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In einem wüstaussehenden Gemach, welches zum vierten Stockwerk eines Hauses in der Straße Ste. Madeleine zu Paris gehörte, ging ein großer schöner Mann einst hastig auf und nieder, eben als die Sonne nach einem heißen Sommertage ihr letztes Glühen durch die schmalen Fenster warf. –
»Er kommt nicht,« sagte er unruhig; »er kommt noch immer nicht; was kann ihm zugestoßen sein?«
Und sich selbst diese Frage beantwortend, wiederholte er:
»Was kann ihm zugestoßen sein? Ich hoffe, nichts! – Diese Menschen mit ihrem wüsten Geschrei von Freiheit, diese Tyrannen,« murmelte er, »die gleich den wilden Thieren zerreißen und zerstücken, was nicht zu ihnen gehört und wahnsinnig blutdürstig ist, wie sie, sie zwingen uns ja, immer zu fürchten und den Schlag unserer Herzen bei jedem Klopfen an der Thür antworten zu hören. Mein Gott! wie kann ein Künstler das ertragen, er, der das Schöne, das Erhabene, das Edle lieben und empfinden, das Gemeine, Niedrige hassen und verachten soll!« –
Er hörte das leise Knarren einer Thür und wendete sich rasch um:
»Sie sind es, Melanie!« rief er strafend und erschrocken; »das ist wider die Abrede.«
»Sie sind allein, Charles,« sagte das junge Frauenzimmer, welches aus der Tapetenthür in der Wand hereingetreten war; »ich hörte Sie reden, laut reden; es klang so heftig, so aufgeregt; was haben Sie? Ist es ein Unglück, das uns betrifft? Reden Sie, sagen Sie mir, daß Sie nichts zu fürchten haben um –«
»Um Sie,« fiel der junge Mann mit zärtlich bewegter Stimme ein; theure Melanie, was könnte ich fürchten, wo es sich um mich handelt? – Nein, nein,« rief er und hielt ihre Hand fest, »wenn ich fürchte, so plagt mich nur die Angst, daß Unheil die treffen könnte, deren Glück und Ruhe mir über Alles werth sind.«
»Haben Sie,« sagte sie leise und erröthend, »den Brief abgeben können oder etwa –«
»Ihren Vater, den Bürger Picard,« wiederholte er lächelnd, »selbst gesprochen? Nein, das habe ich nicht, meine schöne Bürgerin, aber der Brief ist sicher bestellt; ich ließ meine Adresse da und denke die Freude zu haben, ihn vielleicht heute noch hier zu empfangen.«
»O, Herr Vincent, wie gut, wie edel sind Sie!« rief das junge Mädchen mit glänzenden Augen.
» Bürger Vincent!« erwiederte der junge Mann lächelnd, indem er ihre Hand wieder ergriff, »und Charles, Ihr Vetter, liebe Melanie, wie es zwischen uns ausgemacht ist.«
»Ach, daß es so sein muß!« sagte sie betrübt; »Daß wir immer von den Menschen fürchten müssen! Und was habe ich ihnen gethan? Womit habe ich sie beleidigt? Gütiger Himmel! wodurch habe ich ihren Haß verdient?«
»Ohne Sorgen!« sprach Charles tröstend; »eben jetzt erwarte ich einen Freund, der mir längst einen Besuch versprochen hat und der mächtig genug ist, Ihnen Schutz angedeihen zu lassen, der Ihnen leicht Pässe verschaffen kann, vor dessen Wort sich die Barrieren und die Grenzen öffnen, der in solchem Ansehen steht, daß sein Name hinreicht, die Wildesten zu zähmen.«
»Wer ist er?« fragte das junge Mädchen gläubig lächelnd und hoffnungsvoll.
»Ich sage es Ihnen nicht,« erwiederte Charles, »aber Sie sollen ihn kennen lernen. Er hat mich immer geliebt; er war väterlich besorgt für mein Wohl; ich denke ihm jetzt Freude zu machen. Er soll dies sehen, hier –« er deutete auf die Staffelei, auf welcher ein verdecktes Bild stand – »hierher werde ich ihn führen, und wenn seine Augen blitzen, werde ich mich an seine Brust werfen, ihm Alles sagen und ich zweifle nicht, er wird, er muß uns helfen.«
In diesem Augenblick hörte man ein Gepolter auf der Treppe, Charles deutete aufhorchend ängstlich nach dem verborgenen Ausgange, und das junge Mädchen entsprang schnell, indem sie ihm Abschiedsgrüße zuwinkte, welche er lächelnd und schweigend erwiederte. Gleich darauf ward die Thür mit fester Hand aufgedrückt und stark geschüttelt, als der Riegel nicht gleich nachgeben wollte. –
»Halt! einen Augenblick, Bürger!« 'rief Charles, indem er den Riegel zurückzog, und freudig die Hände ausbreitend fügte er hinzu: »Seid Ihr es? O, wie sehnlich habe ich Euch erwartet, mein lieber, väterlicher Freund!«
»Und um Dir die Langeweile zu vertreiben, hältst Du hier Selbstgespräche, Bürger Vincent?« versetzte der Hereintretende lachend; »wie? oder hast Du etwa hier die Gesellschaft einer hübschen Bürgerin?«
Wenn er bei seinen Worten den jungen Mann angeblickt und nicht rückwärts nach der Thür umgeschaut hätte, durch welche zwei andere Personen traten, würde ihm schwerlich die dunkle Röthe und der Farbenwechsel in Charles Vincent's Gesicht entgangen sein. So bemerkte er es nicht.
Vincent aber hätte sich wohl auch entschuldigen können, daß die, von welchen er sich umgeben sah, ihm das Blut vor Überraschung ins Gesicht getrieben, denn alle drei gehörten zu den ausgezeichnetsten Männern der Gegenwart und waren von einem Nimbus umstrahlt, der im Stande war, ebensowohl Begeisterung, als Schrecken und Entsetzen zu erwecken. –
Der Erste, welcher das Zimmer betrat, war mittlern Wuchses, breitgeschultert, häßlich von Angesicht, ein Mann, der nahe an fünfzig Jahre zählen mochte und dessen eckige, abstoßende, scharfe Züge durch ein fehlendes, zugedrücktes Auge noch mehr des Unheimlichen erhielten. Wenn er lachte, zeigte er zwei Reihen blendend weißer Zähne hinter den schmalen Lippen; sein offnes Auge aber sprühte ein Feuer aus, das von wilden heftigen Leidenschaften zeugte, und hierzu stimmte auch sein gelbgebräuntes Colorit, die lebhaften Bewegungen seines Körpers, die phrygische Mütze auf seinem schwarzen Haar, der Bart, der lang und schön glänzend von seinem nackten muskelvollen Hals und Kinn auf die Brust niederfloß, und selbst das Gewand, das, einer römischen Toga gleich,; auf seinen Schultern lag und dem ächten Jakobiner und Republikaner des Jahres 1794 selten fehlte. –
Der zweite der Männer sah dagegen fein und zierlich aus; man hätte ihn fast einen Hofmann an Sauberkeit im Vergleich zu seinem schmutzigen Nachbar nennen können. Er war klein und mager. Sein brauner Rock mit Knöpfen von Perlmutter, seine schwarzseidenen Unterkleider, die Schuhe mit Schnallen, und die blendend weiße Wäsche sammt den Manschetten, die sorgsam geknifft auf seine schönen schmalen Hände fielen: Alles war tadellos, aber sonderbar auffällig in einer Zeit, wo Schmutz und Nachlässigkeit den guten Bürger und wahren Patrioten anzeigten. Und doch, wer kannte nicht das blasse lange Gesicht, diese verschwommenen, kaum beweglichen Augen, diese sanften, fast melancholischen Gesichtszüge mit dem düstern schwermüthigen Lächeln, das die feinen Lippen krampfhaft umzog und zuckend oft durch alle Nerven zu laufen schien?
Charles Vincent kannte ihn auch, den großen Bürger, den Allgewaltigen, an dessen reiner Tugend kein Mensch zu zweifeln wagte, und klopfenden Herzens schloß er die Augen, weil es ihm vorkam, als triefe jetzt der kleine Mann von Blutströmen, die wie Fontainen in unermeßlicher Zahl aus allen seinen Poren strömten, weil seine Sanftmuth, sein Lächeln, sein trauriger Blick ihn wie mit Fieber anfaßten, weil er innerlich zitterte, er wußte selbst nicht weshalb. Mit lauernder Schärfe glitt sein Blick über die blassen Lippen, welche so oft den Tod erbarmungslos verkündet hatten, mitten unter Wehklagen und Schluchzen, einzig im Dienst der hehren Tugendgöttin. –
Es war die innere Herzensangst Charles, daß diesen entsetzlichen mattblickenden Augen sich nichts entziehen könne, auch die feingefügte Thür in der Tapete nicht, und so fühlte er anfangs kaum, daß der Dritte der Herren seine Hand ergriffen hatte und zu ihm sprach, was wie aus einer unermeßlichen Ferne in sein Ohr zu schalten schien und gedankenlos sich darin verlor. –
»Bürger Vincent,« sagte jener und schüttelte kräftig die blasse Hand, ich glaube wahrhaftig, Du kennst mich nicht? Ihr Künstler seid und bleibt doch Träumer, selbst die Donnerstimme der Revolution kann Euch nicht aufwecken. Ihr schwärmt weiter für Eure Ideale und die Wellen des wahren Lebens spülen Euch in den Tod, ohne daß Ihr es merkt.«
»Du sprichst von den falschen Künstlern,« fiel der breitschultrige Jakobiner mit seiner lautschallenden Stimme ein, »von den Schwärmern, von den Phantasten, von den lyrischen Naturen, die mit ihren empfindsamen Narrheiten sich zu den Heiligen und Göttern, zu Nymphen, Mondschein und Waldesnacht retten. Die wahre höchste Kunst lebt der Geschichte; diese begeistert zu den großen Ideen. Der wahre Künstler verewigt die Thaten des Menschengeschlechts; er stellt sie dar, er bewahrt ihr Andenken vor der Vergessenheit und erfüllt die Nachwelt mit Bewunderung; er ist der Lehrer der Völker, welche die Wahrheit des Geschehenen durch ihn erfahren. – Was wüßten wir von Griechen und Römern, ob's so gewesen sei, wie die alten vergilbten Schriften sagen, wenn ihre Bildwerke, ihre Bauten, ihre Statuen uns nicht belehrten? Sprich nicht von den Künstlern mit diesem spöttischen Lächeln, Bürger St. Just, Du kennst sie nicht. Hier steht einer« – er schlug auf seine Brust – »dessen Namen und Werke man betrachten wird, als ewiges, redendes Zeugniß, wenn nichts mehr von ihm Kunde giebt, als ungewisse Buchstaben.«
»Dein Brutus, Deine Horazier, Dein Sokrates, Dein Schwur im Ballhause, der Tod des Bürgers Marat!« rief der kleine Herr im braunen Kleide und sein rauhes, kreischendes Organ wurde weicher, als er hinzufügte: »Du wirst ewig leben im Pantheon der Geschichte, Bürger David!«
»Ich nicht allein,« sagte David, »Gerard und Andere mit mir, auch hier mein junger Freund Vincent. Laß uns sehen, was er geschaffen hat. Sein neuestes Werk wird für ihn sprechen. Er ist noch jung, aber in ihm ist der belebende Odem, der das Werde! ausspricht. Er wird verherrlichen, was wir gethan.«
Vincent hielt noch immer die Hand St. Just's fest und betrachtete den jungen schlanken Mann, der ein Gesicht voll Blattern, ein lebhaftes Colorit und dunkel glühende, bewegliche Augen besaß. Er hatte eben begonnen, ihm zu sagen, daß er ihn sehr gut kenne aus alter Zeit, daß er viel von ihm gehört habe und keinesweges so getrennt von den Vorgängen sei, die das Volk frei gemacht, als aber jetzt David zur Staffelei trat und seine Hand das Leinenzeug faßte, welches das Bild bedeckte, machte er sich mit einer plötzlichen Bewegung frei, als wolle er den großen Maler hindern, dann blieb er stehen und erglühend den Blick fest auf jenen gerichtet, beobachtete er dessen lebhafte Verwunderung.
»Was ist das!« hörte er ihn ausrufen, dann ward es still.
Der braune kleine Mann richtete sich scharf auf und suchte mit seinen matten Augen den jungen Künstler, während das nervöse Zucken durch sein ganzes Gesicht lief.
»Bei meiner Bürgerehre!« rief David aus, »das ist schön, das ist herrlich, das hat ein Künstler gemacht; warm, lebensvoll, lebenathmend! Diese Färbung, dieser weiche Duft der Luft, diese Gewandung, diese Innigkeit! – Ha!« –
Er blickte starr auf das Bild; Vincent war mit jedem Lobesworte näher getreten, Entzücken strahlte aus allen seinen Zügen; David bemerkte es nicht.
»Und doch ist es nur ein Heiligenbild,« sagte der Herr im braunen Kleide kalt. »Eine heilige Cäcilie oder Magdalene. Nun, Bürger, wo sind Deine stolzen Aussprüche? Wir erwarteten eine Sonne und finden ein Johanniswürmchen. Du hast uns hergeführt, etwas Bedeutendes zu sehen, einen jungen Bürger, den die Großthaten der Nation begeistern, und erblicken einen Gegenstand, der völlig unwürdig für unsere Zeit ist.« –
»Unwürdig?« rief Vincent mit Heftigkeit aus; »wer wagt das zu sagen? Auch Du darfst das nicht, Bürger, Du beleidigst mich.«
»Ich belehre Dich über Deine Thorheit,« erwiederte jener zurücktretend. »Hörtest Du nicht, wie David selbst über solche Künstler urtheilte?«
»Was David sagt,« erwiederte der junge Maler noch heftiger, »steht Dir nicht zu. Was weißt Du von Kunst? was urtheilst Du über Dinge, die Du nicht begreifst? Unwürdig! Dies Bild, sein Gegenstand unwürdig! O, Heilige! vergieb es ihnen, vergieb es ihren stumpfen Sinnen, die sich nicht zu Deiner Majestät und Wahrheit erheben können, weil wüster, trunkener Taumel sie in niedere Kreise bannt.«
»Unverschämter!« rief der kleine Mann aus, »Du beleidigst die Majestät des Volkes. Was ist Deine Kunst anderes, als ein leeres Gaukelspiel, wenn sie in Abstractionen schwärmt, die nie Blut und Leben hatten?«
»Blut und Leben!« schrie Charles Vincent. »Wisse, Bürger Robespierre, das ist der Unterschied zwischen Dir und mir. Ich schaffe Menschen, ich hauche ihnen Blut und Leben ein und Du –«
»Du sicherst es den guten Bürgern vor den Bösewichten und bauest der Tugend und Wahrheit Ehrentempel,« sagte St. Just, indem er die Rede des Unbesonnenen unterbrach und sich lebhaft zwischen Beide drängte.
Maximilian Robespierre war bleich geworden. Er wußte wohl, was die fehlenden Worte enthielten, und ein einziger schrecklicher Blick konnte Vincent sagen, daß der mächtige Mann, wenn nicht besondere Umstände eintraten, den Namen auf seiner Liste vermerken würde.
