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An einem Regen- und sturmvollen Winterabende saßen drei Offiziere von dem Garderegimente der Gensdarmen des Königs zu Berlin beisammen, lachend, rauchend, prahlend und halbtrunken von Wein und Jugendlust. Es waren schöne, stattliche Jünglinge, wie dies Regiment, da die Blüthen des Adels enthielt, Alle aus den reichsten und edelsten Geschlechtern des Landes, damals viele aufzuweisen hatte. Ihre goldblitzenden Uniformen waren geöffnet, ihre Pallasche lagen in einer Ecke des Zimmers, die Locken und Zöpfe umflogen ihre erhitzten Gesichter, die bespornten Füße lagerten sich neben den Flaschen und Gläsern auf dem Tisch; so trieben sie ihr Wesen bis tief in die Nacht. –
Wenn unten ein friedlicher Bürger jener Zeit vorüberging und den wüsten Lärm hörte, schüttelte er gewiß den Kopf und murmelte einen Fluch vor sich hin, dann aber ging er schneller und sah sich wohl furchtsam um, denn gut war es eben nicht für ihn, wenn etwa die Herren von den Gensdarmen ihn ertappten und Kurzweil in ihrer Art mit ihm trieben.
»Donnerwetter!« rief der Jüngste der Drei, »was fangen wir heut noch an? Das Trinken gefällt mir nicht mehr, Eure Geschichten langweilen mich; warum haben wir keine Mädchen, keine Abenteuer, keinen Spaß? nicht einmal einen Kerl, der gepeitscht werden kann und Gesichter schneiden muß.«
– »Es ist ein Mordwetter draußen, Waldemar,« sagte sein Nachbar. »Das Bürgerpack hat sich in die Nester verkrochen.«
»Wir wollen sie herausholen, die faulen Halunken,« schrie der Dritte. »Laß satteln, Quitzow. Wir reiten ein paar Straßen auf und nieder, und schlagen ihnen die Fenster ein.«
– »Und bezahlen sie morgen mit unserem guten Gelde, wie neulich erst,« erwiederte der Wirth, der der Nüchternste und Verständigste war. – »Doch halt, da fällt mir etwas ein, wir wollen Jagd machen, eine Hetzjagd, eine königliche Hetzjagd!«
»Wo? Wie?« riefen die anderen beiden.
– »Hier auf der Stelle,« schrie der junge Offizier. »Heda! Anton! Anton!«
Ein Diener eilte herbei.
»Geh hinunter und sieh, ob ein Wild sich in unserm Park gefangen hat. Marder, Hermeline, Zobel, Füchse, Bären, es ist alles einerlei, bring es herauf!«
Der Diener eilte davon und brachte nach wenigen Minuten eine große Rattenfalle, deren niedergeschlagene Klappen einen Gefangenen vermuthen ließen. – Beim Anblick der Falle brachen die jungen Leute in ein unbändiges Gelächter aus. –
»Eine Rattenjagd! eine Rattenjagd!« schrieen sie; »Hurrah! Die Hunde herauf, drauf und dran!«
»Hole die Meute, Anton,« rief der Herr von Quitzow lachend.
Nach einigen Minuten kam der Diener mit vier Hunden zurück. Ein Dachs, ein Windhund, ein Hühnerhund und ein zottiger Wolfsfänger stellten sich in einer Reihe auf. Die jungen Herren rückten die Tische mit den Flaschen und die Stühle bei Seite. Raum wurde gegeben, so viel als möglich, die Lichter hochgestellt an verschiedenen Punkten, die Hunde dann an die Falle geführt, ihre Begierden aufgeregt und als sie bellend und zitternd auf den Angriff warteten, wurden die Klappen aufgezogen und die Jagd begann, begleitet von dem wilden Hussa der Jäger, die mit den Füßen stampften und in die Hände schlugen. –
Aber statt der einen Ratte sprangen ihrer drei heraus, drei große häßliche Geschöpfe. Die Hunde flogen hinterher, zwischen Stühle und Tische, in die Winkel und Ecken, dem gehetzten Wilde nach. – Die Mobilien schwankten und fielen, der Tisch mit den Flaschen und Gläsern stürzte über Mörder und Gemordete; von dem Spind fielen die Lichter; die Klagetöne und das Geheul der Kämpfenden vermischte sich mit dem rasenden Gelächter und Beifallsgeschrei der Jäger.
Plötzlich fuhren die Hunde zwischen die Stühle, von denen jene das Schlachtfeld überschauten. In ihrer Wuth packten sie sich selbst an. Der Wolfshund faßte den Windhund, dieser den Hühnerhund, die Gestelle brachen, der Eine fiel auf den Andern und im nächsten Augenblicke wälzten sich die Herren, die Hunde, die Ratten und Diener zu einem großen Haufen geballt am Boden unter Trümmern und Scherben und Weinströmen, fluchend, heulend und Hülfe begehrend, durch- und umeinander.
Als das tolle Getümmel am Ärgsten war, ward die Thür aufgerissen und ein vierter Offizier trat herein; an seiner Hand führte er eine verschleierte Dame, die er etwas gewaltsam festhielt. Sie war in einen dunklen Mantel gewickelt; eine schwarze Kappe, tief über den Kopf gezogen, eine Halbmaske und dichte schwarze Schleier umwickelten das Gesicht. –
»Was ist das? Zum Teufel! Was macht Ihr da?!« rief der Offizier und darauf schrie er zur halboffenen Thür hinaus: »Macht, daß Ihr fortkommt, Dummkopf, wenn Euch Euer Haupt lieb ist, scheert Euch hin, woher Ihr kommt; diese schöne Maske bleibt bei uns, aber morgen soll sie Euch auf ewig angehören.« –
Indem Augenblick that die Maske einen lauten Schrei des Schmerzes und Entsetzens. Eine der halbtoten Ratten war in ihren Nöthen an den Kleidern der Dame emporgeklettert, sie verwickelte sich in den Schleier und biß sie in den Hals. Zu gleicher Zeit stürzte durch die Thür ein Mann im bunten Domino herein, der mit einem schnellen Griff das häßliche Thier faßte, zu Boden schmetterte, den Offizier so heftig zurückstieß, daß er fast zu seinen Gefährten fiel, und die halbohnmächtige Dame schützend in seine Arme schloß. –
Alles das geschah in wenigen Secunden. Ein einziges Licht brannte dazu; die Gefallenen rafften sich auf, die Diener stießen die Hunde fort, der junge Offizier aber, der die Dame gebracht, zog seinen Degen und schrie:
»Du wagst es, Deine schmutzige Hand an mich zu legen, das sollst Du büßen, Schurke!«
– »Halt! halt!« rief der Herr von Quitzow und fiel ihm in den Arm, »kein gemeines Blut soll diesen Degen besudeln.«
»Holt die Peitschen,« schrie der junge Waldemar, »wir wollen ihn gerben.«
»Wir wollen sie Beide zusammenbinden,« rief der Zweite.
Während des Lärmens um ihn blieb der Fremde so ruhig, als ginge es ihn nichts an. Er beschäftigte sich mit seinem Schützling, stillte das Blut, das über ihre weiße Schulter floß, band ein kleines Tuch darüber und flüsterte ihr, die ängstlich schweigend und zitternd sich an seinen Arm klammerte, leise Beruhigungen zu.
Erst als die übermüthigen Herren Anstalt machten, ihre Vorsätze auszuführen, wendete er sich zu ihnen um. Von mittlerer Größe, schlank und zart gebaut, schien er klein und schwächlich gegen die Riesenleiber seiner Gegner. Sein Gesicht war bleich, dunkles Haar fiel ohne Band und Puder tief an den Seiten nieder, sein stolzes feuriges Auge gab seinen Zügen Schönheit und Würde. –
»Was wollen Sie thun,« sagte er, »eine Gewaltthat zu andern Gewaltthaten fügen? Heißt das ritterlicher Sinn und Adel? Ehren Sie so den Stand, dem Sie angehören, die Familien, zu denen Sie sich zählen?«
– »Ich glaube, der Bursche gehört zu dem schwarzen Vieh. Er ist ein Candidat, und will uns eine Predigt halten,« rief der Eine der Herren.
– »Er muß auf den Tisch steigen!« schrie der Jüngste.
– »Ich denke, er spart seine Worte,« schlug der Herr von Quitzow vor. »Wir wollen die Dame sehen, die Graf Herfurt uns erobert hat; wir wollen, wenn sie schön ist, sie bewundern und ihre Verzeihung erbitten, wo nicht, mag er sofort abziehen.«
Der Graf trat einen Schritt vor, griff nach dem Schleier der Dame und rief:
»Gut, mag es so sein. Fort mit der Nacht, laßt die Sonne Eurer Reize aufgehen, Schönste der Schönen.«
Der Fremde stellte sich dicht vor ihn hin.
»Das soll und wird nie geschehen, so lange ich lebe,« sagte er.
»Narr!« rief der junge Offizier, »bist Du so eifersüchtig? Ich dächte, Du müßtest dankbar sein, so leicht davonzukommen.«
»Narr Du selbst!« versetzte der Fremde und seine Hand faßte mit eisernem Druck den Arm des Grafen, indem er ihn starr ansah, »oder vielleicht mehr Trunkenbold als Narr, mehr frecher Wüstling als Trunkenbold. Wie ein Bandit hast Du friedliche Menschen angefallen, diese Dame gewaltthätig in eine Höhle aller Laster gerissen, mich zu mißhandeln gedroht. Wer bist Du, daß Du das wagen darfst? Giebt es kein Gesetz gegen solche Verbrecher, so muß man sie selbst strafen, und ich will es thun, Andern zur Warnung, wenn ich mich auch nicht so weit herablassen sollte.«
Die kühnen Worte des Fremden brachten auf einen Augenblick ein so maßloses Erstaunen hervor, daß Alle schwiegen; als er aber geendet hatte, erfolgte ein schallendes Gelächter. –
»Der Kerl ist göttlich, auf Ehre!« schrie Waldemar, »einzig in seiner Art. Aber ich sagte es gleich, ich sah es ihm an, er muß gepeitscht werden, gepeitscht! gepeitscht!«
Und bei diesen Worten griffen er und die beiden andern Herren zu den schweren Hetzpeitschen, die schon auf dem Tisch lagen.
Der Fremde stand ganz ruhig, aber alle seine Muskeln spannten sich sichtbar an, seine Lippen bewegte ein leichtes Zittern und seine Hände ballten sich zusammen.
»Ich rathe Euch wohl,« sagte er drohend, »rührt mich nicht an, denn hier gilt es einen Kampf auf Leben und Tod. Und was würde die Welt morgen sagen, was die Stadt, der Adel, der Hof? Euer Übermuth würde nicht ungestraft, Eure Schande nicht verborgen bleiben, selbst Eure vornehmsten Freunde könnten Euch nicht schützen.«
Aber diese ruhig gesprochenen Gründe, die viel zu viel Wahres enthielten, um ganz unbeachtet zu bleiben, hätten doch wahrscheinlich wenig genützt, wenn nicht der junge Graf selbst seinen Gefährten ein »Halt!« zugerufen hätte. Er war ein schöner Jüngling von ritterlicher Gestalt und überaus edel geformtem Gesicht, das jetzt in Zorn und Rachelust glühte und doch auch einen gewissen Grad der Beschämung zeigte, den er zu verbergen strebte.
– »Wer sind Sie?« fragte er den Fremden.
»Das werde ich verschweigen,« erwiederte dieser.
– »Und doch können Sie nur nach Maßgabe Ihres Namens und Standes verschieden hier behandelt werden,« rief der Graf. »Sind Sie ein simpler Mensch, ein Nichts, ein Elender, der sich unterstand, mich so frech zu beleidigen, beim Himmel! so will ich die Peitsche gebrauchen, so lange ich den Arm rühren kann; sind Sie Edelmann, so wollen wir unsere Rechnung ausgleichen, wie es sich gebührt, hier auf der Stelle, ohne allen Aufenthalt. Heraus denn mit der Wahrheit,« rief er und stampfte mit dem Fuß auf, indem er sich zur Wuth anzureizen strebte, »heraus damit!«
»Steht es so,« sagte der Fremde. »Nun wohlan denn, ich bin Edelmann.«
– »Ihr Name also?«
»Ich könnte Ihnen den ersten besten nennen,« versetzte der junge Mann stolz, »und Sie würden es glauben müssen. Meinen Namen aber nenne ich nicht. Ich habe Gründe dafür,« er neigte sich zu der Dame, welche eine heftige bittende Bewegung machte, dann fuhr er fort: »Später werden Sie die nöthige Überzeugung erhalten, übrigens bin ich ohne Furcht vor Ihren Drohungen. Man greife mich an, ich werde mich zu vertheidigen wissen. Sorge Jeder dann für sich.«
– »Gieb die Säbel, Quitzow,« sagte der Graf nach einer Pause, in welcher er seinen Gegner scharf beobachtete.
Diese Worte brachten einen Aufruhr hervor. Die Freunde des Grafen wollten sein Vorhaben nicht dulden, der Herr von Quitzow suchte die Angelegenheit zu vermitteln und wandte alle seine Überredung an, man solle das Pärchen abziehen lassen, das offenbar nichts ausplaudern würde, da es wahrscheinlich selbst ein Geheimniß zu bewahren habe; während er aber vergebens seine Kunst übte, hielt der Herr an der andern Seite ein langes Gespräch, das zuweilen von dem leisen Schluchzen der Dame unterbrochen wurde.
»Nichts soll mich hindern,« rief der Graf lachend, »am wenigsten Deine Bedenklichkeiten. Wir wollen diese kleine Betise jetzt klar und lustig abwickeln. Sie behaupten Edelmann zu sein, gut, ich nehme es an; Sie werden mir später Aufschlüsse geben; ich vertraue Ihrem Worte. Lassen Sie uns also zum Werke schreiten; hier sind zwei Säbel, wählen Sie. Zeigen Sie Ihre Kunst und hüten Sie sich. Sie haben es mit einem guten Fechter zu thun.«
– »Halt, noch einen Augenblick,« erwiederte der Fremde. »Wenn ich etwa schwer verwundet werden oder fallen sollte, so geht diese Dame frei und ungehindert von hier, Niemand fragt, folgt oder belästiget sie.«
»Zugestanden,« rief der Graf, »und wir halten ein, wenn der Eine oder der Andere ruft, daß er genug hat.«
In der nächsten Minute hatte das Gefecht begonnen, das unter dem zweifelhaften Schein der Lichter, in dem schlüpfrigen Zimmer mit Gewandtheit und Geschick geführt wurde. Die Kämpfer trieben sich im Kreise um, bald sich deckend, bald die funkelnden Klingen zu kräftigen, schnell geführten Hieben benutzend, bald klug ausweichend und dann auf einander losstürzend zu einem entscheidenden Angriff. Auf der einen Seite standen die jungen Offiziere, mit lebhafter Theilnahme dem Kampfe zuschauend, auf der anderen die Verschleierte still, ohne Bewegung, wie ein dunkles Gespenst, athemlos hingebeugt über die hohe Lehne eines Stuhls, der ihr zum Anhaltpunkt diente. –
Nach einiger Zeit schien die Kraft des Grafen ein wenig zu ermatten, seine Bewegungen wurden langsamer, seine herkulische Gestalt, die den Gegner weit überragte, schwankte unsicher; der Fremde aber gewann dagegen an Beweglichkeit und Ausdauer, seine Streiche fielen schnell und hageldicht; plötzlich sprang er dicht heran, sein Säbel traf den Arm des Grafen, der niedersank, im nächsten Augenblicke den Kopf, die Brust, und der große Körper strauchelte, suchte sich zu halten und stürzte betäubt und blutbedeckt zu Boden.
Eine Scene der heftigsten Verwirrung folgte nun, ein einziger gellender Angstschrei der schwarzen Dame wurde gehört, sie hob die Arme, als wollte sie sich zwischen die Kämpfer stürzen, doch der Sieger warf den blutigen Säbel fort und hielt sie auf. Die Freunde des Grafen eilten zu seiner Hülfe herbei, sie hoben ihn vom Boden empor, trugen ihn auf ein Lager, riefen nach einem Arzt, nach Wasser und Binden und vergaßen fast die Anstifter des Unheils.
Als die jungen Herren zurückkamen, waren beide fort und Verwünschungen über das elende Abenteuer, Beleidigungen gegen die schwarze Dame und Vorwürfe, daß man es geduldet, daß Herfurt sich mit einem gemeinen, namenlosen Menschen eingelassen, schallten ihnen nach.
Endlich kam der Arzt, der ein bedenkliches Gesicht machte und unter Kopfschütteln die Wunden verband. Sechs Wochen lag der junge Offizier schwer darnieder, und als der Sommer kam, fühlte er noch so oft die Nachwehen der tiefen Kopfwunde, daß er Urlaub nehmen und sich auf seine Güter zurückziehen mußte, um dort ohne Zwang der Kleidung und fern von den fröhlichen und wilden Gelagen seiner Kameraden, seine gänzliche Heilung zu fördern. –
Die vier Freunde hatten sich das Ehrenwort gegeben, über die Vorfälle jener Nacht zu schweigen, der Graf wurde als fieberkrank in den Listen geführt und der wahre Grund seiner Leiden blieb verborgen, eben so gut verborgen wie die schwarze Dame und ihr tapferer Beschützer. Denn wie viele Mühe sich die jungen Herren auch gaben, diesen zu entdecken, wie oft auch die geheimnisvolle Unbekannte der Gegenstand ihrer Gespräche und Vermuthungen war, keine Nachforschung war im Stande, ein Abenteuer aufzuklären, das Graf Herfurt oft in trübsinnigen Stunden von ganzem Herzen verwünschte.
