mir einen solchen Grad von Unkenntniß des Lebens erwarten, daß ich Ihre Neigung begünstigen sollte. – Ich betrachte die Welt mit klarem Auge, ich kenne die Wege darin, ich weiß, was man thun und lassen muß, ganz besonders aber weiß ich, was sich für mich schickt.«
»O, ich kenne diese Sprache genugsam,« fiel hier der junge Mann ein, indem ein helles Roth sein Gesicht färbte. »Von den Uranfängen der Geschichte bis auf den heutigen Tag lautete sie ziemlich gleich. Arm scheidet sich von reich, der Kastenstolz empörte sich immer gegen den Eindringling, so steht es geschrieben. Man zählte einst die Heerden und Abstammungen, jetzt die Güter und Titel, man handelte und wucherte mit den Herzen, sonst wie jetzt, es ist Sitte und Gebrauch, kaum läßt sich etwas dagegen einwenden. Auf dem Altare, wo zahllose unglückliche Opfer sterben, die den Götzen Eitelkeit, Ehrsucht und Geldgier geschlachtet wurden, ist noch Raum genug für viele.«
»Nun ins Himmels Namen,« rief Ringenberg zornig, »so thun Sie denn, was Ihnen beliebt, aber lassen Sie sich nicht einfallen, mir den Mentor spielen zu wollen. – Wer sind Sie, daß Sie es wagen, zu einem Vater von Liebe zu seiner Tochter zu sprechen, die durch ihre Stellung zur Welt einem ganz andern Kreise angehört.«
»Ich bin ein Mann,« versetzte Liebold, »der keinem weichen wird, wer er auch sein mag.«
»So gehen Sie hin und beweisen Sie diese Ihre hohe Würde,« sagte der Geheimerath gefaßter, »verrichten Sie Thaten, die Sie emporheben aus Niedrigkeit und Dürftigkeit, dann ist es Zeit anzufragen, und man wird es nicht mehr für Anmaßung und – verzeihen Sie mir den Ausdruck – für Frechheit halten.«
»Herr Geheimerath,« rief der junge Mann mit Würde, »dies Wort setzt einen Markstein zwischen uns, der nicht zum zweiten Male überschritten werden darf.«
Einen Augenblick kämpfte der alte Herr mit einer bösen Antwort, dann sagte er, sich beherrschend:
»Sie können mich nicht beleidigen; es ist zu unsinnig, was Sie da sprechen, Sie müssen es selbst einsehen, wenn Sie ruhiger werden. Ich verzeihe es Ihnen Ihres Vaters wegen, der so betrübt und stumm daneben sitzt. Noch einmal, thun Sie, was Ihnen beliebt; Ihren Besuch in meinem Hause muß ich ferner als unangemessen betrachten. Vielleicht sieht es morgen anders in Ihnen aus, dann schreiben Sie an mich, wo nicht, so leben Sie wohl; es soll mich freuen, wenn ich künftig das Beste von Ihnen höre. Gute Nacht.« –
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich rasch um und ging nach der Thür. Herr Grün nahm die Lampe und leuchtete, er hätte gern ein vermittelndes Wort gesagt und begann auch schon mit einigem Räuspern, aber seine Redseligkeit wußte in der Angst keinen Anfang zu finden, und ehe er ihn hatte, war der vornehme Herr fort.
Als er zurückkam, fing er dafür sogleich ein heftiges Gespräch mit seinem Freunde an, indem er ihm eröffnete, daß er ihn für einen sehr merkwürdigen Menschen halte, der ungeheuer viele Courage habe, solche Dinge einem Vater zu sagen, der obenein Geheimerath sei und ein großes prachtvolles Haus besitze.
»Es ist übrigens eine hübsche Speculation,« sagte Herr Grün, »und wenn Franz Glück hat, zum Wetter! es ist ja ein sehr angenehmer junger Mensch, der reden kann, wie ein Buch, das gefällt den Frauenzimmern ganz besonders. Was haben wir für Beispiele in der Geschichte, wo Vater und Mutter justement nicht wollten, und das Ende vom Liede war doch eine Hochzeit.«
Der alte Mann hatte tiefsinnig vor sich hingestarrt, jetzt hob er den Kopf auf und sagte zornig:
»Bestärken Sie doch nicht auch die Narrheit und Verkehrtheit dieses undankbaren Menschen. Du mein Gott! Der vortreffliche liebe Herr erinnert sich meiner nach so vielen Jahren, kommt selbst her, reicht mir seine vornehme Hand und die Freude steht auch auf seiner Stirn geschrieben, daß er uns Allen wohlthun will. – Ich verlange nichts von meinen Kindern. So lange ich arbeiten kann, will ich keine Almosen, aber ein Vater ist glücklich, wenn es seinem Sohne wohl ergeht. – Nun ist endlich der Augenblick da, um den ich so oft zu meinem himmlischen Erlöser gefleht habe, nun soll ich die Ehre und Seligkeit genießen, meine vielen Sorgen und Mühen auch belohnt zu sehen, daß Alles, was ich mit Kummer und Darben auf dies Kind verwendet, damit es mehr werde als sein Vater, seine Früchte trage. Statt dessen aber reicht er mir Steine statt Brod, stößt die Hand von sich, die ihn segnen will, und bringt Schande über seinen Wohlthäter und alle Verwandte.«
»Vater,« sagte der junge Liebold, »warum willst Du mein trauriges Gemüth noch mehr beschweren? Ich that nur, was recht und gut war.«
»Recht und gut,« rief der alte Meister erbittert: »Das ist ja eben die heillose Lüge. Ist es recht, hinter dem Rücken des Vaters eine Liebschaft mit seiner Tochter anzufangen? Ist es gut, so allen Gebrauch und Sitte mit Füßen zu treten?! Du bist der Sohn eines armen niedrigen Mannes, sie aber ist das Kind eines reichen, vornehmen Herrn. – Bist Du denn ganz von Sinnen gekommen, Franz; ist denn keine Scham mehr in Deinem Herzen, daß Du denken kannst, so etwas ginge an? Soll ich es denn erleben, daß man Dich in ein Narrenhaus steckt oder wohl gar den Gerichten überliefert, wenn Du Feindschaft und Haß der Mächtigen auf Dich ziehst?«
Franz ging mit verschränkten Armen hin und her und lächelte schmerzlich zu seines Vaters Worten; Herr Grün aber, der, nach seiner Meinung eine Idee von dem hatte, was sein Freund zwischen den zusammengepreßten Lippen verschwieg, blieb nicht so still. –
»Nun, dafür fürchten wir uns gerade nicht, in unserem aufgeklärten Jahrhundert,« sagte er und schüttelte seine langen Finger mit aller Macht. »Davor giebt's Gesetze nebst Freiheit und Gleichgültigkeit. Mensch ist Mensch, ob er ein bißchen mehr Titel oder Rang hat, das ist kein so allmächtiger Unterschied, wie vor funfzig Jahren. Geld, ja das ist eine andere Sache, oder Genie,« rief Herr Grün, indem er stolz aufblickte. »Wenn ich morgen Geld habe, kaufe ich mir ein Paar Rittergüter und den Adel bekomme ich als Zugabe. Geld haben oder Genie haben, das heißt, ein Mann von ausgedehnter Erfindung und merkwürdigem Verstande kann zu Geld kommen, er weiß nicht wie. – Und Franz ist ein Genie. Er hat keine Furcht bei der Speculation und ist seiner Sache gewiß. Geben Sie Acht, werther Herr Liebold, ich wette ein Dutzend Flaschen Kölnisches Wasser vom Besten, er gewinnt.«
»Reden Sie nicht solch Zeug zusammen,« rief der erboßte alte Mann, indem er Herrn Grüns zum Wetten ausgestreckte Hand zurückstieß. »Ja, das sind die leichtsinnigen Zungen, die bei allen Dingen unberufen mitsprechen und Öl ins Feuer gießen, die man abhauen und verbrennen sollte.«
Herr Grün war zwar nicht sehr böse über diese Zurechtweisung, aber doch in seiner Eigenliebe etwas verletzt.
»Nun,« sagte er, »ich sehe wohl, daß heut hier schlecht Kirschenessen mit Ihnen ist, und darum wird es am besten sein, wenn man sich drückt.«
Damit stand er auf, knöpfte seinen Rock zusammen, nahm seinen spitzen Hut, preßte die Hand des jungen Liebold und sagte dem Alten eine gute Nacht, welche dieser mürrisch erwiederte.
»Alle Wetter!« sagte Herr Grün, indem er die Hausthür aufmachte, »es ist eine auflösende Kälte geworden und das Herz friert mir obenein mitten in der Brust zusammen aus lauter Kummer, daß Hannchen nicht wieder kam. Wohin mag das merkwürdige Mädchen nur gelaufen sein?«
Im Augenblick sah er an der andern Seite der Straße im Schatten eine weibliche Gestalt schnell hingleiten, die er sogleich für seine Angebetete erkannte. – Hastig lief er ihr nach und rief sie beim Namen, aber sie hörte nicht, sah sich auch nicht um, und eben, als er dicht bei ihr war, sprang sie ins Haus und warf die Thür mit solcher Gewalt dicht vor der Nase ihres eifrigen Liebhabers zu, daß diesem der Hut vom Kopfe flog. Einen Augenblick stand Herr Grün wie fest gedonnert, dann griff er mit Heftigkeit nach seiner Kopfbedeckung und stülpte diese so grimmig auf seinen Schädel, daß die Krämpen knirrten und knarrten. –
»Es ist merkwürdig!« rief er. »Das wird mir geboten, mir – ich – o! – verdammt! aber es geschieht mir schon recht. – Grün, nimm Dich in Acht, laß Dich nicht zum Besten haben von dieser übermüthigen hoffärtigen Dirne. – Hoffärtig? wer ist sie denn?! Schuhmachertochter! – Was ist eine Schuhmachertochter in unserer aufgeklärten Zeit? – Arm und ohne Aussichten obenein, muß sie es sich nicht zur Ehre schätzen von einem Künstler geliebt zu werden, von einem Manne, der sein Geschäft hat, von einem Genie?! – Wenn ich nicht die alte Freundschaft bedächte,« sagte er langsam nachdrücklich und schüttelte den Finger gegen die Hausthür, »und eine Stimme hier nicht in mir spräche, ich würde nicht wieder kommen, Mamsell Hannchen. Aber ich will wissen, woran ich bin, ob sie Madame Grün werden will oder nicht; und wenn sie etwa hochmüthig thut – nein, nein, Grün,« sagte er lächelnd, »Dies ist unmöglich! Es ist ein gutes herziges Mädchen, das mich auf eine merkwürdige Weise liebt!«
So gerieth Herr Grün in Feuer und malte sich sein Glück noch weiter in seiner einsamen Wohnung aus, bis er einschlief und von einer himmlischen Zukunft träumte.
Als Hannchen von dem leisen Geräusch am Fenster und Herrn Grüns Bemerkungen aufmerksam geworden war, benutzte sie den günstigen Augenblick, in welchem die Aufmerksamkeit ihres Bewunderers sich auf den eintretenden fremden Herrn richtete, um in die Kammer zu entkommen. Hier öffnete sie hastig vom Fenster einen kleinen Spalt und spähte in die Straße hinaus, aber Niemand war dort zu entdecken. –
Weißglänzend knarrte der frische Schnee unter den Tritten der eilig Vorübergehenden, die ihrer nicht achteten, und eben wollte sie den Kopf zurückziehen, als drüben an der Ecke, wo der lichte Himmelsschein sich scharf von dem schweren Schatten des Hauses abgrenzte, die hohe verhüllte Gestalt eines Mannes sichtbar wurde, der langsam herüberschritt. Das verständige Mädchen sah einen Augenblick hin, dann warf sie schnell ein Tuch um Hals und Kopf, und eilte nun mit leisen Schritten durch die Küche, den Hausflur hinab, wo sie behutsam die Thür öffnete und dicht vor dem Unbekannten stand.
»Hannchen,« sagte dieser mit tiefer Stimme, »Du hast mich erkannt, ich wußte es, daß Du kommen würdest. Ja, Du mußtest kommen, wenn Angst und Sehnsucht einen Menschen zu rufen vermögen.«
Hannchen antwortete nicht. Sie sah den Mann an, der diese Worte mit Heftigkeit hervorstieß; dabei suchte sie in sein vom Mantel verhülltes Gesicht zu blicken. Es war blaß und seine Lippen schienen zu zittern.
»Was ist denn geschehen?« fragte sie muthig. »Du mein Himmel! Sie scheinen sehr erschrocken zu sein.«
»Hier nicht,« sagte er schnell und leise, »ich kann es hier nicht sagen; aber wenn es wahr ist, Hannchen, wenn Du jemals Freundschaft oder Zuneigung für mich fühltest, so wirst Du mir beistehen.«
»Was haben Sie von mir zu fordern?« erwiederte sie mit entschlossenem Ton.
»Folge mir,« flüsterte er, »folge mir nach, Du sollst es hören.«
Und so ging er schnell die Straße hinab und bog in eine andere, die auf einen freien Platz führte. Der Schnee lag glänzend und unberührt in den Baumwegen, die ihn einfaßten, und mit wunderbarer Helle fiel das Mondlicht auf dies ausgespannte, fleckenlose Tuch. Gespenstische, alte Bäume streckten rings die zahllosen Arme und Finger zum Himmel auf und zeigten in der strahlenden lichten Bläue auf den Sternenmantel, der dicht gestickt in endloser Weite verflatterte. Die Paläste rings umher lagen still und schwer im Schatten, bleiche Marmorstatuen längst versunkener Helden traten aus Duft und Nebel und versanken darin. Alles war schweigsam; kein Mensch ging hier, und wie der Mann still stand im Dunkel eines Baumes, gegen den er sich anlehnte, flog ein Nachtvogel von den höchsten Zweigen auf und schwirrte in weiten Kreisen um ihn her.
»Hier,« sagte er dumpf vor sich hin, »hier will ich Dir es sagen, aber erst mußt Du einen Eid schwören. Hebe Deine Hand auf und schwöre. Du bist fromm und gläubig. Schwöre bei Deiner ewigen Seligkeit mir beizustehen und Niemandem, was auch kommen und geschehen mag, mein Geheimniß zu entdecken.«
Hannchen besann sich einen Augenblick, dann sagte sie sanft:
»Was Sie fordern, kann und will ich nicht thun; wenn Sie mir aber vertrauen, so ist es so gut, als hätte ich tausend Eide geschworen. Was es auch sein mag, und wäre es das fürchterlichste Verbrechen, ich helfe und schweige; aber, nein, ein Verbrechen können Sie nicht begangen haben.«
»Gutes Mädchen,« sagte der Mann seufzend, »Du gutes, treues Mädchen! Verbrechen, nein! und doch ist es eins. Hat mein Leichtsinn nicht auch Dein Leben vergiftet?
»O! still,« sagte Hannchen mit einem schwachen Lächeln, »still, Sie klagen sich ohne Noth an. Ich war einst jung, und hörte es gern, wenn ein vornehmer Herr mir sagte, daß ich nicht übel sei. Mein Herz habe ich einmal verschenkt, weil ich nicht anders konnte, aber nie glaubte ich an Versprechungen oder Schwüre, die ganz unglaublich klangen.«
»Ich habe Dich einst geliebt, Hannchen,« rief der junge Mann, »und nun ich Dich längst verlassen habe, fordere ich Treue und Opfer von Dir.«
»Da bin ich,« erwiederte sie und schlug das große Auge zu ihm auf. »Ich bin bereit, was soll ich thun?«
»Du bist bereit?« erwiederte er. »Nun gut, so nimm das und verwahre es, schütze es, liebe es, aus Liebe zu dem, den Du einst liebtest, bis ich es wieder fordere.«
Er breitete den Mantel auseinander und zog etwas hervor, was in ein dichtes weißes Tuch gehüllt war. Ungewiß streckte Hannchen die Hand danach aus, und zog sie wieder zurück. –
»Um Gottes Barmherzigkeit,« sagte sie zitternd, »was ist darin?!«
Er nahm die Decke von einem Kästchen, das weich ausgefüttert war. –
»Ein Kind!« rief sie mit halb erstickter Stimme. »Gütiger Himmel! es ist todt.« –
»Still, es lebt,« murmelte der junge Mann, »ich fühle seine Bewegungen. Nimm es aus meinen Händen. Wie glühendes Feuer läuft es durch meine Adern. Nimm es!« rief er mit einem Grad von Wuth und Verzweiflung, aus dem ein schrecklicher Entschluß sprach, »oder ich schleudre es von mir, ich kann es nicht mehr halten.«
Da faßte sie nach dem armen, kleinen, so früh verstoßenen Wesen und drückte es zärtlich an ihre Brust. Thränen füllten ihre Augen; der Mond, der über die feinen, kaum entstandenen Züge sein stilles kaltes Licht verbreitete, leuchtete zu den Küssen und Betheuerungen, die sie auf seine zarte Stirn hauchte.
»Ja, ich will seine Mutter sein,« rief sie und umhüllte hastig dies junge Leben; ja, ich will es lieben und schützen, und Niemand soll erfahren, warum. – Lassen Sie mich gehen; es ist sicher bei mir, Gott beschütze Sie auf Ihren Wegen!«
»Geh',« sagte er. »Es wird ein Tag kommen, wo ich Dir danken kann, wenn ich auch nicht weiß, wann er kommen wird. – Es ist mein Kind, aber sein Leben muß ein Geheimniß bleiben. Ich weiß, Du wirst es verschweigen. Willst Du?« –
»Ich will,« erwiederte sie. »So nimm, hier ist Geld.«
Sie wehrte seine Hand ab. »Geld würde Verdacht erregen, ich werde nehmen, wenn ich es brauche. Jetzt habe ich es gefunden, nackt und hülflos in der kalten Winternacht. Das Arme paßt zum Armen, das Kind des Unglücks zum Elende. Ich werde eine gute Mutter sein.« –
So ließ sie den Vater zurück, der dicht in seinen großen Mantel gehüllt an den Stamm des Baumes gesunken war. Einen Augenblick raffte er sich auf, er wollte rufen und ihr nacheilen, er glaubte ihr noch vieles sagen zu müssen, aber dann stand er still und verfolgte sie mit den Augen, bis ihre flüchtige Gestalt verschwunden war. Endlich wendete er sich und ging langsam mitten über den Platz durch den tiefen Schnee. Er drückte den Hut in Stirn und Augen, und murmelte vor sich hin:
»Ich bin erlöst! Dem Himmel sei Dank, sie hat nichts mehr zu fürchten!«
Hannchen floh indeß mit ihrer leichten Bürde dem Hause zu und bemerkte in der That erst im letzten Augenblick, daß ein Mann dicht hinter ihr sei, der ihren Namen rufe. Eine Angst faßte sie an, wie niemals; so voll Muth sie auch sonst war, wagte sie doch nicht, sich umzusehen. Es schien ihr ein Räuber oder Mörder zu sein, der ihr den Schatz abjagen wollte, den sie so sorgenvoll an ihrem Herzen trug. –
Mit immer heftigerer Anstrengung suchte sie dem Verfolger zu entkommen, und athemlos erreichte sie endlich das Haus, gerade wie seine Hand ihr Kleid berühren wollte. Sie warf die Thür ins Schloß, was bekanntlich Herrn Grün sehr unangenehm war und seinem Hut beträchtlich schadete; aber sie war ihm glücklich entgangen.
Mit laut klopfendem Herzen schlich sie den Gang hinab durch die Thüren, leise in ihre Kammer und hier stand sie tiefathmend still. Zitternd öffnete sie das Kästchen und horchte, tastete nach dem Leben in dem kleinen Körper, dann sank sie aufs Knie, aufgelöst in unbeschreiblich süßem und doch so kummervollem Weh, und betrachtete bei dem schwachen Glimmen der Lampe das schlafende Kind. Sie suchte in seinen Zügen eine Spur der Ähnlichkeit mit seinem Vater und bildete sich ein, sie gefunden zu haben.
»Ich soll Deine Mutter sein,« flüsterte sie, »zu mir hat er Dich gebracht, zu mir; allbarmherziger Gott! ist es nicht ein Trost, sein Kind in meinen Armen zu halten?!« –
Dann setzte sie sich neben dem Bettchen nieder, in welchem es eingewickelt lag. Vorsichtig nahm sie es heraus und in der Tiefe der Schachtel lagen Bänder, Mützchen und Leinen, wie es der Mensch in der ersten Zeit seines Lebens bedarf. Mit Nachdenken ordnete sie Alles. –
Wer war die, welche das Knäbchen geboren hatte, um es zu verstoßen, als sie es kaum geküßt und gesegnet? Welche Unglückliche fürchtete so sehr das Brandmal, das die Welt auf die Stirn gefallener Mädchen drückt? Welch Geheimniß ruhte hier, wie ward es geknüpft, durch welche zahllose falsche Schwüre und Eide besiegelt? –
Eine Reihe wilder Träume und Bilder fuhr durch Hannchens Kopf, den sie traurig lächelnd in beiden Händen verbarg, um die großen Thränen zerdrücken zu können, die sich nicht aufhalten lassen wollten. Aber nach wenigen Minuten richtete sie sich gefaßt empor und horchte an der Thür. Ihr Bruder ging in dem kleinen Zimmer, das er bewohnte, mit starken gleichmäßigen Schritten auf und ab, in der Werkstatt aber pochte und hämmerte der alte Vater, als wolle er seinen Born und Schmerz an dem fühllosen Leder auslassen. Dazwischen sprach er laut mit sich selbst und seufzte, indem er die Undankbarkeit der Kinder gegen ihre Eltern anklagte, welche nur Sorge und Schande über deren Haupt brächten.
Da schauerte Hannchen zusammen, denn es fiel ihr ein, wann und wie der eigenwillige Mann erfahren sollte, daß seine Familie sich plötzlich um ein Glied vermehrt habe. Aber ihr Muth war bald wieder aufgerichtet. Sie kannte die Macht sehr wohl, welche sie über den alten Vater hatte und vertraute seiner Liebe.
So kehrte sie denn hoffnungsvoll zu ihrem Schützling zurück, wiegte ihn in ihren Armen, ordnete seine Binden und Bänder, freute sich, daß er so still war und gar nicht schrie, und unterzog sich dann, fast wie eine junge Mutter, freudig den Pflichten, die sie sich auferlegt. Sie hatte oft genug bei Freundinnen gesehen, wie so junge Kinder behandelt werden mußten und ihre erste Nahrung empfingen. Flink ging ihr Alles im Leben von der Hand; bald brannte die Spirituslampe und in wenigen Minuten war der süße Brei bereitet.
Mit Entzücken hielt sie das Kind in ihren Armen, das nach einer kleinen unruhigen Bewegung leicht und gern die Nahrung nahm, welche sie ihm bot, die großen Augen aufschlug, sie anzulächeln schien, wie sie es sich auslegte, und dann wieder die Lebensfenster zuschloß, durch die es blöde in die fremde Welt gestarrt, und sich nun von neuem dem ausbildenden, stärkenden Schlaf überließ.
Stunden lang saß Hannchen und betrachtete still das feine Kind, das sie mitten auf ihr Bett gelegt hatte. Bei jeder seiner schwachen Bewegungen war sie bereit zur Hülfe und Sorge, und dann dachte sie wieder, darüber hingebeugt, über sein Schicksal und seine Zukunft nach. Sie machte tausend Pläne; tausend Hirngespinnste jagten wirr durch ihren Kopf, dann lauschte sie wieder nach Vater und Bruder hin, die immer dieselben gleichen Bewegungen machten, endlich aber schlief sie ein, sitzend an dem Lager, das Gesicht auf eines der Kissen gedrückt.
Wie sie erwachte, fühlte sie ein Rütteln am Arm, sie blickte auf und sah ihren Vater stehen, der halb entkleidet und zur Nachtruhe bereit, die verglimmende Lampe in der Hand hielt.