»Freund Vincent,« sagte St. Just lächelnd, »habe ich nicht Recht, seid Ihr Maler nicht von unmäßiger Eitelkeit geplagt, Phantasten, die von der Welt gar nichts wissen? Ein Wort gegen sein Geschöpf geäußert und der Schöpfer geräth in wahrhaft komischen Zorn. Und doch hat der große Bürger Robespierre ganz Recht. Das ist kein Gegenstand für Dein erhabenes Talent. Dies Bild ist schön, es ist herrlich gemalt, aber was nützen uns Maler, die der Nation Heiligenbilder bieten? Ist eines Mädchens Abbild Alles, was Du geben kannst? Vielleicht ist sie Deine Geliebte und Du schwärmst für diese reizende Bürgerin. Du wirst roth? Du erschrickst? Heraus mit der Sprache! Wo hast Du sie? Fort zum Maire, laßt die Hochzeit ins Buch schreiben, und Du wirst genesen; die Leidenschaft für ein hübsches Gesicht wird entfliehen, sie wird Dir nicht mehr die Energie rauben, über Weiberliebe hinaus für das Vaterland und für die höchste Sache der Menschheit zu leben.«
Während er sprach, hatte sich David langsam zu ihnen gewendet. Er hielt die Arme über seine breite Brust gekreuzt und sah seinen Schüler forschend an, als wollte er bis in dessen Seele hineinschauen. –
Vincent hatte sein kaltes Blut zurückerhalten, er fühlte das Unangenehme seiner Lage, in der nur kühle Besonnenheit gut thun konnte. Ohne Verlegenheit zu zeigen, sagte er daher, daß man ihm Unrecht thue, wenn man meine, er wolle nur Mädchen und Heiligenköpfe malen, oder gar eine Geliebte dadurch verherrlichen. Jenes Bild sei ein Kind seiner Phantasie, allein auch er wisse, daß es die höchste Aufgabe der Kunst sei, Geschichte zu malen und die großen Thaten großer Männer zur lebendigen Anschauung zu bringen.
Bei diesen Worten nahm er von einem großen Carton die Umhüllung und Alle blickten auf den reichen Entwurf eines der bekanntesten und entscheidendsten Vorgänge der Revolution. Es war der Tag, der 12. Juli 1789, wo im Palais Royal das erste Blut floß, wo Camille Desmoulins, der begeisterte Redner, das grüne Blatt der Freiheit an seinem Hut befestigte und die Volksmasse fortriß, seinem Beispiele zu folgen. –
Diese Darstellung hatte aber dennoch nicht den Erfolg, den Vincent erwarten mochte. St. Just zog die Stirn in düstre Falten und seine blitzenden Augen nahmen einen wilden abschreckenden Ausdruck an, während er halb laut und rauh abstoßend den Namen Camille Desmoulins nannte.
Robespierre nahm kaltblütiger eine Prise aus seiner goldenen Dose, und sagte eintönig:
»Du bist mit Deiner ganzen Kunst auf schlimmen Wegen, Bürger Vincent, das heißt, Du wendest Dein Talent schlecht an. Hier willst Du sogar einen Verräther an der Freiheit verherrlichen, einen Menschen, der sie beschimpft hat, und der dafür in den Tod gestoßen werden mußte.«
»Camille Desmoulins!« rief Vincent aus; »er ein Verräther? er, der die Bastille erstürmte, der mit Danton –«
Hier schwieg er plötzlich, denn Robespierre machte eine heftige, drohende Bewegung und rief mit seiner kreischenden Stimme:
»Gehörst Du etwa auch zu den Dantonisten? Packe Deine schlechte Zeichnung ein und erlaube Dir nicht, zur Verlockung der öffentlichen Meinung etwas beizutragen. Es ist die Pflicht aller guten Bürger, die Schlechten zu verfolgen; Du bist vielleicht nicht schlecht, aber Du bist schwach und würdest wohlthun, wenn Du fleißig die Sectionsversammlungen besuchtest und Beweise gäbest, daß das Vaterland etwas Tüchtiges von Dir zu hoffen hat.«
»Charles Vincent,« sagte St. Just lächelnd, »male den großen Bürger Robespierre, aber fort mit dem schwarzen, tückischen Desmoulins, der im Leben ein Schelm und im Tode ein Feiger war. Fort mit den heiligen Cäcilien! besuche mich; Du lebst zu einsam, Du bist ein Träumer, ich werde Dich in Gesellschaft der besten Bürger bringen, in den Jakobinerklub, da kannst Du Deine Studien machen, die Tugend in aller Gestalt studiren. Still!« sagte er leise und drückte seine Hand, »Du bist ein guter Bürger, Du liebst die Freiheit, Du hassest die Tyrannen, aber man muß den Schein vermeiden. Bewundere den tugendhaften, edlen Bürger Robespierre, richte Dich auf an seinem erhabenen Beispiel; er, der von den Feinden des Vaterlandes umringt, sie niederschmettert mit den Blitzen seines Geistes, er sei der Gegenstand Deiner Kunst und Deines Nachdenkens, ihn verherrliche, das ist eine Aufgabe für einen patriotischen Künstler.«
Robespierres strenges Gesicht war während dieser Worte milder geworden, er neigte endlich sein Haupt und sagte:
»Mich soll man nicht verherrlichen, das wäre eitle Thorheit. Was ich that und noch ferner thun werde, bedarf keines Lobes, aber, Bürger Vincent, es soll mich freuen Deinetwegen, wenn ich den Schüler meines theuren Freundes David, den Freund meines lieben Schülers und Freundes St. Just auf dem rechten Wege finde und ihm Bruderhand und Kuß geben kann. Besuche auch mich, Bürger Vincent, theile mir Deine Arbeiten mit, mein Rath soll Dir nicht entzogen werden.«
David hatte während der ganzen Zeit gar keinen Antheil an dem Gespräch genommen. Er war vor dem Bilde stehen geblieben, hatte sich mit großen Schritten davon entfernt, und war wieder dahin zurückgekehrt. Jetzt eben, als Vincent gezwungen eine Antwort geben wollte, welche ihm die Klugheit gebot, ergriff er dessen Hand und rief aus:
»Was sie auch sagen mögen gegen dies Bild, Du hast es trefflich gemalt. Ich, Jacques David, ich sage Dir, Du bist ein Künstler! Bürger Robespierre, Du mußt das große Talent beschützen, ich empfehle es Dir. Dieser Charles Vincent wird der Stolz Frankreichs werden, sie werden kommen von nah und fern, um dies Fleisch zu bewundern, daß Geist geworden ist.« –
Er warf noch einen langen Blick auf die Staffelei, dann schlug er den Mantel um seine Schultern und sagte hastig:
»Laßt uns gehen, ich könnte sonst neidisch werden. Wie ist die Kunst, die wahre Kunst doch groß und göttlich, mag sie den Weg nehmen, den sie will! Man kann nicht sagen, der oder jener sei der höchste und größte. Und wenn dieser junge Mensch nichts malte als Madonnenköpfe, er würde ein unsterblicher Künstler. – Leb' wohl, Vincent,« fuhr er dann fort, »Du stehst unter meinem besondern Schutz; Bürger Robespierre, ich erkläre ihn für meinen Bruder. Besuche Du die beiden Bürger, Vincent, ich besuche Dich; ich werde oft kommen, vielleicht noch heute; Künstler, wie Du es bist, muß man aufsuchen und mit ihnen leben.«
So entfernten sich die Drei. Vincent blieb in heftiger Aufregung zurück. –
Lange ging er nachdenkend auf und nieder, bis es fast finster geworden war, dann stand er am Fenster still überlegend und schaute hinab in das Gewühl des Lebens, das aus der Liefe zu ihm aufstieg. Ein heftiges Gezänk erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Haufe halbtrunkener Menschen ballte sich auf der Gasse mit dem bekannten todbringenden Geschrei:
»Nieder mit dem Aristokraten! An den Galgen! Halt! Halt! Auf die Section! Auf die Mairie! Achtung vor dem Gesetz!«
Bürger Vincent zog das Fenster auf; überall streckten sich neugierige Köpfe hervor, man sah nichts als die dunkle dichte Masse, auf welche sich neue Schwärme des Volks stürzten, sie durchbrachen, verwirrten, heftig stritten, während das Opfer ihrer Wuth vergebens Anstrengungen zu machen schien, ihnen zu entkommen. Im trüben Licht der Laternen sah Vincent endlich, daß es ein alter Mann war, dessen weißes Haar ihn nicht vor der rohsten Behandlung schützte. Menschen aus dem Pöbel mit nackten Armen und wilden Gesichtern schleiften ihn die Straßen hinab. Der Eine hielt ihn beim Kopf, Andere zerrten an seinen Armen und heulend zog der Schwarm hinterher.
Verstimmt und traurig angeregt, zog sich der junge Künstler zurück.
»Fluch den Leidenschaften!« rief er aus; »wann und wie werden sie enden? Wann wird man aufhören, der Tugend Menschen zu schlachten? wann wird der Wahnsinn dieser Mörderbanden den Richter und Rächer finden?«
In diesem Augenblicke hörte er ein Rauschen an der Staffelei in dem düstern Zimmer.
»Wer ist da?« fragte er erschrocken. –
Eine Gestalt richtete sich vor ihm auf und trat näher heran.
»Ein Freund! sagte eine bekannte Stimme, »der Deine unbesonnenen Worte vergessen wird.«
»David?« rief Vincent aus.
»Ja, David,« erwiederte jener, »der Maler, nicht das Mitglied des Convents. Zünde Licht an, ich habe mit Dir zu reden.«
Schweigend that Charles, was sein Freund begehrte, David blieb auf seiner Stelle stehen, und als der Lichtschein auf ihn fiel, drückten seine häßlichen, harten Züge einen solchen Grad leidenschaftlicher Gemüthsbewegung aus, daß Vincent davor erschrak.
»Was fehlt Dir, Bürger David?« rief er besorgt.
»Nichts,« erwiederte dieser rauh, »nichts! Ich verließ die Volksversammlung, weil ich dort nicht ausdauern kann, und ich komme nun, eine Frage an Dich zu richten.«
»Frage denn,« sagte Vincent.
»Du hast einen Kopf da gemalt. Wo ist das Original?«
»Es ist Phantasie,« erwiederte der junge Maler lächelnd.
»Täusche mich nicht,« rief David heftig, es hilft Dir nicht, ich kenne die, welche diese Züge trägt. Vincent, ich will es wissen.«
»Mit welchem Recht?«
»Recht!« rief David und schlug den Mantel stolz um seine Schulter, »frägst Du nach dem Recht, junger Thor, wo das lebendige Gefühl allein Antwort giebt? Doch gut, Du sollst mein Recht auch kennen lernen. Jenes Gesicht da gehört einer Aristokratin. Ich kenne sie wohl, ich habe sie gesehen und nie vergessen. Es gab einst einen Baron Estampes, stolz, hochfahrend, übermüthig, wie sie alle sind, diese Kinder der Sünde und Unsittlichkeit, welche Jahrhunderte groß gezogen haben. Er hatte einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn war bekannt unter den Wüstlingen seines Standes, befleckt mit allen jenen Lastern, die von der moralischen Verderbniß bewundert werden, und daß er ungestört verschwenden und verderben könne, mußte seine Schwester den Schleier nehmen, um in den öden Mauern eines Klosters den jungen blühenden Leib zu begraben. – Der Wüstling ist todt, die Revolution hat ihn verschlungen, aber wo ist sie, die schöne Melanie? Das Kloster wurde zerstört, seine Bewohner in die Welt zurückgeschickt, wo hast Du sie, Vincent, wo lebt sie?«
»Willst Du die Aristokratin beschützen?« sagte der junge Mann.
»Die Aristokratin!« rief David, »nein, niemals, aber ich fürchte, Charles, daß Du es bist, der ihr Schutz giebt, und dies ist der wahre Grund meines Besuchs. – Kennst Du das Gesetz, das bei Todesstrafe jedem Bürger befiehlt, den Aufenthaltsort aller derjenigen der Commune anzuzeigen, welche zu den Kasten des Adels oder zu dem alten Priesterstande gehörten? Weißt Du auch, daß das Beil der Guillotine den ohne Rettung erwartet, der einen der Geächteten verbirgt, oder ihnen Hülfe leistet?«
»Ich weiß es,« sagte Vincent, »und Gott vergebe es Denen, die so blutige, entsetzliche Gesetze machten. Aber die Zeiten werden sich ändern, sie können nicht so fanatisch, toll und rechtlos bleiben, wie sie sind. Man ist des Blutes überdrüssig, die Menschheit ist noch nicht so tief gesunken, um nicht mit Grauen endlich zu erwachen, endlich zu erkennen, wohin diese Schreckensherrschaft führt. – Blicke nicht so finster, David, Du fühlst es wie ich, Du bist ein Künstler, Du kannst die blutigen Greuel nicht lieben und schon regt sich überall das Mitleid, schon werden Stimmen laut, selbst in Eurem Convent, die Milde und Umkehr fordern.«
»Fluch ihnen!« rief David, »und still, Knabe, still; welch böse Macht plagt Dich, solche Worte zu sprechen, von denen Eines schon genug wäre, Dich zu verurtheilen. Ich sehe wohl, Robespierre hat Recht, es wird nie ein guter Bürger aus Dir werden, Hüte Dich, ich habe Dich gewarnt. Wenn man entdeckt, daß – was war das?« sagte er, sich unterbrechend, »ich hörte ein Geräusch.«
»Es ist nichts,« erwiederte Vincent.
»Wenn man entdeckt, daß dieser Heiligenkopf das Bild Melaniens von Estampes ist, würde nichts Dich retten. Wirf ihn fort, vernichte ihn. Noch Eines,« sprach er dann weiter, »Du hast das Geschrei hier auf der Straße gehört, man verhaftete einen Mann, in dem ein Vorübergehender zufällig einen Aristokraten erkannte. Weißt Du, wer es ist? Es ist der alte Baron Estampes, der vielleicht seine Tochter suchte.«
Bei diesen Worten schien es, als ob ein tiefer Seufzer plötzlich durch das Gemach zog, es rauschte an der Tapete, als versuche Jemand die Thüre zu öffnen, plötzlich ging diese auf, ein junges Mädchen trat daraus hervor, bleich und groß, mit wankenden Schritten. Sie streckte die Hände aus, als wollte sie sich halten. –
»Mein Vater!« rief sie, »helft ihm, o helft ihm!«
Ehe Vincent herbeieilen konnte, hatte David die Sinkende ergriffen und in den großen Lehnstuhl getragen.
»Melanie!« murmelte er, indem er sich über sie hinbeugte, »ich dachte es wohl.«
Er legte die Hände auf ihr erblaßtes Gesicht, es war kalt wie der Tod. –
»Du sollst nicht sterben!« rief er mit Heftigkeit, »noch kann die Erde Dich glücklich und froh machen, und ich, ich will für Dich handeln.«
Vincent warf sich an seine Brust.
»Mein väterlicher Freund,« rief er, »ich wollte Dir Alles entdecken, es war meine Absicht, Deinen Beistand für dieses unglückliche Mädchen zu erbitten, das ihn um so mehr bedarf, wo ihr Vater einem schrecklichen Schicksale unterliegt. Höre in wenigen Worten, was ich Dir zu sagen habe. Seit sechs Wochen verberge ich Melanie und ihre Tante, frühere Äbtissin des Klosters, hier in einem kleinen Zimmer. Ich fand die beiden Frauen in schrecklicher Lage, mitten in der Nacht umherirrend. Lange Zeit waren sie in einem kleinen Hause der Vorstadt Montmartre versteckt gewesen. Melanie ernährte ihre Tante und sich von Näthereien und Handarbeit; aber man hatte Verdacht geschöpft, der Commissair war bei ihnen gewesen, man schleppte sie auf die Section, verhaftete sie und wollte am nächsten Morgen sie ins Gefängniß abführen, als sie in der Nacht Gelegenheit fanden, aus dem Hause zu entweichen. Sollte ich diesem großen rührenden Unglück meinen Beistand versagen? Eine ehrwürdige Matrone, ein schönes unschuldiges Geschöpf, beide bedroht von dem blutigen, schrecklichen Beil. – Was hatten sie gethan, um den Tod zu verdienen? Ich führte sie unbemerkt in meine Wohnung, räumte ihnen mein Zimmer ein, schlief seit dieser Zeit hier auf dem Stuhl, versorgte sie mit dem Nothwendigen, erleichterte ihr Schicksal, und fand dafür die innigste Dankbarkeit.«
»Und Liebe!« sagte David.
»Wie hätte ich daran denken können!« rief Vincent. »Nein, niemals ist dies Wort über meine Lippen gekommen. Ich bin glücklich gewesen, für sie sorgen zu können, all' mein Trachten ging dahin, ein Mittel zu entdecken, sie der Gefahr zu entziehen, in welcher sie fortgesetzt sich befinden. So gerieth ich darauf, sie zu malen, Dich dann zu mir zu laden, und wenn diese edlen Züge Deine Theilnahme erweckten, Dich innigst zu bitten, Deinen mächtigen Schutz diesen armen Frauen zu gewähren.«
»Welchen Schutz?« fragte David.