Nach und nach wuchs sein Unmuth zu einem heftigen Groll gegen den jungen Mann und seine schwarze Begleiterin. Er sprach nie davon, aber immer wünschte er mit einer rachsüchtigen Empfindung dem Elenden noch einmal zu begegnen, der ihm dann nicht wieder entwischen sollte. –
Auf seinen Gütern fand er Mutter und Schwester, die ihn mit Sorgfalt empfingen und pflegten. Der Graf hatte große Besitzungen, aber sie waren, wie das Erbe vieler Edlen jener Zeit mit schweren Schulden belastet, eine Folge der sorglosen Verschwendung, des Luxus und der verwilderten Sitten, welche die meisten in den Kriegsdienst, an den Hof oder wenigstens zur Winterzeit in die Residenz, im Sommer in die Bäder trieben, wo sie in gegenseitiger, schwelgerischer Darlegung ihres Reichthums sich ruinirten. Schulden wurden aufgehäuft, und was der Vater übrig gelassen, verpraßte der Sohn oder der Enkel. So kam es denn, daß, wenn das Landesrechtsystem nicht reichte, Christen und Juden ihre Seckel öffnen mußten, und die Verpfändungen mit schweren Zinsen und unter allerhand drückenden und beschämenden Nebenbedingungen abgeschlossen wurden.
Auch Graf Herfurt hatte oft genug dazu seine Zuflucht genommen und bei dem alten Eli Waldmann geborgt, dem Seckelmeister des Adels, wie er genannt wurde, denn dieser stand fast ganz und gar in seinem großen Schuldbuche.
Eli Waldmann war ein alter Bürger, der in einer der Kreisstädte ein prächtiges Haus besaß, in welchem er ungemein einfach lebte. – Den weitläuftigen Palast einer mächtigen Familie hatte er gekauft, und eine Weberei darin errichtet; er handelte mit Amerika und Asien, seine Schiffe schwammen auf den Meeren, aber in späterer Zeit hatte er sich davon zurückgezogen und aus dem Kaufmann war ein Häuser- und Güterschacherer, ein Speculant und Wucherer geworden. Ob er Jude, Christ oder Heide sei, blieb immer unentschieden; soviel ist gewiß, er ging nie, weder in Kirche noch Tempel, und wenn man glauben konnte, daß er irgend etwas anbete, so war es sein Mammon, denn er war nach der gewöhnlichen Sage ein Mann, der selbst nicht wußte, wie viel er besaß.
Eines Tages, als Graf Herfurt am Fenster stand, sah er ein sonderbares Fuhrwerk in den Hof fahren. Es war ein ganz kleiner offener polnischer Wagen, eine Art Wurstwagen, der von ebenso winzigen, mageren Pferden gezogen wurde. Der Wagen hatte gerade so viel Raum, daß vorn auf dem Brett ein schmutziger halberwachsener Junge in einem abgetragenen Tressenrock sitzen konnte, den andern Theil aber füllte ein alter Mann aus, mit breiten Schultern, kurz und stämmig, mit silberweißem Haar, das hinten zusammengeflochten auf seinen großen graugrünen Rock fiel, und mit einem dreieckigen ganz kleinen abgenutzten Hut bedeckt war, unter dem ein rothes Gesicht voll Fleisch und starken Knochen gutmüthig lächelnd nach ihm aufschaute.
Der Graf erkannte sogleich, wer es war, und ein derber Fluch bewegte seine Lippen. –
»Da kommt der alte Gauner schon,« sagte er, »der Eli, der Himmel weiß, wie der Schurke mich ausgewittert hat; möcht' er am längsten Stricke hängen.«
Indem er sich umwendete, ging die Thüre auf und Herr Eli Waldmann drängte sich dem anmeldenden Diener nach.
»Unter alten Freunden keine Umstände,« rief Eli, indem er mit seinem mächtigen Buche unter dem Arm auf den Grafen zuschritt und ihm die große rauhe Hand entgegenstreckte.
– »Keine Umstände, mein alter würdiger Freund,« erwiederte der Graf freundlich. »Was sehen Sie munter und wohl aus, Sie werden nie krank oder alt.«
Eli tippte mit einem schalkhaften Blick seiner großen hellblauen Augen auf das Buch und sagte:
»Was sollte denn aus meinem Register werden, wenn ich krank würde, und wer sollte dann im Lande umher nachsehen, ob die Schaar meiner edlen Gönner und Freunde sich auch wohl und munter befände? Zu dem alten Elias Waldmann kommen die lieben Herren nicht, sie schreiben ihm zärtliche Briefchen, dem braven, herrlichen Vater Elias, der seine milde Hand immer offen hat; wenn sie aber zuweilen sein Wägelchen erblicken, denkt Mancher wohl: Möcht' er doch am längsten Stricke hängen.« –
Er lachte dabei so herzhaft plebejisch, daß das Zimmer dröhnte, und sah den Grafen so schelmisch an, daß dieser roth wurde, denn es war gerade, als hätte der alte Schelm die Kunst, einen durch und durch bis in die Herzen und Nieren zu schauen.
Er legte während dessen Hut und Buch fort und der Graf befahl einem Diener, Wein und Speisen zu bringen, was sich Elias mit einem schmunzelnden Kopfnicken gefallen ließ. – Dann setzte er sich, erzählte Geschichten aus der Provinz, von nahen und fernen Familien, spaßhafte Vorgänge, Anekdoten, Abenteuer; er kannte Alles, er wußte Alles, er erfuhr Alles. Er rechnete an den Fingern her, wie es mit jedem Einzelnen stand; er machte sich lustig, spottete, gab gute Lehren, wurde grob, aber er war verschwiegen in dem einen Punkte, daß nie Jemand erfuhr, wie viel ein Anderer ihm schuldete. Das war ein Geheimniß, das stak in dem großen Buche und Herr Elias ließ Keinen hineinschauen.
Nachdem er gegessen und getrunken, kam endlich der ernsthafte Augenblick der Geschäfte. –
»Nun,« sagte der Alte und klappte das Buch auf, »lassen Sie uns doch sehen, wie wir stehen, mein edler Herr.«
– »Meinetwegen, würdiger Landesseckelmeister, rechnet zusammen,« lachte der Graf.
»Ah, bah! rechnet zusammen,« rief Elias, »Das ist leicht gesagt, aber wer macht den Strich durch die Rechnung?«
»Der Tod!« sagte der Graf vor sich hin.
Elias sah ihn ernsthaft an.
»So sprechen die Leichtsinnigen und Verdorbenen, die in den Tag hineinleben ohne Sitte und Recht. Ja, so machen's die goldenen jungen Herrchen und lassen dann ehrlichen Leuten die Sorge um ihr Ende. Es steht schlimm genug mit Ihnen, allerdings schlimm genug, auch ohne den Spaß. – Hier fünf Tausend Thaler, da nach fünf Tausend, hier das große Capital und seit zwei Jahren keine Zinsen und eine ganze Reihe von Posten, die der alte Elias nach der Hauptstadt sandte zum Verprassen. – Sie haben schlechte Wirthschaft geführt, Herr Graf. Die Frau Mutter und die Schwester mußten den Winter über hier bleiben, zwei Winter schon, der junge Herr Graf brauchte zu viel, wo soll's herkommen?! Da schnallen sie sich ein Säbelchen an, ein goldbetreßtes Röckchen, reiten theure Pferdchen, tanzen, jagen, lieben, verspielen in einer Nacht Haus und Hof, hauen sich herum um nichtsnutzige Dirnen und machen die tollsten Streiche, als gehörte das zur Ehre, bis sie arm und ungesund nach Hause kommen und ihr Lebelang dafür büßen müssen.«
– »Elias!« rief der Graf heftig und stolz, dann drehte er sich um und sagte lächelnd: »Nun, man verzeiht einem alten, ungebildeten Menschen manches und lacht über seine Grobheit.«
»Wenn man ihn braucht!« rief der alte Mann hohnlachend.
– »Ich verbitte mir aber auf's Ernstlichste jede Einmischung in meine Angelegenheiten,« fuhr der Graf fort. »Vergeßt nicht, daß zwischen uns eine Grenze liegt, die Ihr zu beobachten habt.«
»Oho!« sagte der Alte, »setzen Sie sich nicht auf Ihr ritterlich Pferd, mein gnädigster Herr Graf, gegen den alten Elias Waldmann, der's halt gut mit Ihnen meint. Er sagt es Ihnen doch tausend Mal und immer wieder, daß Sie schlechte Wirthschaft getrieben, denn an seinen Fingern kann er Ihnen vorrechnen, wie viel von den schönen Gütern eigentlich noch das Ihre ist. Ihr Großvater hat den Ruin angefangen, Ihr Vater hat ihn fortgesetzt. Sie werden ihn vollenden, wenn's nicht anders wird.«
– »Am Ende,« rief der Graf spöttisch lachend, »befreit mich der biedere Landseckelmeister von dieser Last.«
»Thue ich's nicht, thut's vielleicht ein anderer. Und wenn ich wollte, rief der alte Mann,« heftig auf sein Buch schlagend, und aus seinen rohen gemeinen Zügen leuchtete ein boshafter Triumph, »es könnte Manchem so gehen. Aber nein, Niemand soll sagen, daß ich ein Blutsauger, ein Wucherer bin, Niemand ist da, der sich über mich beklagen kann. Ich warne Jeden, ich halte ihm einen Spiegel vor, das hab' ich bei Ihnen auch gethan.«
– »Was hilft's?« sagte der junge Mann, indem er sich barsch abwendete. »Ich bitt' Euch, schlagt das verdammte Buch zu. Was wollt Ihr hier, warum kommt Ihr und plagt mich? Wollt Ihr Zinsen, wollt ihr Geld? Ich habe nichts. Berechnet Euch zum Herbst mit meinem Rentmeister.«
»Der mir auch nichts giebt,« erwiederte Elias, »Denn nach dem Herbst kommt der Winter, wo das Leben in der Hauptstadt losgeht, wofür, was da ist, nicht ausreicht.« –
Er stand einige Minuten nachdenkend, dann sagte er:
»Wollen Sie wissen, weshalb ich gekommen bin? Ich will Ihnen einen Vorschlag zur Abhülfe aller Noth machen.«
Herfurt sah ihn fragend an.
»Sie müssen heirathen,« sagte der Alte.
– »Sie haben also eine Frau für mich,« rief der junge Herr belustigt. »Haben Sie etwa eine Tochter, Eli?«
»Meine Tochter, wenn ich eine hätte,« versetzte der Wucherer, und ein gewisser stolzer Nachdruck lag in seinen Worten, »würde nie Ihre Frau werden können. Ich habe aber nur einen Sohn.«
– »Der hoffentlich nicht aus der Art geschlagen ist.«
Der alte Mann lächelte.
»Sie sollen hören, was ich sage,« sprach er. »Ich kenne das Land; es giebt viele schöne Damen hier, jung, vornehmn, schön, aber reiche giebt es wenige, und häuslich, sittsam, tugendvoll dabei, weiß ich nur Eine. – Das ist ein liebes herziges Kind, wie ein Engel, so fein, so strahlende Augen, ganz Milch und Blut, und wie ein Kobold so neckisch und lustig, klug und munter.«
– »Wer ist denn das Wunderkind?« fragte Herfurt, halb neugierig, halb spöttisch. »Die Tochter irgend eines reichen Wechslers oder Lieferanten.«
»Haben Sie Respekt, gnädiger Herr,« lachte Eli, »das Blut ist von der feinsten Sorte. – Sehen Sie,« fuhr er fort, »vier Stunden von hier, in den Bergen, da steht ein altes Schloß, darin wohnt das schöne Fräulein. Haben Sie den alten Baron Richtenstein gekannt?«
– »Gekannt? nein, aber von ihm gehört. – Er lebte wie ein Uhu, der alte Geizhals.«
»Nun, der ist todt,« sagte Eli, »vor drei Monaten ist er gestorben, das Fräulein ist sein einzig Kind, und ich bin ihr Vormund.«
– »Sie?« rief der Graf.
»Ich,« versetzte Eli. »Wenn's auch sonderbar klingt, aber es ist so. Der alte Herr wollte nichts mit den feinen vornehmen Leuten zu schaffen haben, da wählte er mich!«
– »Und der gute Vormund preis't sein Mündel,« rief der Graf, »das wild in der Einöde aufgewachsen.«
»Wieder fehlgeschossen,« sagte der alte Mann. »Das Kind ist bei den Herrnhutern erzogen, und lebt erst seit einiger Zeit wieder im Schlosse, was Wenige wissen. Denn wenn sie es wüßten, die jungen und die alten Herren würden Sturm laufen und das goldene Herzchen erobern wollen.«
– »Und mir bieten Sie das Glück an, Eli?« fragte der Graf ernsthafter.
»Ich biete es Ihnen an, wenn sie es zu benutzen verstehen. Sie sind jung, ein feiner vornehmer Herr, und mit allen Ihren Fehlern halte ich Sie für besser, als die meisten. So kann es nicht fortgehen, Sie wissen selbst nicht, wie schlecht es mit Ihnen steht. Wenn Sie Margarethen gefallen, bekommen Sie Vermögen, eine hübsche häusliche Frau, die Sie bekehren wird, und der alte Eli wird auch zu seinem Gelde kommen.«
– »Ah so!« rief der Graf.
»Ja, so,« wiederholte der Alte. »Hören Sie, ich will einen Pakt mit Ihnen machen.
– »Einen Pakt mit dem Satan.«
»Aus allen meinen Verschreibungen wollen wir eine machen; zehn Tausend Thaler Credit gebe ich Ihnen noch dazu, dafür treten Sie mir die sämmtlichen Güter ab, wenn ich in Jahr und Tag nicht mein Geld habe.«
Der junge Edelmann blickte ihn finster an.
»Nichts davon,« sagte er. »Was soll das heißen? Meine Güter sind überdies zum Theil Lehn.«
»Es ist Kunkellehn,« rief Eli, »es geht auf die Frauen über und es ist ein kleiner Theil nur. Überdies, Lehn hin, Lehn her, andere Zeiten, andere Sitten. Wollen Sie?«
– »Nein!«
»Gut, ich gehe, aber vielleicht besinnen Sie sich.«
Er nahm sein Buch, reichte dem Grafen die Hand und sagte:
»Jeder sorge für ein warmes Kleid, auf daß ihn nicht friere, so steht es geschrieben. Wenn Sie im Herbst nicht zahlen, muß ich klagen, dann kommt es zum Concurs. Fahren Sie nach Schloß Richtenstein, Ihre Schwester kennt Gretchen von den Kinderspielen her. Wollen Sie nicht? Nichts für ungut, Worte sind Wind, mögen sie verwehen.«
Als das sonderbare Fuhrwerk verschwunden war, warf sich Herfurt nachsinnend auf einen Stuhl. Zum ersten Male dachte er ernsthaft nach über seine Verschwendungen und über seine Lage, die der alte Mann mit so bittern Worten geschildert hatte. Scham und Kummer beschäftigten ihn lange, er fühlte die Wahrheit und wollte sie sich nicht eingestehen, aber er war am meisten empört, daß ein gemeiner roher Mensch sie ihm sagen durfte.
Endlich ließ er den Rentmeister kommen, der in einer langen Auseinandersetzung ihm bewies, daß der alte Eli nur allzusehr Recht habe. – Die Ausgaben hatten seit vielen Jahren stets die Einnahmen überstiegen. Die Pachtgelder waren im Voraus erhoben und die Güter so tief verschuldet, daß kaum eine Hoffnung zu ihrer Erhaltung vorhanden war, selbst wenn große Einschränkungen gemacht würden, die der Stolz des jungen Edelmanns überdies verwarf; denn wie hätte er leben können ohne eine zahlreiche Dienerschaft, ohne den Glanz, der zu seinem Namen so nothwendig schien, ohne den Luxus, an den er gewöhnt war? Was hätte die Provinz gesagt, das Land, der Adel, der Hof, die glänzenden wilden Kameraden?
Er betäubte die Vorwürfe mit Vorwürfen gegen sein Unglück im Spiel und in andern Dingen, mit Anklagen gegen die Verschwendungen seiner Vorgänger, die ihm so wenig übriggelassen, und warf sich endlich auf den weichen Divan, wo er die schwarze Dame verwünschte, die ihn in dies miserable, eintönige Leben gebracht. Dann dachte er an die schöne frommerzogene, reiche Erbtochter des alten Barons, und endlich fand er es gar nicht so übel, ihr einen Besuch angedeihen zu lassen.
Mitten in seinen Träumereien trat die junge Gräfin Lydia herein, der er die Hand entgegenstreckte und die er Platz zu nehmen bat.
»Kennst Du,« sagte er, »ein Fräulein Margarethe, oder schlechtweg Gretchen von Richtenstein?«
– »Allerdings,« erwiederte sie lächelnd, indem ein feines Erröthen ihr schönes Gesicht überzog, »wir waren als Kinder Freundinnen. Du weißt also schon?«
»Was weiß ich?«
– »Daß sie seit einer Stunde bei uns ist.«
Der Graf richtete sich überrascht auf.