»Was willst Du, Vater?« sagte sie erschrocken.
»Es ist sonderbar,« erwiederte der alte Mann, »aber es war zwei, dreimal in meinen Ohren, wie ein leises Schreien, das aus der Kammer kam.«
Da dachte sie an das Kind, und plötzlich wendete sie sich um und hob es von dem Bett auf. –
»Da ist es,« sagte sie, »hat das arme Würmchen geschrien? Ach, es muß hungrig und durstig sein, und wie ängstlich mag es mit angeborenem Triebe nach der Mutterbrust suchen. Geschwind, gieb die Lampe, lieber Vater, wir wollen es füttern.«
Der alte Mann war wie erstarrt. Lange stand er und sah bald die geschäftige Tochter, bald das kleine hülflose Wesen an. – Endlich holte er tief Athem und schlang die Hände krampfhaft in einander. –
»Wo ist es denn hergekommen,« sagte er. »Ein Kind fällt nicht aus der Luft und wächst auch nicht aus der Erde. – Hannchen! wenn es sein könnte – wenn Deines Vaters graues Haar auch diese Schande erlebte! Ist es Dein Kind?«
»Das Kind ist mein,« erwiederte das Mädchen, indem sie es herzte, »aber geboren habe ich es nicht. Das wirst Du mir wohl glauben, Vater,« fuhr sie lachend fort, »obwohl es möglich ist, daß es nicht alle Menschen thun. Aber wenn's auch so wäre, Dir würde ich es sagen, Du würdest Dein Hannchen nicht verstoßen und verfluchen, weil sie schwach genug war, eines Mannes Liebe in seinen Schwüren zu glauben.«
»Wo ist es denn aber hergekommen?« fragte der alte Mann ängstlich.
»Ich habe es gefunden,« sagte sie. »Draußen lag es vor der Thür im kleinen Kästchen hier. Da nahm ich es auf, und nun soll es mein sein. – Ja, mein sollst Du sein,« rief sie, und drückte es an ihre Brust, »und der Großvater da wird dich segnen.«
Der Meister trat aber zurück und wehrte es ab, wie sie näher kam.
»Ich sage nicht, Du solltest es nicht nehmen, wenn es Gott der Herr auf Deinen Weg gelegt hat. Wir sind arm, aber doch nicht so arm, um das Stückchen Brot, das der Herr bescheert, mit dem Verstoßenen zu theilen. Aber es ist eine schwere Prüfung für mich und Dich, denn was werden die Menschen sprechen? In welchen Schaden und Nachtheil werden wir kommen; wohl gar mischt sich die Obrigkeit hinein, spionirt umher, horcht zu Schaden und Schanden. Denn Ruf und Ehrbarkeit eines Mädchens bekommen leicht ein Loch und sind schwer auszubessern. Ein Findling, ein Bankert hat selten Freude und Glück in ein Haus gebracht.«
»Du sollst mir das arme Kind nicht schelten,« erwiederte Hannchen sanft und ernsthaft. »Unglücklich, wie es ist, will es Liebe haben, nicht abgünstige Verständigkeit. Geh, lieber alter Vater,« rief sie und gab ihm einen Kuß, »morgen wirst Du schon anders denken, und wenn es einmal mit seinen kleinen Händchen Dein Knie umklammert, wenn sein unschuldiger Mund Bitten und Segenswünsche auf Dich herabruft, dann wirst Du gar nicht fragen, ob es durch Priestersegen geheiligt, oder ein von Gottes Gnaden Dir geschenktes gutes Wesen ist, das durch Pflege und Liebe Dein, ein Trost und eine Freude wird für Deine alten Tage.« –
Der alte Mann schüttelte den Kopf und sagte leise vor sich hin:
»Es ist und bleibt doch ein Bastard, sonst hätten sie ihn nicht auf die Straße geworfen oder« – hier warf er noch einen ängstlichen, musternden Blick auf seine Tochter – »nun Gott der Herr wird wissen, was wahr oder falsch ist!«
Der Geheimerath Ringenberg war am nächsten Morgen durchaus nicht in seiner gewöhnlichen Laune. Der große, vornehme, kalte Mann, welcher sonst so unangreifbar in seiner Gelassenheit, Alles höflich und mit Würde abthat, das Unangenehme, wie das Freudige oder Gleichgültige, schien heut wie umgewandelt. Mit gerunzelter Stirn ging er schon früh völlig angekleidet in seinem Zimmer auf und nieder. Der Diener wurde heftig angefahren über ein geringes Versehen, mehre Personen, die ein Gespräch begehrten, abgewiesen, die wartenden drängenden Arbeiten blieben unberührt.
»Ich kann keine Feder halten,« murmelte der Geheimerath für sich hin, »die Aufregung hat mir wirklich sehr geschadet, und gerade jetzt habe ich doch recht viel vom besten kältesten Blute nöthig. – Ist es möglich,« sagte er dann, indem er die Hand fest zusammenballte und eine dunkle Röthe in sein Gesicht trat, »dieser Tölpel, dieser gemeine rohe Patron, drängt sich in meinen wohl entworfenen, verständigen Plan, und Emma kann so unbesonnen sein, ihr junges Herz leichtsinnig zu verstricken? Eben weil sie jung und unbesonnen ist,« fuhr er nach einer Pause fort, »o! die armen Weiber haben von der Natur so viel Schwachheit erhalten, daß sie selten oder nie zum Charakter gelangen, aber dafür ist es auch ein Glück, daß sie eben so leicht lieben, wie vergessen. – Ich habe dem niedrigen Volke wirklich zu viel Ehre angethan, zu glauben, daß es verständig handeln könnte. O! pfui Teufel, der Pechgeruch sitzt mir noch in der Nase; aber fort mit dem Narren, und sollte ich jemals Gelegenheit haben –«
Hier streckte er den Arm drohend aus, seine Lippen murmelten so eben einen bösen Schwur, als die Thür leise in ihren Angeln knarrte, und ein junges, schönes, aber krankhaft blasses Mädchen hereintrat.
Der Geheimerath wendete sich um, und plötzlich hatten sich seine Züge verändert, der Zorn und die düstern Falten waren ganz darin von dem Lächeln der zärtlichsten Liebe verdrängt worden. Er streckte der schönen Tochter beide Hände entgegen, küßte sie auf die Stirn und fragte mit der liebereichsten Theilnahme, wie es mit ihrer Gesundheit stehe? Dann führte er sie zu dem Sopha und setzte sich neben sie, indem er viele scherzende Fragen an sie richtete, offenbar in der Absicht, sie aufzuheitern.
Erst nach einer geraumen Zeit sagte er:
»Ich vergesse eigentlich ganz, weshalb ich Dich zu mir bitten ließ. Du hast doch meinen Brief ganz und aufmerksam gelesen?«
»Ja,« erwiederte sie kaum hörbar.
»Nun siehst Du, mein theures Kind,« fuhr er fort, »gern hätte ich, bei Deinem jetzigen Kränkeln, eine andere Zeit gewählt, um Dir diese Eröffnungen zu machen, aber es ging nicht an, ich wurde selbst gedrängt, und sagte daher in Deinem Namen ein festes und bestimmtes Ja.«
Das kranke Gesicht wurde todtenbleich. –
»Mein liebes Mädchen, was ist Dir?« rief Ringenberg erschrocken.
»Darf ich reden, Vater?« sagte sie und blickte scheu zu ihm auf.
»Erst höre mich ganz,« erwiederte er. – »Ich habe nur Dich auf dieser weiten Welt. Für Dich lebe, athme, arbeite ich. Wärst Du nicht, so – ja so« – er warf einen fast wilden Blick zu den Wolken auf, die düster schwer am Morgenhimmel hingen – »so würde vieles anders sein. – Deine Mutter hat uns früh allein gelassen,« fuhr er dann fort, »sie war noch jung, ich hatte Stellung und Vermögen, manche gute Parthie bot sich mir dar, aber ich habe nie wieder geheirathet, weil ich Dir keine Stiefmutter geben wollte, die sich zwischen Dich und meine Liebe drängte.«
Leise schluchzend küßte Emma die Hand, mit welcher er ihre zitternden Finger umschloß.
»So wuchsest Du schön und fein auf,« sprach er dann weiter, »wie der Gärtner sich einer Blume freut, die durch seine sorgsame Pflege endlich zu einer Blüthe gelangt, so überwachte und behütete ich Deine zarte Gesundheit, alle Deine Entfaltungen zur Reife, Deine geistigen Entwicklungen, die Dich so schön und liebenswerth machten. Welchen größeren Stolz hatte ich wohl, als die Bewunderung, welche meinem geliebten Kinde gezollt wurden?! Meine Seelenkräfte richteten sich einzig auf Dich und Deine Zukunft. O! mein Gott und Herr! was ich auch gethan habe, nur für Dich, nur um Dein Glück ist es geschehen.«
Hier war der Geheimerath so ergriffen, daß er inne hielt und, die Hände voll tiefer Bewegung um Emma's Kopf gelegt, sich wie im heftigen Schmerz über sie hinbeugte. Dann lächelte er und strich die Falten von seiner Stirn, indem er mit zurückgekehrter Ruhe sagte:
»Wenn man das Alles thut, so muß man natürlich auch eine fortgesetzte Anregung dazu empfangen. Liebe erweckt Liebe! Das ist ein altes wahres Wort und so hast Du auch an mir gehangen, wie ein Lämmchen sich an die Mutter hängt, folgsam, geduldig, treu, immer gehorsam bis auf diesen Augenblick, so daß ich niemals Dir zürnen konnte.
»Du warst immer milde und nachsichtig,« sagte die Tochter.
»Und jetzt,« rief der Geheimerath, »jetzt sehe ich wirklich mein Werk vollendet; Du bist zur Jungfrau geworden, rein und fleckenlos wie ein Stern, so ohne Fehl und Makel, wie die echte Weiblichkeit als Ideal, den Künstlern vorschwebt. Ja, meine Emma, so wenigstens erscheinst Du mir, und mit welcher Sorge, in wie vielen schlaflosen Nächten habe ich nach einem Lebensgefährten für Dich gesucht; bis ich ihn endlich gefunden hatte.«
»Aber Vater,« sagte sie mit einer unruhigen Bewegung, indem ein schwaches Roth das bleiche Gesicht lieblich verschönte, »ich sollte meinen, daß bei einer so wichtigen Angelegenheit – Du zwingst mich so zu sprechen – doch meine Stimme, mein Herze einen wichtigen Antheil hätte.«
»Dein Herz,« sprach der Vater lächelnd. »O! ihr bösen Mädchen, welche kindischen Träume macht Ihr Euch doch von diesem unnützen Dinge. Das Herz soll sprechen! das Herz soll wählen! so steht es in tausend abgeschmackten Büchern, die von Liebesraserei faseln; aber in Wahrheit, mein Kind, giebt es keinen schlechteren Leiter für diesen hochwichtigen Schritt, als eben das verrätherische Herzchen einer jungen romantischen Träumerin. – Die zahllosen unglücklichen Ehen sind größtentheils eine Folge dieser Herzenssprache, die man Liebe nennt, und welche in ihrem Wahnsinn nicht darnach fragt, was sich paßt und nicht paßt, nicht auf Rath und Ermahnungen hört, nicht auf die Einsicht der Verständigen, sondern blind vor Tollheit sich in unabsehbares Unglück und Elend stürzt, bis zu spät Bewußtsein und Reue kommen.«
»Ich habe wohl nichts zu bereuen,« sagte Emma, »denn meine Wahl wird nie auf einen Unwürdigen fallen.«
Der ernstblickende Vater sah sie starr an, daß sie verstummte.
»Ich weiß,« sprach er, »Du wirst mir keinen Kummer machen, sondern die Wahl billigen, welche ich für Dich getroffen. – Ein junger, reicher, liebenswürdiger Mann von guter Familie und Aussichten, das muß Dein gerechter Wunsch sein.«
»Ein Herz, das ganz mir gehört,« fiel sie ein.
»Nun ja,« sagte er lächelnd, »auch ein Herz wirst Du empfangen.«
»Einen Mann, den ich über alles verehre und anbete,« rief sie bewegt.
»Bering,« erwiederte der Geheimerath, »kommt seit längerer Zeit in unser Haus. Du hast ihn kennen gelernt, und welche Freude macht es mir, Dich mit solchem begeisterten Anfluge von ihm sprechen zu hören. O! mein Schelmchen, das thut man nicht ohne eine Rührung zu empfinden,« rief er drohend, und strich mit dem Finger über ihr erschrockenes Gesicht, »und nun magst Du Dich verstellen wie Du willst, ein wenig sperren, und zieren auch, das ist Mädchen Art und Sitte, ich weiß, was ich weiß, und lasse mich nicht irre machen. Es ist Dir eigentlich doch gar nicht so unangenehm, Madame und gnädige Frau zu heißen.«
»Wenn Du mich einen Augenblick anhören wolltest, liebster Vater,« rief Emma ängstlich; »ach! ich habe Dir so manches zu sagen und wage es nicht.«
»Ich weiß Alles,« rief der Geheimerath lächelnd. »Spare mir Deine Bekenntnisse auf, den Tag nach der Hochzeit will ich sie hören. Nein, nein!« fuhr er fort und hielt sich die Ohren zu, »ich kann und will nichts davon vernehmen; einst wird ein Tag kommen, wo Du es mir danken wirst, daß ich Dich jetzt abweise und ein so nachsichtiger, gütiger Vater für Deine kleinen Thorheiten bin.«
Der Blick, mit dem er diese Worte begleitete, war indeß nichts weniger als gütig. Er heftete sich eisig kalt an Emma's zitternde Lippen, die sich lautlos bewegten, und ließ ihr Blut gerinnend in das heftig schlagende Herz fließen. Ihre Füße wankten, leise faltete sie die Hände, dann that sie einen Schritt vorwärts, und jetzt schien sie einen Entschluß fassen zu wollen, als plötzlich sich der Vater von ihr wendete, dem Diener entgegen, der die Thür öffnete und den Major von Bering meldete.
»Vortrefflich,« rief der Geheimerath, »so können wir die Pakten gleich abschließen. Laß uns allein, mein Kind, geh, in wenigen Stunden sollst Du gute Nachricht haben.«
Er öffnete die Tapetenthür des Kabinets und schob sie sanft hinaus, dann drehte er sich rasch um, und sein lächelndes Gesicht nahm den höchsten Grad der Freudigkeit an, als ein kleiner Herr, mit einem Gesicht voll scharfer, verwitterter Züge, auf seinen großen Stock gestützt, langsam hereintrat.
»Mein herrlicher, kriegerischer Freund,« rief Ringenberg, »Ihr Besuch läßt mich Sorgen und Geschäfte vergessen.«
»Ja, hören Sie, Geheimerath,« sagte der Major, »Daß ich heute zu Ihnen komme, ist bei meiner armen Seele ein Freundschaftsstück. Die Gicht, Herr, das kennen Sie nicht, aber alle Glieder sind mir davon ans Kreuz geschlagen. Ich hab's jedoch gesagt,« fuhr er fort, und warf sich in die weichen Kissen des Sophas, »was ich sage, halte ich, und nun bin ich hier, um es ins Reine zu bringen.« –
»So wollen wir denn sogleich anfangen, erwiederte Ringenberg lächelnd, indem er sich dem Gaste gegenübersetzte. – »Wir sind also überein gekommen, daß ihr Neffe meine Tochter heirathet.«
»Das sind wir,« versetzte der Major. »Sie geben dem jungen Paare Ihr Gut Blumenhagen sogleich, als Eigenthum.«
»Und Sie zahlen mir dagegen ein Kapital von vierzig tausend Thaler als die ungefähre Hälfte des Gutwerths. Das Geld soll von mir verwaltet werden, die Zinsen unseren Kindern zufließen.«
»Es ist alles richtig,« sagte der Major, indem er seine dünne Hand in die des Geheimenraths legte, »aber Eins habe ich noch zu bemerken.«
»Und was, mein trefflicher Freund?« fragte der Geheimerath.
»Ja, was war es doch?« sprach der alte Herr bedächtig, indem er seine magere Nase rieb. »Ah! richtig. – Sie, Geheimerath, Sie sind ja die rechte Hand des Ministers, Sie sind der gewaltige Mann, dem sich alle Thüren ohne Schlüssel öffnen; ich zweifle gar nicht im geringsten, daß es Ihnen leicht ist, Ihr Wort zu lösen, daß Sie Ihren Schwiegersohn rasch in die Carriere bringen; denn Sie wissen wohl –«
»Ich weiß,« sagte Ringenberg, »Sie leben für den Gedanken, diesen Neffen, der bald mein lieber Sohn sein wird, so hoch wie möglich steigen zu sehen.«
»Ich denke,« sprach der alte Herr fein lächelnd, »nachdem wir so weit Alles in Richtigkeit haben, können wir ganz aufrichtig sein, lieber Freund. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die nichts gelernt haben, nein, ich ehre und achte das Talent und den Mann, darum ist es mir schmeichelhaft, mich mit Ihnen und Ihrem Hause zu verbinden, was auch der Hochmuth darüber denken mag.«
»Ich sollte meinen,« rief der Geheimerath lachend, »solcher Thoren gäbe es nicht mehr viele.«
»Leider noch immer zu viele,« versetzte der Major, »aber man lacht sie aus. Nun, sehen Sie, ich bin ein Mann von Familie und bin reich, Sie legen dagegen Ihre Stellung, Ihr Geld und Ihren Einfluß in die Waage, das stellt das Gleichgewicht vollkommen her, aber gut wäre es, ja, es würde mich beruhigen, denn ich bin ein alter närrischer Mann, wenn Sie mir irgend einen Beweis gäben, daß Rudolf wirklich sogleich im Bureau des Ministers – und verstehen Sie mich wohl, wenn er, er ist ein junger Assessor, wenn er das Versprechen hätte, bald Rath zu werden.«
Der Geheimerath schüttelte leise den Kopf.
»Ich sollte meinen,« sagte er, »daß ich Ihnen schon öfter Beweise gegeben habe, daß mein Einfluß wirksam sei.«
»Lieber Freund,« rief der Major, »Sie haben viel für mich gethan, meine Processe und die fatalen Forderungen an den Staat, Alles haben Sie geordnet; brüderlich, wahrhaft brüderlich haben Sie gehandelt, aber es wäre mir doch sehr lieb, wenn ich so einen kleinen Beweis hätte.«
Ohne eine Antwort zu geben, erhob sich Ringenberg, nahm aus einem Fache seines Schreibpultes ein Papier, entfaltete es und reichte es dann dem kleinen Herrn hin, der mit seinen grauen blinzenden Augen alle Bewegungen scharf beobachtete. Nach einem Augenblick, während er das Document so weit als möglich von sich abhielt, um es zu lesen, wurde sein Gesicht so freundlich, als es sein konnte. Der Ausdruck von Härte und Hochmuth verschwand ganz darin, die dünnen Lippen versuchten ein Lächeln, dann ließ er den Brief fallen und breitete die Arme nach seinem Freunde aus.
»Herzens Geheimerath,« rief er, »lassen Sie sich umarmen. Sie sind ein großer Mann, eine Art Zauberer, der Alles kann, was er will, dem sich die geheimen Mächte beugen. – Ich hätte es nimmermehr geglaubt, und kluge Leute, die Alles wissen wollen, sagten mir, es ginge nimmermehr, was Sie auch für Kunststücke könnten, das könnten Sie nicht.«
»Sie sehen,« sagte Ringenberg, »es geht Vieles, wenn man nur das Rechte ergreift.«
»Jetzt glaube ich an Alles,« rief der alte Herr begeistert. »Ist es möglich gewesen, den Rudolf sogleich ins Ministerium zu bringen, so ist es auch möglich, daß Sie ihn einst zum Minister machen. Sage mir Niemand etwas gegen die Beamtenhierarchie, gegen diese neue Teufelsaristokratie! Man muß sich mit ihr verbünden; ich habe es empfunden, wie wohlthätig es ist. Ja, mein alter Herzens Geheimerath, hexen Sie weiter, Ihnen muß alles glücken, ich bin entzückt und geehrt, Ihnen so nahe zu sein.«
Indem der Geheimerath antworten wollte, klopfte es leise an die Thür, und mit einiger Eile schob sich ein Mann herein, der, wohlgekleidet, mit seinem fahlen Kopfe, auf welchem dicker Puder die Stelle des Haares vertrat, mit blendend weißer, feiner Wäsche, sammt Ringen und Ketten ausstaffirt, doch kein besonders nobles Ansehen hatte. Sein Gesicht war sehr roth, voll und grinsend freundlich; so verbeugte er sich tief, indem er die Augen fast ganz zukniff, dann aber mit einer gewissen Vertraulichkeit seine laute Stimme gegen den Geheimenrath erhob.
»Herr Friedländer,« sagte dieser, indem er aufstand, »guten Morgen! Aber ich bin sehr beschäftigt.«
»Verzeihen Sie, daß ich so unangemeldet eintrat,« erwiederte der höfliche Mann, »es war aber Niemand draußen, und da ich gute Nachrichten bringe, auch Geld von den Differenzen, sehr günstig diesmal für Sie, so dachte ich, ich könnte mir die Freiheit nehmen.«
Hierbei ergriff er die Hand des Geheimenraths und sagte halblaut:
»Können Sie mich einen Augenblick anhören.«
»Lieber Major, einen Augenblick,« sprach Ringenberg, indem er dem Fremden folgte, der ihn in ein Fenster zog. –
Der Major nickte und beschäftigte sich angelegentlich mit Lesen des verhängnißvollen Schreibens, dabei warf er von Zeit zu Zeit einen prüfenden Blick nach dem Bepuderten, der widerwärtige Gefühle in ihm erweckte. – Die vertrauliche Art, mit welcher dieser Mensch verfuhr, war ihm verdrießlich. – Er kämpfte mit mancherlei fatalen Betrachtungen über die Anmaßung solcher Patrone aus der niedern arbeitenden Klasse, wobei es ihn ärgerte, daß der Geheimerath ein so wenig angemessenes Benehmen zeigte. Denn er ließ seine Hand willig dem Menschen, dessen Name und Gesicht orientalische Abstammung verriethen, bis er mit einem Male auf andere Gedanken kam, denn Herr Friedländer zog, immer leise sprechend, eine große Brieftasche hervor und zählte einige zwanzig Scheine, die der scharfe Blick des kleinen Majors für Hundert-Thalerscheine erkannte, auf das Fenstersims. Der Geheimerath strich sie nachlässig ein, und Herr Friedländer redete dabei um so eifriger, rechnete, zählte an den Fingern, zog dann ein paar Briefe hervor, aus welchen er dem Geheimenrath etwas vorlas, worauf dieser sich einen Augenblick bedachte und dann halblaut sagte:
»Es scheint wirklich gut zu sein.« –
»So sicher,« sagte Herr Friedländer leise; »als hätte es Rothschild gemacht, Sie können mit einem Schlage Alles ins Gleiche bringen, und noch weit mehr.« –
Ringenberg sah still vor sich hin, dann sagte er plötzlich:
»Gut, nehmen Sie, was Sie bekommen können.«
Der Geschäftsmann nickte und drückte ihm die Hand, hierauf sagte er dem Geheimenrath etwas ins Ohr, der an seinen Schreibtisch ging und einige Worte schrieb, die er dem Anderen gab, der einen Blick darauf warf, den Zettel sorgsam in seine Brieftasche legte, dann seinen Hut nahm, dem vornehmen Beamten nochmals vertraulich etwas zuflüsterte, und endlich mit einer tiefen Verbeugung, die dem Major galt, der sich kaum dafür bewegte, schnell verschwand.
Ringenberg trat nun mit seiner gewohnten Ruhe wieder zu seinem Gaste und legte das Gespräch fort, das sich noch eine Zeit lang um die näheren Bestimmungen zu der bevorstehenden Verlobung und nachfolgenden Vermählung des jungen Paares drehte. Daß dies etwas dagegen einzureden haben könnte, schien den beiden alten Herren gar nicht einzufallen. Es war Alles in vollster Richtigkeit, und endlich fest beschlossen, daß in wenigen Tagen schon der Geheimerath einen festlichen Kreis einladen solle, den man am Schluß des Mahles mit der Verlobungsproclamation überraschend bewirthen könnte.