»Du könntest ihnen einen Paß nach Deutschland verschaffen.
»Unmöglich! rief das Conventsmitglied. »An allen Gränzen wüthet der Krieg.«
»Nun freilich,« fuhr der junge Maler niedergeschlagen fort, »würden sie auch nicht gehen wollen, da der alte Baron festgenommen ist. – Welch' ein neues Unglück ist das!«
»Wußtest Du, wo er sich befand?« fragte David. »Erwartete man seinen Besuch hier?«
»Melanie wußte, daß ihr Vater sich in Paris verborgen hielt. Nach vielen Nachforschungen gelang es mir, gestern erst seine Spur zu entdecken. Ich ließ an einem bestimmten Ort einen Zettel mit einer Adresse, ich erwartete ihn, und nur zu wahrscheinlich ist es, daß er auf dem Wege hierher erkannt und angegriffen ward.«
David richtete sich auf.
»Hier giebt es nur ein Mittel,« sagte er, »ein einziges, das Rettung bewirken kann, und wenn Du es versuchen willst, so zögere nicht. Noch ist der Gefangene nicht ins Gefängniß abgeliefert, noch hat er kein Verhör gehabt. Eile zu St. Just, Du findest ihn im Jakobinerklub, sage ihm, ein Freund von Dir sei festgehalten unter dem Verdacht, ein Aristokrat zu sein, eben als er Dich besuchen wollte. Erfinde einen Namen, sage ihm, es sei ein Künstler, ein Träumer, ein Narr in seiner Weise, der, vor Gericht gestellt, leicht durch seine Thorheit und seinen Dünkel verurtheilt werden könne, bitte ihn um seine Hülfe zur Befreiung eines armen Teufels; St. Just will Dir wohl, er wird es Dir nicht abschlagen, und wenn Estampes einigermaßen nur vernünftig ist, wird es Dir gelingen, ihn los zu machen.«
»Aber man wird es morgen entdecken und St. Just – doch was schadet das,« sagte er freudig, »er wird frei sein, mag die Verantwortlichkeit dann immerhin mich treffen.«
»Sie wird Dich nicht treffen,« erwiederte David, »Denn der, welcher den Estampes erkannte und festhielt, wird sich nicht melden. Aber eile, eile, jeder Augenblick ist entscheidend.«
»Und Melanie?« rief Vincent.
»Ich beschütze sie,« sagte David, »sei ohne Sorge, ich bleibe hier.«
Vincent stürzte aus dem Hause und David beschäftigte sich mit dem schönen Mädchen, die sich langsam von ihrer Ohnmacht erholte. Er hatte sich vor sie hingesetzt, ihre Hände in die seinen gelegt, und erwartete so ihr Erwachen, ohne irgend etwas zu ihrer Hülfe zu thun. –
»Wie schön bist Du,« murmelte er. »So schön und verklärt in endlosem Reiz, wie damals, als ich zum ersten Male Dich sah, auf der Gränze vom Kinde zur Jungfrau, mitten in Pracht und Üppigkeit, im Glanze des Reichthums, Dich, eine zarte weiße Blume, die demüthig mild das süße Haupt neigt, um den Todesstreich zu empfangen. – Den Todesstreich!« rief er mit einem jähen Entsetzen, indem er die Hand an seine Stirn drückte, »Du – Du! Es darf nicht geschehen, es soll nicht geschehen. O! wie viel Jugend und Schönheit das mörderische Beil auch gefressen, es würde Dich nicht tödten können, es würde mitleidig, mitleidiger als die Menschen auf seinem Wege innehalten und Dich verschonen.« –
Als er dies leise sagte, zitternd von tiefer Bewegung, beugte er sich über die Ruhende, und plötzlich drückte er einen Kuß auf ihre Stirn und einen heißen langen Kuß auf ihre Lippen, von dem sie die Augen aufschlug.
»Wo ist Vincent?« sagte sie, »und wo? – was habe ich gehört? ist es wahr? ist es möglich? mein Vater!«
»Bürgerin,« sagte David, und er suchte seine Stimme zu mildern, »fürchte nichts. Mein Freund Vincent ist gegangen, um Deinen Vater frei zu machen, der hoffentlich nur aus Irrthum festgehalten wurde.«
»Ist das möglich? glaubst Du es?« rief Melanie mit Heftigkeit aus.
»Ich glaube es gewiß,« erwiederte er zuversichtlich.
»Und wer bist Du, Bürger?«
»Mein Name,« sagte er, »ist David.«
Bei diesem Worte zog Melanie die Hände aus den seinigen. In ihren Mienen malte sich Furcht und Entsetzen, sie versuchte aufzustehen, aber die Glieder versagten ihr den Dienst. –
»David!« sagte sie tonlos, »Jacques David, der Maler, der Präsident des Convents, das Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, der Mann, von dem sie erzählen, er habe die Mörder angeführt bei den Septemberscenen in den Gefängnissen!«
»Glaubst Du die Lüge?« rief David. »Wenn es wahr wäre, ich würde es nicht läugnen, die Feinde des Vaterlandes vernichtet zu haben. Aber es ist von Elenden ersonnen; ich ging allein auf diese Leichenfelder, um den Tod zu studiren.«
»Ein gräßliches Studium!« sagte das junge Mädchen und drückte die Hände vor ihr bleiches Gesicht. – »Aber was willst Du hier, Bürger? Wie kommst Du zu Vincent? Allmächtiger Himmel! hast Du ihn verhaften lassen? Willst Du unser Blut? Nimm das meine! Er ist schuldlos, er ist edelmüthig, o sei barmherzig, im Namen Gottes, im Namen der Menschlichkeit, verschone ihn!«
»Wie, Melanie?« sagte David gerührt und bewegt, »könntest Du glauben, daß ich meinen Freunden Böses zufügen kann?«
»Du siehst finster und leidenschaftlich aus,« erwiederte sie leise.
David senkte sein Haupt einen Augenblick, dann hob er es mit einem schwermüthigen Lächeln auf. –
»So sind die Menschen,« sagte er. »Die glatte Haut, die äußere Form bestimmt ihre Meinungen. Wenn ich zu Dir käme, wie einer der liebenswerthen Nichtswürdigen jener Tage, die in Gold und Seide, unter Puder und Schminke ihre Laster versteckten, nicht wahr, ich würde ein Lächeln auf Deine Lippen bringen können? Du gehörst zu ihnen,« murmelte er, indem er sie mit glühenden Blicken betrachtete, »Du hast es mit der Muttermilch eingesogen. In der Wiege haben sie Dir es vorgesungen, daß Du zu der unterdrückenden, hochmüthigen, von Gott erwählten Rasse gehörst.«
»Ach, laß mich los! Bürger,« sagte Melanie, »Du machst mir Furcht; was sagst Du da? was weißt Du von mir und warum willst Du mich beleidigen?«
»Bleib',« erwiederte David, »ich will Dich nicht beleidigen, aber wir wollen einen Pakt schließen. – Ich habe Vincent versprochen, Dein Freund zu sein und Dich zu beschützen, gieb mir nun Deine kleine weiße Hand, daß ich den Freundschaftseid darein leiste; nun höre mich an. – Es soll hier in Paris noch irgendwo versteckte Aristokratinnen geben, zu denen auch das Fräulein Melanie von Estampes und ihre Großtante, die alte Äbtissin von Vernicourt, Frau von La Grange-Clarisson, gehören. Wehe ihnen, wenn man sie findet! Man spürt überall, und wenn ich irgend Antheil an solchen Feindinnen des Vaterlandes nehmen könnte, würde ich ihnen rathen, so tief als möglich verborgen zu bleiben, am wenigsten aber mir selbst zu nahen, denn ich – ich – das Mitglied des Convents, der Freund und Vertraute des tugendvollen Robespierre, ich, der tausend heilige Eide dem Verderben der Tyrannen geschworen, ich würde meine Pflicht erfüllen müssen.« –
Bei diesen Worten, die er heftig hervorstieß, während er sich stolz aufrichtete, zitterte Melanie wie ein Kind. –
»Was fehlt Dir?« sagte David lächelnd, »was gehen Dich die Aristokratinnen an? Du wohnst hier, wie ich höre, mit Deiner Großmutter seit einiger Zeit bei Deinem Cousin, meinem Freunde Vincent, den ich hochachte, und ich hoffe, Dich oft zu sehen, Bürgerin. – Komm, Melanie, sei ohne Sorge, Vincent bringt Dir sicher den Vater zurück; führe mich zu Deiner Großmutter, ich will sie kennen lernen und selbst mit ihr reden.« –
Melanie machte keine Einwendung. Die unerträgliche Furcht, welche sie in David's Nähe empfand, trieb sie an, sein Begehren schnell zu erfüllen. – Sie wagte es nicht, die Augen zu ihm aufzuschlagen, seine Berührung brachte ihr Entsetzen, schnell nahm sie daher das Licht, öffnete die Thür und führte ihn durch einen schmalen Gang in dem kleinen Zufluchtsort, den sie bewohnten. –
Auf dem Wege gewann sie Ruhe und Überlegung. Sie bedachte, daß die Klugheit es gebot, dem mächtigen Freund zu schmeicheln, daß es edelmüthig gehandelt sei, wenn er den Schein annahm, sie nicht zu kennen, und daß es diesem stolzen Republikaner gewiß nicht wenige Überwindung koste, wenn er seine wahren Empfindungen verläugne. –
Warum er dies that, welche Macht ihn dazu zwang, das ahnte sie nicht. Sie war versöhnt und hoffnungsvoll, und als sie die Thür öffnete und sich zu dem Nachfolgenden umwendete, lächelte sie ihn freundlich an und reichte ihm ihre Hand, indem sie sagte:
»Lieber Bürger David, vergieb mir, wenn ich kindisch war. Du bist gut und großmüthig, nimm Dich zweier armer Frauen an, die keinen Schutz auf Erden haben, als Vincent und Dich, wenn Du ihnen beistehen willst.«
»Ich will, Melanie, ich will,« erwiederte David und plötzlich, fügte er hinzu: »Wer könnte Dir nicht beistehen, wenn er Dich sieht und hört. Vincent hat gegen das Gesetz gehandelt, er würde ihm verfallen, wenn man erführe – und doch, ich selbst – ach, bah!« sagte er, »was fällt mir da ein. Dein hübsches feines Gesicht ist Schuld daran. Es sieht so aristokratisch aus, man sollte schwören, es steckte eine Gräfin oder Baronin dahinter, und doch bist Du Vincents leibhaftige Cousine, ich will es selbst beschwören und hier –« er trat in das Zimmer, »hier in diesem kleinen elenden Zimmer finden wir die würdige Großmama.«
Bei dem Tone feiner lautschallenden Stimme richtete sich eine alte Frau ein wenig von dem Sessel auf, wo sie saß und tief herabgebeugt zu dem Licht einer Schirmlampe in einem Gebetbuche las. Ihr greises Haar war halb unter einer schwarzen Kappe versteckt und fiel zu beiden Seiten lang auf das verwitterte Gesicht voll tiefer Falten. Mit einem scheuen Blick prüfte sie den fremden Mann und machte ihm dann eine leise langsame Verbeugung mit dem Oberkörper, voll würdigen Anstandes.
»Bürgerin,« sagte David, indem er ihr die Hand bot, »ich freue mich, Dich kennen zu lernen. Ich bin der Freund deines Freundes.«
»Nehmen Sie Platz, mein Herr,« fiel die Matrone ein.
»Mein Herr?!« rief der Maler lächelnd. »In der Republik giebt es keine Herren.«
»In der Republik!« seufzte die alte Frau, indem sie die großen mageren Hände auf dem Gebetbuch faltete.
»Es ist Alles gleich, Alles frei!« sagte David.
»Der König ist todt,« murmelte die Großmutter vor sich hin.
»Ludwig Capet, ja, und die Aristokraten!«
»Mein Herr!« rief die alte Dame mit Lebendigkeit, »nehmen Sie sich in Acht!«
»Wie so, Bürgerin?« versetzte David, den die Unterhaltung zu belustigen schien.
»O! freilich!« murmelte sie vor sich hin, »ich dachte nicht daran, es ist Niemand mehr da, der freche Worte bestraft. Sonst war es anders, ja sonst!«
»Sonst gab es einen Polizeilieutenant und eine Bastille!« sagte David, »und wahr ist es, das Volk nicht allein, auch der Adel hat ihre düstern Thürme bewohnt.«
Die alte Frau richtete sich auf und sagte mit einem leisen Lächeln:
»Mehr wie ein Estampes oder Clarisson ist auf Befehl Sr. Majestät des Königs dort festgehalten worden. Welcher Familie gehören Sie an, mein Herr?«
»Welcher Familie!« rief David und lachte heftig auf, »ja, beim Heile der Republik, ich weiß es selbst nicht. So muß ich wohl sagen wie Jeannot einst vor dem stolzesten aller Könige und Tyrannen, vor Philipp von Spanien sagte: Madame, ich bin der Sohn meiner Tugenden.«
»Aber die Familie, mein Herr, hat heilige Rechte.«
»Es giebt keine Familie in Ihrem Sinne, Madame,« rief David noch immer lachend.
»Allein der Adel –«
»Der Adel ist guillotinirt, Bürgerin,« fiel der Maler mit Heftigkeit ein und schlug mit der Hand auf die morsche Platte des kleinen Tisches. »Vergiß das nicht!«
Die Matrone schaute empor. Der Schirm der Lampe war von dem Schlage aufgesprungen und jetzt fiel das volle Licht auf den Mann der Revolution, der, Spott auf den breiten Lippen, demokratisch anstandlos vor ihr saß, die phrygische Freiheitsmütze trotzig schief auf die Stirn gedrückt, die antike Toga um die nervigen Arme gewunden, und diese verschränkt hatte in übermüthiger Verachtung der besiegten Götzen.
Jetzt erst schien das Gedächtniß der Frau von Clarisson zu fassen, wer ihr gegenüber sei. Sie sah den Bürger der glorreichen Republik mit einem langen, kalten messenden Blick an, als wollte sie sagen: Ich fürchte Dich nicht! dann glitt ein Lächeln durch die verwitterten Züge und leise fragend sprach sie:
»Ich glaube Sie schon früher gesehen zu haben, mein Herr – Bürger.«
»Es ist möglich, Bürgerin,« versetzte der Gast mit rauher Schnelle. »Du hast es gehört, ich bin David, der Maler.«
»Der Maler!« rief die Dame, »David! allerdings, ich kenne Sie wieder, David, Sie haben im Hause der Estampes – Sie waren es, ja – Melanie – und meinen Großneffen, meinen unglücklichen theuren Herrn, den die Mörder – die Bürger – die Freiheit – o, mein Gott! mein armer Kopf, wie ist er alt und schwach und doch – und doch kann er nicht vergessen!«
Wie ein Bild von Stein saß sie da, ohne Regung, ohne eine Thräne; und doch wühlte ein entsetzlicher Schmerz in diesen eingesunkenen Augen. Tief verwebt in Erinnerungen schien sie nichts umher zu bemerken. Melanie hatte sich über sie gebeugt und breitete die Arme, wie zum Schutz, um sie aus, fast ohne sie zu berühren. Ein flehendes, sprachloses Bitten sollte David bestimmen, von ihr abzulassen und nicht weiter mit einem großen Unglück zu scherzen.