»Nein, Das weiß ich in der That nicht. Sie ist hier? Warum erfuhr ich nichts davon? Weshalb habt Ihr überhaupt von ihr geschwiegen, während ich die langweiligsten Geschichten von allen alten Muhmen und Vettern zehn Stunden in der Runde anhören mußte?«
– »Weil,« sagte Lydia, »ich selbst nicht wußte, daß sie schon seit einigen Monaten in dem alten Schlosse wohnt. Sie hat um ihren Vater bisher streng getrauert. Jetzt tritt sie zum ersten Male wieder ins Leben.«
»Mit welchen Ansprüchen tritt das Mädchen auf?« rief der Graf Herfurt lachend. »Als rothbäckiges Schloßfräulein vom Lande, als stolze Erbin, oder als Dame nach der Mode?«
– »Sieh sie Dir in der Nähe an,« erwiederte die Schwester.
»Ich fürchte, sie stiert mich an und fragt nach den Butterpreisen in der Hauptstadt, nach dem Schafstand und wie heuer die Hühner legen, oder sie hat in jeder Rocktasche ein Gesangbuch und in jeder Hand einen Strickstrumpf. Blond, blauäugig und einfältig, ein Naturkind und ein Heiligenbild. Ich denke mich zu langweilen.«
– Vielleicht auch nicht,« sagte Lydia lächelnd. »Vielleicht vermehrt sie Deine Kopfschmerzen und bringt Dir eine tiefere Wunde bei, als –«
Sie verstummte vor dem finstern Blick ihres Bruders, der mit Heftigkeit ausrief:
»Verdammt seien alle Kopfschmerzen! Erinnere mich nicht daran, betrachte mich nicht so bedauerlich. Du bist so furchtsam scheu, Lydia, so sentimental, wie eine Predigertochter. Statt mich aufzuheitern, zu zerstreuen, siehst Du in den Himmel oder in den Mond, liest Bücher, pfui! wer wird Bücher lesen, erschrickst und erröthest wie ein Kind, und machst mich bange mit Deiner schwesterlichen Zärtlichkeit. Warum weinst Du?« fuhr er milder fort, »es ist nicht böse gemeint. Ich liebe Dich ja, Lydia; im Winter sollst Du am Hofe leben.«
– »Ich weine nicht,« erwiederte sie, und zerdrückte die Thränen in ihren Augen. »Aber Du mußt Nachsicht mit mir haben, Friedrich, Deine Heftigkeit betrübt mich Deinetwegen; ich wünschte so sehr, Dich glücklich und froh zu sehen.«
Der Bruder küßte sie zärtlich auf die Stirn.
»Gute Lydia,« sagte er, »Du bist weit besser als ich, aber laß uns Friede schließen. Du willst mein Glück, ich das Deine, und wo es immer geschehen kann, soll es geschehen, welche Opfer ich auch bringen müßte.
In dem Augenblick wurde die Thür wieder geöffnet und die Mutter des Grafen führte eine Dame herein, bei deren Anblick Herfurt plötzlich so verlegen wurde, daß er kaum die nöthigen Formen der Höflichkeit fand, ihre Begrüßung zu erwiedern. Die Dame war ganz in Trauer gekleidet; schlank und groß rief sie unwillkürlich bei dem Grafen das gefährliche, unbesonnene Abenteuer jener Nacht zurück. Nur trug sie keinen Schleier, vielmehr fielen die überreichen dunkelblonden Locken in dichten Ringen und Schleifen auf einen Nacken und Hals, der an Weiße und Schönheit der Form nicht leicht einen Nebenbuhler finden konnte. Auch waren ihre Augen blau, wie Herfurt es vorhergesagt, doch voll von jenem eigenen strahlenden Feuer, das selten sich damit vereint findet, und diese gaben ihrem nicht regelmäßig schönen Gesicht einen hohen Grad von Reiz und Leben.
Nach den ersten Worten der alten Gräfin trat das Fräulein dem jungen Herrn des Schlosses näher und reichte ihm ungezwungen die Hand.
»Sie werden sich meiner wohl kaum mehr erinnern,« sagte sie, »ich aber weiß recht gut noch, wie ich Sie zum ersten Male sah, und mein Gedächtniß ist so treu, daß ich Sie noch deutlich erblicke mit den drei steifgebrannten Löckchen an jeder Seite, hinten das Zöpfchen mit dem seidenen Haarbeutel, der auf ein goldbesetztes pfirsichblüthenes Röckchen fiel, Alles dick bepudert, und daneben der Hofmeister, ganz schwarz und feierlich, der den cher petit comte, den bijou de la famille an der Hand festhielt und seine Lust zu jeder näheren Bekanntschaft vereitelte.«
Der Graf lachte laut auf, Fräulein Margarethe folgte seinem Beispiele, Lydia stimmte ein und selbst die alte Dame konnte sich dieser plötzlichen Lustigkeit nicht ganz entziehen. So war zur allgemeinen Freude die Bekanntschaft eingeleitet und bald war Graf Friedrich bezaubert von der offenen Natürlichkeit, dem Witz, den Einfällen und der unermüdlichen guten Laune des schönen Mädchens. –
Man machte einen Spaziergang durch den Garten und die Treibhäuser. – Der junge Herr fand mit Erstaunen, daß Margarethe die Pflanzen kannte und dem Gärtner ein Paar Dutzend lateinischer Namen nannte, vor welchen dieser ganz erschrocken die Mütze abnahm.
»Wo haben Sie das gelernt?« fragte der Graf.
– »Im Schwesternhause zu Herrnhut,« erwiederte sie, »und ich liebe diese schönen, stummen Geschöpfe, die uns unsere Sorge mit Duft und Blüthen und edlen Früchten lohnen; darum habe ich es zu Hause fortgesetzt, wo ich einen guten Lehrer fand. Lieben Sie Blumen?«
»Ich sehe sie gern,« erwiederte der Graf.
– »Lieben Sie Musik?«
»Ich höre sie gern.«
»Aber Jagd, Tanz, wilde Lust aller Art, Kampf und Spiel?« rief sie lachend und drohend. – »O, die schlimme Sitte der Zeit! Im Schwesternhause zu Herrnhut schlug man drei Kreuze vor den feinen Leuten. Aber es ist noch Hoffnung für Sie. Ein guter Mensch muß Blumen und Musik lieben. Sie haben wenigstens beide gern.«
»Das Schwesternhaus zu Herrnhut scheint andere Begriffe zu haben, wie die übrige Welt,« sagte der Graf spöttisch.
– »Das Schwesternhaus zu Herrnhut ist freilich nicht für die Erziehung von Hofjunkern und Gardeoffizieren bestimmt,« erwiederte sie, »aber mein edler Vater pflegte so zu sagen, wie ich es vorher that, und mein Freund und Lehrer sagt es nicht minder.«
»Ist damit etwa Ihr Herr Vormund gemeint,« lachte der Graf, »so ist das freilich ein ausgezeichneter Virtuos auf allen Instrumenten.«
– »Halt!« sagte Margarethe und legte mit einem blitzenden Blick ihrer Augen die Hand auf seinen Arm, »den sollen Sie nicht verspotten; Sie sollen überhaupt nicht verspotten, was ich achte und verehre. Er war meines Vaters alter Freund, der ihn zu meinem Schutz erwählte, trotz seines schlechten Rockes und seines großen Schuldbuches.«
Sie sah den Grafen starr an, der unwillkürlich erröthete. –
»Wen hätte er wählen sollen?« fuhr sie fort. »Etwa einen der Barone und Grafen, die darin stehen, die vor lauter Jagen, Reiten, Reisen, Trinken, Fluchen und Schwören keine Zeit haben, an etwas Anderes zu denken, die wild und wüst das Leben für ein Wirthshaus halten, sich für die Herren darin, bestimmt zu schlemmen und zu prassen; die alle edlen Freuden, alles Lernen, alles Wissen, alles Streben, alle Sitte und Tugend verächtlich verhöhnen und in eitler Thorheit, leer und hohl, wie sie sind, nicht bemerken, daß ihre Vernichtung mit jedem Tage näher rückt?«
Der Graf hatte beim Anfang ihrer Worte gelacht, aber er war ernst geworden, er wußte nicht, warum er nicht spotten konnte. Er war gereizt und empfindlich, aber doch fühlte er eine warme, wohlthuende Hand auf seinem Herzen, denn Margarethens Auge sagte ihm, daß sie ihn nicht zu den bezeichneten Hohlköpfen zähle. Graf Friedrich hatte eine sorgsame Erziehung gehabt, was Lehrer und Hofmeister anbelangt; er hatte auch mehr gelernt, als viele seines Standes und manche edle Regungen seines Herzens und Geistes konnten selbst nicht durch das zügellose Leben unter seinen wilden Gefährten unterdrückt werden.
Margarethe reichte ihm die kleine weiße Hand und sagte begütigend:
»Wischen Sie die Falte von der Stirn, wir wollen nicht streiten. Bei Tische will ich mit Ihnen anstoßen auf alle ritterlich tapfern Männer, dann wollen wir in den Park fahren und am Abend will ich Ihnen etwas vorspielen auf Lydias Instrument.«
»Lydia soll spielen,« rief der junge Mann erheitert, »und wir wollen tanzen.«
– »Im Schwesternhause zu Herrnhut,« sagte Margarethe, »tanzt man nicht.«
»Hol' der Henker das Schwesternhaus in Herrnhut,« rief der Graf.
»Auch fluchte man dort nicht,« fuhr sie schalkhaft lachend fort, »aber wenn es Ihnen Freude macht, wollen wir tanzen.«
Lydia hatte sie allein gelassen und Margarethe kehrte jetzt schnell um und eilte den Gang hinab, der Terrasse zu, auf welcher die Mutter des Grafen sie erwartete. Mit entzückten Blicken verfolgte er die leichte, schwebende Gestalt. Der Luftzug flatterte mit ihrem schwarzen Gewande, die blonden Locken schwammen um den glänzenden Nacken. Sonnenschein und Baumesschatten erhoben und verdichteten die feine Gliederung. –
»Wenn sie mich liebte, welch ein Glück!« rief der junge Mann, dann erschrak er und verstummte, aber erregt setzte er hinzu: »Sie soll mich lieben, alter Eli, ich werde das Glück zu benutzen wissen.«
Margarethe blieb zwei Tage bei der gräflichen Familie, in deren Kreis sie ein reges schönes Leben brachte. Der junge Schloßherr befand sich in einem seltsamen Zauber. Zum ersten Male war die Liebe in seinem Herzen aufgegangen, er erblickte eine neue Welt um sich. Was er früher gedacht und gethan, kam ihm abgeschmackt und erbärmlich vor; was er belacht und verspottet hatte, erschien ihm plötzlich als ein höchstes Glück. Er wollte nichts als Einsamkeit, Ruhe, häuslichen Frieden, und malte sich dies in zahllosen Träumen aus, natürlich immer vereint mit der schönen Fräulein von Richtenstein. –
Am zweiten Tage waren mehrere Gutsnachbarn gekommen, auch einige junge Edelleute, welche ihren Jugendfreund aufsuchten, und keiner war darunter, der nicht mit Margarethen Plane machte. Dem Einen war sie freilich fast zu blond, dem Andern zu frei in ihrem Benehmen, dem Dritten zu superklug in ihren Reden, aber daß sie schön sei, betheuerten Alle, und daß sie reich sei, galt ihnen noch höher.
Graf Friedrich konnte mit Mühe seinen Zorn und seine Verachtung über ihre unverschämten Bemerkungen unterdrücken, sie schienen ihm Versündigung dieser flachen Gesellen gegen ein Heiligenbild. Mit Entzücken bemerkte er aber, wie sie sämmtlich von dem übermüthigen Mädchen verspottet wurden, ohne daß sie es begriffen. Er sah ihre blitzenden Augen, ihr schelmisches Lachen, und der Blick, den sie dabei dann und wann auf ihn selbst richtete, gab ihm Muth und erhielt seine fröhliche Laune.
Spät am Abend empfahlen sich die Herren, jeder voll Hoffnungen, jeder voll Eroberungsaussichten, Alle voll Lob und Dank über den köstlichen Tag und voll Zuversicht auf sich selbst. – Schloß Richtenstein sollte erobert werden; Margarethe aber, der der Graf den zahlreichen Besuch scherzend ankündigte, lachte dazu.
»Oho, meine edlen Herren,« rief sie, »hüten Sie sich, Richtenstein ist ein verzaubertes Schloß, seine Thore gehen nur auf, wie die Höhle Samsam, wenn man das rechte Wort weiß; sonst findet man auch den Schatz nicht, nur Gespenster und Kobolde, die ins Verberben führen.«
– »Und ich,« sagte Friedrich leiser, »muß ich auch bei dem Troß außen bleiben?«
»Wir wollen sehen,« erwiederte sie. »Im Schwesternhause zu Herrnhut wurde uns gelehrt, daß, wer reines Herzens und starken Glaubens sei, Wunder thun könne an sich und Anderen.«
– »Ich glaube wahrhaftig,« rief der Graf mit Leidenschaft, indem er ihre Hand ergriff und preßte, »die Wunder haben schon begonnen, ohne daß ich es selbst recht weiß, denn, Margarethe, ich lebe unter Ihrem Zauber.«
Sie machte sich frei, verneigte sich tief und anstandvoll und sagte:
»Gute Nacht, mein schöner Herr; morgen ist auch ein Tag, der gelebt sein will, und so gar viele. Im Schwesternhause zu Herrnhut stand ein Spruch an der Thür: seid wach und nüchtern, auf daß der Versucher Euch gerüstet finde. Ich befehle – Ihnen jetzt zu schlafen und gebe Ihnen die Erlaubniß von mir zu träumen.« –
Sie eilte mit Lydia davon, die aus ihrer Mutter Zimmer zurück kam, und der Graf, als er endlich auf sein Lager gelangt war, konnte nicht schlafen, eben darum, weil sie es ihm geboten hatte und ihre Worte ihn immer wieder aufweckten. Endlich glaubte er in Wahrheit ihre Stimme zu hören, diese helle, klingende Stimme, welche so mächtig zu seinem Herzen sprach. Er richtete sich empor und hörte den Ton deutlicher; leise stand er auf und trat an das Fenster.
Da stand der mitternächtige Mond über den hohen Waldbäumen des Parkes und in seinem hellen Lichte gingen Margarethe und Lydia auf der Terrasse auf und nieder. Beide junge Mädchen hielten sich umschlungen; zuweilen standen sie still und umarmten sich inniger, Lydia legte den Kopf mit den dunklen Locken auf die große, schöne Freundin, die sich zärtlich über sie beugte, als wolle sie sie beschirmen. Dann sprachen sie leise, Margarethe lachte zuweilen, sie zog die scheue Lydia muthwillig weiter, und rief vernehmlich:
»Du bist ein Kind, meine Lydia, wie kannst Du Dich fürchten? Ich habe Dir Alles vertraut, Du hast mir Dein himmlisches Herz aufgethan, ich liebe Dich, wir werden glücklich sein. Fort! fort mit den bangen Zweifeln. Lehne Dich auf mich, fest auf mich, ich habe Muth für uns beide, und habe es mir gelobt, mein Werk zu vollbringen oder –«
Sie führte sie fort, die Stufen hinab in den großen Lindenweg, dessen leiswogende Wipfel eine Silberhecke über sie ausspannten. Zwischen dem Halbdunkel der alten Stämme sah der Graf die Gestalten ungewiß verschwimmen, zuweilen trug der Wind den Schall der geliebten Stimme zu ihm her, zuweilen trat ihr schimmerndes Nachtgewand heller aus den Schatten, er glaubte ihr fröhliches Lachen zu hören und er lehnte sich an das geöffnete Fenster, die Brust voll Sehnsucht, voll Bangigkeit, voll Liebesgluth, die er kaum beherrschen konnte. –
»Seltsames Mädchen!« rief er, »wärst Du arm, ich würde Dich noch mehr lieben, denn ich könnte Dich mit Glanz und Gütern überhäufen. – Mit Glanz und Gütern!« rief er heftig und drückte die Hände an seine heiße Stirn und dann auf die Stelle, wo seine Wunde heftig schmerzte, »o! nein! nein! ich bin Deiner nicht würdig, ein Verschwender, arm, an der letzten Stufe des Verfalls, unwürdige Thorheit hat mich dahin gebracht, ach! mein armer Kopf!«
Er blieb lange in dieser Stellung, fieberhaft aufgeregt und mit immer größerem Verlangen nach den Verschwundenen ausblickend. Endlich ergriff ihn die Unruhe so gewaltig, daß er im Begriff war, hinabzusteigen, ihnen nachzueilen und sie aufzusuchen, was sie auch sagen mochten, als er sie von fern erblickte. Sie kamen langsam zurück. Der Mond war tiefer gesunken, er warf sein Licht schräg in den Baumweg, welchen er da und dort erhellte.
Plötzlich kam es dem Grafen vor, als sähe er drei Gestalten, als ginge ein dunkles Wesen zwischen den beiden jungen Mädchen, deren Hände die seinen gefaßt hielten. Ein schrecklicher Gedanke, ein Strom wüthender Eifersucht flog durch sein Herz. Alle seine Fibern spannten sich, seine Augen schmerzten vor Anstrengung und Glut.