»Frische Fische, gute Fische!« rief der alte Herr, indem er aufstand, »und ein recht glänzender großer Kreis muß es sein, in den sich keine Angehörigen drängen. Was war denn das für ein sonderbarer Mensch?« fragte er plötzlich, indem er auf die Stelle deutete, wo Herr Friedländer gestanden hatte. »Ich denke, der ist nicht dabei?« –
»Es ist mein Agent,« sagte Ringenberg lächelnd. –
»Der Kerl sah aus wie ein Jude.« –
»Es ist auch wirklich einer,« erwiederte der Geheimerath. –
»Ich habe einen angebornen Abscheu vor solchen Kreaturen; aber freilich so ein Büreaumann muß allerlei Leute sehen.« –
»Diesen,« versetzte Ringenberg, »brauchte ich zwar nicht zu sehen, wenn ich nicht wollte, aber er macht seit Jahren für mich Geschäfte an der Börse zu meiner vollen Zufriedenheit.« –
»Ei der Tausend!« rief der Major, »Das ist eine neue Eigenschaft, welche ich an Ihnen entdecke. – Börsenspeculant!« –
»Man muß Alles sein in dieser wankelmüthigen Welt,« sprach der Geheimerath wohlgefällig. »Der Zinsfuß ist gesunken, was soll man mit überflüssigem Kapital anfangen?« –
»Aber es ist teufelmäßig gefährlich! Man kann Alles verlieren!« –
»Wer die Kunst nicht versteht, gut zu speculiren, ja, allerdings,« erwiederte Ringenberg dagegen. –
»Nun Sie, Sie verstehen es?« –
»Sie haben eine Probe gesehen. In zehn Tagen habe ich über zwei Tausend Thaler gewonnen.« –
Mit unverkennbarer neidischer Bewunderung sah der alte Herr den großen schönen Mann an. –
»Sie Liebling des Glücks!« rief er dann. »Herzens Geheimerath! was bin ich glücklich, Ihnen so nahe zu stehen. Je mehr ich Sie kennen lerne, je mehr bewundere ich Sie. Wir wollen ein Compagnie-Geschäft machen. Ich habe immer eine eigene Furcht vor allen solchen Geldgeschäften gehabt. Erstens ist es gefährlich und zweitens ist es gemein und schickt sich nicht, aber mit Ihnen wage ich's. Schlagen Sie ein!«
Der Geheimerath schlug ein und sagte dann:
»Wir wollen es bedenken. Wer wagt, muß gefaßt sein zu verlieren; leicht kann man, hingerissen vom Verhängniß, ein Spieler werden, der Heil und Seligkeit auf eine Karte setzt.« –
»Sie nicht, rief Bering, »Denn Sie sind das Musterbild der Klugheit und der Bedächtigkeit. Sie spielen keine Karte aus, die gestochen werden kann; ausgenommen jetzt Ihre Herzdame, die von meinen schwarzen Buben gekapert wird.«
So ging er lachend; Ringenberg gab ihm das Geleit zur Thür, höflich und freundlich sprechend. Im Augenblick aber, wo er allein war, verlief das Lächeln plötzlich von seinen Lippen; die angespannten Züge sanken schlaff zusammen, seine lebendigen klaren Augen blickten starr und umschleiert vor sich nieder. Dann lehnte er sich auf sein kostbares goldgeziertes Bureau, und plötzlich schlug er beide Hände mit Heftigkeit auf seiner Stirn zusammen und drückte den Kopf, wie von Schmerzen betäubt, in die unnachgiebigen Finger.
Lange blieb er fast so ohne Bewegung; nur von Zeit zu Zeit stieß er leise Worte gewaltsam hervor. Ein krampfhaftes Seufzen oder Stöhnen bezeugte den Krankheitszustand seines Leibes oder seiner Seele, und zuweilen schüttelte Frost diesen starken mächtigen Körper, oder seine Hände wischten zitternd den Schweiß von seiner Stirn und falteten sich dann wieder, die Augen verbergend. –
Bei einem kleinen Geräusch, im Vorzimmer schreckte der Geheimerath auf und mit wunderbarer Kraft ordneten sich seine verstörten Mienen, kaum aber zeigte sich die Störung unbegründet, als er in den ersten Zustand zurückfiel, aus dem er sich nur nach geraumer Zeit mit Anstrengung wieder erhob. –
Endlich blickte er in den Spiegel, ordnete sein verwirrtes Haar, sprach mit sich selbst und versuchte ein Lächeln, das jedenfalls schlecht gerieth, denn er wendete sich ernst und unwillig fort, stand an der Thür seines Kabinets nochmals still, um nachzudenken und sagte dann mit lauter Stimme:
»Nichts ist eine größere Thorheit als rückwärts zu schauen, wenn ein Rückwärts nicht in unserer Macht liegt. – Hier gilt es ein Mann zu sein und was erschüttert die Mannheit mehr, als ein wüstes Treiben über Dinge, die unmöglich sind. Bewußtes Thun, das ist es, was Stärke verleiht, der empfindsame Schwächling, der Feige mag seufzen, wer da weiß, was er will, der handelt.«
Mit seiner gewöhnlichen Ruhe ging er schnell durch eine Reihe prächtiger, mit schönen Teppichen belegter und mit allem Luxus geschmückter Gemächer und dann klopfte er ganz leise an die letzte Thür und steckte lächelnd den Kopf hinein. –
»Störe ich Dich nicht, mein liebes Kind?« sagte er – aber mit dem letzten Worte riß er heftig den Flügel auf und schleuderte ihn donnernd an die Wand. Die Glut des Zornes drängte alles Blut in sein Gesicht, es übermannte seine Besonnenheit, er ballte die Fäuste und schien eine gewaltsame Handlung begehen zu wollen. Was aber hätte auch diesen zur Durchführung aller seiner wohlüberlegten Pläne fest entschlossenen Mann mehr empören können, als was sein Auge jetzt sah? – Sein einziges Kind, der Schlußstein aller seiner Lebenshoffnungen, hingebeugt über den elenden Menschen, den Sohn der Armuth und Niedrigkeit, der vor ihr knieete und ihre Hände mit seinen Küssen bedeckte.
Bei dem Anblick ihres Vaters stieß Emma einen Schrei aus und rang flehend die Hände. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Lippen öffneten sich ohne Sprache, ihre Augen blickten mit unaussprechlicher Angst auf den zornigen Vater, dann schloß sie sie und Franz legte den schönen stillen Körper sanft auf die Kissen des Sophas. Im nächsten Augenblick fühlte er sich emporgerissen, zurückgedrängt und zwischen Emma und ihm stand die drohende stolze Gestalt des Vaters, der ihm befehlend und abweisend die Hand entgegen streckte.
»Sie bedarf Ihrer Hülfe nicht,« sagte er, »ehe Sie aber gehen und ehe ich meinen Dienstleuten Befehl ertheile, meine Schwelle von Ihrem frechen Eindringen frei zu halten, hören Sie meine Warnung: Ich habe Macht genug die Ruhe meines Kindes und meines Hauses zu beschützen, wenn Sie nicht Ehre und Einsicht genug haben sollten, eine unsinnige Thorheit zu bezähmen.«
Der junge Liebold schien weder von dem plötzlichen Erscheinen des Geheimenraths überrascht, noch von der heftigen Behandlung, die er so eben erfahren, gereizt zu sein. Fest blickte er den stolzen Vater an und sagte dann im bescheidenen ruhigen Ton:
»Ich kann es Ihnen nicht verargen, daß Sie mir heftig zürnen, ja es wäre unnatürlich zu nennen, wenn es anders wäre. Ich dränge mich mit meiner unwillkommenen Liebe störend und zertrümmernd in den Kreis Ihrer Pläne. Ich fühle das wohl; Nachdenken hat mich davon überzeugt, daß Sie ganz in Ihrem Rechte sind. Meine anfängliche Heftigkeit hat sich daher auch völlig verloren und Schmerz ist an ihre Stelle getreten, daß es nicht anders sein kann.«
»Nun,« rief der Geheimerath zweifelhaft und verwundert, »wenn Sie dies Alles wirklich eingesehen haben, so sollte ich meinen, daß Sie auf dem besten Wege zur Einsicht und Verständigung wären, und noch immer, wie gestern, biete ich Ihnen die Hand zum Frieden.«
»Sie täuschen sich dennoch,« erwiederte Franz. »Ich liebe Ihre Tochter und werde geliebt. Runzeln Sie nicht die Stirn, hochverehrter Mann, was ich sage, ist so wahr, als daß ich mir nicht diese Liebe mit einem Almosen abkaufen lassen will. – Sie sind in Ihrem Rechte nach den Ansichten, welche Sie von der menschlichen Gesellschaft, deren Abstufungen und verschiedenen Ansprüchen hegen, ich aber habe ein höheres heiligeres Recht, mit welchem ich Ihre Ansprüche bestreite.«
»Ist das der Kern Ihrer Philosophie?« rief der Vater mit einem verächtlichen Lächeln, »so muß ich Ihnen sagen, daß es eine falsche träumerische Lebensweisheit ist. – Das Richtige ist das Anerkannte, das von Sitte und Gesetz Geheiligte; gänzlich falsch ist es aber, daß gegen den Willen der Eltern, gegen Einsicht und Vernunft, die Leidenschaft und Thorheit junger Herzen ein Recht zum Trotz und Kampf geben soll. Leider haben Sie hinter meinem Rücken eine Art von Liebelei begonnen. Besitzen Sie wahre Ehre, so müssen Sie sich in der Weise, in der es geschah, die mein Vertrauen frevelhaft täuschte, schämen, wenigstens müssen Sie jetzt gänzlich abstehen, denn Emma ist Braut und in drei Tagen ihre Verlobung.«
Der junge Liebold schien durch diese unverhoffte Nachricht eine größere Energie zu erhalten. Seine Augen glänzten und ruhig sagte er:
»Wenn Emma sich dieser väterlichen Willkür unterwirft, so beklage ich innig die Schwäche, welche sie unglücklich macht. Hörte sie mich in diesem Augenblick, ich würde meinen Rath wiederholen, sich nicht zu fügen, nicht durch eine willenlose Unterwerfung sich elend machen zu lassen, kein Opfer einer hergebrachten Sitte zu sein, die man freventlich Gottes Gebot nennt.«
»Entfernen Sie sich den Augenblick!« rief der Geheimerath empört.
»Sie sind Herr in Ihrem Hause,« erwiederte Liebold, »ich gehe, aber geändert haben Sie nichts, ändern werden Sie auch nichts. Zwingen Sie sie, schmücken Sie Ihr Opfer mit der Myrtenkrone, bald genug werden Sie es bereuen, denn was Sie auch thun mögen, die Liebe können Sie nicht aus ihrem Herzen reißen. Was geschehen ist, ist geschehen, kein Gott kann etwas daran ändern!«
Er verbeugte sich stumm und ging.
Ringenberg war in der höchsten Wuth, aber die feste feierliche Ruhe des jungen Mannes machte einen unwillkürlichen Eindruck auf ihn. –
»Was geschehen ist, ist geschehen!« rief er. – »Was sagt der Thor? Was ist denn geschehen?!«
Er wendete sich ängstlich prüfend zu dem blassen Mädchen um. Schmerzlich legte er die Hand auf seine Stirn und murmelte:
»Viel, ja, recht viel, was kein Gott zu ändern vermag!«
Hannchen hatte mit dem Kinde ein paar kummervolle Tage, denn wie sie es auch anstellen mochte, es wollte sich nicht fügen und schicken, die mühsamen Mutterpflichten mußten erst gelernt werden. Aber das anstellige Mädchen begriff bald, was nöthig war, und wie Alles sich unter ihrer Hand zum Guten wandte, so wurde auch das Kind bald wieder fromm und geduldig, so daß es wenig Sorgen machte. –
Sie hatte wohl bedacht, daß jedes Heimlichthun mit ihrem kleinen Pflegling Verdacht auf sie selbst werfen möchte, darum ward die Geschichte am nächsten Morgen in der ganzen Nachbarschaft verbreitet, und Bekannte wie Unbekannte liefen herbei, den geheimnißvollen Gast zu beschauen. Alle waren heimlich sehr erfreut, daß es ihnen nicht passirt sei, laut lobten sie, wie sie konnten, die Menschenfreundlichkeit der armen Familie und flüsterten sich achselzuckend zu, daß es ihr noch sehr gereuen und schwer werden würde. –
Ein paar Weiber und alte Jungfern betrachteten Hannchen mit prüfenden Blicken und in ihren Augen glänzte ein boshaftes Licht, während ihre Lippen freundlich thaten. Alle aber stimmten darin überein, das Kind sei ein schönes starkes Kind, und wer auch seine Eltern sein möchten – aus gutem Stande gewiß, denn die Wäsche im Körbchen sei fein und arme Leute setzen ihre Kinder nicht aus – so viel sei klar, sie hätten eine grausame That begangen, die Gott der Herr allein gut gemacht hätte, daß er das hüflose Wesen in Hannchens Hände kommen ließ. –
Der alte Meister nahm den Theil der Lobsprüche ruhig in Empfang, der seine Menschenliebe pries, aber mit unruhigen Blicken betrachtete er seine Tochter von Zeit zu Zeit, verfolgte die Augen der Besucherinnen und suchte in ihren Gesichtern ihre Gedanken zu lesen. –
Wenn die allerfürchterlichste Gespenster- und Räubergeschichte oft erzählt wird, verliert sie alles Schauerliche und allen Reiz. So ging es auch mit dem Kinde. Hannchen erzählte es zwanzig und noch zwanzig Male, bis es endlich Allen im Hause so geläufig war, daß es jeder auswendig wußte, und keiner sich im Geringsten mehr darüber wunderte, ausgenommen Herr Grün, der immer von Neuem den Kopf schüttelte, wenn er das Kind ansah und ein außerordentlich nachdenkendes Gesicht machte, sobald von dessen Geschichte die Rede war.
Niemandem konnte es aber auch unangenehmer sein, als Herrn Grün. – Er hatte in der Nacht, wo es gefunden wurde, seine Entschlüsse gefaßt, auch kamen am Morgen viele Umstände zusammen, welche ihn darin bestärkten. Wie er den Kaffee auf der Maschine bereitete, verbrannte er sich zweimal die Finger und dann den Mund, endlich wurde der Rest kalt, die Tasse aber stieß er um, daß sie zerbrach. Herr Grün wurde bei jedem dieser Unglücksfälle unzufriedener. Er fuhr mit den Händen durch sein Haar, knackte und schlenkerte mit allen Fingern, blickte unruhig in alle Ecken, und murmelte endlich seufzend vor sich hin, daß ein wahres Malheur für einen gebildeten, gefühlvollen Menschen sei, so ganz allein in der Welt zu stehen. –
Dann kamen mehrere Kundleute, er machte, wie er sagte, ein hübsches Geschäftchen, aber es fehlte da und dort an Hülfe, und er war höchst bestürzt und fast bis zu Thränen gerührt über sein Schicksal, so einsam zu sein; ein Zustand, der sich bis zum Extrem steigerte, als Nachmittag ein Knopf von seiner Weste sprang und er keine Nadel finden konnte, um ihn anzunähen.
»Unbarmherziges Schicksal!« rief Herr Grün und streckte die geballte Faust zum Himmel auf, »kannst Du mich so wüthend verfolgen! Aber ich bin ein Narr,« fuhr er in seinem Monolog fort und ließ die Hand wieder sinken, »kann ich denn nicht die beste flinkste Nadel von der Welt mein nennen? Ach, Gott! wie würde Alles anders sein, wenn Hannchen mit den immer geschäftigen Fingerchen, wenn das schlanke, hübsche, freundliche Mädchen, Thür aus, Thür ein, liefe, so zierlich, so ordentlich! – Grün, sei ein Mann, oder komme um, wie ein Thor!« sagte er nach einer Pause mit vieler Würde. »Der alte Liebold ist zwar gestern etwas grob gewesen, aber einem Schwiegervater muß man viel zu gut halten.«
Er konnte kaum die Zeit erwarten, bis es Abend war, und beschäftigte sich bis dahin damit, daß er die Knöpfe an seinem Frack mit Mützenpulver neu versilberte, dann band er ein weißes Halstuch um; der Laufbursche mußte dreimal die Stiefel putzen, bis sie ihm blank genug schienen, und als er endlich vor dem Spiegel stand und, in jeder Hand ein Licht, seine geschmückte Person musterte, war er von seiner Unwiderstehlichkeit vollkommen überzeugt. Er machte drei Verbeugungen, lächelte auf fünf verschiedene Weisen, und als er die richtige, verliebte Entzückung eine Mannes von Stand und Charakter gefunden hatte, memorirte er seine Anrede, in welcher Hand, Herz und ewige Treue den Grundtext bildeten, und stülpte dann seinen Hut auf, mit dem heimlichen Schwure, morgen einen neuen zu kaufen, da er doch einen zur Hochzeit haben müßte. –
Nie ist ein Feldherr mit solcher Siegesgewißheit in die Schlacht gezogen, wie Herr Grün, als er, in jeder Hand einen Rockschoß, um nicht die Wand zu streifen, durch die enge Hausflur des Meister Liebold strich, klopfte, und listig und geschmeidig, wie ein Füchschen, durch die Thürspalte fuhr. –
Aber welch ein Schreck, als Hannchen ihm mit dem Kinde entgegen kam und ihm zuzischte, winkte, ruhig zu sein, als er die sonderbare Geschichte hörte und ganz verwirrt den alten Meister ansah, der demüthig, beschämt den Blick zur Erde schlug und vor Zittern den Hammer fallen ließ. –
Herr Grün hatte gar kein Arg, daß Alles auf's Haar so sei, wie es Hannchen erzählte, er war vielleicht der Einzige, der es ohne allen Rückhalt glaubte, ja, er war, voll Rührung über ihre schöne Seele, nahe daran zu weinen, denn die Liebe stimmt das härteste Gemüth sentimental, aber bei alle dem war es der fatalste Streich, der ihm je in seinem Leben passirt war.
Er setzte sich gedankenvoll auf den Stuhl neben Hannchen, und seine sonst so geschwätzige Zunge fand diesmal keine Worte. Er betrachtete die blitzschnelle Nadel des Mädchens, wobei es ihm vorkam, als sei jene heut noch einmal so flink und ach! sie selbst noch einmal so schön. –
Ihr schwarzes Haargeflecht war so glänzend und fein, ihr Gesicht so frisch angehaucht, die Zähne hinter den heiter lächelnden Lippen weißschimmernd in zwei kostbaren Reihen, wie die pariser Alabasterspielsachen in seinem Laden, und die Augen funkelnd, bald da, bald dort; bald auf das Kindchen im Körbchen gerichtet, das neben ihrem Sitz stand, bald lustig, muthwillig und doch auch auf die saubere Arbeit bedacht. –
Herr Grün aber hörte ihr Gespräch nur mit halbem Ohr, ihre Fragen beantwortete er auch nicht, oder ganz verkehrt, denn immer dachte er vor sich hin: Es geht nicht, es geht doch nun justement nicht! – Seine ganze Anrede hatte er vergessen; er knackte auch nicht einmal mit seinen langen Fingern, denn es brummte ihm im Kopfe umher, was er in einer weisen aber stürmischen Berathung ergrübelt hatte. –
»Das Kind,« sagte er sich empört, »kann ich doch nicht auch heirathen? – Wer ist es? Wem gehört es? Woher kommt es und wer ernährt es? Überdies bleibt es immer eine fatale Angelegenheit, und Hannchen, Gott segne sie! aber wenn ein Anderer zufällig über die Schachtel gestolpert wäre, in der es lag, und es fröhlich mit nach Haus genommen hätte, ich würde ihn wie einen Bruder lieben und sie verlöre gerade auch nichts dabei. Nein, es ist nicht möglich! – Ein Mädchen, das eine flinke Nadel führt und hübsch ist, kann von einem anständigen Mann geheirathet werden, auch wenn es kein Geld hat, obgleich es allerdings immer ein gewisser Leichtsinn bleibt, der nur durch Leidenschaft entschuldigt wird, wenn aber das Mädchen auch noch obenein ein Kind besitzt, gleichviel eigen oder gefunden, so ist es unmöglich, es ist justement unmöglich, darum schweige, unglücklicher Grün, und verzweifle!« –
Seine innere Stimme hörte nicht auf, diese schauerlichen Worte zu rufen und endlich kreuzte er die Arme, ließ den Kopf auf die Brust sinken, und stieß einen tiefen Seufzer aus, bei dessen Klang er sich erschrocken aufrichtete und mit verwunderten Augen umhersah. – Hannchen war hinausgegangen, die Lampe brannte melancholisch düsterroth mit einer langen Schnuppe, ihm gegenüber aber saß der alte Meister, der ihn mit ängstlichen, gespannt erwartungsvollen Blicken musterte.
»Aber, Herr Grün,« sagte der alte Mann, indem er zu lachen versuchte, »wie viel Aale sind denn bei Ihnen heut in den Schoten gewesen, daß es so wüst und traurig darin aussieht?«
»Oho!« sagte Herr Grün gleichfalls lachend, so gut es gehen wollte, »so schlimm ist es nicht, so lange wir hier eine hübsche Dose voll echten Messing haben, der alle Sorgen zerstreut.«
Er reichte Liebold die Dose hin, der eine Prise nahm, sie zwischen seinen großen Fingern festhielt, dann aber sich weit über den kleinen Tisch beugte und kopfnickend, pfiffig und leise zu seinem Gaste sagte:
»Es ist eine kummervolle, schlimme Geschichte mit dem Wurme da; und Ihnen ist sie auch nicht recht? Was?«
»Mir!« sagte Herr Grün verlegen, »o! ich wüßte nicht – ich sehe nichts Böses.«
Der alte Mann sah ihn prüfend an, dann sagte er mit leiser aber zorniger Stimme:
»Wenn sie es gefunden hat, so hätte sie es liegen lassen sollen, wo es war. Wer wird Kinder aufnehmen, die ihm nichts angehen? Obenein, wenn man selbst Noth und Sorgen hat.«
»O!« sagte Herr Grün hastig, »das ist Ihr Ernst nicht, guter Herr Liebold. – In der kalten Nacht, da nimmt man wohl einen armen ausgestoßenen Hund mit nach Haus, um so mehr einen Menschen, den unnatürliche Eltern dem Tode vorgeworfen haben. Nein, das war eine edle, merkwürdige That von Hannchen, die ich bewundern muß.«
Nun brach das Eis von Herrn Grüns Herzen, und unerschöpflich ergoß sich ein Strom feuriger Lobpreisungen für die Geliebte, den der alte Mann mit sichtlichem Wohlgefallen anhörte. Sein langes hageres Gesicht wurde kürzer und voller unter den freudigen Empfindungen, die ihn verjüngten, die trüben Augen erhielten Leben und endlich streckte er die freie Hand nach der seines Nachbars aus, quetschte dessen Finger in den seinen und sagte mit leiser zitternder Stimme:
»Der Himmel segne sie! ja, es ist ein gutes, herzliebes Kind. In manchem Trübsal hat sie mich aufgerichtet, und niemals hat sie mich betrübt, bis« – hier erschrak er und schwieg, aber er besann sich schnell und fügte hinzu: »täglich bitte ich zu Gott, daß er ihr vergelten möge, wie es in der heiligen Schrift den guten Kindern verheißen wird: ach! ach! ich armer Mann, ich werde ihr nichts hinterlassen, als meinen Segen.« –
Die Rührung und der Ton des Schmerzes, mit dem er diese Worte sprach, griffen heftig in Herrn Grüns weichgeschaffene Seele.
