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[Sechster Theil.]

Simon.


1.

In einer der öden unregelmäßig gekrümmten Straßen, welche den östlichsten Theil der Hauptstadt ausmachen, wo lange Gartenwände mit einzeln stehenden Häusern wechseln, hier sich verengen und in Sackgassen abspringen, dort breiter werden und zwischen Schutt, Gerüllen, Nesseln und wilden Brombeerranken kleine Plätze bilden, in jenem vernachlässigten Theile der großen Residenz, wo sich Armuth und Laster, oder beides vereint, verbergen, stand seit einigen Jahren ein neu aufgeführtes Gebäude, weit stattlicher als alle seine niedrigen, verkrümmten, verwitterten Nachbarn, und dennoch sichtlich in Betreff seiner Bewohner nicht eben bedeutend vornehmer als jene.

Nur in einem Theile des ersten Stockwerks schien ein größerer Wohlstand zu herrschen. Die Fenster waren dort hell und blank, Gardinen schimmerten weiß dahinter, der eine Flügel hatte ein Gazefenster und man sah eine blaugemalte Wand, an der ein Thermometer auf schwarzem Holz hing.

In der andern Hälfte des Stockwerks aber wohnte ein Weber, dessen Stühle einen rasselnden Lärm machten, noch höher hinauf hatten Handwerksleute sich eingerichtet, die man an den Attributen leicht erkannte, welche in den geöffneten Fenstern standen. Die gelben und schwarzen Weiden, zum Trocknen ausgehängt, zeigten rechts den Korbmacher an, die Lederschäfte links gehörten dem Schuster und oben aus der Dachetage flatterte grauschwarze, zerrissene Wäsche, welche die Frauen armer Arbeiter zum Trocknen ausgehängt hatten.

Zur ebenen Erde wohnte ein Fuhrmann und vor der Thür im Sande spielten eine hübsche Zahl schmutziger, halbnackter, blondhaariger Kinder, die zu diesem gesegneten Hause gehörten. Dann und wann, wenn sie zu viel Lärm machten, wurden sie von einer alten scheltenden Frau unterbrochen, die aus dem Keller hervorkam, an dessen Thür ein Stück Holz angebunden hing, zum Zeichen, daß dies nützliche Material hier zu verkaufen sei, wie auch Grünzeug und Gemüse, welches in ein paar kleinen Kerben auf den Treppenstufen seinen Platz gefunden.

Als die alte Frau zum fünften oder sechsten Male aus der Unterwelt stieg, schien sie zorniger als je:

Scheert Euch den Augenblick fort, schrie sie und faßte nach einem Rüthchen; hat man je so ungezogene Kinder gesehen! Wer soll mir denn etwas abkaufen, wenn Ihr mir die Treppe belagert und Eure schmutzigen Finger in meine Körbe steckt? Fort hier! fort da!

Und in dem sie das sagte, führte sie einige leichte Streiche nach den lachenden, schreienden Buben, aber sie ließ den Arm sogleich sinken, als sie unter der Thür des Hauses einen kleinen, breitschultrigen Mann in gelblichem Rocke und großem Backenbart, stehen sah, der mit gespreizten Beinen, die Pfeife im Munde, sich an einen der Pfosten lehnte. Man wußte nicht recht, war es Widerwillen oder Furcht, aber die Frau ließ den Kopf fast auf die Brust fallen und war im Begriff, sich in ihre Höhle zurückzuziehen, als der Mann an der Thür seine Pfeife aus dem Munde nahm und ohne seine Stelle zu verändern mit sanfter, freundlicher Stimme sagte:

Frau Simon, kommen Sie 'mal ein bischen näher.

Die Frau schien zu schwanken, ob sie dem Rufe folgen sollte, oder nicht; sie setzte den Fuß vorwärts und zog ihn wieder zurück, plötzlich aber faßte sie ein Herz und ging gerade auf den Begehrenden los, indem sie ihr abgemagertes, von tausend Falten durchzogenes Gesicht, in welchem die Augen aus tiefen Höhlen schauten, ungewiß und verlegen auf ihn richtete.

Ich wollte nur fragen, Frau Simon, sagte der Mann, indem er von Neuem an zu rauchen fing, ich wollte nur fragen, wie es endlich mit der Miethe aussieht?

Die alte Frau zögerte mit der Antwort. Sie zupfte an ihr zerrissenes Kamisol und zuckte heftig die Schultern; indeß eine Art bittendes Lächeln ihre Lippen bewegte.

Aber Frau, fuhr der Hauswirth fort, sagt mal selbst – hier stopfte er mit dem Finger die Pfeife nach – sagt mal selbst, wie es werden soll?

Ich weiß es nicht, murmelte die Kellerfrau vor sich hin.

Ja, das ist schlimm, erwiderte der Mann, gewiß sehr schlimm ist es. Ihr dauert mich und ich denke, Ihr könnt Euch nicht über meine Geduld beschweren. Sechs Monate wohnt Ihr nun da unten, und bis jetzt habt Ihr mir drei Thaler gebracht, statt zwanzig. Es ist unerhört, es ist unmenschlich, wie Ihr verfahrt, und jedenfalls kann es doch nicht immer so bleiben, das merkt Ihr wol selbst. Nicht wahr? Wie? Das seht Ihr ein?

Du lieber Gott, sagte die Frau betrübt, wo soll ich es denn hernehmen? Es kauft mir Niemand etwas ab.

Wer soll Euch etwas abkaufen? versetzte der Mann auflachend. Seid nicht so thöricht. Ihr habt ja nichts. Es sind Narrenspossen, Frau Simon. Eure zwanzig Stückchen Holz, Eure halbverfaulten Mohrrüben da. Geht und arbeitet. Fleißig arbeiten und beten müßt Ihr, so werdet Ihr auch Miethe geben können.

Die vergilbten Zuge der alten Frau belebten sich durch einen röthlichen Schimmer. Heftig und schnell, schlug sie die Augen zu dem Manne auf, der so salbungsvoll und süß gesprochen hatte.

Wehe Denen, sagte sie, und sah ihn starr an, die uns dahin gebracht haben, wo wir sind!

Es ist freilich traurig genug, erwiderte der Hauswirth, aber warum wendet Ihr Euch nicht in Eurer Noth an eine der vielen milden Anstalten? Zeigt Euch als eine fromme, gottergebene Frau, besucht Montags und Donnerstags die Betstunde bei dem Herrn Prediger, wie ich Euch schon mehrmals gerathen, so wird der Herr Euch auch Hülfe schicken. Vor allen Dingen aber entfernt den lasterhaften Bengel von Euch, Euren Sohn, den Taugenichts, der seine Kindespflichten so schlecht erfüllt, und mit dem es nächstens ein schlechtes Ende nehmen wird.

Und wieder schlug die alte Frau die Augen zu dem Rathgeber empor und sagte mit ihrer heiseren Stimme:

Wenn sein Vater noch lebte, Herr Schröder, ja, wenn sein redlicher Vater noch lebte, dann würde Alles anders sein.

Der ist aber todt! rief der Mann heftig und richtete seine kleine, breite Gestalt von der Thür auf, indem er den Backenbart nach vorn strich. Vergeßt doch einmal die alten Geschichten, fuhr er fort und bestrebte sich, den milden Ton von vorhin zu finden. Es kommt nichts wieder, was man verloren hat. Klagen hilft nicht, Thränen auch nicht, wenn man nicht sein Herz zu Gott wendet und den rechten Weg zur Besserung sucht. Bedenkt, was ich gesagt habe, sprach er dann leiser fort, verkennt nicht meine Güte, und es wird Euch an Unterstützung nicht fehlen. Aber erst schafft den Jungen fort. Hat er keine Arbeit?

Nein, sagte die Frau.

Weil er keine haben will, rief der Wirth. Weil er zu stolz und zu faul zum Arbeiten ist.

Die Frau wendete sich um und ging fort.

Also es bleibt dabei, rief Herr Schröder ihr nach; unter der Bedingung könnt Ihr länger wohnen bleiben.

Als die verkümmerte Gestalt verschwunden war, lehnte sich Herr Schröder wieder an den Pfosten und hing seinen Gedanken nach, bei denen er sich nicht stören lassen wollte; denn er streckte die Pfeifenspitze gegen die Kinder aus und sagte in seiner sanften Weise:

Geht hier ganz fort, lernt Sprüche und Gebete und treibt Euch nicht umher, pfui! schämt Euch! Ihr kleinen schmutzigen Bestien! was eine solche Wirkung hatte, daß sie Alle still davon schlichen, dann machte er die Augen halb zu, blinzelte die Straße hinab und nach dem Hause gegenüber, aus welchem mißtöniger Gesang rauher Stimmen und wildes Lachen erscholl und blieb lange in dieser betrachtenden Stellung.

Bettelvolk das! ich will es aber schon fassen, murmelte er und richtete sich auf. Die Alte ist nicht besser, als der große, nichtsnutzige Bengel. Ich weiß auch gar nicht, wie ich bin? Was gehn sie mich denn an? Aus dem Hause mit ihnen, fort! und dann mögen sie meinetwegen verhungern.

Bei den letzten Worten drehte er sich um, wegzugehen, blieb aber zögernd zurück, als ein Herr die Straße heraufkam, der seine Aufmerksamkeit erregte. Es wollte Abend werden, und die Sonne, welche sich hinter glühend, rothen Wolken verbarg, warf deren dunkelnden Widerschein über die öde Straße. Der fremde Herr ging dicht an den Zaunwänden hin. Er hatte den Hut tief ins Gesicht gedrückt und einen kurzen Mantel fest sich um seine Schultern geschlagen, obgleich es eigentlich schon Frühling genannt werden konnte und der Tag eher warm als kalt war.

Mit einiger Neugier betrachtete Herr Schröder den Nahenden und ein lauernder Zug in seinem Gesicht ließ errathen, daß er sich Hoffnung machte, der fremde Herr möchte wol ein Geschäft oder Anliegen bei ihm selbst haben. Diese seine gute Meinung bestärkte sich noch mehr, als der Fremde stillstand, eine Brieftafel hervorzog, in welcher er eine kurze Notiz las, worauf er rasch weiter schritt, seinen Mantel aber noch dichter um die Ohren zog, als er Jemand an der Thür lehnen und ihn betrachten sah.

Dem Hause gegenüber warf er einen schnellen forschenden Blick auf die Nummer unter dem Sims, dann blieb er zögernd stehen und betrachtete den dicken, sanftlächelnden Mann, der ihm eine kleine Verbeugung machte.

Ich weiß nicht, ob ich hier recht bin, sagte der Fremde mit flüsternd leiser Stimme.

Ich glaube, Sie sind es, erwiderte Herr Schröder und nickte ihm halbvertraulich zu. Ich heiße Schröder, bin Commissionair Kaufmann, der gewerbsmäßig Kommissionsgüter im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung gegen Provision kauft oder verkauft. Beim Kommissionsgeschäft beauftragt eine Person einen anderen, das Rechtsgeschäft als Mittelsmann in eigenem Namen durchzuführen. Dieser wickelt den Kauf eigenständig, allerdings auf Rechnung des Auftraggebers ab und legt in mittelbarer Stellvertretung dessen Identität gegenüber dem Vertragspartner nicht offen. und diene gern meinen Freunden mit Hab' und Gut, wenn sie etwa in Verlegenheit gerathen sind. Ich habe den Ruf, prompt, sicher und überall wohlbekannt zu sein.

Dann, sagte der Fremde, werden Sie mir sagen können, wo in dieser Gegend, vielleicht in diesem Hause, sich ein junger Mensch aufhält, der Simon heißt.

Herr Schröder machte ein erstauntes Gesicht, er faßte sich jedoch schnell und sagte:

Das weiß ich allerdings. Hier in dem Keller wohnt er bei seiner Mutter, wenn Sie etwa den Mechanikus meinen?

Er ist groß, sagte der Unbekannte, hat eine Narbe am Kinn und trägt einen kleinen Bart.

Schwarzbraunes Haar und dunkle Augen, fiel Herr Schröder ein. Das ist er, ein hübscher Mensch, aber –

Er zuckte mit einem vielsagenden, bedauerlichen Lächeln die Achseln. Zugleich bückte er sich nieder, schlug mit der Pfeifenspitze an das kleine Fenster und rief der alten Frau zu, daß ein Herr hier sei, der ihren Sohn sprechen wolle.

Warten Sie einen Augenblick, die Mutter wird gleich heraufkommen, fuhr er dann fort, als er sah, daß der Unbekannte sich entfernte. Dieser antwortete jedoch nicht, er stieg vielmehr die schmalen steilen Stufen der Kellertreppe schnell hinunter und ließ den höflichen Mann mit seiner Neugier allein.

Was kann das sein? murmelte Herr Schröder. Das ist sonderbar, außerordentlich sonderbar, aber ich werde es schon herauskriegen, was er zu bedeuten hat, und wenn er ihnen etwa Geld bringt, meine Maßregeln nehmen.

Unter solchen Selbstgesprächen ging er vor seinem Hause auf und ab und warf dann und wann scharfe Blicke durch die niederen Fenster, ohne jedoch etwas entdecken zu können. Es wurde kein Licht in der unterirdischen Höhle angezündet, der Fremde kam aber auch nicht wieder heraus und als Herr Schröder endlich durch den fallenden Regen vertrieben ward, waren gerade zwei Stunden vergangen.

Der Commissionair stellte sich unter den Thorweg, dann und wann aber schlich er leise hinaus, um zu horchen, allein er hörte nichts. Zuweilen kamen Menschen ins Haus, vor denen er sich versteckte, doch sogleich wieder auf seinen Posten zurückkehrte, wenn sie fort waren. Seine Ungeduld stieg nach und nach auf einen hohen Grad; er murmelte Verwünschungen vor sich hin und gerieth zuletzt in eine Art fieberhafte Wuth gegen die alte Frau, welche ein Geheimniß vor ihm hatte.

Der Abend war finster und keine Laterne brannte; nur aus dem Hause gegenüber fielen einzelne Lichtstrahlen auf die Regenpfützen und man konnte deutlich sehen, wie der Wind die Tropfenschauer darüber hinjagte. In einem solchen Moment schrak Herr Schröder freudig zusammen, denn eben als der letzte Rest seiner Geduld verzehrt war, deckte der lange Schatten eines Menschen den Lichtstreif auf dem Wasser und gleich darauf vernahm er das Plätschern, das ein Paar kräftige Füße in dem aufgeweichten Grunde hervorbrachten.

Es war in der That ein Mann, der quer über die Straße kam und in das Haus des Commissionairs trat. Unter dem Thorweg blieb er einen Augenblick stehen, schüttelte den Regen von seinem Mantel, richtete darin seine Gestalt auf, die wol sechs Fuß maß und räusperte sich in einem Baß, welcher die Wirkung hatte, daß Herr Schröder, der hinter dem angelehnten Flügel im Versteck stand, mit einem leisen Gekicher antwortete.

Der Eingetretene schien dadurch nicht sonderlich überrascht zu sein. Er nahm nur einen seiner großen Arme aus dem Mantel, streckte ihn in den Winkel aus und brachte gleich darauf den Wirth zappelnd zum Vorschein.

Alle Wetter, sagte Herr Schröder bittend, laßt meinen Backenbart los, das ist meine empfindliche Seite.

Spion! rief der Lange, was habt Ihr wieder hier auf dem Korn?

Ich wollte eben zu Euch hinauf.

Pst! schreit nicht so, flüsterte Herr Schröder.

Nun, wie steht's, murmelte sein Freund, so leise er konnte, habt Ihr sie fest gemacht?

Seid ohne Sorge, sagte der Commissionair, indem er in seiner Weise scharf und fein lachte, sie müssen mir kommen, Alle kommen, und Ihr sollt sie haben, aber es hat sich etwas ergeben, was wichtig ist. Es ist ein Fremder unten im Keller. Schon seit länger als zwei Stunden sitzt er da im Fenster mit dem alten Weibe, Gott weiß, was sie vorhaben; er will durchaus mit dem Jungen sprechen.

Der große Mann machte eine rohe witzelnde Bemerkung, die seinem Freunde jedoch nicht behagte:

Laßt den Spaß sein, rief er, wir müssen jetzt wissen, was das zu bedeuten hat. Was will ein junger, feingekleideter Herr, der ordentlich vornehm aussieht, bei dieser schlechten Brut? Was will er bei dem Vagabond, dem Bösewicht, dem Rad und Galgen auf der Stirn geschrieben steht? Ich frage Euch, Gansauge, was will er bei dem alten Weibe, in dem stinkenden Neste da unten?

Er faßte dabei den Arm seines Freundes, den er heftig schüttelte und drückte, bis jener lachend sagte:

In meinem Leben habe ich Euch noch nicht in solcher Wuth gesehen, Kleiner. Es ist sonderbar doch, was Ihr gegen den Jungen habt.

Was ich gegen ihn habe? murmelte der Commissionair, was ich gegen ihn habe? Ich kann ihn nicht ansehen, nicht ausstehen.

Aber warum haßt Ihr ihn so?

Weil er – weil ich – er ballte drohend die Faust und schien etwas aussprechen zu wollen, das er plötzlich wieder unterdrückte – weil es ein Tagedieb, ein Taugenichts ist, sagte er in seiner gewöhnlichen, schmeichelnden Beredtsamkeit, ein Bursche, der da drüben – hier deutete er auf das Haus gegenüber – seine Genossen hat, die aber immer noch besser sind, als er selbst.

Nun, ich hoffe, sagte der große Mann, Ihr habt die Schlinge schon längst fertig, an der er baumeln soll, und wenn Ihr mir zur rechten Zeit den rechten Wink gebt, so helfen wir ihn über den Berg.

Herr Schröder kicherte vor sich hin und legte seine Hand auf seinen Bekannten.

Freundchen, sagte er, ich denke, der Tag wird bald kommen, wo wir ihn fassen, aber nothwendig müssen wir wissen, wer da unten bei der Alten sitzt, und wie machen wir das?

Am Besten, sagte der Andere, wir steigen hinunter.

Recht so!

Wir examiniren ein bischen.

Gehörig strenge, was der Junge treibt?

Wovon er sich nährt, was er thut?

Stellen eine kleine Haussuchung an.

Hi hi hi! Da werdet Ihr wenig finden. Aber die Hauptsache ist, daß Ihr dem Fremden auf den Pelz rückt und nicht loslaßt, bis er gebeichtet hat.

Der Mann bedachte sich einen Augenblick, dann trat er aus der Thür und sagte:

Kommt mit, ich habe Euch requirirt, um bei dem Verhör zugegen zu sein.


2.

Als die beiden Männer die Treppe hinunter tappten und die Thür geöffnet wurde, brannte ein blauer Schwefelfaden und einen Augenblick später die Lampe der Bewohnerin dieses öden Ortes. Die Beiden blieben an der Schwelle stehen und der größte bot mit seiner rauhen Stimme der alten Frau einen guten Abend, den sie leise und erschrocken erwiderte. Der Mann im Mantel warf einen schnellen Blick über die armseligen Mobilien.

In der düstern Ecke stand ein Bett, blau überzogen, an der andern Seite ein leeres Gestell voll Stroh und eine Decke darüber. Ein Tisch lehnte schief zwischen den Pfeilern, ein paar Schemel an den Wänden, Pflöcke und Nägel da und dort, an denen Kleidungsstücke hingen; die alten Körbe zu den Gemüsen am Eingange, das Gerümpel in den Ecken, Alles war trübselig anzuschauen und nur wie ein letzter Rest aus besserer Zeit stand an der Wand eine jener alten Gehäuseuhren mit schweren Gewichten und weißangestrichenem. Kasten, die ein geschätztes Stück in den Haushaltungen ehrsamer Bürger des vorigen Jahrhunderts waren.

Die alte Frau, die Lampe in der zitternden Hand, ein schwarzes Tuch um ihr greises Haar gewunden und aus hohlen, scheuen Augen den unverhofften Besuch betrachtend, schien vor Schreck die Sprache verloren zu haben, denn zwei oder drei kurze Fragen wurden an sie gerichtet, ohne daß sie eine Antwort hervorbrachte.

Ich glaube, Sie will nicht hören, sagte endlich der große Mann, der die Hand aus seinem Mantel streckte und ihren Arm ziemlich gewaltthätig schüttelte. Kennt Sie mich nicht? Weiß Sie, wer ich bin? Er öffnete den Ueberwurf und zeigte sich im Dienstkleide eines Polizeibeamten. Ich frage, wo Ihr Sohn ist? Hat Sie verstanden?

Er ist nicht hier, erwiderte sie, und plötzlich faßte das Mutterherz Muth und sie rief mit vermehrter Stärke: Was soll er denn gethan haben? Er hat nichts gethan, mein armes gutes Kind. Es ist Verleumdung, Herr Commissarius, schändliche Verleumdung schlechter Menschen, die ihn hassen.

Ah so! murmelte der Polizeibeamte, das ist die rechte Sprache, die kennt man. Solch Volk hat nie etwas gethan, aber es schreit am lautesten über seine Unschuld, wenn es eben sich ganz und gar dem Teufel ergeben hat. Heraus mit der Wahrheit, rief er dann, und macht mir keine Winkelzüge; ich weiß Alles. Wo ist er?

Wenn Sie Alles wissen, lieber Herr, sagte die Alte in ihrer Angst, so wissen Sie auch das. Ich kann es nicht sagen.

Wenn Sie impertinent ist, schrie der große Mann, so habe ich Mittel, Sie zur Ruhe zu bringen. Ich stehe hier im Namen der Obrigkeit, im Namen des Königs und verlange Wahrheit.

Der kleine Commissionair zupfte den rauhen Gefährten am Mantel und sagte dann mit seiner sanften Freundlichkeit:

Frau Simon, es hilft nie etwas, Gottes Gebot zu lästern, zu leugnen und zu lügen. Sei aufrichtig und gerecht, spricht der Herr, so wird mein Reich zu Dir kommen, aber vor allen Dingen ist man der hohen Obrigkeit Wahrheit schuldig, besonders darum, weil man für seine Lügen von dieser bestraft wird und Zuchthäuser sind schlimme Aufenthaltsörter, obgleich die Gottlosen allda am besten bekehrt werden und sie zur Ehre der Tugend und Gerechtigkeit erbaut sind. Hier steht nun der Herr Commissarius Gansauge im Namen Gottes und dessen allergnädigsten Statthalters auf Erden und der kann doch nicht sagen: Liebe Frau Simon, sein Sie so gütig und erzählen Sie mir gefälligst, wo Dero Herr Sohn sich befinden, wovon dieselben leben und was sie belieben zu treiben? Auch wünschten wir, zu wissen, wer der junge Herr war, der hier vor kurzem eintrat und jedesfalls noch bei Ihnen sein muß, obgleich wir bis jetzt nicht errathen, wohin Sie denselben versteckt haben. Solche Höflichkeit schickt sich weder für einen Mann, wie der Herr Commissarius, noch für eine Frau Ihres Standes. Jedem wird mit dem Maße gemessen, wie er es verdient hat, so steht es geschrieben und mit dem Lumpengesindel macht man nun einmal auf Erden keine Umstände. Aber ich bin Ihr guter Freund, Frau Simon, ich bin für Sie aufgetreten und habe Zeugniß gegeben, daß Sie eine einfache, gute, ehrliche alte Frau sind, die nicht dafür kann, daß Ihr Sohn solch Faulenzer und Vagabond geworden, und darum habe ich mich auch verbürgt, daß Sie uns, oder vielmehr der hohen Obrigkeit der Wahrheit gemäß, Alles haarklein berichten werden, wie es ist. Wo steckt also der junge Mensch mit dem kurzen spanischen Mantel, wo habt Ihr ihn gelassen?

Die Frau sah ihn starr an.

Ein junger Mensch, sagte sie; ich weiß von keinem jungen Menschen.

Sie hatte aber jedenfalls den unrechten Weg gewählt, nichts wissen zu wollen, denn nun war Herr Schröder erst hitzig nach der Auskunft.

Wer hätte das denken sollen, rief er kläglich. Schickt sich das für eine fromme, christliche Frau, so geradezu zu lügen, was diese meine Augen gesehen? Ich selbst habe ihn ja hier herein gewiesen, und ich lasse mich bei lebendigem Leibe aufessen, wenn er wieder herausgekommen ist.

Meinen Sie denn den jungen Herrn, der hier war, wie es noch Tag war? erwiderte, die Frau. Du lieber Gott, was sollte der wol noch hier.

Das wissen wir eben nicht, rief der Commissionair. Wer war er?

Was weiß ich es, erwiderte die Alte.

Was wollte er aber hier? fragte der Beamte.

Er fragte nach meinem Sohne und ging dann fort.

Es ist nicht wahr, schrie Herr Schröder. Mich betrügt keiner. Sie hat ihn versteckt; das ist klar wie die Sonne.

Was hat Sie mit dem jungen Menschen angefangen? rief der Beamte. Soll ich Haussuchung halten?

Was wollen Sie denn von mir? rief die alte Frau weinend. Was hab' ich denn gethan, daß man mich so schlecht behandelt?

Dummes Zeug! schrie Herr Schröder, die Wahrheit, wir wollen nichts als Wahrheit.

Dummes Zeug! rief der Beamte. Schlecht behandelt! Wer behandelt Sie schlecht? Solch Volk nennt Alles schlecht behandelt, wenn man keine Butter an seinen Brei legt. Will Sie jetzt sagen, wo der Kerl steckt, der jedenfalls ein Vagabond ist, wie Ihr Sohn, oder vielleicht gar irgend ein Hauptspitzbube, der Rosenfeld, oder der blonde Kippstein etwa, der hier heimlich Versteck, hat, oder sollen wir ihn suchen? Gesindel findet sich zu Gesindel, das Gleiche zum Gleichen und mitgefangen mitgehangen, das ist so in der Welt.

Allmächtiger Gott! sagte, die alte Frau bitterlich weinend, indem sie mit der Schürze ihr Gesicht bedeckte, so geht es mir nun in meinen alten Tagen. Ach! Niemand in der Welt nimmt sich doch eines Armen an.

Herr Schröder kicherte vor sich hin und strich sich lustig seinen Backenbart, indem er mit der Hand seinem Gefährten ein Zeichen machte, die Haussuchung zu beginnen.

In dem Augenblick aber hörten sie Jemand starken und schnellen Schrittes die Treppe herabkommen. Die Thür ward aufgemacht, und ein Mann trat herein, bei dessen Anblick der Commissionair laut und höhnisch rief:

Nun da ist ja der Simon, der kommt zur rechten Zeit, Herr Commissarius.

Was geht hier vor? sagte der junge Mensch, der von der Schwelle näher trat, und ohne die Anwesenheit der beiden Fremden scheinbar zu beachten, auf die alte Frau zuschritt, ihre Hand faßte und von dem bethränten Gesicht entfernte, das er aufmerksam, aber ruhig betrachtete. Was fehlt Dir, Mutter? fragte er. Es ist unmöglich, daß man Dich eines Verbrechens beschuldigt, und doch sieht es beinahe so aus.

Mit diesen Worten hob er sein Auge zu dem Beamten auf und sah ihn fragend an.

Der junge Mensch hatte etwas Kindliches in seiner ganzen Erscheinung und dennoch konnte er eine Art Scheu einflößen. Er war von hohem Wuchs, aber außerordentlich schmal gebaut, so daß der große Kopf, der auf diesem hagern Körper stand, fast mit den Schultern gleich breit war. Ueber das lange blasse Gesicht fiel üppiges, dunkles und glänzendes Haar auf eine hochgewölbte Stirn, die einem Denker zur Zierde gereicht hätte. Unter ihr lagen klare, schöne Augen, deren sinnender aber milder Ausdruck ganz dazu paßte. Wären Nase und Mund in diesem Gesicht ebenso bevorzugt gewesen, so hätte kaum ein vollendeterer Kopf gedacht werden können; sie waren jedoch gewöhnlich, und die schmalen blutlosen Lippen, an denen eine tiefe Narbe bis zur Kinnspitze lief, hatte fast etwas Entstellendes, das nur durch die Freundlichkeit und Ruhe des Ganzen versöhnt werden konnte.

Als er den Beamten anblickte, verwandelte sich jedoch dieser schwermüthige und kindliche Ausdruck seiner Züge in Festigkeit und Anklage. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er auf den Commissionair zu, deutete mit dem Finger auf ihn und sagte dann:

Dieser Mensch, der meinen armen Eltern so viel Leid und Unheil angethan, hat auch diesmal wol die Hand hier im Spiele. Was war es denn wieder? Was haben Sie für eine Schändlichkeit ausgesonnen, die ich, oder diese arme alte Frau begangen haben soll?

Simon! rief der kleine Mann und faltete die Hände, ist es möglich, was sind das für Worte? Sie kränken mich aufs Aeußerste, aber ich verzeihe Ihnen, verzeihe Ihnen aus tiefstem Herzen, weil Sie nicht wissen, was Sie thun. Wenn ich jemals etwas gegen Sie sagte, so geschah es einzig und allein nur, um Sie auf den Weg zum Guten zu leiten.

Sie können den Burschen wegen Injurien belangen, Herr Schröder, sagte der Beamte, und sich auf mein Zeugniß berufen.

Das sei ferne von mir, rief der Commissionair feierlichst. Ich habe seiner Mutter Schutz und Wohnung gegeben bis zu diesem Augenblick, und will es auch fernerhin thun. Im Uebrigen befehle ich Gott die Vergeltung in seine Vaterhände.

Bei diesen Worten legte Simon seine Hand fest um den Arm seines Widersachers und sagte mit seiner tiefen, vollen Stimme:

Gott der Herr ist geduldig und langmüthig, er läßt sich selbst von Denen verspotten, die nicht werth sind, seinen Namen zu nennen. Aber endlich wird die Stunde kommen, endlich muß sie kommen, wo auch seine Langmuth erschöpft ist.

Nach diesen Worten drehte er sich um und ging zu seiner Mutter, die er zu beruhigen strebte, indem er sie leise zu trösten suchte.

Herr Schröder war einen Augenblick ganz still und erschrocken. Während die alte Frau ihrem Sohne erzählte, was sich zugetragen, sah er den großen Polizeibeamten zweifelhaft an, und dieser schien eben auch nicht zu wissen, was zu thun sei, als sich Simon von Neuem zu ihm wendete und mit Ruhe sagte:

Auf wessen Geheiß dringen Sie in unsere Wohnung und erlauben sich Worte und Handlungen, die man nur gegen Verbrecher anwendet? Wodurch rechtfertigen Sie ein solches Verfahren? Was that ich, was that meine Mutter? Wer gibt Ihnen das Recht nachzuforschen, ob ein Mensch hier hinabstieg, ob er nach mir fragte, ging oder blieb, und wenn er hier wäre, was bewegt Sie, sich in meine Angelegenheiten zu mischen?

Die Reihe des Erstaunens war jetzt an den Beamten gekommen, der noch niemals an seinem Recht und seiner Unfehlbarkeit gezweifelt hatte. Er runzelte die Stirn und sein Gesicht röthete sich vor Aerger, daß ein Mensch in einem abgetragenen Rocke, ein Mensch, dem Armuth und Hunger so deutlich aufgeprägt waren, eine so unerhört kühne Sprache führte.

Ueber mein Recht zu Dem, was ich thue, sagte er verächtlich auf ihn niederblickend, habe ich Euch gar keine Auskunft zu geben. Ihr habt überhaupt nur zu antworten, nicht zu fragen, und wenn Ihr das nicht könnt oder wollt, gibt es Mittel, Ihm die Zunge zu lösen, Patron.

So fragen Sie denn, sagte Simon ruhig.

Ihr treibt Euch hier schon seit zwei Monaten umher. Ihr habt keine Arbeit, keinen Verdienst.

Woher wissen Sie das? fiel der junge Mann ein.

Wovon lebt Ihr? rief der Polizeibeamte.

Ich bin Mechaniker, Maschinist, sagte Simon; ein Unterkommen ist nicht leicht; inzwischen bin ich nicht ganz ohne Beschäftigung; wie und wo? habe ich nicht nöthig zu sagen. Ich wohne bei meiner Mutter, es geht uns beiden wol kümmerlich, aber wer kann uns Unehrliches nachsagen?

Ihr habt kein Brod und führt ein Vagabondenleben, rief der große Mann drohend. Auf solche Subjecte hat man mit Recht ein wachsames Auge; Euch am allerwenigsten ziemt es, frech zu sein.

Simon's blasses Gesicht hatte sich mit heller Röthe überzogen.

Ruhig, Mutter, ruhig, sagte er und drückte die Hände der alten Frau, es ist traurig, daß man sich das sagen lassen muß, aber mit gutem Gewissen kann man es verachten.

Nun wahrhaftig! diesen Burschen muß man vernünftig machen, rief der Beamte voll Zorn, denn ein Mensch wie Er, der alle Tage –

Hier faßte Herr Schröder von Neuem den Mantel feines Freundes und flüsterte ihm schnell etwas zu, worauf jener abbrach, Simon streng betrachtete, der ihn ruhig ansah und dann mit größerer. Gelassenheit fortfuhr:

Ein Mensch, wie Ihr, der alle Tage nichts thut, nicht angeben will und kann, wovon er lebt, ist und bleibt verdächtig. Er würde aber den Verdacht leicht zerstreuen, wenn er sagen wollte, wer der junge Mann war, der so dringend nach ihm fragte, fiel Herr Schröder mit sanfter Stimme ein.

Ich sage nichts mehr, erwiderte Simon, indem er sich umdrehte.

Aber er ist nicht wieder fortgegangen, ich will gehangen werden; er ist nicht fortgegangen! schrie der kleine Mann.

Gehangen? ja! sagte Simon und ein so sonderbarer Nachdruck lag in seiner Stimme, daß Herr Schröder plötzlich verstummte. Wenn er hier ist, so muß er sich unsichtbar machen können. Uebrigens, was will man denn von ihm und uns? Es ist kaum länger zu ertragen, sich so schmählich gemißhandelt zu sehen.

Der Beamte stand einen Augenblick, dann nahm er rasch die Lampe, leuchtete unter die Bettgestelle, in die Winkel umher, hinter den Ofen und setzte sie mißmuthig wieder hin.

Ich dacht es wohl, murmelte er; der Dummkopf hat sich betrogen. Ich werde Euch wiederfinden, sagte er dann barsch und laut; ich werde morgen eine Anzeige machen, Euer Lebenswandel soll genau untersucht werden.

Und daß Ihr's wißt, fügte Herr Schröder hinzu, ich habe die Geschichte nun auch satt. Entweder Ihr schafft die Miethe, oder fort mit Euch. Ich bin ein christlicher Mann, meine Seele ist voll Erbarmen, aber nicht für die Gottlosen, die unverbesserlich sind.

Wir wollen die Besserung schon bewirken, sagte der Beamte, dafür haben wir Mittel. Zuchthäuser und Peitschen! Merkt Euch das. Leuchtet uns.

Sie gingen. Als sie fort waren, deckte Simon beide Hände über sein Gesicht und blieb schweigend an dem Tische stehen. Die alte Frau kam mit der Lampe zurück und legte, besorgt und scheu umherblickend, ihre Finger auf seinen Arm, den sie zusammenpreßte und ihn herabzog.

Gräme Dich nicht, Simon, sagte sie leise.

Ich gräme mich nicht, Mutter, erwiderte er. O! sie können mich beschimpfen, sie haben ein Recht dazu, denn ich bin arm!

Pst! flüsterte sie, sollten sie wirklich fort sein? Ich habe Dir etwas zu sagen.

Simon richtete sich langsam und forschend auf.

Es ist Jemand hier, der Dich sprechen will.

Wo? fragte er.

Die alte Frau suchte in der Tasche ihres Kleides, nahm einen Schlüssel heraus und näherte sich dem Uhrgehäuse.