Nein, er täuschte sich nicht, es war ein Mann, ein Unbekannter, ein Nebenbuhler, Der es wagte, Margarethen hier aufzusuchen, und sie, die Falsche, wußte es und hatte ihn erwartet. Am Ausgange des Weges standen sie ein Weilchen still, dann stiegen die beiden Damen die Stufen hinauf und gingen im leisen, lebhaften Gespräch dem Hause zu. Margarethe schien auf's Höchste aufgeregt, Lydia in ihre Fröhlichkeit fortgerissen und deutlich konnte der junge Mann ihre Worte vernehmen, als sie einen Augenblick in der Nähe seines Fensters stillstanden. –
»Dein Bruder schläft,« sagte das Fräulein, »aber groß ist meine Lust, ihn herauszuschreien, ihm Alles zu sagen, was ich denke, ohne Umstände, ohne Schonung. Holla, mein Herr! wenn Sie wüßten, mein Herr Graf –«
Lydia hielt ihr ängstlich den Mund zu.
»Um Gottes Willen!« flüsterte sie, »wenn er erwachte –«
»Thorheit! er soll erwachen. Ist das ein Leben für einen Mann von Kopf und Herz? Er muß erwachen, wenn er wie ein echter Mensch empfinden und fühlen und den Hochmuthsteufel, den heillosen Gram schlechter Vorurtheile von sich werfen soll. Du mußt es wünschen, meine theure Lydia, und ich will es so. Ich will diesen jungen Herrn bekehren, vor dem Ihr solche Furcht habt; er soll seinen stolzen Willen beugen lernen vor mir, ja vor mir, vor der kleinen Person mit den blonden Flechten, vor der schwarze Dame! Ich denke, er hat vor den schwarzen Damen viel Respect, er soll noch mehr bekommen, er soll daran denken, so lange er lebt.«
Sie lachte mit dem größten Übermuth zu dem Fenster hinauf, und während Lydia sie bittend und halbgewaltsam fortführte, glühten die Wangen des jungen Mannes vor Scham und Zorn und Ärger. –
»Welcher böse Geist steckt in diesem Mädchen,« sagte er endlich, »welche Gewalt übt sie über mich? Selbst jetzt, jetzt, wo sie mich so bitter verspottet, kann ich ihr nicht ernstlich zürnen.« –
Er hatte mit angestrengter Aufmerksamkeit beobachtet, ob er den Schatten, der ihn so sehr erschreckt hatte, nicht wieder entdecken könnte, aber er bemerkte nichts in dem Baumwege. Als die Damen diesen verlassen hatten, zeigte sich keine Spur von einem Wesen, das zurückgeblieben sei, und nach und nach kam das glückliche Gefühl des Zweifels, der Täuschung über die aufgeregten Empfindungen. Er überlegte kaltblütiger den Hergang. Wie konnte Margarethe wohl hier im fremden Hause ein Stelldichein veranstalten, und wenn sie wirklich so sittlich verdorben, wie hätte sie es wagen können, die sanfte, schüchterne Lydia darin zu verstricken, sie als Zeugin und Gefährtin zu benutzen?
Er war nach diesen folgerechten Schlüssen ganz ruhig geworden und wollte so eben vergnügt das angelehnte Fenster schließen, um sich seinen Träumen ungestörter zu überlassen, als die süßen Klänge einer Flöte aus dem Garten aufstiegen und plötzlich alles vernichteten. Wie gebannt, zitternd und mit immer wilderer Aufregung hörte er auf die weichen, gedämpften Töne des Liedes, das unter der Terrasse aus einem dichten Bosket neben dem Lindenwege zu kommen schien. Es wurde mit Meisterschaft vorgetragen und er kannte es seinem Inhalte nach sehr wohl. Es waren die sehnsuchtsvollen Strophen eines großen Dichters, Göthes schönes Lied an die Erwählte, das damals beliebt und oft gesungen war.
Er verfolgte mit Zähnknirschen in Gedanken jede Zeile: Hand in Hand und Lipp' auf Lippe! liebes Mädchen bleibe treu! Lebe wohl! o, manche Klippe, fährt Dein Liebster noch vorbei – bis zu den letzten Worten, da sprang er auf, stürzte nach der Thür, die kleine verborgene Treppe hinab, durch den Saal auf die Terrasse hinaus und auf das Gebüsch zu. Nichts war da, aber tief unten im Gange, dicht an den Stämmen bewegte sich eine fliehende Gestalt. –
»Halt! steh, wenn Du ein Mann von Ehre bist!« rief der Graf außer sich, aber im nächsten Augenblicke sah er nichts mehr.
War es abermals Täuschung gewesen? er wußte es nicht. Er eilte bis in den Park hinaus, bis an die Grenze, welche ein breiter, tiefer Wassergraben umzog. Das Thor war geschlossen, die Brücke aufgezogen, er lief durch alle Wege und kehrte endlich langsam durch die kühle Nachtluft zurück, die sein heißes Blut beruhigte. –
Gern hätte er Alles abgeleugnet und sich selbst belogen, um Hoffnungen, die ihm unendlich theuer waren, nicht zu zerstören, aber die Musik ließ sich nicht aus den Ohren verbannen. Es fiel ihm ein, was Margarethe von einem Lehrer gesagt hatte, der ihr ein theurer Freund sei. War dieser Lehrer der Musikant? War er ihr gefolgt, war er jung, schön, kühn genug dazu, einer jener modernen Lieblinge der Musen und Grazien etwa, die damals anfingen, die Lehren der Revolution ganz besonders auf sich zu beziehen, die Aristokratie der Bildung jener der Geburt entgegenzusetzen und mit lächerlicher Anmaßung von den ewigen Gleichheitsrechten aller Menschen zu prahlen?
Aber er verwarf diesen Gedanken mit einer Art Beschämung für die stolze, edle Geliebte, eben so schnell wie er ihn gefaßt hatte. Wie könnte sie einem gemeinen Menschen ihr Herz schenken, einem Wesen ohne Namen und Geburt, es war unmöglich! Nein, der Nebenbuhler, wenn er existirte, mußte ein mehr gefährlicher sein.
Den ganzen Rest der Nacht brachte er mit solchen Muthmaßungen zu und endlich war er entschlossen, diesem listigen, spottsüchtigen Mädchen mit Verstellung und gleicher Münze zu bezahlen. Niemand sollte merken, was er erfahren, aber er wollte seine heftige Neigung beherrschen, kalt und gleichgültig erscheinen und die Schranken gesellig feiner Höflichkeit aufrecht erhalten.
In dieser Absicht trat er am Morgen in den Salon, so unbefangen lächelnd als möglich, aber er blieb bestürzt stehen, als er Margarethen im Reisekleide erblickte. –
»Sie haben zu lange geschlafen,« rief sie, »und ich verzichtete fast auf die Ehre, Ihnen ein Lebewohl in Person zu sagen.«
– »Ich begleite Sie,« rief der Graf, und alle seine Vorsätze waren vergessen, als er in ihr tiefblaues, gütiges Auge blickte.
»Mit Lydia bis an die Grenze des Parks, bitte ich um die Ehre,« erwiederte sie.
In dem Ton lag eine Abweisung, welche ihn schnell wieder verletzte. Er verbeugte sich, ohne ein Wort zu erwiedern, küßte seiner Mutter die Hand und begann mit derselben ein Gespräch über eine gleichgültige häusliche Angelegenheit, das fast bis zum Augenblick des Abschiedes währte. Margarethe befahl ihrem Diener, den Wagen voranfahren zu lassen, eine leichte Kalesche, ohne Schmuck und Zier, mit tüchtigen, aber keinesweges schönen Pferden bespannt, auf welche der Graf einen kritisch musternden Blick warf.
»In unseren Bergen, sagte das Fräulein, indem sie mit den Geschwistern dem Gespann folgte, »können wir weder englische Wagen, noch englische Pferde brauchen. Sie werden das empfinden, mein Herr Graf, wenn etwa Ihre gehorsame Dienerin die Gnade erlangt, Sie in dem alten Hause der Richtenstein zu empfangen. Nehmen Sie Ihr bestes Jagdroß mit den stärksten sichersten Hufen und Füßen, es wird zu klettern haben und müde, verdrießlich sein, wie sein edler Reiter, ehe es an dem Schloßthor scharrt.« –
Sie warf dabei einen neckischen Blick auf das ernste Gesicht des jungen Herrn, der seinen Unmuth nicht bemeistern konnte.
– »Wenn ich hoffen darf, nicht abgewiesen zu werden,« sagte er gezwungen lächelnd, »so wird sich auch ein Roß finden, mich zu dem Zauberschloß zu tragen.«
»Fürchten Sie nichts von der Fee,« erwiederte sie lebhaft, indem sie ihm die Hand bot, »wir haben Freundschaft geschlossen, aufrichtige Freundschaft, Graf, und wenn ich nicht in einem Wagen, von Schwänen oder Tauben gezogen, Ihnen entgegen komme, so will ich doch Ihren Worten die Kraft verleihen, daß alle Thüren sich vor Ihnen öffnen.«
– »Alle Thüren,« rief er bedeutungsvoll; »aber warum, meine schöne Beschützerin, warum versagen Sie mir jetzt so hartherzig die Erlaubniß, Sie zu begleiten?«
»Weil es so sein muß,« versetzte sie muthwillig, »weil ein Drache am Wege liegt, der grimmigen Kampf erheben würde, weil eine Dame in Trauer, ein blondes Landmädchen in holpriger Kalesche, auf stolprigem Wege sich an der Seite eines jungen eleganten Hofherrn schlecht ausnimmt, weil er in Verlegenheit gerathen könnte, wenn etwa der blinde Zufall eine von den feinen, duftenden Fräulein aus der Residenz herbeiführte, und weil ich im Schwesternhause zu Herrnhut –«
– »Um's Himmelswillen!« rief der Graf, »morden Sie mich nicht mit dem Schwesternhause zu Herrnhut, theuerste Margarethe; sagen sie einfach, weil ich nicht will und andere Begleitung habe.«
»Nun gut, weil ich nicht will und andere Begleitung habe,« rief sie und rückte das Hütchen trotzig auf die Stirn. »Sie haben Recht, es lebe die Wahrheit! Und nun, meine beste Lydia, lebe wohl und komm zu mir auf den Richtenstein, wenn etwa dem Herrn Bruder zu lange die Zornesader anschwillt. Dann wollen wir ihn gemeinsam ausschelten, und ihm nicht eher verzeihen, bis er zu unsern Füßen um Gnade bittet.«
Der Wagen fuhr davon und im Entschwinden nahm sie eine kleine Blume von ihrer Brust und warf sie dem Grafen zu.
»Das soll das Pfand sein, das Sie mir bringen,« sagte sie, »und wir wollen sehen, ob Sie es verwelken lassen, ehe Sie kommen.«
Erst als der Wald die schöne, grüßende und winkende Erscheinung ganz dem Blick entzogen hatte, kehrten die Geschwister zum Schlosse zurück. Stumm ging Friedrich an Lydias Seite. Endlich in der Nähe der Terrasse faßte er plötzlich die Hand seiner Schwester und sagte heftig:
»Ich habe so oft der Liebe gespottet, ich hielt sie für eine Thorheit, für einen bloßen Sinnenrausch, für ein Gefühl des Augenblicks und des Genusses; heute gehörte meine Neigung der Anna und morgen der Susanna, wie es in dem lustigen Liebe heißt; was hat mir nun dies Mädchen angethan, dies sonderbare, ungestüme, launenvolle Mädchen, das mich erzürnt und bekümmert, entzückt und in Leidenschaft versetzt in demselben Augenblick? – Ich hasse sie, ja wahrhaftig, ich hasse sie, und wenn ich sie wieder anblicke –«
– »Dann liebst Du sie,« sagte Lydia lächelnd.
»Ich liebe sie, wie ein Narr,« rief ihr Bruder, »denn weiß ich es, ob sie mich verspottet, ob nicht?« –
Er sah seine Schwester tief erglühend an und schwieg. – Nach wenigen raschen Schritten, die er that, als wollte er sich entfernen, kehrte er um.
»Wäre sie nicht reich, Lydia, wäre sie arm, verlassen, ja wahrlich, ich glaube, wäre sie in einer Hütte geboren, ich würde sie doch lieben, ich, ich, Graf Friedrich Herfurt, ich fühle es, ich empfinde es – seltsam! ich wünsche es! Ist das möglich, Lydia, wie ist das möglich?!«
– »O, lieber Bruder,« sagte Lydia leise, »fragt denn die Liebe nach Stand und Reichthum?«
»Das ist eine Verirrung der Gefühle,« erwiederte er stolz, »eine Krankheit, die Schmach und Schande über uns bringt. Wir haben Beispiele, wo Personen von Rang sich vergessen konnten, aber ich wundere mich, solche Aussprüche von Dir zu hören.«
– »Aber lieber Friedrich, Du selbst –«
»Ich selbst,« rief der Graf, »ich begreife den Wahnsinn, der den Besten verblenden kann, sich in den Abgrund zu stürzen, aber wir, Lydia, wir würden die Unwürdigkeit doch zur rechten Zeit erkennen,« dann lachte er und sagte: »wie kommen wir nur darauf? Du, meine liebe Schwester, wirst niemals den rechten Weg verlassen, Du bist hier aufgeblüht als ein verborgenes Blümchen, aber ich führe Dich an Deinen Platz. Man wird Dich bewundern, Du wirst auf irgend einem Hofballe, oder bei einer Cour, Deinen Zukünftigen kennen lernen, und wer der Gräfin Herfurt nahe tritt, muß ihr mindestens gleich sein. O, ihr Mädchen seid überhaupt viel glücklicher. Die Gemeinheit kann sich Euch nicht nahen, der Stolz der edlen Geburt ist Euch tief eingeprägt, nur eine gänzlich Verworfene kann sich so weit vergessen, ihre Familie zu entehren. Bei uns ist das leichter, böses Beispiel verdirbt gute Sitten, der hohle Schwindel der Gegenwart steckt viele Köpfe an, und dazu kommen Verhältnisse, Schulden, Vermögenszerrüttungen, Leichtsinn –«
Er hielt plötzlich inne und legte die Hand an seinen Kopf.
– »Was ist Dir, Bruder?« rief Lydia besorgt.
»Es ist nichts,« erwiederte er, »und doch, Lydia, wem soll ich es sagen, auch unser Vermögen ist zerrüttet, auch ich war leichtsinnig, aber darum dürfen wir nicht auf Unehre sinnen. Margarethe, wenn sie mich liebt, ich könnte –«
Plötzlich faßte er beide Hände seiner Schwester:
»Du bist ihre Freundin,« sagte er, »hat sie Dir nichts vertraut, kannst Du mir keine gute Hoffnung geben?«
– »Lieber Friedrich,« sagte das junge Mädchen sanft und erröthend, »o! wie glücklich würde es mich machen, wenn ich es bestätigen dürfte, allein –«
»Ich verstehe,« rief der Graf heftig, »Du weißt etwas, was Du mir verbirgst, und ich bin zu stolz, um noch mehr wissen zu wollen. Ich habe Euch gesehen gestern in der Nacht. Sie führte Dich dort hinab in den Baumweg; als Ihr zurückkamt, war ein Dritter in Eurer Gesellschaft. Ich habe auch eine Flöte gehört, das schmachtende Lied an die Entfernte; mag dieser Musikant sich hüten, hier jemals betroffen zu werden, mag dieß intriguante Mädchen sich hüten, Dich in ihre Abenteuer zu verweben, Dich zu ihrer Gefährtin zu machen.«
– »Bruder!« rief Lydia, »ich schwöre Dir, Margarethe ist schuldlos, Dein Verdacht ungegründet, unwürdig.«
»Du bist blaß, Du zitterst,« fuhr der Graf mit derselben Heftigkeit fort, »Du beleidigst mich, weil Du sagen willst, Eifersucht und Haß sprächen aus mir. Es ist nicht wahr, ich bin kalt und ruhig, ich will diese Narrheit aus meinem Herzen reißen, wo sie kaum entsprossen ist, oder willst Du mir etwa gestehen, wer der Verwegene war?«
–»Ich habe nichts zu gestehen,« sagte Lydia kaum hörbar.
»Wer schleicht ihr nach? Wen liebt sie?« schrie Graf Herfurt und faßte rauh Lydia an.
Sie schlug ihre großen Augen plötzlich fest zu ihm auf und trat zurück.
»Das ist zu viel,« sagte sie stolz, »ich muß mich Deinen Mißhandlungen entziehen und den Schutz unserer Mutter aufsuchen. Wer giebt Dir das Recht, mich wie ein spanischer Inquisitor zu behandeln? Suche Margarethens Liebe zu erwerben, es hängt von Dir ab, aber nicht durch diese wilde Heftigkeit, die Unheil säet und Unheil erntet.«
Sie verließ ihn schnell und in der übelsten Laune blieb der junge Edelmann zurück. Im ersten Augenblick war er erstaunt über den plötzlichen Muth seiner Schwester, dann gerieth er in Wuth und wollte ihr nacheilen, bis ins Zimmer seiner Mutter, auf dem Wege aber kehrte er um, das Gefühl seines Unrechts kam über ihn und als er eine Zeitlang in den entlegensten Theilen des Parkes umhergeirrt war, ließ er ein Pferd satteln und besuchte einen Gutsnachbar, wo er bis zum nächsten Tage verweilte. –
Er hatte sich vorgenommen, ein strenges Schweigen gegen Lydia zu beobachten, weil er sich schämte und weil er unmuthig es empfand, daß seine Schwester sich unabhängig gemacht und selbst mit einem gewissen Übergewicht sich neben ihn gestellt habe.