»Was,« sagte er, und schüttelte, des alten Meisters Hand mit Begeisterung, »ist denn eines Vaters Segen nichts? – Er baut Häuser auf, und wer weiß, lieber guter Meister – es braucht ja nicht gerade ein Palast zu sein – ob es nicht schon fertig steht, wo wir Alle in Frieden und Eintracht wohnen wollen.«
Der Alte nickte ihm mit einem seligen Lächeln zu, und seine Augen blickten so schelmisch, als wüßte er wohl, wohin das alles deutete. Im Augenblick erholte sich Herr Grün von seinem Enthusiasmus zur kühlen Wirklichkeit. Die ganze verteufelte Kindergeschichte fiel ihm ein; ein Eisball wälzte sich durch alle seine Adern, so daß sein Gesicht sich mitten in der Freundlichkeit plötzlich in den trübsinnigsten Ernst verkehrte.
»Grün,« sagte der alte Liebold, »ich merke es, Sie haben nicht umsonst den braunen Leibrock angezogen.« –
»Hab' ich einen Leibrock an?« rief Herr Grün ängstlich. »Es ist wohl möglich.« –
»Dazu eine weiße Halsbinde umgebunden,« fuhr der Meister fort. –
»Ja, es ist sonderbar, sehr sonderbar,« murmelte der Haarkünstler. immer verlegner, indem er seinen langen Hals umfaßte, als wollte er sich erdrosseln. –
»Und dann die weißen Handschuh,« sagte Liebold. »Grün, Sie sehen aus wie ein Freiersmann.«
Bei diesen Worten stand Herr Grün kerzengerade auf, so daß der Stuhl hinter ihm umfiel. –
»Es kann sein,« versetzte er hastig, »es kann auch nicht sein, ich weiß nicht, was ich dachte, aber Umstände verändern die Sache. Das Schicksal regiert die Welt, Kinder sind eine schöne Zugabe, aber gerade jetzt thut es mir außerordentlich leid, als junger Anfänger, keinen Gebrauch davon machen zu können. – Meister Liebold, ich bleibe der Freund Ihres Hauses, ich rechne auf Ihre gütige Nachsicht. Es ist fürchterlich, wie ich vom Schicksal verfolgt werde, aber fort! Leben Sie wohl, ich besuche Sie nächstens wieder.«
Ehe sich Liebold von seinem Erstaunen erholen konnte, war Herr Grün verschwunden. Langsam schüttelte jener den grauen Kopf und drückte die Hände in seine Augen.
»O, Du mein Gott!« sagte er seufzend, »der weiß es also auch schon, nun ist meine Hoffnung ganz aus. Nein, ich kann's nicht glauben, es ist auch nicht möglich; allein die Menschen werden bald mit Fingern auf uns weisen, und gefunden hat sie den Balg nicht; o! ich wollte« –
Da fing das Kind leise an zu schreien und die böse geballte Faust des alten Mannes sank langsam herab. Er murmelte leise Worte vor sich hin, als aber der mahnende Ruf um Hülfe nicht aufhören wollte, beugte er sich über das Körbchen, legte das Köpfchen auf die Kissen zurecht, und versuchte das Kind in den Schlaf zu summen. Lange sah er still in das kleine Gesicht, endlich fiel eine große Thräne dem Kinde auf die Stirn und mit Heftigkeit legte er beide Hände auf die Wiege.
»Nein, nein!« rief er, »sie hat Recht! Du verlassenes Lämmchen, wer Du auch sein magst, geschehen ist geschehen, Du sollst uns angehören und der reiche Gott im Himmel wird allen Sündern gnädig sein
.«
Während der alte Vater nun sein Enkelchen wiegte, dabei mit einem gewissen Groll an Herrn Grün dachte, und sich zuletzt mit allerhand Gedanken tröstete, daß Hannchen wohl noch ein besseres Glück machen könne, als mit solchem unbeständigen, unwissenden Menschen möglich sei, der eigentlich doch weder eine ordentliche Kunst, noch viel weniger ein rechtschaffenes Handwerk gelernt habe, war Hannchen im Gespräch mit ihrem Bruder Franz begriffen, der in eben nach Haus gekommen war.
Das verständige Mädchen öffnete leise die Thüre seines Zimmers und fand den Bruder in einer Ecke des Fensters sitzen, wo er den Kopf in den Arm gestützt durch die blinden Scheiben in die Macht hinausstarrte.
Als der Lichtschein in Gemach fiel, sah er sich um und streckte freundlich seiner Schwester die Hand entgegen. Hannchen setzte das Licht auf den Tisch, wo sie eine Anzahl Bücher bei Seite schob, dann trat sie dicht zu ihm, und indem sie mit der Hand sein Haar von der Stirn wischte, blickte sie ihm theilnehmend und freundlich ins Auge.
»Armer Franz« sagte sie, »Du hast heut Schweres erlebt!« –
»Wie willst Du das wissen, Hannchen?« fragte er lächelnd. –
»Weil Du geweint hast,« erwiederte sie leise, »und dann muß es hart hergegangen sein.«
Franz ließ den Kopf langsam auf seine Brust sinken.
»Ich leugne es nicht«, sagte er. »es giebt Kämpfe, die man nur mit Thränen durchkämpfen kann; wenn man nicht weinen könnte, würde die Verzweiflung uns vernichten. Mag es eine Schwäche sein; ich habe es auch wohl oft so genannt, aber ein Mensch wird zuweilen übermannt von dem Elende des Lebens, und dann findet er in dieser zitternden fieberhaften Schwäche, die ihn schüttelt wie ein kleines Kind, Trost und neuen Lebensmuth. Sieh, so fließt dieser jetzt in meine Brust. Mehr als je bin ich Herr meiner Entschlüsse, und besitze die zähe Willenskraft, nicht zu weichen, sondern muthig weiter zu kämpfen, mag es auch Thorheit, mag es hoffnungslos sein.«
Hannchen setzte sich an seine Seite, nahm seine Hände in die ihren und sagte mit ihrer herzlichen, Muth einflößenden Stimme:
»Du hast mich seit gestern zu Deiner Vertrauten gemacht, so beichte denn weiter und zage nicht. Zwei tragen einen Lebenskummer immer leichter; redlich will ich Deine Bürde theilen, und auf mich nehmen, so viel ich kann.«
Er erzählte ihr, was sich zugetragen, sie gab ihm Recht in Allem, was er gethan. Zuletzt umarmte und küßte sie ihn und klatschte in die Hände, daß er so tapfer für die Liebe gestritten hätte. –
»So sind die reichen Leute,« sage sie dann, »als wenn ein besseres Blut in ihren Adern wäre, als ob das Geld oder der Titel eine andere Race aus ihnen machte. – Der hochmüthige, gewissenlose Mann aber, der Geheimerath, ist einer von den Allerschlimmsten, denn er giebt sich das Ansehen, als ob er Wunder wie tugendhaft wäre, es ist aber eitel Trug und Heuchelei. – Wie ein Bettler beschämt und verwirrt muß er vor Dir gestanden haben, und Du in Deiner Armuth warft so stolz wie ein König. Was aber die Tochter betrifft,« fuhr sie dann fort, »so passen unsere Urtheile ganz und gar nicht zusammen. Du bist verliebt und siehst das nicht ein, wenn sie Dich aber wahrhaft und so recht von Herzen liebte, würde sie nicht so unterwürfig sich in den Willen des Vaters fügen, der doch sonst in allen Dingen thut, was ihr beliebt, wie Du selbst es sagst.«
»Du kennst das Leben nicht und die sogenannten Gesetze der Gesellschaft,« sagte Franz getröstet durch ihren Eifer, »die Macht der Gewohnheiten und des Beispiele thun in der Welt gar zu vieles.«
»Ich kenne es nicht,« erwiederte Hannchen, »allein ich kann es mir wohl vorstellen. Wer sich aber zwingen läßt, unglücklich zu sein für sein ganzes Leben, dem ist es entweder nicht Ernst zu thun, was er könnte, oder seine Liebe taugt nicht. Wenn ich es wäre, ich wollte hintreten und es anders sagen. – Diesen da liebe ich, würde ich sprechen, dem reicht keiner bis an die Schultern, wie stolz und hoch und reich er auch sein mag. Das ist mein Held und mein König; mit ihm will ich leben und für ihn sterben. Hier stehe ich, Gott helfe mir, ich kann nicht anders! Wenn sie so sagte, würden sie es wohl bleiben lassen mit ihrer hochmüthigen Schlechtigkeit von einer unwürdigen Liebschaft zu reden. Aber hast Du denn nicht erfahren, wer der würdige Bräutigam ist?« –
»Ich habe es erfahren,« sagte Franz. – »Ein alter, häßlicher, reicher, schmutziger Geizhals. – Nein, ein junger, fein gebildeter und schöner Mann.« –
»Was?!« rief Hannchen erstaunt. »Ist der plötzlich vom Himmel gefallen?« –
»Seit längerer Zeit schon geht er dort aus und ein,« erwiederte Franz, »und mehr als einmal hat er mir eifersüchtigen Schmerz erregt. Doch nein, Emma liebte nur mich, welche Schmeicheleien sie auch bestürmten. Wenn ich in der letzten Zeit Zweifel hegen konnte, so entsprangen diese aus den Ungerechtigkeiten, die ein Liebender so leicht begeht. Ich hatte niemals gewagt, ihr zu gestehen, was ich empfand, und doch wußten wir beide was wir verschwiegen. Es giebt eine Sprache, die ohne Worte mit heller, unfehlbarer Stimme redet.«
»Das ist doch eine sehr sonderbare Stimme,« sagte Hannchen. »Es ist immer sicherer, man braucht Lippen und Zunge dazu.«
»Vor einigen Tagen erst geschah auch dies,« versetzte Franz. »Sie war sehr bleich und krank, ich hatte sie seit mehren Wochen nicht gesehen. Es kam überraschend; plötzlich hielt ich sie in meinen Armen, ihr Herz schlug ängstlich an meiner Brust, ihre Lippen erwiederten meine Küsse und Liebesworte. Zu spät! rief sie endlich krampfhaft schluchzend: zu spät! – Da trat der Geheimerath herein, oder vielmehr hinter der Thüre hervor und nahm sie aus meinen Armen, indem er mir höflich dankte, sein krankes Kind unterstützt zu haben. – Ich begriff dies zu spät! damals nicht, jetzt weiß ich es, sie kannte ihr Schicksal schon, den Mann, dem man sie opfern wollte.«
»Wer ist der Mann?« fragte die Schwester
.
»Ich habe ihn Dir nicht genannt,« erwiederte Franz, »Dir nie gesagt, daß ich ihn dort antraf, weil ich mit einer gewissen Abneigung mich erinnerte, daß er einst unser Hausgenoß war, und nach Art junger Gecken Dir den Hof machte.«
Hannchen sah ihn erstaunt und starr an, wie wenn ein plötzlicher Gedanke, der eine ganze Reihe überraschender Folgerungen nach sich zieht, ihr gekommen wäre.
»Jetzt weiß ich Alles,« flüsterte sie dann vor sich hin, »nun ist mir Alles ganz klar und hell. – Seit langer Zeit also ist er im Hause des Geheimenraths?« –
»Sehr lange schon.« –
»Sagtest Du nicht, daß die Tochter ihn gern sah?« –
»Nein,« erwiederte Franz, »aber sie rühmte ihn mir zuweilen als fein gebildeten trefflichen Gesellschafter.« –
»O! er versteht zu schmeicheln, zu überreden,« rief Hannchen, »und er ist gewissenlos, wie solche Männer sind.« –
»Hochmüthig und anmaßend ist er,« versetzte Franz, »aber er soll ein Mann von Ehre sein.« –
»Ehre?« sagte das Mädchen spöttisch, »was nennen sie Ehre, diese feinen sitttenlosen Herren?! Sagtest Du nicht, daß Deine geliebte Emma in Den lebten Wochen krank gewesen sei? Blaß und krank, und vor Niemandem sichtbar?« –
»Ja, aber was sollen diese Fragen, warum bist Du so sonderbar aufgeregt?« –
»Armer Bruder!«, sagte Hannchen mitleidig, »wie viel Leid hast Du schon ertragen, und wie viel schwereres erwartet Dich noch.«
Ein Geräusch an der Thür machte, daß Franz diese öffnete und hinaussah. Der Lampenstrahl fiel in den düstern Raum; es kam ihm vor als stehe ein Mensch dort, eine große verhüllte Gestalt.
»Wer ist da?«, fragte er. – Es antwortete nicht.
»Es ist nichts,« sagte Hannchen, und hielt das Licht fest, das er aufnehmen und leuchten wollte.
»Jedenfalls steht dort Jemand,« rief ihr Bruder aufgeregt. »Ein Dieb, ein Spion, gleichviel.«
Die dunkle Gestalt löste sich von der Wand ab und trat mit festem Schritt herein. Der Mantel fiel von ihrer Schulter; es war ein junger feiner Herr, der den Hut abnahm und höflich aber kalt die erstaunten Geschwister grüßte.
»Ich wünsche Sie zu sprechen, Herr Liebold,« sagte er..»Ihr Gespräch, habe ich nicht belauscht, ich habe einige Fragen an Sie zu richten.«
»Paß uns allein, Hannchen,« versetzte der junge Gelehrte, indem er einen finstern festen Blick auf seinen Besuch warf. – »Nehmen Sie Platz, mein Herr.«
Er holte einen der alten Stühle aus der Ecke, und während dessen ließ der Fremde sein Auge auf Hannchen ruhen, als suche er eine Verständigung. Aber Hannchen ging, ohne ihn anzusehen; und mit einer leichten Verbeugung legte er die Hand auf die Lehne, ohne sich zu setzen.«
»Sie kennen mich wohl Herr Doctor?« fragte er. –
»Ich sollte meinen, daß wir uns öfter sahen, Herr von Bering,« erwiederte Franz. –
»Diese Antwort führt uns dem Ziele näher,« sagte der junge Edelmann. »Wir sahen uns im Hause des Geheimenraths Ringenberg.« –
»Eben dort.« –
»Wissen Sie auch, daß diese Familie – daß ich mit derselben in eine nähere Verbindung zu treten denke?«
»Ich weiß es.« –
»Mein Onkel hat diese Verbindung so hitzig betrieben, daß der Tag der Erfüllung nahe ist.« –
»Und Sie« fragte Franz schnell. –
»Ich werde die Tochter des Geheimenraths heirathen,«erwiederte der junge Mann.
Beide schwiegen einen Augenblick, bis Franz mit kühlem Tone sagte:
»Darf ich fragen, was Sie zu mir führt, Herr von Bering?« –
»Im Allgemeinen,« erwiederte dieser, »ist es der Wunsch, Sie kennen zu lernen, speciell genommen habe ich eine Frage an Sie. – Sie haben meiner Braut – ich darf Emma wohl so nennen, denn morgen wird man unsere Verlobung veröffentlichen – seit längerer Zeit nahe gestanden, kein Wunder also, daß sich boshafte Gerüchte verbreiten konnten. Ich verachte das, doch um der Lüge den letzten Schein zu rauben, bitte ich Sie, jene selbst zu widerlegen.« –
»Ich verstehe Sie nicht ganz,« sagte Liebold.
»Schon das beweist mir die Verläumdung genügend,« erwiederte Bering lächelnd. »Ich wünschte von Ihnen zu hören, daß Sie nie in irgend einem – wie soll ich sagen – nun ja, zärtlichen Verhältniß zu meiner Braut gestanden haben.«
»Ich könnte dagegen einwenden,« erwiederte Franz, »mit welchem Rechte Sie eine so sonderbare inquisitorische Frage an mich richten, oder ich könnte auch irgend einen bequemen Ausweg ergreifen; da Sie aber eine so bestimmte Antwort verlangen, so gebe ich diese gern. Vorher jedoch richte ich eine Frage an Sie: Lieben Sie Emma?«
»Mein Herr,« sagte Bering im strengen Ton, »ich sagte Ihnen schon, daß ich Fräulein Ringenberg heirathen werde.«
»So hören Sie denn von mir,« versetzte Liebold mit demselben Ernst, »daß Emma mich liebt, und daß ein zärtliches Verhältniß allerdings bis auf den heutigen Tag zwischen uns bestanden hat und noch besteht.«
Der junge Edelmann richtete sich stolz auf, indem er seinen Nebenbuhler mit spöttischen Blicken maß.
»Herr Doctor,« sagte er dann lächelnd, und den Kopf schüttend, »ich habe vor Ihren Kenntnissen,, wie vor Ihrem Charakter, die beide sehr gerühmt werden, alle Hochachtung, darum werde ich mich nicht erzürnen, sondern ruhig die Beweise für Ihre Behauptung, fordern.«
»Ich habe Ihnen keine zu geben,«, erwiederte Franz hitzig.
»So erlauben Sie wohl,« sagte Bering, »daß ich die Sache meiner Braut führe und Ihnen die Beweise Ihres Irrthums liefere. – Fräulein Ringenberg ist die einzige Tochter eines Vater, der sie auf's zärtlichste liebt, würde er wohl so grausam sein, dies geliebte Kind zu zwingen, einem Manne anzugehören, den sie haßt? Ich könnte Ihnen andere stärkere Beweise liefern, aber dieser schon, ist schlagend; denn bedürfte es nicht nur eines entschiedenen Widerstandes, um die Fesseln zu zersprengen?«
»Glauben Sie nicht auch,« sagte Franz ihn finster anblickend, »daß viele Menschen auf Erden nur darum unglücklich wurden, weil es ihnen an Muth gebrach, glücklich zu sein? Rufen Sie dem Feigling zu: sei ein Held! oder dem Schwachen: werde hart! So ist es mit diesem armen schüchternen Kinde, das verzagt und schweigend sich zum Opfer bringt.«
»Lieber Herr Doctor,« sagte der Edelmann, indem er sich in seinen Mantel wickelte; »sie sind schwach, diese Weiber, so lange die Liebe nicht in ihren Herzen wohnt, diese aber macht sie zu Löwinnen, welche keine Gefahr kennen. Ein Mädchen, das schweigt, wenn man ihr den liebsten Schatz entreißen will, liebt nicht, darauf verlassen Sie sich.«
»Herr von Bering,« erwiederte Franz, so ruhig er konnte, »Sie haben mich in eine seltsame Lage versetzt. Eine wahrhafte Antwort verlangten Sie auf Ihre Frage, ich habe Ihnen diese gegeben. Sie werden Emma heirathen, mögen Sie Muth und Willen besitzen, ein schönes, stilles Herz zu beglücken. Ich betheure Ihnen nichts mehr, denn ich finde es unpassend, noch ein Wort darüber zu sagen. Aber es ist ein weiter Weg vom Becher bis zum Munde, und nicht alle Hoffnung ist für mich verloren.«
Bering sah den Erglühenden mit einem sonderbar bedauerlichen Blicke an. –
»Ich muß glauben,« sagte er kalt lächelnd, »daß Ihre Phantasie sehr lebhaft ist.«
»Und ich,« erwiederte Franz, »muß mir jede Anmaßung verbitten.«
»Die Anmaßung fällt auf Sie zurück. Sie müssen fühlen, welche Rolle Sie als Mann von Ehre bei Ihren Behauptungen spielen.«
»Als Mann von Ehre,« versetzte der junge Doctor gereizt, »werde ich nicht die geringste Beleidigung dulden
.«
»Ich bin nicht gewohnt, Genugthuung zu versagen,« erwiederte sein Gegner, »aber hier streiten wir um ein Nichts, und so lange Sie mir keinen Beweis Ihrer Behauptung vorlegen, muß ich es noch einmal mindestens für leere Einbildung erklären.«
»Das Zuviel der Einbildung,« rief der junge Liebold, »kann nur Ihnen zur Last gelegt werden, und vielleicht wäre es an der Zeit, eine schnelle Abrechnung zu halten.«
»Genug, mein Herr,« sagte der Edelmann, indem er drohend auf seinen Gegner zuschritt, »Worte oder Thaten, gleichviel, jetzt ist zu beiden keine Zeit. Was höhnen Sie, wo Sie handeln sollten?! Sprechen Sie Wahrheit, so beweisen Sie diese, ersannen Sie Lügen, so tragen Sie auch die Folgen. – Ich glaube nichts, gar nichts, und mit freiem Gewissen werde ich Emma zum Altar führen; aber bei meiner Ehre! ich dränge mich nicht auf, ich trenne keine wahre Liebe. Wenn diese besteht, so wird sie auch den Muth haben, sich zu zeigen; wenn es ein wüster Taumel, ein leerer Traum war, so verdient er kaum Mitleid, und haben Sie nichts als diese Ausrufungen für sich, mein Herr, die fast verläumderisch den Frieden einer Familie stören, so hüten Sie sich, diese Phantasien fortzusetzen. Leicht könnte das Fieber einen bösen Ausgang nehmen, ich warne Sie vor den Folgen!« –
Er wandte sich ruhig um und ging hinaus. Wie festgebannt ließ ihn Franz geben; dann stürzte er bis an die Thür, als wollte er nach und den kecken stolzen Mann aufhalten, aber plötzlich drückte er die geballten Hände an seine Stirn und sagte seufzend:
»Er droht, ja, er kann drohen! Es ist ja Alles ein wüster wilder Traum, und vergebens suche ich zu erwachen.«
Den ganzen Abend und den größten Theil der Nacht verbrachte Franz, indem er über die schmerzlichen Wunden, welche sein Leben empfangen und die möglichen Mittel, die Zukunft dennoch für sich zu gewinnen, nachdachte. Aber je mehr er sich seinen aufgeregten Empfindungen überließ, um so verwirrender umschwärmten ihn die plötzlich aufspringenden phantastischen und heftigen Ausgeburten seiner Einbildungskraft, welche doch schon im nächsten Augenblick von einer kühleren Erkenntniß verworfen wurden. Erzogen in der Schule der Armuth und der Entbehrungen, hatte Franz jeden Schritt vorwärts zu einer höheren Stufe der Gesellschaft nur durch Anstrengungen und Kampf erringen können, was seiner Sinnesart eine frühzeitige Selbstständigkeit verlieh. –
Aufstrebende Talente werden meist die Unterwürfigkeit lieben, um durch Beugen und Anpassen zu Verhältnissen und Personen, durch Schmeichelei oder Intrigue sich ihren Weg zu ebenen, zuweilen aber wird der männliche Muth durch die Schickungen und Leiden der Armuth zwiefach gestählt und die moralische Kraft erhebt sich kühn über alle Verhältnisse. –
Die schroffe Seite des Zorns und die Bitterkeit gegen das Weltgetriebe, wie es einmal ist, war auch bei dem jungen Liebold nicht zu verkennen, allein seine Einsicht und seine Kenntnisse hatten es gemäßigt, auch wurde die Neigung, welche er seit Jahren still in seinem Herzen zu der Tochter seines Gönners trug, eine Ursache, ihn milder und versöhnlicher zu stimmen.
Unzählige Male hatte er sich dem Einflusse entziehen wollen, der vor seinem Verstande keine Probe hielt. Er bemerkte wohl mit dem Entzücken eines einsamen, stolzen Herzens, daß seine Liebe Gegenliebe fand, aber er verbarg sich die Hindernisse nicht, die einer Billigung dieses Bundes entgegenstanden. Wann hat jedoch die bloße Verständigkeit gegen das Feuer der Leidenschaft gesiegt?! Diese erhob und heiligte, was durch die unreinen Schwächen der Menschen, durch Hochmuth und Kastendünkel getrennt werden sollte.
Die Vernunft sträubte sich gegen die Vorurtheile. Mit Selbstgefühl und edlem Stolz sagte sich Franz, daß er würdiger sei in seiner freien gesinnungsvollen Tüchtigkeit, die Hand dieses geliebten Mädchens zu fassen und in den Kreis der Hochgeborenen zu treten, als die allermeisten jener anmaßenden Gesellen, welche nichts für sich haben als Zufälligkeiten.