»Ja, ich war im Hause der Estampes,« sagte David nach einer langen Stille, »und habe zwei Kinder dort einst gekannt, was weiß ich; wo sie geblieben sind, was geht es uns an, Bürgerin? – Glück für sie, wenn sie noch leben, Glück für Jeden, der sie nicht sieht und nicht kennt. – Laßt uns von etwas Anderem reden, Ihr armen Frauen. Habt Ihr keinen Wunsch, den ich befriedigen könnte? Kann ich Euch nützlich sein, so geschieht es gern.«
»Den Wunsch, diesen traurigen Ort zu verlassen, mein Herr,« erwiederte die alte Dame. »Wenn ich das könnte, wenn ich zurückkehren könnte.«
»Wohin?« fragte David. »Es ist Krieg und Aufregung an allen Orten. Zum Alten kann Niemand zurückkehren. Die Klöster sind verbrannt und vernichtet, die Güter der Emigranten sind verkauft, die Nation braucht Geld, und ohne Geld, ohne Freunde, was thut man da in der Welt! bleibt darum hier in diesem stillen Plätzchen, mit Vincent gemeinsam will ich dann sehen, was sich weiter thun läßt. Ich werde Euch öfter besuchen, Bürgerin, wir wollen Eure Einsamkeit zerstreuen, und wer weiß,« fügte er lächelnd hinzu, »wie es sich Alles ordnet und schickt und noch zum Besten wendet.«
»Gebe es Gott und die heilige Jungfrau!« sagte die alte Dame.
»Gott! ja,« erwiederte David, »das ewige Wesen ist wieder anerkannt von der Republik, aber die heilige Jungfrau müßt Ihr nicht nennen, das ist Götzendienst. Man könnte Euch leicht in Verdacht nehmen, eine Anhängerin des Alten zu sein. Ihr habt Euch überhaupt mancherlei Redensarten angewöhnt, die gefährlich sind, und wenn Ihr in der Welt unter den freien Bürgern Frankreich lebtet, würde es gar nicht lange dauern und Ihr ständet angeklagt vor dem Revolutionstribunal. Damit ist kein Spaßen, so bleibt denn hübsch in Verborgenheit, bis –«
Er hielt inne und blickte Melanie an.
»Bis wann?« fragte diese.
»Bis die schöne Bürgerin hier ihre Hand einem echten Patrioten bietet, der im Stande ist, durch seine über allen Zweifel erhabene Bürgertugend dem Vaterland Bürgschaft zu leisten.«
Eine plötzliche Röthe trat in Melaniens Gesicht. Sie wollte etwas erwiedern, besann sich aber plötzlich und das Wort blieb auf ihrer Lippe. –
»Du scherzest, Bürger David,« sagte sie, »ich –«
»Nun Du?«
»Ich würde mich allerdings glücklich schätzen –«
»Wenn ein echter Bürger Frankreich Dich begehrte?«
»Ja, aber Du weißt, daß mein Vater – mein Schicksal – meine Zukunft – daß ich Pflichten habe –«
»Pflichten? Doch keine alten aristokratischen Träume? Man fragt nicht mehr nach Namen und Stand, Melanie, es giebt keine Unterschiede, welche die Menschen trennen. Die Vorurtheile sind abgeschafft, man frägt sein Herz und geht auf die Mairie, nicht in die Kirche, um den Segen zu empfangen, den Segen des Staates! – Und was sagt Dein Herz, schöne Bürgerin? Könntest Du Dich entschließen? Ha, wäre das nicht ein Beweis, daß Du zu der Nation gehörst? Ist das nicht ein Reinigungseid? Pflichten? für wen hast Du Pflichten?«
Er hatte ihre Hand gefaßt und sah sie mit einem Blick an, der ihr Haar emporsträubte.
»Laßt mich,« sagte sie und versuchte zu lächeln, »wie seid Ihr doch ungestüm in Allem. Allerdings habe ich Pflichten, oder meint Ihr nicht? – Vincent!« rief sie plötzlich und sprang nach der Thür, »er ist es, er kommt, ich höre seinen Schritt, ich höre Stimmen.«
»Bleib,« sagte David und zog sie zurück; »erst laß mich sehen,« und indem er sie sanft zurückdrängte, ging er hinaus und stellte sich lauschend in den dunkeln Winkel an der Tapete, wo er hören und sehen konnte, was in dem großen Zimmer vorging.
Vincent stand mit einem ältlichen Herrn vor St. Just und alle drei sprachen mit Lebhaftigkeit.
»Es ist mir lieb, Bürger Vincent,« sagte der Conventsdeputirte, »daß ich Deinem Freunde diesen Dienst leisten konnte. Eine halbe Stunde später und Du hättest mich nicht mehr gefunden, ich gehe auf Commission zur Armee nach Belgien, um Ordnung zu stiften. Du aber Bürger, Bürger Perronet, nicht wahr?«
»Allerdings, ja,« erwiederte dieser mit einer Verbeugung.
»Und Du bist Maler?«
»Maler, ja wohl, meiner Treu! Maler.« Er verbeugte sich wieder.
»Was wiegst Du hin und her wie eine Bachstelze?« sagte St. Just ärgerlich. »Du bist ein Träumer, ein Narr.«
»Ein Narr!« rief der Maler. »Wer sagt das?«
»Dein Freund hier,« fuhr der Republikaner fort, »und ich sehe wohl, daß er Recht hat. Aber wenn Du auch nicht ganz zurechnungsfähig bist, so merke Dir, daß es Pflicht und Gesetz ist, sich mit Würde zu betragen.«
»Nun, bei meiner Ehre! bei meiner Bürgerehre!« schrie der alte Herr und rieb sich lustig die Hände; »mir die Würde absprechen, mir! der ich stets ein Muster von Würde war. Aber gut, ich werde Deinen Rath befolgen, Bürger, ich werde mich nicht verbeugen, so wenig als möglich höflich sein, es ist Pflicht und Gesetz, so grob zu werden wie möglich, und wie kann es auch anders sein?«
»Du wirst am besten thun,« sagte St. Just lachend über den kläglichen Ton des alten Herrn, »wenn Du malst und schweigst. Ich denke, Du bist einer von den allezeit fertigen Künstlern, wie sie früher bedientenhaft in den Häusern der Aristokraten umherkrochen und sich beugen lernten, um ihr täglich Brod zu empfangen. Ist es nicht so? Hast Du nicht davon die Gelenkigkeit Deiner Glieder behalten?«
»Ich freilich, ich!« rief der alte Herr und dann setzte er seufzend hinzu: »Es scheint mir fast selbst so, als wäre es wahr. Du hast Recht, Bürger, ich war früher wohl zuweilen in den Häusern des hohen Adels, und kann etwas davon behalten haben.«
»So leg' es ab,« fiel St. Just ein; »Das kannst Du am Besten, wenn Du Dich in die Section einschreiben läßt, die Versammlungen des Volks besuchst, den Hinrichtungen beiwohnest, und siehst, wie man diesen Aristokraten die Vorurtheile benimmt.«
Dann gab er Vincent die Hand und sagte:
»Leb' wohl, ich kehre bald zurück. Beruf' Dich auf mich, wenn Dir etwas geschieht, Du bist ein Träumer, dem Allerlei passiren kann. Den alten Burschen da halte in Ordnung, verbirg ihn ein wenig; wenn ich wiederkomme, wollen wir über die Früchte Deiner Erziehung sprechen. Aber noch Eins: Du hast keine Frau?
»Nein,« sagte der Maler.
»Nun, so will ich doch wetten,« rief der Deputirte des Convents lachend, »wenigstens nach der alten Sitte eine Braut, und Deine heilige Cäcilie da ist mit allen Farben der Leidenschaft aus dem Herzen gekommen, während Deine Lippen zur Abwechselung mit tausend Liebesschwüren und Küssen die Sitzung unterbrachen.« –
Er nahm dabei das Licht und beleuchtete das Bild, das der alte Estampes neugierig anschaute, dann sich plötzlich abwendete und einen seltsam zornigen und erstaunten Blick auf den Maler warf.
»Siehst Du wohl?« rief St. Just, der es bemerkt hatte, »den alten Bürger greift Deine Kunst an die Ehre; er ist neidisch auf Dich, er denkt an seine Verdienste, vielleicht ist er sogar Dein Nebenbuhler und gönnt Dir die hübsche Heilige nicht. Holla, Bürger! willst Du sie etwa für Dich haben?«
»Wenn es irgend möglich ist, gewiß,« sagte der alte Mann, energisch. »Eine Heilige, wie diese, ist nicht für einen Maler geschaffen.«
»Aber für einen französischen Bürger,« rief das Mitglied des Convents. »Wir haben die Heiligen abgeschafft und sie alle in Wesen von Fleisch und Blut verwandelt. Was sollten sie auch in dem kalten, unsichtbaren Himmel? Mögen Priester und Aristokraten ihre Hoffnungen auf den Beistand der Gottheiten setzen, die so lange ihren Unsinn beschirmten; wir, wir Andern wollen die Erde für uns nehmen und genießen, was sich mit Tugend und Menschenwürde vereinen läßt. Diese Deine Heilige, Vincent, sieht fast selbst aus wie eine Aristokratin, mit einem schwermüthigen Zug um den schönen Mund, als sei sie die Tochter irgend eines landesflüchtigen Verräthers. Habe ich Recht? gehörte sie nicht zu denen, die in goldenen Windeln geboren wurden?«
»Und wenn es so wäre?« versetzte Vincent.
»Nimm Dich in Acht, Bürger!« rief St. Just, »vertraue ihnen nicht. Ist das hübsche Gesicht da Gegenstand Deiner Liebe?«
»Es könnte sein,« sagte der Maler lächelnd und ausweichend.
»Es ist so!« rief der Deputirte aus, »ich irre mich nicht. – Gut, heirathe die Bürgerin, ich will Dir beistehen, wenn's etwa Hindernisse zu besiegen giebt. Wenn ich wiederkomme, will ich Dein Beichtvater werden und Euch trauen lassen auf der Mairie. Du sollst sie zu Ehren bringen, Du, dessen Talent mehr wiegt, als alle Grafentitel der Welt.«
Er sprach so fort, während er langsam davonging. Vincent geleitete ihn hinab; der Flüchtling aber stand starr auf seiner Stelle, die Fäuste geballt und im Gesicht einen unbeschreiblichen Grimm, bis er plötzlich sich auf einen Stuhl warf, beide Hände vor seine Augen drückte und ganz erschlafft in sich zusammen sank.
In diesem Augenblick ward die Tapetenthür geöffnet, aus der mit einem Schrei der Freude Melanie hervoreilte, neben dem alten Herrn niederkniete, seine Hand mit ihren Küssen bedeckte und mit der andern seine Knie umschlang.
»Mein Vater!« rief sie, »Sie sind gerettet, ich sehe Sie wieder; welch Glück! welch kaum geahntes Entzücken!«
»Ich bin frei geworden aus ihren Mörderhänden,« sagte der Flüchtling mit einem bittern Lächeln, »frei und gerettet, wie Du es nimmst, um unser Unglück zehnfach zu empfinden, das Schwert der Schande mir ins Herz zu stoßen, und Du – lieber todt, als so entehrt! – Du wagst es, mich zum Zeugen aufzurufen?«
Das junge Mädchen sah den zürnenden Vater erschrocken an:
»Ich verstehe Sie nicht,« lispelte sie; »ich verdiene diese Vorwürfe nicht!«
»Wie?« rief der Vicomte aus, indem er heftig sich erhob, ihren Arm ergriff und sie vor das Bild führte. »Ist nicht das Dein Gesicht? Geht die Vertraulichkeit schon so weit, daß dieser Mensch es wagen darf, Dich als sein Modell zu benutzen? und habe ich nicht die Frechheit anhören müssen, daß man Dich Braut, Geliebte eines Malers nannte. Dich – Dich –!«
»Ich bin weder seine Braut noch seine Geliebte,« erwiederte Melanie sanft erröthend, »aber, mein Vater, ohne die Hülfe dieses edlen Mannes wäre ich längst todt, ich und meine arme Großtante, wir beide dem Hunger und den Mißhandlungen Preis gegeben. Mit Gefahr seines Lebens hat er mich hier verborgen; soll ich nicht dankbar sein, ihn verehren, ihn bis zur Anbetung preisen? Denn auch Sie, mein Vater, auch Sie verdanken ihm ja Freiheit und Leben. Was wären wir ohne ihn! Mein Gott, wo soll ich Worte finden, den großmüthigsten aller Menschen zu schildern?«
Der alte Mann hörte schweigend an, was sie sagte.
»Du hast wohl Recht,« erwiederte er dann, »wir sind ihm Alle Dankbarkeit schuldig, aber um diesen Preis ist sie zu theuer. – Ich werde mit ihm reden, sogleich, auf der Stelle, und wenn etwa – wenn er denkt, daß wir so tief gesunken sind, wenn er unbescheidene, unstatthafte Ansprüche macht; dann ist es besser zu leiden, was so viele der Besten litten, als der Gemeinheit sich Preis zu geben. Als ein Edelmann will ich leben und sterben, und ich hoffe nicht –«
Hier wendete er sich zur Thür, durch welche Vincent wieder hereintrat, und richtete sich stolz empor, indem er dem jungen Maler entgegenschritt.
»Ich weiß, daß Sie mich kennen, Herr Vincent,« sagte er, »ich weiß auch, was ich Ihnen verdanke. Sollten sich je die Zeiten ändern, und sie werden sich ändern, denn dieser unsinnige, unwürdige Taumel kann nicht lange währen, dann werde ich das, was Sie für meine Tochter, meine würdige Tante und für mich thaten, zu vergelten wissen. Nie haben die Herren von Estampes vergessen, was ihrem alten Geschlecht Gutes geschah, und wenn mein Wort, mein Ansehen etwas gilt, so wird einst der König von Frankreich –«
»Schweigen Sie, mein Herr, schweigen Sie, Bürger,« erwiederte Charles Vincent, ängstlich seinen Arm ergreifend. »Bedenken Sie, wo Sie sind, die Wände haben Ohren, und wenn man Sie hörte –«
»Ich habe meinem Herzen lange genug Zwang angethan,« sagte der alte Herr, »ich kann nicht schweigen, überdies aber erfordern Pflicht und Ehre, daß ich spreche. Sie sind Künstler; Künstler bedürfen der Huld der Großen, des Schutzes mächtiger Fürsten, eines Königs; Sie können daher kein blutdürstiger Republikaner sein und sind es nicht.«
»Ich bin es nicht,« erwiederte Vincent, »aber, Bürger, es giebt keine Großen und keinen Adel mehr.«
»Hier nicht, nein, doch überall sonst. Und sie werden wiederkehren; der König –«
»Es giebt keinen König!« rief der Maler heftiger.
Der alte Herr schwieg. –
»So gehören Sie doch auch zu der Rotte,« sagte er endlich.
»Ich ehre die Gesetze meines Vaterlandes. Ich bin Bürger.«
»Dann,« versetzte der Vicomte mit Hohn und als wolle er den Pflichtvergessenen beschämen, »dann verkennen Sie Ihre Aufgabe. Sie wissen, wer ich bin, wer diese junge Dame ist, wer dort in jener Kammer von Ihnen verborgen ist. Wissen Sie nicht, daß der Tod den erwartet, der einen Emigranten herbergt, daß der Tod darauf steht, wer eine Klosterfrau nicht augenblicklich den Mördern übergiebt – eine Dienerin der Religion, die verlacht, mit Füßen getreten, von den Elenden als Mittel und Hülfe der Aristokraten und Königstyrannei betrachtet wird?! Junger Mann, Sie erblassen, Sie zittern; ich will Ihnen sagen, weshalb Sie dies Alles gethan und vielleicht entschlossen sind, noch mehr zu wagen. – Zwei hülflose Frauen flehten Ihren Schutz an, aber die Eine war jung und schön. Sie würden vorübergegangen sein, wäre sie häßlich und gebrechlich gewesen. Die Schönheit rührte Sie, nicht der Abscheu vor dem Verbrechen. – Aber Melanie, mein Herr Maler, ist meine Tochter, wir sind verbannt, verfolgt, geächtet, wie wilde Thiere gehetzt, und jeder Brutalität Preis gegeben, allein noch immer ist Melanie das Fräulein von Estampes, an deren Wiege die Königin von Frankreich gestanden hat. Sie werden einsehen, daß man Vorzüge der Geburt nicht mit eine Federstrich vernichtet, daß meine Tochter niemals eine französische Bürgerin sein kann, und daß nie – nie –«
»Halten Sie ein!« rief der junge Mann aus, dessen bleiches Gesicht jetzt plötzlich glühend roth geworden. Er wendete sich schnell ab und ging dem Fenster zu, während Melanie ihm traurig sinnend nachblickte. Plötzlich kehrte Charles Vincent zurück und trat mit raschen Schritten vor seinen Gast. Seine Züge waren belebt von einem edlen Feuer, das aus seinen Augen glänzte, während er sprach, und die höhere Regung seiner Seele ausdrückte.