Einige Wochen vergingen; auch Lydia war schweigsam, die Mutter schien das gespannte Verhältniß ihrer Kinder nicht zu bemerken, denn beide wetteiferten in anhänglicher Liebe und waren in der Zeit ihres Beisammenseins so unbefangen als möglich. Der Graf suchte aber in Besuchen und Jagden Zerstreuung, die er nicht fand, oder er blieb Tage lang auf seinem Zimmer und Lydia machte allein ihre Spaziergänge oder saß bei dem Lehnstuhle der Mutter arbeitend auf der Terrasse. Zuweilen schien sie geweint zu haben und oft hingen ihre Augen bittend und unruhig an dem Bruder, der mit gekreuzten Armen den Blick auf den Boden heftete.
Einige Male kamen auch Boten aus Schloß Richtenstein mit Briefen von Fräulein Margarethen, welche dringende Einladungen zum Besuch enthielten und manch neckendes Wort und Andeutung für den irrenden Ritter stand dabei. Lydia gab ihrem Bruder diese Briefe und konnte wohl bemerken, mit welcher Anstrengung er seine Gleichgültigkeit behauptete, wie er die zierlichen, kleinen Buchstaben betrachtete und den Blick darauf festhielt, nachdem er lange geendet hatte. Er reichte das Papier schweigend zurück und ging hinaus, aber am nächsten Tage war es heimlich in seiner Gewalt, und einsam setzte er sich im dichten Walde, las die Zeilen wieder und immer wieder, und schüttelte die Falten von seiner Stirn und die Last von seiner Brust, welche sich drückender als je darauf gelagert hatte.
Denn zu der Herzenssorge waren in der letzten Zeit manche andere gekommen. Er hatte Schulden in der Residenz zurückgelassen und angenommen, daß seine Gegenwart zu Hause leicht hinreichen würde, ihm die Mittel zu verschaffen, jene zu tilgen. Jetzt, wo er seine Verhältnisse kannte, war ihm dies unmöglich; man mahnte ihn, mahnte dringend, erinnerte an sein gegebenes Wort, das nicht gebrochen werden durfte, und setzte einen kurzen festen Zeitpunkt, wo Alles abgethan sein müsse.
In dieser Verlegenheit beschloß Graf Herfurt, sich an den alten Waldmann zu wenden, obgleich er fest überzeugt war, daß der Wucherer von seinen drückenden Bedingungen nichts ablassen werde. Aber neuer Muth war in sein Herz gekommen; aus Margarethens Neckereien leuchtete eine geheime Zuneigung, ein Verlangen, ihn zu sehen, dem er sehnsüchtig entgegen kam; er schalt sich selbst, er zweifelte, und wer an der Untreue einer Geliebten zweifeln kann, der giebt sie nicht auf und nährt seine Hoffnungen. –
Er konnte die schöne, reiche Braut gewinnen, und Alles löste sich dann in Glück und Freude auf. – Mit solchen Gedanken kam der junge Edelmann beim anbrechenden Abend froh gestimmt von der Jagd zurück und war in der Nähe des Schlosses, als ein Reiter den Weg herauf kam, der ohne Gruß an ihm hinsprengte. Der Graf kannte ihn nicht. –
Es war ein junger Mann, zu anständig gekleidet für einen Dienstmann, zu wenig prachtvoll für einen Herrn von Stande. Den großen Schirm seiner grünen Mütze hatte er ins Gesicht gedrückt, als wollte er dahinter seine Unhöflichkeit verbergen, über welche der Graf sich ein wenig ärgerte. Neugierig sah er ihn nach, wie der Staub hinter ihm aufwirbelte und die Straße einhüllte, der Wind seine schwarzen, glänzenden Locken über den Rockkragen des grünen Kleides warf.
»Wer ist der Tölpel?« sagte er unmuthig, »der so achtungslos bei mir vorüberjagt, ohne Gruß und Rücksicht?«
Mit rascheren Schritten ging er dem Schlosse zu und plötzlich stand er vor Lydia, die an einer der alten Linden lehnte und ihm mit freundlichem Gruß die Hand bot. Er sah ihr eben so erfreut in das schöne geröthete Gesicht und in die blitzenden Augen, welche sie langsam vor ihm senkte.
»Ich habe Dich erwartet,« sagte sie, »wir wollen Frieden schließen.«
– »Und nie wieder Krieg führen,« rief der Bruder und umarmte sie. »Ich habe Dir wehe gethan, meine Lydia, ich war sehr thöricht, ich muß meine Schuld bekennen, damit Du meine Reue siehst. Aber Du hast von dem Zaubertrank gehört,« fuhr er lächelnd fort, der selbst einen Herkules toll machte, als er ihn gekostet hatte, und dieser –«
»Soll Dich wieder gesund machen,« fiel Lydia ein. »Ich habe ein Briefchen von Margarethen bekommen; für Dich lag ein Zettelchen darin.«
Sie zog es hervor und reichte es ihm.
»Im Schwesternhause zu Herrnhut,« stand darin, »ist es zwar nicht Sitte, an junge Grafen zu schreiben, da aber meine dienstbaren Geister mir berichtet haben, daß Ew. Gnaden mit gar kläglichen Geberden Feld und Wald durchstreifen, dabei im Hause den Tyrannen armer Frauen zu spielen sich unterfangen, so lade ich Sie vor mein Gericht zur Rechenschaft und erwarte Gehorsam.«
– »Das übermüthige Mädchen!« rief der junge Mann entzückt. »Wie viel Geist, wie viel Anmuth. Aufrichtig, Lydia, meine Zweifel sind verschwunden, ich kann die Hoffnung nicht aufgeben, daß sie mich liebt.«
»Ich sollte es fast meinen,« erwiederte die Schwester, »da Margarethe alle Besuche an ihrer Thür abgewiesen hat und Dich einladet.«
– »Ich werde erscheinen,« sagte der Graf, »werde mich ihrem Gericht unterwerfen, mein Urtheil in Empfang nehmen. O, theure, liebe Lydia! wie glücklich hast Du mich gemacht. Wenn Du die Liebe einmal kennen lernst, wirst Du mich begreifen.«
»Ich begreife es wohl,« versetzte sie; »werde glücklich, Friedrich! so bin ich es auch.« –
– »Du gutes Mädchen, sagte er gerührt, »wie viel habe ich an Dir gut zu machen, und Alles, Alles will ich für Dich thun. Wenn ich jemals im Leben gegen Dich hart sein könnte, erinnere mich an diese Stunde, an meinen Schwur, ich will Dir um den Hals fallen und Buße thun.«
Er küßte sie mit Zärtlichkeit. Lydia hielt ihn fest umarmt, er fühlte ihre Thränen auf seinem Gesicht.
»Du weinst,« sagte er, »aber es können nur Freudenthränen sein.«
– »Thränen der Hoffnung und des Glücks,« sagte sie und ihre dunklen Augen blitzten geheimnißvoll freudig zu ihm auf. »Du bist gut und edel, und Margarethe ist ein Engel, dem Alles möglich ist.«
»Wer brachte den Brief?« fragte er. »War es der Mensch im grünen Kleide, der eben erst fortritt?«
– »Der,« erwiederte sie, »nein – ich sah ihn flüchtig, er gab etwas für Dich ab, ich kenne ihn nicht – er verließ den Hof eben, als ich heraustrat.«
Im Augenblick brachte ein Diener, als sie die Stufen der Freitreppe emporstiegen, einen Brief, den der Reiter zurückgelassen hatte. Der Graf nahm ihn und erkannte die steilen deutlichen Buchstaben der Handschrift des alten Eli.
Er verließ seine Schwester, ging in sein Zimmer und erbrach das Schreiben.
»Alter Schelm,« sagte er lachend, »ein Droh- und Brandbrief, wie ich denke.«
Mehrere Papiere fielen ihm entgegen, er sah sie an und war erstaunt, es waren die Schuldscheine, welche er in der Hauptstadt ausgestellt und die ihm so viele Sorge machten. –
»Ew. Gnaden,« schrieb der Alte dazu, »schicke ich hiermit die einliegenden Scheine, welche mir zum Kauf angeboten wurden. Die leichtsinnige Wirthschaft, die Sie getrieben haben, ist unerhört. Ich nahm die Dinger, weil ich weiß, daß Sie sie nicht bezahlen können, und weil man mit Ihnen verfahren hätte, wie es sich gehört. Ich bin aber Ihr Hauptgläubiger und Sie wissen, was ich mit Ihnen vorhabe, entweder Sie heirathen, wie ich will, oder ich nehme die Herrschaft Ihnen über dem Kopf fort. Schicken Sie mir einen Schuldschein für diese nichtsnutzigen Papiere und vergessen Ew. Gnaden nicht, die fünf Procent landesübliche Zinsen – mehr nehme ich nicht – vom Tage der Ausstellung an darauf zu vermerken.
Ew. hochgräflichen Gnaden allerunterthänigster Knecht
Elias Waldmann.«
»Allerunterthänigster Schuft!« rief der Graf ärgerlich lachend; »aber gut, Elias Waldmann, Du sollst Deinen Willen haben. Ich heirathe Margarethen und bezahle alle Zinsen, die Du verlangen kannst.«
Am nächsten Morgen war Graf Herfurt auf dem Wege zum geheimnisvollen Schlosse. Lydia hatte ihm einen Brief mitgegeben und in fast leidenschaftlicher Aufregung sich von ihm getrennt. Es war eine Brautfahrt, die über sein Leben entscheiden sollte.
»Sei glücklich,« sagte sie, »sei gut und sanft! Wenn Du Margarethen wahrhaft liebst, wenn Du mich liebst, wird sich Alles zum Besten gestalten.«
Sie fiel ihm um den Hals, dann ließ sie ihn los, sah ihn lächelnd an und eilte schnell davon.
Der junge Edelmann verfolgte mit sehnsüchtiger Eile seinen Weg. Er war nur von einem Diener begleitet, der den Weg kennen sollte, welcher größtentheils durch Waldungen bis an den Fuß der Berge und dann durch diese hin zum Ziele leitete. Der Tag war schön, die Sonne fiel auf das duftige Grün; Einsamkeit und Vogelgesang machten sein Herz still und versenkten ihn in phantastische Träumereien. Er dachte sich Margarethen in tausend Gestalten, er malte sich den Empfang aus, den Augenblick, wo er ihr seine Gefühle bekennen würde; er sah sie winkend und lachend vor sich hinschweben, und der Weg war ihm gar nicht lang, gar nicht so unbequem vorgekommen, als der Reitknecht plötzlich mit der Hand auf einen sanft ansteigenden Hügel in der Ferne deutete und ihm den alten Thurm von Schloß Richtenstein zeigte.
Einen Augenblick hielt der Graf sein Pferd an, ehe er in das Thal niederritt, das zwischen ihm und Margarethen sich fruchtbar ausdehnte. Ein Bergwasser brauste und wand sich im tiefen Bett hin, unter dem Felsensprung lag eine Mühle, deren lebendiges Geklapper zu ihm herüberscholl, ein Dorf und zerstreute Meierhöfe streckten ihre Schieferdächer aus den Büschen und Bäumen, über welchen das goldene Kreuz einer Kirche strahlte. Und oben auf der Höhe lag das alte Schloß, ehrwürdig grau, aus Gärten emporsteigend, die sich grün und weich an seine Warten und Mauern schmiegten.
»Wie schön, wie herrlich!« rief der junge Mann entzückt, nachdem er lange in Gedanken versunken war. »Mit ihr in diesen grünen Bergen, an ihrer Seite in dem Schatten der uralten Bäume gelagert, in ihren Armen, an ihrem Herzen. O! Margarethe, nimm mich gütig auf!«
Er trieb sein Pferd zur Eile und heftete den Blick sehnsüchtig nach allen Fenstern und Zinnen des Schlosses, als müsse er die Geliebte dort oben erblicken, wie sie ihn erwarte und ihm entgegenwinke. Als er näher kam, trat das ganze Gebäude hervor, ein geschlossenes Viereck von bedeutendem Umfange. Am Fuße des Hügels lagen die großen Wirthschaftsgebäude, dann stieg man einen gewundenen, bequemen Weg hinan, über einen Wiesenabhang, durch Gärten zwischen Hecken und Gehegen, bis endlich eine Umfassungsmauer, ein Graben und ein wohlerhaltenes Thor von Stein mit dem Wappen der alten Barone von Richtenstein den Fremden aufhielten. Bei dem lauten Ruf des Reitknechts öffnete ein alter Mann das Fenster der Pförtnerwohnung und sah sich nachdenklich die Wartenden an. –
»Wenn der Herr,« sagte er, »der Graf von Herfurt ist, so habe ich Befehl, ihn einzulassen, sonst keinen. Nimm dann das Pferd Deines Herrn, Freund, und führe es unten in die Meierei, die Thür soll sogleich geöffnet werden.«
Der Graf stieg lächelnd ab und beobachtete das Kopfschütteln und Murmeln seines Dieners nicht weiter, der über die seltsame Manier, vornehme Gäste zu empfangen, sich sehr beleidigt fühlte. Es freute ihn, daß er allein Zutritt erhielt, daß Margarethe ihn erwartet hatte, und hastig schlüpfte er durch die Pforte, welche der greise Thorwart eben nur so weit öffnete, daß er hindurch konnte, und dann sogleich wieder schloß. –
»Wo ist das gnädige Fräulein?« fragte er.
»Margarethe wird im Garten sein, erwiederte Der alte Mann.
Der Graf sah ihn erstaunt an.
»Margarethe?« murmelte er, verletzt über diese Vertraulichkeit.
»Wo ist Gretchen?« fragte der Wächter einen andern Diener, der in der Ferne mit einem Rechen in der Hand vorüberging.
– »Ich hörte sie Musik machen,« sagte dieser, ohne still zu stehen. »Schickt den Mann nur hinein, er kann sie suchen und wird sie bald finden, wenn sie gefunden sein will.«
– »Da hast Du recht,« erwiederte der Alte und sah den Besuch lachend an. »Da ist das Schloß, Herr, und da der Garten, sehet zu, wo Ihr sie finden könnt.«
Er ging in sein Häuschen und der Graf den Weg hinab, welcher einen zierlichen Laubgang bildete, von Ulmen und Rüstern, an denen wilder Wein und Hopfen dicht die Stämme umrankten und oben zum laubenartigen Dach verflochten waren. Der Empfang war so sonderbar und seltsam, außer aller Sitte der Zeit, daß Herfurt wirklich in einem Fabelland zu sein glaubte.
Er trat aus dem Baumweg und seine Empfindungen versöhnten sich durch die neuen Wunder, welche ihn erwarteten. Das Schloß lag vor ihm auf einem kleinen Plateau. Die langen Linien seiner Hauptfronten zeigten sich im edelsten Verhältniß erbaut, und überall mit den reichen Verzierungen alter Bildnerei geschmückt. Von den Zinnen herab bis zu den Schlußsteinen der gothisch gewölbten Fensterreihen stiegen die Blumenstöcke und gewundenen Arabesken, die Ritterhelme und Wappen und Thierköpfe, und Alles war so sauber erhalten, als hätte der Künstler erst heute seine Arbeit hier vollendet; Alles zeugte von einem regen Schönheitssinn, der diesen einsamen Ort zu seiner Werkstätte gewählt und in seinen Schöpfungen durch Reichthum unterstützt wurde. Die großen wohlgeordneten Fensterreihen waren weiß verhängt, wodurch dem großen Hause ein feierliches, stilles Ansehen verliehen ward.
Der Graf faßte an einige Thüren, allein er vermochte nicht, sie zu öffnen. Er ging auf dem breiten mit buntem Kies bestreuten Weg um das Gebäude und betrachtete die zahlreichen Statuen von Marmor, die Götter und Helden italienischer Meister des vorigen Jahrhunderts, deren Kunstwerke so theuer bezahlt wurden, betrachtete verwundert auch die zahlreichen großen Orangen- und Myrthenbäume, welche blühend und voll goldener Früchte den ganzen Weg besetzten und warf dann den Blick entzückt auf den kleinen hellgrünen Wiesenplan, wo ein Paar Rehe im Gehege weideten, auf die reiche Flur seltener Blumen in Figuren und Kreisen zusammengestellt, auf die blitzenden Glaswände eines großen Gewächshauses und endlich auf die alten schönen Waldbäume, die rund umher dies kleine, seltsame Paradies einschlossen, als ob sie es von der übrigen Welt trennen wollten. –
Ihm war gar seltsam zu Muthe. Diese verschlossene, mit so vielen fremdartigen Reizen, mit Bäumen und Gewächsen des Südens, mit Marmorstatuen und Bildwerken geschmückte Burg war völlig verschieden von allen Rittersitzen des Landes. Sein Herz klopfte heftiger, als er daran dachte, daß Alles dies Margarethen gehöre, daß sie hier wohne, hier lebe und er – er mit ihr einst das Glück theilen werde, abgeschieden von der Welt, von dem lärmenden Gelüste der Menge, die ihn anwiderten, mit ihr in diesen edlen Hallen, unter diesen ewigen Bäumen allein.