Da drinnen! sagte sie leise.

Ein Gedanke schien Simon plötzlich zu beleben. Mit unruhiger Haft nahm er seiner Mutter den Schlüssel fort, riß die schmale Thür auf und machte eine ängstlich abwehrende Bewegung, als es sich drinnen regte und bewegte.

Hilf mir heraus, sagte eine schwache Stimme, ich bin fast erstickt, und eine Hand streckte sich langsam vor, ein Körper hob sich aus mühsam zusammengedrückter Stellung, die er zu verlassen strebte.

Einen Augenblick, murmelte Simon und hielt die Thür fest. Nimm das Licht, Mutter, geh dort in die Ecke, mach Dir bei dem Küchengeräth zu schaffen; die Lampe könnte uns verrathen. Mein Gott, sagte er dann, indem er dem Fremden behülflich war, in welcher schrecklichen Lage sind Sie gewesen, und was – was konnte Sie bewegen –

Hierher zu kommen, fiel der junge Mann ein, der sich erschöpft auf einen der harten Stühle geworfen hatte; ich konnte die Angst nicht länger ertragen. Als der Abend dämmerte, warf ich mich in diese Kleider, schlug den Mantel um mein Gesicht, drückte den Hut tief in die Stirn; ich mußte Dich sprechen, ich mußte Nachricht haben; was es auch sein mag, Leben oder Tod, Vernichtung, Schande, Entdeckung – es kann nicht ärger sein, als die Hölle, die ich mit mir umhertrage. Als ich Dich hier erwartete, hörten wir die Beiden kommen. Niemand durfte mich hier finden, so kroch ich dort hinein.

Simon heftete die Augen düster auf den Boden, ohne eine Antwort zu geben.

Hast Du ihn gesprochen? fragte der Fremde.

Ja, erwiderte er.

Ja! rief der Andere mit unverkennbarer Freude. Was sagte er?

Hier ist ein Brief, erwiderte Simon, indem er ein gefaltetes Papier hervorzog.

Der Fremde nahm es, riß es auf und flog damit zu dem Winkel, wo die Lampe stand. Während er las, befestigte Simon ein schmutziges Tuch über die trüben Scheiben des Fensters und schloß den Laden darüber, dann lehnte er an die Mauer und hörte auf die leisen Worte des jungen Mannes, der endlich in heftiger Aufregung das Geschriebene zusammendrückte und mit todtbleichem Gesicht sich umwendete.

Der Elende! Der Nichtswürdige! rief er. Er will mich verderben, entehren! – Was hab' ich gethan! o! was hab' ich gethan! – Und er sagte nichts? fuhr er hastig fort und hob das Gesicht auf, das von Thränen überströmt war. Nichts weiter als das, nichts weiter?

Er sagte, erwiderte Simon, daß er sich hüten würde, auf Ihre Vorschläge einzugehen, daß er Ihr Schicksal in seiner Hand habe, und daß er ein großer Narr sein müßte, sich solcher Vortheile selbst zu berauben.

Wahr! nur zu wahr! sagte der junge Mann mit erstickter Stimme, aber kein Opfer wird mir zu groß sein, mich loszukaufen. Ich will ja geben, geben, was ich kann und habe, rief er und krampfte wie in Verzweiflung die Hände zusammen, was kann der Bösewicht mehr verlangen?

Ich denke, er wird es geschrieben haben, sagte Simon und deutete auf den Brief, indem er seinen Besuch starr ansah.

Eine hohe Röthe übergoß plötzlich dessen Wangen und Stirn. Er stand auf und sagte:

Er will mich selbst sprechen, aber nimmermehr! Niemals! Nein, niemals! Ich bin zu Ende, Gott erbarme sich meiner! zu Ende bis auf Eines, bis auf Deinen Vorschlag, mein lieber, armer, getreuer Simon.

Er legte feine feine, schmale Hand in die rauhen, großen Finger seines Freundes, welche unter dem leichten Druck electrisch zu zittern schienen.

Ich kann es nicht Zufall nennen, fuhr er fort, nein, der erbarmungsreiche Schöpfer hat es so gewollt, daß mitten in meiner unermeßlichen Noth Du mir gesandt wurdest. Als ich Dich wieder sah, es sind nun wohl drei Wochen, ging zuerst ein Strahl von Muth durch mein Herz. Ich hatte Niemanden auf Erden, dem ich mich anvertrauen durfte, Dir konnte ich es, wollte ich es. Du warst einst mein Jugendgespiele und warst mir noch treu und gut. Ich sah es an Deinen Augen, an der Bewegung Deiner zitternden Lippen, Deiner Seele! Ich vertraute Dir ganz; und Du bist arm, auf einer andern Stufe des Lebens geboren, erzogen, und doch wirst Du mich nicht verrathen.

Als er diese letzten Worte sagte, schien die heftige zitternde Bewegung der Lippen und Seele sich bei Simon zu wiederholen. Ein melancholisch düstres Lächeln umzog seinen Mund, die bläuliche Marmorweiße seiner Stirn bethaute sich mit Schweißtropfen, dabei deckte er die Hand auf sein Herz und sprach mit seiner festen, markigen Stimme:

O! sein Sie überzeugt, tausendmal eher würde ich sterben.

Ich weiß es, ja weiß es! rief der junge Mann mit Zuversicht. Wie arm Du auch bist, Du trägst ein edles, königliches Herz in Deiner Brust. Hilf mir! – rette mich! schütze mich! schluchzte er und lehnte sich laut weinend an ihn, grenzenlos unglückselig, wie ich es bin, sehe ich nur Abgründe, nur Tod, nur Verdammniß um mich, denen ich nicht entkommen kann.

Es gibt nur einen Weg, sagte Simon, das ist der, den ich Ihnen nannte.

Und Du glaubst, daß er zum Ziele führt? O Gott, es ist entsetzlich! und Du mein armer Freund, Du willst es meinetwegen wagen?

Ich habe mit zwei Männern gesprochen, sagte Simon, die so geübt und bereitwillig zu dergleichen Geschäften sind, daß es nicht die geringste Schwierigkeit macht, sie dazu zu bewegen.

Wie soll ich Dir danken! rief der Fremde und schloß Simon's Hände von Neuem in die seinen. Nie, nie werde ich es lohnen können!

Ich verdiene weder Dank noch Lohn; erwiderte der junge Arbeiter bescheiden, ich habe wenig für Sie gethan. Das Einzige, fügte er mit gepreßter Stimme hinzu, war, mich mit jenen Männern bekannt zu machen, den Ort zu besuchen, wo man sie findet, und der ist uns nahe.

Wo? fragte der Fremde.

Hier drüben an der Straße, flüsterte Simon, indem er nach seiner Mutter blickte.

Beide sprachen nun eine Zeit lang leise und eindringlich, bis der Fremde aufstand, den Mantel um seine Schultern schlug und laut genug die Worte rief:

Ist es auch so, wie Du sagst, ist es ganz gewiß so? Kann ich Dich nicht begleiten?

Unmöglich! erwiderte Simon erstaunt.

Sehen, ohne gesehen zu werden, sagte der junge Mann. Ich möchte dabei sein und hören, was Du ihnen sagst.

Haben Sie Mißtrauen? fragte Simon, indem das düstere, schwermüthige Lächeln von Neuem seine Lippen bewegte.

O! nein, nein! rief der Fremde, aber ich bin bis zum Entsetzen aufgeregt, voll Todesangst und Furcht; mir würde wohler sein, wenn ich hören könnte, daß Alles geschehen soll, wie Du sagst.

Simon überlegte einen Augenblick; dann sagte er mit seiner gewöhnlichen Ruhe:

Kommen Sie denn, wir wollen sehen, was zu thun ist.


3.

Wie der junge Herr leise die Stufen aufwärts auf die Straße trat, knarrte oben das Fenster des Commissionairs ziemlich vernehmlich; aber jener hörte es so wenig, wie der aufmerksame Simon, der ihn an der Hand hielt und dicht an dem Hause mit ihm fortging, bis sie beide von dem Lichtschein der einsamen Laterne nicht mehr getroffen wurden.

Dann suchte Simon einen Weg durch den tiefen Koth der Straße und der war nicht leicht zu finden, denn der Regen hatte nicht aufgehört, das Wasser floß wie ein Gießbach die Straße hinab, sammelte sich in dem wellenförmigen, losen Boden, überschwemmte den Fußpfad und zeigte seine schimmernde Fläche fast überall. Endlich war aber doch der Uebergang gefunden, denn nach kurzem Bedenken umfaßte Simon's starker Arm seinen Gefährten und leicht wie ein Kind trug er ihn durch den Morast auf die andere Seite.

Nach wenigen Augenblicken standen sie dann vor dem kleinen Hause, welches Herr Schröder schon, als es noch Tag war, so oft nachdenklich und pfiffig lächelnd angeschaut hatte. Es war in der That ein recht seltsames Gebäude, das wenigstens zum Nachdenken darüber auffordern konnte, ob es nicht einst viel höher gewesen als jetzt, und durch irgend ein Ereigniß, vielleicht durch seine eigene Schwere im Laufe der Zeit so tief in den losen Sand hinabgesunken sei, daß nichts übrig geblieben als ein Stückchen vom obersten Mauerwerk und das Dach.

Dies letzte konnte jetzt bequem mit der Hand erreicht werden; es konnte irgend einem Uebermüthigen ohne große Gefahr einfallen, zum Schornstein statt zur Thür herein seinen Besuch zu machen, und was die Fenster betrifft, so waren diese so viereckig und klein und schief in das Stückchen Mauerwerk geschnitten und fast mit dem Erdboden gleich, daß es wirklich aussah, als läge das andere alles tief in der Unterwelt verschüttet.

Einen Augenblick stand Simon mit seinem leise zitternden Freunde an diesen Fenstern still, die von Läden dicht geschlossen den Lärm rauher Stimmen und die Töne einer argverstimmten Geige nicht aufhielten, nach denen drinne getanzt wurde. Dann gingen die Beiden an der Seite hin, an einem kleinen Laden vorüber, der den eigentlichen Eingang zu diesem lustigen Wirthshaus bildete. Sie traten jedoch hier nicht ein.

Simon, der wohl bekannt war, öffnete eine Pforte in der Bohlwand, und leitete seinen Gefährten durch einen engen düstern Hof an eine Thür, wo sie auf einen schmalen Hausflur und von dort in ein kleines, ganz finsteres Zimmer traten, in welches der nahe Lärm aus der großen Gaststube wüst und gebrochen hereinschallte.

Halten Sie sich ganz still, sagte Simon mit flüsternder Stimme, denn wenn Sie sich verrathen, sind wir nicht ganz ohne Gefahr.

Kommt Niemand hier herein? fragte der junge Mann ängstlich.

Es ist das Wohnzimmer des Wirths. Hier ist ein Stuhl, setzen Sie sich hierher, Sie können Alles sehen und sollen Zeuge sein, weil Sie es wünschen.

Bei diesen heimlich leisen Worten öffnete Simon einen Schieber in der Wand, der ein kleines, viereckiges Fensterchen bedeckte, dann zog er behutsam den rothen Vorhang ein wenig zur Seite – und plötzlich überblitzten Lichtstrahlen das bleiche Gesicht des Fremden, der furchtsam davor zurückwich. Was er gesehen, erhöhte seine Besorgniß; er klammerte sich an seinen Führer fest und einen Augenblick war er bereit aufzustehen und zu entfliehen, endlich aber ließ er die Hand los und blieb regungslos sitzen, die Augen auf die Scene vor ihm gewendet, die so bunt belebt und so widerlich abstoßend war.

Das Gastzimmer war lang, schmal, gedrückt und angefüllt mit mannichfach betäubenden Dünsten, die durch einander geballt dem Uneingeweihten Ekel, Schwindel und Beklemmungen erregten. Erstickender Tabaksdampf wirbelte zur Decke auf und erlaubte den Talglichtern nur, röthlich und mit verkohlten Schnuppen zu brennen; blaue Tische und blau angestrichene Schemel standen längs den Wänden, Bier- und Branntweingräser, theils leer, theils gefüllt, überschäumend oder umgestürzt, waren da und dort zu sehen.

Hinten aus der Ecke tönte Jauchzen, Geschrei und das Geschwirr und Stampfen eines tollen Walzers oder Schleifers Gesellschaftstanz im 3/8-Takt in Form eines Paartanzes wie der Walzer; dieser und der »Schleifer« werden volkstümlich damals fast synonym gebraucht, obwohl der Walzer im 3/4-Takt notiert wurde. Beide galten zur Zeit ihrer Entstehung wegen des engen Körperkontakts zunächst als sittlich anrüchig.. Die Tänzer zerschnitten den Tabaksdampf mit rasender Geschwindigkeit; sie hatten die Röcke ausgezogen, manche auch die Ermel der groben, beschmutzten Hemden aufgestreift, oder die Halstücher abgebunden und schwenkten in ihren braunen, knöchernen Armen halbberauschte Dirnen, die kreischend in ihre gemeinen Späße einstimmten.

Rund umher standen und saßen die ermüdeten Theilnehmer; brutale Liebkosungen wechselnd, oder trinkend und essend, denn auch hier in diesem Aufenthalt der untersten Klasse der Gesellschaft hatte die Galanterie ihre Rechte und die wüsten, wilden Gesellen suchten das Geld aus allen Taschen zusammen und ließen von dem kleinen dicken Wirth auftragen, was er hatte, um ihre Schönen zu bewirthen und dankbar gefällig zu stimmen.

Von diesen rohen Scenen der Gemeinheit irrte der Blick des jungen Fremden schnell nach der andern Seite, wo rauchende, lachende, streitende Männer einen Tisch umstanden, an welchem einige ihrer Genossen Dreikart Ein pokerartiges Glücksspiel. spielten. Vor sich hatten sie kleine Geldstücke, sie fluchten, schworen und beschimpften sich, aber fingen doch immer wieder von Neuem an und suchten sich ebenso ungeschickt zu rupfen, wie es in den Klubs vornehmer privilegirter Spielhäuser kunstvoll und geschickt geschieht. Ihre Freunde lehnten über die Sitze hin und nahmen lebhaften Antheil an Streit und Krieg; ein dünnes Licht brannte schief überhängend in der Mitte, und an der Ecke des Tisches lag ein Haufen loser Tabak, aus dem die kurzen Thonpfeifen fleißig gestopft wurden.

Die meisten dieser Männer waren jung, nur drei oder vier im höheren Lebensalter, aber diese am meisten verthiert oder verdumpft, mit aufgedunsenen Gesichtern, hängenden Lippen, stieren Augen, die Bilder zerstörender Völlerei. Andere waren schlank und wohl gebildet, einige mit klugen, beweglichen, kühnen Zügen ausgestattet, manche ordentlicher gekleidet, manche elend und zerrissen, aber fast überall derselbe Stempel des Müßiggangs, der Völlerei, des Leichtsinns, der Ausschweifungen und der Laster.

Ganz vorn, der Thür gegenüber, welche auf die Straße führte, hatte der Wirth den Schenktisch aufgerichtet, der mit Flaschen, Gläsern, Schinken, Würsten, Heringen, Käsen und anderen Lebensmitteln behangen und bedeckt war. Zwischen diesen stand eine Truhe, unter welcher eine Spirituslampe brannte, die Knackwürste brodeln half, deren Dampf sicher, die Nasen einiger armer Teufel ergötzte, welche lüstern auf der Bank zur Seite hockten, in Tantalusqualen verlangende Blicke nach den nahen Herrlichkeiten abschossen und trocken Brod dazu aßen.

Um äußersten Ende der Bank aber und fast dicht unter dem kleinen Schiebefenster stand ein Tisch, an welchem zwei Männer Platz genommen hatten, die einsam aßen, tranken, rauchten und halblaute Reden wechselten, ohne sich um die übrige Gesellschaft zu kümmern. Der Eine war jung und hatte ein leichtes, gefälliges Aussehen. Dunkles, halbgelocktes Haar legte sich auf seine breite, gewölbte Stirn, eine feingebogene Nase saß über dem etwas dicken Mund, er hatte blitzende, unruhige Augen, und im Ganzen genommen sah er kühn, schlau und offenbar wie ein Sprößling orientalischen Blutes aus.

Der Andere war hager und lang, in einen schmutzigen, gelben Rock mit großen Hornknöpfen bis an den Hals eingepackt. Sein Gesicht mit rohen, plumpen Zügen und einer sonderbar spitzen Nase, die ungeheuer breite Flügel hatte, wurde noch widerlicher durch die Art, wie sein strohfarben Haar ganz glatt an beiden Seiten des Kopfes herabhing, als wäre es festgeklebt.

Diese beiden Herren unterhielten sich größtentheils in einer Sprache, welche dem Lauscher am Schiebefenster fast unverständlich blieb. Es war zwar deutsch, aber mit einer solchen Menge fremdlautender und unbekannter Worte gleichsam gespickt, daß überall große Lücken entstanden, die zum Theil nicht ausgefüllt werden konnten. Dann und wann sah der Jüngere nach der Thür, warf den Kopf mißmuthig aus einer der aufgestützten Hände in die andere und gab alle Zeichen der Ungeduld, die sein ernsthafter Gefährte mit vieler Gleichgültigkeit ansah.

Endlich schlich sich eine Art Grinsen über sein Gesicht und indem er sich soweit als möglich gegen die Wand lehnte und die Füße von sich streckte, sagte er:

Weißt Du, was ich denke, Rosenfeld? Ich denke, wir werden umsonst gewartet haben.

Ich wette ein Rad, daß er kommt, sagte der Andere rasch und streckte die Hand aus.

Ein Rad ist ein Thaler, versetzte der Blondharige, indem er gähnte, das ist verdammt viel Moos bei so schlechten Zeiten, und wer weiß, ob es der Junge verdient. Ich kann ihn eigentlich nicht recht leiden, fuhr er fort; er hat etwas in seinem Gesicht, was einen braven Kerl verdrießen muß, ich weiß selbst nicht was, aber es ist so eine Antipartie, wie der Justizrath sagt, die er von kleinauf gegen die Spitzbuben hatte und warum er absolut Criminell werden mußte.

Indem er laut über seinen Witz lachte, sagte er leiser:

Ich habe von kleinauf meine Antipartie gegen die Ehrlichen gehabt und ich rieche es ihm an, daß er im Leben kein braver Keß Das Adjektiv »kess« stammt aus dem verhüllenden Kurzwort jidd. chess, der Bezeichnung für ch, den Anfangsbuchstaben von jidd. chochom ›klug, weise, gelehrt‹. Es dringt aus der Gaunersprache in die Umgangssprache von Berlin und gewinnt von dort aus in der 1. Hälfte des 20. Jhs. allgemeine Verbreitung. Als Substantiv bedeutet »Keß« in der Gaunersprache so viel wie »echter Gauner«. werden wird.

Dummheiten, Kippstein, reine Dummheiten! rief der Jude, der eifrig eine Cigarre, die nicht brennen wollte, anrauchte; es ist ein Junge, aus dem 'mal was werden kann, das verstehst Du nicht, ich kenne ihn aber.

Nun, wenn er ein Mechanikus, oder so dergleichen ist, meinte der Blonde, so hat er wenigstens eine gute Vorschule. Aber ist es mir nicht, als sagtest Du mir, er habe etwas vor mit – hier flüsterte er seinem Freunde etwas ganz leise zu, worauf dieser eine halb beistimmende Bewegung machte und dann lauter eine Antwort gab. – Es ist kein Mensch, der nicht sein Schicksal hätte, sprach er, und die ganze Kunst ist die, es so zu machen, daß es uns nicht schlecht dabei geht. Dem da ist es eigentlich schlecht gegangen; wenn er es also rechtschaffen versucht, daß es anderen Leuten schlecht gehe, und ihm dafür gut, so ist das nicht mehr wie billig.

Wie so? versetzte Kippstein, indem er sich in die rechte Stellung brachte, eine lange Geschichte zu hören.

Sieh mal, sagte der Jude, an der Wiege sind ihm die Elendslieder nicht gesungen worden, denn sein Vater, der Uhrmacher, war ein alter Kerl, der Kies hatte. Das Häuschen, das vordem da drüben stand, gehörte ihm, er hatte auch seine gute Kundschaft, flickte und besserte die Uhren weit und breit umher und schaffte immer noch einen Thaler Geld dazu an. Da wurde er mit einem rechtschaffenen, frommen Mann bekannt, mit dem Commissionair Schröder.

Aha! rief der Blonde und knackte mit den Fingern wie vor Lust.

Der ging fleißig in die Kirche und betete; war Mitglied des Mäßigkeitsvereins, der Missionsgesellschaft, der Besserungsgesellschaft und vielerlei anderer Gesellschaften, darum segnete ihn Gott mit Plänen zum Wohle der leidenden Menschheit und es ist kein Wunder, daß er auch sogleich einen schönen Plan hatte, wie der alte Uhrmacher ein Millionair werden könnte. Der fromme Mann konnte reden, wie ein Buch und der alte Uhrmacher mit dem steifen Zopf hörte andächtig zu, kurz und gut, das Häuschen wurde niedergerissen, Schröder schaffte Geld an, und so wurde das Haus gebaut, was nun drüben steht.

Jetzt kann ich mir denken, wie es kam, rief Kippstein und schlug auf den Tisch. Die Commissionaire! Gott verdamme sie! Sind das nicht die ärgsten Spitzbuben und Betrüger, hunderttausendmal ärger – wie wir?

Nun, sagte der Jude, der Schröder machte es eben nicht schlimmer wie die Andern; jeder ist sich selbst der Nächste, wer dumm ist, muß geprügelt werden. Als die erste Etage stand, war das Geld alle, aber der Commissionair schaffte so lange die Mittel, bis es fast fix und fertig war, dann brachte er es zum Anschlag, der alte Uhrmacher und sämmtliche Handwerker waren um das Ihrige betrogen und er, als Hauptgläubiger bekam es für seine Forderung. Es werden viele Häuser alle Jahr auf diese Weise hier gebaut, fuhr er lachend fort, man nennt das Speculation und es ist ein schönes Geschäft, ich habe auch Lust dazu und werde nächstens anfangen.

Der blonde Freund nickte beifällig.

Vielleicht will der alte Uhrmacher noch ein Haus bauen, sagte er.

Der baut keines wieder, sagte Rosenfeld. Als der alte Narr Alles verloren hatte, bettelarm war und sein Sohn, der Simon, jahrelang in der Fremde umherlief, wurde er auch obenein etwas verrückt. Er kam immer noch in das Haus, das ihm nicht mehr gehörte und suchte nach seiner alten Wohnung. Zuletzt warfen sie ihn hinaus, aber er spielte dem klugen Herrn Schröder doch einen allerliebsten Spaß zu guter Letzt.

Hier lachte er laut und knipste die Asche von seiner Cigarre.

Aha! flüsterte der Blonde. Er machte ein Feuerwerk und steckte die Hütte an.

Ah bah! sagte Rosenfeld, nicht jeder ist so roh und grob, wie Du. Der alte Mann war weit feiner in seiner Rache. Am Abend vorher, ehe Herr Schröder in seine neue, schöne Wohnung zog, wickelte er eine hübsche Uhrschnur zusammen, schlich sich ins Haus, stieg auf den Tisch in der Putzstube, band seine Schnur um den Haken, der den Spiegel tragen sollte und hing am Morgen noch daran.

Einen Augenblick schien selbst der rohe Gesell Mitleid zu empfinden. Er nahm seine Cigarre aus dem Munde, starrte seinen Gefährten an, ob es wahr sei, was er erzähle, und sagte dann leise:

Das war ein schöner Spiegel für den Hund von Commissionair.

Der schnitt ihn selbst ab, fuhr der Jude fort und schrie über die Gemeinheit und Undankbarkeit des Alten, dem er so viele Wohlthaten gethan hätte. Daß er aber nicht auf den Hausboden gegangen; wo Platz genug sei, das könne und wolle er ihm nimmermehr verzeihen.

Die Beiden lachten ausgelassen, als plötzlich eine zitternde Hand das Schiebefenster ganz öffnete und Simon's bleiches, melancholisches Gesicht sich daran zeigte.

Bei dem Geräusch wendete sich Rosenfeld um und streckte sogleich lebhaft ihm die Hand entgegen.

Was hab? ich gesagt, Kippstein, rief er; da ist er. Komm heraus, Simon, setze Dich zu uns, wir sitzen warm hier.

Ich will nicht, erwiderte der junge Mensch; ich glaube auch, es ist besser so, wenn ich hier bleibe. Es könnte Aufsehn machen, wenn man uns beisammen sitzen sähe, jetzt merkt es kaum Einer, und bei dem Lärm und Getanze können wir's ganz in der Stille abmachen.

Siehst Du wol, was er klug ist? sagte Rosenfeld. Er hat ganz Recht, man weiß nicht, wer da unter dem Gesindel steckt? Nun, fuhr er flüsternd fort, hast Du Alles gut ausbeldowert, auskundschaftet?

Es ist alles, wie ich es angegeben, versetzte Simon. Niemand wohnt auf demselben Flur, die Thür hat ein einfaches Schloß, von acht bis zehn jeden Abend ist er fort, nicht das geringste Hinderniß von Bedeutung steht uns im Wege.

Weißt Du auch, Simon, wo das Beste liegt? rief Rosenfeld lachend. Das müssen wir vor allen Dingen wissen.

Ich weiß auch das, sagte der junge Mensch, ich weiß sogar den Kasten, wo es liegt, und es ist der Mühe werth, sage ich Dir.

Der Jude dachte einen Augenblick nach, dann wandte er sich zu seinem Gefährten und sagte langsam:

Morgen, dächte ich?

Je eher, je lieber, erwiderte dieser und trank sein Glas aus.

Vorausgesetzt, daß es sich paßt, fügte Rosenfeld hinzu.

Und paßt es nicht, so machen wir es passen, murmelte Kippstein. Wenn's keiner mehr ist, als der Eine, der ist schon still zu kriegen. Nur gut aufgepaßt, flüsterte er heiser lachend, es wäre der Erste nicht, der mit einem hübschen Knebel im Munde und mit einem paar eingestoßenen Zähnen zusehen mußte, wie man ihm die Federn abrupft.

Still, still! sagte der Jude, ich will nichts mit der Gewalt zu schaffen haben, ich kann kein Blut sehen, ausgenommen, wenn's etwa aufs Aeußerste käme, und dann mögt ihr beide es mit ihm abmachen. Also morgen gerade, um die achte Stunde da unten am Platze; das Schränkzeug Unter »Schränkzeug« versteht der Einbrecher (Schränker) einen Satz von 28 Dietrichen, welche aus zumeist starkem Eisendraht hergestellten einfachen und Doppelhaken bestehen, die ihre bestimmten Formen und ihre bestimmten Namen haben., die Schlüssel und was dazu gehört, werde ich bei mir haben. Da kommt der Wirth, ich glaube, er hat das Geflüster gehört und will nachsehen, wer in seinem Neste sitzt. Gute Nacht, Simon, mach' daß Du fortkommst und vergiß nichts. Morgen um diese Zeit ist alles abgemacht.

In der nächsten Minute befanden sich die Beiden wieder auf dem Hofe und Simon leitete seinen zitternden Gefährten leise zur Thür hinaus. Der Regen hatte aufgehört, ein schmales, feines Mondgewebe spann sich über die Dunkelheit und dämmerte auf die zuckenden, bleichen Züge des jungen Mannes, die etwas gespensterhaft Kaltes und Todtes hatten. Er athmete tief und schien mit dem Entsetzen zu ringen, das die Nähe so gesetzloser, gemeiner Bösewichter ihm eingejagt hatte, deren Dienst er gleichwol verlangte. Simon ging neben ihm her und warf dann und wann einen scheuen, forschenden Blick auf ihn, bis der Fremde plötzlich stillstand und beide Hände mit einer Bewegung des Abscheues von sich stieß.

Um Gottes Barmherzigkeit! wohin soll das führen? rief er. Es ist gräulicher als ich es glaubte, viel furchtbarer, als es mir zu denken möglich war. Gibt es denn kein Mittel, kein einziges als dies?

Keines, als dies! erwiderte Simon!

Sie gingen hastiger weiter, bis der junge Mann wieder stillstand und mit fast fieberhafter Anstrengung sagte:

Ich könnte noch einmal mit ihm sprechen, es nochmals selbst versuchen. Ja, ich will den Abscheu bezwingen, will es demüthig als eine Buße betrachten, vielleicht – ja, vielleicht! – Was ist die Glocke? Was schlägt es da?

Neun Uhr! sagte Simon.

Du armer, treuer Freund, rief der Fremde, verlaß mich nicht, ach! verlaß mich nicht! Aber ich will Dir auch ein Verbrechen sparen, ein Verbrechen für mich begangen, für mich die Dich ins Verderben stürzt. Du mußt mich begleiten, Du sollst selbst hören, ob es möglich war. Laß uns schnell gehen; schnell, ehe es mir leid wird, denn mein Herz ist verzagt, wie ein Kinderherz.

Ich werde in Ihrer Nähe bleiben, sagte Simon. Sein Sie ruhig, Böses soll Ihnen in keinem Falle geschehen.

Bald waren sie in belebtern Gegenden, wo Simon hinter seinem Gefährten zurückblieb, ohne ihn jedoch aus den Augen zu verlieren. Von Zeit zu Zeit stand der junge Mann still und sah sich furchtsam um, ob jener ihm folge; dann hüllte er sich dichter in den Mantel und nun ging er rasch durch die Promenaden über eine der Hauptbrücken des Stroms, bog darauf rechts ab in eine stille, dunkle Straße und prallte plötzlich erschreckt zurück, als aus dem Schatten eines der hohen, alten Bäume, welche die Vorgärten der Häuser dort begrenzen, jemand trat, der mit einer höflichen Begrüßung den Hut zog und dicht herantrat.

In diesem Augenblick schien der junge Mann ganz fassungslos entfliehen oder um Hülfe rufen zu wollen, aber er vergaß beides, als der Unbekannte begütigend seine Hand faßte und mit leiser Stimme seinen Namen aussprach.

Sie zürnen mir, sagte er vorwurfsvoll, Sie fürchten mich. O! wie haben sich die Zeiten geändert! Wie lange ist es, daß ich ganz anders empfangen wurde, wenn ich kam, und nun –

Reden Sie nicht weiter, fiel der Andere ein, und befreite seine Finger, leider dürfen Sie diese Sprache führen, aber Gott wird richten zwischen uns, wer der Schuldige ist.

Nun ich denke, erwiderte der Fremde mit einem spöttischen Lachen, wenn eine Schuld zu tragen ist, so mögen wir sie redlich theilen. Aber wo wäre denn Strafwürdiges hier zu finden? Nichts ist natürlicher als das, was geschehen. Es ist der Welt und der Menschen Lauf, warum also zerstörten Sie, was wir so schön begonnen? Welche Schuld trage ich, welcher Verbrechen klagen Sie mich an?!

Lassen sie uns schweigen, sagte der junge Mann mit zitternder, bittender Stimme; ich bin strafbar, ich bereue schwer und tief, aber sein Sie edelmüthig, barmherzig mit meinen Leiden, gewähren Sie meine Bitten, bestimmen Sie den Preis für Ihre Einwilligung. Ich weiß, Sie haben Geld nöthig, ich will geben, was ich vermag.

Wie grausam und wie thöricht sind Sie, erwiderte der Fremde, des Andern Rede unterbrechend. Sie wollen geben, was Sie gewähren können; nun wolan, ich fordere nicht mehr: Lassen Sie die alte, schöne Zeit wiederkehren, vergessen Sie, was uns trennte, möge Alles wieder sein, wie ehemals.

Mit einer Bewegung des Abscheues trat der junge Mann zurück.

Das kann Ihr Wille und Entschluß nicht sein, sagte er.

Mein heiliger, unverrückbarer Wille, von dem ich nicht lassen kann.

Dann sind Sie gewissenloser und unwürdiger noch, als ich dachte.

Und Sie zu leidenschaftlich und parteilich, erwiderte der Fremde kalt. Ein Anderer würde mich wahrscheinlich für allzu gewissenhaft und meinen Eiden zu treu erklären.

Und keine Bitte, kein Flehen, keine Mahnung an Ihre Ehre kann Sie rühren?

Ich gebe diese Bitten, dies innige Flehen zurück, ja ich beschwöre Sie, Ihren Entschluß zu ändern. Nehmen Sie meinen Arm; sein Sie gut und verständig. Lassen Sie uns an einen Ort gehen, wo man sich besser unterhalten kann, als es diese öde, regenkalte Straße gestattet.

Elender! rühr mich nicht an, rief der junge Mann mit einem hohen Grade von Heftigkeit und Verzweiflung. Allmächtiger Gott! in welchen Abgrund habe ich mich gestürzt, welchem ehrlosen, gemeinen Menschen bin ich überliefert.

Klagen Sie Ihre Falschheit, Ihre Heuchelei an, rief nun der Fremde, die sanfte überredende Sprache aufgebend. Klagen Sie die betrügerische Verschmitztheit an, welche sich in ihren eigenen Schlingen fängt. Daß ich ein Narr wäre, den Vogel fliegen zu lassen, der mir solche Noth gemacht! Sie hassen mich, Sie verachten mich; wolan! mag es sein; dennoch sollen Sie meinen Willen thun, zitternd meine Befehle befolgen, weil ich die Mittel habe, mir Gehorsam zu erzwingen, und keine Macht der Welt soll sie mir entreißen. Ich brauche Geld, ja, Sie haben recht, fuhr er dann lachend fort, wer brauchte nicht Geld überhaupt? Gut, morgen Abend werden Sie mir dreihundert Thaler zustellen oder durch Ihren Vertrauten zustellen lassen, hier auf der Stelle, wo wir jetzt stehen, zu derselben Stunde; merken Sie wohl auf: Drei hundert Thaler oder –! er schüttelte den Finger bei der drohenden Betonung dieses Wortes und fuhr dann sanfter fort: Wie gefällt Ihnen das? Es ist das Vorspiel eines Dramas von zahllosen Akten. Noch biete ich Ihnen die Hand zum Frieden. Sein Sie freundlich und verständig, warum wollen Sie mich zwingen, tyrannisch zu sein, wo ich so gern unterthänig wäre!

Er nahte sich seinem Gegner, der stumm nachsinnend vor ihm stand, jetzt aber sich rasch umwendete, und eine Bewegung zum Fortgehen machte.

Bleiben Sie, rief der Fremde, mit starker Stimme, und hielt ihn am Arm fest, beim Himmel! Sie sollen bleiben, ich befehle es Ihnen. Sie sollen mich begleiten, ich will es so. Zwingen Sie mich nicht Gewalt zu brauchen, Ihnen wehe zu thun; Sie müssen bleiben und mich begleiten.

Der junge Mann suchte sich frei zu machen, aber der kräftige Fremde meisterte diesen Widerstand schnell. Er schien jedoch bemüht, mehr durch Worte wie durch die That jenen zur Folge zu bewegen; als dieser jedoch einen Hülfeschrei ausstieß, faßte er ihn härter an und zog ihn mehre Schritte gewaltsam fort, gerade als auf der andern Seite des Weges ein Mann daherkam, der sogleich stillstand und sich quer über den Fahrweg mit der lauten Frage näherte, was es da gäbe?

Bei dem Tone dieser Stimme bebte der Angegriffene zusammen und machte eine plötzliche krampfhaft heftige Anstrengung, sich zu befreien, indem er sich auf seinen Gegner warf, diesen mit der freien Hand heftig von sich stieß und durch einen überraschend starken Schlag ins Gesicht, seinen Arm von den umspannenden Fingern loswand. Noch ehe er fliehen konnte, fühlte er sich von Neuem festgehalten; er rang einen Augenblick, dann faßte eine stärkere Hand die des Angreifers und drängte diesen zurück. Rauhe, heftige Worte fielen.