»Was Sie sagten, Bürger,« begann er, »hat mir erst jetzt die Empfindungen erklärt, die mich beherrschten. Ich kann und will nicht lügen, ja, ich liebe Melanie, und diese Liebe ist heiliger und höher als Rang und Stand.«
»Sie kann nie auf Billigung hoffen,« rief der alte Herr.
»Dann weiß sie zu entsagen,« erwiederte der Maler. »Ich wußte nicht, wer Melanie war, nicht ob sie schön sei und liebenswerth. Ich sah nur zwei hülflose Frauen und werfe die Anklage von mir, die Sie auf mich schleudern. Was könnte ich Ihnen Alles entgegenstellen! – Verrostete Vorrechte sind auf ewig zerrissen, der Name einer französischen Bürgerin ist nicht verächtlich. Statt der Vorzüge der Geburt sind die des Talentes erwacht, die schreckliche Ungleichheit der Menschen ist aufgehoben, die Kluft ausgefüllt, welche von der Gewalt finster Zeiten begründet ward. Die Menschenrechte, mein Herr, die heiligen Menschenrechte sind nicht umsonst ausgerufen worden, nicht umsonst wehen die Fahnen der Freiheit, nicht umsonst fließt Blut in Strömen. Es giebt einen Gott, wie oft man auch daran zweifeln möchte; es giebt einen heiligen Geist, der die verlassene Menschheit weiterführt aus der Nacht der Vorurtheile zu einer höheren, edleren Erkenntniß. Er wird die Knechtschaft enden, er wird den Haß versöhnen, er allein wird die Menschen besser machen, und die es nicht werden können, müssen umkommen, gewaltthätig, unverbesserlich, wie sie sind, bis endlich Freiheit und Frieden auf Erden blühen, bis der traurige Hochmuth nicht mehr sich unnatürlich überhebt, ein besseres Wesen sein zu wollen, mit Rechten und Vorzügen, mehr als die, welche der Weltgott aus gleichem Stoff geschaffen hat.«
»O!« rief der Vicomte aus, »ich kenne diese Sprache, die seit dreißig Jahren in Frankreich erschallt und leider geduldet wurde. Mit Trotz und Anmaßung suchen die Bettler zu nehmen, was den Besitzenden gehörte, was in Jahrhunderten erworben war, und man wußte kein besseres Mittel, als den Raub, den Mord, die Vernichtung.«
»Denken Sie daran,« rief Vincent aus, »wie die Güter erworben waren, die Sie verloren, und daran, durch welche Verbrechen, durch welchen höllischen Übermuth und Mißbrauch Ihr die Menschheit herausfordertet, endlich zu erwachen, nachzudenken, die Vernunft zu befragen, mit welchem Rechte Ihr die Gebieter, sie die Sklaven seien.«
»Fahren Sie fort,« fiel der Vicomte heftig ein, »handeln Sie nach diesen Grundsätzen, rufen Sie den Pöbel herbei, daß er die elenden Aristokraten zerreiße. Noch ein Mal, mein Herr, ich werde, was ich Ihnen an Dank schulde, nie vergessen, allein eine Verbindung, eine Freundschaft selbst ist zwischen uns nicht möglich. Ihre Aussprüche lassen mich tief in Ihr Herz blicken. Wir müssen diese Wohnung verlassen, aber es ist besser, sich allen Gefahren preis zu geben, als ruhig zu warten, bis etwa –«
Er blickte Vincent mit Mißtrauen und Unwillen an, dieser aber sagte mit stolzer Festigkeit:
»Sie werden bleiben, Bürger. Ich habe Verpflichtungen gegen Sie übernommen, die ich erfüllen muß. Ein Schritt aus diesem Zimmer könnte Alles zerstören. – Hier in meiner Hand ist ein Billet des Bürger St. Just an den Bürger Maximilian Robespierre. Er bittet darin um einen Paß für mich, den Maler Charles Vincent, der in Gesellschaft seiner Frau und deren Mutter die Barrieren passiren und eine Reise nach Dijon machen wird. – Sie werden meinen Platz einnehmen, werden ungehindert Dijon erreichen, von dort ist es leicht in die Schweiz zu entkommen, die Mittel dazu werde ich Ihnen angeben.«
Der Vicomte starrte den jungen Mann bestürzt
»Und Sie?« fragte er.
»Ich werde bleiben.«
»Bleiben und sterben!« rief Melanie mit zitternder Stimme.
»O! meine Freundin,« sagte Vincent sanft, »und wenn es sein müßte, würde der Tod mir Entsetzen einflößen?! Nein, nein! Ich habe Beschützer, mächtige Freunde. Ich werde mich verbergen, man wird mich nicht bemerken; die Zeiten werden sich ändern, und endlich wird das Glück wiederkehren.« –
Er ließ den Kopf eine Minute lang sinken, dann hob er ihn rasch empor. Sein Auge sah in Melaniens Auge; Liebe und Zärtlichkeit mischten sich mit Schmerz und sterbenden Hoffnungen, aber diese rangen sich heller empor und schienen zu sagen: Was auch geschehen mag, wir kennen uns ja, es ist nicht so leicht, unseren Bund zu trennen. –
Und Vincent reichte dem Vicomte die Hand und sagte:
»Sie sind mein Gast, Bürger; Sie bleiben. Treten Sie dort hinein zu Ihren Verwandten, ich werde hier bleiben. Niemand wird Sie stören; morgen schon werde ich versuchen, von dem Dictator das zu erhalten, was Sie bedürfen.«
Er öffnete die Tapetenthür, der alte Herr machte eine tiefe Verbeugung, dann faßte er die Hand seiner Tochter und ging. Als Vincent allein war, warf er sich in den großen Polsterstuhl, und beide Hände vor sein Gesicht deckend, murmelte er leise Worte, die in einem krampfhaften schnellen Athmen erstarben. Das Licht erlosch, er blieb wach und allein, nachsinnend, bis der Morgen dämmerte.
In der Straße ** stand ein kleines zweistöckiges Haus. Unten wohnte ein Tischler und eine schmale Treppe führte aus der engen Flur hinauf in das obere Stockwerk, wo die Fenster mit weißen Vorhängen umsteckt waren und eine Reihe von Blumentöpfen hinter den Scheiben standen. –
Vincent stand in der Frühe an diesem Hause und schaute empor. Es sah still und friedlich aus; unten hobelte der Tischler, an den Pfosten der Thür lehnte ein Mann, dessen starkes langes Haar unter einer rothen und schmutzigen Mütze hervorfiel. Gesicht und Gestalt konnten an die Septembriseurs erinnern; seine offene Brust, sein wilder Bart, der Knittel, den er in den Fäusten hielt, paßten zu dem Bilde des echten Republikaners. Der Mann warf einen verächtlichen Blick auf den Hut und das Kleid des jungen Malers.
»Was suchst Du hier, Bürger,« rief er dann, ihn finster anstarrend und ohne sich zu rühren.
»Wohnt der Bürger Robespierre hier?« fragte dieser.
»Kommst Du aus dem Monde?« schrie der Kerl höhnisch, »daß Du so fragst.«
»Mein guter Freund,« erwiederte Vincent höflich, »Du wirst verzeihen –«
»Ich habe nichts zu verzeihen und bin Dein Freund nicht, Bürger. Schande und Scham für Dich, wenn Du nicht weißt, wo der größte Bürger Frankreichs wohnt.«
Ohne ein Wort zu erwiedern, wollte der Maler bei dem Jakobiner vorüber, aber dieser hielt ihm den Knittel vor.
»Was soll's?« fragte Vincent beleidigt.
»Erst sage mir, wer Du bist?« fragte der Mann. »Man tritt hier nicht so ein, ohne Rede und Antwort. Seit die Bösewichte letzthin zwei Versuche machten, den großen Bürger zu ermorden, und man sogar ein Weib mit zwei Messern in seiner Wohnung ergriff, haben wir, seine Freunde, es übernommen, ihn zu schützen. Wer bist Du also?«
»Ich bin der Maler Charles Vincent.«
Der Kerl lachte laut auf.
»Ein Maler,« rief er; »ja, so siehst Du auch aus, einer von der Sorte, die zu nichts taugt, als –«
Hier nahm er seinen Knittel und ließ ihn auf die Hand fallen, als fiele das Beil der Guillotine nieder.
»Verläumde nicht, Bürger,« rief Vincent stolz, »hast Du vergessen, daß David auch Maler ist? Unser großer Bürger ist mein Freund, er und Robespierre besuchten mich erst gestern.«
Einen Augenblick zweifelhaft streckte der Kerl seine grobe gewaltige Hand aus, schüttelte die des Beleidigten und sagte:
»Jetzt verzeihe mir, Bürger. Gruß und Brüderschaft! Ich sehe etwas in Deinen Augen, was mir gefällt. Geh' hinauf, man wird Dich weiter führen.«
Vincent stieg die schmalen Stufen empor und trat in ein kleines Vorgemach, aus welchem ein Gemurmel von Stimmen drang. Als er die Thür öffnete, stand er still. Wohl ein Dutzend wild blickender, bärtiger Männer, ganz ähnlich dem, der Wache unten hielt, saßen in mannigfacher Gruppirung an den Wänden umher. Ein Paar hatten ihre Röcke ausgezogen und besserten die schadhaften Stellen aus, einige Andere hielten die nervigen Arme über der Brust gekreuzt und flüsterten unter einander. Als der Fremde hereinkam, blickten sie Alle auf; ihre durchdringend prüfenden Blicke hingen mißtrauisch an seinen edeln feinen Zügen; ein Unheil verkündendes Lächeln verzerrte ihre Lippen; die großen Ohrringe an den Seiten ihrer Köpfe, die sich hin und her bewegten, waren das einzig Glänzende an diesem Haufen schmutziger, zerlumpter, gemeiner Bursche. –
Der Künstler that ein Paar ungewisse Schritte, dann zögerte er. Die Thür zu dem Seitengemach war angelehnt, drinnen sprach man laut; er konnte einige Gestalten erkennen, die auf und nieder gingen. – Die Männer im Vorgemach schienen auch zu horchen. –
Vincent erinnerte sich, daß Robespierre immer von einer Bande Fanatiker aus der untersten Klasse umgeben sei, die man spottweise seine Garde nannte. Diese nichtswürdige Rotte erschien überall, wo der Wille ihres Oberhauptes und seiner Gehülfen, der Jakobiner, durchgesetzt werden sollte. Sie drängte sich in den Convent und umbrüllte die Bänke der Volksvertreter mit gezückten Messern; sie füllte die Säle des schrecklichen Revolutionstribunals, um durch ihren Beistand die Verurtheilung derer zu beschleunigen, die Robespierre gerichtet haben wollte; sie hatte erst jüngst den Karren umtanzt, auf welchem Danton und Camille Desmoulins, Herault Sechelles und Fabre d'Eglantine zur Schlachtbank fuhren, dieselben Männer, welche so oft von ihrem wüthenden Triumphgeschrei empfangen und begleitet wurden. – Das waren würdige Repräsentanten hier. So mußten die aussehen, welche für tägliche zehn Sous immer neue Köpfe forderten von der langen Liste derer, die noch immer nicht genug der reinen Bürgertugend angehörten.
Ein leises Zittern lief durch Vincent's Adern, ein Gefühl des Abscheus und des Entsetzens. Er schlug die Augen zu Boden, um den unheimlichen glühenden Blicken auszuweichen, die von allen Seiten stechend auf ihn trafen, und hörte auf die Worte, welche aus dem Zimmer zu ihm gelangten.
»Ich sage Dir,« rief eine rauhe mächtige Stimme, »die Bösewichte sind nicht zu bessern, ihre Verschwörung richtet sich gegen die Tugendhaften, gegen Dich, Robespierre, gegen uns Alle. Das Vaterland ist in Gefahr, schlafe nicht länger, Brutus, die Stunde ist da!« –
Der Spalt in der Thür war weiter aufgegangen. Vincent konnte den sehen, der gesprochen hatte. Es war ein großer, breitschultriger Mann; ein ungeheurer Kopf mit dichtem schwarzen Haar saß auf seinen Schultern, sein rothes Gesicht, häßlich und voll Blatternarben, hatte kleine feurig blitzende Augen. Neben diesem Riesen stand ein schlanker großer Mann mit spitzem Gesicht. In die Offiziertracht der Nationalgarde gekleidet stützte er sich auf seinen schweren Säbel und lächelte verächtlich über die Besorgnisse seines Nachbars. Dann war noch ein jüngerer Dritter vorhanden, der in einer Liste las und von Zeit zu Zeit diese sinken ließ, um dem Gespräche zuzuhören, und Alle standen dem großen Bürger, dem Vater aller Tugenden gegenüber, in dessen bleichen Zügen das unheimliche nervöse Zucken sein Spiel trieb, das Vincent schon gestern mit Schauder erfüllte. –
»Ist es denn meine traurige Bestimmung,« sagte Robespierre schwermüthig seufzend, als jener schwieg, »daß ich denen, die ich liebe, den Tod bringen soll? Warum muß ich das? Warum wird diese Qual, unter der mein Herz verbluten will, nicht von mir genommen?«
»Die Vorsehung,« sagte der Erste, »bedarf so auserwählte Werkzeuge, wie Du es bist, um die Tugend über die Erde zu verbreiten. Die Verräther, die Bösewichte müssen vertilgt werden, wie man Nesseln und Dornen ausrauft, damit die grüne Saat emporsprießen kann.
»Du hast Recht, Cofinhal,« erwiederte Robespierre mit demselben traurigen Tone. »Nothwendig ist es, daß die reine Tugend siege, was es auch dem Herzen kosten mag. O! daß die Menschen so schwach und so leicht zu verführen sind, daß die Leidenschaften so leicht sie verderben und Gift in ihre Adern bringen. Euch, Ihr tugendvollen und großen Bürger, Euch bleibt es übrig, eine neue Welt zu schaffen, in der die Vaterlandsliebe der Römer und Griechen sich mit der milden Großmuth des französischen Volkscharakters vereint, darum ist es nöthig, daß wir die Intriguanten und Tyrannen hindern, unser Werk zu stören.«
»Dafür laß mich sorgen, Robespierre,« rief der Offizier aus. »Dieser unwürdige Convent ist nicht genug gesäubert; man muß kurzes Spiel mit ihm spielen. Ich kenne sie Alle, aber sie sind wie die Mäuse,« sprach er lachend, »sie stecken die Köpfe zusammen, doch wagen sie sich nicht aus den Löchern, wenn sie die Katze merken.«
»Wenn es die Tugend und das Vaterland verlangen, Bürger Henriot,« sagte Robespierre, »so muß man nicht fürchten, die Verräther in ihren verborgensten Höhlen aufzusuchen. – Sagtest Du nicht, Bürger Agent Payan, daß Du bestimmt wüßtest, wie Tallien, Legendre, Vadier, Callot d'Herbois, Carnot, der schändliche Billaud und der feile Barriere geheime Zusammenkünfte halten?«
»Ich weiß es gewiß,« rief der Agent aus, »und ihre Absicht ist unverholen eine verrätherische, gegen Dich gerichtete. Die Comités wollen die Dictatur, darum streuen ihre Kreaturen unaufhörlich schändliche Verläumdungen gegen Dich aus. Die Jakobiner werden als die Armee des neuen Protectors bezeichnet, Du wirst laut und öffentlich der Cromwell Frankreichs genannt. Man zischelt den Bürgern in die Ohren, daß endlich des Blutes genug vergossen sei, daß man anhalten, umkehren, nicht länger zerstören, sondern wieder aufbauen müsse, daß man einer schrecklichen Tyrannei entgegengehe, und man wagt es, die Worte des Verräthers Danton zu wiederholen. Frankreich kehrt erst dann zur Vernunft zurück, wenn die Köpfe dieser wahnsinnigen Schurken fallen, wenn Robespierre's Kopf –«
»Halt!« rief der große Bürger mit fast unhörbarer Stimme.