»Welch ein Glück!« rief er aus; »liebliche Fee, ich will Dich gewinnen, wo bist Du? Warum läßt Du mich allein!«
Indem er dies sagte, erblickte er an der andern Seite des Schlosses einen Mann, der langsam aus dem Dunkel der Bäume hervortrat und durch die Blumenboskets ging. Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt, den Kopf, den ein breitgekrämpter, niedriger Hut, nach Quäkerart, bedeckte, senkte er tief auf die Brust nieder, zwischen den Fingern hielt er ein Buch, in welchem er gelesen zu haben schien. Als Herfurt ihn aufmerksamer betrachtete, glaubte er in ihm den Reiter zu erkennen, der gestern so wild an ihm hinjagte und im Schlosse den Brief des alten Elias abgegeben hatte. Wenigstens fiel sein schwarzes glänzendes Haar ebenso dicht und üppig auf das grüne Kleid nieder, das er trug, und ließ den Grafen zweifelhaft, wer in dieser Verpuppung stecke.
Einmal hob der Spaziergänger den Kopf auf und der Graf meinte ein junges schönes Gesicht zu sehen; eine eifersüchtige Empfindung regte sich in ihm. War dies Margarethens vertrauter Freund und Lehrer, der Gefährte ihrer Einsamkeit, der Flötenbläser, der ihr gefolgt war? – Er that ein Paar rasche Schritte vorwärts; der Unbekannte hatte sich abgewendet und ging eben so langsam, wie er gekommen, von Neuem dem Schatten der Bäume zu.
Herfurt zögerte unentschlossen. Es war, als rief eine Stimme in ihm, diesen Mann zu meiden, eine Unglück weissagende Ahnung drang schmerzlich durch seine Brust. Plötzlich aber eilte er ihm nach und schon stand er an den Blumen, als ein hellklingendes »Halt!« hinter ihm erscholl. – Er blickte zurück, da stand Margarethe auf den Stufen eines der großen Fenster, die bis zur Erde reichten und die Thüren eines Gartensaales bildeten. Grüßend streckte sie die Hand nach ihm aus, dann sprang sie leicht herab und näherte sich ihm.
»Margarethe!« rief der junge Edelmann, entzückt über dies plötzliche Erscheinen, und allen Zwang vergessend, küßte er die Fingerspitzen des schönen Mädchens und hielt sie fest, indem er mit Feuer und Zärtlichkeit zu ihr sprach.
»Ich bin in dies verzauberte Haus gedrungen,« sagte er, »und jeder Schritt vermehrte meine Sehnsucht, die reizende Besitzerin zu finden. Wie schön ist es hier, Margarethe, wie gern möchte man immer hier wohnen, wie sehr begreife ich Ihr Verlangen, ungestört und allein darin zu sein!«
– »Nicht allein,« erwiederte sie. »Ohne Lebensgenuß und heitern Wechsel der Beschäftigungen, die uns Freude gewähren, würde der Himmel selbst eintönig und langweilig sein. Meine Thore öffnen sich allen treuen Freunden, mein Herz allen guten Menschen, die mich lieben und denen ich ihre Zuneigung vergelten kann.«
»Und ich darf hoffen,« sagte Herfurt, »Fräulein Margarethe zählt mich zu beiden.«
– »Würden Sie sonst hier sein?« erwiederte sie lächelnd. »Ja, ich glaube daran, obgleich ich, Gott verzeih's mir! gegen alle Regeln des Schwesternhauses zu Herrnhut, dem jungen Cavalier einen Brief schreiben und um seinen Besuch bitten mußte.«
»O! wenn Sie wüßten, theure Margarethe,« rief der Graf, welche traurige Tage ich verlebte.«
– »Weil Sie die Sünden der Welt an sich tragen,« versetzte sie, »weil Sie nicht glauben und nicht hoffen. Ach, so sind die eitlen, unbeständigen Männer, die der böse Feind ihrer selbst sind, wild und unbändig in allen Dingen. – Sehen Sie hier dies Schloß. Da hat ein Mann gelebt und mich geliebt, den ich wie einen Heiligen verehre. Dieser Mann war mein Vater. Der hat ein Leben geführt, wie wenige Sterbliche. Er hat auch schwere Zeiten gesehen, harte Prüfungen erfahren, aber sein edles Gemüth ward immer reiner und besser davon. Die Welt hat ihn einen Sonderling genannt, weil er ihre Vorurtheile und Thorheiten verachtete, dafür aber haben ihn alle die gesegnet und segnen ihn noch, die ihn umgaben und Keiner war ausgeschlossen, der ihm nahe kam.«
»Es muß ein edler, trefflicher Mann gewesen sein,« rief der Graf. »Alles, was ich sehe, beweist das.«
– »Er lebte unter Blumen, unter Kunstwerken, unter Büchern; er schätzte die Männer von Geist und liebte die einfachen Menschen, die nichts hatten als ein treues Herz. Da machte er keinen Unterschied zwischen arm und reich, zwischen vornehm und gering. Er war ein Stück Herrnhuter, ein Freund seines Freundes Zinzendorf, nur nicht so überspannt, denn er kannte die Welt, wie sie ist.«
»Aber die Herrnhutische Annahme der Gleichheit aller Menschen,« sagte Herfurt lächelnd, »scheint sich noch jetzt im Schlosse überall erhalten zu haben.«
– »Ach, ich verstehe,« fiel Margarethe fröhlich ein. »Weil mich die alten Diener meines Vaters, die mich auf ihren Armen trugen und groß werden sahen, Gretchen nennen und wenig Respect vor einem Hochgeborenen haben, das fiel Ihnen auf; aber nein, Herr Graf, die wahre Achtung der Menschen beruht nicht auf den äußerlichen Ehren und Reverenzen, die sitzt tief innen im Herzen und fragt nicht nach Titel und Gnädigkeit. Alles übrige ist Schein und unnatürlich angekünstelt. Erinnern Sie sich, daß der beste Freund meines Vaters ein alter Kaufmann war, daß dieser mein Vormund ist, den ich liebe und ehre, und daß meines Erachtens es nur einen Unterscheidungsgrad zwischen den Menschen giebt: die Bildung, das Talent, die Aristokratie des Geistes und des Herzens. Wer roh und gemein ist, und wäre er ein Fürst, der gehört nicht zu mir; dem Edlen und Guten reiche ich die Hand, als einem Gleichen.« –
Ihre Augen blitzten stolz, als sie dies sagte. Herfurt blieb stumm, er hätte zürnen können und Manches erwiedern, aber im Geheimen fühlte er Etwas in sich, was ihren kühnen Worten entsprach, so ungewohnt und seltsam diese auch seinen Ohren klangen.
»Ich will Ihnen das Schloß zeigen,« sagte Margarethe, »Sie werden Freude haben an den reichen Sammlungen meines Vaters.«
Sie gab ihm die Hand und sah ihn so versöhnt und freudig an, daß er entzückt ihr folgte und im Stillen dachte:
»Überspannt ist sie zwar auch, aber welch ein edler, reiner Geist spricht aus ihr! Laßt sie nur mein sein und wir werden uns verständigen. Manches werde ich nicht dulden können, dafür wird sie an mir mildern, was ihr mißfällt, so kommt die Versöhnung des Widerstreitenden in Liebe.« –
Wandernd gingen sie von Saal zu Saal, von Zimmer zu Zimmer. Alle Thüren waren offen und ließen willig den Gast ein, der erstaunt das Sehenswerthe betrachtete. Einer schönen Sammlung von Gemälden, Sculpturen und geschnittenen Steinen folgten andere von Naturalien, Pflanzen und physikalischen Instrumenten; an diese schloß sich eine Waffensammlung, welche dem Grafen besonders Vergnügen gewährte, und endlich eine Bibliothek, die in dem Beschauer ein aufrichtiges Gefühl schmerzlichen Bedauerns erregte, daß er nicht mehr gelernt habe in seiner Jugendzeit, um diese Schätze gehörig zu würdigen und Margarethen, die das Wissen so sehr liebte, durch seine Kenntnisse zu erfreuen.
»Ich sehe,« sagte er, gezwungen lächelnd, »daß dort auf dem Tisch mehre aufgeschlagene Bücher liegen. Die Bibliothek wird also noch benutzt?«
– »Wie sollte sie nicht?« rief das Fräulein. »Ich selbst bringe täglich mehre Stunden hier zu. Ich treibe Sprachen und Wissenschaften, auch habe ich einen tüchtigen Bibliothekar, Sie werden ihn kennen lernen – doch hier halt! ehe wir zurückkehren, werfen Sie einen Blick in diese Zimmer, die der Beste der Menschen, mein Vater, einst bewohnt hat.«
Ihre Stimme zitterte in tiefer Empfindung, leise öffnete sie eine Thür und trat hinein. Herfurt folgte ihr in einige einfach ausgestattete Gemächer, die durch schwere Vorhänge vor dem Eindringen des Lichtes bewahrt waren. Margarethe schlug diese zurück und plötzlich standen sie im funkelnden Sonnenschein.
»Hier ist mir alles heilig,« sagte sie bewegt, »es ist hier nichts, was seine liebe Hand nicht berührt hätte; wohin ich mich auch wende, ich finde ihn immer und immer wieder. –
Plötzlich führte sie ihren Gast vor ein großes Bild, das über dem Schreibtisch hing und sagte:
»Das ist er und wohl getroffen. Ein großer, trefflicher Meister hat ihn gemalt; er wußte den Geist zu erhalten, der einst diese edlen Züge belebte.«
»Es sind Ihre eigenen Züge, Margarethe,« sagte der Graf, »so liebevoll gütig, so voll des höchsten Adels. Ich wollte, er könnte aus seinem dunkeln Rahmen steigen, er könnte mir beistehen, gut zu werden, wie er es war, um Ihre ganze Achtung und Liebe zu erwerben.«
– »Lieben Sie mich denn wirklich so ganz von Herzen?« fragte sie und hielt seine Hand fest, indem sie ihn lächelnd innig ansah und dann das Bild, das sein großes klares Auge auf sie zu richten schien.
»Ich liebe, ich bete Sie an, Margarethe,« rief Herfurt, »ja ich schwöre!«
–n »Schwören Sie nicht,« sagte sie, »ich fürchte, es kann nicht sein.«
»So hassen Sie mich, so verwerfen Sie mich?« stammelte der Graf.
– »Nein, nicht das,« sagte sie gütig und reichte ihm beide Hände von Neuem, »aber wer mich liebt, muß frei sein und ein Mann. Hab' ich Recht, mein Vater?« fuhr sie in schöner Begeisterung fort und nickte dem Bilde zu, »wer mich liebt, muß ein Herz haben, edel und groß wie das Deine; wer mich liebt, muß erhaben denken und handeln können. Ich weiß, was ich thue, hat Deinen Beifall, Du hättest es auch so gemacht, und was ich opfern muß, ich werde es vollenden. Lassen Sie uns gehen, mein theurer Freund,« sprach sie dann milder, »wir wollen uns beide bedenken, und noch ehe es Abend wird, werde ich wieder fragen, ob Ihre Liebe mich begehrt.«
»Nein, lösen Sie diese Räthsel auf der Stelle,« rief Herfurt leidenschaftlich; »Margarethe, treiben Sie kein Spiel mit mir!«
Sie führte ihn in die Bibliothek zurück, ohne etwas zu erwiedern; Herfurt folgte düster, er kämpfte mit seiner schwer verletzten Eigenliebe, seine reizbare Sinnesart füllte sein Herz mit fieberheißem Blut. –
In dem Gartensaale ließ ihn Margarethe allein. Sie hatte plötzlich zu ihm von gleichgültigen Dingen gesprochen, von der Schönheit der Umgegend, von der Jagd, von ihren Blumen und Neigungen, er hatte es kaum gehört.
»Ich lasse Sie hier zurück,« sagte sie endlich, »weil Sie verdrießlich sind. Das ist nicht recht von Ihnen. Wenn ich wiederkomme, verlange ich, daß Sie gut und freundlich sind. Ich gehe, mein Haus zu bestellen für den lieben Gast.«
Der, junge Edelmann blieb in der heftigsten Aufregung zurück. Margarethens Ruhe und Gleichgültigkeit, ihr unbefangenes Sprechen, ihre unbekümmerte Fröhlichkeit brachten ihn zum Äußersten.
»Hätte ich diesen Boden nie betreten!« murmelte er. »Sie liebt mich nicht, sie hat kein Herz, keine Empfindung. Was kann sie von mir verlangen? Was soll das heißen? Oder welch Geheimniß liegt hier verborgen?« –
Unentschlossen ging er auf und nieder. –
»Soll ich mich etwa wie einen Schulknaben prüfen lassen,« rief er endlich ingrimmig, »um mit Spott und Hohn nach Hause geschickt zu werden? Ich habe ihr meine heiße Liebe gestanden und sie – o! ich Thor, was hoffe ich noch. Fort! Zurück!«
Er faßte den Drücker der Thür und ließ ihn seufzend wieder los.
»Ich kann nicht,« sagte er, »ich will nicht. Was machte denn ihr Auge leuchtend, ihren Blick so zärtlich, wenn es nicht die Liebe war? Wie edel, schön und erhaben stand sie vor dem Bilde ihres Vaters, o! Margarethe, ich fürchte die Prüfung nicht. Alles, Alles für Dich!«
Bei dem Geräusch einer Thür wendete er sich mit heiterem Gesicht um.
»Da haben Sie mich, vertrauensvoll, gut und sanft, wie ich sein soll,« rief er, aber in demselben Augenblicke ließ er die Arme sinken, die Heiterkeit verschwand aus seinen Zügen, welche plötzlich bis zur Wuth erhitzt und düster wurden, denn statt Margarethen stand der fremde, junge Mensch im grünen Kleid, mit dunklen Locken, einen Strauß von Blumen in der Hand, vor ihm.
Beide betrachteten sich einige Minuten schweigend, dann sagte der Graf:
»Es ist keine Täuschung, ich kenne Sie; wie kommen Sie an diesen Ort? Wer sind Sie?«
Und plötzlich schlug er mit wilder Heftigkeit die Hand an seine Stirn und schrie:
»Wenn es möglich wäre, furchtbares Schicksal! Wer war die Dame, die in jener Nacht bei unserm Streit gegenwärtig war? Gestehen Sie, Hölle und Teufel! Geben Sie Antwort oder Sie sterben von meiner Hand.«
– »Ich habe kein Recht, Ihnen darauf zu antworten,« erwiederte der Andere. »Mäßigen Sie Ihre Leidenschaft, Herr Graf von Herfurt, und wenn Sie vermögen, mich ruhig anzuhören –«
»Erst das Eine,« unterbrach ihn Herfurt. – »Sie haben gelobt, mir Ihren Namen zu nennen, Aufklärung zu geben, wenn wir uns wieder treffen. Ich habe Sie lange vergebens gesucht, es hat Ihnen jedoch beliebt, sich nicht finden zu lassen.«
– »Und nun?« sagte der junge Mann, als Herfurt dicht an ihn trat.
»Nun werde ich Sie nicht loslassen, bis ich weiß, wer Sie sind, bis ich,« fügte er mit dem Ausdruck des Hasses hinzu, »meine Rechnung ausgeglichen habe.«
– »Es thut mir leid,« erwiederte der Fremde, »mein Geständniß mit der Erklärung beginnen zu müssen, daß der Zufall der Geburt mir kein Adelsdiplom ertheilte.«
»So haben Sie mich betrogen!« rief der Graf.
Eine dunkle Röthe überdeckte das blasse Gesicht des jungen Mannes. Mit gewaltsamer Anstrengung kämpfte er den Zorn nieder.
»Fragen Sie sich,« sagte er, »ob ich nicht mittelst dieser Täuschung allein Sie und Ihre Gefährten von einer schlechten und gewaltthätigen Handlung abhielt, deren Sie sich nur mit Scham erinnern würden. Ich aber,« fuhr er mit Nachdruck fort, »hätte meine Ehre, die Ehre der Dame, welche unter meinem Schutze stand, theuer verkauft, vielleicht mit meinem Leben und dem Ihren. Legen Sie den Maßstab meiner Lage an sich selbst; wie wohlthuend würde es für mich sein, wenn Sie empfänden, was ich empfinde, wenn Sie mir die Hand zur Versöhnung reichten, mir gestatteten, um Ihre Freundschaft zu werben.«
Herfurt lachte laut auf, aber es war ein zorniges, verächtliches Lachen.
»Bei meiner Ehre!« rief er, »diese Frechheit übersteigt Alles. Sie wagen es, mir Ihre Freundschaft anzubieten, während ich im Begriff bin, Sie zu züchtigen, wie Sie es verdienen! Wer sind Sie? heraus endlich mit der Sprache!«
– »Mein Name,« sagte der junge Mann stolz, »ist Elias Waldmann, ich bin Rechtsgelehrter und Sohn eines Mannes, den Sie, Herr Graf, gut kennen.«
Herfurt deckte die Hände über sein heißes Gesicht, als wollte er sich festhalten.