Bleiben Sie! rief der fremde Herr, erklären Sie sich, was will man von Ihnen? Sie sind nicht ohne Schutz!

Aber dies Versprechen schien die Flucht nur eiliger zu machen. Athemlos lief er die Straße hinab, der Brücke zu und in Simon's Arme, der hinter den Bäumen hervorsprang, als er den Streit hörte.

Der Mechanikus riß ihn mit sich fort, und erst als sie jenseit des Stromes durch eine der Nebengassen entkommen waren und keinen Verfolger hinter sich hörten, lehnte sich der Entkommene gänzlich erschöpft an eine Mauer und wendete sich in abgebrochenen, schnellen Reden an seinen Freund, den er ängstlich bat, zu sehen, was aus den beiden Streitenden geworden.

Geh, sagte er, geh, guter Simon, bringe mir Nachricht, aber um Gottes willen! verrathe mich nicht.

Plötzlich richtete er sich auf. Sein todtbleiches Gesicht röthete sich heftig, er starrte in das Dunkel der Straße, als Jemand festen Schrittes sich näherte.

Da – da, flüsterte er. Halt ihn auf, er kommt, er ist es. Fort! fort!

Mit großer Schnelle lief er davon und bestürzt wendete sich Simon gegen den Nahenden um, der langsam an ihm vorüberging. Im Schein einer Laterne sah er ein männlich schönes Gesicht mit scharfblickenden Augen, die ihn aufmerksam von Kopf zu Fuß betrachteten. Dann ging er weiter, blickte noch einmal zurück, zögerte und schien etwas fragen zu wollen, setzte aber im nächsten Augenblick seinen Weg gleichgültig fort.

Simon wußte nicht, was zu thun sei. Er kannte den Herrn nicht, es war jedoch wol möglich, daß er bei dem Streit war und vielleicht zufällig gar ein Bekannter seines Bekannten, der triftige Ursache hatte, ihn zu vermeiden. Er überließ sich seinen Betrachtungen, indem er zurückeilte bis zum Platze, wo die Unterredung stattfand, allein Alles war hier öde und leer.

Eben so schnell lief er zurück, durchstrich eine Reihe von Straßen und blieb endlich vor einem stattlichen Hause stehen, an dessen Thür zwei Gasflammen brannten, in deren Schein eine Schildwacht mit gemessenen Schritten auf und niederging. Simon sah zu den Fenstern des ersten Stockwerks empor, wo hinter schweren Seidengardinen ein Lichtschein unruhig hin und her schwankte, dann murmelte er etwas vor sich hin, lief durch ein Gäßchen und kam an einem der Kanäle wieder hervor, an welchem die Gartenwände der großen Häuser jener Hauptstraße sich hinziehen.

Hier faßte er an ein Pförtchen; es war verschlossen; dann hob er sich hoch an der Mauer auf, blickte die Gänge hinab auf das spärlich erhellte Haus und trat langsam seinen Rückweg an, im träumerischen Sinnen viele Umwege machend, bis er die arme Wohnung seiner Mutter erreichte, als der Wächter längst die zehnte Stunde gepfiffen hatte.

Er fand die Kellerthür angelehnt und schob leise den Riegel vor. Die alte Frau, welche er längst im Schlaf vermuthete, trat mit der Lampe ihm entgegen und machte ein so freundliches Gesicht, wie er es lange nicht bei ihr gesehen.

Endlich bist Du da, mein Sohn, sagte sie und nahm ihn bei der Hand. Gott sei gelobt! Angst und bange ist mir geworden, so habe ich Dich sehnsüchtig erwartet! Komm nur herein, komm nur geschwind, fuhr sie dann lachend fort, müde wirst Du wol sein und hungrig auch; da iß nun und trink, was der Herr uns bescheert hat.

Mit einem Blick des Erstaunens stand Simon an der Thür still. Der Tisch war gedeckt, ein weißes Tuch lag auf der groben Platte, Teller und Messer blank und rein, ein weißes Brod, Butter und Käse, in der Mitte aber eine Schüssel mit einem großen Stück gebratenem Fleisch, Erdtoffeln und Sallat. Alle diese Herrlichkeiten wurden von zwei Lichtern beschienen, von denen eines auf einem zerbrochenen Leuchter, das andere auf dem Hals einer Flasche stand, die brüderlich sich an eine andere kleinere lehnte, welche wohlgefüllt war und einen starken gewürzigen Geruch verbreitete.

Die alte Frau schlug in die Hände vor Freude über das Erstaunen Simons, der plötzlich mit Heftigkeit fragte, woher das Alles gekommen sei?

Ja, das sollst Du rathen, rief die Mutter listig. Gute Feen gibt es nicht mehr, Wunder geschehen auch nicht, und doch ist Alles da, als hätten wir das Tischchen, Tischchen, decke dich! gefunden.

Hast Du's geborgt? sagte Simon traurig.

Gott bewahre, rief die Alte, wer borgt mir denn wol noch etwas. Nein, nein, es ist Alles ehrlich bezahlt.

Wovon? fragte der Sohn und eine dunkle jähe Röthe überdeckte ihn, als seine Mutter jetzt unter ihrer Schürze eine Börse hervorzog, von Gold und Stahl gewebt, lang und fein, zu beiden Seiten aber schwer herabhängend.

Siehst Du wol, sagte sie, so kehren Gottes Engel noch immer dann und wann bei den Elenden und Geschlagenen ein und bringen Hülfe, wenn die Noth am größten ist. Wie Du gingst, stand der liebe Herr einen Augenblick bei mir still, und daß Du es ja nicht sahst, drückte er leise mir die Börse in die Hand. Und das war recht so; denn Du mit Deinem hochmüthigen Sinn hättest es doch nimmermehr genommen. Aber nun sei gut, liebster Simon, sei froh und wohlgemuth. Heut werde ich ohne Seufzer einschlafen können und morgen ohne Thränen aufwachen, denn ich kann bezahlen und mein Auge aufschlagen, wenn ein Mensch kommt. Es wird gewiß besser mit uns werden.

Simon hatte sich an den Tisch gesetzt, seiner Mutter die Börse fortgenommen und deren Inhalt vor sich ausgeschüttet. Sechs Goldstücke fielen aus der einen Hälfte, aus der andern sieben blanke Doppelthaler; den achten hatte die alte Frau schon gewechselt und den dicken Wirth auf der andern Seite in kein geringes Erstaunen und Nachgrübeln versetzt.

Während sie aßen, ließ Simon der geschwätzigen Freude seiner Mutter vollen Willen. Einsilbig, wie immer, starrte er auf das Geld. Zuweilen blitzten seine großen Augen von einem schnellen Feuer und die Muskeln seines Gesichtes zuckten krampfhaft. Seine Lippen klemmten sich zusammen, er schlug die Arme so fest um seine Brust, als wolle er das Herz darin zerdrücken. Dann ließ er den Kopf tief sinken und erhob ihn wieder so heftig und mit solchem Ausdruck von Schmerz und Leidenschaft in seinen Zügen, daß seine Mutter, die diesen Krankheitszufall ihres Sohnes wol öfter gesehen hatte, ihn ängstlich anblickte und nach manchen vergebenen Fragen kummervoller ihr Lager suchte, als sie gemeint hatte.

In der Nacht wachte sie mehrmals auf und sah Simon noch immer am Tische bewegungslos starr das Geld vor sich, die Augen weit offen darauf gerichtet. Sie getraute sich nicht etwas zu sagen. Simon war folgsam und gut und liebte die alte Mutter zärtlich, aber dennoch hatte diese eine Scheu vor seinem stillen, düstern Wesen. Somit begnügte sie sich leise über das unnütz verbrannte Oel und Licht zu seufzen und sich mit dem Gelde zu trösten, das Alles wieder gut machte.


4.

Am nächsten Morgen, als es kaum dämmerte, saß Herr Schröder schon auf seinem Sopha, oder vielmehr er lag darauf ganz behaglich ausgestreckt in Schlafrock und Pantoffeln, eine weiße Nachtmütze halb auf Kopf und Ohren, vor sich die Kaffeemaschine mit der blau fackelnden Spiritusflamme, im Munde die Pfeife mit dem langen Weichselrohre Gefertigt aus dem Holz des Weichselkirschbaums. »Weichsel« bezeichnet vorwiegend im Oberdeutschen die Sauerkirsche. und der Bernsteinspitze und in der Hand eine Zeitung, aus welcher er eifrig die Auctionen und Verkäufe, die Subhastationen Subhastation: Zwangsversteigerung. und öffentlichen Bekanntmachungen studirte, indem er zugleich dann und wann eine Bemerkung in seine aufgeschlagene Brieftasche schrieb.

Mitten in dieser angenehmen Beschäftigung wurde er aber durch ein leises Klopfen an der Thür unterbrochen, die sich aufklinkte und einen Mann hereinschlüpfen ließ, der mit einem gewissen Grad unverschämter Vertraulichkeit sich überall umsah, den Hut auf dem Kopf behielt, die Hände in die Taschen steckte und dem Commissionair seinen guten Morgen zunickte.

Was zum Henker, Rosenthal, sagte Herr Schröder, plagt Euch Dieser und Jener, hier bei mir einzubrechen?

Nur ein paar Worte, versetzte der Jude, indem er einen Stuhl nahm, sich an dem Tisch niederließ, mit der einen Hand die Kaffeemaschine ergriff und umdrehte, mit der andern Herrn Schröder die Tasse vor der Nase entführte, den Hahn aufzog, den schwarzen Trank einfließen ließ, einen raschen allmächtigen Griff in die Zuckerdose that, den Theelöffel benutzte und nun wohlgefällig trank, Alles zum unaussprechlichen geheimen Aerger des Commissionairs, obwol er so sanft als möglich dazu lächelte und nichts sagte.

Nur ein paar Worte, Gevatter, sagte der Jude lachend und hustend, als er absetzte, weil es ihm zu heiß war, dann gehe ich sogleich, was so wenig Jemand merken wird, als mein Kommen.

Was hast Du mir denn Gutes zu melden, Jacöbchen? fragte Herr Schröder.

Was Euch Freude macht, Gevatter, versetzte Rosenthal, indem er hart über Schröders Arm, der eine parirende Bewegung machte, ein Milchbrod mit vieler Geschicklichkeit aus dem Körbchen holte, heut Abend hat er uns bestellt.

Wer? Er?! rief der kleine Mann.

Wer sonst, sagte der Jude. Punkt neun sind wir drin.

Und ich sage Dir, flüsterte Herr Schröder mit satanischem Entzücken, indem er seine Hand fest auf Rosenthals Arm legte, Ihr sollt nicht wieder herauskommen.

Uebrigens, was mich betrifft, fuhr der Jude fort, indem er das andere Brödchen nahm; das Schröder ihm diesmal willig überließ, so bleibt es natürlich bei unserer Abrede.

Darauf verlaß Dich, erwiderte der Commissionair feierlich, ich halte mein Wort als ein christlicher, rechtschaffener Mann.

Der Andere lachte hell auf.

Schon gut, schon gut! Ihr seid ein rechtschaffener Christ, das ist ganz in der Ordnung, wir kennen uns, Gevatter, Ihr werdet mich nicht stecken lassen, weil ich Manches beichten könnte, was Euch nicht gefällt. Mit ihm macht, was Ihr wollt. Es ist sonst nicht meine Sache, einen braven Kerl zu verrathen, der gehört aber nicht zu uns, er hat kein Wesen danach, und es kann ihm nicht schaden, wenn er Erfahrungen macht. Jetzt aber kommt die Hauptsache, fuhr er listig umschauend fort. Rückt das Geld heraus, Gevatter!

Was meinst Du denn, Jacöbchen? sagte der Commissionair verwundert.

Das Fanggeld, das Blutgeld, versetzte der Jude ungeduldig, was Ihr Versprochen habt.

O! Du Judas, lachte Herr Schröder, haben wir ihn denn schon? Fest muß er sein und sicher sitzen, dann wollen wir sehen.

Die schwarzen, funkelnden Augen des Diebes fuhren forschend über das fette Gesicht des kleinen Mannes. Er kämpfte einen Augenblick mit sich selbst, dann hob er drohend den Finger auf und sagte lustig:

Mann Gottes, laßt Euch nicht einfallen, mich zu übertölpeln. Betrügt, wen Ihr wollt, die Priester und die Leviten, aber Jacöbchen will haben, was ihm gebührt.

Und das soll Dir auch gewiß werden, betheuerte der Commissionair, so wahr ein Gott lebt.

Das pfiffige Gesicht des Israeliten verzog sich spöttisch. Er hatte den Doppelsinn recht gut gemerkt, und indem er das letzte Stück Zucker in den Mund steckte und den Rest der Sahne hinterher goß, sagte er:

Gevatter, Jedem wird, was ihm gebührt und wenn Eure Frömmigkeit nicht einmal ganz exemplarisch belohnt wird, so höre ich auf an Gott und Gerechtigkeit zu glauben.

Frevelnder Sünder! rief Herr Schröder, Du wirst auch gezüchtigt werden zu seiner Zeit. Wenn Du aber jetzt wirklich gehen willst, fuhr er gelassen fort, so lege erst den Theelöffel wieder an seinen Platz, der sich ganz zufällig in Deine linke Rocktasche verirrt hat.

Rosenthal, schlug ein lautes Gelächter auf, indem er wirklich den Theelöffel seines Gönners aus der Tasche zog.

Es wäre meine Freude gewesen, schrie er, wenn's Löffelchen mein geblieben, da es aber nichts damit ist, auch kein Moos zu erlangen steht, wie wär's denn, wenn wir ein Händelchen machten? Ich habe diese Nacht funfzehn Löffel, große und kleine gefunden, Gott hilft immer einem armen Menschen, nun was thut man damit? Man verkauft's, je eher, je lieber.

Er zog bei diesen Worten ein Päckchen hervor. Herr Schröder stützte nachdenklich den Kopf in die Hand und sah starr und gierig auf die langen, beweglichen Finger des Juden, der den Knoten löste; plötzlich aber horchte er auf, denn draußen ließen sich Schritte hören und gleich darauf wurde geklopft. Der Commissionair deutete auf das Hinterzimmer und Rosenthal war mit einem Sprunge hinein, als Herr Schröder aber die andere Thür öffnete, prallte er zurück. Simon stand vor ihm.

Was der Tausend! sagte er nach einer stummen Pause, während welcher er den Ankömmling forschend betrachtet hatte, der ein paar Schritte weiter gegangen war; unverhofft kommt oft, was hat's denn zu bedeuten?

Er runzelte dabei die Stirn und blies eine Wolke von Tabaksdampf in Simons Gesicht.

Ich komme wegen der Miethe, Herr Schröder, begann dieser.

Die Ihr nicht bezahlen könnt, schrie der Commissionair, o ja und das Andere, kann ich mir Alles denken. Ihr habt Euch beklagt, Simon, daß ich nicht gut auf Euch zu sprechen sei, vielleicht hat es die Alte Euch wieder gesagt, was ich vom Faulenzen und Umhertreiben zu ihr geredet, von Tagedieberei und Müßiggang, und ich leugne es nicht, nein, Gott soll mir helfen! Müßiggang ist aller Laster Anfang, ich sage es Euch ins Gesicht, verlaßt Eure alte Mutter, der Ihr zur Last liegt und fromme, gerechte Leute werden sich ihrer annehmen, aber Ihr, pfui! ein junger Mensch, pfui! der umherlungert, gegen Gottes Gebote sündigt, pfui! und – und – Was starrt Ihr mich so an, sagte er in seiner Rede verwirrt, es ist unverschämt, was wollt Ihr hier? Ich kann und will Euch nicht langer im Hause dulden.

Und ich, sagte Simon mit Nachdruck, kann und will es nicht verlassen.

So, so, rief Herr Schröder spöttisch, nun das wird sich alles finden. Das ist recht von Euch; man muß nirgend eher gehen, bis man muß, bis man hinausgeworfen wird.

Daß das nicht geschieht, erwiderte der Mechanikus, darum bin ich gekommen. Ich bringe Ihnen die rückständige Miethe.

Zum unaussprechlichen Erstaunen des kleinen Mannes trat er an den Tisch und legte siebenzehn blanke Thaler darauf. Das letzte Vierteljahr ist zwar noch nicht ganz abgelaufen, ich bezahle es jedoch im Voraus mit. Geben Sie mir die Quittung.

Herr Schröder wußte nicht, wie ihm geschah. Er sah bald das Geld, bald den Zahler an, schüttelte den Kopf, hustete, versuchte zu sprechen, stellte aber dann seine Pfeife fort und schrieb die Quittung, wobei er sich oft nach Simon und dem Gelde umsah, in der Meinung, Alles sei Lug und Trug und Teufelsspuk, der in Schaum und Rauch. vergehen werde.

Beide blieben jedoch an ihrer Stelle und als Simon die Quittung überlesen und eingesteckt hatte, sagte er einen kurzen guten Morgen und ging nach der Thür.

Plötzlich aber fühlte er sich festgehalten. Herr Schröder mit einem fast ängstlichen Gesicht schob sich vor den Ausgang und lächelte ihm freundlich an, indem er mit den Händen ihn zurückhielt.

Halt da, Simon, sagte er, Sie sollen nicht von mir gehen, ohne daß wir als gute Freunde schieden, denn der Himmel ist mein Zeuge, Niemand kann mehr Antheil an Allem nehmen, was Ihnen begegnet, als ich. Darum freue ich mich auch sehr, daß Ihnen ein unverhofftes Glück begegnet ist, und tausend gegen eins will ich wetten, es kommt von dem jungen Herrn von gestern Abend. Was? Hoho! Ich laß es mir nicht nehmen, er war doch da, ja ich weiß es gewiß, denn, hier hielt er inne, nickte vertraulich und hämisch mit seinem dicken Kopfe und schrie dann: Nun, was geht es mich an, leben und leben lassen, die Welt ist rund und das Leben ist bunt, macht, was Ihr wollt, aber das sag ich, Simon, jeder muß wissen, was er thut, ja wahrhaftig, das ist die Hauptsache.

Ich weiß es genau, was ich thue, versetzte der Mechanikus.

Klug muß man sein, rief der Commissionair lachend, sonst wird man klug gemacht. Ihr seid aber ein pfiffiger Patron, Simon, Ihr habt Verbindungen, an die kein Mensch denkt, Ihr macht die Leute neugierig und führt selbst die Polizei gehörig hinters Licht. Wo habt Ihr den jungen Menschen mit dem spanischen Mantel gestern gelassen? He, bekennt, und ich gebe Euch einen Thaler, zwei Thaler, drei Thaler! Bei unserm Herrn und Heiland! ich mein' es gut mit Euch, und Ihr sollt es nicht bereuen, wenn Ihr mir Alles sagt.

Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Herr Schröder, versetzte Simon, wie denn überhaupt wol zwischen uns weder Freundschaft noch Vertrauen bestehen kann.

Nicht? rief Herr Schröder; o Je! nicht? warum denn nicht?

Weil mich ekelt, wenn ich Sie ansehe, sagte Simon ruhig. Weil ich Sie verachte und verabscheue, weil Ihre Berührung, Ihre Nähe mir ein Nervenfieber machen könnte.

Was Sie für ein spaßhafter junger Mensch sind, Simon, rief der Commissionair und schlug sanft mit der Pfeife nach Jenem, hi, hi, hi! wahrhaftig, wer's nicht besser wüßte, konnte es für Ernst halten und übel nehmen. Aber der Herr im Mantel war doch im Keller, ich habe ihn ja selbst herauskommen sehen, und was meinen Anblick betrifft, wenn der so abscheulich für Sie wäre, nun, du lieber Gott! dem könnten Sie ja leicht aus dem Wege gehen, Sie brauchten ja nur auszuziehen; ja, wirklich, warum ziehen Sie nicht aus, Simon? Sie sagen, Sie können und wollen nicht ausziehen, warum können und wollen Sie nicht? he! was steckt dahinter? was hat das wieder für eine Bedeutung?

Ich will es Ihnen sagen, erwiderte Simon, und indem er dicht an den Commissionair trat, ergriff er dessen Arm so fest, als sei eine eiserne Klammer darum gelegt; zugleich deutete er mit der linken Hand auf den Spiegelhaken zwischen den Fenstern und sagte mit seiner starken tiefen Stimme: An jenem Haken dort, hat mein unglücklicher Vater gehangen, nachdem er von Dir ausgepfändet und zur Verzweiflung getrieben war, ich aber will nicht eher aus diesem Hause weichen, bis ich seinen Mörder dort hangen sehe, an derselben Stelle erwürgt und blau, mit heraushängender Zunge, dieser Zunge, die so viel Unglück gestiftet hat. Das ist es, was mich hier festhält, und so wird es auch geschehen; verlaß Dich darauf, Du elender Schurke; erinnere Dich meiner Worte jeden Tag, jede Nacht. Lache nicht, krümme Dich nicht. Der Teufel wird sie Dir zuflüstern, Du wirst sie nicht vergessen. Mein Vater ist mir oft im Traum erschienen und hat es mir gesagt, wend ich daran dachte ihn zu rächen. Räche mich nicht, sagte er, er wird es selbst thun. Seine eigene verfluchte Hand wird seinen Hals zuschnüren. Die Verzweiflung der Sünde wird über ihn kommen, ehe er's denkt, die Qualen des Gewissens werden ihn aus dem Leben jagen, und diese Stunde erwarte ich nun, darum will und muß ich bleiben.

Herr Schröder stand noch eine lange Zeit, wie betäubt, mit einem seltsam verzerrten Lachen auf seinem Gesicht.

Narrenspossen! murmelte er. Aufhängen? Ich? Ha, ha! warte Du Spitzbube! Er warf einen scheuen Blick auf den schwarzen Haken, der über dem Spiegel hervorsah und wendete sich dann schnell fort, indem er die Hand an seinen Hals legte. Es, muß doch fatal sein, sagte er, so zugeschnürt, braun und blau, und die Zunge, was sagte er von der Zunge? Verfluchter Gedanke! Nichtswürdiger Vagabond! das sollst Du mir büßen; lachen will ich, aber Du – Du –

Der Jude steckte den Kopf durch die Thür.

Nun, Gevatter, sagte er kichernd, hängen ist immer besser wie köpfen, Ihr seht aber aus, als säße der Strick schon fest um Euren Hals.

Halt's Maul! schrie der Commissionair und ballte die Faust. Plötzlich aber verging der Zorn, er lächelte und strich die Falten fort. Laß das dumme Zeug sein, Jaköbchen, sagte er, zum Hängen gehört ein Strick und es ist nicht wahr, daß man den so leicht findet. Hol Deine Waare heraus, ich will sehen, ob sie zu brauchen ist.


5.

Ein paar Stunden später stand Herr Schröder auf dem Teppich eines eleganten Vorzimmers und schien beschäftigt mit dem edlen Geschäft des Horchens, denn er hielt sein Ohr an den Spalt einer großen Flügelthür und wechselte zuweilen ab, indem er sich bückte und das Auge ans Schlüsselloch brachte. Wenn er ein Geräusch hörte, sprang er mit einem schnellen Katzensprunge zurück, trippelte hin und her und ging dann wieder auf den Fußspitzen auf den alten Platz.

Nach einigen Minuten ward die hintere Thür geöffnet, Herr Schröder richtete sich auf, aber er blieb stehen, als er sah, daß es nur ein alter Bekannter in Livree war, dem er einen stummen guten Morgen zunickte und dann die Hand ausstreckte, welche der Diener schüttelte. Hierauf griff er in die tiefe Tasche seines blauen Leibrocks, holte eine Dose hervor und bot eine Prise, die jener eben so schweigend nahm.

Es dauert ja heut abscheulich lange, flüsterte der Commissionair.

Es ist eine Familienpredigt, sagte der alte Mann spöttisch mit den Augen zwinkend.

Wer ist denn bei ihm?

Der junge Herr.

Im Augenblick schellte draußen eine Klingel, deren Ton der Diener folgte und dem Lauscher freies Spiel ließ, welcher aufmerksam hörte.

Somit wären wir also im Reinen, sagte eine Stimme drinnen, deren schnarrend befehlenden Ton Herr Schröder sehr wohl kannte. Ich bin überzeugt, daß Dein Glück wohl begründet ist, wenn Du vernünftig bleibst, das heißt, wenn Deine Sinnesart sich von der Radirnadel der Liebe behandeln läßt und Licht und Schatten zu einem hübschen Bilde gibt.

Meine Sinnesart? erwiderte eine andere kräftige Stimme, die einem jüngern Mann angehörte.

Deine Narrheit, Ferdinand, die für Frauen zumal wenig Liebenswürdiges hat. Guter Gott! Du bist nicht auf den Kopf gefallen, aber Deine Seltsamkeiten, wie soll ich es nennen, Deine schlechten Sitten in der Gesellschaft haben ja von jeher Dich fast zu einem jungen Bären gemacht.

Der nicht tanzen und die Hand küssen wollte auf Commando, rief der junge Mann lachend. Ich verachte diese trostlosen Gesellschaften.

Und darum verachteten sie Dich auch, sagte der Vater. Junger Mensch, Du wüthest gegen Dein eigen Fleisch, Du läufst wie ein Blinder durch die Welt, stößt an alle Ecken und hast nicht die Einsicht, Dich zur Vorsicht zu ermahnen, sondern schiebst die Schuld auf alles Andere, nur nicht auf Dich. Runzle Deine Stirn nicht, fuhr er fort, es fehlt Dir an Einsicht, an Lebensklugheit, an Biegsamkeit, an Nachdenken, alle übrigen guten Eigenschaften will ich dir gern lassen und somit bin ich froh, daß sich eine gute Partie für Dich gefunden hat, denn ich, das weißt Du, ich brauche, was ich habe und aufrichtig gesagt, Ferdinand, Deine Erbschaft wird nicht groß sein, weil, was ich Dir hinterlassen könnte, Du nicht magst. Stellung, Rang, Würde, Einfluß. Bah! Das kostet Arbeit und vor allen Dingen Gehorsam, Gesinnung, Eifer für den Dienst und Unterwerfung, strenge Unterwerfung.

Wenn ich wüßte, erwiderte der Sohn nach einer Pause, daß diese Verbindung, nur darum geschlossen werden sollte, um mich in den Besitz eines bedeutenden Vermögens zu bringen –

So wärst Du im Stande, rief der Vater hell auflachend, großmüthig wie ein Prinz zu handeln. Das kann ich denken, aber glücklicher Weise ist Florentine so närrisch gewesen, sich in Dich zu verlieben. Sonderbar, daß die Liebe so launenhaft sein kann und so großherzig, selten einen Menschen zu vergessen, wie ungeberdig er sich auch stellen mag. Doch Scherz bei Seite, es ist einmal so, ich muß Dir gratuliren. Sie hängt an Deinen Blicken, das gute Kind, wie an einem Heiligen, aber ich muß eilen, ehe die Mutter nicht etwa entdeckt, welch ein unsauberer Geist seinen Wohnsitz in Dir hat.

Florentinens Liebe macht mich glücklich, sagte der junge Mann, aber ich kann es nicht billigen, lieber Vater, daß, um der Schwäche der Mutter zu schmeicheln, Du selbst –

Vollende immerhin Deinen Satz, fiel der alte Herr ein, er wird nur einen neuen Irrthum aufdecken.

Es entstand eine Pause, dann wurden die Stühle gerückt und offenbar mit gereiztem Zone begann die vorige Stimme wieder:

Ich gehöre nicht zu den Stillen im Lande, zu den Gescheitelten, zu den Gebückten, zu den Schleichern und Augenverdrehern, aber noch viel weniger zu Denen, die Himmel und Erde umkehren, und statt des Glaubens, Liebens und Hoffens ihrer Väter, den luftigen Tempel ihres Unsinns, den sie Vernunft nennen, aufbauen möchten. Du hast Dich von solchen Jugendschwärmereien anstecken lassen, werde alt und sie fallen ab, wie Träume. Ich liebe, achte und ehre wahre Frömmigkeit, wahren Glauben, denn durch die Fährnisse des Lebens ist dieser allein eine sichere Stube. So dem Menschen, so dem Staatsmann, so dem guten Bürger. Der meuterischen Brut, die ihre Hand frech an das Heiligste legt, kann nichts mehr ehrwürdig sein, darum ist es Pflicht, sie aus dem Hause zu werfen und ihr Haar und Nägel zu beschneiden, wie es geht.

Und dies Streben der Jugend, dies Ringen nach Wahrheit und Licht, ist es doch allein, was in Zeiten der Noth helfen kann und geholfen hat, rief der junge Mann.

Licht! Wahrheit! Aufklärung! rief der alte Herr, ja das sind die gloriosen Worte, die zu Kainszeichen an ihren Stirnen werden. Ferdinand, Du bist ein größerer Narr, als ich dachte. Ein berühmter Mann, ein weiser Fürst, der Kaiser Franz von Oestreich, pflegte zu sagen: Ich brauche keine gelehrten, sondern nur gute Bürger! und da steckt es: gute Bürger! davon habt ihr keinen Begriff. Ein guter Christ kann nur ein guter Bürger und ein guter Bürger ein guter Christ sein, denn gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, das ist das Grundelement alles Guten, darin liegt aller Glaube und Gehorsam. Das freche Treiben der Zeit aber führt zur Auflösung aller Bande der Gesellschaft, deshalb liegt die allgemeine Sicherheit im Schutz der frommen Gesinnung, die gute Gesinnung ist, und deshalb ist die Wiederaufrichtung des wahren Glaubens – doch kurz und gut, brechen wir ab, nur soviel noch: Wenn ich der Geheimräthin recht gebe und ihre Ansichten unterstütze, so ist das meine Ueberzeugung. Die Guten müssen sich zusammenthun, weil sie den Bösen widerstehen sollen, und Du bist sehr kindisch, Dich dabei wie ein Mensch zu geberden, der eine schreckliche Medicin verschluckt hat, die ihm in der Kehle stecken geblieben ist. Ich hoffe jedoch, Du wirst noch einmal den Abendgesellschaften Deiner Schwiegermutter Ehre machen und nun: guten Morgen! Laß mich allein.

Es erfolgte eine Stille, eine Thür wurde auf- und zugemacht, dann war es wieder ruhig, endlich aber erscholl drinnen ein kurzes, kräftiges Gelächter und gleich darauf ward die Klingel gezogen. Der alte Bediente stürzte herein, gab dem Wartenden einen Wink und schlüpfte demüthig ins Zimmer seines Herrn, nachdem er vorher sein lachendes, spöttisches Gesicht in ein sehr ehrbares verwandelt hatte.

Einen Augenblick darauf hörte Herr Schröder sagen:

Er soll hereinkommen! und in der nächsten Minute stand er auf der Schwelle und manövrirte mit drei tiefen Bücklingen drei Schritte vorwärts, worauf er die Augen aufschlug und den mächtigen Gönner vor sich im Lehnstuhle sitzen sah, umringt von einigen Aktenstücken, auf welche er soeben die goldene Tabatiere legte und aus gedankenvollen Grübeleien aufzublicken schien.

Es war ein ältlicher Herr im einfachen Morgenkleide mit scharfgeschnittenem Gesicht, weißem Haar, röthlicher Farbe, hoher faltiger Stirn und gebietendem Wesen, dessen Strenge durch ein schlaues Lächeln, das dann und wann durch seine Züge lief, gemildert ward. Seine grauen Augen hatten einen kalten, abweisenden Blick, der Anbetung oder Unterwürfigkeit zu fordern schien; er nickte leise zu den drei tiefen Rückenkrümmungen des Commissionairs und sagte dann mit freundlicher Herablassung:

Sieh da, Herr Schröder, wir haben uns lange nicht gesehen.

Gnädiger Herr, erwiderte der beglückte kleine Mann, haben nicht geruht zu befehlen.

Aber ich habe von Ihnen gehört, fuhr der hohe Gönner fort. Sie halten sich wacker. Sie machen sich nützlich, Sie unterstützen die Behörde mit ihrem redlichen Eifer.

O! mein allergnädigster Herr, rief der Commissionair und machte einen Katzenbuckel, Schuldigkeit, unterthänigste Schuldigkeit, weiter nichts.

Und in der neusten Zeit, fuhr jener fort, haben Sie Ihre Domaine erweitert, Ihre Aufmerksamkeit auf die Politik gerichtet, mit frommen Sinne, zum Wohlgefallen Gottes und der Menschen das wuchernde Unkraut den Gärtnern überliefert.

Einige kleine Beobachtungen in Kaffeehäusern und öffentlichen Orten, sagte Herr Schröder. Es gehört zu meinem Privatvergnügen die Raisonneure zu belauschen und Anzeige zu machen. Es ist fürchterlich, gnädiger Herr, was da gesprochen wird; es ist merkwürdig, was die Menschen für Freiheit haben und daß man ihnen kein Schloß anlegt.

Schloß und Kette, sagte der alte Herr lächelnd und nickte langsam: kommt Zeit, kommt Rath. Aber wir müssen daran denken, Ihnen einen Titel zu geben, Schröder, so etwa wie: Wirklicher, Geheimer, hoher Polizei Hülfsspioneriebrigaden Superassistent. Was meinen Sie dazu?

Herr Schröder ging auf den gnädigen Scherz seines Gönners ein und sagte einschmeichelnd:

Es ist ein langer Titel, Ew. Gnaden, ich würde es lieber sehen, wenn ich etwa: Beaufsichtigungsrath der öffentlichen Meinung oder so dergleichen bekommen könnte.

Der alte Herr lachte laut auf.

Wahrhaftig, sagte er, da haben Sie einen neuen Rathstitel erfunden, das ist etwas werth in unserer Zeit; aber, guter Freund, lassen Sie sich wenigstens für jetzt einen Rath geben. Wir sehen Leuten, die sich um uns verdient machen, gern ein wenig durch die Finger, wenn sie es nicht zu arg treiben, wenn sie nicht etwa die Staatsgesetze gegen sich herausfodern mit Wucher, Hehlergeschäften, Betrug und mehr solchen verbotenen Dingen. Ich sage Ihnen das nicht zur Warnung, Schröder, sondern zur Belehrung. Mit den Gesetzen ist nicht zu spaßen; ihre eisernen Finger halten fest, was sie haben, und wenn es einmal soweit ist, muß die Gerechtigkeit ihren Lauf haben, wie es sich gehört. Es liegen Anzeigen gegen Sie vor.

Verleumdungen, nichtswürdige Verleumdungen, sagte Herr Schröder erschrocken und mit jammervoller Stimme, indem er die Hand aufs Herz legte und die Augen zum Himmel erhob. Ich habe Feinde.

Gut, es mögen Verleumdungen sein, erwiderte der vornehme Herr, Sie mögen Feinde haben, ich habe auch welche und keine geringe Anzahl, aber, hier hob er drohend und bedächtig den Finger auf, um so mehr muß man den rechten Weg wandeln.

Du lieber Gott! rief der Commissionair, weil ich unermüdlich thätig bin, zu verdienen suche, wie es immer gehen will; weil ich keine Mühe scheue und keine Arbeit, um meinem Nächsten zu dienen mit Rath und That, und der Himmel, zu dem ich täglich bete, mein Bestreben segnet, darum verfolgt man einen armen Mann, der nichts thut, was nicht weit größere angesehenere Leute tausendmal gethan haben.

Herr Aufsichtsrath, sagte der alte Herr, der trotz seiner spöttischen Miene den Commissionair mit einem Blick ansah, der diesen zittern machte, vergessen Sie nie, daß in dieser Welt die kleinen Diebe aufgehangen werden. Doch nun lassen Sie uns von einer erfreulicheren Angelegenheit sprechen.