So empfing er den Muth, Alles zu wagen und zu tragen, und jetzt auch in dieser trüben, ach! so langsam verschwindenden Nacht verlor er sich nicht in unnütze Klagen und Verwünschungen seines Schicksals, sondern er empfand, daß er recht gehandelt habe und fühlte seine Kraft und Energie nicht geschwächt, obwohl eine fieberhafte Unruhe ihn zuweilen ermattend durchschauerte und durchglühte. –
Zuweilen starrte er durch die kleinen Fenster auch hinaus in den düstern Himmel und auf die öde Straße, deren Schneegeknister und Windesrauschen wohlthuend für seine Stimmung waren. Die kleinen Flämmchen der Laternen zuckten, vom Sturme gejagt, bald hell auf, bald schienen sie zu erlöschen, wenn sie mit rothem Schimmer die langen Schatten nächtlicher Wanderer umspielten, welche immer spärlicher vorüberschritten.
Nur Einer kam und ging und kam unermüdlich immer wieder. Tief verhüllt schritt die hohe Gestalt langsam, fast in der Mitte der Straße, auf und ab. Wenn er an dem Fenster vorüberging, lief sein Schatten langsam über die Scheiben. Dann stand er am Hause still und schien zu warten und zu lauschen, endlich murmelte er leise einige Worte, und so ging er ruhelos weiter und kehrte doch immer von Neuem zurück. –
Wie der Lampenschein dann und wann über ihn hin zitterte und der eisige Wind ihm den Mantel fortriß, hätte ihn Franz wohl erkennen können. – Aber zu viel beschäftigt mit sich selbst und seinem Wollen, dauerte es lange, ehe er seine Aufmerksamkeit auf einen fremden Gegenstand richtete. Nach und nach verfolgte er aber die Gestalt, und mit immer größerem Interesse beobachtete er ihr Wesen und Treiben. –
»Sollte es möglich sein!« rief er endlich und eine gewisse Befriedigung rachsüchtiger Wünsche dämmerte in seiner Brust auf, »ja, sollte dieser Glückliche dennoch, wie ein Gespenst, von Qualen getrieben, hier auf- und abschleichen, ein nächtlicher Wächter seiner eigenen geheimen Schrecken, so wäre doch nicht alles Hoffen umsonst. Denn wo Furcht ist, ist auch Zweifel, da lauert im Verborgenen die bange Möglichkeit, daß der Feind siegen könne.«
Er suchte nun zu erkennen, ob es wirklich der junge Bering sei, aber indem er sich damit beschäftigte, eine passende Stelle für seine Beobachtungen zu finden und die nachtwandelnde Gestalt so eben wieder die Straße herauf kam, löschte der Wind plötzlich die Laterne aus und ließ der Dunkelheit allen Raum. Franz hörte nun wohl den eintönigen festen Schritt seines Nebenbuhlers, der dicht unter dem Fenster vorbeiging, aber sehen konnte er nichts. In seiner zornigen Bewegung drehte er den Wirbel auf und plötzlich stand der nächtliche Wanderer still. –
»Wer ist da?« rief Franz. »Was suchen Sie hier; was wollen Sie?! Geben Sie Antwort, Herr; ich kenne Sie wohl, Sie liefern nur den Beweis, daß Sie viel zu fürchten haben.«
Aber nur seine Worte schallten hohl zurück. Mit langsamen Schritten ging die Gestalt weiter und Franz warf sich in den alten Polsterstuhl und träumte wunderbare wirre Träume von einer Zukunft, die bald voll Sturm und Trauer, bald glänzend hell und glücklich war, bis rothe Wolken über den Himmel flogen und die erste Morgendämmerung ihn aufweckte.
Er wußte bestimmt, was er wollte, denn er hatte seine Entschlüsse gefaßt. Schnell kleidete er sich an und ging behutsam aus dem Hause, daß ihn Niemand hörte. In der Werkstatt rumorten schon Meister und Gesellen und aus der Kammer sang Hannchen mit leiser Stimme dem Kinde ein Lied vor. Als er auf der Straße war, machte ihn die kalte Morgenluft ganz frisch und frei, und mit immer festerem Willen erreichte er das ferne Quartier der Stadt, wo das Haus des Geheimenraths stand. –
Dies gränzte mit seinem Garten an einen Graben, der jetzt zur Winterzeit mit Eis bedeckt war. Franz ging darauf hin, stieg dann hinauf und befand sich nun unter den Bäumen und Hecken, zwischen denen er schnell hinschlüpfte und auf wohlbekannte Weise den Gartensalon öffnete, wo er so oft im geheimen Glück seiner Liebe schöne Stunden verlebt hatte. Der junge Unbesonnene stand jedoch jetzt vorsichtig still, als er sah, daß man Feuer im Ofen gemacht und die Geräthe geordnet hatte. Er musterte mißtrauisch diese ungewohnten Anstalten, und unwillkürlich schrak er zusammen, wie ein ertappter Verbrecher, als leise die Thür des anstoßenden Kabinets sich in den Angeln bewegte.
Im nächsten Augenblick aber verwandelte sich dies Erschrecken in die lebhafteste Freude, denn ganz in ein großes Tuch gewickelt stand Emma an der Schwelle. Unruhe und Verlegenheit drückten sich in ihren Zügen aus und doch lag darin auch ein schmerzliches Entzücken, als Franz ihre Hände ergriff und küßte, und mit innigen Dankes- und Liebesworten ihr überraschendes Erscheinen vergalt.
»Ich sah von meinen Fenstern zufällig in den Garten hinaus,« sagte sie schüchtern, »sah einen Mann sich zwischen den Bäumen verbergen und erkannte Sie.«
»Wer hätte es auch sein können,« erwiederte Franz, »als ein Verzweifelnder, der entschlossen ist, jeden Weg zu betreten, welcher zu Ihnen führt.«
»Und was wollen Sie hier,« sagte sie ängstlich. »Was können wir thun?!«
»Standhaft ausharren,« erwiederte der junge Mann feurig, »für unsere Liebe streiten, offen vor der ganzen Welt.«
»Haben Sie denn nicht gehört,« flüsterte sie, nachdem sie zitternd nach der Thür gelauscht hatte, »was mein Vater gesprochen und geschworen hat? Es ist zu spät! ich sehe keinen Ausweg.«
»Und warum soll es zu spät sein,« sprach Franz beruhigend, »so lange Sie selbst nicht sich widerstandslos unterwerfen. Können Sie das, dürfen Sie es?«
»O, Gott!« rief sie leise weinend, »giebt es denn nicht Verhängnisse auf Erden, denen man sich unterwerfen muß?«
»Wenn Sie mich wahrhaft lieben,« sagte er, indem er von Neuem ihre beiden Hände faßte und sie ernst und fest anschaute, »wenn es wahr ist, wenn die Menschen, ach! und ich selbst, nicht ein Recht haben sollen, daran zu zweifeln, dann, Emma, müssen Sie die Schwäche überwinden.« –
Er legte den Arm um ihren zitternden Körper und drückte mit einer heftigen Bewegung das schöne blasse Gesicht an seine Brust. Heftig schluchzend hielt sie die Augen geschlossen. Franz küßte die Thränen von ihren Wimpern – und suchte mit leiser Stimme den Muth in ihrer Brust anzufachen. Er erzählte ihr seine Unterredung mit Bering, verhehlte ihr nicht, was dieser zu ihm gesprochen, und wie es nur einer Erklärung bedürfe, um frei zu sein.
»Nein,« sagte er nach einer langen Pause, als sie sich aufrichtete und ein edles Feuer ihren Blick belebte, »ich zweifle nicht an Ihrer Liebe, nicht an dem Muthe, der diese begleiten muß. Dieser Augenblick sagt mir, daß meine geliebte Freundin die Energie gefunden hat, welche dazu gehört, glücklich zu sein und glücklich zu machen.«
»Was soll ich thun?« sagte sie mit plötzlicher Entschlossenheit, »ich will Alles thun, was Sie sagen.«
»Hintreten vor den Zwingherrn und zu ihm sprechen: ich bin Dein Kind zwar, aber auch das Vaterrecht hat eine Gränze. – Ich liebe und verehre Dich, aber ich bin mehr, als ein Werkzeug Deines Willens. Allmächtig ist die Liebe, Gott hat sie in meine Brust gelegt, ich will meiner edelsten menschlichen Natur nicht untreu werden. Hier ist der Markstein meines Gehorsams; verzeihe mir, gehorchen kann ich nicht.«
»Werde ich das sagen können?« flüsterte sie furchtsam erbleichend.
»Wenn wahre Liebe Sie begeistert, ja, dann können Sie es,« erwiederte Franz. »Laut, ohne Furcht, denn Gott ist allezeit mit dem Muthigen und läßt das Vernünftige nicht verderben.«
»Ich werde es können, ich will,« sagte sie, »aber welche Schrecken, welche Stürme werden über mich hereinbrechen! Verlassen, unglücklich! ich habe keinen Gedanken für die Zukunft.«
»Wenn Alles wankt und weicht,« erwiederte er mit stolzer Ruhe, »dann bin ich an Ihrer Seite. Der Himmel verzeih's mir, aber oft und in diesem Augenblick noch wünsche ich, daß ein zerschmetterndes Unglück über dies Haus hereinbräche, daß alle Pfosten und Säulen stürzten, daß die Menschen, diese elende, habgierige, niederträchtige Menge sich höhnisch abwendete und mein armes zitterndes Lamm gekreuzigt und geschlagen sich an meine Brust flüchtete. O! dann, dann erst würde mein ganzes Herz sich aufthun, alle Seligkeit der Liebe darin erblühen.«
Seine Betheuerungen machten einen tiefen Eindruck auf das schöne Mädchen, die anmuthig den Kopf auf seine Schulter senkte und mit ihren weichen, feinen Fingern seine Stirn berührte, während sie nachsinnend träumerisch die Augen schloß. Plötzlich aber richtete sie sich auf und hörte wieder ängstlich auf ein Geräusch.
»Es ist mein Vater,« rief sie, »mein Gott, er kommt.«
»Es ist nichts,« erwiederte Franz, »und wenn er es wäre, so käme die Gelegenheit schnell und unerwartet, Ihre Entschlüsse zu offenbaren.«
Mit einer heftigen Bewegung machte sie sich los und eilte nach der Thür, die zu dem Corridor führte. Dort blieb sie bleich und fast athemlos stehen und sah auf Franz zurück, der mit einem finstern Lächeln in dem bleichen Gesicht mitten in dem Zimmer stand.
»Jetzt nicht, flüsterte sie. »Es ist unmöglich! Mein Gott! fort, schnell, wenn er Sie findet; eilen Sie, entfliehen Sie!«
»Gehe nicht, Emma,« sagte er bittend und drohend, »oder diese Minute trennt uns für immer. Halt ein! nur einen Augenblick« –
Er eilte ihr näher, da trat sie entsetzt zurück und die Thür fiel ins Schloß, vergebens suchte er den Drücker zu öffnen.
»Das ist die Treue und der Muth der Meisten, rief Franz mit schmerzlicher Bitterkeit. »So werden sie Opfer und verdienen es zu sein.« –
Er schwieg, denn draußen hörte er jetzt wirklich die Stimme des Geheimenraths und dessen festen schnellen Schritt. Die Furcht hatte Emma's Sinne geschärft und sie nicht getäuscht. Den Saal ungesehen zu verlassen, war nicht mehr möglich; bleiben schien Franz nun ebenso wenig räthlich, es galt daher ein Versteck zu finden und rasch schlüpfte er in das anstoßende Kabinet, hinter dessen geöffneter Thür er einen zwar nur unvollkommenen Schutz fand, dafür aber den Salon ganz überblicken konnte.
Kaum befand er sich dort, als der Geheimerath hereintrat, laut mit einem Begleiter sprechend und scherzend, in welchem Franz sogleich den kleinen Oheim seines Nebenbuhlers erkannte.
»Nun hier, mein tapferer Major,« sagte Ringenberg, »hier sind wir ganz ohne alle Störung allein, und können die wichtigsten Geheimnisse abthun.«
»Das ist mir lieb,« versetzte der alte Herr, »aber ist auch wirklich kein, was man so schlechtweg Unberufener oder Überflüssiger nennt, in der Nähe?«
»Ohne Sorge,« erwiederte der Geheimerath, indem er bis an das Kabinet vorschritt und hineinsah, »hier ist Niemand und kann auch Keiner sein. Setzen Sie sich.«
Er rückte die beiden Sessel, auf welchen wenige Minuten früher Emma und Franz so dicht beisammen gesessen, mehr dem Kamin näher, nahm in dem einen Platz, kreuzte die Füße und starrte dann in das Feuer, während der Major mit einigen kräftigen Redensarten über sein Podagra langsam seinem Beispiele folgte.
»Nun, mein heldenmüthiger Freund,« fragte der Geheimerath aufblickend, »was haben Sie mir zu entdecken?« –
»Ich habe es bei mir, Mann des Glücks,« erwiederte der alte Herr mit einem pfiffigen Lachen. –
»Was meinen Sie?« –
»Nun, das Bewußte,« sagte der Major. »Ich ruhe jetzt nicht eher, bis Alles in Ordnung ist; denn es ist mein Stolz und meine Freude. Ich schösse mich todt, wenn Sie etwa absprängen.«
Der lächelnde, scharfblickende Mann hatte sich zu seinem Gefährten gebeugt und nahm ein starkes Päckchen aus dessen Händen, öffnete es, sah hinein und sagte dann:
»Das ist es also. Aber mein strategischer, kluger Feldherr, das hätte ja Zeit genug gehabt. Ich werde nicht davon laufen, nehmen Sie es wieder mit, bis wir so weit sind, es zu brauchen.« –
»Auf mein Wort! nein!« rief der Major hitzig. »Element! ich will es nicht haben.« –
»Ich auch nicht,« sagte der Geheimerath ruhig. »Sie sollen es aber nehmen. – Mann des Glücks, machen Sie damit, was Sie wollen; aber bleiben Sie mir mit Widerspruch fort.«
Der Geheimerath dachte einen Augenblick nach, während er mit dem Papier hin und her spielte. Dann steckte er es in die Brusttasche seines Kleides und sagte gleichmüthig:
»Wohlan denn, ich werde es verwenden, wie es mir gerade jetzt am zuträglichsten erscheint.«
»Speculation?!« rief der kleine Herr drohend.
»Ich denke es stärker abzuliefern, als ich es jetzt bekomme,« sagte der Geheimerath.
»Gut,« flüsterte der Major, »Ihnen glückt natürlich Alles, und wenn ich etwa – Sie verstehen mich.«
»Verstehe, lieber Major, ich werde Sie benachrichtigen, und denke, Sie sollen nicht übel dabei fahren.«
»Aber wollen Sie nicht einen Blick hineinwerfen?« fragte der alte Herr, indem er auf das Päckchen in der Brusttasche zeigte.
»Ich habe die Aufschrift gelesen, das genügt. Wünschen Sie eine Bescheinigung?«
»Ein andermal,« rief der Major, »oder es ist auch gar nicht nöthig. Hören Sie, Freund Ringenberg, Bureaukrat, Glücksmensch, jetzt sind wir fertig, und ein Stein ist mir vom Herzen. Es ist doch Alles vorbereitet? Mein Neffe ist außer sich vor Liebe, kann die Zeit nicht erwarten, der Tollkopf; und wissen Sie, Geheimesräthchen, mir geht's eigentlich eben so. Ich, ich zittre ordentlich, wenn ich daran denke, wie ich aufstehen und es aussprechen soll, obwohl ich es den ganzen Morgen auswendig gelernt habe.«
Der Geheimerath stand auf und sagte, indem er die Uhr zog:
»Die Zeit rückt heran, in wenigen Stunden werden Sie auch dieser Sorge überhoben sein. Ihr Neffe ist ein vortrefflicher Mensch, klug, gesetzt und in allen Dingen von hellem Verstande. Das mäßigt freilich das Feuer der Leidenschaft, aber es giebt die besten Ehen.«
»Er ist von Natur kalt,« erwiederte der Major, »aber das schadet durchaus nicht, das wird schon kommen. Er weiß, was ich hier für ihn thue und daß er meinen Willen verehren muß; denn er ist mein Erbe.«
»Sie werden sich lieben und glücklich sein,« fiel der Geheimerath ihm in die Rede, »und jetzt können Sie Ihrer Nichte einen Besuch machen und sehen, wie ihr der Verlobungsring sitzt.«
»Rudolf muß auch gleich kommen,« sagte der kleine Herr lachend, »der kann ihn ihr anpassen.«
Der Geheimerath öffnete die Thür.
»Vortrefflich,« rief er, »nur voran, ich folge sogleich.«
Als er allein war, ging er rasch zurück bis in die Mitte des Zimmers, dann blieb er stehen und horchte auf die Schritte des Majors, der hustend die Treppe hinaufpolterte, und nun rief er mit seiner volltönenden Stimme:
»So ist denn Alles abgethan und kein Rückwärts mehr zu befürchten. Hier habe ich den Schlüssel zu dieser Verbindung; das ist die unlösbare Kette, und so lange diese in meinen Händen ist, will ich wohl sorgen, daß nichts daran zerreißt.«
Sinnend blieb er einen Augenblick stehen, indem er das Päckchen aus der Tasche nahm und es betrachtete.
»Nein, meine Kinder,« sagte er dann, »Väter und Verständige müssen besser wissen, was Euch frommt. Ihr werdet die Welt verstehen lernen, und dies« – hier klopfte er auf das Papier – »dies ist der Talisman des Glücks, der Euch die Thore eines neuen schönen Lebens öffnen soll.«
Wie er dies sagte, warf er noch einen schnellen musternden Blick durch das Zimmer, dann nahm er einen der Stühle, stellte ihn vor den Kamin, schwang sich hinauf, und schob mit sicherer Hand die Spieluhr zur Seite, welche die Mitte des Gesimses einnahm. – Mit einem leichten Druck öffnete er nun ein Wandspindchen, in welches er schnell das Päckchen legte, die Uhr wieder an den alten Platz rückte, und nach wenigen Augenblicken Alles vollbracht hatte.
»Hier sucht es Niemand,« sagte er halblaut, »und morgen wollen wir weiter darüber bestimmen. Es kommt zur rechten Zeit und kann auch meinen Weg ebnen helfen – o! Thorheit,« rief er laut, »es wird Alles gut; wagen gewinnt, und ich habe gewagt!«
Er folgte seinem Freunde, dem Major, und lange Zeit noch blieb Franz in seinem Versteck; erschüttert von dem, was er gehört und gesehen hatte. Mit verschränkten Armen lehnte er an der Wand, ohne ein Wort zu sprechen. – Plötzlich richtete er sich auf, und wie von einem schnellen Entschluß bewegt, ergriff er den Stuhl, schob die Uhr fort, drückte das geheime Fach auf und steckte das Päckchen, das ihm entgegen fiel, schnell in die Tasche. – Dann ordnete er alles, wie es gewesen, und mit scheuen vorsichtigen Schritten eilte er durch die wohlbekannten Gänge, durch Corridore, Trepp auf und ab, bis in die Hausflur, ohne daß ein Mensch ihn gesehen oder begegnet hätte. In dem großen Hause bekümmerte sich auch so leicht nicht der Eine um den Andern, unangefochten erreichte er die Thür, und mit klopfendem Herzen stand er auf der Straße. –
»Wenn das der Talisman ist, an dem Glück und Zukunft dieser Ehe hängt,« murmelte er, indem er die Hand heftig auf das geraubte Päckchen legte, »so ist er in meinem Besitz, und keine Macht im Himmel und auf Erden soll ihn mir nehmen. – Keinen Vorwurf, ich that, was ich mußte.« –
Er warf den Kopf mit den funkelnden Augen stolz in die Höhe, da stand Herr Grün drüben in seinem Gewölbe und klopfte mit allen Fingern der linken Hand an die Scheiben, indem er mit der Rechten heftig winkte. Franz trat grüßend näher, da streckte der geniale Haarkünstler seinen Arm durch die Thür und zog ihn triumphirend hinein.
Die große französische Bronceuhr schlug drei, als der Bediente den Speisesaal öffnete und seinem Herrn eine tiefe Verbeugung machte. Der Geheimerath bot hierauf einer Frau Präsidentin den Arm, der Major trippelte zu einer hochgewachsenen Schönheit, die einst Hofdame gewesen und jetzt etwas antiquirt und vergessen war, sieben oder acht andere jüngere und ältere Herren, ein paar Officiere, ein paar Räthe und Assessoren schossen auf eben so viele Damen verschiedenen Lebensalters und Reizes, einige Herren, die übrig blieben, folgten mit vergnügtem, schadenfrohem Lächeln und boten sich gegenseitig tröstend den Arm, indem sie leise Bemerkungen machten, die wahrscheinlich dem jungen Bering galten, der mit fast finsterm Ernst in seinem stolzen Gesicht die blasse, schweigende und zitternde Braut führte.
Denn daß sie seine Braut sei und sein müsse, darüber war wohl keine Unklarheit in der Gesellschaft. Man wußte recht wohl, was vorgehen sollte und war ärgerlich oder schadenfroh, oder beides zugleich, in Worten und Winken über das neue Paar.
Einige Gäste waren weggeblieben, zwei oder drei kamen als man sich setzen wollte, und der Hausherr empfing sie scherzhaft scheltend in seiner würdevollen, edlen Freundlichkeit. Heut ganz besonders war sein Wesen fein und zuvorkommend, ja, als Herr Friedländer hereintrat, der freilich mit seinen Ketten und Ringen und der kühnen Selbstgefälligkeit seiner Manieren, eine respectable Figur spielte, zog er ihn lächelnd an seine Seite, und der Mann von der Börse sprach so vertraulich mit ihm und dann mit Emma, daß der Major dadurch wieder sehr verdrießlich wurde.
Sein Ärger erreichte jedoch einen noch weit höheren Grad, als Herr Friedländer sich dicht neben ihn hinpflanzte, wo ein Platz unbesetzt geblieben war, weil man den ersten Director des Ministeriums erwartete, obenein aber sogleich ein Gespräch mit ihm beginnen wollte. Mit der größten Unverdrossenheit aß der Major seine Suppe und bewegte den Löffel noch fort als der Teller leer war, zu gleicher Zeit hütete er sich rechts zu sehen, sondern blickte immer die Hofdame an, obgleich er auch mit dieser nicht sprach, weil er abwechselnd an den Juden und an die Rede dachte, mit welcher er die Verlobung ankündigen wollte.
Herr Friedländer schien dagegen von der Natur einen unverwüstlichen Magen in jeder Beziehung erhalten zu haben. Er ließ keine Schüssel vorbeipassiren, ohne sie gehörig zu erleichtern, was den Widerwillen des Majors immer vermehrte; wenn etwas erzählt wurde, lachte er äußerst unanständig und wohl gar so laut mit, daß die Andern verstummten; von dem Zorn des kleines Herrn und dessen unbeschreiblicher Verachtung schien er aber ganz und gar nichts zu merken; denn er richtete immer von Neuem die Rede an ihn, und brachte ihn dadurch in solchen Aufruhr, daß er ernstlich damit umging, sich durch einen Stich, oder Hieb, oder Fußtritt den fatalen Patron vom Halse zu schaffen.
Vorläufig jedoch wendete er sich mit strafender Hoheit zu ihm um, betrachtete ihn durchdringend und kehrte sich dann wieder zu der Hofdame, die ihm eine Anekdote vom höchstseligen Könige erzählte. Herr Friedländer war ungeheuer erschrocken über dies Anstarren. Er betrachtete sich mit vieler Aufmerksamkeit in dem großen Spiegel gegenüber, legte seine Halskrause auf die andere Seite und suchte nach einem Wurm, oder einer Spinne, oder sonst etwas, was das Gesicht des Majors so widerlich verzerrt haben konnte. Da er aber nichts fand, ward er nachdenkend, bis er sich endlich von Neuem zu seinem Nachbar beugte, die Hand vertraulich auf dessen Arm legte und der Hofdame mit seiner schallenden Stimme das Wort abschnitt, indem er sich höchst unmanierlich ins Gespräch mischte.