Das Zucken seiner Nerven schien den ganzen Körper ergriffen zu haben, seine Stirnhaut zog sich in tausend Falten zusammen, er legte die krampfhaft gebogenen Finger auf seinen Schädel, als drücke er dort etwas hinab. Dann versuchte er zu lächeln, aber seine Lippen waren bläulich, sein Gesicht ohne Bewegung.
»Hat er nicht auch gesagt, sein Blut würde mich ersticken? Danton, o! wie liebte ich ihn. Mit welchen Schmerzen riß ich ihn von meiner Brust. Er mußte hinab, er war ein abgefallener Engel, er verrieth die Tugend und ich – ich bringe ihr alle Opfer dar. – Hat man ihn nicht gesehen,« fuhr er dann lebhafter fort, »wie er in gemeinen Genüssen schwelgte, wie er nach Gold trachtete, wie er sich in die Sümpfe der Unsittlichkeit stürzte? Kann das ein wahrer Republikaner? – Ich habe nichts, ich bin arm, ich verachte die Ausschweifungen, ich verachte das Gold. – Aber diese Elenden alle, wonach streben sie? Nach Unterdrückung, nach Macht, nach Schätzen, um ihre thierischen Begierden zu befriedigen. Es sind Heuchler, Bösewichte, Nichtswürdige, wir müssen ihre Plane zu Schanden machen; wir müssen sie entlarven.«
»Nieder mit ihnen, mit allen Verräthern!« rief Cofinhal.
»Reinige den Convent, Robespierre,« fiel Payan ein. »Die Commune ist für Dich, die Jakobiner kämpfen an Deiner Seite und was die Verräther betrifft …«
»Für diese,« sagte Henriot, indem er mit dem Säbel auf den Boden stieß, »laß mich sorgen. Meine Artilleristen haben Kartätschen für sie.«
»Ich werde St. Just zurückrufen sobald als möglich, sagte Robespierre, »er, Louthon, mein Bruder, Lebas und die andern Freunde der Tugend werden mir zur Seite stehen. Die Vorsehung will es; die Verräther dürfen nicht triumphiren, wenn die guten Menschen es hindern können. Ich werde heute Abend in der Versammlung sprechen, jetzt verlaßt mich, Bürger, ein Jeder erfülle seine Pflicht.« –
Nach einigen Minuten traten die drei heraus. Robespierre öffnete die Thür und warf einen verwunderten, furchtsamen Blick auf Vincent. –
»Du hier?« sagte er; was willst Du, Bürger Vincent?«
»Ich wünsche mit Dir zu sprechen,« versetzte der Maler. »Ich habe eine Bitte an Dich.«
Robespierre trat zurück und plötzlich wurden seine finsteren Mienen freundlicher. Womit kann ich Dir dienen?« fragte er.
»Ich habe einige Zeilen hier von dem Bürger St. Just, meinem Freunde.«
Robespierre schlug das Blatt auf und las.
»Du willst Dich verheirathen? sagte er.
»Ja, Bürger.
»Und willst einen Paß nach Dijon?«
»Es ist meine Vaterstadt.«
»Warum willst Du nicht hier bleiben?«
»Nun, Bürger,« versetzte Vincent lächelnd, »man verlebt die Flitterwochen wohl gern so einsam als möglich. Auch habe ich ein Geschäft dort, eine Auseinandersetzung mit meinen Verwandten.«
»Wen willst Du heirathen?« fragte Robespierre nach einer Pause.
»Eine junge Waise ohne Vermögen. Sie ist allein mit ihrer alten Verwandten.«
Der mächtige Beherrscher des Convents ließ seine schweren Augenlieder niederfallen auf das Papier.
»Es ist mir lieb,« sagte er, »wenn ich Dir dienen kann. St. Just bittet mich, Dir ein Certifikat auszustellen. Er verbürgt sich für Dich, aber Du hast einen Freund an David; weiß er nichts von Deiner Angelegenheit?«
»Ich glaube, er weiß es,« versetzte Vincent, indem er seine Verlegenheit unterdrückte, »und was er nicht weiß, werde ich ihm heute noch mittheilen. Ich muß Dir sagen, Bürger,« fuhr er dann unbefangen fort, »daß ich gestern selbst noch nicht zu dem Schritt entschlossen war, den ich jetzt thue. St. Just besuchte mich noch spät, ihm eröffnete ich mich, er rieth mir, meine Ehe rasch zu schließen und Paris mit meiner Frau zu verlassen. Da er sogleich reisen mußte, wies er mich an Dich.«
Robespierre trat an den großen Tisch, der im Zimmer stand, nahm ein Blatt Papier und schrieb. Mit Herzklopfen blickte Vincent nach ihm hin. Das Gemach war klein; ein Paar einfache Mobilien standen an den Wänden, im Hintergrunde ein Bett, auf einem Schrank eine Reihe Bücher, auf dem Tisch ein Haufen wohlgeordneter Schriften. Die Dielen waren weiß gescheuert, überall herrschte Ordnung und die schmale Gestalt des Schreibenden in seinem braunen sauberen Kleide, seine Zierlichkeit, seine Feinheit paßte ganz zu diesem häuslich stillen Raume.
Wer hätte denken können, daß dieß die Wohnung des allmächtigen Hauptes der Republik sei, daß hier alle die blutigen Katastrophen beschlossen wurden, welche über des weiten Frankreichs Grenzen hinaus die Welt erschütterten, wer endlich hätte diesem sanftmüthig stillen Gesicht es angesehen, daß es erbarmungslosen Tod über seine besten Freunde aussprechen könne, daß es so eben, in diesem Augenblicke noch, unter heuchlerischem Seufzen an neues Blut gedacht, neue Verbrechen ersonnen, seiner schrecklichen Tugend neue Opfer schlachten wolle!
»Hier, Bürger Vincent,« sagte Robespierre, »hier ist das Certifikat. – Ich verbürge mich darin für Dich und die zwei Frauen. Geh auf die Mairie damit, Du wirst den Paß sogleich erhalten.«
Und als habe er die Gedanken erforscht, welche Vincent's Gehirn erhitzten, faßte er plötzlich dessen Arm und sah ihn mit seinen trüben todten Augen eine Minute lang an.
»Bürger Vincent,« murmelte er, »Du siehst, ich bin Dein Freund. St. Just hat Recht, Ihr Maler seid Alle Träumer, man kann von den Meisten von Euch nichts hoffen für die heilige Sache des Vaterlandes, man muß Euch Euren Weg gehen lassen. Gut, gehe Du den Deinen, ich hindere Dich nicht. Aber Eines merke Dir, Bürger. Man kann auch durch Schweigen seinem Vaterlande und der Tugend große Dienste erweisen. Ich fürchte den Verrath nicht, aber ich hasse die Verräther. Ich vernichte Die, welche mich hindern, Gutes zu thun; ich bin unerbittlich gegen die Elenden, die sich den Feinden Frankreichs zugesellen, mit Warnung und was der Zufall sie etwa erlauschen ließ.« –
Hier heftete er den Blick drohend auf den Maler und seine Lippen zuckten convulsivisch. –
»Reise, Bürger,« sagte er, »reise heute noch und lebe wohl. Ich werde mein Auge nicht von Dir wenden; ich finde Dich wieder.« –
Er reichte ihm die Hand, sie war so kalt wie eine Todtenhand, die Vincent's Blut erstarren ließ. – Er sprach seinen Dank hastig aus, dann ging er durch das Vorzimmer, ohne den Blick aufzuschlagen, und sprang so rasch er konnte die Stufen hinunter.
»Was das Beste für ihn wäre?« sagte Robespierre mit seinem eisigen Lächeln. – »Ich denke die Bekanntschaft meines Freundes Fouquier Tinville und des Bürgers Samson. Und wenn St. Just nicht so bethört wäre und David der Freund dieses albernen Schwärmers, ich hätte Grund genug ihn der Gerechtigkeit der Nation zu übergeben. Ein Mensch, der Heilige malt, ein Mensch, der mich nicht kennt, ist seinem Vaterlande mindestens unnütz, und das Unnütze muß fort, um, wie Cofinhal sagt, dem Nützlichen Platz zu machen.«
Er hörte unten ein lautes Rufen und trat ans Fenster. Da stand David, die phrygische Mütze schwenkend und den Arm weit aus seiner Toga hervorgestreckt.
»Vincent!« rief er, »halt! Bürger Vincent!«
Aber der Bürger dieses Namens hatte nicht die geringste Lust zu hören. – Er lief die Straße hinunter mit einer Eile, als brenne das Pflaster unter seinen Füßen. David stampfte dazu vor Heftigkeit, und schrie eine schwere Verwünschung nach der andern, bis er endlich seine Mütze aufsetzte und die Treppe hinauf zu Robespierre stürzte.
»Das ist der einzige Getreue,« sagte dieser, »der einzige Freund der reinen Tugend unter den Bösewichten im Sicherheitsausschusse. Aber zittert, ihr Lasterhaften, zittert ihr Elenden, nichts rettet Euch vor der Strafe. Die hehre Göttin ist mit mir. Ich, ihr Priester, verkünde ihren Willen; Volk von Frankreich, wer kann Dein Glück malen, wenn einst das Böse ganz vernichtet, die unbefleckte Freiheit alle Herzen erfüllt!«
Nach mehreren Stunden kam Vincent zurück. Ganz erhitzt und athemlos stieg er die vier schmalen hohen Treppen zu seiner Wohnung hinauf, dann öffnete er die Thür, warf den Hut auf den Tisch und sah sich fragend in dem leeren Raume um. – »Sie ist nicht hier?« sagte er seufzend; »gleichviel, was könnte ich ihr auch sagen. – Nichts als das Eine,« murmelte er vor sich hin, »daß ich sie liebe, daß ich sie nie, nie vergessen werde, und daß sie glücklich sein mag, glücklich dort in dem fremden Lande, glücklich ohne mich, wenn ich nicht mehr sein werde.« –
Er wendete sich erschrocken und freudig um, denn er hörte ein leises Rauschen; Melanie stand bleich und freundlich an der Thür.
»Meine liebe Freundin,« sagte Vincent, »ich habe Ihnen glückliche Nachrichten zu bringen. Es ist mir gelungen, einen Paß zu erhalten auf drei Personen; ungehindert werden Sie Paris verlassen; dies Papier wird Ihnen alle Wege öffnen; ich zweifle nicht daran, daß es Ihnen leicht gelingen wird, auch die Grenzen zu überschreiten, und wenn Sie in Sicherheit sind, Melanie, dann – dann –«
Er hielt inne, die Stimme versagte ihm den Dienst, da schlug er die Augen auf und blickte die Geliebte traurig, zum Tode betrübt an.
»Muß es denn sein?« fragte Melanie; »muß ich denn gehen und Sie allein lassen? – O, mein Gott! Charles, es kann nicht geschehen, ich kann es nicht denken, ich würde es nicht ertragen.«
»So bleiben Sie bei mir,« rief Vincent mit Heftigkeit. »Doch nein,« fügte er traurig hinzu, »Sie können nicht, Sie dürfen nicht. Ein Vater, eine geliebte Verwandte fordern Sie und hier ist der Tod, hier schleicht er umher und sucht seine Opfer. Was hat man über Sie beschlossen?«
»Ich weiß es nicht,« erwiederte sie, »aber was kann mein Schicksal sein? Sie wissen, daß ich zum Kloster bestimmt ward, Sie kennen meinen traurigen Lebenslauf. Jetzt ist mein Bruder todt, mein Vater güterlos, seine Hoffnungen vernichtet. – Ich weiß nichts, Herr Vincent, ich bin sehr unglücklich.«
»Unglücklich!« rief der junge Mann, »und warum können wir nicht glücklich sein? Wer hindert uns daran? Die Vorurtheile, die traurigen Leidenschaften der Menschen! – Melanie!« –
Er schwieg und hielt ihre zitternde Hand –
»Meine theure geliebte Melanie!«
Er hatte beide Arme fest um sie geschlungen, seine Küsse brannten auf ihren bleichen Lippen, sie athmete kaum.
»Bleibe bei mir!« flüsterte er, »sage Dich los von ihnen, wage es frei zu sein, Deinem Herzen und dem Glück zu folgen. – Ich will alle ihre Liebe ersetzen, ich habe mehr für Dich als sie, die Dich in eine fremde Welt führen, die uns trennen, uns auf immer elend machen, um ihren Götzen ein Opfer zu bringen. Bald wird die Zeit kommen, wo man anders denken wird. Ich will darnach ringen, ich will meinen Namen groß und berühmt machen, sie sollen sich nicht schämen; o! die Liebe kann Alles, und wenn sie Dir fluchen, ich will es in Segen verwandeln.«
Bei diesen Worten richtete sich Melanie auf. Ihr Gesicht war bleich, wie der Tod, aber eine hohe Entschlossenheit sprach aus ihren Augen. –
»Ja, ich liebe Sie, Vincent,« sagte sie leise, »und nichts wird mich vermögen, dieser Liebe jemals zu entsagen.«
»Halt!« rief der Vicomte, der schnell hereintrat, »halt ein! ich befehle es Dir.«
»Mein Vater,« sagte sie ruhig, »Sie hörten, was ich sagte; das ist ein heiliges Gelöbniß und nie will ich es brechen. Wenn Sie mich von ihm reißen, werde ich folgen, wohin Sie befehlen. Sie werden mein Herz zerbrechen; ich fühle es wohl, es ist nicht gemacht, solche Leiden lange zu tragen, aber Sie werden eine gehorsame Tochter finden. – Ich liebe Vincent, den edelsten Menschen, den ich kenne, dessen Tugenden ihn so hoch erheben, daß alle Namen dagegen verschwinden; ich kann entsagen, und er – er kann es auch. – Sehen Sie hier diesen Paß, der unsere Flucht sichert, er hat ihn dem blutdürstigen Robespierre abgeschmeichelt, er bleibt zurück, um sich den Streichen auszusetzen, dem Blutbeil, das ihn bedroht, und für wen, mein Vater?? Für Sie, für meine Tante, für mich, die er auf immer verlieren soll. – Rührt Sie das nicht, hat dieser Edelmuth keinen Weg zu Ihrer Brust? Erbarmen! mein Vater, haben Sie Mitleid.« –
Sie streckte die Hand flehend nach ihm aus, aber der alte Herr blickte sie zornig an.
»Ich hoffe, Herr Vincent, daß ich Ruhe und Einsicht bei Ihnen finde. – Ich weiß und erkenne Alles, was Sie thun; ja, Sie könnten mich zu zwingen meinen. Sie könnten mir Bedingungen stellen. Sie könnten mir sagen, für diesen Paß da verkaufe mir Deine Tochter, Du bist in meiner Hand.«
»Sprechen Sie nicht weiter!« rief der Maler empört aus, indem eine tiefe Röthe dein Gesicht bedeckte. – »Melanie hat entschieden, Sie haben es gehört und nichts kann Sie hindern, Ihren harten Willen auszuführen. Dort liegt der Paß, nehmen Sie ihn, für alles Andere werde ich Sorge tragen. Was ich besitze, reicht hin, Ihre Flucht zu sichern. Ich entsage dem Glück, weil ich liebe. – Wenn aber einst des Herz gebrochen ist, wenn Sie verzweifelnd und kinderlos sein werden, dann zu spät wird die Reue kommen.«
»Ich habe nichts zu bereuen!« sagte der Vicomte, »aber,« setzte er milder hinzu, »ich beklage es, nicht anders handeln zu können.« –
Er ging mit großen Schritten auf und ab und blieb dann plötzlich stehen.