Schröder machte eine tiefe Verbeugung und der gnädige Herr fuhr fort:

Ich will Sie mit einem Auftrage bedenken; ich habe ein kleines Capital nöthig, hier machte er eine Pause, in welcher er den Commissionair freundlich lächelnd ansah. Ich brauche zu Ausführung häuslicher Angelegenheiten zwei tausend Thaler, die ich reichlich mit fünf Procent verzinsen und zur gehörigen Zeit zurückzahlen will. Sie werden mir diese Anleihe machen können.

Ich, sagte Herr Schröder stotternd, ich selbst, o Gott! mit Entzücken, Alles, was ich habe; aber, allein – ich bin keineswegs ein Mann, der Geld hat.

Gut, gut, erwiderte der alte Herr lächelnd, diese Sprache kennen wir. Sie haben aber Freunde, Bekannte, die Geld besitzen.

Es käme auf den Versuch an, meinte der Commissionair nachdenkend, ich werde mich bestreben, Ew. Gnaden Befehle zu vollziehen, nur –

So eilen Sie, sagte der Gönner, indem er sich zu seinem Bureau wandte und bringen Sie mir bald Nachricht, lieber Schröder.

Nur, flüsterte der kleine Mann gedehnt, nur –

Nun was? Nur –

Nur das Eine – Excellenz glauben nicht, wie schlecht diese Welt ist – nur in Betreff der nöthigen Sicherheit.

Ich gebe meine Handschrift, sagte der alte Herr stolz, einen Schuldschein mit Stempel und Siegel in bester Rechtsgültigkeit. Nun eilen Sie, mein guter Schröder, fördern Sie diese Angelegenheit und seien Sie meiner Erkenntlichkeit gewiß.

Er winkte mit der Hand und der Commissionair empfahl sich. Wie er hinaus war, sah sich der gnädige Herr um und seine Hand drückte die Feder heftig zusammen.

Der elende gemeine Kerl, murmelte er, ich sah es dem Schuft an, daß er bösen Willen hat. Es ist ein wahres, Elend, daß man solche Werkzeuge dulden, und sie nicht mit Füßen hinausstoßen kann.

Plötzlich lachte er in seiner Weise laut auf und strich die Falten von der Stirn.

Mag die Canaille laufen, ich will sein Geld nicht, mein Sohn kann sich selbst schaffen, was er nöthig hat.

 

Herr Schröder war mit gebeugtem Gesicht durch die Vorsäle geschlichen, an der Thür aber blieb er stehen, den Drücker in der Hand und sah kopfschüttelnd zurück.

Eine Verschreibung, murmelte er zwischen den Zähnen, sie ist nicht acht Groschen werth, er hat Schulden wie – er dachte nach, was der hohe Gönner werth sei. Ich müßte ja der größte Esel sein, rief er endlich halblaut, zwei tausend Thaler auf die Straße werfen, wie Lumpen; was kann er mir helfen oder schaden? Nein, Ew. Gnaden, leben Sie wohl. Ew. Gnaden, keine Antwort ist auch eine Antwort, und der Teufel soll mich holen, wenn ich je wieder hier –

Im Augenblick sprachen draußen mehre laute Stimmen, und die Thür ward so schnell aufgemacht, daß Herr Schröder mit einem tüchtigen Stoß zur Seite taumelte.

Nehmen Sie's ja nicht übel, sagte er unterthänig, trotz seiner Schmerzen, als eine wohlbeleibte, vornehm geputzte Dame hereintrat, der eine andere, weit jüngere, am Arme eines Herrn folgte.

Herr Schröder riß die Augen auf und begleitete mit einem langen Blicke die drei Personen, bis sie im Zimmer seines gnädigen Gönners verschwanden. Den jungen Herrn mit dem schwarzen Bart rund ums Gesicht, das stolze, edle Züge hatte, erkannte er als den Sohn des Hauses, aber weit auffallender war ihm die junge Dame, welche groß, schlank, leicht angehaucht von einer Röthe, die zu verschwinden schien, als sie ihr dunkles, großes Auge auf ihn richtete, wie eine Erscheinung an ihm hingerauscht war.

Sein alter Freund, der Bediente, schlug ihn listig lachend auf die Schulter und weckte ihn aus seinem Nachsinnen.

Nun, sagte er, wissen Sie jetzt, Schröder, was der gnädige Herr will?

Vollkommen. Es ist ein ausgezeichneter Mann, der immer an arme Leute denkt, ich könnte mein Leben für ihn lassen. Aber, wer waren denn die da?

Er wies mit dem Finger auf die Thür.

Das ist ja die Braut und ihre Mutter, die Geheimräthin von Waldegg.

Ah so! flüsterte Herr Schröder und Anton – er machte mit Daum und Zeigefinger die Pantomime des Geldzählens – da sind natürlich Groschen zu haben.

Einige, erwiderte der Alte, ein Gut, ein großes Haus und verschiedene andere Gegenstände.

Waldegg! Waldegg! sagte der Commissionair nachdenkend, alle Wetter! ja in der Patronenstraße, das große Haus mit dem Garten, und jetzt geht mir ein Licht auf; das ist ja die würdige Frau Geheimräthin, die Mutter der Armen, die fromme, tugendvolle, gottselige Dame, Mitglied von wenigstens zwölf christlichen Besserungs- und Hülfsvereinen und Freundin des edelherzigen Mannes, meines Beichtvaters Biedermann, der zum Wohle der Menschheit arbeitet und Sünder bekehrt.

Es kann wol sein, versetzte Anton lachend. Fromm ist sie gewiß, wir Alle haben Gebetbücher und Traktätlein geschenkt bekommen, Geld aber nicht.

Und das ist die Tochter, fuhr Schröder fort. Ich habe sie auch schon gesehen, es ist ein Gesicht, das sich nicht vergißt. Wo war es denn? Ah! – ja – nein – dummes Zeug! Hat sie einen Bruder?

Gott bewahre. Die bekommt einmal Alles allein.

Es ist sonderbar, rief der kleine Mann, nun laß gut sein. Also der heirathet sie, sieht mir aber gar nicht fromm aus. Guten Morgen, Anton.

Er ging die Treppe hinunter, den Kopf voll allerlei Gedanken, die ihn sehr beschäftigten, bis er sich an Simon erinnerte und seinen Weg zu seinem Freunde, dem Polizeibeamten nahm.


6.

In dem Zimmer des gnädigen Herrn war inzwischen eine freudige Familienfeier begangen worden.

Umarmt Euch, Kinder, rief er, und empfangt den Segen Eurer Eltern. Meine theure Florentine, Gott segne Sie, mein liebes Kind. Ferdinand, Du erhältst ein Kleinod, einen unschätzbaren Juwel, ein treues, liebendes, edles Wesen; mache sie glücklich, mein Sohn, und werde ein guter Gatte.

Hier hielt er inne und sah die Geheimräthin an, als wollte er sagen, nun ist die Reihe an Sie; dann legte er seine Arme um die Liebenden, die sich schweigend umfaßt hielten und küßte beide, worauf er ihre Hände ergriff und sie zu der Mutter leitete, welche weinend in dem großen Lehnstuhle saß.

Mein Sohn, begann diese endlich, Florentine ist die Ihrige. Sie ist christlich erzogen, einfach und demüthig, sie weiß nichts von den Sünden und Lastern dieser Welt, von den Lüsten und Begierden, die man Leidenschaften nennt. Ihr Herz ist rein und unberührt, so empfangen Sie es und ich bitte den Erlöser, Sie aufzunehmen in seinen Bund, Ihren Sinn zu erleuchten mit seiner Gnade, daß Sie eine christliche, Gott wohlgefällige Ehe führen, einen Bund schließen, den nichts lösen und trennen kann, daß die göttliche Liebe Ihre irdische heiligen und segnen möge.

Meine theure Mutter, sagte der junge Mann, indem er ihre Hand küßte, so darf ich Sie jetzt nennen, ich erkenne ganz den Schatz, den ich von Ihnen empfange. Florentinens Herz gehört mir, ich weiß es; zur ersten einzigen Liebe hat es sich aufgethan, das beglückt mich wahrhaft göttlich. Ja, dies Herz ist rein; dies schöne, stille Herz weiß nichts von den Sünden der Welt, darum liebe ich es, wie man einen Heiligen liebt, darum werde ich es ewig lieben, darum schwöre ich mich ihm zu eigen und nichts in der Welt soll mir den Glauben nehmen, als könne diese Liebe je erkalten, als könne andere Liebe dort einziehen. Wie es unmöglich ist, daß vor mir schon das süßeste Geheimniß des Lebens sich Florentinen offenbarte, so soll mein zärtliches Lieben jede Gefahr abwenden, daß dieser Bund zu lösen sei, und wenn innige, würdige Menschenliebe ein Recht auf den Beistand und auf das Wohlgefallen des allmächtigen Herrn der Welt gibt, so hoffe ich, daß wir dessen nicht unwürdig sein werden.

Man muß in tiefster Demuth glauben und anbeten, sagte die alte Dame belehrend, nicht fordern und voraussetzen, sondern bußfertig seinen Weg wandeln, so öffnen sich die Thore der Gnade.

Ferdinand hörte nicht darauf. Er war mit seiner Braut beschäftigt, deren blasses Gesicht und zitternde Hand seine Besorgniß erregte.

Sein Vater hatte daher Zeit, für ihn zu antworten, und er that dies um so lieber, weil er von seinem Sohn nichts Gutes hoffte. Während die jungen Leute sich an eines der Fenster zurückzogen und dort ein leises, zärtliches Gespräch eröffneten, setzte sich der alte Herr zur Geheimräthin und begann eine vertrauliche Mittheilung über die Zukunft des glücklichen Paares, wobei er nicht verfehlte, diese mit einem salbungsreichen Schleier frommer Gemüthlichkeit In der Biedermeierzeit hat sich die Bedeutung dieses Begriffs von »Herzlichkeit« hin zu »Behaglichkeit« gewandelt. Der vorliegende Gebrauch zeigt, dass dieses im 18. Jh. in religiösem Kontext auftauchende Wort (im Sinne von »Seelenhaftigkeit«) hier bereits in demselben Zusammenhang in ironischer Bedeutung verwendet wird. auszufüttern.

Junge Leute, sagte er, müssen durch Rath und Beispiel zur Nachfolge erzogen werden. Für Ferdinand's Herz stehe ich ein. Er hat einen feurigen weltlichen Charakter, aber die Liebe läßt ja den Löwen am Seidenfädchen lenken und Florentine wird mit ihrer Sanftmuth, ihrer kindlichen Liebenswürdigkeit und ihrem frommen reinem Sinn mehr ausrichten, als die stolzeste, gesinnungsvollste Frau, die zum Herrschen geboren scheint.

Ich hoffe allerdings, erwiderte die Dame, daß meiner Tochter christliches Gemüth einen großen Einfluß ausüben und den Sünder bekehren werde. Mein seliger Mann war eigentlich auch ein Heide und die Lüste der Welt hatten leider großen Reiz für ihn. Aber nach und nach, wie er alt wurde, blieben meine Ermahnungen und Vorstellungen nicht fruchtlos und endlich hatte ich die himmlische Freude, ihn bei den geweihten Auserwählten zu erblicken.

Dies glorreiche Beispiel, sagte der alte Herr nach einem schweren Kampfe mit seinen Gesichtsmuskeln, gibt uns die gegründete Hoffnung, daß, wenn Ferdinand einmal alt wird, er auch wol noch diesen Weg wandelt.

Ich muß bekennen, rief die Geheimräthin lebendiger, daß gerade diese Hoffnung viel dazu beigetragen hat, mir die Verbindung als eine von Gott bestimmte erscheinen zu lassen. Man soll ja Alles thun, um die Sünder zu bekehren, und wenn es möglich ist, daß dieser junge, weltlich gesinnte und von der modernen Verderbniß angesteckte Mann errettet wird, so kann es nur durch seine Liebe zu einem wahrhaft christlichen, gottergebenen Wesen geschehen.

Die ihn sanft auf den rechten Weg leitet, sagte der gnädige Herr.

Mit ihrer Tugend sein Herz entzündet, fuhr die Geheimräthin, die Hände faltend, fort.

Und das Unkraut aus dem Weizen rauft.

O Sie edler Mann! rief die alte Dame gerührt, wie erhaben klingen diese Worte.

Und wir lassen ihnen die Thaten folgen, versetzte der Präsident. Wir wollen die guten Kinder geistig und leiblich beglücken nach besten Kräften. Ich denke meinem Sohn bald eine Stellung zu bringen, wo die Arbeit auch durch reichliches Einkommen belohnt wird.

Und ich, sagte die alte Dame, verpflichte mich, wie Sie wissen, Florentinens Vermögen sogleich zu zahlen. Was ich sonst noch thue, wird von Umständen abhängen.

Aha, von der Frömmigkeit! murmelte der alte Herr, indem er mit der Hand über sein Gesicht strich. Da hast Du etwas mit dem Tuche aus Deiner Tasche gerissen, Ferdinand, sagte er, und bückte sich nach einer Visitenkarte, die an ihm niedergefallen war. Wer ist das, Baron Selben? Wer ist dieser Baron von Selben? Es existirt ein junger Mann dieses Namens hier, ein Roué von schlechtem Ruf, ist es derselbe?

Wol möglich, erwiderte Ferdinand. Ich hatte gestern ein kleines Abenteuer, bei dem ich die Bekanntschaft dieses Herrn machte.

Ein Abenteuer? sagte der Präsident. Wenn es romantisch ist, so theile es mit.

Eine Bagatelle. Zwei Männer stritten sich auf offener Straße, der Eine rief meinen Beistand an, entfloh jedoch, als ich hinzutrat und ließ mich mit dem Angreifer allein, der mir seine Karte aufdrang und wie ein Narr lachend betheuerte, daß, wenn ich ihn besuchen wollte, er mir Aufklärungen geben würde, die seltsamer und doch wahrhafter wären, wie alle Märchen der Scheherazade. Ich steckte die Karte ein und ging davon.

Hoffentlich wirst Du ihn nicht besuchen, sagte der gnädige Herr mit Nachdruck.

Wahrscheinlich nein.

Selben, sagte die Geheimräthin, ich glaube der Director von Grauhausen hat einen Bekannten, der so heißt und den wir bei ihm sahen. Er sah aus wie ein Affe mit langem Haar nach der Mode und einem Bart ums ganze Gesicht. Erinnerst Du Dich nicht, Florentine?

Nein, Mama, erwiderte das Fräulein.

Ei freilich, fuhr die alte Dame fort, es war ein häßlicher, aufgeblasener Mensch, so recht durch und durch ein Geck, der sich's den größten Ruhm weiß, als Pflastertreter seine miserable Rolle zu spielen und dem lieben Gott die Tage abzustehlen, andern Menschen zum Schaden und Schanden.

Florentine wendete sich erröthend und lächelnd ab, die Herren aber lachten laut und der Präsident sagte:

Das war ein richtiges Wort, werthe Frau. Solcher unnützen Subjecte gibt es viele. Die Röcke sitzen gut und die Handschuhe sind die Probe ihrer Tournierfähigkeit. Darin steckt ihr Geist und ihre Zukunft, das ist ihr Diplom für alle schlechten Streiche, Schuldenmachen, Aufschneiden, Kokettiren und Leichtgläubige oder Leichtsinnige ins Verderben bringen. Dieser Selben aber, wenn's der ist, den ich meine, hat einen Ruf darin, der ihn für ganz besonders befähigt erachtet, als Spieler, als Glücksritter und liebenswürdiger Bösewicht, seine Rolle zu spielen.

Und ein solches Geschöpf konnte natürlich Florentinens Aufmerksamkeit nicht erregen, sagte der Bräutigam. Das frech dumme Wesen, dessen Stempel ihm aufgedrückt ist, stößt die edlere Natur von selbst zurück. Ich freue mich, daß Sie sich seiner nicht erinnern können, daß kein Blick dieser schönen Augen an ihm haften blieb, ich finde darin einen neuen Grund der Dankbarkeit und des Stolzes, der mich glücklich macht.

Er blickte zärtlich auf die schöne Geliebte, ihre Augen begegneten sich und plötzlich hielten sie sich eng umfangen. Florentine verbarg das glühende Gesicht an seiner Brust und zugleich damit zwei Thränenströme, die unaufhaltsam darüber hinflossen. Ebenso schnell aber versiegten diese, als sie mit ungeheurer Gewalt ihnen Stillstand gebot.

Wie betäubt hörte sie den Bravoruf des Präsidenten, seine Einladung, mit Ferdinand einen Gang durch den Garten zu machen, weil er mit der Geheimräthin noch Manches zu besprechen habe, und willenlos folgte sie der leitenden Hand des Mannes, dem sie angehören sollte, lächelnd, geduldig, glücklich und doch das Herz voll von einem namenlosen Jammer, von einer Angst, die sie zu ersticken drohte; fieberhaft bebend und tief aufathmend, als endlich aus den grünen, rauschenden Büschen und Baumgruppen ein kühlender Luftzug ihr entgegenkam.

Ferdinand führte seine Braut zu einem Sitze unter der weitastigen Linde, welche an einer erhöhten Stelle im Garten stand. Die Sonne schien warm, die Bläue des Himmels lag fleckenlos auf dem Firmament.

Und dieser schöne, liebevolle Tag, sagte er, ihre Hände drückend und küssend, will prophetenartig unserm Bunde leuchten. So rein, wie er, soll unsere Zukunft sein. O, liebste Florentine, endlich sind wir allein, endlich sind die kalten fremden Worte zwischen uns verstummt, wir können ungestört empfinden, wie glücklich wir sind.

Glücklich, erwiderte sie in schmerzlicher und nach und nach gesteigerter Aufregung; Ferdinand! werden Sie es sein! werden Sie es immer sein? Ist es nicht ein Traum, den ein Augenblick zerstören kann? Ich armes, thörichtes, schwaches Kind, kann ich Sie beglücken, Sie – Sie – ach! schelten Sie mich, aber ich fühle eine Angst, eine Furcht, ein Entsetzen; Gedanken des Elends, die wie Schlangen durch Brust und Kopf laufen, mein Gott! mein Gott! was habe ich gethan, steh' mir bei in dieser Noth!

Florentine! um Gotteswillen, rief der junge Mann mit zärtlicher Besorgniß, indem er ihre gefalteten Hände öffnete und sie an sein Herz drückte, lassen Sie ab von dieser Schwärmerei der Empfindungen, die eine Folge Ihrer Erziehung ist. Ich liebe Sie, theure Florentine, ich werde Sie ewig lieben, und Sie, ja ich weiß es, Ihr Herz ist ganz und immer mein.

Sie blickte ihn mit Begeisterung und namenlosem Entzücken an.

Mein Herz, mein Beben, meine Seele, sagte sie, indem sie krampfhaft ihre Hände zusammenpreßte, ja, Ferdinand, ja, ich liebe Sie mehr – mehr wie Alles, mehr, wie ich sagen kann.

Er hielt sie in seinen Armen fest voll Seligkeit und Glück.

Womit, sagte er endlich, o! womit soll ich Dir dies Bekenntniß lohnen? Mein Stolz, meine Freude, meine Hoffnung sollst Du sein, mein Engel, der mich durch's Leben führt. Ich bin böse, heftig, hochmüthig; Du wirst mich sanft und gut machen, das fühle ich schon jetzt. Deine reine Nähe wird auf mich wirken, wie eines Gottes Nähe. Theuerste, geliebteste Florentine, hier zu Deinen Füßen, hier Du unschuldiges, kindlich gütiges Wesen will ich Dir schwören, besser und Dir ähnlicher zu werden.

In leidenschaftlicher Glut rief er diese Worte laut und mit allem Feuer der Liebe kniete er vor der schönen, weinenden Braut, ihre Hände mit Küssen und Schwüren bedeckend, als plötzlich ein lautes, höhnisches Gelächter ganz in der Nähe erscholl.

Was ist das? rief Ferdinand erschrocken und beschämt aufspringend. Die hohe Gartenmauer war ihrem Sitze gegenüber, draußen lief der Weg entlang. Florentine hatte sich schnell erhoben; wie eine Leiche bleich, die Augen starr dahin gerichtet, wo sie den Kopf eines Mannes zu erblicken glaubte.

Welcher Elende wagte diese Nichtswürdigkeit! rief der Bräutigam voll Zorn und eilte auf den Perron an der Mauer. Der rasche Hufschlag eines Pferdes ließ den Zusammenhang errathen. Er sah zurück. Florentine schwankte, sie wollte sich entfernen, sie preßte die Hand auf ihr Herz, er eilte zur Hülfe. Plötzlich stieß sie einen gellenden Schrei aus und sank ohnmächtig zu Boden.


7.

Der kleine unregelmäßige Platz, welcher nicht weit von der Wohnung Simon's belegen, an seiner einen Seite von der zerbröckelnden Mauer einer alten Kirche eingefaßt wird, war vollkommen dunkel und öde, als die scharfen Klänge der achten Stunde von der Höhe des hölzernen Thurms herabkamen. Der Wind zog durch das hohe Schieferdach und warf dann und wann kleine Stückchen herunter. Dabei rauschten die alten Pappeln, die wie lange schwankende Finger in den Nachthimmel stiegen und oben funkelten die Sterne hell und kalt, ohne unten leuchten zu können.

Zwischen den Bäumen und der Mauer ging daher ein Mann auch ganz unbemerkt auf und nieder, obwol er in seinen Bewegungen gar nicht vorsichtig war. Mit heftigen und großen Schritten maß er den Raum, stolperte über das knisternde Gerüll und Glasscherben, murmelte halblaute Worte vor sich und lehnte sich dann und wann an einen der gewaltigen narbigen Stämme, indem er ungeduldig spähend seine Augen umherschweifen ließ.

Jetzt kam ein Mensch langsam quer von der Straße herauf. Auf der Mitte des Platzes blieb er stehen, ging zur andern Seite hinüber, kehrte um und bog dann in den Winkel ein, der der Kirchenmauer gegenüberlag. Nach wenigen Schritten aber war er von dem Wartenden eingeholt, der aus seinem Verstecke vorsprang, ihn beim Arme ergriff und laut seinen Namen nannte.

Aha! Simon, erwiderte jener leise, aber still, welcher vernünftige Mensch wird einen Namen nennen! Namen sind die gefährlichsten Schlingen für ehrliche Leute, um daran aufgehängt zu werden. Verflucht, wer sie erdacht hat! Gewöhne Deine Zunge daran, bei jedem Namen einzuhalten, und ehe sie ihn leise flüstert, sieh Dich vorsichtig um, wenn Du auch mitten auf einem Platze stehst.

Gut, sagte Simon finster lächelnd, Deine Lehre ist verständig. Wer Böses thut, muß sich nicht kennen und nicht nennen, denn die rächende Hand ist hinter ihm.

Der Jude lachte vor sich hin.

Du bist ein Narr, sagte er, ich glaube, Du machst Dir Vorwürfe. Was thun wir Böses, was nicht alle Tage von ganz andern Leuten geschähe, vor denen besternte Herren den Hut abziehen. Einer betrügt und bestiehlt den Andern, so ist es in der Welt und mit Recht! Sehe Jeder zu, daß er behalte was er hat. Was braucht ein Anderer aber mehr zu haben als ich? Was soll ich verdammt sein, zu hungern und wie ein Knecht zu arbeiten, wenn ich Wege und Mittel habe wie ein Herr zu leben?

Wie ein Dieb und Schurke, sagte Simon.

Sein Begleiter stieß ein wildes Gelächter aus.

Höre, sagte er spöttisch, Du hast ein zu zartes Gewissen, um jemals ein braver Kerl zu werden. Ein Dieb, ein Schurke! Schäme Dich, wie ein Kind zu schwatzen. Wem gehört die Welt? Allen Menschen. Wer hat sie sich genommen? Wenige. Diese haben die Andern bestohlen, wir bringen das Unrecht ins Gleiche. Narr Du, geh' nach Hause und büffle im Kothe um ein Stückchen Brod, wenn Du es nicht fassen kannst. Aber warte, fuhr er fort, Deine Zeit wird auch kommen, wenn Du erst einmal ein Halsband getragen und in gute Gesellschaft gekommen bist.

Du meinst ins Gefängniß, murmelte Simon dumpf vor sich hin.

In den Salon, rief der Jude; ich sage Dir Bruder, das ist die hohe Schule. Da wirst Du zugestutzt, da hörst Du Vorlesungen, da siehst Du große Leute, deren Beispiel Dich aufrichtet, die Du bewunderst und mehr anbetest, wie ein Student seinen Professor. Dahin sollst Du mir bald und müßte ich selbst dazu helfen, denn als Kind wirst Du hineingehen und als ein Held wieder zum Vorschein kommen, der das Schrecken aller unbeschnittenen Philister sein wird.

Bei diesen Worten stand Simon plötzlich still, er sah den Juden starr an, seine Augen funkelten vor Zorn und Abscheu.

Wenn ich nicht geschworen hätte, Dich zu begleiten, sagte er, so würde ich keinen Schritt weiter thun. Dies eine Mal will ich, weil ich muß, weil es so sein soll, aber damit ist es aus, Jakob, für immer aus.

Heute willst Du wirklich ein Dieb sein, rief Rosenthal ausgelassen lachend, und morgen wieder ehrlich werden, o! Du ehrliche Haut, Du guter Simon, meinst Du, das gehe so an? Nein Kammerad, stiehl einmal und so lange Du lebst, gehörst Du zur Zunft. Du wirst es nicht los, es läßt Dir keine Ruhe, es martert Dich auf Deinem Lager, es stachelt Dich an und flüstert Dir im Traum in die Ohren; es thut sich Dir eine neue Welt auf, Du siehst die Schlüssel, die Brecheisen, die Schränke mit Geld, die Koffer, wie das funkelt, wie das lacht, Du mußt, Du mußt und wenn der Richtblock daneben stände. Haha! rief er dann, Du bist blaß Simon, mein Junge. Muth gefaßt! Wen der Teufel bei einem Haar hält, sagen sie, den läßt er nicht wieder los, recht so, drauf! fürchte Dich nicht, Narrenspossen, Teufel, Gewissen, Sünde! Altweibergeschwätz, Hurrah! Da steht der blonde Kippstein und wartet auf uns, der Kerl sieht fromm aus, wie ein Pfaffe; unschuldig, wie ein Lamm, aber um keinen Preis möchte ich seinen Segen, oder seine langen Finger an meiner Kehle haben. Aber man kann von ihm etwas lernen, seine Katzenaugen haben uns schon erkannt und er geht voran, um jedes Gespräch zu vermeiden.

Sie waren in einen belebteren Stadttheil gekommen und gingen schweigend weiter, wandten sich durch Gassen und Gäßchen, um das Gewühl und den hellen Schein der Gasflammen zu vermeiden und behielten immer den gelblichen Rock und die lange, schwankende Gestalt ihres Gefährten im Auge, der sich nie nach ihnen umsah, sondern in der Weise eines Menschen, der von seinem Tagewerk nach Haus zurückkehrt, müßig schlendernd, bald schneller, bald langsamer, dahinschritt.

Einige Male stand er still, um einer Dirne etwas zuzuflüstern, oder den Arm gewaltsam vertraulich um ihren Leib zu schlingen, was gewöhnlich mit einem Regen von Scheltworten erwidert wurde. Er hielt sich aber nicht dabei auf, sein höhnisches Lachen war die einzige Antwort. Er setzte den Hut schief in den Nacken und im Schein des Lichts beobachtete Simon seine häßlichen, gemeinen Züge, die ihm verruchter, als je, vorkamen.

Es ist einzig von dem blonden Fritz, sagte der Jude leise kichernd; es ist sonst ein so braver, vernünftiger Kerl, wie irgend einer, aber wenn er ein Mädchen sieht, wird er verrückt. Der Junge bildet sich ein, sie müßten sich Alle in ihn verlieben, so bildschön, wie er ist. Der Teufel selbst kann nicht besser aussehen. Wir haben oft den schönsten Spaß davon, aber gib Acht, da steht er still und das Erste wird sein, daß er den Hut abnimmt und das Erbsenstroh, das er Haar nennt, auf seinem dreieckigen Kopfe glatt streicht.

Es war so wie er gesagt hatte. Der Dieb stand an einer Gartenwand still, welche die Ecke einer langen, wenig belebten Straße bildete und erwartete sie, den verbogenen Hut in der Hand, während die andere sich mit dem Glätterstreichen seines Haars beschäftigte. Er nickte den Ankömmlingen zu und brummte etwas, das wie ein Gruß klang, dabei ließ er sich in seiner Arbeit nicht stören, zupfte dann den papiernen Kragen zurecht, der seine Binde zierte, knöpfte den Rock zu und nachdem er eine theatralische Stellung angenommen und den Hut sehr schief aufgesetzt, streckte er den Arm vor sich aus und sagte:

Da drüben also? Schwernoth! es zuckt mir in den Fingern; vorwärts, Marsch! was wollen wir lange Umstände machen.

Große, dunkle Gebäude zogen sich zu beiden Seiten hin, mehre der Häuser lagen hinter Vorgärten und Mauern und eines derselben ragte, hoch und finster, nicht weit von ihnen hinter einem Gitterwerk hervor. Es war ein Bauwerk aus alter Zeit, das wenig gemodelt schien und von Leuten der ehrenwerthen Bürgerklasse bewohnt wurde, die nichts ändern, nichts bessern, so lange das aushält, was die Väter, gut und stark, zusammengefügt haben.

Es scheint ein miserables Nest zu sein, sagte der Jude verächtlich, nachdem er schnelle, spähende Blicke rund umher und auf die Fenster des Hauses geworfen hatte. Unten waren diese mit Läden verschlossen, durch deren Ausschnitt in Herzform ein schwacher Lichtschein fiel, oben hatte jeder Flügel sechs Scheiben, aber das Holzwerk war sauber gehalten und von innen fielen weiße Vorhänge herab.

Halt's Maul! Jakob, erwiderte der Blonde, ich sage Dir in solchen alten Rumpelkästen hat man oft mehr Freude als da, wo Spiegelscheiben sind und es ist nichts dahinter. Pfui Teufel! weißt Du in letzter Woche, da beim Geheimrath? Mit der größten Sorgfalt gearbeitet, bis wir drin waren; es sah aus wie bei 'nem Fürsten. Sieben Schlösser aufgeblasen und einen Geldkasten gesprengt, wo eine Million liegen konnte. Was war drin? Nichts, total leer! Pfui Teufel! sollten sich die Leute nicht schämen, ehrlichen Leuten solche Mühe zu machen? Hier wird's anders aussehen; es wird mir danach zu Muthe, sage ich.

Er öffnete das angelehnte Gitter, hielt aber den Drücker der Thür einen Augenblick fest und sagte zu Simon:

Wer wohnt unten?

Eine Witwe mit ihrer Tochter, der das Haus gehört.

Und oben?

Da wohnt er allein. Sie haben es ihm mit den Möbeln vermiethet. Sonst Niemand.

Ohne weitere Worte gingen sie den Gang hinab, bis an das Haus und blieben unter den Fenstern stehen. Es regte sich nichts. Kippstein prüfte mit den Fingern das Schloß, dann sagte er:

Nimm den dritten deutschen, der wird es thun im Augenblick.

Der Jude holte aus seiner Tasche etwas, das in ein Tuch gewickelt war und leise klirrte, als er den Bund löste. Es war eine ganze Gallerie von Schlüsseln. Er faßte den einen, brachte ihn leise ins Schloß, drehte um und zog ihn zurück. Die Thür ging auf.

Vorwärts, Simon, flüsterte der Dieb, und Du Jakob halt die Augen offen.

Entschlossen trat er hinein, dann hielt er den nachfolgenden Simon fest, der vor heftiger Aufregung, wie im Fieberfrost, zitterte und lauschte. Er glaubte ein Geräusch vernommen zu haben, aber alles war wieder still; sie konnten das Ticken der alten Wanduhr in dem Zimmer der Witwe hören. Kippstein zog leise ein Feuerzeug hervor. Im nächsten Augenblick brannte das Schwefelhölzchen, im darauf folgenden das Licht in der kleinen Blendlaterne. Jetzt war er sicher. Er warf einen schnellen Blick über den öden Flur, dann auf die Treppe, die im Winkel steil und gekrümmt aufwärts führte, gab seinem Gefährten ein Zeichen, schloß die Thür der Laterne, daß nur ein einziger Strahl auf die Stufen fiel und schritt nun behend und leicht hinauf, ohne daß ein Knarren des Holzes ihn verrathen hätte.

Oben stand er still, Simon war ihm gefolgt. Sie befanden sich in einem großen unbenutzten Raume, dem ein Fenster der Hinterfront Licht gab. Altes Geräth, Spinden und Tische mit Blumentöpfen standen an den Wänden, zwei Thüren waren zwischen denselben frei. Der Dieb deutete auf die eine und sein Gefährte nickte bejahend. Sofort reichte er diesem die Blendlaterne nebst einem kleinen scharfen Meißel und einer Zange, die er aus seinem Rocke nahm, dann faßte er das Schlüsselbund, das Jakob ihm überliefert hatte, besichtigte das Schloß, verzerrte sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen, wählte einen der Dietriche und öffnete mit der geräuschlosen Geschicklichkeit eines Meisters seiner Kunst die Thür.

Da wären wir, sagte er, indem er hineintrat; es war eine Lumperei, Simon, Dein Probestück.

Er öffnete die Laterne ein wenig mehr, hielt sie hoch und beleuchtete das finstere, große Gemach. Es war ziemlich bequem und reich eingerichtet. Ueber dem Sopha hing eine goldene Cylinderuhr mit kurzer Kette, die Kippstein mit einem Griff in die Tasche schob; auf dem Tische lag ein Siegelring, der denselben Weg nahm, eine Börse mit einigem Inhalt wurde freundlich beigelegt.

Sie würde sich grämen, wenn sie hier bliebe, sagte er schmunzelnd, der Anfang ist nicht übel.

Nun nahm er die Laterne, leuchtete ins Nebengemach, wo ein Bett stand und Kleiderschränke und kehrte sich befriedigt gegen seinen Gefährten um.

Halt an, Simon, was machst Du da, rief er vergnügt; thue den Schaber fort, Junge, den Meißel, wenn Du den rechten Namen noch nicht kennst, wer wird den armen Leuten unnöthiger Weise die Möbel verderben? Meine Dietriche thun Alles.

Simon hatte sich dabei gemacht, das Schreibspind des unglücklichen Herrn dieser Wohnung zu erbrechen. Er klemmte den Meißel in die Fuge der Klappe und drückte mit solcher Gewalt den obern Kasten in die Höhe, daß in demselben Augenblick, wo Kippstein ihn beim Arme ergriff, das Schloß aus der Einfassung sprang und die Klappe herunterfiel.

Brav gemacht, sagte sein Führer erfreut, hast mehr Geschick zum Gewerbe, wie ich dachte.

Aber Simon kehrte sich nicht an diesen Lobspruch. Mit einer Art von wüthender Hast warf er sich über die Kasten und Fächer, leerte sie aus, streute den Inhalt umher, Toilettengegenstände, Flacons, Papiere, Karten, Bücher, kleine Bijouterien, leere Börsen, Taschenbücher, die Arbeiten schöner Hände, die Angedenken zärtlicher Freundinnen, und als er nicht fand, was er zu suchen schien, sprengte ein neuer Druck des Meißels das innere kleine Spind, aus dem er eine Menge Briefe und Rechnungen umherstreute, bis er plötzlich ein Päckchen ergriff, das zusammengebunden und in einen Umschlag gewickelt war. Er riß diesen auf, las die Aufschrift, betrachtete die Schriftzüge, drückte es dann krampfhaft fest zusammen, steckte es mit freudestrahlenden Augen ein und machte eine Bewegung, als wolle er davonlaufen, als sein Gefährte ihn rauh schüttelte und mit einer Verwünschung fragte, ob er verrückt geworden sei.