»Gott,« sagte er, »was wollen Sie doch von der Frömmigkeit, ich sage Ihnen, die Menschen werden eben so selig jetzt, wie vor fünfhundert Jahren. Wer da leben will, muß arbeiten, und bei der Noth, den Sorgen, den schweren Abgaben, den Verlusten, der Überfülle von Menschen, die Alle leben und vergnügt sein wollen, bleibt weniger Zeit zu beten als früher, wo Alles seine Form und sein Herkommen hatte, wo man nichts wußte von Eisenbahnen und Dampfschiffen und wo die Leute nicht fabricirten und speculirten.«
Die Hofdame ward roth im ganzen Gesicht und lächelte verächtlich, der Major aber war ganz starr vor Ärger. Da jedoch die Augen der ganzen Gesellschaft sich auf ihn richteten, suchte er sich zu fassen und sagte mit Nachdruck:
»Aus Ihren Gesichtspunkten betrachtet, mögen Sie Recht haben, aus den unsrigen aber ist diese Welt, wie sie jetzt ist, eine durchaus unnoble und sündenvolle, wo Niemand weiß, wer Herr oder Knecht ist.«
»Knecht!« rief Herr Friedländer noch lauter, »wer wird auch wollen ein Knecht sein, wenn er ein Herr sein kann. Die Zeit der Knechte ist vorüber. Die Welt klärt sich auf, und der Kluge ist der angesehene Mann, der den Segen erntet, man muß nur wissen, was man thut; was meinen Sie, Herr Geheimerath? Die alten barbarischen Zeiten haben freilich anders gedacht, und Mancher mag glauben, es wäre gut, wenn sie wieder da wären, aber was Recht ist, läßt sich nicht unterdrücken, wenn die Zeit da ist, wird's Frühling, und was da tief im Herzen der Menschen wurzelt, das kann nicht wieder ausgerissen werden von der Macht der Vorurtheile«
Der Major drehte, ohne ein Wort zu erwiedern, dem frechen Menschen den Rücken zu. Herr Friedländer sprach weiter, und sah gerade vor sich hin die blasse Tochter des Geheimenrathes an, welche plötzlich erröthete und seufzend ihr Gesicht senkte.
Der junge Bering beugte sich zu ihr, und sagte leise:
»So unerquicklich der Mensch dort ist, so hat er doch wahr gesprochen. Sie sind bewegt, Sie verbergen mir Ihr Gesicht; was hat Sie so plötzlich ergriffen?«
»Eben die Wahrheit seiner Worte,« erwiederte sie.
»Und welchen tiefen Eindruck kann diese wohlfeile Wahrheit auf Sie machen?«
Sie antwortete nicht und Bering berührte leise ihre Hand.
»Theuerste Emma,« sagte er, »Sie wissen, was uns in wenigen Minuten hier erwartet. Wir werden der Gesellschaft eine schöne Scene liefern; man beobachtet uns scharf, lächeln Sie, sein Sie freundlich, damit diese boshaften Wesen nicht etwa glauben, auch hier walte die Macht der Vorurtheile, und könnte doch, was tief im Herzen wurzelt, nicht zerstören.«
Einen Augenblick erröthete das junge Mädchen noch heftiger, dann begriff sie ihre Lage und suchte unbefangen und freundlich zu sein.
»Ich weiß nicht,« erwiederte sie, »was Ihre Worte ausdrücken sollen, aber jedenfalls ist dieser Augenblick schlecht gewählt, um uns über Fragen jener Art zu verständigen.«
»Ist es meine Schuld,« flüsterte Bering lächelnd, »daß man mir so wenig Zeit ließ, Ihnen meine Empfindungen zierlich geordnet darzulegen? Habe ich wohl Gelegenheit zu einem vertrauten Gespräche gehabt?«
»Und wenn Sie diese gehabt hätten?«
»Es würde dann ganz Ihr Werk gewesen sein, mich glücklich zu machen,« erwiederte er und beugte sich vertraulich zu ihr hin. »Die alten Herren, welche unsere Zukunft bestimmt haben, konnten freilich voraussetzen, daß ein gegenseitiges Wohlwollen uns für einander bestimme, sie hielten es daher für überflüssig, uns, oder wenigstens mich, zu befragen.«
»Glauben Sie denn,« sagte Emma, indem sie stolz die Augen zu ihm aufschlug, »daß ich in dem Rathe saß?«
»Nein, in der That, ich glaube es nicht. Aber sehen Sie mich nicht so böse an, man beobachtet uns.«
»Warum hatten Sie in einer so wichtigen Sache keine größere Selbstständigkeit?« sagte die Braut lächelnd.
»Können Sie mir zumuthen,« erwiederte Bering, »daß ich ein so schönes Glück mir selbst verkümmern sollte? Was konnte ich anders wünschen, als Ihre Liebe, meine theure Emma, denn durfte ich diese selige Gewißheit nicht voraussehen, so war es an Ihnen, dies zu erklären.«
Sie beugte sich zu ihm hin und sagte ganz leise und mit krampfhafter Gewalt:
»So wissen Sie es jetzt, ich liebe Sie nicht.«
»Dann,« erwiederte er in derselben Weise, »werde ich Zeit haben, diese Liebe zu erwerben.«
»Haben Sie den Muth dazu, lieben Sie mich nach dieser Erklärung?!«
»Ich muß Gleiches mit Gleichem vergelten,« flüsterte er. »Nein, ich liebe Sie eben so wenig; mein Herz gehört längst einer Andern, es wird ihr ewig gehören, und diese Ehe, zu der man uns hier zwingt, ohne Liebe, ohne wahre Neigung, wird uns niemals glücklich machen und vereinen. Ich beklage Sie und mich!«
Mit prüfenden Blicken sah ihn Emma an. Er lächelte ihr zu, aber in seinen Augen loderte ein feindliches, wildes Leuchten von Schmerz, Zorn und Haß, das sie schaudern machte. –
»Wenn es wahr ist,« sagte sie zitternd, »warum sprechen Sie es nicht aus?«
»Wenn meine süße Braut mich nicht lieben kann,« erwiederte er, »warum ruft sie nicht laut: ich will nicht! – Noch ist es Zeit!«
»Was haben Sie zu verlieren?« fragte Emma.
»Das ganze Vermögen meines Oheims, der mich zu enterben droht, wenn ich mich weigere.«
In dem Augenblick sagte der Major über den Tisch:
»Was flüstert und lacht Ihr denn so vertraulich, Ihr bösen Kinder?«
»Wir gaben uns Räthsel auf,« versetzte sein Neffe, »und können die Auflösung nicht finden.«
»So muß ich es wohl versuchen,« rief der alte Herr mit seiner feinen Stimme, und plötzlich stand er auf, stieß den Stuhl zurück, nahm sein Glas in die Hand, und begann sich kräftig zu räuspern, während die ganze Gesellschaft lächelnd sich zuwinkend und erwartungsvoll ihn ansah und das glückliche junge Paar.
»Nun ist es zu spät!« murmelte der junge Bering, indem er die Hand seiner Braut ergriff, »so nehmen Sie denn, was ich geben kann.«
Emma war todtenbleich, ihre Lippen bebten, die Angst ihres Herzens machte sie fast besinnungslos.
Sie versuchte aufzustehen und vermochte es nicht, sie richtete ihre Augen flehend zu ihrem Vater, zu dem alten Herrn ihr gegenüber, aber sie konnte sie nicht sehen, denn es dunkelte vor ihren Blicken. Plötzlich fühlte sie die Kraft der Verzweiflung zu dein Entschluß, nicht zu wollen, den Muth sich zu widersetzen, und entschlossen zu Allem sagte sie, so laut sie konnte:
»Nein, es ist noch nicht zu spät, ich wünsche mit meinem Vater zu sprechen; ich kann und will nicht gehorchen.«
Aber Niemand hörte in diesem Augenblick auf ihre Worte, obgleich der Major nicht weiter sprach, denn eine sonderbare Unterbrechung hatte Statt gefunden. Draußen an der Thür sprachen mehre Stimmen, befremdend laut und bestimmt, und plötzlich eilte der Diener des Geheimenraths herein, bleich und ganz außer Fassung, der seinem Herrn laut sagte, was er vielleicht ihm zuflüstern wollte.
»Mein Herr Geheimerath,« rief der erschrockene Mensch, »draußen sind mehre Herren, ich glaube von der Polizei, man will Sie durchaus sprechen, und obgleich ich mich widersetzt habe und ihnen sagte, sie möchten morgen wiederkommen, sie wollen nicht – haben nicht den geringsten Respect.«
Er wies damit gegen die Thür des Vorsaals, welche er zum Überfluß offen gelassen, und draußen standen allerdings zwei Herren, die zwar durchaus nicht wie Polizeibeamte aussahen, aber hinter sich wirklich ein paar uniformirte Leute am Ausgange ausgepflanzt hatten.
Die Gesellschaft saß ganz lautlos vor Erstaunen, allen Gedankencombinationen überlassen, nur der Geheimerath war aufgestanden, einen Augenblick erbleichend, und dann mit aller Selbstbeherrschung seine Züge zur Unbefangenheit zurückzwingend, gerade als die beiden Herren, dem Diener folgend, hereintraten und sich höflich verbeugten.
»Verehrter Director,« sagte Ringenberg lachend zu dem Ersten von ihnen, der ein Ordensband trug und einen weißgepuderten, sehr langen, ernsthaften Beamtenkopf hatte, »welch thörichter Mißverstand ist das?! Ich erwartete Sie früher schon.«
»Als Ihr Gast,« sagte der Director kalt. »Es thut mir leid, Herr Geheimerath, nicht allein diese Ehre nicht annehmen zu können, sondern Ihr freundliches Mahl unterbrechen zu müssen, da ich ein dringend wichtiges Geschäft mit Ihnen abzuthun habe.«
Der Geheimerath fixirte ihn scharf, dann sagte er zu seinen Gästen: »So müssen Sie mich entschuldigen, meine Damen und Herren, ich bitte aber, sich durchaus nicht stören zu lassen. Lieber Major, treten Sie an meine Stelle und sein Sie ein liebenswürdiger Wirth« –
Der alte Herr war jedoch durchaus nicht in der Stimmung, auf den Vorschlag zu hören. Er hatte den Begleiter des Directors mit wachsender Angst betrachtet, obgleich gar keine Ursach zu sein schien, diesen jungen blonden, vergnüglich aussehenden Mann für gefährlich zu erachten. Aber der Major kannte ihn, und eben darum gerieth er so sehr außer Fassung, daß er plötzlich auf den mit lächelnder Würde abgehenden Geheimenrath zueilte, ihn beim Arm ergriff und ihm einige Worte ins Ohr flüsterte, die jener mit einer abweisenden und tröstenden Versicherung zu erwiedern schien.
»Nein,« rief Bering dringend, indem er ihn festhielt, »nicht später, jetzt, sogleich! Wo haben Sie es?«
»Aber, mein tapferer Freund,« sagte der Geheimerath, »Sie werden mich beschädigen.«
»Scherzen Sie nicht, wo es so bitterer Ernst ist;« versetzte Bering noch lauter, »überhaupt« – hier brach er mit einem vielbedeutenden Blicke ab, in welchem aber deutlich genug zu lesen war, was es heißen sollte. – »Kurz und gut, ich will mein Geld wieder haben,« sagte er.«
»Mit dem größten Vergnügen,« erwiederte der Geheimerath ruhig, »ich werde es Ihnen sobald als möglich einhändigen.«
»Jetzt gleich, auf der Stelle!« rief der Major. »Ich werde Sie nicht fortlassen, bis ich es habe.«
Der Geheimerath machte mit einiger Heftigkeit seinen Arm frei, daß der alte Herr zurücktaumelte.
»Ich muß bemerken,« sagte er stolz, »daß Sie mir dies Geld ganz gegen meinen Willen aufdrangen, Herr von Bering.«
Die Gesellschaft gerieth durch den Streit in Bewegung. Der junge Bering suchte seinen Onkel zu beruhigen, und Emma, die von alle dem nichts verstand, näherte sich ihrem Vater, der die äußere Ruhe noch immer zu behaupten suchte.
»Es handelt sich also hier nur um eine Geldsumme, die in Ihrem Besitz ist?« fragte der Ministerialdirector. –
»Allerdings, ja,« versetzte Ringenberg. –
»Wo haben Sie diese verwahrt?« –
»In meinem Gartensaal im Schrank über dem Kamin. Sie gehört dem Herrn Major von Bering, der mir sie vor einigen Stunden übergab.«
Der Director wandte sich an den halb beruhigten Edelmann.
»Wollen Sie die Güte haben, mir den Empfangschein zu zeigen?«
»Empfangschein?!« rief der Major ihn anstarrend. »Mein Gott! ich habe keinen.«
»Dann fürchte ich,« sagte der Director halb lächelnd, »werden Ihre mündlichen Verabredungen Ihnen nichts helfen. Sie werden das Geld nicht zurück erhalten, wenigstens jetzt nicht.«
»Ich bitte um eine nähere Erklärung dieses Verfahrens, Herr Director,« erwiederte Ringenberg würdevoll.
»Wir werden nachher Zeit dazu finden, wie ich denke.«
»Jetzt, jetzt, wenn ich bitten darf,« rief der Geheimerath eifrig.
»Warum soll ich Ihnen sagen, was Sie wissen oder doch ahnen müssen, Herr Geheimerath,« versetzte der Director halblaut. »Ich bitte Sie, mir zu folgen.«
»Nicht eher, bis ich weiß, mit welchem Rechte Sie mir in meinem Hause Gesetze vorschreiben.«
»Wenn Sie es durchaus wollen,« sagte der hohe Beamte – »lesen Sie das.«
Er reichte ihm ein Papier hin, das der Geheimerath hastig durchflog, während eine dunkle Röthe sein Gesicht bedeckte. Dann schlug er es wieder zu und gab es dem Director zurück, dem er eine leichte Verbeugung machte.
»Ich sehe Alles ein,« sagte er lächelnd, »der Irrthum wird sich jedoch bald aufklären, ein sehr fataler, bedauerlicher Irrthum.«
Der Director wandte sich nach der Thür, durch welche sein Begleiter eben wieder hereintrat.
»Nun, Herr Polizeirath?« sagte er.
»Ich habe das Schränkchen allerdings gefunden,« erwiederte der lächelnde Mann, »aber es war vollkommen leer.«
»Leer!« rief der Major, »leer? Wo haben Sie das Geld, Herr? mein Geld! – Schon verspeculirt, schon den Juden und Wucherern überliefert? Heraus damit, ich durchschaue jetzt alle die Schändlichkeiten. Speculation! Defraudation! Cassation! Arrestation! Herr Gott! ich habe es immer geahnt, und doch war ich so verblendet. – Wo ist mein Geld?! Ich rufe Sie Alle als Zeugen auf, daß es mein Eigenthum ist. Mein Geld!«
Der Geheimerath überhörte diese Beleidigungen.
»Es ist unmöglich!« sagte er, »das Geld muß dort sein. Es war ein Päckchen mit Papieren, die ich freilich nicht untersucht habe, und daher den Inhalt eigentlich nicht kenne.«
»Schändlich! schändlich!« rief der alte Herr, »da sieht man, wie ich betrogen werden soll.«
»Lassen Sie mich selbst nachsuchen,« fuhr Ringenberg fort, »ich kann es nicht glauben; lassen Sie uns gehen. Meine Genugthuung werde ich später zu erhalten wissen.«
Im Augenblick, wo er sich umwendete, ward er von seiner Tochter festgehalten, die krampfhaft schluchzend in seine Arme sank. Ihre angsterfüllten Blicke suchten in seinem Gesichte zu lesen.
»O, Vater! Vater!« rief sie leise, »was will man von Dir, was hast Du gethan?«
Das Lächeln verschwand aus dem Gesichte des stolzen Mannes. Von einer grauen Blässe überdeckt, und zitternd beugte er sich zu ihr nieder und küßte ihre Stirn.
»Ruhig, mein Kind,« sagte er, »es ist nichts. Diese widerwärtigen Austritte, welche so tief in Dein und mein Lebensglück eingreifen, sind wie aus heiterer Luft gefallen. Ich kann und will es unsern verehrten Gästen, die so viel gehört haben, nicht verbergen. Man hat mich angeklagt, verläumdet, man kündigt mir nicht allein eine genaue Rechnungsablegung, sondern auch eine vorläufige Beschlagnahme meiner Papiere und meiner Person an. Man wird hier Alles unter Siegel legen; suche auf einige Tage Dich zu beruhigen, wähle einen Aufenthalt bei einem unserer Freunde, ich werde mich bald gerechtfertigt haben. Lebe wohl, mein Kind!«
Er machte sich sanft von ihr los und ging.
Emma wollte ihm nach, sie stieß einen lauten Schrei aus und sank in ihres Bräutigams Arme, der sie in einen Lehnstuhl trug.
Der alte Major lief schreiend hinter seinem Schuldner her, die Gesellschaft aber suchte sich so bald als möglich zu entfernen. In einigen Augenblicken war sie verschwunden. Die Tafel mit feinen Speisen aller Art bedeckt, die Verwirrung umher, die Flucht der Gäste, als sei ihnen Gift hier gereicht worden, Alles bot einen seltsamen Anblick.
Die alte Hofdame stand an der Thür still und sah sich durch ihr Glas einen Augenblick die ohnmächtige Braut an.
» Pauvre fille!« sagte sie, »mais – es ist unerhört! Man darf nicht zugeben, daß man sich verleiten ließ, hier gewesen zu sein.«
»Verwaltete der Geheimerath nicht die Hauptkasse?« fragte einer der Herren, indem er sich mit seinen Zähnen beschäftigte und den Hut suchte.
»Freilich,« erwiederte der Andere leise lachend, »Millionen gingen durch seine Hände, es wäre kein Wunder, wenn er das Pech hatte, daß etwas daran kleben blieb.« –
»Es ist gar kein Zweifel,« sagte ein Dritter, »er hat einige sehr beträchtliche Confecte gemacht. Ohne Gewißheit träte man nicht so gegen ihn auf. Ich bedaure den armen Bering.«
»Er war die rechte Hand des Ministers,« flüsterte ein Vierter, »es muß noch etwas Anderes dahinter stecken. Die Stellenjagd verstand er, und ließ sich seinen Einfluß gut bezahlen.«
»Jedenfalls,« murmelte ein kleiner Herr, der seine Zeit benutzt hatte, den Aufsatz zu plündern und sich beide Taschen voll Kuchen und zierliche Süßigkeiten zu stecken, »ist es ungemein schade. – Es war ein äußerst angenehmes Haus, man bekam hier immer die ersten Schoten und grünen Bohnen. Aber laßt uns gehen, wir sind wahrhaftig die letzten und ich glaube, das Mädchen will aufwachen.« –
Sie gingen und beim Erwachen der Verlassenen waren nur drei Personen zugegen. Bering, der einige Wiederbelebungsversuche machte, Herr Friedländer, welcher gedankenvoll seine lange Nase über die hohe Lehne des Stuhles steckte und dabei leise vor sich hin sprach, endlich ein junger Mann, dessen Eindringen unbemerkt geblieben war und den man für einen herbeigerufenen Arzt nehmen konnte, denn er hielt Emma's Hände in den seinen, lehnte sich über sie hin und suchte still in ihrem Gesicht, als forsche er nach den Mitteln, die wohl für ihren Zustand die zweckdienlichsten sein würden.
Niemand von diesen drei Männern schien sich um den Andern zu bekümmern; als aber ihr Schützling die Augen aufschlug, änderte sich Alles. – Mit größerer Kraft, als ihr zuzutrauen war, richtete sich Emma auf, sah fragend umher, blickte dann den Fremden an, der ihr leise sanfte Trostworte sagte, und plötzlich umschlang sie ihn mit beiden Armen. –
»O, Franz,« rief sie weinend, »Gott sei gelobt! ich bin nicht verlassen, aber mein Vater, mein armer, lieber Vater!«
»Nur Ruhe, nur Muth,« erwiederte der junge Mann, »es wird und muß sich Alles zum Guten wenden. Kein Mensch,« sagte er, indem er sie leidenschaftlich küßte, »soll mehr zwischen uns treten. Wenn Alles Dich verläßt, wenn Schmach und Schande den Schwarm der Elenden fortscheucht, die in guten Tagen sich Freunde nannten, ich bleibe treu.«
»Ich sehe nach diesen Erörterungen,« sagte Bering mit seiner kalten Ruhe, »daß ich meine bisherigen Ansprüche aufgeben muß. – Sie sagten die Wahrheit, Herr Doctor, aber warum brachte man mich in eine so falsche Lage? – Doch lassen Sie uns ruhiger werden, um zu urtheilen. Leben Sie wohl, Emma, ein wahrer und getreuer Freund wird Ihnen immer bleiben.«
Herr Friedländer zog seine Nase vom Stuhl zurück und sah ganz erstaunt dem Fortgehenden nach. –
»Gott's Wunder!« sagte er, »was ist das? Der Eine geht und der Andre kommt, man kann es nicht begreifen. Aber es ist gut so, bei Gott! es ist gut, denn ich will hundert Thaler verlieren, daß es leere Worte sind und er froh ist, daß er die Thür hinter sich hat. – Hören Sie, Fräulein Emma,« sagte er und trat zu den Bleibenden. »Ich bin ein einfacher Mann, kein Baron und kein Geheimerath, aber ich bin ein Freund Ihres Vaters. Nehmen Sie sich nicht zu Herzen die Geschichte, und daß sie Alle fortlaufen, wenn der Sturm bläst. Das ist in der ganzen Welt so, und liegt an dem, der die Menschen nun einmal so geschaffen hat. Aber kommen Sie in mein Haus, wir wollen sehen, was wir thun. Der Herr Vater ist ein mächtiger, kluger Mann, der weiß sich zu helfen, und wenn es auf Geld ankommt – ich habe auch Geld, und der Herr Vater hat bei mir eine hübsche Summe. Ich habe gekauft für ihn, und die Geschäfte stehen gut; kommen Sie fort; thun Sie, was der Herr Vater befohlen hat.«
»Auch ich,« sagte Franz, »biete Ihnen eine Zuflucht an. Arm, bescheiden, klein zwar, aber von der Liebe gegeben und gehütet. Wollen Sie mich begleiten, Emma?«
Sie blickte ihn zärtlich an und sagte:
»Ich will mich nicht von Ihnen trennen, Franz, von meinem besten, theuersten Freunde. Herr Friedländer wird mir verzeihen.«
Herr Friedländer lächelte. –
»Ich weiß wohl, daß er Ihnen lieber ist, wie ich. – Sie handeln, wie es das junge Herz will, aber was auch die Leute dagegen reden können, es scheint mir, daß das Geschäft nicht schlecht ist.«
Der Major kam am nächsten Nachmittage erst in der Dämmerstunde und in der allerübelsten Laune nach Haus. Er war zu Pontius und Pilatus gelaufen und gefahren, hatte antichambrirt und die kläglichsten Bitten, wie die gröbsten Anschuldigungen vergebens erschöpft, überall war ihm der Bescheid geworden, er möge seine Sache später gegen den Geheimenrath anhängig machen, wobei man ihm jedoch geradezu sagte, daß eigentlich ohne Beweis, und wie die Sachen überhaupt ständen, wenig für ihn zu hoffen sei.
Von Ringenberg hatte er nur so viel erfahren, daß derselbe, nachdem man seine Papiere und seine ganze Wohnung durchsucht und versiegelt hatte, in das Büreau, dessen Chef er war, geführt worden sei, wo er mit den Commissarien die ganze Nacht gearbeitet haben sollte. – Was nun geschehen würde, das wußte Niemand zu sagen, aber schwere Beschuldigungen genug wurden ausgesprochen. – Große Summen fehlten, Bestechungen, Verfälschung von Zahlen und Belegen, Unterschlagung wichtiger Documente, das Alles schütteten die Gerüchte über den verlorenen Mann aus.