»Ich bin nicht grausam,« sagte er, »ich will es Ihnen beweisen. Melanie mag wählen, frei wählen, was sie thun will. – Will sie mir, ihrer Familie, ihrem Blute und ihren Rechten entsagen, wohlan denn, so mag sie es thun. – Hier steht der Bürger Vincent,« sprach er mit einem bittern Lächeln, »und hier der Vicomte Estampes, Dein Vater. – Willst Du auf die Mairie gehen, mit dem Strickstrumpf in die Section wandern, eine gute Bürgerin werden und ihm Modell stehen? willst Du Dich so entwerthen, gut, ich will es nicht segnen, aber ich werde Dir auch nicht fluchen. – Ich will denken, Du seiest mir gestorben, wie Henry; ich will Deinen Todestag begehen und Dich beweinen.«
»Mein Vater!« rief Melanie aus und es lag ein Ausdruck tödtlicher Herzensangst in ihrer Stimme.
»Entscheide Dich!« erwiederte der alte Herr stolz. »Hier giebt es keinen Zwischenweg. Da oder dort, an seinem Herzen oder in meinen Armen. Tochter oder Weib, das ist die Frage.«
Vincent hatte die Arme über die Brust gekreuzt, er stand dem Vicomte gegenüber, bleich und ruhig. Sein Auge blickte fest auf die Geliebte, kein Muskel bewegte sich, er war einer Bildsäule gleich, in deren marmorkalten Zügen der Meister die erhabenen Gedanken, die Kraft eines edlen entschlossenen Geistes gemeißelt hatte.
Plötzlich that Melanie einen schwankenden Schritt, dann stürzte sie sich an Vincent's Brust und legte ihren zitternden Kopf auf sein Herz.
»Ich habe entschieden,« rief sie, »hier ist mein Platz, bei Dir, mein edler, mein geliebter Freund. Vergebung, mein Vater! ach, Vergebung! ich kann, ich darf Ihnen nicht folgen, wenn Sie mein Schicksal in meine Hand legen.«
»Melanie!« rief Vincent, wie zum Leben erwacht, mit dem Ausdruck des höchsten Entzückens, »meine Geliebte! mein Weib!«
Der Vicomte kehrte sich ruhig von ihnen und steckte den Paß ein.
»Es wird nichts thun, wenn auf diesen Paß zwei statt drei Personen reisen, das Papier selbst ist die Hauptsache. – Nur wenige Stunden noch, Herr Vincent, gestatten Sie mir, unter diesem Dache zu sein, dann gehe ich für immer.«
»O, gehen Sie nicht im Zorn von uns, mein Vater!« rief Melanie.
»Ein für allemal,« versetzte der alte Herr; »ich habe keine Tochter mehr. Sie ist todt.«
Melanie lehnte sich weinend an Vincent.
»Herr Vicomte,« sagte dieser, »giebt es kein Mittel, Sie zu versöhnen?«
»Sprechen wir nicht mehr davon,« erwiederte dieser. »Was geschehen, ist geschehen. Ich gehe, der Frau Äbtissin zu erklären, daß wir reisen, im Übrigen bin und bleibe ich Ihr Schuldner, mein Herr, und werde nie versäumen, mich meiner Verpflichtungen zu erinnern.«
»Ich gebe die Hoffnung auf,« rief der Künstler; »tröste Dich, Melanie, es wird nicht immer so sein. Einst wird dieser strenge Vater uns dennoch gütig aufnehmen, er wird sein Herz wiederfinden, wenn er sieht, daß wir glücklich sind, daß Ruhm und Ehre mich begleiten.«
»Ehre? dem Maler?!« rief der Vicomte.
»Mein Herr!« rief Vincent mit leuchtenden Augen; »was war Rafael, was Michel Angelo, was Titian, was Ruhens oder Murillo? Maler waren sie und doch buhlten die mächtigsten Könige um ihre Freundschaft, überhäuften sie mit Schätzen und Ehren und hätten Fürsten aus ihnen gemacht, wenn sie es gewollt hätten. – Und vor mir liegt ein langes Leben. Ich fühle Kraft, ich fühle den Muth, das Höchste zu erringen, jeden Preis, jede Ruhmesstaffel, um Melaniens willen, eine Krone, wenn sie es wünscht.«
»Gut, mein Herr Maler,« sagte der Vicomte lächelnd, »thun Sie das; wenn es gedieht, wollen wir weiter reden. Für jetzt leben Sie wohl!«
Vincent schloß die Geliebte fest an seine Brust.
»Das erstarrte Herz des Vaters ist nicht zu erwärmen,« sagte er; »seine hochmüthigen Vorurtheile sind unüberwindlich. Er geht, aber es beglückt mich, daß er es ungehindert kann. Klage nicht, Melanie, es kann nicht anders sein. Dir bleibt der Freund, der Gatte; wir werden glücklich sein und Alle versöhnen.«
Vor der Thür entstand ein Geräusch; mit starker Hand ward das Schloß aufgedrückt; Melanie wollte sich Vincent's Armen entwinden, aber er hielt sie fest und rief:
»Ich kenne diesen Schritt, es ist der Bürger David.«
»Er ist es!« rief David und blieb an der Schwelle stehen, als er die Beiden erblickte. Sein finsteres Gesicht verdunkelte sich tiefer, die Falten auf seiner Stirn zogen sich in einem Kreis zusammen und das kleine Auge rollte in der tiefen Höhle.
»Mein väterlicher Freund!« rief Vincent, »komm zu uns, gieb mir Deine Hand und Deinen Segen! – Melanie ist mein, sie wird eine Bürgerin des schönen Frankreich sein, sie wird meinem Ehrgeize neuen, kühneren Schwung verleihen.«
»Eine Liebesscene?« sprach David. »Wie kam Das? Und er, der stolze hoffärtige Narr, er billigt es? Ist er so tief gesunken?«
»Er geht,« versetzte Vincent, »er scheidet sich von uns, aber ich will ihn schon versöhnen.. Einst wird mein Name glänzen, ich will ihn berühmt machen, ich werde der erste Künstler Frankreichs sein.«
»Der Erste?« rief David.
»Der Erste,« sagte Vincent. »Ich will nicht rasten, nicht ruhen, bis ich es bin. Es soll keinen Zweiten geben neben mir. Auch Du sollst mir weichen; ich will den Wettkampf mit Dir beginnen; der Blick auf meine geliebte Melanie wird mir Sieg verleihen.«
»Glück zu! Glück zu!« rief David und mit heftigen Schritten ging er durch das Zimmer. – »Du hast einen schönen Anfang gemacht. Da Deine Cäcilie, dort Dein Aufstand im Palais Royal! Wir werden sehen, Knabe, wer gewinnt. Du schwärmst in Empfindungen, in Träumen; sie werden vergehen wie Rauch.«
»Sie werden nicht vergehen,« versetzte der junge Künstler. »Ich liebe!«
»Die Aristokratin!
»Sie ist es nicht, sie hat den Bürger gewählt. Es giebt kein Fräulein von Estampes mehr. – Robespierre's Wort hat ihrem Vater den Paß verschafft.«
»Der für Dich bestimmt war,« rief David. »Du hast ihn betrogen! Weißt Du, was es heißt, das Vaterland, das Gesetz betrügen?«
Die beiden Männer betrachteten einander mit finsteren fragenden Blicken. Vincent war heftig erschrocken, David stand drohend vor ihm.
»Ich that, was ich mußte,« sagte der junge Maler endlich; »es gab keinen andern Weg, um Unglück zu verhüten. Sei mild, David, wende Dich nicht von mir, beschütze mich, liebe mich, wie Du es oft gesagt hast!« –
Der Mann des Convents schüttelte finster den Kopf.
»Wenn ich Dein Freund sein soll,« versetzte er, »so mußt Du diese da lassen. Sie drängt sich zwischen uns, ein Gespenst des Zornes. Es ist thöricht von Dir, es ist verbrecherisch, es soll nicht sein; Du mußt verzichten.«
»Niemals!« rief Vincent. »Eher mein Leben als Melanie!«
»Dein Leben, Narr, Dein Leben?« rief David. »Hüte Dich, Du bist nahe daran. – Doch was kümmert es mich, was kümmert mich Dein Treiben, was weiß ich von dieser geheimen Verkuppelung?«
»Bürger David!« sagte Vincent stolz »Du beleidigst mich. Ich habe mich kindlich gefreut, Dich zum Zeugen meines Glückes zu machen; Du wußtest, wie es stand, wußtest, daß ich liebte.«
»Ich wußte es nicht,« fiel David ein; »Du sprachst nicht von Deiner Liebe. Hättest Du es gethan, ich hätte Dir gesagt, daß –«
Er betrachtete ihn finster und sagte dann:
»Wohlan denn, sieh zu, ob Du siegst, ob Du überall ein glücklicher Nebenbuhler bist; ob es so leicht ist, den David zu überwinden.«
Vincent umfing Melanie zärtlich und sagte dann sanft:
»Wenigstens wirst Du mir hier den Rang nicht streitig machen wollen. Dies Herz gehört mir allein, auf jedem andern Felde will ich mit Dir kämpfen. Lieber David, verzeihe mir, aber ich verstehe Dich nicht. Du wußtest, wer Melanie ist, daß das Fräulein von Estampes, ihr Vater, ihre Tante, die Äbtissin –»
»Unglücklicher!« rief David, »schweig; warum wiederholst Du mir diese verabscheuungswerthen Namen? Geh', entfliehe, verbirg Dich, ich habe nichts mit Dir zu schaffen, nichts mit denen, die mit Dir sind!«
Er warf die Toga über seinen Arm und verließ schnell das Zimmer.
»Höre mich, David,« rief Vincent, aber er polterte die Treppen hinunter und ärgerlich kehrte der Maler zurück.
»Was will er thun? Wohin geht er?« fragte Melanie ängstlich.
»Beruhige Dich,« erwiederte Vincent lächelnd, »ich kenne diese zornige Heftigkeit; er wird umkehren, er ist mein Freund.«
»O, Du weißt es nicht!« sagte das junge Mädchen leise; »ich fürchte mich sehr.«
»Fürchte nichts,« sprach ihr Geliebter beruhigend, »aber wir wollen diese Wohnung verlassen, und sobald Dein Vater fort ist, für uns selbst einen sicheren und verborgenen Aufenthalt suchen.«
Während sie sich in Planen für die Zukunft ergingen, schritt David ohne aufzublicken durch die Straßen. Er sah Niemand an, dankte denen nicht, die ihn grüßten und sprach heftige Worte ohne Wahl und Zusammenhang vor sich hin.
»Er wäre es im Stande,« rief er, »der eitle Knabe, der Verräther! – Er ist ein großes Talent, doch welche Anmaßung – mich in den Schatten drängen – mich! – mit mir den Kampf wagen – mir auch diesen Ruhm zu entreißen! – Und wenn es ihm gelänge, wenn dieser Knabe den Kranz von meiner Stirn risse, den die große Göttin der Kunst darum gewunden, der Undankbare, der Elende! Verflucht sei der Gedanke!« –
Er lachte laut auf, dann sagte er:
»Habe ich doch nie daran gedacht, daß er mir gefährlich werden könnte.« –
Plötzlich stand er still und ein schrecklicher Hohn lief durch sein häßliches Gesicht. –
»Bin ich nicht selbst ein Verbrecher,« sagte er, »wenn ich das Verbrechen theile? Gilt das Gesetz nicht für Jeden, der es kennt, die Übelthäter zu entlarven? Hat Brutus gezagt, als er den eigenen Sohn opferte? Die Tugend will es, die Tugend befiehlt es, ich werde meine Pflicht thun; triumphire nicht, Verräther!«
In dem Augenblicke hörte er das Geschrei des Volkes und blickte auf. – Da kam Robespierre den Weg herab, sein Gefolge mit ihm, die wildblickenden Republikaner, die Frauen, welche den großen Bürger umringten, und ihre Kinder von ihm segnen ließen. –
Mit schnellen Schritten trat David auf ihn zu, ergriff seine Hand und zog ihn mit sich fort.
»Ich habe Dir etwas zu sagen,« rief er. »Du hast dem Bürger Vincent Deinen Schutz ertheilt und einen Paß geben lassen; er hat Dich betrogen. In seinem Hause herbergt er den Vicomte von Estampes und dessen Familie, ihnen will er zur Flucht behülflich sein.«
»Und das sagst Du mir, Bürger David?« erwiederte Robespierre erstaunt.
»Ich sage es Dir,« rief David, »ich der Bürger Frankreichs. Von meiner Brust reiße ich den Sohn, den Kunstgenossen, den ich liebe, dessen Talent ich bewundere. Ich werfe ihn der hehren Tugend zum Opfer hin, er ist ein Verräther, den Gesetzen verfallen; diese verlangen seine Strafe, ich aber muß es beklagen, so lange ich klagen kann.«
»Großer Bürger,« rief Robespierre, »komm an mein Herz! Heil dem Lande, das Männer hat, wie Du! Mögen sich alle Tyrannen dagegen verschwören, der Sieg bleibt sein, es ist unüberwindlich!«
Spät am Abend hielt unten an der Thür des Hauses, wo Vincent wohnte, ein Fiaker, der von Zeit zu Zeit mit seiner Peitsche knallte und Zeichen der Unzufriedenheit und der Unruhe über sein Warten laut werden ließ. Von Zeit zu Zeit blickte er zu den Fenstern hinauf und sagte dann endlich:
»Was mögen sie vorhaben? Es ist nicht richtig hier; man läßt Niemand so lange warten, den man für jede Minute bezahlen muß. – Da schleichen Kerle ums Haus hin und her, weiß Gott! es sind Blauröcke. Armer junger Mann! Könnte ich ihn nur warnen; ich fahre davon, vielleicht hören sie es oben.« –
Er nahm seine Peitsche und rief den Pferden zu, plötzlich aber wurden diese an den Zügeln festgehalten und eine rauhe Stimme sagte:
»Halt, Bürger! Drehe Deinen Wagen um.«
»Warum?« versetzte der Fiaker.
»Du sollst eine Fahrt thun.«
»Ich bin bestellt von einem Herrn, den ich erwarte.«
»Und er wird kommen,« rief dieselbe grobe Stimme. »Im Namen des Gesetzes! weigere Dich nicht länger.
Der Name des Gesetzes hatte in jenen Tagen einen so fürchterlichen Klang, daß der arme Fuhrmann ohne eine Gegenrede seine Pferde umwendete und wieder an der Thür hielt, durch welche ein Paar Männer hineinschritten, während zwei andere sich neben den Wagen postirten. –
Leise stiegen die Häscher die Treppen hinauf und blieben horchend an der Thür des Malers stehen. Es war laut darinnen, aber man sprach so gedämpft, daß wenig zu verstehen war. Endlich sagte Jemand herrisch stolz:
»Laßt uns scheiden, die Zeit ist um. Es bleibt dabei, Herr Vincent; wenn einst der König wiederkehrt und Sie dann vermögen, Ihre stolzen Worte wahr zu machen, will ich mich erinnern, daß ich eine Tochter habe, bis dahin leben Sie wohl; ich werde Ihrer und Ihrer Dienste gedenken.«
– »Mein Vater!« rief Melanie, »so können Sie mich verlassen? und Sie, meine theure Tante – Sie –«
Die alte Dame stützte sich auf ihren Neffen und sagte mit ihrer zitternden Stimme:
»Wer Gott den Herrn verleugnet, seine Ehre und sein Blut, der soll gerichtet werden hier und dort. Nie haben die Estampes ein solches Unglück zu beklagen gehabt, ach! welche Tage, welche Verwilderung, welche Sittenlosigkeit! ich glaubte das nie erleben zu können. Laß meine Hand los, ungerathenes Kind, ich kann Dir meinen Segen nicht geben.«
»Zu mir, Melanie, zu mir!« rief Vincent, »es ist vergebens! Gehen Sie, Herr Vicomte, Sie haben Recht, es giebt für Sie keine Tochter mehr.«
Der alte Herr drückte stolz seinen Hut auf die Stirn und faßte den Arm seiner Tante.
»Lassen Sie uns gehen, Madame,« sagte er, »ich möchte sonst vergessen, wer ich bin und was ich gelobt.«
In dem Augenblick, da er sich der Thür nahte, wurde draußen Heftig angepocht. »Öffnet im Namen des Gesetzes!« rief eine rauhe heftige Stimme, und ehe Vincent, der hinzusprang, den Riegel in den Haken drücken konnte, sprang das schwache Schloß zurück und zeigte die fürchterlichen Diener des Gerichts.