Wo ist das Geld, sagte er wüthend, wo liegt es? Hund, mit den Fäusten schlage ich Dir den Schädel ein, wenn Du Dein Maul nicht aufthust.

Mit einem heftigen Stoße machte sich Simon frei. Rühre mich nicht an, erwiderte er stolz und verächtlich, Du würdest es bereuen. Das Geld? Suche es Dir, nimm es, nimm Alles, ich will nichts davon, ich habe nichts damit zu schaffen. Ich will fort, thut, was Ihr wollt, meine Hand soll nichts mehr berühren.

Dummkopf! rief der Räuber, ungewiß, was er thun sollte und faßte den Meißel, den Simon fortgeworfen hatte. In dem Augenblick entstand im Hause Lärm, ein gellender Warnungsruf wurde ausgestoßen, rauhe Stimmen fielen ein, wildes Geschrei, Klirren von Waffen; Menschen, welche die Treppe hinaufstürmten, während sie Flüche gegen die Diebesbande ausstießen und mitten darunter erkannte Simon den Commissair am Tone, mit dem er laut rief, es gehe seinem Herzen nahe, daß der Sohn seines alten Freundes ein Dieb und Einbrecher geworden sei.

Canaille, schrie Kippstein, Du hast uns verrathen, aber Du sollst Deinen Lohn haben. Er sprang mit dem geschwungenen Eisen auf Simon los, der einen Augenblick wie leblos gestanden hatte. Die Nähe der Gefahr erfüllte ihn jedoch mit verzweiflungsvollem Muth. Durch eine schnelle Wendung entging er dem Streich, dann faßte er den Räuber, der auf ihn losfuhr, warf ihn mit einem jähen Stoße über einen Stuhl zu Boden und sprang in dem Augenblick in die Kammer, wo die Thür gegenüber aufgerissen ward und Herr Schröder, sein Freund, der Commissair und ein halbes Dutzend Gensdarmen und Polizeibeamte hereintraten.

An der Schwelle blieben sie stehen und überblickten die Verwüstung, dann lachten sie den Dieb aus, der mit geschundenem Gesicht sich von der Diele erhob. Der große Commissair faßte an seinen Hut und sagte höflich:

Guten Abend, blonder Fritz, freue mich, Dich zu sehen, aber was Henker, was machst Du für ein Gesicht? Nun, beruhige Dich um Deine Schönheit, wir wollen's schon wieder kuriren. Aber was habt Ihr hier für heillose Wirthschaft getrieben, pfui, wer wird so unordentlich hantiren.

Wo ist der Simon? rief Herr Schröder, besorgt wie ein Vater.

Dort in der Kammer, erwiderte der Polizeimann gelassen. Das ist so Sitte bei den Neulingen; sie schämen sich und verstecken sich.

Er ging auf die Thür los, sie war von innen verriegelt.

Mach keine Umstände, sagte er zutraulich, handle wie ein vernünftiger Mensch; warum sollen wir die Thür aufbrechen?

Simon, fügte Herr Schröder hinzu, sei nicht halsstarrig, mein Sohn. Der Himmel hat gesprochen und der Mensch muß sich unterwerfen.

Oder Dein Fell soll es entgelten, wenn Du unvernünftig bleibst, rief der Commissair.

Plötzlich sprang Herr Schröder zurück.

Er macht das Fenster auf, schrie er. Er springt hinaus. Fangt ihn! Fangt ihn!

Die Gensdarmen liefen die Treppe hinunter. Der Commissair blieb ruhig stehen und sagte lachend, wenn er so wahnsinnig ist, so werden wir einen Wagen nehmen müssen, um ihn zu transportiren. Es ist ein hübscher Sprung und das Pflaster ist fest unten.

Herr Schröder war ans Fenster geeilt, hatte den Vorhang zur Seite geworfen und öffnete den Flügel, als der dunkle Körper eines Menschen sich plötzlich mit einem halsbrechenden Sprunge an ihm vorüber aus dem Nebengemach auf den schwankenden Ast eines Baumes stürzte, der sein Gezweig bis in die Nähe des Hauses ausdehnte. Er sah, wie die Hand des Fallenden das Holz ergriff, wie dies mit ihm herabsank und brach, wie beide hart zu Boden fielen, allein er erhob einen kreischenden Wuth- und Hülfsruf, als der Mensch sich aufraffte, halb betäubt und verwirrt gegen das Gitter lief; dort aber, als er die aufgestellte Wache und einen Schwarm von Neugierigen bemerkte, welcher sich gesammelt hatte, ebenso schnell umkehrte und verfolgt von Soldaten und wildem Geschrei um die Ecke in den Hof und Garten sprang.

Er ist fort! schrie er und raufte, wie unsinnig, seinen dicken Backenbart. Der Elende! der Nichtswürdige! der Schurke! er ist entkommen, sie finden ihn nicht wieder! Es ist ein großer Garten, andere Gärten stoßen daran, er klettert wie eine Katze; als Junge schon konnte er unvernünftig, wie ein Vieh, springen und laufen, zehn Gensdarmen holen Den nicht ein.

Da werden wir ihn uns morgen ausbitten, versetzte der Commissair.

Was hilft es mir morgen, schrie der kleine Mann. Ich kann ihn hier nicht sehen; hier, bei seinen Spießgesellen. Ich kann ihm meine Ermahnungen nicht sagen, meine schönen Ermahnungen, meine ganze Freude ist aus. Warum habt Ihr auch keine Wache ums Haus gestellt?

Der Commissair mußte sich denselben Vorwurf machen. Er ging ans Fenster und hörte nach einer Weile verdrüßlich die Nachricht an, daß es nicht möglich gewesen, den Spitzbuben aufzufinden. Er sei irgendwo über die Zaunwand gesprungen, in einen der Nebengärten; in der Nacht könne man keine Spur entdecken und somit wäre jede weitere Verfolgung fruchtlos.

So laßt ihn denn laufen, sagte der Beamte, der entgeht uns nicht. Er wandte sich zu dem ertappten Diebe, der mit gebundenen Händen sich in einer Ecke des Sophas möglichst bequem ausgestreckt hatte. Dein Gehülfe also war Simon, der Mechanikus? sagte er.

Das werden Sie ja wol besser wissen, als ich, versetzte der Blonde trotzig.

Ich will's aber von Dir hören, Fritz, fuhr der Commissair fort. Wer hat den Anschlag zu diesem Besuch gemacht?

Euer Helfershelfer und mag er verflucht sein, rief der Dieb.

Also Simon?

Simon ja, wer sonst.

Gut, sagte Gansauge; bringt den Rosenfeld herein.

Der Jude erschien, ebenfalls gebunden. Er warf einen scheuen Blick auf seinen Genossen, dann einen fragenden auf den Commissair.

Jakob, sagte dieser, es ist ungeheuer dumm von Dir, daß Du Dich fangen ließest, aber Du bist ein Mann, der sich zu schicken weiß und wenn's Noth thut, kannst Du auch die Wahrheit sagen.

Ich lüge nie, sagte der Jude lachend, außer, wenn's sein muß.

Aber diesmal wirst Du wenigstens nicht in Abrede stellen, fuhr der Beamte fort, daß Ihr Euer drei waret, die sich durch Gott weiß welchen Zufall hierher verirrten, in der unschuldigsten Absicht von der Welt Haus, Zimmer und Bureau öffneten –

Vielleicht fanden wir es offen, fiel Jakob ein.

Gut, offen fanden, verbesserte der Commissair, und nun leider im Begriff stehen, verkannt, vielleicht gar angeschuldigt und bestraft zu werden. Aber der dritte Vogel ist zum Fenster hinausgeflogen, ehe wir seine nähere Bekanntschaft machen konnten. Es war Simon?

Der Jude zuckte die Achseln. Du weißt es nicht?

Ich weiß von der ganzen Sache nichts, Herr Commissarius.

Was hilft's Alles, rief dieser, Fritz hat gepfiffen, also heraus mit der Sprache. Warum willst Du nicht auch Deine Strafe vermindern, eines dummen Jungen wegen, der es Dir doch nie dankt.

Meine Herren, sagte Jakob, ich protestire feierlich gegen Alles, was mich betrifft, ich bin gänzlich unschuldig, aber wenn's Fritz gesagt hat, so möchte ich vielleicht nicht ableugnen können, daß Simon wirklich hier war.

Das ist für's Erste genug, versetzte der Beamte. Führt sie ins Hotel, ich werde nachkommen; aber fesselt sie zusammen, wie es Brüdern zukommt.

Dann winkte er einem seiner Leute, tippte dem tiefsinnigen Schröder auf die Schulter und sagte:

Kommt, Freund, ich denke, Ihr sollt heute noch lustig sein und ein paar Flaschen zum Besten geben.


8.

Spät am Abend kam Ferdinand von seiner Braut, voll von schwindelnd glücklichen Gedanken, die alle Himmel einer seligen Zukunft vor ihm ausmalten. Florentine hatte sich am Morgen bald unter seinen Küssen und zärtlichen Hülfleistungen von ihrer Ohnmacht erholt, sie fand Muth in seinen mild strafenden, besorgten Worten, Glauben in seinen Liebesschwüren, Glück und Stolz in seinem Anblick. Mittags an großer Tafel war die Verlobung bekannt gemacht und die letzten Stunden des Tages blieben den Liebenden, um im unbewachten Gespräch alle wonnigen Träume junger, gebilligter Liebe zu durchirren.

An den Abschied und an ein schönes Morgen denkend, hatte er wol die Hälfte des Weges zurückgelegt, als plötzlich Jemand an ihm vorüberging, zurückblickte, stehen blieb und dann den Hut berührend in leichtem Tone sagte:

Es scheint, als sollte ich öfter die Ehre haben, bei Nacht und Nebel Ihre Bekanntschaft zu erneuern.

Ferdinand erkannte jetzt den Redenden.

In der That, es scheint so, Herr von Selben, erwiderte er kalt.

Und ich freue mich darüber, versetzte dieser, da Ihre Tage wol allzu beschäftigt waren, um an Entfernteres und Fremdes zu denken.

Sie mögen Recht haben.

Meine Karte, sagte der Baron lachend, wird also keine magnetische Kraft haben, Sie zu der Unterhaltung zu ziehen, welche ich Ihnen versprach.

Ich bin seit heute Bräutigam, Herr von Selben.

Ich gratulire und habe gehört, daß das schöne Fräulein von Waldegg Ihre Erkorne ist.

So ist es.

So könnte ich zum Nutzen und Frommen eines glücklichen Bräutigams Ihnen hier gleich meine Aufschlüsse mittheilen, rief Selben. Auf Ehre! man kann dabei lernen, Studien machen, nachdenken über die unergründlichen Geheimnisse des weiblichen Herzens und sein Tagebuch durch einige Noten und Fragezeichen bereichern. Sie trafen mich gestern in einem lebhaften Wortwechsel mit einem jungen Herrn. Wissen Sie, wer es war?

Nein.

Es war ein Wesen, rief der junge Roué lachend, dem nach himmlischem Rathschluß die Unaussprechlichen cherzhaft-schamvolle Umschreibung für »Hose«. nicht zugedacht waren, das aber seine Metamorphose ganz vortrefflich versteht.

Ein Grisettenabenteuer also, sagte Ferdinand gleichgültig. Ich bedaure, gestört zu haben.

Allerdings war Ihre unerwartete Einmischung mir sehr fatal, fuhr Jener fort, aber sie gehörte fast zu der Romantik dieser Geschichte, die ich Ihnen erzählen muß. Eine Grisette war es nicht, die sich so widerspenstig zeigte, mir zu folgen, warum sollte sie das? Es war ein schönes, zürnendes, angsterfülltes Kind von guter Familie, reich, sittsam erzogen, fein gebildet, von deren geheimen Leidenschaften ihre nächste Umgebung keine Ahnung hat, die man als ein Muster jeglicher Tugend und Sitte verehrt und es nimmermehr glauben, sondern mich jedenfalls als einen schändlichen Verleumder verdammen würde, wenn ich nicht überzeugende Beweise meiner Worte in Händen hätte. Sie sehen mich zweifelnd an, auf Ehre! es ist so.

Das klingt allerdings romantisch, erwiderte Ferdinand, aber in Wahrheit wäre es ein schlimmer Beitrag für die Sittenlosigkeit der Zeit und die schlechte Erziehung vieler jungen Mädchen.

Die man früh in Gesellschaften führt, auf Bälle, Feste und in den Strudel aller Sinnenlust, wollen Sie sagen, doch hier war nichts von Allem der Fall. Die strengste Häuslichkeit, Abgeschiedenheit, Frömmigkeit bewahrte sie, die bunte Weltlust war ihr verschlossen, doch wissen Sie nicht, daß in Klöstern die glühendsten Empfindungen aufwachsen, daß ein junges, liebes begehrendes Herz am leichtesten zu verführen ist, wenn es sein Feuer in sich verzehren muß? Genug, ich sah dies arme girrende Täubchen, ich wußte ihm Futter zu reichen, das es gern möchte, ich zähmte seine Schüchternheit Schritt vor Schritt nach allen Regeln der Kunst, und habe Jahr und Tag dafür die reizendsten, entzückendsten Stunden verlebt, die ein bis zur Schwärmerei entzündetes Liebesfeuer geben kann. Halbe Nächte wandelten wir im Mondschein unter den Bäumen ihres Gartens und schworen uns ewige Liebe; endlich bewog ich sie einst, sogar männliche Kleider anzulegen, die ich heimlich machen ließ, um Gelegenheit zu suchen, mich in rauher Jahreszeit an einem sichern Orte unbemerkt zu treffen. Es wäre leicht gewesen, sie damals zu überreden, mit mir ins Wasser zu springen, oder zu entfliehen, oder Gott weiß was zu unternehmen, und ich begreife eigentlich nicht, warum ich es nicht zum bestimmten Ende brachte und zum Schluß sie heirathete.

Weil Sie wahrscheinlich ein so schwaches, verächtliches Geschöpf, das das Spielwerk Ihrer Verführung mit Freuden wurde, nicht so hoch ehren wollten, sagte Ferdinand streng und spöttisch.

Sie kennen diese Weiber nicht, diese romantischen Mädchen, diese Schwärmerinnen, die von ihrer glühenden Einbildungskraft leben, den Geliebten wie Schäfchen folgen, so lange sie ihn für ein Ideal aller Tugenden halten, die dümmsten, verwegensten Streiche begehen, um eine Minute an seinen Lippen zu hangen, aus seinen Küssen neue Schwärmerei zu saugen, aber plötzlich dafür eiskalt aufwachen, wenn etwa der Gott in ihren Armen zum Menschen werden will. Ich sagte, sie wäre mit mir davon gelaufen und hätte mich geheirathet, aber, rief er lachend, wir schwärmten, liebten, wie ideale Wesen einer bessern Welt und plötzlich trat eine Revolution ein, die Alles zerstörte.

Eine Revolution der Liebe ohne Zweifel?

Ich war genöthigt eine Reise zu machen; als ich wiederkam, hatte meine schöne Freundin die Stadt verlassen, und wie nun der Herbst heranrückte, hörte ich mit Aerger und Kummer, daß sie im Begriff stehe, sich zu vermählen.

Ohne Zweifel gezwungen von hartherzigen Verwandten.

Wäre es doch das, so blühten mir neue Hoffnungen, aber nein, sie selbst, die Treulose, sie liebt und hat mich vergessen. Sie können denken, welche Anstrengungen ich machte; Bitten, Betheuerungen, Beschwörungen, Alles umsonst. Ich wollte sie sehen, sie schlug es ab, endlich wandte ich das letzte Mittel an, ich drohte ihre Briefe dem glücklichen Bräutigam zu überliefern und nun war die Reihe an ihr, sich zu demüthigen. Bei dieser Scene überraschten Sie uns. Ich wollte sie mit mir führen, sie weigerte sich; ihre Verzweiflung ward zum Haß, aber mein Mittel ist ein gewaltiges und ich habe keinesweges die Hoffnung aufgegeben, das zärtliche Verhältniß wieder anzuknüpfen, denn Sie sollten diese Briefe lesen, voll glühender Liebesschwärmerei und Uebermaß der Zärtlichkeit. Es ist der tausendste Theil davon genug, um einem kaltblütigen Bräutigam alle Lust zur Hochzeit zu verleiden; der Erwählte aber soll im Punkte der Ehre ungemein empfindlich sein. Er würde von Sinnen kommen. Was meinen Sie?

Ich fürchte, sagte Ferdinand, wenn er wirklich ein Mann von Ehre ist, wird er damit anfangen, blutige Rechenschaft von Ihnen zu fordern.

Meinen Sie? Nun immerhin, was thut's, ich bin gern bereit, heißes Blut abzukühlen. Wollen Sie die Briefe lesen?

Ich, Herr von Selben, sagte der junge Mann feindlich stolz, indem er zurücktrat, ich verzichte auf dies Vertrauen; auf jedes Vertrauen, das Sie zu mir haben könnten.

Wie Sie wollen. Doch warum nicht?

Weil es sein könnte, daß mich die Schwärmerei eines armen, fehlenden, getäuschten Mädchens rührte, weil ich vielleicht ein irrendes, aber edles Herz entdeckte, das seine Irrthümer schwer büßen muß, und weil ich es unpassend für einen Mann von Ehre finde, ein Weib zu verfolgen, die ihn nicht mag, ein schwaches Geschöpf zu ängstigen, es zu bedrohen, mit Verrath zu bedrohen, ihre Zukunft zu vergiften, ein Geheimniß preiszugeben, das um alle Schätze der Welt nie über meine Lippen kommen würde.

Oho! rief Selben spöttisch, Sie wollen mir gute Lehren geben, aber verschmähte Liebe will Rache, als Genugthuung. Es ist Schade, daß Sie so tugendhaft sind, mein Herr, vielleicht fanden Sie in den feinen zierlichen Liebesschwüren dieser Briefe eine bekannte Hand wieder.

Wenn das der Fall sein könnte, erwiderte Ferdinand, ja, wenn Sie das für möglich halten, so will ich sie sehen. Der Unglücklichen soll dann ein Freund nicht fehlen, der ihre Sache führt, obgleich ich – hier warf er einen Blick voll Verachtung auf seinen Begleiter und machte eine Bewegung, sich von ihm zu entfernen.

Vollenden Sie Ihre Rede, sagte dieser trotzig.

Obgleich ich meine Hand nicht gern beschmutzen möchte.

Beschmutzen, mein Herr? Womit?

Mit dem Blute eines Elenden! rief der junge Mann in heftiger Aufwallung, den ich wie einen Hund aus der Welt schicken würde. Und nun, – Platz da, wir haben nichts gemein, Herr von Selben, kein Wort, keinen Schritt, keine Annäherung, nur wo Sie mich nöthigen könnten mit dem tiefsten Ekel Ihnen entgegen zu treten, würde ich kommen.

Er entfernte sich schnell; Selben blieb stehen, ungewiß was er thun sollte, bis er laut auflachte und langsam nach der entgegengesetzten Seite ging.

Auf Ehre! sagte er, der romantische Narr wäre im Stande, mir eine Kugel durch den Kopf zu jagen, und was würde er erst thun, wenn er die ganze Wahrheit wüßte!

Er machte sich Vorwürfe, zu offenherzig gewesen zu sein, ihn nicht feiner und länger gequält zu haben. Er knirschte mit den Zähnen vor Wuth und Haß, und schwor sich zu, ihn zu vernichten, aber der Auftritt hatte seinen halben Rausch doch verscheucht, und während er durch die öden Gassen ging, finster vor sich niederschauend, überlegte er, daß er es mit einer mächtigen Familie zu thun habe und daß seine Rache, wenn sie glücken sollte, wohl überlegt werden müsse.

Vor allen Dingen diese Briefe gesichert, sagte er, das ist die Basis meiner Operationen. Ich werde kein Narr sein, mich todtschießen zu lassen, mag er die junge Liebe genießen, ich gratulire, aber dann, dann – ich will sie peinigen, ich will sie auf glühende Roste legen und endlich meinetwegen, wenn sie mürbe sind, wenn ich Geld brauche, viel Geld brauche, und das brauche ich –

Er war an seiner Wohnung und legte die Hand auf den Drücker der Thür, als diese aufgemacht wurde und die Wirthin, ihre Tochter, das Dienstmädchen, die Nachbarn und ein Haufen Leute ihm mit verwirrtem Geschrei entgegenstürzten. Aus Allem entnahm er bald, daß er bestohlen worden, daß man die Diebe gefangen bis auf einen, daß man ihn vergebens gesucht habe, daß aber nichts fehlen werde und der anfängliche Schreck verwandelte sich in Freude.

Auf Ehre! sagte er lachend, diese Schurken werden sich getäuscht haben, ich habe nie viel Geld im Hause.

Das konnte er mit gutem Gewissen behaupten und so sprang er schnell die Treppe hinauf und besah mit kaltem Blute die Verwüstungen. Man brachte ihm die Uhr, die Börse, die Münzen, es fehlte nichts; plötzlich nahm er ein Licht und steckte seine Hand in das Fachwerk des erbrochenen Spindes, dann bückte er sich unruhig, leuchtete hinein, durchwühlte die zerstreuten Papiere, immer eiliger, immer lebhafter, dann bedächtiger und genauer, bis er mit einem furchtbaren Fluche den Leuchter auf den Tisch schleuderte und wie ein Rasender von Neuem zu wühlen und zu suchen begann.

Mein Gott im Himmel! riefen die Frauen kläglich. Was fehlt Ihnen?

Papiere, ein Päckchen, zusammengebunden, Papiere vom größten Werthe, stöhnte Selben. Sie sind fort, gestohlen, mehr werth als der ganze Plunder.

Nach neuen fruchtlosen Bemühungen gewann er Ueberlegung, sogleich alle Schritte zur Habhaftwerdung zu thun. Er erkundigte sich nach Namen und Wohnung des Commissairs und eilte dann, so schnell er konnte nach der entfernten Straße, die man ihm genannt hatte.


9.

Als Simon's Mutter von einem Besuche zurückkehrte, den sie einer alten Freundin gemacht hatte, um redselig, doch geheimnißvoll, die glückliche, wenn auch nur kurze Aenderung ihrer Noth zu erzählen, fand sie die Thür ihrer Kellerwohnung unverschlossen. Simon mußte, also zu Haus sein, er hatte ja auch die alte Frau bestimmt, den Abendbesuch abzustatten und versprochen, heim zu bleiben.

Und was er versprach, das hielt er von Jugend auf, wie ein Evangelium, sagte sie vor sich hin, indem sie die Stufen hinabtappte; das arme, gute Kind, das in seinem jungen Leben schon soviel Noth und Sorgen tragen muß, und in keinem Dinge so ist, wie andere Bursche seines Alters.

Sie öffnete das Wohnzimmer und sah erschrocken bei dem schwachen Schein der Lampe, daß ihr Sohn ausgestreckt und regungslos, wie ein Todter, auf seinem Lager lag. Er rührte sich auch nicht, als sie seinen Namen rief und erst als sie mit dem Lichte dicht an ihn hintrat, sagte er mit schwacher Stimme:

Du bist es Mutter, ich bin recht krank, Frost, Hitze, Durst und Schmerzen, so liege ich seit Stunden, ich glaube, ich habe ein Fieber.

Es ist eine Erkältung Simon, versetzte die alte Frau. Du lieber Gott, Du gehst in Regen und Hitze, hast nichts im Magen, nichts auf dem Leibe und hier unten ist es feucht, man bekommt das Reißen in allen Gliedern. Keine Sonne, kein Mond scheint bei den armen Leuten, die haben die Reichen auch für sich in ihren schönen, hohen, gesunden Wohnungen.

Sie lief dann geschäftig umher, zog einen Kasten nach dem andern auf in dem wurmstichigen Spindchen in der Ecke, bis sie endlich ein Dütchen hervorbrachte und ihrem Sohne bedeutete, er solle sogleich ein Täßchen warmen Thee haben.

Simon dankte und die Mutter eilte an den kleinen Kamin, suchte Holzspäne zusammen, störte in der Asche umher und wunderte sich nicht wenig, als darunter noch Funken glimmten.

Was ist denn das? sagte sie, Du hast wol gekocht, Simon, und was fliegt die Asche so sonderbar umher?

Ich habe alte Papiere verbrannt, erwiderte er, indem er sich rasch aufrichtete und unruhig nach der Feuerstelle sah. Scharre es zur Seite, oder fege es ganz fort, Mutter.

Die Mutter machte ihm Vorwürfe, Papier zu verbrennen, das man wol besser benutzen könne, er hörte es geduldig schweigend an und während er dann den heißen Thee trank, setzte sie sich an sein Lager und erzählte lange hin und her von Allem, was sie gesehen und was die Freundin gesagt hatte, und was sie beginnen wollten und sollten, bis sie plötzlich schwieg und ihn mit kummervollen Mienen ansah.

Als ihre Rede stockte, sagte Simon sanft:

Fahre fort, Mutter. Sie hat Dir auch etwas von mir gesagt, und nichts Gutes.

Ja, das hat sie, Simon, und ich bin böse fortgegangen. Sie denken Alle, Du könntest arbeiten und willst nicht. Ein Mechanikus, der allerlei Dinger, Maschinen und wie sie sie sonst nennen, zu machen versteht, kann viel Geld verdienen jetzt; statt dessen, sagen sie, gingst Du mit schlechten Menschen um und – und –

Und was noch? flüsterte der Sohn bebend.

Und die alte Mutter mußte hungern.

Mit einem Seufzer, dem ein lautes Schluchzen folgte, sank Simon zurück und deckte beide Hände auf sein Gesicht.

Nein, nein! rief die alte Frau, sie lügen wie die Sünde. Ach! weine doch nicht, ich kenne ja Dein Herz, Du kannst nicht, Du bist krank, wie Du blaß bist; nein, Du kannst nicht arbeiten.

Simon richtete sich auf. Die bläuliche Weiße seines Gesichtes hatte etwas Geisterhaftes.

Mutter, sagte er mit äußerster Anstrengung, o! glaube, ich habe gesorgt und gearbeitet. Du hast Geld bekommen, es wird Dir auch in Zukunft nicht fehlen; mag geschehen mit mir, was da will, Dich werden sie nicht verlassen, Deine alten Tage werden ohne Noth und Hunger sein.

Und Du, erwiderte die alte Frau getröstet, Du wirst gesund werden, wir werden auch wol noch einmal glücklich. Du bist jung, Du bist geschickt, hübsch bist Du auch und gesittet, da findet sich Alles, was ein Mensch nöthig hat zum Wohlergehen.

Ich, sagte Simon heftig bewegt, ich – ich habe Seele und Seligkeit verkauft an den bösen Feind. Ich muß verderben!

Seine Worte verloren sich unter dem lauten Klopfen draußen an der Thür, und die alte Frau, erschreckt davon, hörte sie kaum.

Wer kann es sein? sagte sie. Ein anständiger Mensch klopft nicht so, wer was Gutes bringt, auch nicht. Ich zittre an allen Gliedern, wenn's nur nicht wieder die Polizei oder sonst eine Obrigkeit ist. Wir haben nichts gethan, aber die denken ja, jeder Arme muß ein Spitzbube sein. Herr du mein Gott! sie schlagen die Thür ein.

Simon sagte mit vieler Ruhe:

Es ist am Besten, wir machen auf. Geh, Mutter, und was es auch sein mag, wir müssen es tragen. Sie sind da, murmelte er dann vor sich hin, o! wenn's nur erst geschehen wäre. Die alte Frau wird mir das Herz brechen mit ihrem Jammer.

Er hatte keine Zeit zu langem Nachsinnen, einen Augenblick hörte er die klagende Stimme seiner Mutter, darauf schwere Tritte und Säbelgeklirr und plötzlich trat der Commissair mit der Lampe in der Hand herein, Herr Schröder schlüpfte im Schatten seines großen Freundes hinterher, darauf der Baron und an der Thür blieb ein bärtiger, wildblickender Polizeisoldat stehen.

Schweigend, mit großen Schritten trat der Commissair an Simon's Lager. Er sah ihn genau an, betrachtete ihn von oben bis unten und sagte dann mit einer Art von Theilnahme:

Du hast Dir doch nicht Schaden gethan, Simon?

Schaden, nein, erwiderte dieser. Ich habe ein Fieber, oder so etwas.

Du kannst also gehen? fuhr Gansauge freundlich fort.

Warum sollte ich nicht gehen können?

Das ist mir lieb, sagte der große Mann, da brauchen wir keine Trage, keinen Wagen und machen keine Umstände. Steh' auf.

Ich verstehe Sie nicht, versetzte Simon, indem er sich aufrichtete. Was wünschen Sie von mir.

Dich, mein Sohn, Dich selbst, rief Gansauge lächelnd und zog ihn am Arm auf die Beine. Du hast einen häßlichen Sprung gemacht. Sapperment! Wer wird um solche Lappalie Hals und Beine wagen, wenn er als vernünftiger Mensch einsehen muß, daß es doch nichts hilft? Nun nimm Deine Mütze, doch halt, wo ist das Päckchen mit den Papieren, das Du zufällig in die Tasche gesteckt hast?

Ich muß Sie bitten, sagte Simon heftig, indem er seinen Arm frei machte und sein stolzes großes Auge unerschrocken fest auf den Beamten richtete, mir endlich zu sagen, was Sie von mir wollen.

Kind, sagte Gansauge, laß die Possen sein, wir haben mehr zu thun. Du willst wissen, was ich von Dir will, nun warum nicht. Du hast einen Einbruch verübt, hier bei dem Herrn. Herr Baron, treten Sie gefälligst näher. Ist das der Mann, der bei Ihnen war?

Der junge Edelmann sah Simon prüfend an, ihre Augen begegneten sich.

Kann ich ein paar Worte mit ihm reden? sagte er.

Der Commissair gab seine Einwilligung; jener zog sich einige Schritte zurück bis in die Ecke, und während der Beamte mit der alten Frau, die vor Schreck und Angst fast sinnlos war, ein Verhör begann, in welches sich auch Herr Schröder helfend und rathend einmischte, suchte Selben von Simon ein Bekenntniß zu erpressen.

Wo sind die Briefe? sagte er. Du hast sie gestohlen. Jetzt erst, nun ich Dich sehe, erkenne ich, daß dieser Diebstahl einen besondern Zweck und geheime Triebfedern hatte. Was starrst Du mich an, Bursche? Ich denke, wir kennen uns.

Simon sagte laut:

Ich habe Sie nie gesehen.

Elender! flüsterte der Baron, hat sie Dir's angethan, oder was hat sie Dir versprochen, daß Du für sie ins Zuchthaus willst? Gib mir die Briefe zurück und Du sollst mehr Geld haben, als sie geben kann.

Simon's blasses Gesicht ward plötzlich roth gefärbt.

Fragen Sie sich, erwiderte er mit gedämpfter Stimme, wer von uns den Namen eines Elenden verdient. O! ich fürchte Sie nicht; ich kenne Sie nicht. Thun Sie, was Sie wollen; was auch mit mir geschehen mag, ich kümmere mich nicht darum.

Der Baron ballte grimmig die Hände, seine Wuth war grenzenlos, er sah den gemeinen Kerl, der ruhig vor ihm stand, mit verzehrenden Blicken an. Du willst also in keinem Fall den Raub herausgeben? sagte er.

Ich habe nichts zu geben, versetzte Simon. Und wenn ich es hätte, fügte er hinzu, ich würde es nicht thun, denn allem Anschein nach muß das, was Sie begehren, etwas Böses und Schlechtes enthalten.

Wenn Du klug bist, sagte Selben, will ich Gutes an Dir thun. Ich will Dich von der Strafe befreien, reich belohnen, in meine Dienste nehmen; wenn Du aber ein Hallunke bist und bleibst, so will ich Alles anwenden, Dich wie einen Wurm zu zertreten.

Lassen Sie mich in Ruhe, rief der Mechanikus, ich weiß nichts. Aber Herr, wenn Sie klug sind, so bedenken Sie selbst, was Sie thun.

Nun, rief der Commissair, er ist unschuldig und weiß von nichts, nicht wahr? Hat ruhig hier im Bett gelegen, und da, das Loch an seinem Knie und das geschundene Bein, und der Schmutz an seinen Kleidern, das haben die lieben Engelein gemacht und gebracht, mit denen er sich unterhielt.

Allerliebster Herr Commissarius! schrie die alte Frau händeringend, ach Gott! er ist unschuldig, wie ein junges Kind. Er kann nichts Böses thun, es ist Verleumdung, rede Simon; ich bin ja seine Mutter, ich kann es bezeugen, ich will es beschwören! Mein Jesus! fassen Sie ihn nicht an.

Halt's Maul! rief der Beamte, was soll das dumme Geplärr. Haben Sie den Menschen erkannt, Herr Baron?

Ich sollte meinen, daß er es sei, erwiderte dieser nach einem Bedenken, obwol er es ganz in Abrede stellt.

Sie sind also Ihrer Sache im Allgemeinen gewiß? Ohne Zweifel hat er sich eingeschlichen, um zu baldowern, auszukundschaften.

Werthvolle Papiere fehlen Ihnen, Staatsschuldscheine, Actien, was war es?

Briefe, sagte der Baron.

Briefe? rief der Beamte, leere Briefe?

Familienbriefe, die für mich vom höchsten Werthe sind.

Danach fragt kein Dieb, die kann er nur aus Irrthum einstecken. Also heraus damit, Simon, Du hörst, was sie werth sind.

Wie können Sie mich als Dieb behandeln, sagte der junge Mensch, ohne den geringsten Beweis zu haben. Wer hat mich gesehen, der trete vor; wer kann mir nachsagen, daß ich je auf solchen Wegen war? Nie habe ich mein Gewissen belastet – ja Herr! ich habe ein Gewissen und dies wird mich trösten, mag mir geschehen, was da will.

Er hat wirklich Anlagen zum Redner, rief Gansauge lachend, aber er wird schon anders pfeifen hinter den Gittern.

Machen Sie ein Ende, fuhr Simon fort; es ist unmenschlich, selbst den Verbrecher, der ich sein soll, zu verhöhnen. Ich sehe ein, Sie wollen mich ins Gefängniß führen, ich bin bereit. Stille, Mutter; hinter eisernen Gittern, in Ketten und Banden, bei Dieben und Mördern haben schon bessere Menschen gesessen wie ich bin. Tröste Dich, ich habe nichts gethan, was ich zu bereuen hätte, Gott wird Dir helfen und mir. Leb wohl Mutter, weine nicht, sei standhaft, ich komme wieder.

Er küßte die alte Frau, die sich verzweiflungsvoll an ihn klammerte, machte sich dann von ihr los, ging nach der Thür und überlieferte sich dem Polizeisoldaten, der ihn am Kragen festhielt, vor sich hinstellte, und mit einem Strick, welcher dazu bereit war, ihm die Hände auf den Rücken band, was Simon, ohne den geringsten Widerstand, geduldig litt.

Herr Schröder, der zuvorderst die alte Frau getröstet hatte, bis der Commissair ein neues Verhör anstellte, welches damit endete, daß er eine allgemeine Haussuchung begann, leuchtete bei der Operation, die mit seinem Feinde vor: genommen wurde. Mit schlecht unterdrückter Freude gelungener Rache und erheucheltem Bedauern hielt er die Lampe dem Gefangenen ans Gesicht und lächelte ihn mit seiner gewöhnlichen Sanftmuth an.

Es ist traurig, Simon, sagte er, daß ein alter Freund das erleben muß, der blutige Thränen weinen möchte; aber das Laster soll zu Schanden werden, so spricht der Herr, und ich habe es immer gesagt, ich habe es der alten Frau da unzählige Male gesagt: Der Simon taugt nichts, er wandelt auf schlechten Wegen, läßt sich da drüben in der Diebeskneipe sehen, geht mit berüchtigten Leuten um. Faulheit und Müßiggang ist aller Laster Anfang, und das Ende sehen wir nun hier, das ist Zuchthaus, die Peitsche, die Kette und zuletzt der Galgen.