»So weiß ich Alles,« schrie er, »wie Schuppen fällt es von meinen Augen. Der Flötenbläser, der Freund, der Vertraute, der Bibliothekar und der Elende, dem ich Rache gelobt habe, Alles steht in einer Person vereint vor mir. Es ist ein Complot, ein niederträchtiges, bübisches Complot! Margarethe war also die schwarze Dame? Was wollte man mit mir? Was habt Ihr mit mir vor? Ihr Alle und der alte Wucherer Elias! Wie wollt Ihr mich plagen, betrügen und verspotten? Gestehe, Mensch, gestehe, oder erwarte das Äußerste.« –
Er legte Hand an ihn, der junge Waldmann riß sich los und sagte mit Heftigkeit:
»Ich habe gelobt, ruhig zu sein, aber bei Gott! die größte Langmuth hat ihre Grenze. Predige doch Niemand den Vorurtheilen Vernunft, die mit der Wiege eingesogen worden; nur eine lange Schule der Leiden kann sie vielleicht zerbröckeln. Hüten Sie sich, Herr Graf, ich warne Sie, wie ich in jener Nacht warnte, lassen Sie meinen Arm frei; hören Sie auf die bessere Stimme, die Ihnen zurufen muß, bedächtig zu sein. Margarethe!« –
– »Ha, Margarethe!« schrie Herfurt außer sich. »zu ihren Füßen will ich Dich zwingen –«
Er faßte mit äußerster Gewalt seinen Gegner, als plötzlich das Fräulein von Richtenstein in den Saal trat und zwischen die beiden Streitenden schritt.
»Was wagen Sie in meinem Hause,« rief sie. »Ist das die feine Sitte eines Edelmanns und meines Gastes? Mit welchem Rechte unterstehen Sie sich, hier wie ein Feudalherr aufzutreten und mit roher Gewaltthat meinen Freund anzufallen, gleich einem Ritter der Landstraße.« –
Ihre zornige Schönheit machte einen tiefen plötzlichen Eindruck auf den Grafen. Gebietend hob sich ihre Gestalt empor und unter den langen Loden funkelten ihre Augen mit einem Feuer, vor dem die seinen sich unsicher senkten.
– »Dieser Mensch,« sagte er, »er hat mich auf's Äußerste beleidigt, ich hasse ihn, ich suche ihn seit langer Zeit, und Sie, Margarethe, sagen Sie mir das Eine, sind Sie die Dame, welche ich an seiner Seite sah? Sie müssen es sein, bekennen Sie die Wahrheit, ich durchschaue diese Ränke.«
»Schweigen Sie, mein Herr,« rief Margarethe stolz, »Ihr Ohr ist weder gemacht, Wahrheit zu hören, noch Ihr Sinn, diese zu begreifen. – Und wenn ich jene Dame bin, von der Sie reden, wer könnte Rechenschaft von mir verlangen? Wer müßte reuevoll den Blick zu Boden schlagen und um Verzeihung bitten für so viel Thorheit und Frevel? Wer würde nicht, wenn er von Schlacken sich gereinigt hätte, die Hände nach den Beleidigten ausstrecken und sagen: vergeßt und vergebt, ich will den alten Adam ausziehen und Eure Liebe erwerben.«
– »Mein gnädiges Fräulein,« erwiederte der Graf spöttisch, »wir leben nicht im Lande der Unschuld und führen paradiesische Scenen aus. Sparen Sie die Mühe, mich zu bekehren, sparen Sie alle Ihre edlen Grundsätze, die Jugend und Frömmigkeit des Schwesternhauses zu Herrnhut für den Burschen da, Ihren tapfern Freund und Ritter auf Reisen und Abenteuern, aber hüten Sie sich, jemals wieder mit einem Mann von Stande und Ehre so freventlich zu scherzen.«
»Von Ehre!« sagte das Fräulein, »armes gemißbrauchtes Wort! Du hast wohl Recht, Elias, er ist unfrei und so durch und durch von Leichtsinn, Thorheit und Verderbniß durchdrungen, daß Gott strafend vom Himmel steigen muß, wenn der bessere Kern gerettet werden soll.«
Einen Augenblick stand Herfurt verstummt und fast erstaunt von diesen halb strafend, halb klagend ausgestoßenen Worten.
»Ich bin unter Ihrem Dache,« sagte er dann erglühend, »ich bin bei aller Verderbniß ritterlich genug, in Ihnen die Dame zu achten. Mag es Ihnen wohlgehen, Margarethe, mögen Sie leichtsinnig, treulos, gewissenlos, wie Sie sind, nicht an Glück leiden, mag die Liebe, die mich beschlich, die ich hier ausreiße und verfluche, die Sie verspottet und verhöhnt haben, Ihnen nie eine kummervolle Stunde machen. Bleiben Sie bei der Gemeinheit, bei den Wucherern und Krämern, mit denen Sie sich verbunden, zu deren unadelichem Sinn Sie getrieben, und warten Sie dort den Tag ab, wo Gott, vom Himmel gestiegen, die bekehrten Sünder zu Ihnen führt.«
»Amen!« sagte Margarethe. »So sei es, Graf Herfurt, ich werde warten.«
Sie blickten sich beide an; plötzlich verbeugte sich Herfurt und eilte hinaus. Am Rande des Plateaus stand er still, die Thür war noch geöffnet; Margarethe stand dort, ihre beiden Arme um den jungen Elias geschlungen, den Kopf an seine Schulter gelehnt. Ein wüthender Schmerz drang durch seine Brust, fast besinnungslos lief er den Weg hinab.
Auf der Mitte des Weges zur Heimath hielt er sein Pferd an und erwartete den Diener, der, klüger als sein Herr, die halsbrechenden Pfade mit der nöthigen Vorsicht zurücklegte. Herfurt hatte Zeit, ein Blatt aus seiner Brieftafel zu nehmen, es zu beschreiben und zusammenzufalten, ehe der Mann ihn erreichte.
»Du wirst den Weg allein fortsetzen,« sagte er, »und diesen Brief meiner Schwester einhändigen.«
Der Reitknecht sah ihn erstaunt und fragend an.
»Ich,« fuhr der Graf fort, »habe noch ein Geschäft in der Nähe abzumachen. – Ist dies nicht die Straße nach der Stadt N.?«.
– »Ja, mein gnädiger Herr, sie führt gerade dahin.«
»Und der alte Elias Waldmann wohnt dort?«
– »Am Markte steht sein großes Haus. Jedes Kind kennt es.«
»Gut, so reite. Doch halt, noch Eins, wir kehren nach der Hauptstadt zurück. Meine Diener sollen gut packen, nichts vergessen. Mein Wagen soll nach H. fahren, entweder ich bin dort, oder sie erhalten Nachricht von mir. Meine Mutter und Schwester werden das weiter Nöthige befehlen. Jetzt fort!«
Beide trennten sich. Der alte Mann sah dem jungen Herrn kopfschüttelnd nach, der sein Pferd gewaltig antrieb; dann starrte er auf den Zettel, von dem er nichts verstand, und endlich steckte er ihn ein und sagte:
»Das arme Thier jagt er zu Schanden, das muß es nun entgelten, so sind die reichen Leute. Es muß etwas Großes los sein, viel Gutes aber nicht, er sieht aus, wie Einer, der ein böses Gewissen hat und der böse Feind ist hinter ihm. Meiner Seele, da ist er schon über den Berg.«
Berg auf, Berg ab ritt der junge Herr im vollen Lauf. Die Leute standen still und sahen ihm nach, sie grüßten, er dankte nicht, er sah sie kaum; zwei Stunden später war er in der Stadt und das edle Roß trug ihn schwankend, athemlos, mit Schaum ganz bedeckt vor das stattliche Haus des Elias Waldmann.
Der alte Herr mußte den Reiter gesehen haben, denn an der Thür kam er ihm entgegen, gerade so in dem grauen, langen Rock, den kleinen Hut auf das rothe Gesicht gestülpt und sein großes Rechnungsbuch unter dem Arm, wie er es immer that. Seine hellfunkelnden Augen musterten die verstörten Mienen des Grafen, dann öffnete er ein Zimmer und lud ihn ein, näher zu treten. Herfurt that es ohne eine Erwiederung. Er warf Hut und Peitsche auf den Tisch und sich in einen Stuhl daneben, indem er mit einer heftigen Bewegung die Arme kreuzte und einige leise Worte murmelte, die wie ein Fluch klangen.
»Aha!« rief der alte Elias, »ich merke, wie es steht. Haben Sie von den Neuigkeiten schon gehört aus der Hauptstadt, die freilich für die Ohren eines Bräutigams oder verliebten Menschen schlecht lauten? Aber wer wird ein Narr sein und sich todt schießen lassen, wenn das Leben seinen Rosengarten eben öffnet. Nehmen Sie den Abschied, Herr, es giebt Kanonenfutter genug und mancher wird in den Sand beißen, der jetzt von seinen Heldenthaten träumt.«
– »Was soll das heißen?« fragte Herfurt.
»Nun, was soll es heißen?« sagte der Kaufmann, »es giebt Krieg! Ein Glück für alle böse Schuldner und leichtsinnige, junge Leute, ein Unglück für den Mann des Friedens, und ruhigen, rechtlichen Bürger.«
– »Krieg?« rief Herfurt und stand auf.
»Ja, Krieg!« schrie der alte Mann, »thun Sie doch halt so, als hätten Sie das große Loos gewonnen.«
– »Krieg gegen die Franzosen?
»Und gegen den Napoleon, es ist entschieden,« fuhr Elias fort. »Der Befehl zum Aufbruch ist gegeben und manche Menschen sind toll geworden davon. – In Berlin, in der Behrenstraße, haben die jungen Herren vor dem Hause des französischen Gesandten ihre Schwerter schleifen lassen, so recht zum Spott, und ein Mann aus Paris, ein kleiner Herr mit dem Gesicht und schwarzem Haar hat dazu am Fenster gestanden und lachend herunter genickt, es soll der Bonaparte selbst gewesen sein.«
– »Thorheit!« rief der Graf, »aber Gott sei Dank! endlich sind wir so weit. Es wird eine Jagd werden, eine wilde Jagd über den Rhein nach Frankreich bis ins Herz der Nichtswürdigkeit.«
»Glück zu! Glück zu!« schrie der Kaufmann und schwenkte spöttisch seinen Hut, »aber von Ihnen, mein Herr Graf, hätte ich andere Sprache erwartet. Sie stecken in Schulden bis über die Ohren, den meisten Ihrer wilden Genossen geht es freilich nicht besser, aber Sie haben Aussichten, Alles zu tilgen und zu erhalten, was Sie besitzen. Margarethe –«
– »Kein Wort von Margarethe!« rief Herfurt. »Wäre sie eines Kaisers Tochter und ihr Erbe ein Thron, ich möchte sie nicht. Ich könnte Rechenschaft fordern, auch von Ihnen, Herr Waldmann, denn Ihr Sohn –«
Er drehte sich um, ging heftig das Zimmer auf und ab und sagte dann:
»Ich habe kein Recht, Ihnen Aufschlüsse zu geben, noch will ich diese verlangen, mag Ihr Sprößling glücklich werden, nur hüte er sich jemals wieder in meine Nähe zu kommen. Ich habe nur eine Frage an Sie zu thun. Sie haben mir Credit angeboten, ich brauche Geld, ich gehe nach der Hauptstadt, Ihre Nachrichten machen dies sogar nöthig, wollen Sie mir noch Hülfe leisten? Ich verlange tausend Louisd'or.«
»Um's zu verspielen, zu verprassen und ein Bettler zu sein,« rief Elias. »Nehmen Sie Vernunft an, werther Herr Graf,« sagte er zutraulich und faßte die Hand seines Gastes, »gehen Sie nicht leichtsinnig in die Welt, kehren Sie um, Sie wissen nicht, was Sie aufgeben, ich sage Ihnen, Margarethe liebt Sie.«
– »Und somit könnte ich die Ehre haben, der Nachfolger Ihres Sohnes zu sein.«
»Bah!« rief Elias, »Sie wissen nicht, was ich weiß.«
– »Und Sie nicht, was ich erlebte und erfuhr.«
»Mein Sohn,« sagte der alte Kaufmann, »würde mit Freuden alle Ihre Besorgnisse beruhigen. ist brav und stolz, er hat eine Gesinnung wie ein Fürst, und er ist reich, Herr Graf, reicher wie zwanzig Grafen und Barone im Lande. Er würde sich glücklich schätzen, der närrische Junge, wenn er Ihr Freund sein und Alles mit Ihnen theilen könnte.«
Herfurt fuhr zurück, wie von einer Schlange gebissen.
»Theilen?« rief er, »ich habe nichts mit ihm zu theilen; mein Freund sein?! Welcher Dämon plagt denn Alle, mir das zu versichern. Ich hasse ihn auf's Tiefste, mehr wie irgend einen Menschen. Wäre er meines Standes, brächte es Ehre, Schwert oder Pistol zu ergreifen, er sollte nicht lange mehr unter den Lebenden sein.«
»Nun,« sagte Elias ruhig, »da danke ich Ihnen aufrichtig, daß Sie es nicht der Mühe werth finden, ihn zu ermorden, obwohl ich glaube, er versteht es, sich seiner Haut zu wehren. Sie aber wollen nicht vernünftig sein, so gehen Sie denn hin in Ihrem Leichtsinn, wir wollen keine Worte mehr machen. Die tausend Louisd'or,« fuhr er dann fort, »wird der Vater des jungen Mannes geben, den Sie so bitter hassen und verachten, das soll seine Rache sein. Setzen Sie sich, schreiben Sie einen Schuldschein, das Geld soll zu Ihren Diensten stehen.«
»Ich will ihnen,« sagte der Graf, »meine sämmtlichen Güter verpfänden und ein gerichtliches Instrument aufsetzen.«
»Das ist unnöthig,« erwiederte der alte Mann. »Kommt der Krieg, so ist, was hypothekarisch darauf steht, mehr als hinreichend, Alles in meine Hände zu bringen. Das übrige ist verloren, so oder so. Bleibt Friede, so ordnen sich unsere Angelegenheiten wohl noch in anderer Weise. – Sie sind ein untergegangener Mann, Ihr Ruin steht so fest, daß nichts mehr daran zu ändern ist; das einzige Mittel, das sich Ihnen bot, haben Sie selbst zerstört. Ihre Mutter aber und Schwester sollen nicht darunter leiden, wenn ich es ändern kann. Ich und mein Sohn, wir werden handeln, wie es recht ist.«
Er ging hinaus und der Graf warf sich in heftiger Aufregung in den Stuhl. Er war in der Gewalt des Alten, er mußte Geld haben, er mußte fort. – Er fühlte sich tief gedemüthigt, beschämt, beleidigt, vernichtet; er wünschte sich den Tod und verfluchte mit dem Hochmuth der blinden Leidenschaft nicht sich, sondern die gemeinen Menschen, die ihn in diese Lage gebracht hatten.
Endlich kam Elias mit dem Wechsel auf eines der ersten Bankierhäuser der Hauptstadt, und Herfurt stellte die Quittung aus. Der Boden brannte unter seinen Füßen; Elias war höflich kalt und hinderte ihn nicht, einen eiligen Abschied zu nehmen.
Aus dem Gasthause sandte er einen Boten mit Nachricht auf die Poststation, wo ihn sein Wagen erwarten sollte, und mit Briefen an seine Mutter und Schwester, in welchen er Abschied nahm und die Kriegsgerüchte als Vorwand und Deckmantel der Eile benutzte. Dann nahm er Extrapost und fuhr nach der sechs Meilen entfernten Hauptstadt der Provinz, und hier trafen ihn seine Diener, von denen er nicht allein Schreiben seiner Verwandten, sondern auch die Ordre seines Regimentschefs empfing, sogleich sich zum Dienst einzufinden. Mit freudigen Blicken las er den Befehl. Jetzt hatte er eine völlige Rechtfertigung seiner plötzlichen Abreise, und mit größter Eile fuhr er der Hauptstadt zu.
Nach wenigen Monaten begann der Krieg, welcher in unserer Geschichte so merkwürdig der Grenzstein einer neuen Zeit geworden ist. Das schöne goldblitzende Regiment der Leibwache zog von Siegeshoffnungen trunken ins Feld, die riesenhaften Jünglinge auf riesigen Rossen, alle voll Muth und Kraft und stolzer Zuversicht, den Ruhm eines Jahrhunderts in den edlen Standarten, die auf so vielen Schlachtfeldern geheiligt waren. –
Da war nichts als Lust und Übermuth. Erinnerungen an die tollen Abenteuer der letzten Zeit, an Feste und Bälle und Schlittenfahrten im Sommer zur Verspottung der Sitten und Satzungen der Philister; da wurde gespielt, getanzt, gezecht, wie und wo es irgend anging; die reichgefüllten Seckel leerten und füllten sich, und der Lebensbecher schäumte am vollsten bei denen, wo er bald sich auf immer leeren sollte. –
Nur Graf Herfurt war ein Anderer geworden, ein Narr von Ahnungen, ein Träumer, der seine Sünden abbüßte, ehe sein letztes Stündlein schlug, wie seine Gefährten behaupteten. Seine Freunde kannten ihn nicht mehr, er, sonst der Tollste der Tollen, der Bravste der Braven, wo es galt einen Streich zu spielen, der Aufsehen und Bewunderung der wilden Jugend erregte, er, der vor Kurzem noch mit seinem Pferde steile Treppen hinaufgeritten war, einem Bürgermädchen zu gefallen, die ihm einen Kuß dafür versprochen, er hing jetzt stumm und still im Sattel, ohne Theilnahme, verschmähte alle Gelage, allen Wein, alle Lust und ließ den bittersten Spott über sich ergehen, ohne ein Wort zu erwiedern. Man betrachtete ihn endlich als einen Kranken und er hatte Zeit einsam zu sein und seinen Schmerz zu nähren.