»Keinen Widerstand, Bürger,« rief der Commissair, indem er die Hand an seine Schärpe legte, »ich verhafte Euch im Namen der Commission der öffentlichen Sicherheit. Hier ist der Befehl!« –
Er schlug ein Blatt Papier auf und hielt es den erbleichenden Flüchtlingen entgegen.
Vincent faßte sich zuerst.
»Du irrst, Bürger Commissair,« sagte er, »hier ist ein Paß, den ich von der Behörde erst heute empfing.«
»Schäme Dich, Bürger,« rief der Beamte, »das Gesetz betrügen zu wollen. Der Paß ist ungültig, Du hast ihn für diese hier erschlichen. – Leugne nicht,« fuhr er fort, »es ist unnütz, es würde Dir nichts helfen. – Oder ist es nicht wahr, ist dies nicht der ehemalige Vicomte Estampes?«
»So ist es, mein Herr,« erwiederte der alte Herr selbst. »Ich bin der Baron von Estampes und werde mich nie verleugnen.«
»Und diese beiden Bürgerinnen,« rief der Commissair, »sind daher unzweifelhaft –«
»Die Frau von Clarisson und meine Tochter,« fiel der Vicomte mit Würde ein. »Sie sind es beide. – Sagen Sie ohne Umschweife, mein Herr, wohin wir gehen sollen.«
»Zuvörderst,« versetzte der Beamte, »nach dem Temple, in Begleitung des Bürgers Vincent und morgen vor das Revolutions-Tribunal.«
»Wir sind verloren!« rief Melanie, indem sie an Vincent's Brust sank
.
»Von diesem Augenblicke an,« sagte der alte Herr stolz, »bist Du wieder eine Estampes und meine Tochter. Keine unwürdige Klage; wir gehören zu denen, die zu leiden und zu sterben wissen.«
Er bot der alten Dame den Arm und führte sie sorgsam hinaus. Vincent folgte wankend. Er unterstützte Melanie, die zitternd und schweigend neben ihm schritt. Die Verzweiflung ihrer Herzen machte beide stumm. Unten hielt der Wagen; sie stiegen ein; die Hascher hielten den Volksschwarm zurück, der sich gesammelt hatte und mit dem wilden Geschrei: »Nieder mit den Aristokraten!« sie auf dem schrecklichen Wege begleitete. –
Vincent hielt Melaniens Hände in den seinen fest, und wenn das Geflimmer einer Lampe die Dunkelheit erhellte, sahen sich beide in die bleichen Gesichter und suchten Trost zu nehmen und zu geben.
So erreichten sie die düstern Thore des Gefängnisses; die Beamten und Wachen umringten sie; wenige Minuten später waren sie getrennt, kaum vermochten ihre Lippen ein Wort des Abschieds zu flüstern.
Welche Nacht für Vincent! Er war in einer finstern kleinen Halle, wo mehrere Unglücksgefährten sich befanden, die theilnehmend nach seinem Schicksal forschten. – In abgebrochenen Worten erzählte er ihnen seine Schuld und sie schwiegen und starrten ihn mitleidig an. Jeder hatte seine Hoffnungen, weniger schuldig zu sein als dieser verlorene Mann, aber größere oder geringere Fehl, wie wenig wog sie in den Augen der unerbittlichen Richter. Einer nur, ein junger bleicher Mann mit blitzenden schwarzen Augen und edler Stirn, drückte Vincent mit Innigkeit die Hand. –
»Du hast gehandelt, Bürger,« rief er, »wie Du mußtest, wie ein wahrer tugendhafter Mensch es soll. Sie werden diese Tugend anerkennen, sie werden Dich nicht verurtheilen, sie können und dürfen es nicht! Wer soll die Erhabenheit der Seele preisen, wenn die Republik es nicht thut? Nein, nein! vertraue ihnen, sie sind nicht so unmenschlich, die menschliche Größe und Schwäche zu mißachten, und Du bist Künstler, Dein Name gehört dem Vaterlande, auch der meinige, und ich hoffe wie Du!«
»Wer bist Du?« fragte Vincent.
»Ich bin Chenier, der Dichter; André Chenier André Chénier (1762-1794), französischer Autor, der vor allem als Lyriker bekannt ist. Er schloss sich den gemäßigten Revolutionären an, attackierte ab Ende 1791 mit aggressiven Versen und Pamphleten die radikalen Revolutionäre, wurde Anfang 1794 verhaftet und am 25. Juli guillotiniert, zwei Tage vor dem Sturz des Diktators Robespierre und dem Ende des Großen Terrors. - Sein Schicksal ist Gegenstand der Oper »Andrea Chénier« (1896) des italienischen Komponisten Umberto Giordano.,« sagte der junge Mann, indem er die Stirn stolz emporhob. »Angeklagt, wie Du, erwarte ich den Richterspruch, aber ich fürchte nichts. Ich, der Dichter der Oden auf die Tyrannei, ich ein Verräther! – Man fürchtet mein Talent, Neid und Mißgunst haben mich hierhergeführt, mein Tod würde denen erwünscht sein, die meine Nebenbuhler sind, die Elenden! In Wirklichkeit war von André Chénier zu diesem Zeitpunkt noch nichts gedruckt. Trotz seiner angeblichen »Oden auf die Tyrannei« galt er den Radikalen als Monarchist; er hatte erfolglos versucht, sich aktiv an der Rettung König Ludwigs XVI. zu beteiligen, und verherrlichte den Mord der Charlotte Corday an Jean Paul Marat vom 13. Juli 1793. Ich werde sie zu Schanden machen. – Ich werde frei aus diesem Kerker gehen, meine Lieder werden die Freiheit preisen, ich kann nicht so jung sterben, es ist unmöglich, es ist da etwas« – er schlug an seine Stirn – »das muß wirken und schaffen!«
Seine Worte machten den tiefsten Eindruck auf den Maler. Der Neid, die Mißgunst, die Nebenbuhler! Ein schrecklicher Gedanke kam gewaltsam in sein Herz zurück. David! er hatte den Verdacht mit Verachtung verworfen, plötzlich wuchs er riesengroß in ihm und umklammerte seine Seele. Seine Stirn bedeckte sich mit Schweiß, er schlug die Hände vor sein Gesicht, seine Thränen flossen darunter hervor. So jung zu sterben! und da hinter seiner Stirn lag auch etwas, ach! es war unmöglich, den schrecklichen Gedanken zu fassen. –
So saß er die ganze Nacht, bald von Hoffnungen ergriffen, bald von Verzweiflung angefaßt und in der ersten Morgenfrühe klirrten die Riegel, sein Name wurde gerufen, er sollte vor dem Tribunal erscheinen.
»Du wirst bevorzugt, Vincent,« sagte Chenier, »man hat Eile mit Dir. Lebe wohl; wir sehen uns in der Freiheit wieder, dort wo ein neues, schönes Leben uns blüht.«
Vincent folgte den Wächtern und bald stand er auf dem schrecklichen Platze, vor jenen düstern Schranken, wo vor ihm so viele gestanden, deren Namen unvergeßlich fortleben. Hier hatten Vergniaud, Gersonne, Brissot, die einundzwanzig Märtyrer der Freiheit aus der glorreichen Schaar der Gironde vor den zwölf blutigen Richtern vergebens ihre feurige Beredsamkeit erprobt, hier hatte der Löwe der Revolution, Danton, die elenden Werkzeuge der Tyrannei zittern gemacht, ohne das Beil der Guillotine aufhalten zu können; Camille Desmoulins, die edle Roland, die schwärmerische Charlotte Corday, und alle die Opfer der großen welthistorischen Tragödie, sie hatten auf diesen schwarzen Bänken gesessen und hinter ihnen heulte der Pöbel ihre Todeslieder.
Ein Schauer faßte Vincent an, als er hineintrat und hinter ihm der Kreis der Bewaffneten sich schloß; es war der Schauer der Ewigkeit, die Furcht vor der Vernichtung, aber es war die letzte, denn plötzlich erhellten sich seine Blicke.
Von der Bank der Angeklagten streckte sich ihm eine weiße kleine Hand entgegen; zwei Augen, die in Liebe und Zärtlichkeit leuchteten, hefteten sich auf ihn und eine Stimme flüsterte seinen Namen, die ihn Alles vergessen ließ.
»Melanie!« rief er. »O, mein Gott! wie unglücklich bin ich!«
»Unglücklich!« erwiederte sie fast vorwurfsvoll. »Du bist bei mir, und ich weiß es, nichts wird uns mehr trennen.«
Vincent verbarg die Augen.
»Nicht um mich,« sagte er schmerzlich, »um Dich, meine Melanie; die Ungeheuer! sie werden Dich ermorden.«
»Sieh sie an,« versetzte sie leise, die eisernen Gesichter, wir haben nichts von ihnen zu erwarten. Aber was können sie uns thun, was so entsetzlich wäre? Sie werden sagen: Sterbt! aber sterbt vereint, und welch ein Glück, geliebter Mann, welch schönes, unverhoffte Glück! – Was hätte das Leben uns geben können? Und wenn Du von mir genommen. würdest, ich von Dir, wer würde es ertragen können? Welche Schmerzen! welche Leiden! – Was ist der Tod? – Ein einziger, schrecklicher Augenblick, und hinter ihm liegt die Ewigkeit der Vereinigung. – Ich habe in dieser Nacht meinen Kampf mit dem Dasein ausgekämpft, ich fürchte nichts mehr. Mit Dir vereint, frei und beseligt, mit Dir, o Du mein Heißgeliebter, fort auf ewig aus diesem finstern traurigen Gefängniß, ganz Dein, ganz frei! fühlst Du das, Vincent, fühlst Du das Entzücken, den göttlichen Muth, den Ruf zu Gott, abgestreift die schwere Hülle?«
Verklärung strahlte auf ihren schönen glänzenden Augen, ihre Wangen waren geröthet, die edle Schwärmerei ihrer Seele theilte sich dem Geliebten mit. –
»Ja, laß uns sterben, vereint, wenn es uns nicht vergönnt ist zu leben. – Und doch –« sein Blick wurde düster – »ja, Chenier hat Recht, es ist hier etwas in dieser Stirn – und wenn es nicht wahr ist, wenn Alles verfliegt in die Unendlichkeit der Welt, in das große fürchterliche Nichts –!«
»Zweifle nicht!« erwiederte sie feierlich, »ich trage Dich in meinen Armen hoch empor über alle Sterne, und dort, mein Vincent, dort erwartet uns das Wunderland der Ewigkeit!«
In dem Augenblick wurden ihre Namen gerufen. Fouquier Linville leitete die Anklage, er hatte wenig Geschicklichkeit nöthig, um der Verurtheilung gewiß zu sein. –
Der alte Herr nannte stolz seinen Namen und protestirte gegen jede Zumuthung, ein Bürger der Republik zu sein. Er erklärte kurz und bestimmt, daß er aus den Niederlanden zurückgekehrt, nachdem er lange in Koblenz gewesen, um seine Tochter aufzusuchen und seine Tante, welche nach mancherlei Schicksalen endlich Zuflucht bei dem jungen Maler gefunden. –
Die alte Frau von Clarisson schien dagegen gar nicht zu begreifen, wo sie eigentlich sei. Der Schrecken hatte den letzten Rest ihrer Gedächtnißkraft verwirrt. – Sie verbeugte sich und fragte Billaud Varennes, ob sie nicht die Ehre gehabt, ihn früher zuweilen bei Monsieur, dem Grafen von Provence, zu sehen? – Eine jähe Röthe des Zornes lief über Billaud's fahles Gesicht, mit Heftigkeit befahl er ihr unter dem Gelächter der Andern, zu schweigen, und die alte Dame blickte ihn verächtlich an und setzte sich mit einer tiefen Verbeugung nieder.
Als die Reihe an Melanie kam, erhob sie sich lächelnd und nannte ihren Namen. Mit sanfter Stimme erzählte sie, was sich zugetragen und dann sagte sie:
»Vincent wird es nicht leugnen, das hat er Alles gethan, weil er mich liebt. Er wollte meinen Vater retten, meine theure Tante und mich. Darum hat er gegen Eure Gesetze gefehlt, und Ihr wollt ihn nun strafen. Thut es, wenn Ihr könnt; Gott, der die Tugend liebt, hat es mit Wohlgefallen gesehen; an seinem ewigen Throne werden wir Euch erwarten, dort wird noch einmal unser Urtheil gesprochen werden und auch das Eure.«
Es schien wohl, als ob einige der Richter ein Mitleid empfänden, nicht mit der kühnen Aristokratin, aber mit dem jungen Bürger. –
»Dies Weib ist verführerisch in ihren Reden und verlockend durch ihre körperlichen Reize,« sagte Herault mit rauher Stimme. »Rede, Bürger Vincent, welche Mittel gebrauchte sie, um Dich von der Bahn der Pflicht und Ehre zu entfernen?
»Meine Pflicht!« rief Vincent, »ich habe sie gethan, meine Ehre ist besser bewahrt als die Eure. Ich habe gehandelt, wie ich mußte. Mein freier Wille bestimmte mich, kein Zwang, keine Täuschung! Verurtheilt mich, ich fürchte den Tod nicht, aber ich verachte die Tyrannei, die blutige Knechtschaft, welche Ihr über mein armes Vaterland gebracht habt; doch bald wird es erwachen, bald wird die Vernunft wieder in ihr Recht treten und dann werdet ihr an diesem Platz stehen und mit Frohlocken wird man die Mörder und Henker zum Tode führen.«
Auf Billaud's Wink umringten die Gensdarmen den Angeklagten und brachten ihn zum Schweigen. – Wenige Augenblicke später erfolgte der Urtheilsspruch. –
Melanie warf sich in Vincent's Arme und bedeckte ihn mit ihren Küssen. –
»Mein edler, mein geliebter Freund,« rief sie, »fürchte nichts, ich bin bei Dir, und wenn Dein Haupt fällt, will ich lächeln, denn einen Augenblick später wird das meine bei Dir sein.«
Der Vicomte legte die Hände segnend auf die beiden.
»Vincent,« sagte er, »jetzt liebe und achte ich Sie und es bedarf der Prüfung nicht mehr, Sie als Sohn willkommen zu heißen. – Ich erkläre Sie als Mitglied der Familie der Estampes, als Melaniens Gemahl. – Das Glück dieser Ehe wird einen Tag dauern, aber es wird eine Seligkeit in sich schließen, die ein langes Leben aufwiegt. Gehen wir aus dieser blutigen Halle, man wird uns vergönnen, allein zu sein.«
Am nächsten Morgen war ein dichter Kreis von Menschen um den Eintrachtsplatz versammelt, in dessen Mitte das fürchterliche Gerüst stand. –
Plötzlich erhob sich ein Geschrei, die Karren mit den Verurtheilten kamen, vom Pöbel umringt, der ihnen Hohn- und Schimpfreden nachschrie. Auf dem vordersten saß ein junger, edelgebildeter Mann und ein weißgekleidetes schönes Mädchen. Beide sprachen freundlich und innig, sie warfen milde Blicke auf das lärmende Volk und lächelnde auf den blauen sonnenhellen Himmel. Plötzlich verfinsterte sich des Mannes Gesicht, doch gleich darauf ward es freundlich, wie zuvor. Er neigte sich über den Karren hinaus und rief mit seiner starken Stimme einem Andern zu, der im kurzen Mantel eingehüllt, den Hut tief ins Gesicht gedrückt an einem Pfeiler stand:
»Bürger David,« rief er, »lebe wohl, ich verzeihe Dir, und Melanie –« das Übrige ging verloren. –
Der Mann im Mantel stand ohne Bewegung.
Gleich darauf stiegen die Verurtheilten die Treppe hinauf. Sie umarmten einander, sie küßten einander, sie deuteten in die ewige unermeßliche Ferne – eine Minute später, und sie waren nicht mehr. – David deckte die Falten der Toga über sein Gesicht und ging. –
Er ist alt geworden; Ruhm und Schicksale mancher Art haben ihn begleitet, bis er starb, aber finster ist sein Leben geblieben und einsam. Melanie und Vincent hat er nie vergessen können. –