Der Gefangene machte eine Bewegung, der kleine Mann zog sich zurück.

Ziehen Sie gefälligst den Knoten ein bischen fester an, sagte er zu dem Polizeisoldaten; er kann ja wahrhaftig die Hand herausbringen. O! Simon, wie wenig haben meine Ermahnungen gefruchtet, meine Warnungen, meine Bitten. Jetzt ist Alles zu spät, nur nicht die Reue. Legt ein aufrichtiges Bekenntniß ab, thut Buße, erleichtert Eurem Richter, die Wahrheit an den Tag zu bringen und ich will Euch nicht vergessen, will für Euch auch ferner thun, was ich kann und kein Mittel unversucht lassen, Euer verdorbenes Gemüth zu bessern.

Simon nickte ihm zu.

Auch wir werden uns wiedersehen, sagte er mit furchtbarer Bestimmtheit. Sehen Sie mich an, so sah mein Vater aus. Ich gehe ins Gefängniß, ins Zuchthaus, vielleicht in den Tod, aber ich bleibe doch bei Ihnen, als ein Gespenst, das keine Ruhe läßt, nicht im Leben, nicht im Grabe, denn der Bösewicht soll nirgend Ruhe haben.

Haha! rief Herr Schröder, eine gute Gesellschaft. Wahrhaftig, kommt alle beide, ich will Euch bewirthen, wie den steinernen Gast. Fort mit dem Bengel, fort mit dem niederträchtigen Schurken, schrie er plötzlich und eine Art von zitternder Wuth kam über ihn.

Er mußte sich an den Tisch halten und sein Gesicht war dunkelroth und blau, er schnappte nach Luft und konnte nicht sprechen, mit der Hand nur deutete er, heftig schüttelnd, nach der Thür. Simon stand vor ihm, die großen, kalten, todten Augen auf ihn geheftet, aus denen geheimnisvolle Mächte ein Höllenfeuer ihm durch Herz und Blut laufen ließen. Da faßte ihn der Wächter an und stieß ihn hinaus. Er lachte wild auf, das war das Letzte, was Herr Schröder hörte. Er glaubte den alten Uhrmacher lachen zu hören.


10.

Eine Woche mochte nach dieser Begebenheit verstrichen sein, als an einem Nachmittage die letzten Sonnenstrahlen matt und von dunkelgrünen Vorhängen gebrochen in ein bürgerlich, einfach möblirtes und mit verschiedenen gelehrten Attributen geziertes Zimmer fiel. Wir verstehen darunter einen großen Bücherschrank, der in dichten Reihen die köstliche Speise zeigte, an welcher die Menschheit schon seit langen Jahrhunderten zehrt und doch weder satt, noch besonders weise geworden ist. Schauerliche Folianten, die unten grämlich vergilbt, ihre schweinsledernen Rücken hervorsteckten, ließen einen besondern Hohenpriester der bevorrechteten Kaste der Wissenden hier ahnen. So war auch der viereckige Tisch in der Mitte des Zimmers mit Büchern, Schriften und Heften bedeckt. An der Wand in der Ecke stand eine Galerie von Pfeifen, nicht minder in ihrer Weise, mit abgebissenen Spitzen und von betrübtem, eigenthümlichem Ansehn, ein Zeichen der Gelehrsamkeit, daneben aber, auf dem Sopha ausgestreckt, nachsinnend beschriebene Blätter lesend, und von Zeit zu Zeit mit wahrer Erbitterung die mächtigen Dampfwolken weit von sich stoßend, lag der Herr dieses Paradieses.

Es war ein ziemlich großer, magerer Mann, in dem Alter, das man gewöhnlich mit dem vieldeutigen Namen der besten Jahre bezeichnet. Seine schwarzen Unterkleider, welche schlotternd über die plumpe Beschuhung hingen, ein weißes Tuch, das ziemlich schmutzig, nachlässig um den kurzen Hals geschlungen war und das schlichte schwarze Haar hinter die Ohren zurückgestrichen, gaben den gelehrten und den geistlichen Herrn kund, ein Urtheil, das ohne großen Scharfsinn von Jedem bestätigt werden mußte, der in sein Gesicht sah; denn es gibt Gesichter, denen man an der Nasenspitze ansehen kann, welcher Geist im Innern wohnt und welcher Kunst und Wissenschaft der Himmel hier einen Tempel erbaut hat.

Die Züge des lesenden Herrn waren keinesweges edel, fein und leicht geformt, vielmehr ziemlich derb aus dem Groben geschnitzt. Der Mund mit den dicken Lippen, das kurze, vorgebogene Kinn, die runde, breite Nase, die runden Augen und die flache, zurückgebogene Stirn, nichts gehörte einer bevorzugten Erscheinung; kein Theil war vorherrschend in dieser Zusammensetzung, und doch prägte sich ein besonderer Charakter darin aus. Vielleicht war es die aschfarbene Bleiche dieses Gesichts, gegen welche das glänzend schwarze Haar, das daran niederfiel, besonders abstach; vielleicht war es der lauernde Zug um seinen Mund, oder die kluge Beweglichkeit seiner Augen, das berechnende Nachdenken darin, und das finstere, langsame Aufschlagen seines Blicks, nachdem er sinnend und leise sprechend, als rede er mit Wesen, die ihn umgaben, sie von Zeit zu Zeit geschlossen; aber gewiß war sein Anblick eigenthümlich hervorstechend vor vielen und auserwählt, durch die Schaale den Kern anzudeuten.

In dem Augenblick, wo wir den schwarzen Herrn beobachten, hat er mißmuthig die Blätter fortgeworfen, sich halb aufgerichtet, seine Pfeife neu geordnet und ist beschäftigt, einen Beutel zu öffnen, der seinem Klange nach einen Geldinhalt verräth. Er schüttete diesen auf den Tisch, begann die großen Stücke von den kleinen mit vieler Geschicklichkeit zu sondern, dann zu zählen, dann den Betrag mit einer Liste zu vergleichen, die eine Namenreihe enthielt, und mit lächelnder Miene also vor sich hin zu sprechen:

Gesegnet sei der Mann, welcher die Vereine erfunden hat, oder vielmehr gesegnet sei der Augenblick, wo Gott in seiner Vatergüte den ersten Vereinsgedanken im Kopfe einer sündigen Creatur erweckte. Was wären wir ohne Vereine, was thäten wir ohne Vereine, wohin gelangten wir ohne Vereine? Ins ewige Verderben, in den brennenden Schwefelpfuhl! Das ist eine unzweifelhafte Wahrheit; ergo muß es Vereine geben und fromme Wohlthäter – hier hielt er inne, schlug heftig mit der Hand auf die Liste und sagte mit gerunzelter Stirn: Was ist das! Drei haben ganz aufgehört zu zahlen, drei Wohlthäter! und vier, nein fünf, gerechter Himmel! sechs, da Neumann auch, haben die Beiträge – ermäßigt, und hier, was soll das heißen? Eine Note: Wir wünschen und bitten jetzt aufs Dringendste um Rechnungablegung, wenn wir nicht mit unsern Beschwerden uns an die Behörden wenden sollen.

Die letzten Worte murmelte er vor sich hin, dann stand er auf, ging langsam im Zimmer auf und nieder, nahm aus seiner Dose eine Prise und während er das Haar mit beiden Enden nach den Kopfseiten glatt strich, sagte er leise lachend:

Rechnung legen, dumme Manier der Weltkinder, als ob ich ein Geschäft triebe, als ob eine Assecuranzgesellschaft wäre. Das sind Einflüsterungen des bösen Feindes, der da umgeht zu suchen, wen er verschlinge. Gut, wenn sie's verlangen, meinetwegen, wir wollen eine Rechnung aufsetzen. Bah! eine Rechnung ist eine Rechnung, aber die Wohlthäter müssen wieder heran; ich sage, es darf keiner abgehen, wir müssen die Seelen rühren, und weniger darf auch keiner geben. Die Schurken, die Colporteure thun ihre Schuldigkeit nicht, die Kerle sehen nicht jämmerlich genug aus, ich muß ein paar mit rührenden Gesichtern aussuchen. Rührung! Rührung! das ist die Hauptsache –

Hier hielt er inne und wendete sich nach der Thür, durch welche soeben ein blasses, kleines Dienstmädchen hereintrat, der er einen strengen, prüfenden Blick entgegensandte.

Wer will mich wieder sprechen? sagte er ärgerlich.

Ein Herr mit einer alten Frau.

Gesindel ohne Zweifel, das haben will.

Die alte Frau sieht so aus.

Sage, ich wäre nicht zu Haus – er packte inzwischen Geld und Listen in das Schreibspind – sie sollten wiederkommen, Morgens vor acht Uhr, oder, wenn sie Unterstützung verlangen, sage gleich, es wäre unmöglich, es wäre kein Geld da, ich würde zu schlecht von den Wohlthätern unterstützt.

Der Herr, der bei der alten Frau ist, erwiderte das Mädchen, nachdem sie geduldig gehört hatte, sagt, er heiße Schröder und brächte eine Liste.

Schröder, rief der schwarze Mann, ach so! Er ging bedenkend hin und her. Nun meinetwegen, laß ihn herein, aber sage ihm, ich hätte nur sehr wenig Zeit, und nur, weil er ein so eifriger, gottseliger Mann sei – doch laß ihn herein, Gans, steh' nicht so dumm da und starre mich an.

Das Mädchen ging und einen Augenblick später trat Herr Schröder in die Thür und zog hinter sich her an der Hand die Mutter des Mechanikers. Wie er aufgemacht hatte, klopfte er bescheiden an und sagte mit seiner leisen Stimme:

Darf ich es wagen, Ihre Andacht zu stören mit meiner unheiligen Gegenwart, Ehrwürdiger!

Er bückte sich und richtete sich langsam auf, aber der Ehrwürdige lehnte ganz vertieft über ein Buch, das auf seinem Pult lag und erst als Herr Schröder laut hustete und räusperte, drehte er sich um, kam mit holdseliger Miene auf ihn los, indem er beide Arme wie zur Segenverleihung aufhob und an des kleinen Mannes Schultern hinabfallen ließ. Hierauf reichte er ihm die Hand und indem er mit einem eigenthümlichen Ausdrucke das Auge nach oben richtete und dann langsam senkte, sagte er:

Was bringen Sie mir, Herr Schröder? Doch was frage ich? Ein frommes, edles Gemüth, wie das Ihre, kann nur kommen im Namen des Herrn und bringen, was er befiehlt.

Herr Schröder warf einen scharfen Blick auf den Gottesmann, und dann auf die alte Frau, welche demüthig an der Thür stand, den Kopf gesenkt und die Hände fest zusammengefaltet.

Ja wohl, sagte er dann, freilich – allerdings, was der Herr befiehlt, der die Lilien auf dem Felde kleidet, den jungen Raben Futter reicht; ohne den kein Sperling vom Dache fällt, und es sind schlechte Zeiten, unerhört schlechte Zeiten! Es möchten viele Menschen Lilien sein, um ein Kleid zu bekommen und junge Raben, von wegen des Futters; ich auch, meiner Seele! ich auch. Aber hier, diese alte Frau ist in einer noch übleren Lage. Ihre Kleider sind zerrissen, ihr Magen ist zerrüttet, ihr Herz ist abgewandt und ihr Kopf scheint das Denken verlernt zu haben, denn fünf Tage hat sie unten in ihrer Höhle gesessen, auf den einen Fleck gestarrt und würde noch da sitzen, wenn ich sie nicht aufgestört hätte aus christlichem Mitgefühl und Erbarmen.

Der Prediger hatte mit leisem Achselzucken zugehört, und noch ehe der mitfühlende Herr Schröder geendet hatte, begann er zu reden:

Wehe über den Hartherzigen, sagte er, der seine leidenden Mitbrüder vergißt, aber gesegnet sind die Mildthätigen! nur ist es traurig, daß die Herzen und Hände nicht mehr geöffnet sind zu geben, wie zu nehmen. Was namentlich den Verein anbelangt, so sind seine Mittel gänzlich erschöpft und wenn sie daher diese arme Frau demselben empfehlen wollen, hochwerthester Bruder, so bin ich leider nicht im Stande, ihre Noth im Geringsten zu mildern. Es wäre denn durch geistlichen Zuspruch, fügte er hinzu, durch den größten Schatz, den die Erde gewährt, durch ein stärkendes Vertrauen auf den himmlischen Mittler alles Kummers und aller Schmerzen. Morgen um fünf Uhr halte ich Versammlung, da lassen Sie die arme gute Frau erscheinen, sie wird nicht ohne Stärkung von dannen gehen.

Ich fürchte, sagte Herr Schröder, sie wird nichts davon verstehen, wie sie jetzt ist, so wüst sieht es in ihr aus. Dazu hat sie nichts zu beißen, nichts zu brechen.

O, lieber Freund! erwiderte der Geistliche, süß beruhigend, dann dächte ich, überließen wir die Frau dem Armenfonds oder dem großen Krankenhause und leiteten sie gänzlich von uns ab.

Nein! rief Herr Schröder mit einer gewissen Heftigkeit, dann dachte er nach und sagte bittend: Etwas könnte der Verein vielleicht thun.

Wenn Sie die Listen sehen sollten! Wenn Sie wüßten, welche Opfer ich selbst bringe, versetzte der schwarze Herr kläglich, wie ich mich einschränke, wie meine Linke thut, was die Rechte nicht weiß. O! ich klage nicht, würdiger Mann, ich kenne meine Pflicht, aber ich bin nicht im Stande zu helfen, wie mein Herz auch blutet.

Herr Schröder hielt die ihm dargereichte Hand fest und führte den Prediger durchs Zimmer ans Fenster.

Ein paar Worte, sagte er, ein paar ganz kleine Worte, warum ich die alte Person nicht ins Spital haben will, sondern sie zu Ihnen gebracht habe.

Er sprach eine Weile leise und eindringlich, begleitete seine Rede mit lebendigen Geberden, widerlegte einige Einwände seines Zuhörers und sagte endlich lauter:

Nun wissen Sie Alles, hochverehrter Herr Biedermann, so steht die Sache. Gelingt das, so will er sogleich zweihundert Thaler geben, hundert Thaler sollen in die Vereinskasse fließen, Ihnen zufließen; die andern hundert Thaler sind für meine Hausarmen bestimmt.

Für Ihre Hausarmen, wiederholte Herr Biedermann mit einem sanften Lächeln. Gut, lieber Freund, ich verstehe, das ist christlich gedacht. Sie haben Recht, wir wollen sehen.

Das ist also abgemacht, rief Herr Schröder erfreut.

Mit Gottes Beistand, erwiderte der Andere. Also der Sohn der alten Frau hat sich so schwerer Sünde ergeben? Er ist im Gefängniß; ich will ihn besuchen und wenn die Frau – er betrachtete sie aufmerksam – sie scheint es sich wirklich zu Gemüthe gezogen zu haben; so etwas bessert und führt zur Reue.

O! es ist sonst eine gute, stille Frau, fiel der Commissionair ein, nur hat ihr immer der rechte Glaube gefehlt, und es ist sonderbar, trotz Hunger, Schande und Elend hat sie eine wahre Affenliebe zu dem Galgenstrick, ihrem Sohn.

Das ist bei dieser Art Menschen immer so, sagte der Geistliche, indem er sich der alten Frau näherte, die theilnahmlos an der Thür stand und nur dann und wann ihr trübes Auge irrend durch das Zimmer schickte. Meine liebe Frau, begann er tröstend! Sie hat viele Leiden gehabt aber Sie hat sie auch verschuldet. Den Sünder trifft die Sünde, denn der Herr ist gerecht! Es gibt jedoch keinen Fall, wie tief er auch wäre, von dem wahre Reue und Buße nicht aufrichten könnte.

Sie sah ihn starr an, ohne zu antworten, plötzlich griff sie nach dem Drücker der Thür und wollte hinaus, aber Herr Schröder zog ihre Hand mit einem heftigen Ruck zurück.

Heda, Frau, rief er, seid Ihr denn ganz und gar des Teufels! hier steht Ihr vor einem heiligen, ehrwürdigen Herrn, der sich Eurer annehmen will, undankbare, alte Creatur.

Sein Sie nicht zu eifrig, lieber Freund, fiel der schwarze Herr sanft ein; unser Meister befiehlt uns Undank und Spott demüthig zu tragen. – Ihr habt einen Sohn, Frau Simon, der im Pfuhle der Laster untergegangen ist.

Sie richtete sich auf.

Ich habe einen Sohn, sagte sie mit Heftigkeit, ja, Herr! einen einzigen Sohn und Niemand soll ihn beschimpfen. Sie haben ihn mir genommen, fortgeführt, eingesperrt bei Dieben und Mördern. O, Herr! Herr! schrie sie und hob die gefalteten Hände auf, machen Sie ihn frei; er ist unschuldig, ich weiß es, er kann nichts Böses thun. Es ist unmöglich! Wenn es einen Gott im Himmel gibt, er kann es nicht zulassen.

O, pfui! pfui! sagte Herr Schröder, wer wird so lästern.

Er wird es nicht zulassen, fuhr sie fort, nein, er wird sie alle finden und Simon wird rein hervorgehen. Aber da liegt er nun elend und geschlagen und er ist krank, wer wird ihn pflegen, wer wird ihn trösten? – Sie haben mich von der Gefängnißthür fortgejagt, ach! die Menschen sind schlecht und böse, sie wissen nicht, wie es einer armen Mutter thut in ihrer Einsamkeit.

Gott stärkt und schützt Den, der zu ihm kommt und reuig anfleht, sagte der Geistliche.

Gott! rief sie mit einem wilden, suchenden Blick, warum läßt er es geschehen? Was habe ich gethan, um mein Elend, um alle die Noth, die mich verfolgt?! Er sieht mich nicht, er hört mich nicht, er weiß nichts von mir; er hat uns vergessen, ganz vergessen!

Weil Ihr ihn vergessen habt, ruchlose, unglückliche Frau, schrie der Geistliche. Weil in Eurem versteckten Gemüth kein Funken des wahren Glaubens erwachen kann. Der Satan wohnt in Euch, der böse Feind bewegt Eure Lippen. Fallt nieder in den Staub und betet an vor der Majestät, verflucht Euren Unglauben, weist die Lästerung aus Eurem Herzen, die Lüge, die ewige Verdammniß, und bekennt vor allen Dingen Eure Schuld. Ruft aus, daß Euch Recht geschehen, schlagt an Eure elende Brust, die den Dieb und Verbrecher gesaugt hat, verflucht seine Sünden und Laster und sucht mich nicht zu täuschen, am wenigsten aber den Herrn der Welt, der die geheimsten Gedanken sieht und weiß.

Die alte Frau wäre wirklich niedergesunken, wenn nicht ihr Beschützer sie unterstützt hätte, während aber der Prediger sprach, hatte sich die Thür geöffnet, durch welche die Geheimräthin von Waldegg hereintrat. Die vornehme Dame hörte theilnehmend zu, dann trat sie dem tief sich verbeugenden Geistlichen näher.

Solche Flammenworte des Glaubens müssen auch den verstocktesten Sünder rühren, sagte sie. Das Schwert des Herrn ist in Ihrem Munde. Wer ist diese Frau?

Ihr Sohn hat sich eines schweren Verbrechens schuldig gemacht, versetzte der schwarze Herr, langsam seine tiefe Verbeugung wiederholend. Sie hält ihn für unschuldig und zweifelt an einer göttlichen Vorsehung.

Wohl den Müttern, die Freude an ihren Kindern erleben, rief die Geheimräthin. Ich bin darum hier, Ihnen die meine anzuzeigen. Florentine wird in drei Wochen vermählt. Ich hätte wohl gewünscht, daß Sie, mein lieber Freund, die Hände des jungen Paares in gottseliger Weise vereint hätten, allein mein Wille wurde überstimmt. Ich komme nun, um das Dankgefühl in mir durch eine kleine Gabe zu bethätigen. Ich bringe Ihnen für die Armen und Nothleidenden hundert Thaler. Sie werden wissen, wie dieselben am besten anzuwenden sind, da aber diese unglückliche Mutter eben hier ist, so bitte ich, sie vorzüglich zu bedenken, auch nicht abzulassen, bis die Sünde aus ihr gewichen und der Glaube eingekehrt ist.

Edle Wohlthäterin! rief der Geistliche, nehmen Sie im Namen zahlloser Unglücklichen meinen Dank. Den lasterhaften, verlorenen Sohn dieser Frau werde ich morgen im Gefängnisse besuchen und nicht aufhören an seiner Bekehrung zu arbeiten. Die Mutter aber soll der Pflege und Fürsorge des Vereins nicht entbehren, bis sich ihr die Pforten der Gnade öffnen.

O! Sie trefflicher, Sie himmlischer Mann, sagte die alte Dame gerührt, ich bin entzückt, Sie sprechen zu hören. Jedes Ihrer Worte ist Balsam, ein Lobgesang auf die Allmacht, die Sie als ihr auserwähltes Rüstzeug begnadigt hat.

Mögen sich die Herzen der fleischlich Gesinnten öffnen, sagte der Vereinsvorstand, aber leider leben wir in arger, gottloser Zeit, wo die Sinneslust und alle Laster geehrt und das wahre Heil verachtet wird. Zu Tanz und Schmaus, zu Komödie und Concert sind die Weltkinder immer bereit, wo es aber darauf ankommt, sich eine Stufe im Himmel zu bauen, da schweigen sie.

Es ist höchst traurig, erwiderte die Geheimräthin seufzend, daß man es nicht einmal dahin bringen kann, diese Verlorenen zu zwingen, durch Gesetze zu zwingen, die Kirche zu besuchen, zu beichten und fromme Werke zu thun.

Wenn Sie nur den Verein besser unterstützen wollten, rief jener kläglich, aber selbst darin herrscht der Indifferentismus und der Geiz und die Bosheit. Hier, dieser würdige Mann – meine gnädige Gönnerin, ich stelle Ihnen einen echt christlichen Bruder vor, den Commissionair Herrn Schröder – dieser würdige Mann könnte Vielen ein Vorbild sein. Er ist es, der mir diese Frau zur Bekehrung zugeführt hat. Herr Schröder, sagte er dann sanft lächelnd, Sie haben ja wol auch die Jahresliste noch nicht unterzeichnet und Ihr Schärflein dargebracht?

Ich bin noch nicht so glücklich gewesen, sagte Herr Schröder hustend, aber – aber –

So könnten Sie sogleich der milden Gabe sich entledigen, mein würdiger Freund.

Sehr gern, rief der Commissionair, ungemein gern – ich gebe immer gern; es ist tausendmal seliger, als nehmen, obgleich ich nicht mit Gütern gesegnet bin. Er zog dabei seine große Börse hervor und legte ein blankes Zweithalerstück etwas zögernd in die Hand seines Freundes.

Wie glücklich macht es mich, diese Beispiele der edelsten Menschenliebe zu sehen, rief die Geheimräthin, bis zu Thränen gerührt. Ich werde Sie nicht vergessen, Herr Schröder. Erscheinen Sie in der nächsten Andachtsversammlung bei mir und leben Sie wohl. Ich hoffe Sie bald zu sehen, lieber Freund.

Sie ging und stieg in den Wagen; Herr Schröder folgte etwas verstimmt, nachdem der Vorstand des Vereins noch eine lange Erbauungsrede für die alte Frau gehalten und dann ihr dasselbe Zweithalerstück gereicht hatte, das der Commissionair zum Opfer gebracht.

Ich hätt's doch in meinem Leben nicht geglaubt, sagte er draußen, daß Jemand im Stande sei, mir, so mir nichts, dir nichts, zwei Thaler abzunehmen, aber wart – er öffnete der alten Frau die Hand, nahm das Geldstück heraus, daß sie zwischen den Fingern hielt, steckte es ruhig in die Tasche und sagte: So, nun ist alles in der schönsten Ordnung. Ich werde es verwahren, damit es nicht unnütz zu schlechten Zwecken verpraßt werden kann.

Vielleicht hatte der Geistliche, der am Fenster stand, diese Operation beobachtet. Er kehrte sich lachend fort und rief:

Das ist doch ein enormer Pfiffikus, dieser würdige Bruder. Marie, bring mir eine Flasche Wein und den Braten, auch was sonst noch Liebliches vorhanden und laß Niemand mehr herein, ich bin sehr erschöpft. Gerechter Himmel! was ist Dein Knecht für ein geplagtes, armseliges Geschöpf.


11.

Zwei Wochen hatte Simon im Gefängniß gesessen, als er zum ersten Verhör geführt wurde. Die Riegel rasselten an der Thür des Kerkers, sein Name wurde gerufen, dann wurde er durch die Gänge hinauf und hinab geführt und endlich in ein kleines Zimmer geschoben, wo ein junger Mann mit einer Brille auf der Nase und ein zweiter, noch jüngerer, sich befanden, die zusammen frühstückten und, nachdem sie einen Blick auf ihn geworfen, in ihrer Beschäftigung fortfuhren und ihn an der Schranke stehen ließen.

Nachdem sie eine ganze Weile geschwatzt und gelacht hatten, wurde der Gefangene ungeduldig.

Wollen Sie so gütig sein und meine Vernehmung beginnen? sagte er.

Du hast wol keine Zeit? fragte der Jüngste spöttisch.

Ich dachte, erwiderte Simon, daß ich schon längst verhört sein mußte, wie es das Gesetz vorschreibt in den ersten zwei mal vier und zwanzig Stunden. Statt dessen vergehen Wochen und bei manchen Unglücklichen Monate.

Halt's Maul! rief der Richter. Warum gibt es soviel Gesindel, das unmäßige Arbeit macht? Du hast also einen gewaltsamen Einbruch begangen?

Ich habe nichts begangen.

Ah, so! und darum bist Du hier im Asyl der verfolgten Unschuld.

Sie lachten Beide.

Meine Herren, sagte Simon und eine dunkle Glut färbte sein Gesicht, man beschuldigt mich eines Verbrechens; an Ihnen ist es, den Beweis dafür zu liefern. Ich war in England. Dort hält man den Verhafteten so lange für schuldlos, bis er überführt ist, hier ist jeder ein Verbrecher, bis seine Unschuld sich etwa erweist. Man verhöhnt den Gefangenen dort nicht an der Schranke des Gerichts, eben weil man annimmt, daß er schuldlos leiden könne; man achtet im Aermsten den Menschen, hier ist es genug, arm zu sein, um verdächtig zu werden; angeklagt ist man rettungslos.

Frecher Patron, rief der junge Herr. mit der Brille und faßte nach der Klingelschnur, wenn er sich untersteht, seinen Richter noch mit einem Worte zu beleidigen, so gibt es Mittel, ihn zur Vernunft zu bringen.

Ich verlange mein Recht, sagte Simon ruhig, ich beleidige Sie nicht. Und mit welchem Recht hält man mich hier seit Wochen gefangen? Man beschuldigt mich des Diebstahls, wo sind die Beweise, wo die Zeugen? Warum beraubt man mich gewaltsam meiner persönlichen Freiheit auf das Wort von Dieben und Schurken!

Der Richter antwortete nicht; er leitete das Protokoll ein und richtete dann ein Kreuzverhör gegen den Angeklagten, das mehre Stunden währte und mit vieler juristischer Geschicklichkeit geführt wurde. Dann und wann hielt er ein, stützte sich auf kleine Verschiedenheiten der Aussagen und suchte Simon in Widersprüche zu verwickeln, welche dieser jedoch verständig und siegreich bekämpfte, bis endlich der Richter die Klingel zog und dem Gerichtsdiener befahl, die Mitverbrecher und Zeugen herbeizuführen.

Nach einigem Warten traten die beiden Genossen herein. Der Jude mit seinem höhnisch lächelnden Gesicht hatte die Zuversicht durchaus nicht verloren und einen gewissen Anstrich von Laune beibehalten. Er grüßte den Inquirenten, wie einen alten Bekannten, dann streckte er Simon die Hand entgegen und sagte:

Es ist mir schmerzlich, Dich mit diesem Armsündergesicht hier zu sehen, lieber Junge und noch tausendmal schmerzlicher, wenn ich etwa dazu beitragen sollte, Deine kleinen Ungelegenheiten zu vermehren.

Simon wendete sich schweigend ab und sein Blick traf auf Kippstein, der damit beschäftigt gewesen, das erbsenfarbene Haar glatt zu streichen, seine Binde straff zu ziehen und mit dem einen Ermel seines etwas zerrissenen Rockes einen großen Fettfleck auf dem andern abzureiben. Jetzt sah er Simon an und nickte ihm leise zu. In seinen Mienen malte sich eine gewisse Versöhnlichkeit, dann blinzelte er auf Rosenfeld mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung, spuckte aus und murmelte zwischen den Zähnen einen Fluch, der nicht enden wollte.

Kennst Du den, Rosenfeld? sagte der Richter, indem er auf Simon zeigte.

Warum soll ich ihn nicht kennen? Es ist der Sohn des alten Uhrmachers Simon. Sein Vater hatte den spaßhaften Einfall, ihn Simon Simon taufen zu lassen. Wir haben ihn manchmal damit geneckt, wie er noch klein war und wir zusammen spielten.

Also eine Jugendfreundschaft und diese habt Ihr gebührend fortgesetzt.

Das Verhör ging nun seinen Gang bis zu der speciellen Frage über den gemeinsam verübten Einbruch.

Ich weiß nichts, sagte der Jude eifrig, gar nichts, ich kann einen Eid leisten, Herr Justizrath. Ich kam zufällig die Straße herunter, wie zwei Menschen ins Haus gingen. Es sind ein paar Bekannte dachte ich, willst einen Augenblick warten. Ich stellte mich also unten an die Thür, plötzlich kam die Polizei, hielten mich fest und dann –

Nun was dann?

Was ist da zu sagen, rief Rosenfeld lachend. Sie brachten den Kippstein heraus mit einer abgeschundenen Nase und das hübsche Gesicht ganz voll Blut.

Du Hund! schrie der häßliche Kerl, indem er seine Wuth gegen den alten Genossen wendete, Du niederträchtiger Verräther, Du hast keine Ehre im Leib, Du jüdisches Schwein. Er richtete sich majestätisch auf. Meinetwegen, sagte er, schreiben Sie's hin, ich will's nicht leugnen, und Du, Simon, thu's auch nicht, es hilft Dir nichts, als ehrliche Kessen wollen wir's dulden.

Er faßte Simon an den Arm, der ihn heftig zurückstieß.

Rühr mich nicht an, sagte er stolz; so elend und unglücklich ich bin, soll mich doch die Hand eines gemeinen Bösewichts nicht berühren. Klagt Euch an, wie Ihr wollt, ich habe nichts mit Euch zu schaffen. Und ist das der ganze Beweis gegen mich? fuhr er fort, indem er sich zu dem Richter wendete. Zwei Diebe, zwei Schurken, die sich gegenseitig verrathen. Ich habe nichts mehr zu sagen, ich werde nicht mehr antworten, denn ich will mich nicht gegen diese da vertheidigen.

Bei diesem Vorsatz blieb er. Der Protokollführer schrieb die Aussagen nieder, welche sich gegenseitig ergänzten. Simon hatte die beiden Diebe aufgesucht, sie zum Einbruch aufgemuntert, ihnen vorgespiegelt, daß eine bedeutende Geldsumme zu holen sei, die der Baron in seinem Secretair verwahre; Alles ausgekundschaftet und die That geleitet.

Mitten im Verhör ward die Thür geöffnet, und Herr von Selben trat selbst herein. Der Justizmann begrüßte ihn, lud ihn hinter das Gitter, nöthigte ihn zum Niedersetzen und verwebte seine Angabe, daß Simon kurze Zeit vorher einmal bei ihm gewesen und ihm einen Brief gebracht habe, mit den übrigen Indicien zum Beweise gegen den unglücklichen jungen Mann, der still, und ohne eine Antwort auf die an ihn gerichteten Fragen zu geben, sich an die Mauer lehnte.

Der Richter ließ die beiden Zeugen abtreten und wandte sich dann, nachdem er heimlich mit dem Baron gesprochen, nochmals zu dem Verbrecher.

Was hilft jetzt noch alles Leugnen, sagte er milde, wo der Beweis so fest steht, Simon. Nur ein offenes Bekenntniß kann Deine Richter überzeugen, daß sie es nicht mit einem abgehärteten verstockten Sünder zu thun haben und Deine Strafe mildern. Gestehe reumüthig Deine Schuld, und gib die geraubten, wichtigen Papiere zurück, so soll Alles geschehen, Deine Lage zu erleichtern und Dich mit der Welt auszusöhnen.

Mit der Welt auszusöhnen, sagte Simon dumpf und eine jähe Röthe stieg in sein Gesicht. Mit dem Brandmark der Schande auf der Stirn.

Er deckte heftig die Hände darüber.

O, mein Gott! mein Gott!

Wenn er die Papiere zurückgibt, sagte der Baron, so will ich mein Ehrenwort verpfänden, nichts unversucht zu lassen, um ihn von jeder Strafe zu befreien.

Der Richter lächelte leise vor sich hin, Simon aber nahm die Hände von seinem Gesicht und sagte:

Sie haben mir das schon einmal gesagt, und ich antwortete Ihnen, daß ich nicht weiß, was Sie wollen. Wenns aber auch wäre, wie es nicht ist – er sah ihn mit seinen glänzenden großen Augen so starr an, daß der Baron es nicht ertragen konnte – ich habe eine alte Mutter, fuhr er fort, einen ehrlichen Namen. Meine Mutter würde sterben vor Gram, wenn Ihr Sohn ein Dieb sein könnte. Beim allmächtigen Gott, er kann es nicht sein, ich bin unschuldig! Quälen Sie mich nicht, verurtheilen Sie mich, verdammen Sie mich nach Ihren Gesetzen, hier innen – er legte die Hand auf seine Brust hier wohnt der Richter, der mich frei spricht.

Niederträchtiger Heuchler! rief der Baron aufspringend, Du allein hast mich bestohlen, Elender! Bösewicht!

Und doch, sagte Simon verächtlich, möchte ich nicht mit Ihnen tauschen.

Gibt es denn kein Mittel, rief der Baron, die Wahrheit herauszubringen? diesen Schurken zum Geständniß zu bewegen?

Je nun, erwiderte der Richter leise, hartnäckiges Lügen bleibt nicht ohne Strafe. Wir haben freilich keine Tortur mehr, aber Peitsche und Kette, doch lassen Sie uns nochmals versuchen.

Er begann von Neuem das Verhör und die einsilbigen Antworten Simons fachten dabei seinen Zorn an, der im höchsten Grade erwachte, als der Verbrecher endlich sagte:

Sie erwähnten vorhin, es gäbe keine Tortur mehr, aber sind diese Verhöre, durch lange Stunden fortgesetzt, während ich hier vor Ihnen stehe und vor Müdigkeit und Anstrengung fast unterliegend, mich verhöhnen und beschimpfen lassen muß, keine Tortur? Ich antworte Ihnen nicht mehr, denn ich habe nichts mehr zu sagen, nichts als das einzige immer zu wiederholende Wort, daß ich mich frei von aller und jeder Schuld weiß.

Nun Patron, erwiderte der Richter, wir wollen Dich schon mürbe machen.

Ist Ihnen jemals solche Frechheit und Bosheit vorgekommen? sagte der Baron.

Das ist gerade nichts Neues, versetzte der Justizrath lächelnd, aber wir haben schon Manchen hier gezähmt, der wild und toll auf seine Unschuld schwor.