Wie der Major die Straße hinabging, stieß er mit seinem großen Stocke so grimmig auf jeden Pflasterstein, als wolle er sie alle zermalmen. Es galt aber eigentlich dem schurkischen Geheimenrath, den er so zerarbeitete, und eben murmelte er einen neuen unermeßlichen Fluch über diese ganze verwünschte Verlobungs- und Heirathsgeschichte, als er um die Ecke bog und seinen Neffen erblickte, welcher von einer großen Weibsperson in dunklem Hut und Wollenmantel angehalten ward, die ihrem Äußern nach offenbar zu den niedern Ständen gehörte.
Wie der alte Herr seinen Neffen sah, bekam sein Zorn eine bestimmte Richtung, denn er fand einen Gegenstand, an dem er ihn mit Fug und Recht auslassen konnte. Denn hätte er diesen jungen unnützen Verwandten nicht gehabt, so würde er allen Ärger und alle Verluste gespart haben. –
Er empfand daher auch die größte Versuchung, ihn sogleich zu erwarten, nach einem kurzen Besinnen zog er es jedoch vor, lieber vorauszugehen, um ihm unter Zurechnung seiner Bekanntschaften mit solchem liederlichen Volk, wie das schwarze Frauenzimmer, daheim gehörig die Epistel zu lesen.
Vorläufig blieb er in der Hausflur stehen und beobachtete durch einen kleinen Spalt in der Thür, wie sein Neffe im Gespräch mit der Begleiterin herankam, die ihm offenbar sehr lästig war, und da nichts bei dem alten Herrn im Alter weniger abgenommen hatte, wie das Gehör, so verstand er jede Silbe.
»Thörichtes Mädchen,« sagte der junge Mann, »geh, verlaß mich! Du bist sonst so klug und verständig, warum willst Du es jetzt nicht sein?«
»Ich will eine feste, bestimmte Antwort,« erwiederte sie. »Sie müssen mir vertrauen, wenn ich Ihnen glauben soll.«
»Aber ich gebe Dir mein Wort zu Pfande, daß alle Deine Voraussetzungen völlig falsch sind.«
»Was ist das Wort eines Mannes, wenn es darauf ankommt, seine Thaten damit zu verdecken. Nicht Worte, ich will Beweise. Nennen Sie mir den Namen der Mutter, wenn es der nicht ist, den ich nannte.«
»Ich will und kann nicht,« erwiederte Bering, »aber ich kann auf's heiligste betheuern –«
»Betheuern Sie nichts,« fiel sie ein, »ich würde es doch nicht glauben, Herr von Bering. Ich habe gelobt, gegen Jedermann zu schweigen, aber auch das hat seine Gränzen, wenn dadurch Elend und Unglück über meinen Bruder kommen soll. – Als Sie das unschuldige Kind in meine Arme legten, dachte ich nicht, daß sein Schicksal sich mit dem einer armen Familie so nahe verknüpfen würde; ich liebte das unschuldige, verstoßene Wesen – ich liebe es noch, weil es Ihr Kind ist,« sagte sie leise – »aber treiben Sie es nicht weiter, wenn nicht Alles an den Tag kommen soll.«
»Mag kommen, was kommen muß!« sagte er dumpf vor sich hin.
»Das ist nicht die Sprache eines Christen und wackern Mannes,« erwiederte sie vorwurfsvoll, »aber o! ihr reichen, kalten, hartherzigen Leute, ihr opfert die heiligsten Gefühle, Glauben, Gott und Hoffnungen für das, was ihr berechnet habt. Wie mein Bruder das verlassene unglückliche Mädchen ins Haus führte, sie so krank und bleich auf meinem Bett saß und weinte und mich küßte, da ging mein ganzes Herz in ihrem Elende auf. Ich faßte ihre Hände, sah sie lange freundlich an und fühlte es ordentlich, daß ich meinen Muth in ihre kranke Brust gießen konnte. – Dann nahm ich das Kind plötzlich und legte es in ihren Schooß, indem ich ihr mit bedeutungsvoller Stimme sagte, daß ich es vor acht Tagen gefunden hätte. Sie wendete sich ab und umfaßte meinen Bruder.«
»Und dieser Beweis,« rief Bering, »war dennoch nicht im Stande, Dir eine Gewißheit zu geben? – Diese heiße Liebe zu Deinem Bruder gilt Dir nichts?!«
»Sie liebt ihn jetzt, ja sie liebt ihn gewiß, aber Mädchen haben schwache Stunden, die sie ewig bereuen müssen. Sie zitterte, sie ward todtenbleich, doch sie hatte die Kraft, sich abzuwenden. Heut den ganzen Tag liegt sie nun krank und matt in meines Bruders Zimmer, der nicht von ihrem Lager weicht. Was aber auch geschehen mag, er muß Alles wissen. Er muß es erfahren, daß das Kind der gehört, die er mit so edler, treuer Liebe anbetet, und daß Emma Ringenberg es doch nicht verdient.«
»Sprich den Namen hier nicht aus,« flüsterte er, sich scheu umblickend. »Unbesonnenes Mädchen, willst Du mich und mein Geheimniß Preis geben?!«
»Nein,« erwiederte sie, »ich will schweigen gegen Jedermann, aber ich will nicht zu Ihrem Werke helfen. Ich sage es gerade heraus, jetzt, wo doppelte Schande über Emma gekommen ist, müssen Sie sie heirathen. Das ist männlich und recht gehandelt.«
Bering schwieg einen Augenblick, dann sagte er mit melancholischer Stimme:
»Du hältst mich für böser als ich bin. Laß mich nachsinnen, was geschehen muß. Wenn es so ist, wie Du sagst, so verlaß Dich darauf; diese Hand, meine rechte Hand, soll verdorren, und möge aller Fluch der Welt auf mich fallen, wenn ich nicht handle, wie ich muß. – Jetzt geh, Hannchen. Glaube mir, vertraue mir, morgen suche ich Dich auf, Du sollst Alles erfahren.« –
»Bis morgen also,« rief sie bedeutungsvoll. –
»Bis morgen,« flüsterte er. – »Was auch kommen mag, ich vertraue Dir.«
Wie er die Thür aufmachte, drängte sich der alte Herr in die finstere Ecke. Es summte ihm wie toll und wild im Kopfe, der Kreistanz von all' dem Zeug, das er gehört hatte und das er doch kaum glauben konnte, machte ihn fast unsinnig. – Das Kind, sein Neffe, die blasse schüchterne Tochter des Geheimenraths, es war unmöglich, und doch hatte es Rudolf ja halb und halb zugegeben; wenigstens aber lag hier ein schmähliches Geheimniß zu Grunde, das ihn empörte. –
Er hatte heut auch schon erfahren, daß Emma das Haus ihres Vaters verlassen und irgendwo eine Zuflucht gesucht habe; jetzt hatte er auch Hannchen erkannt, die Tochter des alten Meisters, dessen er sich wohl erinnerte, und sein Zorn erhielt einen neuen Grund, wenn er daran dachte, daß sein Neffe mit solchem gemeinen Volk in vertrauten Verbindungen stand. – Wenn es aber wahr war, wenn der Schwur, den Rudolf so feierlich ausgesprochen, in Erfüllung gehen sollte, wenn die Tochter des Betrügers, des Verbrechers, seine nächste Verwandte werden sollte! – er zitterte vor Grimm und blieb auf jeder Treppenstufe stehen, um sich zu wiederholen, daß er den Taugenichts fortjagen und jede Verwandtschaft mit ihm ableugnen wolle.
So trat er in sein Zimmer, mit halblauter Stimme seine Entschlüsse hermurmelnd. Es war finster, aber im Ofen brannte Feuer, das einen Dämmerschein verbreitete, bei welchem der alte Herr die Umrisse einer Gestalt bemerkte, die ihm langsam entgegen kam.
»Mamsell Beate,« sagte er, »sind Sie es?«
»Ja, Herr Major,« erwiederte eine sanfte weibliche Stimme.
»Nehmen Sie meinen Hut und Stock, und stellen Sie beides fort.«
»Ich werde sogleich Licht besorgen.«
»Lassen Sie es,« sagte der alte Herr seufzend, »ich bin froh, wenn Niemand mein Gesicht sehen kann.«
»Mein Gott, was ist denn geschehen?l! Soll ich Hülfe herbeirufen?«
»Rufen Sie keinen Menschen, Mamsell Beate,« sagte der Major, »es braucht Niemand zu wissen, wie betrübt es mit mir geht«
»Sie bringen keine guten Nachrichten mit?« fragte sie leise.
»Es ist ein altes Sprichwort: ein Unglück kommt nie allein, aber das ist zu arg, das bringt mich ins Grab! – Mamsell Beate, Sie sind ein gutes Kind. Seit drei Jahren sind Sie nun in meinem Hause, eine rechtschaffene, gebildete Gesellschafterin meiner alten Tage. Halten Sie bei mir aus, ich werde es einst gut zu machen suchen.«
»Ich wünsche mir, daß ich helfen könnte, Ihren Kummer zu tragen,« sagte die Gesellschafterin.
»Das ist die Folge,« rief der Major bußfertig seufzend, »wenn man sich mit solchem gemeinen Volk einläßt, das ist meine Strafe, daß ich es gegen meine bessere Überzeugung gethan habe. Ich kann es gar keinem Menschen erzählen, denn sie lachen mich obenein aus. Ich hatte immer eine heimliche Wuth gegen den groben, protzigen Patron, der mich so wie seines Gleichen behandelte, oder vielmehr, wie ein Gönner zu mir that, und doch drängte ich mich danach, mit ihm in Verwandtschaft zu treten, ihm mein Geld hinzuwerfen, und jetzt darf ich nicht einmal sagen, daß ich den gemeinen betrügerischen Kerl immer verachtete und ihn höchstens zu guten Zwecken benutzen wollte.«
»Es kann ja noch Alles gut werden,« meinte die Gesellschafterin, »und Sie haben, dem Himmel sei Dank! keine Verlobung gefeiert.«
»Mamsell Beate,« sagte der alte Herr, »Sie wissen nicht, welche Kämpfe es kostet, ehe ein Mann von guter Geburt sich entschließt, seine Einwilligung zu einer solchen erniedrigenden Verbindung zu geben. Man sucht tausend Gründe auf, um sich zu betäuben, aber wie ein Mensch, der durch den Trunk sein Gewissen beschwichtigen will, reißt doch Alles wieder entzwei, sobald der Rausch vorüber ist. Ja, ich danke Gott, daß diese Verlobung nicht gefeiert wurde, und eher will ich das Ärgste ertragen, auf mein Wort! ehe ich es zugebe, daß Rudolf etwa jetzt noch das kleine, häßliche, liederliche Geschöpf heirathet; lieber soll er Sie heirathen, Mamsell Beate.«
»Herr Major,« rief die Gesellschafterin.
»Nehmen Sie es nicht übel, Mamsell Beate, aber ich kann mir in meiner Wuth nicht anders helfen. Sie sind auch arm, aber Ihr Vater, der Postsecretair, ist als ein ehrlicher Mann gestorben, und Sie sind ein anständiges, tugendhaftes Mädchen. Sittsamkeit ist die höchste Zierde des Weibes. Was giebt es wohl Edleres und Herrlicheres auf Erden, als ein unschuldvolles, liebliches Mädchen, was ist verabscheuungswerther als das Laster, welches den Stempel der Sünde und Krankheit auf den elenden Leib drückt.«
Ein tiefes, schmerzhaftes Seufzen antwortete dem alten Herrn, der sogleich fortfuhr:
»Seufzen Sie nicht, Mamsell Beate, Sie haben das nicht nöthig. Die paar Tage, wo Sie krank waren, haben Ihr hübsches Gesicht nur noch schöner und unschuldiger gemacht; der Tochter des Bösewichts aber, des Geheimenraths, der liegt das Laster offen da in allen Zügen. Liebe Mamsell Beate, wenn Sie nicht ein so reines gutes Kind wären, so würde ich Ihnen eine Geschichte erzählen, vor der Sie schaudern würden, wie weit die Verruchtheit auf Erden geht. Wie eine gewissenlose Mutter ihr Kind auf die Straße wirft, wie ihr verbrecherischer Verführer sie zu verkuppeln sucht und gemeinem Gesindel sich und seine Zukunft anvertrauen muß.«
»Allmächtiger Gott! Verschonen Sie mich,« rief die Gesellschafterin.
»Ihr Abscheu ist gerecht,« sagte der alte Herr; »denken Sie aber, welchen Gram ich empfinden muß, denn dieser schlechte Mensch, der mir all' das Leid zugefügt, um dessentwillen ich allein mit der schändlichen Familie Ringenberg mich eingelassen, der mich um Geld und Reputation gebracht« – hier hielt er inne und sah scharf in den dunkeln Winkel am Fenster, wo ein Geräusch entstand – »Ist noch Jemand hier?« fragte er.
»Ich bin hier,« erwiederte die Stimme seines Neffen.
»Was ist das?« rief der Major. »Warum sagt man mir das nicht?! Aber es ist gut so, denn Du hast mein Urtheil über Dich gehört; weißt nun, wie ich hinter Deinen schlechten Streichen bin, und hast meinen Schwur auch wohl vernommen.«
»Onkel« sagte der junge Bering, »ich schwöre Ihnen« –
»Lügner!« rief der Alte mit äußerster Heftigkeit, »schamloser Lügner! willst Du läugnen, daß Du ein Kind, Dein Kind! einem Mädchen überliefert hast, mit der Du früher schon in Buhlschaft lebtest? Willst Du läugnen, daß in dieser schlechten Familie auch die Tochter des Betrügers Aufnahme gefunden, daß Du sie, wenn das Verkuppeln mißlingt, selbst heirathen willst?!«
»Wer hat das gesagt?« erwiederte Rudolf. »Wer ist so frech, solche Nichtswürdigkeiten zu verbreiten?«
»Du läugnest wie ein abgefeimter Schelm,« schrie der Major, »aber es soll Dir nichts helfen. Ich will die Wahrheit herausbringen und Dich entlarven. Dann aber ist es aus mit uns. Dann gehe Deinen Weg, ich werde den meinen finden. Ich streiche Dich aus meinem Gedächtniß, und werde das Glück genießen, keinen Neffen zu haben, der Schulden und schlechte Streiche zur Schande seiner Familie macht Ich kenne Dich nicht mehr.«
»Sie verdammen mich ohne Beweis,« sagte Rudolf stolz. – »Folgen Sie Ihren Entschlüssen, entziehen Sie mir Ihre Hülfe, aber belasten Sie mich nicht mit Verbrechen, die ich nicht begangen habe.«
»Du forderst mich also zum Beweise heraus?« rief der Major; »Du willst es auf die Spitze treiben, und statt reumüthig zu bekennen und zu bitten, statt einen Ausweg zu ersinnen, um Deine Ehre und die meinige vor der Welt zu retten, prahlst Du mit Deiner Schuldlosigkeit. – Gut, ich will Die den Beweis liefern, ich selbst verlange danach. – Beate! Wo ist Mamsell Beate?«
»Sie ist nicht hier,« sagte der Neffe.
»Das Beste für sie, damit sie nicht zu erröthen hat. Gut, gieb mir Hut und Stock und folge mir; begleite mich, ich will Dir den Beweis geben; doch dann tritt nie wieder vor meine Augen.«
Herr Grün konnte es nicht mehr aushalten. Drei Tage waren ihm endlos langweilig vergangen, und wie oft er auch einen neuen Anlauf zu seiner Ermannung nahm, wie er sich auch die allerkaltblütigsten und vernünftigsten Vorstellungen machte, es half Alles nichts; nach wenigen Viertelstunden war er mit seinem Herzen und seiner Unruhe auf der alten Stelle. –
Er zürnte mit sich selbst und hatte wirklich die allergerechteste Ursache dazu, denn es war empörend, oder lächerlich, was er für Unbesonnenheiten beging, und wie er im nächsten Augenblick vergaß, was er gedacht hatte oder thun wollte. –
Er starrte seine Kunden an, oder er gab ihnen Alles, nur das nicht, was sie eben forderten; als er aber einer Dame, die Haarwuchspomade begehrte, eine große blonde Perücke überreichte und die beleidigte Schöne mit einigen heftigen Bemerkungen wüthend seinen Salon verließ, legte er die Faust mit solchem Nachdruck an seine Stirn, daß er eine Zeit lang glaubte, er habe keinen Verstand mehr zu verlieren. Dann fühlte er sich an den Puls und lächelte melancholisch. –
»Grün,« sagte er, indem die Thränen aus seinen Augen stürzten, »ich bitte – Dich, sei ein Mann, vergiß die Welt und ihre Schmerzen und fang' ein neues Leben an.« –
Hier machte er eine Pause und stöhnte kläglich.
»Ach, wenn ich es könnte; ihr Götter! wenn ich es nur könnte! aber ich bin verhext oder ganz und gar dem Satan verfallen. Wohin ich mich wende, steht sie vor mir; wenn ich an mein Geschäft denken will, ist sie da und hindert mich, und nickt mir zu, und lächelt und kämmt ihre schwarzen, glänzenden Haare und zeigt mir die beiden Reihen weißer Zähne, o! es ist um verrückt zu werden, und wer ist sie? und wer bin ich?! – Sie ist arm, auch nicht mehr gerade in der ersten Blüthe; zum Henker! nein; vor zehn Jahren sah sie schon eben so aus, und das Kind, das abscheuliche, merkwürdige Kind! Nein, Grün, die Götter wollen Dein Verderben, es geht aber nun und nimmermehr nicht!«
Hiebei that Herr Grün einen fürchterlichen Schlag auf den Tisch, und fing dann plötzlich an zu weinen, bis er von Neuem sich Muth einsprach und von Neuem verzweifelte. In einem solchen Liebes- und Wuthanfalle sah er den Bruder Franz aus dem Hause des Geheimenraths kommen, und er war glücklich, ihn zu sehen. Er zog ihn, wie wir wissen, herein, und schwadronirte ihm in unerschöpflicher Weise seinen Kummer vor und seine Hoffnungen, freilich in verblümter Manier, aber ein Blinder hätte es merken können, nur Franz nicht.
Drei Stunden saß der wie angeleimt, sah zum Fenster hinaus und hörte Herrn Grün zu, der von ihm Theilnahme und wo möglich Vermittlung und Heilung seiner Leiden erwartete. Aber Franz sagte nichts als: So, und Ei, und Ja, und einige andere ausdrucksvolle Interjectionen, bei denen sich Jeder denken kann, was er Lust hat, bis Herr Grün etwas ärgerlich wurde und eben eine directe Erklärung zu machen beabsichtigte, als Franz plötzlich aufsprang, seinen Hut nahm und davon lief, zum größten Erstaunen seines Freundes, der in seiner eigenen Verwirrung kaum bemerkte, daß am Hause des Geheimenraths ein Wagen hielt und einige Personen hineingingen.
So war denn Herr Grün um so trostloser und verlassener. Seine männlichen Entschlüsse wankten immer stärker, bis er endlich am nächsten Tage in vollkommene Schwäche verfiel. – Er setzte sich in seinen Haarschneidestuhl, kreuzte Arme und Füße, ließ den Kopf tief auf die Brust sinken und sagte nach einer langen Pause mit einem Seufzer:
»Es geht nicht mehr, ich kann es nicht länger aushalten, was hilft es mir also, mich noch länger herumzuquälen? Es sitzt mir hier was in der Brust, wogegen alle meine Weisheit und mein Genie nichts ausrichten kann. Grün, Du bist überwunden von dem kleinen Gott der Liebe, und wenn Du nicht ganz und gar zu Grunde gehen willst, so eile in die Arme Deiner Geliebten und laß Kind Kind sein. Nimmst Du die Eine, so danke Gott für das Andre, wer weiß denn auch, wofür Alles gut ist?!« –
Er stand hiebei ganz vergnügt auf und sagte mit beruhigender Überzeugung:
»Am Ende sind alle Deine Skrupel und Zweifel ganz und gar eine Kinderei. Was ist denn eigentlich ein Kind? Ein kleiner, werdender und wachsender Mensch, ein Geschöpf mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Magen, was freilich nicht recht zu verantworten ist; aber wo wir essen, kann es auch wohl satt werden, und verstoßen kann man es doch darum nicht, und wenn es groß ist, hat man seine Freude und Hülfe, und vielleicht finden sich auch einmal die Eltern und bezahlen alle Sorge und Mühe und Kosten reichlich; kurz ich will sie alle beide haben, ja, wahrhaftig, das will ich und Hannchen – Es war ungeheuer grausam von mir, in beinahe acht Tagen nicht hinzugehen; sie wird in einer merkwürdigen Unruhe sein.«
Herr Grün verbesserte diesen Fehler sogleich, indem er sein Gewölbe schloß, seinen Hut in die Stirn drückte und mit fieberhafter Eile nach dem entfernten Stadtquartiere flog. Je näher er aber seinem Ziele kam, um so mehr mußte er seinen Muth zusammennehmen, denn eine Art Angst kam ihn an, und endlich steckte er ganz behutsam den Kopf durch die Thür und blieb in der Stellung eines Lauschenden stehen.
Der alte Meister saß vor ihm an dem Arbeitstische, und der helle Lampenschein fiel auf sein graues, kummervolles Haupt, das sich tief herabsenkte. Die Hände hatte er gefaltet über sein Knie gelegt; seine Mienen waren zornig, sein Auge hervorgequollen unter den harten Zügen, so sprach er leise vor sich hin und machte heftige abwehrende Bewegungen dazu, was Herrn Grün noch mehr beängstigte. Ganz leise trat er herein und fürchtete sich fast guten Abend zu sagen. Als er die Worte aussprach und dabei in gewohnter Weise seine Dose dem alten Meister entgegenreichte, drehte sich dieser langsam zu ihm um, und seine trüben Mienen verwandelten sich nicht im Geringsten, auch that er gar nicht als bemerkte er die Hand mit der Dose, so daß Herr Grün auf's Äußerste erschrocken war.
»Guter Gott!« rief er, »was ist Ihnen widerfahren, Papa Liebold. Wo ist Hannchen?«
Der Meister deutete auf die Kammer.
»Und das Kind!« sagte Herr Grün, Athem schöpfend. »Was macht das Kind?!«
»O! das wird nicht sterben,« erwiederte der alte Mann in einem Tone, der deutlich seinen Ärger darüber anzeigte.
»Nun denn,« fragte Herr Grün beruhigt, indem er die Hand seines zukünftigen Schwiegervaters ergriff, »ist denn etwas krumm, was ich nicht gerade machen könnte?«
»Sie können gar nichts helfen,« murmelte der Meister und zog die Hand zurück.
»Ach, was!« sagte Herr Grün, »wir wollen schon ein Mittel finden, ich habe einen anschlägischen Kopf«
Der alte Mann hob sein düstres Auge zu ihm auf und starrte ihn an.