Von seiner Mutter und Schwester erhielt er mehrmals Briefe voll Liebe und Sorge, aber in keinem stand etwas von Margarethen, dagegen aber war viel Lob über Elias Waldmann darin, der unter Beistand des Rentmeisters die Geschäfte geordnet und in seiner praktischen Klugheit viele vortheilhafte Einrichtungen getroffen hatte. –
Endlich kam der entscheidende Tag, an dem so viele Hoffnungen begraben wurden. Der Kampf war kurz aber blutig und Graf Herfurt hatte wenigstens nicht das Mißgeschick zu den Gefangenen zu gehören, die demüthig an demselben Ort zu Fuß, beschmutzt und gesenkten Hauptes eingebracht wurden, wo sie so oft in stolzer Pracht auf ihren wilden Rossen der Schrecken der Bürger gewesen waren, die sie jetzt ungescheut verhöhnten. Graf Friedrich lag auf dem Schlachtfelde, den blutigen Säbel in der Faust, mit Wunden bedeckt, bis er von Marodeuren unbarmherzig ausgeschält, sammt Andern in ein Spital gebracht und endlich halb geheilt nach Frankreich abgeführt wurde, da er, wie viele tapfre Offiziere, sein Ehrenwort nicht geben wollte, in diesem Kriege nicht weiter zu dienen.
Bis zum Frühlinge des Jahres 1808 war er mit einem kleinen Trupp von Leidensgefährten auf einer der Inseln zwischen der Loire und Garonne gefangen. Einige Male hatte er Briefe zu befördern gesucht, aber sie waren ohne Antwort geblieben, und als die Stunde der Befreiung für ihn schlug, war er völlig mittellos, den weiten Weg zur Heimath anzutreten. Noth und Entbehrungen aller Art waren seit langer Zeit seine täglichen Gäste gewesen, das Wenige, was die französische Regierung unregelmäßig und unterbrochen ihren Gefangenen reichen ließ, reichte nicht hin, das Nothwendigste zu beschaffen, und ohne die Mildthätigkeit guter Menschen wären die meisten immer in Gefahr des Verhungerns gewesen.
So wurde der Stolz des deutschen Edelmannes in fortgesetzten Stößen bitterer Wirklichkeit des Lebens gebrochen, aber er krankte an der Seele, wie am Körper, und lag fieberheiß auf seinem ärmlichen Lager, als eines Tages ein großer Offizier hereintrat, der sich als Militair-Commissair des Distrikts vorstellte, unter dem lebhaftesten Bedauern über seine Lage ihm die Freiheit ankündigte und ihn mit allen Verhältnissen des geschlossenen Friedens und der wiederkehrenden Ruhe bekannt machte. –
Die Röthe der Hoffnung glänzte auf dem Gesicht des Kranken, dann starrte er düster vor sich hin, überdachte seine Hülflosigkeit und ließ den Kopf sinken.
»Ich bedauere aufrichtig,« sagte der Offizier, »daß ich nicht gewußt habe, daß Sie, mein Herr, der Graf von Herfurt sind, der sich hier befand. Ihr Name war in den Listen entstellt, Ihr Stand war nicht einmal angegeben. Seit fast einem Jahre gingen Aufforderungen nach Ihrem Aufenthalt umher; der Krieg hat bewirkt, daß man nicht genau nachforschte; nach Abschluß des Friedens aber sind diese Forschungen wiederholt worden. Es sind Briefe und Geld für Sie vorhanden.«
– »Wo?« rief der Gefangene mit freudeblitzenden Augen.
»Auf meinen Bericht sind mir dieselben von Paris zugeschickt worden,« sagte der Commissair. »Hier sind sie«
Er zog ein Päckchen aus der Tasche, Herfurt riß es ihm aus der Hand; Briefe fielen heraus, die Aufschrift trug Lydias Züge; er stieß einen Schrei der Freude aus und durchflog zitternd den Inhalt. Nach tausend Mühen und Ängsten hatten sie gehört, daß er lebe, und durch Verwendung und Vermittelung eine Nachforschung in Frankreich betrieben. – Sie waren gesund und voll Hoffnung, sie erwarteten eine Antwort, die ihre letzten Besorgnisse, die Besorgnisse einer Mutter, deren Thränen um den einzigen geliebten Sohn das Papier vergelbt und die schwankenden Buchstaben ausgelöscht hatte, zerstreuen sollte. –
In dem Brief lag eine Anweisung von beträchtlichen Werth. Er sah nach dem Datum der Briefe und seine Freude sank; sie waren vor neun Monaten geschrieben.
»Wann kann ich fort?« rief er mit der Angst eines oft Getäuschten, »und dieser Wechsel, wo finde ich die Aussicht, ihn in Geld zu verwandeln?«
Der Commissair beruhigte ihn über beides.
»Sie sind von diesem Augenblick an frei,« sagte er, »Sie sowohl, wie alle Ihre Gefährten; der Wechsel aber ist so gut, daß ich selbst Ihnen in Nantes das Geld dafür einhändigen werde.«
In wenigen Stunden waren sie auf dem Wege und in einigen Tagen darauf befand sich der Graf mit Pässen und allen Mitteln reichlich versehen auf der Reise nach Deutschland. So eilig er konnte und ohne allen Aufenthalt, suchte er sich seiner Heimath zu nähern. Er vermied die Hauptstadt, vermied es, alle Bekannte und Freunde aufzusuchen, und er war hinlänglich fremd geworden; Vieles hatte sich anders gestaltet, Niemand fragte, Niemand kannte ihn.
Das Land war noch immer von fremden Soldaten besetzt, die Stimmung düster und niedergeschlagen, und doch regte sich überall ein anderer Geist. Die alten Satzungen waren eingerissen und umgestürzt, er las mit Erstaunen die Reihen von neuen Gesetzen und Verordnungen, welche die Vorrechte des Adels, die Vorzüge der Geburt aufhoben, den Bürger selbstständig, den Bauer frei machten. Er hörte den Spott über die untergegangene Zeit ruhig an, es kam ihm selbst vor, als müßte es so sein; er hatte Erfahrungen gemacht unter dem fremden Volke, das er einst so bitter haßte, er haßte es noch, aber nur als Eroberer und Unterdrücker.
So erreichte er endlich die grünen Thäler, in deren Schooß seine Besitzungen lagen, und mit unruhig pochendem Herzen sah er am abendlichen Himmel die Zinnen und Firsten des Schlosses in der Ferne unter den Bäumen hervorragen. Die blaue Kette der Berge im Osten war von der sinkenden Sonne überglüht, in diesen Bergen wohnte Margarethe einst, wo war sie jetzt? Seine Mutter, seine Schwester, lebten die? Er hatte es nicht gewagt, darnach zu fragen. So oft er auch den Mund dazu öffnete, immer drängte sich gewaltsam das Wort zurück.
Die letzten zwei Meilen machte er den Weg zu Fuß, und scheu wich er den Landleuten aus, die ihm begegneten. Er fürchtete fast, daß man ihn erkennen, daß irgend eine schreckliche Nachricht ihn von der Schwelle des Vaterhauses zurückscheuchen könnte, und es drängte ihn selbst zu sehen, selbst zu hören, plötzlich als ein Auferstandener einzutreten und sein Urtheil zu empfangen.
Langsam mit schweren zögernden Schritten ging er endlich durch die wohlbekannten Wege des Parks. Mit wilder Heftigkeit schlug sein Herz, er hielt sich an den alten Bäumen fest und sah zitternd an der Terrasse empor, wo er Stimmen hörte und Gestalten sah, welche halb verborgen hinter einem chinesischen Schirm nicht leicht erkannt werden konnten. Prüfend und leise schritt er näher bis unter den letzten schützenden Stamm. Die Stimmen der Sprechenden schallten verworren herüber, er konnte nichts deutlich verstehen, vorsichtig ging er die Stufen hinauf, und plötzlich trat er in das Schirmzelt und prallte zurück, denn an dem Theetisch saßen Margarethe und der junge Elias Waldmann.
»Graf Friedrich!« rief Margarethe und sprang von ihrem Sitze. Sie streckte ihm die Hände entgegen und ließ sie sinken, als sie in sein düstres Gesicht sah.
– »Wo ist meine Mutter?« rief der Graf.
Margarethe deutete mit dem Finger stumm auf den Boden.
– »Todt!« rief Herfurt erschüttert.
»Vor drei Monaten haben wir sie begraben,« sagte der junge Waldmann; »auch mein Vater ist heimgegangen.«
– »Und Lydia?«
»Meine theure Lydia ist hier und wohl,« erwiederte Margarethe. »Es hat sich Vieles verändert, Graf Friedrich.«
Eine lange Pause folgte.
»Vieles hat sich geändert,« murmelte der Graf, »so scheint es, vor Allem aber wünschte ich zu wissen, ob ich hier in meinem Hause bin, oder ob –«
»Ob es mir gehört, fiel Elias ein. »Es kommt darauf an, was Margarethe sagt.«
– »Herr Waldmann,« sagte Herfurt stolz, »ich vermuthe fast, daß Sie und Ihre Gemahlin die Besitzer meines Eigenthums geworden sind.«
»Sie haben Recht, versetzte Elias, »so ist es.«
– »Allein wir werden sehen, ob meine Ansprüche erlöschen konnten,« fuhr der Graf gereizt fort. »Der Todte ist lebendig geworden, es ist kein Glück für Sie, er wird Rechenschaft fordern.«
»Sie sind im Irrthum,« sagte der junge Mann mit Wärme, »nichts kann mich mehr beglücken, als Ihr Leben. Sie sind noch immer der rechtmäßige Besitzer dieser Güter, ich habe sie nur verwaltet. Ich habe versucht, der trauernden Mutter den Sohn zu ersetzen und Lydia, Margarethe –«
– »Wenn ich also in der That noch Herr hier bin,« rief der Graf, »so möchte ich Sie bitten –«
Er hielt inne und blickte verstummend auf Margarethe, die lächelnd sagte:
»Wenn er Herr hier ist, so will er uns zuerst befehlen, ihm Raum zu geben; o! der Undankbare. Was hast Du für ihn gethan, Elias, und doch kommt er nach so vielen bitteren Erfahrungen ohne Reue zurück. – Ohne Dich wäre sein Erbe verheert, verkauft, zerstückt; ohne Deine treue Liebe seine Schwester verlassen und allein, er selbst vielleicht kaum mehr unter den Lebendigen. Warst Du es nicht, der unermüdlich thätig nach ihm forschte, der keinen Weg scheute, um Nachricht einzuziehen, der nach der Hauptstadt eilte, Generale und Gesandte in Bewegung setzte, bis nach Paris Verbindungen aufsuchte, Belohnungen bot, Bitten und Briefe beförderte.«
– »Wenn dem so ist,« stammelte der Graf erglühend, »so bin ich Ihnen Dank schuldig, unermeßlichen, nicht zu tilgenden Dank!«
»Nichts von Dank,« rief Waldmann, »ich that, was ich that, für einen lieben Freund. – Ja, Graf Herfurt, wir müssen Freunde sein; vergebens sträubten Sie sich.«
– »Freunde!« rief Herfurt mit Bitterkeit, »mein Herr! niemals, es ist unmöglich, Sie vergessen die schwarze Dame; Sie vergessen, wie freventlich ich getäuscht ward.«
In diesem Augenblick trat Lydia aus der Thür, wo sie seit einigen Minuten gestanden hatte. Mit beiden Armen umfaßte sie Elias und sagte zitternd und mit Heftigkeit:
»Bist du auferstanden, Friedrich, um Unglück über uns zu bringen, die edelsten, besten Menschen zu kränken? Du rufst die schwarze Dame, hier ist sie, und hier ist mein lieber Elias, mein Beschützer, mein Freund, mein Gatte, ja, höre es, mein Gatte, mit dem Willen meiner armen lieben Mutter, die ihn liebte und segnete, als ihren Sohn.«
– »Dein Mann!. rief Herfurt, »Lydia! Du bist von Sinnen. Margarethe ist nicht seine Frau? und Du – die schwarze Dame, Du!« –
Er sah sie an und erbleichte. – Lydia stand im Trauerkleide vor ihm, es kam ihm vor, als erkenne er sie.
»Sieh her,« rief sie und richtete sich von Waldmann's Brust auf, indem sie das Tuch von ihrer Schulter nahm. »Sieh her, hier ist die Narbe noch, die das häßliche Thier mir biß. Noch schwebt die fürchterliche Scene vor meinen Augen, noch höre ich den Schrei, das Hohngelächter, die wilden Drohungen, ich sehe die Säbel blitzen, noch zittert mir oft das Herz, wenn ich an die namenlose Angst denke, die ich ertragen habe.«
»Um Gotteswillen!« rief Graf Friedrich, mit seinen Händen den Kopf pressend, »Du machst mich wahnsinnig, Du lügst, Du täuschest Dich und mich, es ist unmöglich, gieb Rechenschaft, gieb Aufschluß!«
»Er ist nicht schwer zu geben,« sagte Elias. »Ich war von meinem Vater nach Herrnhut gesandt, Margarethen abzuholen und zu begleiten. In der Hauptstadt der Provinz trafen wir Lydia, die dort einige Zeit bei einer Verwandten verweilte. Der Carneval in Berlin wurde auf die lockendste Weise beschrieben, und Margarethe empfand die größte Lust, ein Maskenfest zu sehen. Bitten und Überredungen bestürmten die Freundin, in deren Herzen, wie ich glauben darf, schon damals eine Neigung für mich sich zeigte. Statt nun mit Lydia in unsere heimischen Berge zu fahren, fuhren wir mit Courierpferden nach der Hauptstadt. An jenem Abende war Margarethe erkrankt, ich führte Lydia allein auf den Maskenball, aber bald war ihre Unruhe auf's Höchste gestiegen. Kein Wagen war zu bekommen, es blieb nichts übrig, als den Weg zu Fuß anzutreten. Das Weitere wissen Sie. – Am folgenden Tage reisten wir zurück; was Lydia litt, bedarf keiner Worte. Margarethe aber leistete einen Eid, uns glücklich zu machen. – Graf Friedrich, nur unter der Bedingung, daß Sie in unsere Vermählung willigten, wollte Sie Ihnen die Hand reichen. Es fügte sich anders. Der Krieg führte Sie fort, Ihre edle Mutter aber segnete unsern Bund, und seit sechs Monaten ist meine theure Lydia mein! Können Sie noch zürnen, wollen Sie noch die brüderliche Hand des Freundes zurückweisen, der sie treu und wahr Ihnen bietet?«
»O! Bruder Friedrich,« rief Lydia, »gedenke der Stunde, wo Du mir einst sagtest, ich will Alles thun, Dich glücklich zu machen.« –
– »Und Margarethe!« rief Herfurt, indem er sie bittend anblickte.
»Margarethe,« sagte diese lächelnd, »ist noch immer da und erwartet, daß Graf Friedrich frei und edel, wie ein echter Ritter um sie wirbt.« –
Am späten Abend trat der Vollmond über die hohen Waldbäume und beschien nur glückliche Menschen, die in trauten Gesprächen auf und nieder wandelten. Plötzlich tönte die Flöte wieder aus demselben Bosket, in derselben Liebesweise, die damals dem Schloßherrn so vielen Zorn und Kummer gemacht hatte. – Dies Mal war er jedoch ganz damit versöhnt. Er hielt Margarethens Hände in den seinen fest und blickte düster in ihre schönen Augen. Nach und nach aber zog er sie inniger an sich, und legte die Arme um sie, den Kopf wie ermüdet sanft an ihre Schulter, bis sich plötzlich Lippe auf Lippe fand und ohne Wort der Liebesbund geschlossen war. –
Da kamen Lydia und Elias herbei.
»Sie ist mein,« rief Herfurt, »mein! o! Lydia und Du, mein Freund, vergebt mir um meiner Schmerzen und meines Glückes willen.«
Margarethe stand lächelnd auf und sagte:
»Als Sie von mir schieden, mein Freund, was waren da Ihre letzten Worte: bei den Wucherern und Krämern solle ich bleiben und den Tag dort abwarten, wo Gott, vom Himmel gestiegen, den bekehrten Sünder zu mir führen würde.«
– »O! Margarethe,« rief der junge Mann, »wie beschämen Sie mich. Aber Gott ist gekommen, und reuig bin ich hier zu Ihren Füßen.«
»Ich sagte Amen!« fuhr das Fräulein fort, »ich sagte, ich wolle warten, und habe getreulich mein Wort gehalten.«
– »Und nun?« rief Herfurt und bedeckte sie mit seinen Küssen.
»Im Schwesternhause zu Herrnhut,« sagte Margarethe, indem sie mit anmuthiger Schalkheit ihre Augen mädchenhaft schüchtern senkte, »war es Sitte, daß, wenn je zwei sich gefunden, die getreu ihrem Wort und den Geboten die Herzen ausgetauscht, auch bald die Hände zusammengefügt wurden.«
– »Gott segne das Schwesternhaus in Herrnhut!« rief Herfurt entzückt. »Meine geliebte Margarethe, ich will nie mehr fluchen und schwören, aber mein letzter Schwur soll es sein, die Sitte des edlen Schwesternhauses genau und getreulich zu erfüllen.«