Er klingelte und ließ den Gefangenen in seine Zelle zurückführen, zugleich aber den Oberaufseher des Gefängnisses ersuchen, auf einen Augenblick herüber zu kommen. Inzwischen versicherte er den Baron, daß nichts unversucht bleiben werde, ein Geständniß zu veranlassen und tröstete ihn mit der Hoffnung, daß ein so junger, unerfahrener Verbrecher gewöhnlich bald den Muth verliere, wenn die ganze Schreckniß des Gefängnisses über ihn komme.

Nach einer Weile erschien der Oberaufseher, ein starker, strengblickender Mann, der höflich fragte, was man von ihm begehre.

Herr Granzow, sagte der Justizrath, ihm die Hand schüttelnd, wir haben hier einen verstockten Sünder, den ich gern etwas streng gehalten und beobachtet wissen wollte.

Wer ist es denn? fragte der Oberaufseher.

Der Richter nannte den Namen, und das Gesicht des Gefängnißcommandanten erhellte sich.

Ist es der, rief er, nun da gibt es sogleich die beste Gelegenheit von selbst. Ich habe ihm so eben etwas Geld, einen beschriebenen Zettel voll Krähenfüßen, die Grüße und Klagen bedeuten und einen Schlafrock oder so etwas abgenommen, den er hier auf dem Gange von einem der Wächter zugesteckt erhalten hat. Ich begegnete ihm zufällig und sah den Zipfel unten vorgucken. Er ist ganz und gar ein Neuling und unbehülflich über die Maßen. Wahrscheinlich hat er heilig versprechen müssen, den Kerl nicht zu verrathen, denn er wollte durchaus nicht bekennen, von wem er es erhalten habe, aber ich will es auf jeden Fall wissen, um den Unterschleifen ein Ende zu machen.

Allerdings, erwiderte der Justizrath, und Sie könnten eine Hausstrafe anwenden.

Wenn er nicht bekennt, soll er an die Kette.

Schön, auch etwas Wasser und Brod dazu, und wenn er bekennt, so muß es ein allgemeines Bekenntniß sein. Der Patron muß mürbe gemacht werden, Herr Granzow.

Der Oberaufseher nickte und empfahl sich.

Wir wollen ihm schon einheizen, sagte er.

Jetzt sein Sie überzeugt, versicherte der Justizrath seinem Bekannten, er wird bald so weit sein, wie wir ihn haben wollen.

Sind Sie noch lange beschäftigt? fragte der Baron

Für heute ist's genug, rief der Mann des Gesetzes, ich bin wahrhaftig mürbe und matt geworden.

So lassen Sie uns zusammen diniren und mit Champagner die sinkenden Kräfte auffrischen.

Der Justizrath lächelte dankbar und beide gingen Arm in Arm davon.


12.

Eine Woche war vergangen und dann noch eine, ohne ein Bekenntniß von Simons Lippen zu bringen. Man hatte ihn in einen Kerker gebracht, der hoch unter dem höchsten Dache des Gefängnisses lag. Da stand er an der Wand eine Kette am Arm, eine Kette am Fuß und beide durch eine starke Krampe in der Mauer verbunden. Einen Schritt zur Rechten, einen zur Linken konnte er machen und sich auf den Holzklotz niedersetzen, wenn er müde war.

Er war allein in der kleinen Zelle. Anfangs hatte er einen Gefährten gehabt, einen Dieb der gemeinsten Sorte, aber nach der ersten Woche hatte dieser um des Himmels willen gebeten, ihn herauszunehmen, weil der Mensch an der Kette stumm sei, keinen Laut von sich gebe, Stunden und Tage lang vor sich hinstarre. Heut hatte man seinen Wunsch erfüllt und Simon war allein.

Langsam richtete er sich von dem Klotze auf und sah nach dem vergitterten Fensterchen empor, durch welches die Abendsonne einen feurigrothen Schein auf die weißgetünchte Kerkermauer warf. Draußen flogen rasche Schwalben auf und ab. Er hörte ihren Freiheits- und Glückesruf, er sah in die blaue, sonnige Luft und er lächelte vor sich hin, die starren Augen fest geheftet auf den friedensvollen Himmel.

Die Kerkermauern barsten vor ihm, der unhemmbare Geist schlüpfte hinaus in das Gewühl des Lebens unter die frohen, lachenden, geschäftigen Menschen. Da standen die grünen Bäume und schüttelten ihre Wipfel und Kronen ihm entgegen, da glitt sein eiliger Fuß durch die Straßen und endlich sprang er die Stufen der düstern, schmalen Treppe hinab und in die Arme der alten Frau, die ihre zitternden Hände auf ihn legte, mit Küssen und Thränen seinen Namen rief und jubelnd dem allmächtigen Beschützer der Elenden und Geschlagenen für die Rettung des Schuldlosen dankte.

Er zuckte zusammen, wie er das dachte, aber plötzlich trat ein holdes schönes Bild sänftigend vor ihn hin. Das faßte seine Finger und sah ihn an mit dankbarer Huld, mit Augen, die von wehmüthiger Liebe, wie in himmlischer Verklärung schimmerten. Und eine Stimme rief ihn, eine Stimme, die jedesmal bis ins innerste Mark seines Lebens ihn getroffen.

Mein Freund, mein einziger, liebster Freund, sprach sie, ja Du trägst ein königliches Herz in Deiner Brust, und was Du auch gelitten, ich will es vergelten. Ruh' aus an meinem Herzen, ruh' aus, Du armer, müder Mensch, Du Geliebter, Vielgetreuer.

Und ihre Arme schlangen sich um ihn, ihre süßen Lippen berührten die seinen, Thränen fielen heiß auf seine Wangen. Da hob er seine Hände jäh auf im Entzücken und – plötzlich klirrte die Kette und riß sie zurück. Mit wilden Blicken sah er, umher. Sein Gesicht war thränenfeucht, es war die eigene bittere Fluth seiner Schmerzen, die drüber hingeströmt, und traurig lächelnd, traurig seufzend sank er auf den harten Sitz nieder.

Nach einigen Augenblicken hörte er Schritte an der Thür, leise Worte draußen, Klirren der Riegel und Schlüssel und eine freudige Ahnung durchbebte sein Herz. Er richtete sich auf, fieberhaft erwartungsvoll und scheu schlug er das Auge nieder, als er in Begleitung des Oberaufsehers einen fremden, schwarz gekleideten Herrn hereintreten sah, der ihn ernst ansah, dann dem Schließer winkte, der die Thür ins Schloß fallen ließ, und mit langsamen Schritte sich nahte.

Ich bin der Geistliche des Gefängnisses, sagte er. Schon seit längerer Zeit habe ich Ihren bekümmerten frommen Verwandten und Freunden versprochen, Sie zu besuchen, um Reue und Trost in Ihr Herz zu bringen.

Mein Herz ist demüthig, sagte Simon, nachdem er den Tröster still und aufmerksam betrachtet hatte, ich vertraue auf mein Recht, ehrwürdiger Herr, und bin bereit zu leiden. Reue über die That, welche ich begangen haben soll, kann ich nicht empfinden, Trost gibt mir das Bewußtsein des Unrechts, das mir geschieht.

Der Geistliche sah den Mann in Lumpen und Banden etwas erstaunt an über die Art seiner Antwort.

Ei, ei! sagte er dann, indem er sich halb zu dem Aufseher wandte, er scheint wirklich sehr verstockt zu sein.

Er hat das rechte Ansehen dazu, erwiderte dieser.

Wundern sollte es mich nicht, sagte der Gefangene düster vor sich hin, wenn er Recht hätte.

Ich habe vernommen, erwiderte der Prediger, mit welcher Hartnäckigkeit die Lüge in Ihnen wohnt, so daß man sich gezwungen sah, harte Strafmittel anzuwenden.

Diese Kette, sagte Simon traurig, sie drückt mich nicht. Aber Sie, Sie, ein Diener Gottes, ein Diener der höchsten Gerechtigkeit, Sie sollten diese Grausamkeit nicht rechtfertigen. Ich habe dagegen meine Stimme erhoben, sie verhallt in diesen einsamen Wänden. Was habe ich gethan, daß man mich wie ein wildes Thier wochenlang an diese Mauer schmiedet, um durch Marter das zu erpressen, was Sie Wahrheit nennen? Ich bin ein Mensch, ich verlange mein gleiches Menschenrecht. Ich bin ein Unglücklicher, ein Verbrecher, wie Sie sagen, aber darum noch nicht der willkürlichen Macht überliefert, nicht Mitgeschöpfen überantwortet, denen es Freude macht, grausam und gewaltthätig zu sein.

Der Mann mit dem harten Gesicht trat näher heran und sagte kalt:

Für diese freche Rede sollst Du ein paar Wochen länger in den Eisen bleiben und morgen zwölf Hiebe bekommen. Es geschieht nichts hier, was nicht strenges Recht wäre.

Ein schwaches Lächeln lief über Simons Gesicht, ein Lächeln der Verachtung. Es ist wahr, sagte er, denn was wäre hier nicht erlaubt, und was nicht Recht.

Das sollst Du erfahren, Schlingel, wenn Du nicht sogleich schweigst, rief der Oberaufseher.

Bitte, Herr Granzow, lassen Sie mich mit ihm allein, sagte der Prediger. Es wird bald dunkel und meine Zeit ist gemessen.

Der Oberaufseher ging hinaus, der Geistliche rückte einen der Klötze dem Gefangenen näher, setzte sich und begann dann eine eindringliche Strafrede, über die Lüge und Bosheit der verstockten Seele, über die Strafen, welche diesseits und jenseits den Sünder erwarten und über die Versöhnung mit Gott durch aufrichtige Reue, welche allein das goldene Thor der Gnade öffnen könne.

Simon hörte schweigend zu, zuweilen nur zuckte es durch sein Gesicht und endlich sagte er:

Ich bin der Sünder nicht, ehrwürdiger Herr, den Sie im höllischen Feuer malen.

Alle Menschen sind Sünder, rief der Geistliche, alle Menschen haben die Hölle in sich, die Natterbrut kann nur entrinnen durch Buße.

Er zog ein Büchlein aus der Tasche, schlug es auf und zeigte dem Gefangenen ein Bild, wo ein jammervoll anzusehender Sünder vom Teufel am Strick fortgezogen, von Engeln aber zum Vertrauen auf Gott ermahnt und auf das Lamm gewiesen wird, das mit der Fahne auf einem Blumenhügel steht.

Hier siehe Dein eigen Bild, bethörter, sündiger Jüngling, rief er. Der Teufel wartet, der alte Drache nagt an dem Boden, auf dem Du stehst. Flehe und thue Buße, ehe es zu spät ist, bekehre Dich zum Herrn, Deinem Gott, denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte.

Würdiger Herr, sagte Simon ruhig, ich vertraue auf Gott. Ich glaube, daß er einst die Finsterniß auf Erden zerstreuen wird, daß sein helles Licht allen Menschen leuchten, daß er den Teufel des Hochmuths, der Heuchelei und der Laster ausrotten und die Menschen frei und glücklich machen werde. Ach! bis dahin aber wird noch viele Zeit vergehen, fuhr er dann seufzend fort und ließ den Kopf in seine Hände sinken, bis dahin wird man vergebens seufzen, und die Armen und Gemißhandelten werden geschlagen sein, wie ich es bin, verachtet und verworfen, weil ich arm bin. O! lassen Sie mich. Wollen Sie mich trösten, so sagen Sie mir, daß meine Mutter wohl ist und daß es ihr gut geht.

Elender Mensch! rief der Prediger entrüstet, so gehörst Du Denen ganz zu, Denen ihr Antheil werden soll im Pfuhle, der mit Feuer und Schwefel brennt.

Dann, sagte der Gefangene, werde ich wenigstens einen Antheil haben, da mir und meinen ausgestoßenen Brüdern die Erde keinen gewährt. Warum gehöre ich zu der vergessenen Kaste, die ihr Brod mit Thränen essen und Sklave ihrer glücklicheren Brüder sein soll?! Beantworten Sie mir das? Warum liege ich hier gebunden und geschlagen und tausend Glückliche freuen sich des Lebens und seiner Güter? Warum diese fürchterliche Ungleichheit? Warum bin ich geboren, um in Hunger und Elend ein Knecht zu sein, den man mit Füßen stößt, den man wie einen Wurm zertritt? Und seine Verzweiflung verhallt, es regt sich kein Blatt am Baume davon. Wo ist die Gerechtigkeit, wo die Weisheit?! O! Ihr Reichen, Ihr Mächtigen, Ihr Uebermüthigen, was weist Ihr uns auf den Himmel und nehmt die Erde für Euch! Dort soll ewige Gleichheit sein, hier ewige Ungleichheit; dort Seligkeit, hier Verdammniß. Fort damit! fort! rief er heftig, Ihr werdet mich nicht bekehren. Ich will nicht glauben, ich kann nicht glauben! Gebt erst heraus, was Ihr mir gestohlen habt, mein Leben, mein Glück, mein Menschenrecht und seht diese Ketten, diese Wundenmale! Eure Worte sind Lügen, Ihr, Ihr seid es, die Gott beleidigt, Ihr fordert seine Langmuth heraus, er wird Euch finden, er wird erscheinen in Sturm und rothen Blitzen, er wird Euch treffen, ehe Ihrs denkt, ja, ehe Ihrs denkt!

Der Geistliche war überrascht aufgestanden, bestürzt über die wilde Beredtsamkeit. Die finstre Gestalt an der Mauer, das Rasseln der Kette, das Blitzen seiner Augen, die heftig und schnell hervorgestoßenen Worte, die in dem öden, leeren Raume, der sich mit dem Schatten des Abends zu füllen begann, dumpf und doppelt widerhallten. Alles flößte ihm ein Grauen ein, daß er einen Wahnsinnigen vor sich habe. Er klopfte an die Thür, der Schließer kam und öffnete.

Dieser Mensch, sagte der Geistliche, Athem schöpfend, er ist nicht bei Sinnen, oder er ist ein Bösewicht, wie er selten gefunden wird, durch und durch verpestet von der höllischen Sünde. Er lästert Gott, er lästert die Gebote, die höchsten, heiligsten Satzungen tastet er an.

Da werden wir ihm wol ein Abkühlungsmittel geben müssen, sagte der Wärter grinsend.

Ich werde ihm dies stärkende Büchlein hier lassen, fuhr der Geistliche fort und legte es auf den Klotz, vielleicht wirkt es auf sein zerrüttetes Gehirn, denn die einzige, wahre Arzenei in aller Krankheit des Leibes und der Seele bleibt das Wort und das Gebet.

Er wandte sich noch einmal zu Simon und gedachte seines eigentlichen Auftrages, aber er sah wol ein, daß heut nichts davon zu hoffen war.

In einigen Tagen werde ich wiederkommen, sagte er; sucht inzwischen Euer böses Gemüth zu bekehren, oder alle Strafen werden und müssen Euch doppelt und dreifach treffen.

Als er fort war, nahm Simon den Fuß und stieß das Buch in die fernste Ecke. Eine fieberhafte Glut war in seinen Adern; er wand die Hände krampfhaft fest zusammen, dann riß er sie gewaltsam los und lachte wild auf. Die Freude stieg in ihm auf, daß er Worte gefunden, seinen Zorn, die ganze Wuth seiner Empfindungen auszusprechen, daß er sie einem Menschen zurufen konnte, der sie angehört hatte, erstaunt, bestürzt und zum Schweigen gebracht.

Er setzte sich und dachte lange nach, was aus ihm geworden wäre, wenn nicht Armuth und Elend seine Wiege umstanden hätten. Seine Träume trugen ihn in ein Feenland. Er sah sich reich, jung, geehrt, in herrlichen Kleidern, in prächtigen Gemächern. Er, der arme, verlassene Verbrecher, er fühlte sich zu edlen Thaten bestimmt, besser als Viele, hochgeartet, voll Stolz und Willenskraft, das Größte zu erstreben, und wie er glücklich lächelnd die Augen schloß, sah er sich an der Seite des holden Geschöpfes, dem er sich geopfert hatte.

In seliger Liebe reichte sie ihm die Hand, er sank zu ihren Füßen, seine heißen Küsse bedeckten die weißen, zarten Finger, ach! es war ein Traum, er wußte es wohl, es war nichts als ein Rausch, dem ein schreckliches Erwachen folgte, aber er wickelte sein krankes Herz in weiche, warme Binden und träumte weiter, wenn auch dann und wann ein schmerzhaftes, blitzähnliches Zucken durch die kalten Glieder drang, oder sein hohler Husten ihn aufzuwecken suchte.

Endlich kam der Wächter, warf die harte Matraze herein und löste seine Kette, damit er sich ausstrecken könnte. Simon schien ihn kaum zu beachten. Er sah nach dem Fenster hinauf, das seit einiger Zeit schon vom rothen Lichtschein widerglänzte und schien auf ein fernes Gemurmel von Menschenstimmen zu hören, welche verworren aus der Tiefe, aus dem Leben der Freien und Glücklichen, bis in den Kerker drang.

Aha, sagte der Wächter, der es bemerkte, da möchtest Du wol dabei sein.

Was gibt es dort? fragte Simon.

Nun, fangen werden sie mehr als einen, der den Maulaffen die Taschen leer macht, erwiderte der Mann. Bei solchen Gelegenheiten wird gestohlen, daß es eine Lust ist.

Es ist ein Fackelzug, sagte der Gefangene.

Eine Hochzeit mit Fackeln und einem großen Aufzug. Der Sohn des Herrn Präsidenten heirathet ein reiches Fräulein.

Wie heißt sie? fragte Simon.

Wart mal, wart mal, ich hab's gehört. Waldenberg, Waldenstein, Waldegg, richtig Waldegg. Nun weißt Du's und kannst von Braten und Kuchen träumen.

Lachend ging er fort und die dichte Finsterniß des Kerkers fiel auf Geist und Leben des Verlassenen. Mit stieren Blicken sah er nach dem Fenster hinaus und nach dem Feuerschein, der ihrer Hochzeit leuchtete. Er konnte nicht denken, seinen Empfindungen keine Worte geben; kein Laut des Schmerzes, kein Seufzer kam über seine Lippen.

Endlich verschwand das Licht, das Gemurr des Lebens, aber um ihn her wachte ein anderes auf. Feurige Funken wandten sich zu Kreisen und Rädern um ihn, wunderbare Gestalten streckten tausend Köpfe und Krallen daraus hervor. Aus dem weißen Buche des Priesters in der fernen Ecke, das hell leuchtete, krochen sie leise und malten glühend große Worte an die Wand. Das kleine Bild auf dem Titelblatte wurde lebendig. Die Teufel schleppten den Sünder an rothfunkelnden Ketten, der alte Drache schnappte mit den giftigen, entsetzlichen Kiefern, das Lamm senkte das Haupt, die Engel flohen, die Thür im Himmel schloß sich zu und der Sünder, der verlorene, der ewig verlorene, das war er selbst, der mit wild rollenden Augen, mit verzerrten, verzweiflungsvollen Mienen sich vergebens sträubte.

In seiner Herzensangst sprang der Unglückliche auf, sein Kopf war schwer, seine Augen verglast, seine Lippen ausgetrocknet. Ich bin unschuldig! rief er mit furchtbarer Anstrengung; aber kein Ton kam hervor, nur ein Hohngelächter, das lauter und lauter, immer näher und näher rund um ihn aus dem Boden stieg, gab ihm Antwort.

Und nun tanzten sie um ihn alle, die seltsamen, entsetzlichen Geschöpfe. Mitten darunter stand der kleine Commissionair, entzückt in die Hände schlagend und ihn voll höllischer Lust betrachtend; da brach die Decke ein, ein todtes, nebelhaftes Wesen schwebte langsam herab, ein Hauch, ein Rauch, der sich spaltete, ein Kopf der daraus hervorsah, der Kopf eines Greises, lang, schmal, blutigblau und ein rother Reif zog sich um den Hals, auf den er zeigte, den er nickend bewegte, und die Hand nach Simon ausstreckte.

Ein eisiger Schauer schüttelte den armen Fieberkranken, seine Lippen murmelten den Vaternamen, er streckte die Hand aus, er strauchelte, die Brust wollte ihn zersprengen, plötzlich kochte es heiß, stechend darin auf und mit dem Blutstrom, der unaufhaltsam hervorbrach, stürzte er leblos auf das harte Lager.


13.

Die schöne junge Frau war an dem beglückten ersten Morgen ihrer Ehe mit dem Manne ihrer Liebe und ihrer Wahl allein, und Beide bauten sich die Welt auf, in der sie nun leben wollten, richteten daran, zimmerten hin und her und freuten sich mit jener Seligkeit der Hoffnungen, wie man ein schönes buntes Spielwerk nach allen Seiten wendet, immer neue glänzendere Farben daran entdeckt, sich nicht satt sehen kann und der Einbildungskraft die weitesten Flügel verleiht, indem man Bilder und Gestalten erblickt und deutlich erkennt, die ein kälter beobachtendes Auge nicht finden würde.

Liebe, Geliebte, rief Ferdinand endlich lächelnd, wir schwärmen wie die Kinder und würden den verständigen Leuten ein Gräuel sein. Wie oft habe ich gespottet, über diese, alles vergessende Hingebung an ein geliebtes Wesen, dies süße Spiel der Herzen Thorheit genannt und wol noch mit härtern Namen belegt. Es schien mir zuweilen eine traurige Schwäche, eine Entwürdigung des Geistes, eine Entnervung der männlichen Kraft zur That und nun bin ich ihr auch verfallen, nun möchte ich nichts denken und nichts empfinden als Dich, nun ist die ganze übrige Welt mir so schaal und was ich als das Edelste darin erkannte, steht so fern und erblaßt, als wäre die Liebe wirklich das Höchste, das Einzige, wonach zu ringen und zu streben sei.

Und ist sie das nicht? rief Florentine zärtlich. Ist Liebe nicht das Göttliche im Leben? Ist sie nicht der Stern, der leuchtet, wenn rings Alles in Gewitternacht und Sturm vergeht?! Wo ist der Anker der fester hielte? Wo ist das Land der Rettung, wenn sie es nicht ist? Was gibt es Höheres, als ein Herz, das jedes Opfers fähig, nichts kennt und will, als das eine Leben, an das es gefesselt; o! Ferdinand, kannst Du fragen, ob Liebe nicht das unermeßlich reichste Gut ist, was der Mensch erwerben und erstreben kann?

Der junge Mann schloß ihr den schwellenden Mund mit heißen Küssen.

Wie es auch sein mag, rief er, ob der Gedanke, die Wissenschaft, der Geist mit seinem mächtigen Walten, der Ehrgeiz, und alles Streben, wie es auch heißen mag in Kunst und Kraft und Menschengröße, dem Manne mehr gelten sollen, als Weibesliebe, mir soll diese jetzt das Höchste sein. Wir wollen unsern Rosenmonat ganz fern von der neugierigen zudringlichen Menge feiern und ganz in der Stille uns eine Hütte bauen, in die nichts mit uns einziehen soll als die Liebe. Mitten im Walde, sechs Meilen von der Stadt habe ich ein Häuschen dazu bereit. Es ist zierlich eingerichtet, mit Allem, was nöthig und bequem versehen, eine Eremitage, die zu dem nahen Schlosse eines Freundes gehört, der sich seit Jahren auf Reisen befindet. Ein Förster allein wohnt einige hundert Schritte davon; er und seine Frau geben uns Beistand und Bedienung. Um das Häuschen läuft ein Garten mit dunklen Lerchenbäumen und Weihmuthskiefern, mit Fliederhecken und Rosen und Jasmin. Zwischen ihnen zieht ein klares, murmelndes Bergwasser hin, das ein paar Fuß hinabstürzend einen Fall bildet, dessen Rauschen bis an das Hüttchen dringt. Willst Du dort mit mir wohnen, Florentine? Einsam selig, liebend und geliebt, verstohlen Arm in Arm zwischen den vertrauten Büschen gehend, wenn der Mond allein über den Himmel zieht; in der grünen Waldnacht über die Berge wandernd, über Thau und sammetreichen Rasen, bis die junge Sonne kommt? Willst Du?

Wie glücklich, wie selig bin ich! rief sie weinend und zitternd. Das war mein geheimster stärkster Wunsch, o! laß uns fort, schnell fort, ehe ein kalter Hauch das schöne Glück zerstört.

Es ist alles bereit, sagte Ferdinand. Mein Vater und Deine Mutter sind Beide noch schlafend und ehe sie aufwachen, sind wir auf und davon. Wir lassen einen Zettel hier und empfehlen uns, indem wir zugleich bemerken, daß wir in ein paar Tagen oder Wochen die nöthige Nachricht von uns geben würden. So verbinden wir zugleich einen Scherz mit unserm guten Vorhaben, äffen die Neugierigen und geben Stoff zu Vermuthungen, Neid, und witzigen oder albernen Randglossen in Fülle.

Florentine nahm diese Bemerkungen lachend und beistimmend auf. Sie schlug entzückt die Hände zusammen und nach einigen zärtlichen Augenblicken des Abschieds, der kaum eine halbe Stunde dauern sollte, machte sich Ferdinand davon, um im Geheimen den Wagen zu bestellen, der in einer der nächsten Straßen warten sollte.

Er konnte es sich wol denken, daß seine Schwiegermutter den Streich nicht eben allzu wohlgefällig aufnehmen würde, der in ihren Augen gegen allen Anstand und gute Sitte verstieß; auch würde sein Vater wenig geneigt sein, ihn zu billigen, aber eben deswegen wollte er es. Unabhängig von Beiden wollte er sein, sein geistiges Uebergewicht geltend machen und vom ersten Augenblick an zeigen, daß er rücksichtslos seinen eigenen Weg verfolgen werde. Es machte ihm auch Spaß, daran zu denken, was die Welt sagen werde, wie sie spotten, wie sie die Näschen rümpfen und wie sie heimlich vor Neid und Neugier sich martern würden.

So ging er denn lachend und schnell durch die Seitenpforte aus dem Hause, unbemerkt in der Morgenstunde, bog schnell um einige Ecken und war unmuthig überrascht, als ein Herr, den er kannte, ein Justizrath und Criminalbeamter, begleitet von einem Andern, ihm plötzlich einen guten Morgen bot.

Der verwunderte Blick des juristischen Freundes schien deutlich sagen zu wollen: Wie in aller Welt kommst Du zu solcher Stunde allein auf die Straße nach der Hochzeit von gestern? Er lächelte aber fein und gratulirte nicht einmal, vor allem Uebrigen ward er durch Ferdinands Frage abgehalten, was ihn in aller Frühe mit Akten unter dem Arm schon hinausgetrieben?

Geschäfte, erwiderte der Justizrath, und zwar keinesweges angenehme. Nichts trauriger, als fort und fort mit dem elenden, entsittlichten, entmenschten Gesindel umzugehen. Der letzte Rest vom Glauben an die Menschheit wird da fortgenommen, ja man lernt Wesen kennen, die selbst der Teufel gewiß nicht haben will, weil sie die Hölle unanständig machen.

Was ist Schuld an diesem Elend, an dieser Demoralisation? fragte Ferdinand.

Die Bestialität der menschlichen Natur, rief der Mann der Justiz.

Wahr, versetzte der Sohn des Präsidenten, aber nicht sowol die Bestialität Derer, die da stehlen, morden, betrügen, sondern mehr noch die der Reinen und Erhabenen. Sie glauben doch nicht, Justizrath, daß Sie die ärgsten Schurken da hinter Schloß und Riegel haben?

Gott bewahre! erwiderte dieser, das ist es ja eben, die ärgsten laufen frei umher und je gefährlicher sie sind, je durchtriebener sind sie. Es ist ihnen äußerst schwer beizukommen.

Das will ich meinen, sagte Ferdinand lachend. Die kennen die Menschen und die verfaulten Zustände und Gesetze.

Ob sie die kennen! rief der Justizrath. Da habe ich eben jetzt solchen Fall. Hier ist ein Mensch, ein Commissionair, der sich ein Vermögen erworben hat und sogar im Rufe der Frömmigkeit steht. Seit Jahren treibt er Häuserschacher und betrügt die Unglücklichen, die in seine Hände fallen, auf exemplarische Weise; aber gesetzlich ist ihm nicht das Geringste anzuhaben. So hat er sich auch auf den Wucher gelegt und macht seine Sache großartig, allein er weiß sich so wohl zu hüten, daß er bis jetzt nie gefaßt werden konnte. Endlich aber haben wir ihn und ich bin dabei, ihm soeben einen Besuch zu schenken und ihn dabei zugleich festnehmen zu lassen. Der schlechte Patron treibt nämlich schon seit langer Zeit auch das Hehlerhandwerk und hat mehre der verschlagensten Diebe an der Hand, denen er Gold, Silber und Kostbarkeiten abkauft, aber nur wenn er ganz sicher ist. Nun hat er ein ganz eigenthümliches Complot neulich gemacht zum Verderben eines armen Teufels, der nie ein Verbrechen beging und eine Art von Gesinnung hat, die ungewöhnlich bei Leuten seines Standes genannt werden muß. Die Wahrheit ist, daß der abscheuliche Schurke die Eltern des jungen Menschen an den Bettelstab gebracht hat, und mit einem blutdürstigen Haß den Sohn verfolgt, der ihm seine Verachtung an den Tag gelegt hat. Aber sich an ihrem Elend zu weiden, und sie sicherer zu verderben, läßt er sie in dem Hause wohnen, das ihnen einst gehörte, aber das nicht genug; er beredet einen der abgefeimtesten Diebe, den jungen Mann, den jener von der Jugend her kennt, in die Schule zu nehmen, ihn dazu zu bewegen, ein Verbrechen zu begehen und alles anzuwenden, um ihn in die Schlinge zu führen und dann zu verrathen. Dafür bietet der Geizhals Geld, hundert Thaler und sichert dem Kerl zu, daß er ohne Strafe davon kommen solle, als geheimer Gehülfe der Polizei, nach der beliebten Methode, auf solche Weise die Mitschuldigen zu fangen. Lange Zeit widersteht der Unglückliche, endlich aber erwacht die Gier nach Gold, oder Gott weiß was ihn sonst getrieben hat. Sein Elend ist groß, er ist arbeitslos, die alte Mutter hungert, der Teufel flüstert die Versuchung in sein Ohr, kurz er vertraut den Diebesgenossen, daß er ihr Gehülfe bei einem Einbruch sein will und bezeichnet einen Baron Selben als reich, im Besitz von bedeutenden Summen, die leicht zu heben sind.

Baron Selben! rief Ferdinand verwundert.

Kennen Sie ihn? fragte der Justizrath.

Ich habe von ihm gehört.

Aber wahrscheinlich nicht viel Gutes, fuhr jener fort. Er wurde, von Schulden verfolgt, ein leichtsinniger Roué, der schon seit einigen Wochen sich heimlich fortgemacht hat und wahrscheinlich nicht wieder kommt, da nichts Angenehmes ihn hier erwartet. Es war also reine Einbildung, bei ihm Schätze zu vermuthen, denn obgleich er klagte, daß ihm wichtige Papiere gestohlen wären, so glaube ich fast, daß er sich blos damit wichtig machen wollte und daß es eigentlich Liebesbriefe oder so etwas waren, wenn irgend eine Wahrheit dahinter steckt. Dem armen Simon mochte es so vorkommen, als müßte ein feiner Herr, der Ringe, Uhr, Tuchnadeln und modische Dinge trägt, für welche die unbezahlten Rechnungen zu Haus liegen, viel Geld haben. Kurz und gut, der Einbruch wird beschlossen und ausgeführt, vorher aber geht der Verführer hin zu dem Commissionair, gibt alles genau an, empfängt neue Zusicherungen, und wie nun jene bei der besten Arbeit sind, werden sie überrascht, gefangen und ins Loch gebracht, bei welcher Gelegenheit auch die Geschichte des Simon ganz einzig ist. Ich habe die Sache untersucht, und es thut mir leid zu sagen, ich war gegen den armen Menschen sehr eingenommen. Wie sollte man bei solchem Gesindel an Unschuld glauben, wo man Jahr aus, Jahr ein, die allerschlimmsten Erfahrungen macht.

Woher aber wissen Sie jetzt das Alles?

Der Dieb, der Jude Rosenfeld, hat mir gestern Alles gestanden. Er hatte auf Freiheit und Geld gehofft, das geht aber nicht so geschwind. Die Zeit wurde ihm lang; im Gefängnisse fand er Verachtung und Schande bei seinen alten Genossen, als ein Verräther; denn obgleich er standhaft leugnete, war man doch davon überzeugt, unglücklicher Weise aber für ihn erhoben sich andere Anschuldigungen von Diebstählen, die er begangen, wobei er nicht der Polizeispion war und nachdrückliche Strafe erwarten mußte. Dazu ließ der Schröder, der Commissionair, nichts von sich hören. Er forderte Geld auf geheimen Wegen, denn bei aller Vorsicht finden diese Menschen immer Mittel, Botschaft nach außen zu bringen. Schröder lachte ihn aus, verspottete seine Drohungen und brachte ihn endlich dahin, daß Rache, Reue und ein gewisser kecker Trotz, der diesen Menschen eigen ist, ihn zum Bekenntnisse trieb. Ganz spät gestern Abend ließ er mich rufen und sagte Alles, was er wußte; Schade nur, daß es dem Simon nichts mehr helfen wird.

In dem Augenblick sah Ferdinand den bestellten Wagen bespannt an der Thür des Fuhrherrn auf der andern Seite der Straße. Leben Sie wohl, rief er, ich denke später mehr von Ihnen zu hören. Fassen Sie den elenden Schurken, und kann dem armen Menschen eine Unterstützung, oder ein Fürwort meines Vaters helfen, so soll es geschehen. Ich werde ihm die Sache erzählen, wenn er sie noch nicht kennen sollte.

Bei diesen Worten entfernte er sich rasch, gab dem Kutscher Befehl, an die Mauer des Gartens zu fahren und dort zu warten. Dann eilte er, so schnell er konnte, zurück, beflügelt von dem Verlangen der Liebe, seinen heimlichen Plan ohne Störung auszuführen.

In seiner Abwesenheit hatte die junge Frau sich beeilt, alle Anstalten zu der nahen Flucht zu treffen. Schnell ward mit Hülfe des Kammermädchens alles Nothwendige zusammengepackt; das was in der Nähe war, ergriffen und mit fröhlichem Ungestüm unter Scherz und lustigem Denken an die Verwunderung der Zurückbleibenden ihre Reisetoilette vollendet.

In dem schönen weißen Morgenkleide, mit rothen Schleifen besetzt, und dem Häubchen, das zum ersten Male die üppigen Loden halb verhüllte, stand sie vor dein großen Spiegel lächelnd und im Nachsinnen über so Vieles, was neu und wunderbar die Metamorphose vollendete, als draußen die Klingel gezogen wurde. Einen Augenblick meinte sie, daß Ferdinand zurück sei und sie griff nach dem Hut, aber das war nicht seine Weise an der Thür zu zögern, auch war die Glocke langsam und leise gezogen worden, als habe eine unsichere Hand daran gerührt. Nun fürchtete sie eine Störung und eine Wolke von Mißmuth, die erste in dieser jungen Ehe, flog über die weiße Stirn, als die Dienerin mit der Meldung hereintrat, daß eine alte Frau draußen sei und sie zu sprechen wünsche, die sich durchaus nicht abweisen lassen wolle.

Eine Bettlerin, sagte Florentine. Gib ihr Geld!

Ich bot ihr eine Gabe, versetzte das Mädchen, sie nahm diese nicht an und als ich sie gehen hieß, rief sie, sie müsse die gnädige Frau sehen. Auch wäre sie wohl bekannt, sie heiße Simon und käme von Einem, von dem sie gute Botschaft brächte.