»Können Sie mir Ehre und Reputation wiedergeben, Herr?« sagte er. »Es ist aus, es ist Alles aus; aber ich habe es gesagt: Es wird nichts daraus, so lang ich lebe, und was ich gesagt habe, habe ich gesagt.«
»O! wie so,« versetzte der Haarkünstler, vergebens rathend und auf schlimme Gedanken kommend. »Haben Sie etwas gegen mich oder glauben Sie, daß meine Absichten nicht die reinsten sind?«
»Ich sage Ihnen,« erwiederte der alte Mann zornig, indem er die Faust ballte, »es ist nichts schändlicher in der Welt, als wenn man keine Reputation achtet. Dann sinkt man von Stufe zu Stufe; nichts ist mehr heilig, denn man schämt sich der Sünde nicht. Aber ich geb's nicht zu, und aus dem Hause damit, ich will keinen darin dulden, der nicht ehrlich ist.«
»Meister Liebold,« sagte Herr Grün beleidigt, indem er die Finger durch sein Haar zog, daß es senkrecht stand, »ich kann einen derben Puff von einem alten Freunde vertragen, aber was zu viel ist, ist zu viel. In wie fern glauben Sie, daß ich nicht ehrlich bin?«
Der Meister sah ihn starr an und schüttelte den Kopf, ehe er aber eine Erklärung geben konnte, kam Hannchen herein, der ihr Bruder folgte. Beim Anblick seiner Angebeteten vergaß Herr Grün den Schimpf, den er erlitten; er beugte sich, wurde roth und stotterte einen guten Abend, den er mit einem schmachtenden Blicke begleitete. Allein zu seiner unaussprechlichen Bestürzung dankte Hannchen sehr kalt und ernsthaft; sie fragte auch nicht einmal, weshalb er so lange nicht gekommen sei, Franz dagegen machte ihm ein verdächtiges Gesicht, als sei er hier sehr überflüssig, so daß Herr Grün, theils aus Verlegenheit, theils aus Ärger mit einiger Leidenschaft seine Frage an den alten Liebold wiederholte.
»Ich muß gestehn,« sagte er, »es ist merkwürdig von Ihnen. Erklären Sie sich gefälligst, warum Sie mich nicht hier dulden wollen.«
Der alte Mann hatte, seit seine Kinder hereintraten, emsig zu arbeiten begonnen; jetzt richtete er sich auf und sagte in grollendem Tone:
»Was wollen Sie denn, Sie sind ja damit gar nicht gemeint.«
»Aber ich,« sagte Franz, »ich, Vater?!«
»Ja, Du, Du!« rief der Meister hitzig. »Du, der mein graues Haupt mit Schande in die Grube bringen will.«
»In wie fern, Vater,« erwiederte der junge Mann gelassen, »hast Du Dich meiner zu schämen?«
»Ich habe Alles ertragen,« schrie der alte Liebold noch zorniger, »gegeben, was ich geben konnte, gedarbt und gelitten Deinetwegen, gearbeitet mit meinen alten zitternden Händen und Deine Schwester nicht minder, früh und spät, um Dich durch all' das theure Studiren zu bringen. Ich hatte wohl auch meine Freude daran, weil Dich die klugen Leute rühmten, wenn ich gleich zuweilen auch dachte, es wäre doch besser, er hätte was Ordentliches gelernt! Ich hoffte und hoffte, daß es doch zuletzt noch gut werden sollte. Nun ist aber Alles aus, Alles ist rein aus, denn Du hast Ehre und Reputation in die Schanze geschlagen und Deine Familie beschimpft.«
»Beschimpft!« sagte der Sohn. »Weshalb beschimpft?«
Der alte Mann stand auf und legte mit feierlichem Ernste die Hand auf seine Brust.
»Ich will zu Dir reden,« sprach er, »wie ich reden muß. Ein jeder Mensch auf Erden, wenn er gut und rechtschaffen ist, hält darauf, daß Alles, was zu ihm gehört, keinen Makel von Schande und Unehre an sich habe, er grämt sich in seinem tiefsten Herzen, wenn etwa in der Familie Einer ist, der Böses thut. Bei großen Herrn mag es anders sein, bei schlichten Bürgersleuten aber ist es eine Schande, mit solchen Missethätern und deren Angehörigen umzugehen.«
»Vater!« sagte Franz erbleichend, indem er nach der Thür blickte; »ich bitte Dich, rede nicht weiter.«
»Darum hast Du mir Schande gemacht,« rief der Alte, ohne darauf zu achten, »und darum wirst Du auch zu Schande und Spott werden! ich dulde es aber nicht in meinem Hause, nein! Die Tochter eines Betrügers, und wenn es ein Minister wäre, soll nicht Vater zu mir sagen. – O! guter Gott,« fügte er milder hinzu, als seine letzten Worte ohne Erwiederung blieben, »was muß ich an meinen Kindern erleben, wo meine Tage gezählt sind und mein Haar weiß ist!«
»So sind die Menschen alle,« sagte Franz zu dem besorgten Hausfreunde, der ihm leise zuflüsterte, daß er den alten Meister noch nie so aufgebracht gesehen habe: »Vor wenigen Tagen stand Ringenberg hier auf derselben Stelle, und der alte Mann dort mit seinen weißen Haaren beugte sich demüthig vor dem gnädigen Lächeln des vornehmen Herrn. Er hätte ihm zu Füßen fallen mögen für die Huld, die er ihm anthat, hier zu erscheinen, und fluchte mir fast, weil ich es wagte, mich nicht verkaufen zu lassen. Und jetzt, jetzt!« rief er mit bitterm Hohn, »droht er mir seinen Fluch an, weil ich desselben Mannes Tochter, ein unglückliches verlassenes Kind, unter sein Dach geführt, weil meine Liebe, die er vermessen fand, ihm nun verbrecherisch erscheint, weil seine Ehrfurcht sich in hochmüthiges Pharisäerthum verwandelt hat. So sind die Menschen, aber so bin ich nicht, Vater. Wenn Du sie gehen heißt, so gehe ich mit ihr, und wenn Du willst, kann es schnell geschehen sein.«
Hannchen faßte ihres Bruders Hand und zog ihn zurück. Er machte sich aber frei und ging rasch hinaus.
»Warte noch ein wenig,« sagte sie lächelnd, »es ist nicht halb so schlimm gemeint. Du schiltst Deine beiden Kinder, Vater, und dem Franz da kann es eigentlich gar nicht schaden; aber was habe ich denn gethan, um Dein Haar weißer zu machen? O! sieh doch nicht so traurig aus! Nur mit gelassenem Muth im Herzen kann man Alles zum Guten wenden.«
»Du?« sagte der Vater noch immer erbittert, »nein! Du bist auch nicht besser. Denke doch nach, welche Sorgen Du über mich gebracht hast, welchen Kummer und welche Angst und Scham, die mich Tag und Nacht peinigt.«
Hannchen sah ihn nachsinnend an und sagte dann:
»Ich finde nichts und weiß nichts. Du bist in einer trüben Stunde, lieber Vater, die wir vorüber lassen müssen, ehe wir weiter reden.«
Sie bückte sich, nahm das Kind aus seinem Bettchen und legte es in ihren Schooß.
»Du kleines unschuldiges Kindchen,« sagte sie, »Du weißt noch nichts von den Martern der großen Menschen. Du streckest Deine Händchen erschrocken aus in den weiten Raum und hast doch keine Welt außer Dir. – Lege sie an die Brust des alten Vaters und laß Deinen Frieden bei ihm einziehen.«
»Geh fort!« rief der Alte abwehrend. Soll ich Dir noch sagen, was mir Sorge und Schande macht?«
»Da bin ich wirklich neugierig,« erwiederte Hannchen sanft. »Aber still, es klopft.«
Der Major stand schon in der geöffneten Thür. Den Hut nahm er nicht ab und sein strenges faltenvolles Gesicht mit dem kleinen, struppigen, greisen Bart hatte etwas Furchterregendes. Er streckte das spanische Rohr auf das Mädchen mit dem Kinde aus und rief mit seiner scharfen Stimme:
»Ich will es Ihr sagen, wenn Sie es nicht weiß. Wem gehört das Kind da?«
Hannchen sah ihn erstaunt an und plötzlich erschrak sie so sehr, daß alle Farbe von ihrem Gesicht wich. Sie erblickte nun auch den jungen Bering, der hinter seinem Oheim stand.
»Was soll das bedeuten?« murmelte sie leise.
»Ist das Dein Kind?« fragte der alte Herr seinen Neffen, der keine Antwort gab.
»Im Namen der Obrigkeit, im Namen der hohen Polizei! bekennt die Wahrheit!«
»Es ist mein Kind,« sagte Hannchen entschlossen. – »Wem geht es etwas an?«
»O! Du mein Gott,« seufzte der Meister, »nun kommt Alles an den Tag!«
»Aha!« schrie der Major höhnisch lachend, »pfeift der Vogel so?! Könnt Ihr das beschwören? Sollen wir das ganze Komplott aufdecken? das Verbrechen ans Gericht bringen? Arretirt die ganze schlechte Familie, und eine Untersuchung eingeleitet! Ins Gefängniß will ich Euch schleppen!«
»Oho!« rief Herr Grün aufgebracht über den anmaßlichen Herrn, und den Arm in die Seite gestemmt, »lassen Sie sich nicht bange machen, Hannchen, so weit sind wir noch nicht hier zu Lande.«
»Wer ist der Vater, wenn Sie die Mutter sein will?« rief der Major.
»Der Vater!« rief das Mädchen erglühend über diese Frage. »Herr Major, ich verbitte mir das.«
»Wer Schande sucht, dem muß Schmach werden!« schrie der alte Herr. »Wenn Sie so frech ist, zu behaupten, das Kind sei Ihr Kind, so kann Sie sich gar nichts verbitten.«
Hannchen warf einen stolzen suchenden Blick auf den jungen Bering und dann im Kreise umher.
»Ist denn hier Niemand, der sich meiner annimmt?« sagte sie lebhaft.
»Die Polizei wird sich Ihrer annehmen!« rief der Major, welcher seinen Neffen von sich stieß, weil dieser ihn zurückhalten wollte. »Heraus mit der Sprache, heraus damit!«
In diesem Augenblick trat Herr Grün vor, ganz dunkelroth vor Zorn und Begeisterung.
»Was wollen Sie denn eigentlich, alter Herr?« sagte er, und reckte seinen langen Arm herausfordernd, so daß die Rockärmel sich über die Knöchel zurückzogen. »Wer sind Sie denn? Und mit welchem Rechte beleidigen Sie hier einen redlichen Bürger und Meister und dessen einzige Tochter mit unangenehmen Redensarten?«
Der Major war etwas überrascht von dem plötzlichen Intermezzo, aber er faßte sich sogleich und sagte:
»Was ich hier thue, werde ich vor dem Richter und der hohen Polizei verantworten. Es betrifft meine Ehre und meine Familie. Wer sind Sie aber, der sich hier unberufen herausnimmt, den Helfershelfer zu spielen?« –
»Wer ich bin?« sagte Herr Grün sehr schnell, indem er sich auf die Brust schlug, »ein Mann von Ehre, so gut wie Sie, und ein Mann von Lebensart und Talent, vielleicht mehr, wie Sie. Was ich mir herausnehme? Da ist was herauszunehmen! Ich bin ein Freund des Hauses, ein sehr alter Freund dieser würdigen Familie, die ich nicht beleidigen lassen werde. Verstanden?! – Sein Sie ohne Sorge, Hannchen; ohne Sorge, Meister Liebold, Grün ist da.«
»Wenn Sie kein näheres Anrecht haben, sich hier einzumischen,« sagte der Major, »so habe ich Ihnen nichts zu antworten. – Ich will allein wissen, wer der Vater des Kindes ist«
Mit vielem Anstande knöpfte Herr Grün seinen Rock zu, sah Hannchen an, die seiner Aufopferung, Beifall zu lächeln schien, ergriff deren Hand und sagte dann, indem er dicht an den Major trat:
»Sie wollen den Vater kennen lernen? Dies Vergnügen sollen Sie genießen; hier steht er! Was wünschen Sie nun weiter?« –
Er zeigte dabei auf sich selbst und machte dem alten Herrn eine spöttische Verbeugung.
»Verdammte Komödie!« schrie der alte Herr und stampfte mit dem Stock auf.
»Bitte ganz unterthänigst,« sagte Herr Grün. »Ich liebe Hannchen, seit langer Zeit, und da alle rechtschaffene Liebe mit einer Hochzeit endet, so wird sie bald meine Frau sein. Nicht wahr, mein allerliebstes Hannchen,« rief er, »und Meister Liebold, Sie haben doch nichts dagegen?«
»O! Gottes Segen,« rief der alte Mann. »Ist es denn Ihr Ernst, Herr Grün?«
»Ernst,« sagte Herr Grün feierlich, »bitterer Ernst, Hannchen ist meine Braut, das Kind gehört uns, und wehe dem, der sie noch beleidigt!« –
»Grün,« sagte Hannchen mit einem Blick, der den Künstler beseligte, »das werde ich Ihnen nie vergessen!«
»Ist es denn möglich?« rief der alte Herr. »Es ist Alles Lüge und Verläumdung. Das Volk ist wie besessen nach Noth und Schande!«
»Herr von Bering,« sagte der Meister, muthig vortretend, »sprechen Sie nicht so gottlose Worte. Arm sind wir und geringe Leute, aber die Schande, wenn uns welche getroffen hat, kam von Ihnen, von dem jungen Manne dort, Ihrem Neffen und Erben. – Ich weiß eine Zeit, wo er mir Noth und Kummer genug machte, wo der vornehme junge Herr sich hier eindrängte, er kann es nicht läugnen, wo er das arme Mädchen zu beschwatzen suchte, und sie hinderte, eines ehrlichen Mannes Weib zu werden, jetzt aber –«
»Das ist sein Kind!« rief der Major dazwischen –
»Herr!« schrie Liebold, indem er die Fäuste ballte, »wollen Sie damit sagen, daß meine Tochter – daß Hannchen –«
Herr Grün faßte die Hand seiner erwählten Braut fester. –
»Es ist eine nichtswürdige Lüge,« schrie er, »und wer das sagt, der ist –«
»Da kommt die wahre Mutter!« schrie der Major und streckte den Stock aus. »Läugnet nun noch, wenn Ihr könnt. Ich weiß Alles, und Du Rudolf, wenn ein Funke von Ehre noch in Dir ist, wirst nun wissen, was Du zu thun hast.«
Durch die Seitenthür war Emma hereingetreten, von Franz geführt, beide in Hut und Mantel.
Das leidende junge Mädchen lehnte sich an ihren Begleiter, der schützend seinen Arm um sie gelegt hatte und seinen fest beschlossenen Plan in den ruhigen Zügen trug. Überrascht blieben beide stehen. –
»Was geht hier vor?« sagte Franz.
»Thue nun, was Du willst,« rief der alte Herr. »Wahrheit wollte ich, volle Wahrheit! Ich hindere Dich nicht, Deine noblen Vorsätze auszuführen. Heirathe sie meinetwegen, aber untersteh' Dich nicht, meine Schwelle zu betreten.«
»Hören Sie mich an, lieber Oheim,« erwiederte der junge Bering heftig bewegt. »Ich will Ihnen nichts länger verbergen, ja, dies Kind ist mein! Folgen Sie mir in das Nebenzimmer, nur zwei Minuten hören Sie mich.«
»Das Kind ist sein,« schrie der Major, »habt Ihr es verstanden? – Nun Fräulein Ringenberg, was sagen Sie dazu? O heilige Unschuld, was zittern Sie so sehr? Nehmen Sie es hin! Gebt es Ihr doch, daß es die Mutter nicht länger entbehrt.«
Emma sah ihn sprachlos an. Franz ließ sie los und trat rasch auf den alten Herrn zu.
»Was unterfangen Sie sich?« sagte er. »Welche neue höllische Kabale haben Sie ersonnen?«
»Still!« rief Hannchen, die, das Kind in ihrem Arme, ihn zurückhielt. »Armer Bruder, suche Fassung zu gewinnen, der Augenblick ist da, wo Du Alles wissen mußt.«
Wie sie das sagte, rauschte es an der Thür. Eine Dame in schwarzem Seidenmantel, mit grünem Sammethut und dichtem Schleier eilte, wie ein Schatten durch das Gemach und plötzlich faßte sie das Kind, entzog es Hannchens Armen und drückte es an ihre Brust. –
»Es ist mein,« rief sie mit schneidender, erlöschender Stimme. »Ich bin seine Mutter! Niemand soll es läugnen, Niemand soll es mir länger nehmen.«
Sie hatte den Schleier zurückgeschlagen. Ein bleiches, edles Gesicht schaute darunter hervor; große flammende Augen drückten Zorn, Verzweiflung und Liebe aus.
Herr Grün schlug seine Hände zusammen und packte den Meister an:
»Ist es denn möglich!« rief er, »da sind sie ja alle Beide, der Bösewicht und die schwarze Dame.«
Der Major stand wie erstarrt auf seinen Stock gestützt, sein Neffe aber ließ ihn los und eilte der schwarzen Dame zu Hülfe. –
»Nun wissen Sie Alles,« sagte er, »ja, es ist mein Kind und das ihre. Hier sage ich mich los von meinen Schwachheiten. Verdammen Sie mich, enterben Sie mich! Ich weiß, was ich thun muß, ich werde nach Pflicht und Gewissen handeln.«
»Mamsell Beate,« sagte der alte Herr mit schwankender Stimme, – »Sie – Sie!« –
Er schüttelte langsam den Kopf und wendete sich nach der Thür.
Sein Neffe eilte ihm nach und sagte bittend:
»Können Sie von uns gehen, darf ich denn wirklich nicht auf die Verzeihung meines väterlichen Oheims rechnen?!«
»O! geht zum Henker, Ihr Alle!« rief der zornige Mann und riß sich los. »Ihr habt mich um den Rest meines Lebens betrogen.«
»Verdammen Sie mich,« sagte die schwarze Dame demüthig, »aber verzeihen Sie ihm und diesem armen Kinde.«
»Fort! Fort!« rief der Major, aber die Füße versagten ihm den Dienst.
»Es ist Blut von Ihrem Blute,« sagte Hannchen. »Ich bin auch eine Tiefgekränkte und verzeihe gern.«
»Vergebt, so wird Euch vergeben!« murmelte der alte Meister und nahm sein Käppchen von dem grauen Haar.
»Und ich kann es beschwören, was sie gelitten haben,« sagte Herr Grün und schlug sich auf die Brust. Es war ein merkwürdiger Anblick.
»Vergeben! Verzeihen!« rief der Major. »Warum hast Du mir nicht die Wahrheit gestanden, wie es Zeit war? – Was habe ich Alles verloren an dem schlechten, falschen Menschen, an dem –«
»Halten Sie ein,« sagte Franz befehlend. »Sie sollen den Mann nicht schmähen, der an Ihrem Verlust unschuldig ist. – Wenn das Geld, das Verloren ging, in Ihre Hände wieder zurückgeliefert würde, könnten Sie dann noch versöhnlichen Empfindungen Ihr Herz verschließen? – Doch nein,« fuhr er stolzer fort, »ich mache Ihnen keine Bedingungen. Hier ist Ihr Eigenthum, nehmen Sie es zurück. Fragen Sie nicht, woher ich es habe; denken Sie, daß der Geheimerath es nie empfangen hat.«
Er reichte ihm das Päckchen, das Herr von Bering mit wachsendem Erstaunen nahm, es hastig öffnete und dann mit einer gewissen Bewunderung den jungen Liebold ansah.
»Ich will nicht fragen,« sagte er und streckte beide Hände aus, »aber danken will ich, ja, danken muß ich Ihnen und wenn ich was thun kann – mein Gott! es ist wunderbar es überrascht mich – ich will Alles thun, was Sie wollen.«
»Dann verzeihen Sie da, wo es Noth thut,« sagte Franz, »wo Ihr Alter Liebe und Treue, und Anhänglichkeit finden wird!«
»Theuerster Onkel,« rief der junge Bering, »Sie können nicht länger zürnen. Haben Sie nicht heut schon gelobt, daß Beate Ihnen lieber sei, als viele Andere?«
Beate ergriff und küßte seine andere Hand und sagte leise:
»Sie waren immer gütig gegen mich; wollen Sie mich nun verstoßen?!«
Der alte Herr kämpfte sichtlich mit widerstrebenden Empfindungen.
»Laßt mir Zeit,« sagte er. »Ich verzeihe, ich will verzeihen, wir wollen uns aber erst beruhigen.«
»Ein Entschluß, dem ich vollkommen beistimmen muß,« sagte eine tiefe Stimme an der Thür, und mit raschen stolzen Schritten trat der Geheimerath herein, dem Herr Friedländer auf dem Fuß folgte.
Emma stieß einen lauten Schrei aus und sank in die Arme ihres Vaters, der sie zärtlich küßte, indem er den Mantel fallen ließ, welcher seine hohe Gestalt umhüllte. Alle sahen ihn wie eine Erscheinung an, die unbegreiflich plötzlich kommt und verschwindet, aber Ringenberg lächelte, als sei gar nichts vorgefallen und reichte dem Major die Hand, der ihm fast willenlos die seine überließ
»Mein kriegerischer Freund,« sagte er, »die unangenehmen Vorgänge von gestern hatten Sie heftig aufgeregt, wie es nicht anders sein konnte; ich hoffe jedoch, daß dies unser ferneres gutes Vernehmen keineswegs beeinträchtigen soll. Man hat, von einer Intrigue verleitet, Maßregeln gegen mich beliebt, die von denen, die damit beauftragt waren, sehr willkürlich und unverantwortlich gehandhabt wurden. Meine Rechtfertigung ist schnell erfolgt, meine Genugthuung wird eine glänzende sein – ich würde eine höhere Stellung einnehmen, wenn ich dies möchte, allein ich ziehe es vor, den Dienst ganz, aber mit allen Ehren und mit voller Pension zu verlassen.«
Der bestürzte alte Herr murmelte einige Worte, die ausdrücken sollten, daß er eigentlich niemals an schneller Aufklärung des unbegreiflichen Vorganges gezweifelt habe, und Ringenberg drückte ihm dafür lebhaft die Hand, indem er sagte:
»Ich danke Ihnen von Herzen für die gute Meinung, die ich auch eigentlich überall voraussetzte, da wohl Niemand an meinem Ruf und meiner Ehre zweifeln wird. Aber, wie gesagt, ich bin herzlich froh, eine Gelegenheit zu haben, mich ganz zurückzuziehen, und da meine Vermögensumstände mir hinreichende Bürgschaft geben, mein treuer wackerer Freund Friedländer, dem ich Vieles verdanke, der sich sehr bemühte mir nützlich zu sein, der mir Alles, was Verwirrung geben konnte, schnell lösen half, und von dem ich erfuhr, was von gestern bis heut sich zugetragen hat, auch dieser Meinung ist, so öffnet sich als Ersatz für Stunden voll schwerer Sorgen eine ruhige heitere Zukunft. – Ja, lieber Major, lassen Sie uns im Glücke unserer Kinder das eigene Glück suchen, vermählen Sie Ihren Neffen, und Du Emma« – er sah sie lächelnd an – »nun wo ist der unerschrockene Bräutigam? – Mein Sohn! – Franz! – an mein Herz, meine Kinder! Alles Glück und aller Segen sei mit Euch!« –
Er schloß sie beide in seine Arme, dann den alten Meister, der ganz schwach in seiner Freude wurde, und Herr Grün umarmte Hannchen wie ein Rasender und dann Herrn Friedländer, dem er mit furchtbarer Stimme ins Ohr schrie:
»Wer hat's gesagt! – Ich hab's gesagt! – Laßt den Franz nur machen; der hübsche, anstellige Mensch weiß, was er will, der führt die Braut heim, und ich führe meine Braut heim, und Alles ist gut!«
Herr Friedländer nickte mit seinem klugen Kopfe und murmelte zwischen den Zähnen:
»Es war aber doch gut, daß die Papiere stiegen; gut, daß die Speculation richtig, und gut, daß Geld da war, denn Geld macht alles gut in der Welt!« –
Nach drei Monaten aber, als das Land weit und breit mit frischem Grün und Blüthen bedeckt war, läuteten die Glocken feierlich auf dem Gute des Geheimenraths. –
Eine Hochzeit kam aus der Kirche, Musik zog voran, die jungen Dirnen streuten Blätter und Blumen auf den Weg der drei beglückten Paare, die den Zug eröffneten. Der Glücklichste von Allen aber war Herr Grün an der Spitze, der einen großen Blumenstrauß auf der Brust, einen glänzend neuen Hut auf dem Kopf hatte und seiner jungen Frau leise tausendmal zuschwor, sie sei doch die Schönste und Beste von Allen.