Während die Dienerin sprach, war eine auffallende Veränderung bei ihrer Herrin erfolgt. Die Wangen, so roth und frisch, waren bleich geworden, der helle Blick der Augen unsicher, ein ängstliches Beben schien sie zu ergreifen, Furcht und Schrecken malte sich in ihren Zügen.

Mein Gott! rief die Dienerin, was fehlt Ihnen?

Nichts, nichts! sagte Florentine. Laß die alte Frau herein, aber schnell, sie soll schnell kommen!

Mit einem Donnerschlage war das Glück verschwunden, das bisher so schön und nun getrübt war. Simon! der Name klang, wie ein Verbrechen in ihr Ohr. Was wollte er heute von ihr, in diesem Augenblick? Geld erpressen, sein Geheimniß verkaufen, sie peinigen?! Sie hatte seit Wochen nichts von ihm gehört, sie hätte viel darum gegeben, wenn sie nie! nie! an ihn erinnert wurde. Sie dachte mit Dankbarkeit an den getreuen armen Menschen, aber auch mit Grauen.

Von ihrem Verfolger hatte sie am Tage nach jenem gefährlichen Unternehmen eine Nachricht erhalten, die ihre Ruhe und ihr Glück befestigte. Selben war es geglückt, ihr zu begegnen. Er grüßte sie und sagte leise:

Ihr Plan ist gelungen, die Briefe sind glücklich entwendet, aber triumphiren Sie nicht zu früh, mein gnädiges Fräulein, ich werde sie mir wieder verschaffen, und dann – keine Gnade!

Er ging und Florentine weinte Thränen des Glücks! Sie war überzeugt, daß Simon ihren Befehl erfüllt, daß er die unglücklichen Zeugnisse der Verirrung ihres Herzens sogleich vernichtet hatte. Sie erwartete eine Nachricht, irgend eine Kunde, und sie war doch froh und dankte es Simon, daß er nichts von sich hören ließ. Man konnte Verdacht auf ihn werfen, sein Erscheinen konnte Vermuthungen erzeugen, sie selbst aber konnte und durfte weder ihren Besuch wiederholen, an den sie mit Todesangst zurückdachte, noch einen Brief zu schreiben wagen, der leicht in schlimme Hände gerathen und sie verderben konnte.

So war die Zeit hingegangen. Mit jedem Tage pries sie den verständigen Freund und mit jedem Tage bangte sie mehr vor seinem Anblick. Endlich aber war der Rausch ihres Glückes so groß, daß sie die trübe Vergangenheit ganz vergaß und mit dem festen Vorsatze, es Simon nie zu vergessen und zur guten Zeit und Stunde seine Ergebenheit reichlich zu lohnen, fiel der Schleier über eine Jugendthorheit, die sie um Alles in der Welt zu vergessen wünschte.

Aber jetzt, plötzlich, war der gefürchtete Augenblick da. Simon's Mutter, was wollte sie? Was konnte sie ihrem Gatten sagen, wenn dieser zurückkehrend die alte Frau, in dem Zimmer fand?

Die Thür ging auf, sie eilte darauf zu und trat zurück. Da stand die Matrone mit ihrem greisen wirren Haar, das über das abgemagerte Gesicht fiel. Welche furchtbare Veränderung war mit der Armen vorgegangen? Die Haut war wie ein Ueberzug von Pergament auf die Knochentheile gespannt; eine Mumie, deren Augen allein menschliche Empfindungen ausstrahlten, wo Freuden und Schmerzen Zeugniß geben von einer Seele, die noch Antheil an den Verhängnissen staubgeborener Wesen nimmt.

Die alte Frau starrte die junge Dame an, dann trat eine eigene Freundlichkeit durch die vergilbten Züge, ihre grauen Augen blitzten, und plötzlich sagte sie mit ihrer heiseren Stimme:

Erschrecken Sie nur gar nicht, liebstes Herzchen, daß ich so komme in meiner Armuth, aber es hat sich ja alles gewendet und Simon schickt mich her. Ich habe ihn wieder, den armen Jungen, mein Gott! mein Gott! Deine Gerichte sind schwer. Ach, – ja, was wollte ich sagen – er ist frei! er ist kein Dieb! Sie haben ihn losgelassen und zu mir gebracht, heut ganz in der ersten Frühe. Da habe ich all mein Leid vergessen, meine Thränen sind versiegt, Gott der Herr hat geholfen, er ist frei! er ist unschuldig! ach! verdammen Sie ihn nicht, er ist gut und unschuldig, ich kenne ihn, ich bin ja seine Mutter.

Was ist denn geschehen? rief Florentine. Großer Gott! sagen Sie mir Alles.

Sie wissen es nicht? fragte die alte Frau und trübe lächelnd fügte sie hinzu: Ich dachte, alle Welt wußte es, Jeder zeigte mit Fingern auf mich, jagte mich von der Thür und rief mir zu: Das ist die Mutter des Diebes. Die Mutter des Diebes! Wenn das sein Vater wüßte, sein ehrlicher Vater im Grabe, und doch der – ja der – er hat Hand an sich gelegt – warum? warum? weil sie ihn betrogen hatten, bestohlen, aber Simon hat es nicht gethan.

Die junge Frau zweifelte an dem Verstand der Matrone.

Wenn es möglich ist, sagte sie, so erzählen Sie mir Alles und wenn es wahr ist, daß man Simon einkerkerte, warum kamen Sie nicht zu mir?

Ich konnte nichts denken, erwiderte die Alte leise, ich dachte nur daran, daß er ein Dieb sei und ich schämte mich; Gram und Schande thun gar zu weh. Nun ist aber Alles gut! nun kann ich mein Auge erheben und er wird auch gesund werden, ich werde ihn pflegen, die guten Tage werden wiederkommen; man muß nur vertrauen, glauben und vertrauen, sagt Schröder –

Sie sprach den Namen leise zögernd aus. Dann aber rief, sie mit Inbrunst:

Ich habe ja geglaubt, ich habe vertraut; o! mein Gott und Herr, was habe ich getragen, und in mir sprach eine Stimme: Du wirst ihn wiedersehen, er wird, wie ein Engel, rein sein, reiner und besser als Alle, und seine Unschuld wird strahlender vor ihm hergehen, als alle Kronen und aller Schmuck. So ist es denn auch geschehen. Gestern haben sie seine Unschuld entdeckt, da haben sie ihn losgelassen und zu mir gebracht. Wie er hereintrat, war es, als ginge ein Leuchten von ihm aus, so stand er da. Er war so blaß, als sei er todt, aber weiß und schön sah er aus, wie ein überirdisches Wesen. Da gab er mir die Hand und sagte: Da bin ich Mutter, ich bin kein Verbrecher, der Rosenfeld hat es bekannt und der Director der Justiz hat befohlen, mich zu dir zu bringen, damit deine armen Hände mich segnen. Und dann sah er mich an und streichelte mein Gesicht, und küßte mich, und bat mich um Verzeihung wegen all dem Gram, den er mir gemacht. Hat er mir denn Gram gemacht? Ach! was kann er denn dafür, daß sie ihn so grausam verfolgt haben? Freude habe ich an ihm erlebt und wenn ich mich grämte, war es ja um ihn allein und um seine Leiden.

Aber er ist nun bei Ihnen geblieben? fragte Florentine zitternd.

Bei mir, freilich bei mir, sagte die Mutter. Zwei Männer kamen in dem Wagen mit, die haben ihn herunter geführt und ins Bett gebracht. Der Eine war ein Doktor, der hat auch Medizin verschrieben und geholt, die hat er eingenommen, denn geduldig ist er ja immer gewesen, wie ein guter Gottesengel. Da liegt er nun so still wie ein Lamm, ohne Murren und ohne Klage, und wenn ich komme, gibt er mir seine Hand und sieht mich so traurig an, daß ich weinen muß.

Mein Gott! mein Gott! rief Florentine, wie zur Entschuldigung ihrer selbst, ich habe nichts davon gewußt.

Nun hat er sanft geschlafen, fuhr die alte Frau fort, und wie er aufwachte, sagte er zu mir: Mutter, geh hin, zu ihr – Du weißt wol – zu ihr, er sprach Ihren Namen nicht, aber ich wußte recht wohl, was er meinte. Sage ihr, daß ich sie zu sehen wünschte, es wäre nur der einzige Wunsch, den ich habe. Ich weigerte mich wol, denn was soll eine vornehme Dame in unserer Armuth und doch – sie sah die schöne Frau mit vielsagendem Blicke an – wenn ich bedenke, was da geschehen ist, so ist mir wunderlich ums Herz, und wie ich sah, daß sein blasses Gesicht ganz roth geworden war und er kaum sprechen konnte, und wie er endlich kläglich rief: Nur einmal, ach! nur einmal noch möchte ich sie sehen, da konnte ich es nicht länger ertragen, ich lief fort und bin hierher gekommen, um Sie anzuflehen, dem armen Simon die Bitte zu erfüllen.

Wie ist es möglich, wie kann ich es! rief die junge Dame verzweiflungsvoll und weinend. Welche Leiden für mich, welche Angst und Entsetzen! Ich will kommen, wenn ich kann, sobald ich kann; ich will helfen, ich will ja gern helfen! Hier ist Geld, nehmt das Geld! Ich will mehr geben. Holt den besten Arzt, pflegt ihn, schafft ihn aus der ungesunden Wohnung, ich will Alles, Alles thun, o, Gott! eilt, nehmt und geht.

Geld! rief die alte Frau mit Hohn und Zorn, will er denn Geld?! Damit soll bei den reichen Leuten Alles gut gemacht werden. Ach! armer Simon, ich habe es wol gedacht. Es war sein Unglück, daß er mit den Vornehmen bekannt war, die kein Herz fürs Leiden haben. Was, er hat doch nicht gefragt, wenn es galt, Denen zu dienen, die ihn um Beistand anriefen; er dachte gut von Allen und kannte die Menschen nicht. Ich habe nicht her gehen wollen, weil ichs vorher wußte, wie es kommen würde. Sie wird kommen, Mutter, sagte er, o, sie wird gewiß kommen, sage ihr, es wäre meine letzte Bitte, die allerletzte und dabei faltete er die Hände, und ich falte sie ja auch. Kommen Sie, ach! kommen Sie, nur das eine Mal. Er hat noch nie sein Wort gebrochen und bittet gewiß nichts wieder.

Heftig weinend war Florentine: auf einen Stuhl gesunken, sie bedeckte ihr Gesicht und rief mit Entsetzen:

Ich kann nicht, es ist nicht möglich! Gibt es ein elenderes Wesen, wie ich! Erbarmen! Erbarmen! es tödtet mich.

Plötzlich aber sprang sie auf und in ihren Augen loderte Verzweiflung. Sie faßte den Arm der alten Frau mit Gewalt und drängte sie gegen die Thür.

Er kommt! fort; um Gottes Willen, fort! rief sie athemlos, im Augenblick aber ließ sie los und sank ermattet in den Stuhl zurück, eben als ihr Gemahl mit den freudigsten Hoffnungen rasch hereintrat.

Geliebte! rief er, Alles ist bereit, der Wagen wartet.

Das letzte Wort jedoch erstarb auf seinen Lippen.

Was ist das, rief er, was ist hier vorgegangen?

Er warf einen fragenden Blick auf die alte Frau und eilte dann zu seiner Gattin, die mit beiden Armen seinen Hals umschlang und ihr bethräntes Gesicht an seiner Brust verbarg.

Florentine, sagte er, was soll ich denken, welch Unglück hat den frohsten Tag unseres Lebens getroffen! Rede, ich bitte Dich, was es auch sei, rede!

Ich kann nicht fort, flüsterte sie, ach! Du wirst zürnen, und doch – Du mußt es wissen, nein! O nein, welche Täuschung! wie entsetzlich!

Was ist es, gute Frau, sagte Ferdinand, welche schlimme Nachricht haben Sie uns gebracht?

O! lieber Herr, versetzte die Matrone furchtsam, Sie sehen so gut und rechtschaffen aus, legen Sie ein Wort für arme, elende Leute ein. Mein Sohn Simon, er hat in seiner Jugend mit dem gnädigen Fräulein da oft gespielt und sie immer angebetet, wie seine Gottheit. Nun war er doch gefangen, weil sie ihn für einen Dieb hielten, aber er ist unschuldig und sie haben ihn loslassen müssen, ganz frei, Gott sei Dank! ganz frei! Er ist aber krank, lieber Herr, sein Athem ist schwer und sein letzter Wunsch ist, das liebe Gesicht, noch einmal zu sehen, dann wird er nichts wieder bitten. Aber die gnädige Dame verweigert es, sie verweigert es und es ist doch sein letzter Wunsch.

Aber es ist ein heiliger Wunsch, sagte Ferdinand, ein Wunsch, den Niemand abschlagen soll. Meine geliebte Florentine, ich begreife den Kampf, den dies plötzlich kommende Ereigniß in Deiner Seele hervorrufen mußte. Vor einem solchen Ernst des Lebens aber müssen alle die süßen Träume des Augenblicks weichen. Eine andere Feier bereitet sich uns. Du mußt gehen, Trost und Freude in ein armes zerquältes Herz bringen, vielleicht ein letztes Lächeln auf sterbende Lippen bringen, sagte er leise, und ich will Dich begleiten, Dir nahe sein, wenn etwa meine Hülfe wohlthun kann.

Du Guter, Bester! rief Florentine neu ermuthigt, ja begleite mich. Simon ist ein edler treuer Mensch, eine Seele, wie es wenige gibt, wohnt in ihm. Ich habe nichts von seinem harten Schicksale gewußt; vielleicht ist Hülfe möglich, vielleicht können wir ihn aufrichten, gesund machen, ihm Glück bringen, o! was würde ich geben, wenn ich ihn froh und glücklich sähe.

Die alte Mutter erschöpfte sich in zärtlichen Danksagungen, als sie die vornehmen Herrschaften entschlossen sah, sie zu begleiten. Sie weinte vor Freude; daß Simon's Wunsch nun doch in Erfüllung ginge und in ihrem schwachen Kopfe bildeten sich verwirrte Gedanken über eine bessere Zukunft. An die Hoffnungen, die aus den Gräbern wachsen, dachte sie nicht. Erdenträume von Wohlergehen, vom heitern Abend des Daseins, von Simon, wie er rüstig schaffte, unterstützt und gehoben von mächtigen Gönnern, schwankten hin und her und verkürzten ihr den Weg durch den Garten, an dessen Pforte sie den Wagen fanden, der sie sämmtlich, nicht in das Paradies dieser jungen Liebe, sondern an das Bett eines Sterbenden führte.


14.

Herr Schröder hatte, als er noch im Bette lag, das Gerumpel eines Wagens gehört, der vor seinem Hause still hielt.

Was will denn ein Wagen in aller Frühe hier? sagte er zu sich selbst und diesen Gedanken hielt er fest, während er im halben Schlaf sich auf die andere Seite drehte. Es kann der Miethmann sein, oder der Brauer, oder auch – was ist denn das, sagte er und richtete sich auf, was spricht denn da unten so laut?

Aber ärgerlich über seine gestörte Ruhe streckte er die Füße unter der Decke hervor, schlüpfte in die Pantoffeln, suchte im nächtlichen Dunkel den Schlafrock und begab sich an das Fenster, eben, als aus dem Keller ein Mann hervorstieg, den er nicht recht erkennen konnte, sich mit einem andern in den Wagen setzte und davonfuhr.

Herr Schröder blieb in tiefen Gedanken am geöffneten Fenster liegen, bis die kühle Morgenluft ihn erinnerte, daß er sich erkälten könne. Er war in bedeutender Aufregung. Was in aller Welt konnte ein Mann, der im Wagen gekommen, in der kahlen Höhle des Elends wollen? Wer konnte es sein, was konnte er bringen?!

Herr Schröder berechnete schnell, daß, wenn etwa irgend ein Wohlthäter die löbliche Absicht habe, der alten Simon etwas eine reichliche Gabe zugehen zu lassen, er als Wirth die gerechtesten Ansprüche habe, die schuldige Miethe vorweg abzuziehen. Die alte Creatur war ja überdies unter seiner Vormundschaft und er gab sich das Zeugniß, daß er ein musterhafter und väterlicher Beistand sei. Er hatte ihr Armensuppen, wesentliche Unterstützung von der Commission, Unterstützung vom Hülfsverein verschafft und ihr täglich zwei Groschen verabreicht, den Ueberfluß aber mit gewissenhafter Treue gespart, um die Schulden zu decken.

Einen Augenblick lang rieb er sich daher ganz vergnügt die Hände, aber er wußte selbst nicht, wie es kam, er war schnell wieder verdrießlich und von ganz sonderbaren Ahnungen geplagt. Im Grunde war es wol die nicht gestillte Neugier, oder die Aufweckung aus dem tiefen Schlafe des Gerechten; er ging jedoch immer heftiger in seiner Stube auf und ab und murmelte Worte vor sich hin, die von seinen schnellen Gedankensprüngen zeugten.

Wenn es nur erst Tag wäre, sagte er, daß ich hinunter könnte. Sollte sie etwa eine Erbschaft gemacht haben, die alte Hexe? Sie hat immer von einem Vetter erzählt, der einmal in die weite: Welt gegangen ist; oder sollte etwa ein Besuch gekommen sein? Ein Besuch! haha! wer soll das Lumpenvolk wol in einer Kutsche besuchen? halt! der junge Mensch von damals. Bei meiner Seele! Aber es ist ja nicht möglich, er hat sich nicht wieder sehen lassen. Pestilenz! ich kann es nicht herauskriegen. Es muß ein Irrthum gewesen sein, der Wagen hat ganz wol anders hingewollt, oder es sind Spitzbuben gewesen, die fahren wol in solchen Stunden und bringen den Erwerb in Sicherheit. Ja, wenn Jaköbchen nicht fest gemacht wäre, flüsterte er kichernd, Jaköbchen, der könnte es gewesen sein, wenn der Simon etwa noch da unten hauste. Aber den hab ich endlich, wo ich ihn haben wollte, und der Jude, der Schuft – er lachte laut auf – wart, sagte er, Du sollst lange warten, ehe Du mir wieder hier die Milchbrödchen aufessen und den Zucker stibitzen kannst.

So ging er denn auf und nieder, überlegte hin und her, sah hinaus, ob der Tag noch nicht da wäre und kochte sich Kaffee, weil er nicht wieder einschlafen konnte. Endlich schlug die alte Uhr, im Hause würde es lebendig, die Arbeiter polterten von der Treppe, die Webstühle fingen an zu schnarren bei dem Nachbar, die Zeitung wurde gebracht, aber Herr Schröder hatte keine Lust zum Lesen.

Er zog den Morgenrock an, stopfte die Pfeifen setzte die Mütze tief auf die Ohren und band einen roth und blauen Wollenshawl um den Hals, damit er vor Erkältung sicher sei, dann ging er die Treppe hinunter, und wie er an den Keller kam, war die Thür nur angelehnt, so daß er fast hinabgestürzt wäre, was ihn sehr verdrüßlich stimmte.

Das alte Wetterweib, murmelte er, was macht sie die Thür nicht zu, aber wer soll bei ihr etwas stehlen? Ich habe, mir das Bein geschunden, kostet wenigstens acht Groschen Pflaster und sechzehn Groschen Schmerzensgeld, macht einen Thaler, den ich in Abzug bringe. Ich bin so zart gebaut, das kleinste Rißchen thut mir weh und so eine alte Vettel bringt mich in Schmerzen.

So war er durch den Vorbau gegangen und steckte den Kopf zur Stube hinein. Was habt Ihr denn vorgehabt, alte Frau, sagte er, was war denn das für ein Wagen, der heute Nacht hier hielt? He? Element wo seid Ihr denn? Was, im Bette? Ja freilich und was ist wahrer, als das alte Sprüchwort: Die Aermsten sind die Faulsten! Heda! altes sündenvolles Geschöpf, schrie er und legte die Hand auf das Lager, unter welchem eingehüllt eine menschliche Gestalt ruhte, was thut Ihr da im Bette noch am hellen Tage? Auf und wachet und betet, damit Euch der böse Feind nicht verschlinge, der als brüllender Löwe wandelt.

Bei den letzten Worte aber fuhr er mit Entsetzen zurück. Die Tagesdämmerung fiel durch die kleinen trüben Scheiben in die unterirdische Behausung und was er da erblickte, den Kopf, der sich langsam von den Kissen hob, die Arme, welche sich gespenstig lang unter der Decke hervorstreckten, dieses todtenblasse, stille Gesicht, es gehörte dem Wesen, das er über Alles haßte, das er in Schmach und Banden gebracht und von dem er, am allerwenigsten vermuthen konnte, es hier zur finden.

Schrecken und Furcht machten ihn einige Minuten stumm. Er starrte die Erscheinung mit dem Aberglauben und dem inneren Grausen an, den eine Geistererscheinung hervorbringen mag. Die Augen quollen aus den Höhlen, wie der Mann im Bett sich aufrichtete und ihn betrachtete; er wäre davon gelaufen, aber die Füße versagten ihm den Dienst, und als er Herr seiner Ueberraschung geworden, als er sah, daß es kein Traun war, keine Täuschung, daß Simon, der Dieb, der Schurke, der Elende, vor ihm liege, frei von der Kette, frank und frei, da kam zu der Angst die Wuth über das Mißlingen seiner Anschläge.

Durch seinen erfinderischen Kopf flogen alle Möglichkeiten, wie das geschehen konnte? Er hätte sein Kleid zerreißen und sein Haar ausraufen mögen vor Grimm über die Esel, die diesen überwiesenen Verbrecher laufen ließen, und dabei faßte ihn ein geheimes Ahnen, daß es wol am Ende ihm selbst an den Kragen ginge, Hohn und Haß erstarb auf seinen Lippen und mit fast zitternd leiser Stimme sagte er:

Simon, seid Ihr es denn wirklich? Der Herr sei gelobt! ja wirklich Ihr seid es und frei, unschuldig befunden? Ich preise den Ewigen, daß er mich diese Stunde erleben läßt.

Simon erwiderte nichts; erst als Herr Schröder sich dem Lager näherte und Miene machte, ihm die Hand zu reichen, zog er mit einer Bewegung des Abscheues die seine zurück.

Ich bin zurück gekommen, sagte er mit seiner hohlen Stimme, und wußte es wohl, daß ich Sie hier finden mußte.

Freilich, allerdings, rief der Commissionair, und wo sollte ich wol anders sein? Ich will von dem unglücklichen Vorfall nicht sprechen, Simon, der Sie an einen gewissen Ort brachte. Ungeschickt muß man nichts anfangen in der Welt, vorsichtig ist die Hauptsache; aber soviel ist gewiß, wenn Ihre Mutter noch lebt, so verdankt sie es meiner aufopfernden Freundschaft, die sich nichts verdrießen ließ, ihr Hülfe und Unterstützung zu verschaffen.

Wie, rief der Kranke, indem er leidenschaftlich rasch den Arm erhob, Du wagst es, Elender! mit Deinem Mitleid zu prahlen? Als Deckmantel Deiner Nichtswürdigkeit hat Dir die Unglückliche gedient, um zu heucheln und zu betrügen, oder – sagte er erschöpft zurücksinkend, war es wirklich vielleicht ein Rest von Empfindung, ein Instinkt, der Dich trieb, die Aermste, der Du den Mann ermordet, den Sohn in den Kerker gebracht hattest, nicht ganz umkommen zu lassen? Doch nein, nein! er bettelte mit ihr, um, was milde Hände und Herzen reichten, als gute Beute in seine Tasche zu stecken.

Bei dieser lebten Anschuldigung wurde das Gesicht des Commissionairs roth und bleich. Er wußte nicht, was ihn so lebhaft traf, aber dieser Mensch schien bis in die Tiefe seines Herzens sehen zu können, als läge dies hinter einer gläsernen Wand.

Was sagen Sie da, Simon, rief er und versuchte zu lachen, indem er sich den Schweiß von der Stirn wischte, haha! ich – ich Witwen und Waisen betrügen. Das ist ein schlechter Dank, Simon, ein schlechter Dank, wahrhaftig; aber ich verzeihe Ihnen, als Mensch und Christ, wir sind Alle arme Sünder, stille! – wir wollen nicht weiter davon sprechen, erzählen Sie mir lieber, wie Sie loskamen, so plötzlich, so unerwartet, meiner Seele! das muß eine schnurrige Nase sein, die da der Justiz angeheftet wurde. Unschuldig, was? unschuldig gefunden, hahaha!

Ich will es Dir sagen, damit Du Dich über Dein Werk freuen kannst, erwiderte Simon, aber lache nicht zu früh. Man ließ mich los, weil ich sterben muß, weil der Tod seine kalte Hand schon jetzt auf mein Herz legt; weil die Ewigkeit meine irdischen Ketten zerbricht, gestattet man barmherzig, daß ich in meiner Mutter Schooß enden darf. Das Alles hast Du verschuldet, Du elender Mensch, so sieh denn hier meine Leiden und Deinen Triumph. Aber, fuhr er fort und richtete sich wieder empor, weißt Du, was ich Dir sagte: Ich gehe nicht von hier, ich will und kann nicht gehen, bis Du gerichtet bist. Deine Stunde ist da. Siehst Du dort, dort in der finstern Ecke den blassen Schatten? Du siehst ihn nicht, aber das Auge eines Sterbenden ist klarer. Er ist Dir nahe, er betrachtet Dich, er streckt seine Hände aus der hält die flammende Schnur – er schließt sie um Deinen mörderischen Hals – seine Augen rollen – so reißt er Dich vor den Richterthron des Ewigen – gib Rechenschaft! gib Rechenschaft! wir finden uns dort!

Mit einem tiefen Seufzer sank er zurück.

Der kleine Mann war rückwärts tappend nach der Thür geschlichen. Er konnte das Schloß nicht finden, er starrte in die dunkle Ecke und in Simon's Augen, die feurig zu glänzen schienen. Sein Haar sträubte sich auf, ein wahnsinniges Entsetzen beschlich ihn und plötzlich sprang er aus dem düsteren Gemach mit einer Hast, als sei das Gespenst hinter ihm und sein kaltes Wehen machte sein Herz erstarren.

Wie er oben war in der freien Luft, schlich er zitternd an der Wand hin, wie ein Betrunkener, und eben trat er in den Thorweg, als eine starke Hand ihn fest hielt. Seine Kniee knickten zusammen, er wäre um ein Haar niedergesunken, die Hand richtete ihn jedoch fest und eine tiefe Stimme sagte:

Seit wann seid Ihr denn so schreckhaft, alter Freund? Aufgepaßt, Schröder, oder der Wind schlägt um: Ich will Euch einen guten Rath geben.

Herr Schröder sah, daß er es mit seinem Freunde Gansauge zu thun hatte. Er schüttelte finster den Kopf und sagte:

Ich bin krank, laßt mich mit Euren Späßen in Frieden, ich hab's Fieber.

Aha, flüsterte der große Beamte, wollt Ihr's so anfangen? Ich fürchte, es wird Euch nichts helfen. Diesmal geht's Euch an den Hals.

An den Hals! rief Schröder und legte angstvoll seine Hände daran.

Ich habe nichts gesagt, fuhr Gansauge fort, aber soviel ist gewiß, der Jakob hat gepfiffen, gebeichtet von A bis Z, und eine strenge Untersuchung ist gegen Euch im Werke. Verhaftsbefehl, Haussuchung! wenn Ihr klug seid, werdet Ihr wissen, was zu thun ist. Ich sage nichts, ich weiß nichts, und es wird mir leid thun, Schröder, aber in einer Viertelstunde können sie hier sein und gespaßt wird nicht.

So! sagte Schröder mit einem seltsamen Lachen, indem er starr vor sich hinsah.

Wenn das Alles ist, so müßt Ihr sicherer sein, wie ich, daß sie Euch nicht fassen können, alter Fuchs, rief der Commissair. Denkt aber nicht, daß sie so leicht abzuführen sind, sie wissen Alles und so leicht dürftet Ihr wol nicht wieder hier spazieren gehen. Also, wenns Euch zuträglich ist, verschwindet.

Verschwindet! murmelte Herr Schröder zwischen den Zähnen.

Aber so bald als möglich. Guten Morgen!

Guten Morgen! rief Herr Schröder und er sagte es noch mehre Male, als er die Treppe hinaufstieg. Dann schloß er vorsichtig auf, riegelte, die eisenbeschlagene Außenthür fest hinter sich zu, dann die zweite und stand nun lange horchend davor still. Endlich strich er mit der Hand sein lang herabhängendes Haar zurück und setzte sich in die Ecke seines Sophas, wo er immer zu sitzen pflegte, wenn er etwas Wichtiges überlegen wollte.

Heut aber konnte er zu keinem Gedanken kommen. Immer und immer wieder drängte Simon mit dem aufgehobenen Arm sich vor ihn hin; in seinen Ohren gellte ein einziges Wort: Ewigkeit! Das sagte er wol zwanzig Male, dann murmelte er: Rechenschaft! vor sich hin und plötzlich sah er sich ängstlich um, nach der Ecke am Ofen, nach dem dunklen Winkel hinter dem Spind. Es regte sich dort, es raschelte und seufzte, oder war es der Seufzer Simon's, mit dem er zurückgesunken war? Lange, glänzende Fäden stiegen aus dem Boden auf, rangen wild durcheinander und flochten sich zu Schnüren zusammen, deren Schleifen von unsichtbaren Händen ausgestreckt immer weiter durch das Zimmer zogen, bis über seinen Kopf. Er streckte die Arme abwehrend aus und sprang von seinem Sitze mit einem dumpfen, schmerzlichen Schrei.

Plötzlich fielen seine Blicke auf den Haken in der Wand, an dem der Spiegel befestigt war, und ein leises Lachen kam tief aus seiner Brust. Eine Trunkenheit der Sinne, eine Sehnsucht, ein Gedanke ergriff ihn, der mit furchtbarer Gewalt die Angst übertäubte. Er wußte nicht, was er that, aber er hatte, mit wunderlicher Hast das Schreibspind geöffnet, die Kasten herausgezogen, umgekehrt, den Inhalt ausgeschüttet. Das Geld, sein höchstes, köstlichstes Gut, fiel klingend und rollend auf den Boden nieder, er achtete es nicht.

Er griff in die Tiefe eines Faches und brachte mit Entzücken eine alte, feste, doppelt gedrehte Schnur heraus, welche dort lange gelegen haben mußte, die er mit gierigen, messenden Blicken betrachtete. Als fürchte er zu spät zu kommen, oder Feinde aufzuwecken, denen er entfliehen wollte, so eilig sprang er auf den Fußspitzen mit seinem Schatz davon. Er rückte die Komode fort, nahm den Spiegel von dem Haken, setzte einen Stuhl darunter, auf diesen eine Fußbank und dann schlang er die Schnur um das Eisen und knüpfte das Halstuch ab, Alles mit derselben zitternden, geschäftigen Eile.

In diesem Augenblick hörte er einen Wagen rollen und still halten. Da stieg die alte Frau aus und eine junge, schöne Dame und ein Herr – der Sohn des Präsidenten – er erkannte ihn. Aber dort über die Straße her kam der Justizrath, den er auch kannte und zwei Begleiter von der Criminalpolizei. Sie kamen, ihn zu fangen und er – er hielt mit der einen Hand die Schnur und stand schwankend auf der furchtbaren Brücke, Hohn und Spott um den zuckenden Mund.

Unten begrüßten sich die Herren. Das Fenster war geöffnet, Schröder konnte jedes Wort hören.

Hier wohnt der Schröder, von dem ich Ihnen erzählte, sagte der Justizrath. Wir wollen ihm einen Besuch machen, den er nie vergessen soll.

Aber wir, erwiderte Ferdinand, wollen dem unglücklichen Simon, seinem Opfer, beistehen. Meine Frau ist seine Jugendfreundin. Er hat nach ihr verlangt. Geh, liebe Florentine, ich folge Dir; zuvörderst will ich den Justizrath begleiten und sehen, ob der elende Schurke nicht zum Bekenntniß gebracht werden kann!

Ein kurzes wildes Gelächter im Hause folgte diesen Worten. Dann geschah ein Fall, ein Gepolter und Alles war still. Vergebens blieb das Pochen an die Thür, lange Zeit währte es, ehe sie gewaltsam geöffnet wurde. Als es geschah, gab es keinen Richter auf Erden mehr für Den, dessen menschlicher Hülle blutig, schwarz und verzerrt, wie Simon es ihm verkündigt, an derselben Stelle hing, wo einst der alte Uhrmacher geendet hatte.

Florentine war inzwischen leisen Schrittes in die finstere, dumpfige Halle getreten, deren Staub und Moder sie mit Schauder und Mitleid erfüllte. Zitternd nahte sie dem Lager, auf welchem der Mann ruhte, dem sie, arm und elend wie er war, ein königliches. Herz zugesprochen hatte. Da lag er still, wie ein Todter, doch sanft und schön anzuschauen, wie es die alte Mutter gesagt. Seine Stirn war so weiß und durchsichtig, als sei sie aus schimmerndem Stein geschnitten, die dunklen Loden fielen voll und glänzend auf das Kissen, lange, schöne Wimpern bedeckten seine Augen mit einem schwermüthigen Schatten.

Florentine beugte sich über ihn und sah ihn traurig an. In den Mienen des Sterbenden wechselten heftige und süße Empfindungen. Zorn und Kummer, Angst, Freude, Wehmuth und Verzweiflung jagten über sein blasses Gesicht. Seine Lippen bewegten sich krampfhaft, sie flüsterten Worte, einen Namen in der geisterhaft leise sich hervorrang und schmerzlich die Gerufene durchschauerte. Ahnte sie, was ein Lächeln des Glücks auf diese ewig verstummenden Lippen führte; ahnte sie die trostlosen Qualen des armen Simon?

Sie beugte sich tiefer zu ihm hinab, heiße Thränen fielen auf seine reine Stirn.

Mein armer Freund, rief sie, o, Simon! muß ich Dich so wieder finden!

Da schlug er die Augen auf und eine unaussprechliche Freude glänzte in seinen Blicken.

Die alte Mutter lehnte sich von der andern Seite über den Rand des Bettes.

Mein armes Kind! rief sie, wie hell er um sich blickt, wie freundlich! Er wird mir nicht genommen werden, was sollt ich dann wol noch. Nein, nein! es ist ja nicht möglich, Simon, es ist ja nicht möglich!

Der Sohn sah sie mit den großen klaren Augen liebevoll an. Dann hob er langsam die Hand auf und deutete auf sie, indem er Florentinen lächelnd winkte.

Sorge nicht, rief sie, aber Du, mein theurer, mein edler, mein geliebter Freund, Du sollst leben für sie und ach! – Simons Arm sank langsam nieder, leise fiel sein Kopf in die Arme seiner Mutter, seine Hände umschlossen Florentinens Hände, seine Augen waren offen, ein unaussprechlicher Ausdruck von Glück und Ruhe lag in diesen weißen edlen Zügen.

So hielt ihn die alte Frau fest umschlungen, bis Ferdinand kam und den Todten von ihr trennte. Sie war gefaßter, als man vermuthete, aber alle Pflege und Sorgfalt halfen nichts. Als der Herbst kam und Ferdinand mit seiner jungen Frau von dem Gute wiederkehrte, das er gekauft, war neben Simons stillem Grabe ein zweiter Hügel, unter dem die alte Mutter den schweren Traum des Lebens und die Leiden und Prüfungen der Armuth und des Elends vergaß.

 

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.


Editorische Hinweise


Gesammelte Novellen von Theodor Mügge. Sechs Theile. Leipzig: F. A. Brockhaus 1842/43. Erster Theil: 1842, 321 S. – Zweiter Theil: 1842, 411 S. – Dritter Theil: 1842, 280 S. – Vierter Theil: 1843, 491 S. – Fünfter Theil: 1843, 465 Seiten. – Sechster Theil: 1843, 428 S.

 

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